Mondscheinkuss von Shunya ================================================================================ Kapitel 2: In die Enge getrieben -------------------------------- Das hat mir gerade noch gefehlt. Wie konnte es nur soweit kommen? Deprimiert sitze ich auf der Bank der Umkleidekabine, während Dale draußen im Gang an der Tür rüttelt. Irgendein Schlauberger hat uns wohl eingesperrt. Seufzend überkreuze ich die Füße und stemme mich mit beiden Händen auf der Bank ab. Das Leben meint es wirklich nicht gut mit mir. An den Schritten erkenne ich, dass Dale zurückkommt und kurz darauf steht er im Türrahmen der Umkleide. „Nichts zu machen. Wir sitzen hier fest.“ „Wenn wir Glück haben hat vielleicht eine andere Klasse gleich Sport.“ „Also haben wir eine halbe Stunde nur für uns.“ Dale kommt langsam schleichend zu mir und lässt sich viel zu nahe neben mir auf der Bank nieder. Sofort rutsche ich auf Abstand. Noch immer erinnere ich mich an meine dumme Entscheidung sein Haus zu betreten und es behagt mir absolut nicht in seiner Nähe zu sein. Zu meinem Ärger rutscht Dale aber ein Stück weiter mir entgegen und scheint mir nicht von der Seite weichen zu wollen. Was mir absolut nicht behagt ist, dass ich dieses verdammte Zimmer gesehen habe und mir momentan einfach nicht sicher bin was ich davon halten soll. „Kannst du nicht mal da sitzen bleiben? Rück mir nicht so auf die Pelle!“ „Stell dich nicht so an, ich will doch nur neben dir sitzen!“ „Das kannst du auch von da hinten!“, fahre ich Dale an. Tut er aber nicht. Er rückt absichtlich noch dichter an mich heran. Irgendetwas läuft hier komplett aus dem Ruder! „Dreißig Minuten sind eine lange Zeit...“, raunt er mir zu. Augenblicklich rinnt mir ein Schauder über den Körper. Erstarrt bleibe ich sitzen. „Zeit genug um ein bisschen Spaß miteinander zu haben, meinst du nicht?“ Dale beugt sich zu mir vor und ich spüre seinen Atem an meiner Haut. Gleich rammt er mir seine messerscharfen Eckzähne in den Hals und saugt mir meinen Lebenssaft aus dem Körper. Ich spüre seinen heißen Atem, seine Lippen, die hauchzart über meine Haut streifen und unwillkürlich ziehe ich meine Schulter hoch. Gleich bin ich Geschichte. Adieu~ liebe Welt. Dabei wollte ich doch noch so viel in meinem Leben machen und erreichen. War es das jetzt wirklich? Ich runzele die Stirn. Jetzt muss er aber langsam mal anfangen. Wieso fühle ich dann nichts? Ich spüre deutlich seine Lippen an meinem Hals, nicht jedoch seine Zähne. Worauf wartet er denn noch? Stattdessen seufzt Dale und schiebt mein Shirt mit seiner Hand ein Stück hoch. Seine warmen Finger erkunden meinen Bauch und stocksteif warte ich ab. Gleich, gleich, gleich... So sehr ich auch darauf warte, es tut sich rein gar nichts. Liege ich etwa falsch? Will Dale mir gar nicht das Blut aussaugen? Irritiert blinzele ich. Spätestens als mir seine Hand in den Schritt rutscht geht mir endlich ein Lichtlein auf. „Was zum...?!“ Ich schubse Dale heftig von mir und rücke ab. Angewidert wische ich mir mit der Hand über den Hals an dem er mich bis gerade eben noch geküsst hat. „Was soll der Scheiß?!“ „Ich dachte, wir vertreiben uns einfach ein bisschen die Zeit.“ Dale scheint ebenfalls ein wenig verwirrt zu sein. „I-ich dachte du willst...“ Ich beiße mir auf die Unterlippe und spreche meinen Gedanken nicht aus. Der Idiot wollte mir die ganze Zeit nur an die Wäsche gehen! Das gibt’s doch nicht! „Halte dich bloß von mir fern!“, schnauze ich Dale an und stehe hastig von der Bank auf. Wo ist bloß Mel, wenn man sie mal braucht?! Ich habe befürchtet er zeigt endlich mal sein wahres Gesicht und dann passiert so etwas! Wütend blicke ich Dale an und verschränke die Arme vor der Brust. Ich presse meinen Körper außer Reichweite eng an die kühlende Zwischenwand des Gebäudes und mustere den Jungen vor mir skeptisch. „Tja, da wären wir also.“ Dale grinst und schließt die Haustür hinter mir. Aufmerksam sehe ich mich um. Von drinnen sieht es zu meiner Enttäuschung aus wie ein ganz normales Haus. Der Eingangsbereich ist weiß gestrichen und der Boden ist aus edlem Marmor. Eine Fußmatte mit Begrüßung liegt zu meinen Füßen und als Dale sich seiner Schuhe entledigt tue ich es ihm gleich. Wir laufen in die Küche, die aussieht wie eine aus diesen Möbelkatalogen. In der Mitte der Küche steht eine große Küchcheninsel. Die Einrichtung ist im Landhausstil gehalten und will nicht so recht zum teuer wirkenden Interieur passen. Dale öffnet den Kühlschrank und eine weitere Enttäuschung macht sich bemerkbar. Keine Blutkonserven weit und breit zu sehen. Ich unterdrücke einen Seufzer und nehme Dale dankend die Coladose ab. Ich öffne den Schlitz und trinke einen Schluck. Das kühle Nass tut gut. „Ist sonst niemand hier?“, frage ich. „Nö.“ Dale lächelt, aber es wirkt im ersten Moment irgendwie falsch. Nachdenklich sehe ich ihn an, als ich bemerke, dass er bereits zur Treppe läuft. Sie ist geschwungen und ein cremefarbener Teppich läuft über die Stufen wie fließendes Wasser. Es gibt kein Geländer, sondern lediglich eine Treppenläuferstange aus Messing, an der ich mich festhalte als wir hinauf laufen. Wir landen in einem Flur mit lauter verschlossenen Türen. Dale öffnet die letzte Tür auf die wir direkt drauf zu gehen. Er lässt mich zuerst eintreten und auch hier wirkt alles ganz normal. Sollte ich mich tatsächlich geirrt haben? Ist er doch ein ganz normaler Junge? Sein Zimmer ist ein typisches Jugendzimmer. Im Gegensatz zum Rest der Wohnung in Blautönen gehalten, statt heißen Frauen hängen an den Wänden Poster mit halbnackten Männern in sexy Posen. Na ja, wer's mag... Ich wende den Blick ab und setze mich auf das Bett. Viel zu normal für meinen Geschmack. Was erwarte ich auch? Vielleicht ist er ja einer dieser neuartigen Vampire, die sich an alles mögliche anpassen können? Das würde durchaus Sinn machen. Dale setzt sich neben mich und trinkt seine Cola. Mein Blick fällt wieder auf die Poster. „Du stehst also echt auf Männer.“ Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten. „Sieht so aus.“ „Deine Eltern haben kein Problem damit?“ „Nee, sie sehen das ziemlich locker.“ „Aha.“ Ich runzele die Stirn. Was ich so vom Haus bisher gesehen haben, wirkt es eher so auf mich als wären die Eltern eher konservativ und würden Wert auf ihre äußere Erscheinung legen. Irre ich mich da etwa? Sind sie doch nicht so prüde?Wenn man es recht bedenkt, leben Vampire sehr lange, es kann also gut sein, dass Dale sich ihnen gegenüber schon vor Jahren geoutet hat. Das würde auf jeden Fall Sinn machen. Dale stellt seine Dose ab und spielt mit seinen Fingern. Sein Blick wandert unstet durch das Zimmer und bleibt dann lauernd auf mir hängen. Ich schlucke und fühle mich unwohl in meiner Haut. So wie er mich ansieht, bekomme ich das Gefühl als wäre ich seine Beute. „Wo ist die Toilette?“, frage ich und stehe abrupt vom Bett auf. Dale zieht einen Schmollmund. „Unten die linke Tür neben der Küche.“ Ich stelle meine Cola auf dem Schreibtisch ab und eile aus dem Zimmer. Draußen atme ich tief durch. Langsam laufe ich durch den langen Flur und die Treppe hinunter. Oben wartet Dale und ansonsten ist niemand im Haus. Irgendwie fühle ich mich fehl am Platze. Ich suche das Badezimmer auf, schließe die Tür hinter mir und trete ans Waschbecken. Ich blicke in den Spiegel und stutze. „Wieso ist hier ein Spiegel? Vampire haben doch eh kein Spiegelbild? Was soll das bringen? Eine Attrappe für Außenstehende?“, murmele ich nachdenklich und berühre mit den Fingerkuppen das Glas. Ich betrachte mein Spiegelbild einen Moment lang, ehe ich den Kopf schüttele und mich abwende. Ich erleichtere mich, wasche mir anschließend die Hände und verlasse das Badezimmer. Ehrlich gesagt zieht es mich gar nicht zurück nach oben. In Dales Anwesenheit fühle ich mich nicht sehr wohl. Ich verziehe meinen Mund und nach einigem Zögern schleiche ich mich zur Haustür. Mein Blick fällt noch einmal zur Treppe. Gerade als ich mich der Haustür zuwenden will, bemerke ich, dass unter der Treppe die Tür einen Spalt göffnet ist. Ich bleibe stehen und starre dorthin. Der Spalt ist nicht sehr breit. Fasziniert bewege ich mich dorthin. Das kann ja nur eine Abstellkammer sein, aber die Neugier ist trotzdem übermächtig und so schleiche mich leichtfüßig näher heran. Ich greife nach der Tür und ziehe sie weiter auf. Dunkelheit macht sich vor meinen Augen breit. Ich runzele die Stirn. „Doch keine Abstellkammer?“, flüstere ich und sehe auf die Treppe, die nach unten führt. „Also ein Keller?“ Ich setze meine Fuß auf den ersten Treppenabsatz. Das Holz knarzt leise unter meinen Sohlen. Hier gibt es kein Licht, trotzdem setze ich einen Fuß vor den anderen. Es ist ziemlich kühl, je tiefer ich mich vorwage. Vorsichtig suche ich nach der nächsten Stufe, als ich auch schon zusammen zucke und angestrengt in die Stille horche. Da war ein Geräusch. Ich laufe die letzten Stufen hinab und pralle beinahe gegen eine Tür. Mit der Hand befühle ich das raue Holz und ziehe mir schmerzhaft einen Splitter zu. Ich gebe einen zischenden Laut von mir und pule an dem Finger herum, um den Splitter heraus zu ziehen. Ein leichter Lufthauch kommt mir entgegen und zieht erneut meine Aufmerksamkeit auf die Tür. Ich greife nach dem Griff, lasse Splitter, Splitter sein und öffne die morsche Tür. Sie knarzt ziemlich laut und erschrocken halte ich die Luft an. Ein Schauder rinnt mir über den Körper und ich merke wie sich eine Gänsehaut ausbreitet. Angespannt warte ich ab, doch nichts ist zu hören. Ein schummriges Licht strahlt mir durch den Türspalt entgegen. Ich blicke darauf und öffne die Tür noch ein ganzes Stück. Gerade als ich eintreten will, halte ich jedoch inne und starre wie gebannt in die Mitte des Raumes. Dort steht zu meiner Verwunderung eine antike weiße Badewanne mit goldenem Hahn und Füßen. Darin sitzt eine Person mit langen schwarzen Haaren. Ich kann sie nur von hinten erkennen. Dem schmalen Körper nach zu urteilen scheint es eine Frau zu sein. Ich atme aus dem Mund und mit einem Mal wird mir bewusst, dass die Frau die Tür gehört haben muss. Wieso reagiert sie dann nicht? Ist sie in der Wanne beim Baden eingeschlafen? Zaghaft trete ich näher heran in den Raum und gehe in einigem Abstand um die Wanne herum um einen Blick auf die Person zu erhaschen und passe auf, dass ich keine der vielen Kerzen am Boden um die Wanne herum umwerfe, bleibe jedoch abrupt stehen und starre in das Wasser. Blut. Das ganze Wasser ist voller Blut. Der Kopf der Frau ist in den Nacken gelegt und starrt hinauf an die Decke. Nach einem kurzen Blick merke ich jedoch das dort nichts ist. Ihre Haut ist blass und durch den hohen Wasserstand sehe ich lediglich die Ansätze ihrer Brüste. Ihre Arme liegen schlaff über dem Badewannnenrand. Mit schaudern bemerke ich das die Frau die Augen geöffnet hat, doch sie sind milchig weiß. Hastig sehe ich mich um, kann jedoch kein Messer finden. Hat sie sich etwa nicht die Pulsadern aufgeschnitten? Wieso sitzt Dale da oben seelenruhig und tut nichts? Hat er nicht gewusst, dass die Frau hier ist? „Whoa!“ Ich stolpere einige Schritte zurück als die Frau auf einmal ganz langsam ihren Kopf in meine Richtung dreht. Ihre Augen sehen mich an und tun es doch nicht. Sie lebt noch! „Dale, was willst du hier? Du kannst nach mir baden, warte noch eine Weile.“ Ihre Stimme klingt gefasst, leise und ruhig. Irgendwie melancholisch. Ich schnappe nach Luft und laufe eilig aus dem Raum, renne die Treppe hinauf und gerade als ich sehe wie Dale die Treppe herab gelaufen kommt, laufe ich auch schon panisch zur Haustür, reiße sie grob auf und stürme aus dem Haus. Dale blickt mich unbekümmert an. Er hat mich bis jetzt noch nicht auf meine panische Flucht angesprochen. Ob er weiß, was ich gesehen habe? Wieso lässt er es sich nur nicht anmerken? „Hör auf deine blöden Spielchen mit mir zu treiben. Das ist echt nicht witzig!“, meckere ich ungehalten. „Such dir einen anderen Idioten dafür!“ „Wieso? Ich habe doch einen ganz süßen Idioten vor mir stehen.“ „Ich bin kein Idiot!“, fahre ich ihn wütend an was Dale allerdings nur zum Lachen bringt. „Gerade eben hast du aber behauptet ich solle mir einen 'anderen' Idioten suchen.“ Dass er das Wort so sehr betont passt mir gar nicht in den Kram. „Du weißt wie ich das meine!“, meckere ich aufgebracht. „Reg' dich ab. Ich necke dich doch nur ein bisschen.“ Dale lächelt amüsiert. Es scheint ihm Spaß zu machen, dass ich auch noch darauf eingehe. Er bringt mich echt auf die Palme! Dale steht auf und kommt schleichend wie eine Katze auf mich zu. Ich dränge mich enger an die Wand in meinem Rücken und blicke ihn mit großen Augen an. Wird er mich jetzt beißen?! Wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt bleibt Dale stehen und sieht mir tief in die Augen. Ich erwidere seinen Blick mit Unbehagen. „Weißt du eigentlich wie sehr du mich faszinierst?“, fragt er leise. Irritiert sehe ich ihn an. In welcher Hinsicht? Als Drink für Zwischendurch oder als potenzielles Betthäschen? Beides will mir nicht so recht gefallen. Dale leckt sich über die Lippen und stemmt seine Hände an die Wand, so dass ich zwischen seinen Armen eingepfercht bin und nicht entkommen kann. „Ich weiß, dass du versuchst mich auf Abstand zu halten und gerade das gefällt mir. Diese Spielchen, die wir treiben machen die Sache ein ganzes Stück interessanter“, raunt er mir zu. Ich sehe ihn böse an und presse meine Lippen fest aufeinander. „Glaubst du ich merke nicht, dass du mich immer beobachtest und mir überall hin folgst?“, fragt Dale grinsend und beißt sich auf die Unterlippe. Ich weiche seinem Blick aus. Ganz toll, ich bin entlarvt worden. Ich habe einfach nicht gut genug auf meine Deckung geachtet. Dale senkt seinen Kopf und überbrückt die letzten Zentimeter. Ich reiße die Augen auf und spüre seine Lippen auf meinem Mund. Erstarrt bewege ich mich nicht. Wie jetzt? Wieso küsst er mich denn jetzt schon wieder? Irritiert stoße ich ihn von mir, so dass Dale einige Schritte zurück taumelt und zu Boden fällt. Ich sehe auf ihn herunter und verschränke wütend die Arme vor der Brust. „Willst du mich verarschen?!“, schnauze ich ihn wütend an. „Dass ist deine Sache, wenn du auf Jungs stehst, aber lass gefälligst deine schmierigen Finger von mir! Du bist echt das Letzte! Du nimmst dir jede Gelegenheit heraus um mich für blöd zu verkaufen! Merkst du gar nicht, dass ich dich absolut nicht leiden kann?“, fahre ich ihn unwirsch an. Dale sieht zu mir auf und zieht die Augenbrauen zusammen. Sein Blick wirkt eisern. Ich trete einen Schritt zur Seite und gerade als ich aus der Umkleide eilen will, hält er mich am Handgelenk zurück und zerrt mich mit voller Wucht zu Boden. Ich kann mein Gleichgewicht nicht mehr halten und pralle unsanft auf den Rücken. Für einen Moment bleibt mir die Luft weg. Ich ringe nach Atemluft und schon im nächsten Augenblick beugt Dale sich über mich. „Du weißt nicht mit wem du dich anlegst, Kleiner!“ Seine Stimme ist leise und er sieht mich ernst an. Verschreckt sehe ich zu ihm auf und kneife die Augen zusammen als Dale sich auf mich legt und festnagelt. Er presst seine Lippen auf meinen Mund und zwingt mir einen Kuss auf. Ich stemme meine Hände an seine Schultern um ihn von mir herunter zu kriegen, doch das ist gar nicht so einfach. Dale packt meine Handgelenke und drückt meine Arme seitlich meines Kopfes auf den kühlen Boden. Seine Zunge drängt sich forsch in meine Mundhöhle und mit aller Kraft die ich aufbringen kann, drehe ich meinen Körper zur Seite um Dale aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es gelingt mir. Er rollt von mir ab, also nutze ich die Gelegenheit mich aus seinem Griff zu befreien und rappele mich auf. Nicht ohne ihm einen letzten Fußtritt zu verpassen renne ich aus der Umkleide in die Sporthalle. Ich höre Schritte hinter mir und mir läuft ein eiskalter Schauder über den Rücken. „Hilfe! Ist hier denn niemand?!“, schreie ich panisch. Ich spüre wie Dale mir ins Shirt greift und mich mit Wucht zurück reißt. Ich pralle mit ihm zusammen und falle zu Boden. Es poltert laut als wir auf den Hallenboden aufschlagen. Dales Arme schlingen sich in einem Klammergriff um meinen Bauch, so dass es mir unmöglich ist zu entkommen. Trotzdem zappele ich wild mit allen Gliedmaßen und schlage um mich. „Lass mich los! Du Wichser! Arschloch!“, brülle ich so laut ich kann, bis er mein Gesicht zu sich dreht und meine Lippen mit seinen verschließt, so dass mir die Worte im Halse stecken bleiben. Unwillkürlich rinnen mir Tränen über die Wangen. Es gelingt mir nicht sie zu unterdrücken. Wut und Frust zerfressen mich innerlich. Ich lasse meine Arme schlaff liegen. Dales Griff lockert sich ein wenig, den Kuss unterbricht er jedoch nicht. Mit halbgeschlossenen Augen sehe ich ihn an. Wieso macht er das? Wieso küsst er jemanden, den er im Grunde genommen gar nicht kennt? Den er nicht liebt? Wie sehr will er mich noch demütigen? Ich spüre seine Zunge, diesen widerlichen Fremdkörper in meinem Mund und hasse mich dafür, dass mir der Kuss mehr gefällt als mir lieb ist. Schließlich lässt Dale von mir ab. Ich richte mich auf und so sitzen wir schweigend auf dem Hallenboden. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen und anschließend kräftig über den Mund. Mit leicht wackeligen Beinen stehe ich benommen auf und laufe quer durch die Halle zurück zur Umkleide. Ich nehme meine Sachen an mich und laufe in den Flur zum Ausgang. Vor der Fensterfront setze ich mich auf eine Bank und starre auf meine Schuhe. „Scheiße...“, fluche ich leise. Mein Blick fällt nach draußen. Die Pause ist wohl vorbei, denn niemand ist zu sehen. Der Pausenhof ist wie leer gefegt. Plötzlich packt mich die Wut. Ruckartig stehe ich auf, lasse all meine Sachen achtlos zu Boden fallen und stürme zurück. Dale betritt gerade die Umkleide, als ich energisch auf ihn zulaufe, ihn entschlossen am Kragen packe und grob an die Wand schubse. Dale sieht mich überrascht an. „Du kannst ruhig versuchen mir deine Küsse aufzuzwingen, aber ich werde nie etwas für so ein bescheuertes Arschloch wie dich empfinden! Du bist ein Egoist und denkst nur an deinen eigenen Vorteil! Du machst auf nett, aber in Wirklichkeit bist du ein verlogenes Schwein!“ Dale sieht mich starr an. „Es wundert mich nicht, dass jemand wie du ganz allein ist und ich wette, dass ohnehin niemand mit dir befreundet sein will, wenn er erst mal hinter deine Fassade blickt.“ Ich blicke ihm wütend in die Augen und lasse Dale los. Entgegen meiner Erwartungen ist Dale absolut nicht verletzt. Er beginnt sogar überlegen zu grinsen und mich überkommt das Gefühl als ob er arrogant auf mich herab blickt. „Willst du mich damit beeindrucken? Glaubst du mir ist es wichtig Freunde zu haben? Hältst du mich für jemanden, der herum heult, nur weil er keine Freunde hat die einem an den Hacken hängen und mich mit ihren lästigen Problemen nerven?“ Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. „Du legst echt keinen Wert auf Freunde?“, frage ich ihn verblüfft. Dale zuckt mit den Schultern. „Aber bist du dann nicht einsam?“ Dale runzelt die Stirn. „Man ist nicht unbedingt einsam, nur weil man keine Freunde hat. Man ist nur einsam, wenn man sich welche an seiner Seite wünscht und sie nicht hat. Das ist ein Unterschied.“ „Ja, aber...“, ich halte inne. „Alles alleine zu machen ist doch auch langweilig.“ „Willst du jetzt allen Ernstes mit mir über Freundschaft und Einsamkeit diskutieren?“, fragt Dale ungehalten. „Nein!“, murre ich. „Ich verstehe dich nur einfach nicht.“ „Und jetzt soll ich dir auf die Sprünge helfen? Soll ich dir meine Biografie über mein Leben zukommen lassen?“, fragt Dale höhnisch. Ich ziehe eine Schmollmund. „Du nimmst mich nicht ernst und das stört mich an dir!“, fahre ich ihn an. „Du willst, dass ich dich ernst nehme?“, fragt Dale und zieht die Augenbrauen hoch. „Wieso? Liegt dir etwas an mir?“ Ich halte den Mund und weiche seinem Blick aus. Eigentlich nicht, aber ich will mehr über ihn erfahren. Ich will wissen was es mit dieser unheimlichen Frau auf sich hat und warum Dale eben so ist wie er ist. Ob er wirklich ein Vampir ist. Er ist ein Forschungsobjekt für mich, aber mehr auch nicht. „Du bist störrisch, aber der Kuss hat dir gefallen.“ Dale beugt sich zu mir herunter. Er grinst hinterlistig. Skepsis breitet sich auf meinem Gesicht aus. „Ein Kuss ist ein Kuss. Dafür braucht man keine Gefühle, damit es einem gefällt.“ Unbeeindruckt sehe ich ihn an. „Hm...“, macht Dale und lehnt sich an Wand. „Du willst mir also weiß machen, dass du nichts empfunden hast?“ „Doch.“ Dale zieht eine Augenbraue hoch. „Wut. Wut und Hass.“ Ich lächele und stemme meine Hände in die Seiten. „Weil du mir meinen ersten Kuss geklaut hast und denkst du kannst dir alles erlauben.“ Dale lächelt, doch sein Gesicht wirkt alles andere als gelassen. „Hass ist gut. Man kann jemanden länger hassen als ihn zu lieben. Liebe verflüchtigt sich mit der Zeit, aber Hass bleibt. Es nagt an dir und zerfrisst dich innerlich. Du sagst, du hasst mich. Gut, damit kann ich leben. Das zeigt mir, dass du durchaus etwas für mich empfindest.“ Er beugt sich nahe zu mir herunter. „Ich werde deinen Hass auf mich schüren, auf dass das Feuer in dir für immer lodert und du mich niemals vergisst.“ Ich halte die Luft an und meine Augen weiten sich als er mir diese Worte ins Ohr flüstert. Ein Schauder rinnt mir über den Körper und meine Eingeweide ziehen sich zusammen. Ist das wieder nur ein dummer Scherz? Oder meint er das wahrhaftig ernst? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)