Echsilithsage von Eirien ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Riesige Rasenflächen breiteten sich vor ihm aus. Da, wo er gerade noch rotes Gestein vermutet hatte, waren in Wirklichkeit blühende Wiesen und grünes Gras. Dem Jungen blieb der Mund offen, als er dies alles erblickte. Eglenn lächelte. "Es tut gut, mal wieder andere Farben als rot zu sehen, nicht? Aber nun komm, bevor wir Wurzeln schlagen, ich habe es eilig." Auch als sie weitergingen, sah Damrod sich noch staunend um. An diesem Tag geschah nichts besonderes mehr. Als es Abend wurde, schlugen sie ihr Lager unter freiem Himmel auf. Die Sterne strahlten wie nirgendwo sonst, jeder wie eine kleine Sonne, fand Damrod. Der Junge war weder besonders hungrig noch müde, aber er hörte auf Eglenn und aß eine Kleinigkeit. Dann legte er sich hin, obwohl es noch eine Ewigkeit zu dauern schien, bis er einschlief. Mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf. Das Feuer war schon recht weit heruntergebrannt, aber Eglenn war nicht da. Damrod richtete sich auf und sah sich um, doch der Elb war nirgends zu sehen. Der Knabe bekam Angst. Er lief um das Feuer und spähte in die Dunkelheit. Schließlich zerrte er einen Ast aus dem Feuer und lief blindlings los, um den Elben zu suchen. Vielleicht war er verletzt oder brauchte seine Hilfe? Er rief seinen Namen, einmal, noch einmal. Vor Angst brach ihm der Schweiß aus, er geriet in Panik. Er rannte weiter und entfernte sich vom Lagerfeuer. Er lief kreuz und quer und rief und lauschte, doch nie bekam er eine Antwort. Aber nach einiger Zeit brannte seine Fackel herunter und erlosch. Er sah sich nach dem Schein des Lagerfeuers um, konnte es jedoch nirgends entdecken. Er war vollkommen verlassen und wusste weder vor noch zurück.. Weinend rannte er weiter, bis er hinfiel. Er blieb liegen und schluchzte in den Boden. Plötzlich berührte ihn etwas an der Schulter. Er sah auf und blinzelte in blendend weißes Licht. Dann erkannte er eine wunderschöne Frau. Sie war anmutig und ihr welliges Haar reichte bis zum Boden. Zwei weiße Schmetterlingsflügel hatte sie, die sich leicht im Wind wiegten. Sie trug ein weißes, schillerndes Kleid, aber keine Schuhe. Lächelnd sah sie ihn an und sprach kein Wort. Er ließ sich von ihr aufhelfen. Sie nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm durch die Wiese. Besser gesagt: er ging, sie schien zu schweben. Auf einmal war es ihm, als ob sie emporflögen, in den sternenübersäten Nachthimmel hinein. Höher und höher stiegen sie, tauchten in ein Meer von Sternen ein oder flogen durch Sternenwolken. Der Mond war eine große Laterne. Damrod fühlte sich in einen Traum versetzt. Wenn er das geflügelte Frauenwesen ansah, war er einfach nur glücklich, er trieb leicht dahin in den Wogen des Weltalls. Jede Minute dauerte eine Ewigkeit, die Ewigkeit war eine Minute und jeder Windhauch löste einen Sturm in seinem Herzen aus. Der Mond war so riesig wie ein Berg und die Sterne umgaben ihn. Von weitem sah er ein silbernes Schiff, von dem ein Licht ausging, weiß und heller als die Sonne. Es durchdrang die Dunkelheit der Nacht, das tiefe Blau und Schwarz. Dann wurde jedoch der Mond kleiner, das Schiff verschwand und die Sterne rückten wieder in unerreichbare Ferne. Damrod sah unter sich die Erde. Verschlafen und ruhig lag sie da, aber der Junge konnte einen kleinen, sich bewegenden Lichtpunkt entdecken. Dieser Punkt war Eglenn, der mit einer Fackel nach ihm suchte. Damrod spürte sich schwerer werden, sein eigenes Gewicht drückte auf ihn nieder und zog ihn nach unten. Er hielt sich wieder fester an der Frau fest, er sah sie an, doch sie lächelte nur. Schließlich spürte er Boden unter den Füßen. Er blickte zu ihr hinauf, sie zog ihn an sich und küsste ihn auf die Stirn. Damrod sah sie noch verschwinden, dann glitt er leise zu Boden. Die Sonne war schon aufgegangen, als Eglenn ihn so fand. Er dachte, der Knabe wäre tot, doch er atmete. Das Jungengesicht war tränenüberströmt, doch er lächelte im Traum. "Damrod! Damrod, wach auf!" sagte Eglenn leise und schüttelte ihn sanft. Der Knabe blinzelte ihn verschlafen an. "Mmhhh?" machte er. "Wo warst du denn? Ich habe dich die halbe Nacht lang gesucht!" sagte Eglenn besorgt. Der Junge antwortete: "Ich bin aufgewacht, aber du warst nicht da. Warum?" "Ja," erklärte Eglenn, "ich wollte etwas allein sein. Ich bin es nicht gewohnt, solange mit jemandem zusammen zu reisen." "Ich bin losgelaufen um dich zu suchen, aber dann ging meine Fackel aus. Ich rannte weiter und fiel hin. Und dann..." Damrod machte eine kurze Pause, "dann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn ich hatte einen sonderbaren Traum." "Erzähl ihn mir." Bat Eglenn. Also erzählte der Junge von seiner Begegnung mit der weißen Frau. Der Elb hörte zu und unterbrach ihn kein einziges Mal. Als der Knabe geendet hatte, sagte er: "Vielleicht war dies alles ja kein Traum. Es soll ja auch noch Wunder in Mittelerde geben und besonders an einem solchen Ort..." er ließ seinen Blick weit umherschweifen. Dann stand er auf und beide gingen zu ihrem Lagerplatz zurück. Dem Knaben war sonderbar zumute. Er war so ruhig und so mit sich selbst im Einklang wie noch nie zuvor. Außerdem war er wunschlos glücklich. Eglenn löschte die letzten Reste des Feuers, während der Knabe seine Sachen zusammenpackte. Sie wanderten den ganzen Tag und den nächsten. Am dritten Tag standen sie endlich an dem Hang, der wieder von dem Berg herunterführte. Damrod sah rote Felsen. Der Abstieg wurde hart und gefährlich. Kein Bach hatte hier im Gestein einen Weg geschaffen und kein Pfad führte hinab. Der Knabe hatte große Probleme und kam nur langsam voran, doch Eglenn half ihm und ließ sich Zeit. "Ich komme mir vor wie eine Berggemse" dachte Damrod. Eglenn führte sie so gut es ging waagerecht zum Hang, machte dann eine Kehre und ging wieder waagerecht. Zeitweise musste Damrod auf allen Vieren gehen. Plötzlich rollte ein Stein unter seinem Schuh weg und der Junge rutschte schreiend abwärts. Er brachte viele andere kleine Steine ins Rollen. Aber Eglenn war sofort zur Stelle und hielt ihn. Beide atmeten erleichtert auf. Überall lagen kleine rote Steine, die lose waren und auf denen man leicht ausrutschte. Als sich der Junge jedoch bewegte, gerieten wieder Steine ins Rollen und rissen Eglenn mit sich. Immer schneller ging es abwärts, er ruderte wild mit den Armen, aber er fiel hin. Er rollte weiter, doch dann blieb die Steinlawine stehen. Damrod kam vorsichtig hinterher. Der Elb wagte nicht, sich zu bewegen, denn ein paar Meter weiter unten klaffte eine tiefe Felsspalte. "Eglenn, halt durch, ich bin (hoffentlich) gleich da!" rief der Knabe ihm zu. Endlich hatte er ihn erreicht und zog ihn mit einer Hand nach oben. So vorsichtig wie möglich setzten sie Fuß vor Fuß, bis sie schließlich wieder auf festen Boden traten. Sie erholten sich einen Moment von dem Schrecken. "Das war verdammt knapp" meinte der Junge. Eglenn nickte, er sah recht blass aus. "Komm Damrod, lass uns weitergehen" sagte er schließlich. Vorsichtig wanderten sie weiter, aber mit der Zeit wurden sie wieder sicherer. Gegen Abend hatten sie den Abstieg geschafft. Unter dem nächstbesten Baum schlugen sie ihr Nachtlager auf. Eglenn war zu müde um Wache zu halten, so ließen sie es gut sein und schliefen beide bis zum Morgen. Als sie aufwachten, stellten sie fest, dass ein Teil ihres Proviants fehlte. Aber sie hatten zu Beginn ihrer Reise reichlich mitgenommen, zur Not würden sie sich unterwegs noch etwas beschaffen. Sie spürten erst jetzt ihren riesigen Hunger, denn sie hatten am Tag zuvor fast nichts gegessen. Um so gieriger machte sich Damrod nun über das Frühstück her, das der Elb bereitete. Nachdem sie fertig waren, blieben sie noch eine Weile sitzen und redeten. Später machten sie sich wieder auf den Weg. Sie wanderten bis in den Nachmittag hinein ohne eine einzige Rast. Das Gelände war bergig und schon bald sah Damrod den Blutberg hinter den Hügeln verschwinden. Der nächste Abschnitt ihrer Reise war schwieriger, da sie immer weiter ins Gebirge vordrangen. Sie konnten sich jedoch zumeist an die Wege halten und begegneten keinen gefährlicheren Tieren als Eichhörnchen. Sie brachten auch diesen Teil ihrer Reise hinter sich und gelangten schließlich in einen sonderbaren Wald. Der Wind rauschte im dichten Blätterdach, die Vögel sangen und die Luft war erfüllt von dem Duft nach süßem Honig. "Wie sonderbar!" rief Damrod erstaunt aus. "Gerade dachte ich noch, es sei Herbst, doch nun stehe ich mitten in einem Sommerwald!" "Nicht wahr?" lächelte Eglenn. "Und du hast noch nicht einmal den Frühling hier erlebt. Ich bin fast immer auf Reisen, aber hierhin komme ich immer wieder zurück und mein Herz bleibt immer hier. Willkommen in meinem Heimatwald, Damrod Marungssohn!" Staunend ging Damrod weiter. Es gab eine Vielzahl an kleinen Wegen, die sich überkreuzten oder spalteten und Eglenn schien sie alle zu kennen. "Nichts Böses ist in diesem Wald, es macht einen großen Bogen um ihn. Doch der Tag wird kommen, da sich seine Bewohner verteidigen müssen, denn das Böse rückt schon jetzt näher. Ich spüre es." Erklärte der Elb. Tief im Wald stießen sie auf eine große Lichtung mit einem riesigen Baum. Sie gingen auf ihn zu, Damrod sah am Stamm eine Strickleiter. "Das ist mein Haus, wenn du es so nennen willst" meinte Eglenn und zeigte nach oben. Und wirklich, hoch oben auf den starken Ästen stand ein kleines Haus auf einer Plattform. Von dort konnte man gewiss den gesamten Wald überblicken. Vorsichtig setzte der Junge einen Fuß auf die Leiter und kletterte daran empor. So kam es, dass Damrod Marungssohn von dem Elben Eglenn aufgenommen und aufgezogen wurde. _________HIER ENDET DIE KINDHEIT VON DAMROD_________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)