Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 027 – Festmahl -------------- Irgendwann – ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – hörte ich lautes Schnippen neben meinem Ohr. Ich konnte es nicht zuordnen und noch weniger deuten. "Genug. Lass los", sagte Sofia und legte ihre Hand an meinen Hals. Loslassen? Hielt ich sie fest? Ich musste meine Arme wiederfinden. Sie waren meinem Bewusstsein meilenweit entglitten und ich fand sie, einen um Sofias Brustkorb, den anderen um ihre Taille geklammert. Meine Finger fest in den Stoff ihrer Kleidung gekrallt. Vorsichtig öffnete ich meine Augen – ich war nicht sicher, was mich erwarten würde – und lockerte meinen Kiefer, als ich den vollen Umfang unserer Situation erfasste. Mein Geist war wieder klar, ich musste meinen Mund von ihr lösen, meine Arme entspannen, und zwar sofort, das gab sie mir unmissverständlich mit festem Druck auf meinen Kehlkopf zu verstehen, also beeilte ich mich, etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Sofia stand entspannt vor mir, in ihrem Blick lag Zufriedenheit. Stolz. Offenbar hatte ich mich richtig verhalten, trotz des unkontrollierten Überfalls. Ich schmeckte noch ihr Blut auf meiner Zunge, auf meinen Lippen und vielleicht hätte ich es eigenartig finden müssen, widerwärtig, doch es ekelte mich nicht im Geringsten. Sie zog ein Tuch aus einer kleinen Tasche ihres Kleides und trat auf mich zu, um mir den Mund abzuwischen – das halbe Gesicht, wenn man es genau nahm. "Wie fühlst du dich?", fragte sie dabei. "Gut." Ich ließ sie machen. "Besser als erwartet. Ich dachte, es wäre schwieriger." "Das freut mich." Sie wischte noch einige Male über ihren Hals, dann verstaute sie das Tuch wieder in ihrer Tasche – das Kleid war ohnehin kaum mehr zu retten. "Tatsächlich bin auch ich erstaunt über die Leichtigkeit, mit der du dich lösen konntest. Gewöhnlich funktioniert es nicht gewaltlos und selten endet es ohne Panik." Ich zuckte mit den Schultern. "Das ist doch gut, oder?", fügte ich hinzu. "Sehr." Sie lächelte zufrieden. "Allerdings hatte ich darauf gebaut, dich verletzen zu können." "Wie bitte?", entfuhr es mir. Sofia winkte beschwichtigend ab. "Nur um zu sehen, wie schnell du heilst." "Verstehe ... also ist das– ah! Fuck!" Ich fluchte, als Sofia ihre langen Fingernägel ohne Vorwarnung über die Haut meines Unterarms zog und tiefe blutige Spuren hinterließ. "... bei jedem ein bisschen anders", vollendete sie meine unausgesprochene Frage und musterte gespannt meinen Arm. "Deiner Ausdrucksweise hat die Wandlung offenbar nicht allzu gut getan." Der Schmerz auf meiner Haut ließ schnell nach und es begann zu kribbeln. "Meine ... oh ... ja, wird nicht wieder vorkommen." "Warum?" Sie betrachtete noch immer ununterbrochen meinen Arm. "Nur weil es nicht gut ist, heißt das nicht, dass du es nicht darfst. Manchmal ist schlecht ohnehin die bessere Wahl." "Mh-hm." Viel mehr wusste ich darauf nicht zu sagen. Ich war fasziniert vom Gefühl, das sich über meinen Unterarm ausgebreitet hatte, ich konnte spüren, wie meine Haut sich regenerierte, und wartete gebannt auf den Moment, in dem ich es sehen konnte. "Wie fühlt es sich an?", fragte Sofia. "Es kribbelt und ziept und juckt ein bisschen." "Es tut nicht mehr weh?" "Nein." "Gut, dann wird es in ein paar Minuten verheilt sein." "Also geht es nicht immer so schnell?" "Nein, es ist unterschiedlich, wie schnell man heilt." Ich antwortete nicht, also sprach sie unaufgefordert weiter und ergänzte ihre Aussage: "Zum einen, von den individuellen Eigenschaften deines Körpers – darauf hat man keinen Einfluss – zum anderen, von der Reinheit der Verletzung. Auch darauf hat man höchst selten Einfluss. Allerdings heilst du auch schneller, je gesättigter du bist." "Verstehe", gab ich knapp zurück und fokussierte weiter aufmerksam die Entwicklung auf meinem Arm. "Was meinst du mit Reinheit? Sauberkeit?" "Ja. Sind deine Wunden sauber, ersparst du dir einige Unannehmlichkeiten." "Klingt logisch ..." Ich brachte ihr zur Abwechslung meine ungeteilte Aufmerksamkeit entgegen. "Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass mich jemand verletzt? Abgesehen von dir." Sofia musterte meinen übertrieben vorwurfsvollen Blick. Ich ließ sie schmoren, bevor ich ihn, zu ihrer Erleichterung, in ein amüsiertes Grinsen verwandelte. "Unwahrscheinlich", gab sie zur Antwort. "Außer du legst dich mit den falschen Leuten an." "Von denen du mich sicher fernhalten wirst." "Natürlich." Sofia bedachte mich mit dem glückseligsten Lächeln, das ich je bei ihr gesehen hatte. Wohl ähnlich dem Blick einer Mutter, die ihr Neugeborenes betrachtete. Befremdlich, auf diese Weise angesehen zu werden. "Sehr schön, dann habe ich ja nichts zu befürchten", unterbrach ich die unangenehme Stille und stahl mich mit ein paar schnellen Schritten davon. Der Anblick der gefrorenen Landschaft war mir deutlich lieber. Trockene Halme glitzerten unter einer dicken Reifschicht. Es war eisig und bis eben war mir das nicht einmal aufgefallen. Sofia legte ihre Hand auf meine Schulter. "Lass uns nach Hause gehen", sagte sie mit samtweicher Stimme. "Bevor es zu kalt wird." "Ich friere nicht." "Nein, aber ich." Sie ging an mir vorbei und ich folgte widerstandslos. Es knackte und knirschte unter unseren Schuhsolen. Es raschelte im Gesträuch und ich hörte jemanden auf leisen Pfoten eilig davonschleichen. Sein Geruch lag unverkennbar in der Luft. Ein Fuchs. Ich war versucht, erneut stehen zu bleiben, um die Nacht mit all ihren Geräuschen und Gerüchen und deren erstaunlicher Klarheit auf mich wirken zu lassen, doch Sofia ging zügig voran und ich wollte sie nicht aus den Augen verlieren. Ich schätze die Strecke auf etwa fünf Meilen. Bei moderater Geschwindigkeit hatten wir gute eineinhalb Stunden benötigt, bis wir die Haustür erreichten. Drinnen war es wunderbar warm. Tatsächlich um einiges angenehmer als die klirrende Kälte vor der Tür, die ich erfolgreich ignoriert hatte. Mir stieg eine wilde Mischung der verschiedensten Gerüche in die Nase. Zweifellos am meisten rochen die Hunde, deren Schnarchen man noch immer aus dem Salon hören konnte. Verbranntes Holz und Rauch. Das Feuer war längst erloschen, dennoch lag eine leichte Schärfe in der Luft. Es roch nach Wachs, nach Harz und tausend anderen Dingen, die ich nicht definieren konnte. Ich hatte den Geruch des Hauses nicht in solchem Maße stark wahrgenommen, bevor wir es verlassen hatten. Wohl eine Frage der Gewöhnung, jedenfalls hoffte ich das. Sofia ging an mir vorbei zur Treppe. Ich tat zwei Schritte in ihre Richtung und verharrte. Ein eigenartig heißer Schauer lief mir vom Nacken über die Schultern zum Bauch und machte mein Herz nervös. Von jetzt auf gleich erfasste mich eine ungeheure Aufregung, die Sofia nicht entging. "Megan, sieh mich an." Ich kam ihrer Aufforderung nach. "Atme durch den Mund", fuhr sie fort. Auch das tat ich und wurde allmählich ruhiger. Ich konzentrierte mich auf Sofias Gesicht, dessen Züge mir deutliche Anspannung signalisierten. Sie hob die Brauen. "Geht es wieder?" Ich nickte und erkannte im Augenwinkel eine Gestalt aus dem Salon treten. "Ihr ward lange unterwegs." Ezra gesellte sich zu uns in den Flur. Ich atmete weiter durch den Mund. "Wir waren fast in Highmore", erklärte Sofia. "Sie hat sich gut geschlagen." Highmore. Ein winziges Dorf weiter östlich von Pierre. Fast fünfzig Meilen entfernt. An meinem Distanzempfinden musste ich arbeiten. "Gehör?", fragte Ezra. Sofia antwortete: "Angemessen." "Geruchssinn?" "Durchschnittlich." "Geschwindigkeit?" Es klang wie ein Verkaufsgespräch. Eine abartig unangenehme Situation. "Gut", sagte Sofia. "Sicht?" Mir war es genug. "Hört auf damit! Ich bin doch keine Ware." Sofia lachte leise. "Natürlich nicht." Dann beantwortete sie Ezras Frage: "Kann ich noch nicht beurteilen. Ich denke normal bis gut." Ezra ließ sich nicht im Geringsten durch meinen Protest beeinflussen. "Heilung?" Sofias Blick fiel auf meinen Arm. "Ausgezeichnet." Ihre Kratzspuren waren nur noch zartrosafarbene Linien. "Blutdurst?" Unverschämtheit. Wie lange wollte er noch so weitermachen. "Es reicht!" "Überraschend gut kontrollierbar. Außerdem weder Ekel noch Panik", berichtete Sofia. "Euer Ernst?", versuchte ich noch einmal, dieses Verhandlungsgeschwafel zu unterbinden. "Jagdinstinkt?" Ezra fragte unbeeindruckt weiter. Ich wollte ihm den Kopf abreißen – warum eigentlich nicht? Ich dachte zwei Sekunden darüber nach, wie ich es anstellen sollte, fokussierte seinen Kopf und stürzte auf ihn zu. Er sollte den Mund halten, dafür wollte ich sorgen. Meine Finger hatten ihn beinahe erreicht, dann flog mir seine Faust entgegen und bremste mich unsanft aus. Ein weiterer Nasenbruch. Ich fluchte laut und Ezra verschränkte meine Arme mit schnellen Handgriffen fest hinter meinem Rücken. Ich war besiegt. "Krieg dich ein", sagte er mit stoischer Gelassenheit, griff nach meiner Nase und rückte sie kurzerhand wieder zurecht. "Aua!", schimpfte ich lautstark. Er ließ mich los und ich brachte mich Richtung Treppe in Sicherheit. "Wartet, bis ich weg bin, dann könnt ihr weiterreden!" Ich stapfte entnervt nach oben und verschwand im Badezimmer. Sollten sie reden. Ich schloss die Tür hinter mir und ... hörte Sofia, wie sie sich weiter mit Ezra unterhielt. "Das wird sich zeigen." "Auf mich wirkt sie überaus beherrscht", gab Ezra zur Antwort. Eine interessante Auslegung. "Hattest du etwas anderes erwartet?" Keine Reaktion, offenbar war die Unterhaltung beendet. Ich atmete tief durch und trat ans Waschbecken. Aus dem Spiegel blickte mich ein Paar großer, neugieriger Augen an. Die Nase sah gut aus. Ich war erleichtert, dass Ezra sie gleich selbst zurück in Position gebracht hatte. Unter ihr hatten sich zwei dunkle Tropfen den Weg zu meiner Oberlippe gebahnt. Ich zögerte, dann fuhr ich mit der Zunge darüber. Es schmeckte nicht schlecht und ließ mich kurz erschauern. Seltsam war es dennoch. Ich öffnete den Wasserhahn und wusch mir gründlich das Gesicht. Das war es also. Mein neues Ich. Auf den ersten Blick war kein Unterschied auszumachen. Ich betrachtete mich ausgiebig von allen Seiten. Nichts Ungewöhnliches. Ich sah aus wie zuvor und fand es fast ein wenig schade. Den wohl einzig sichtbaren Beweis meiner Verwandlung verbarg ich hinter meinen Lippen. Zwei scharfe, spitz zulaufende Eckzähne, kaum um die Hälfte länger als zuvor. Nicht wirklich auffällig, wenn man nicht gezielt darauf achtete, und dennoch gefährlich genug, mir die eigene Zunge daran aufzureißen, wenn ich versuchte, sie damit zu untersuchen. Ich ließ es schnell bleiben. Mit meinen noch nassen Händen fuhr ich über meinen Kopf, um die abstehenden Haare zu bändigen, als es mich unerwartet heftig schüttelte. "Was zur-?" Ich riss sofort die Hände herunter und spürte noch das ungeheure Kitzeln in den Fingerspitzen. "Wow ..." Vorsichtig tastete ich mit dem Zeigefinger noch einmal über mein Haar. Ich spürte jedes Einzelne von ihnen. Manche waren dünner, manche dicker, sie lagen längs und über Kreuz. Faszinierend, wenn man darauf vorbereitet war. Ich fuhr hinab zu meiner Wange, strich mit vier Fingern darüber und schloss die Augen, bevor meine Fingerspitzen über meinen Hals wanderten. Noch nie hatte ich meine eigene Haut in diesem Maße deutlich wahrgenommen, nie eine Berührung klarer und purer gespürt. Mein Herz tanzte, als meine Finger den Weg in meinen Nacken fanden. Ein wohliges Seufzen stahl sich über meine Lippen. Der Luftzug kitzelte sanft und mir wurde warm. Ich klammerte mich mit meiner freien Hand ans kühle Waschbecken, als mir die Knie weich wurden. Ein tiefer Atemzug füllte meine Lungen, ich grub die Finger fest in meine Haut und sank auf den Boden. Das laute metallische Klirren der kleinen Schüssel, die unter dem Waschbecken stand, ließ mich hochschrecken. Ich hob sie schnell vom Boden, um den Krach zu beenden. Erst danach fiel mir auf, dass meine Aufregung nicht allein vom Schreck herrührte. Ich war es selbst gewesen. Obgleich die Berührung ohne Frage unschuldig gewesen war, so ließ mich ihre Wirkung beschmutzt zurück. Eine faszinierende Erkenntnis. Ich zog mich auf die Beine und warf einen verstohlenen Blick in den Spiegel. Mein eigener Anblick ließ mich schmunzeln. "So schmutzig siehst du gar nicht aus", stellte ich vergnügt fest und hatte längst Frieden damit geschlossen. Ich verließ das Badezimmer und stand plötzlich vor einer unerwartet schweren Entscheidung. Die Tür meines Zimmers stand einen Spalt offen, Sofia wartete dort auf mich, das konnte ich hören, doch viel verlockender erschien mir der Weg zur Treppe, zurück ins Erdgeschoss. Zurück in den Flur. Ich musste wissen, was es war, das meine Aufmerksamkeit dort unten erregt hatte.  Leise setze ich meine Füße voreinander. Nur ein Schritt, dann stand ich vor dem Treppenabgang. Meine Zehenspitzen berührten die erste Stufe, als jemand seine Hand fest um meinen Arm legte. "Wo willst du hin?", fragte Sofia. "Es ist spät." "Nach unten", antwortete ich wahrheitsgemäß und blickte sie abwartend an. "Wozu?" Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht, ich wollte nur sehen, was im Flur ist." Sofia lächelte sanft, dann zog sie mich zurück. "Danach kannst du morgen sehen." Und wir verschwanden in meinem Zimmer. "Was war das vorhin?", fragte ich, nachdem ich auf meinem Bett Platz genommen hatte. Sofia verschloss die Tür und zog den Schlüssel ab, bevor sie antwortete: "Ich vermute, du hast Magdalenas Jacke bemerkt." "Wie?" "Sie hängt im Flur." "Das weiß ich, aber wieso ... warte." Der Geruch eines Menschen. Vielleicht ... "Wollte ich sie ... jagen?" "Einen Moment länger und du hättest es versucht." Sie sagte es mit erstaunlicher Gelassenheit. Mir fehlten die Worte. Sofia gesellte sich zu mir aufs Bett und fuhr fort: "Sei unbesorgt. Ich bleibe bei dir und habe ein Auge auf dich." "Du bleibst die ganze Nacht ... den ganzen Tag hier?" "So ist es." Mir fiel auf, dass sie sich in ein Nachthemd gehüllt. Sie meinte das ernst und allzu sehr gefiel es mir nicht. Eigentlich hatte ich nichts dagegen, mein Bett zu teilen, doch bei Sofia war es komisch. Diese enorme Nähe fühlte sich falsch an, aber vielleicht gab es in der Welt der Vampire keine Distanz zwischen Schüler und Lehrer und ich war schlicht verbohrt. Möglich war es, doch Verbohrtheit hin oder her, meine Pläne hatten keine Gesellschaft vorgesehen und es stieß mir sauer auf, dass Sofia sich unerlaubt bei mir einquartiert hatte. "Es ist besser so", sagte sie. "Wenn du meinst." Wahrscheinlich hatte sie damit sogar recht. Mir blieb nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Ich schlüpfte eilig unter meine Bettdecke und beförderte mein Kopfkissen kurzerhand auf den Boden. Es knisterte zu laut, als dass ich darauf schlafen konnte. "Wirst du jetzt immer hier schlafen?", fragte ich, nachdem ich eine akzeptable Schlafposition gefunden hatte. "Natürlich nicht. Ich bleibe nur so lange, bis wir sicher sein können, dass du keine Dummheiten begehst." "Dummheiten? Du meinst, wie ... Magda überfallen?" "Zum Beispiel." Welch absurde Vorstellung. "Das würde ich nicht. Ich liebe sie wie eine Mutter, wieso sollte ich ihr etwas antun wollen?" "Du hast nicht unbedingt eine Wahl, wenn dein Instinkt dir etwas anderes sagt." "Soll das heißen, ich würde sie verletzen, obwohl ich es nicht will?" "Nein", gab Sofia zur Antwort, "du würdest es wollen. Aber mit der Zeit wirst du die Kontrolle darüber bekommen, was du willst und was du tust. Ich denke, es wird ein Leichtes für dich sein, wenn wir es erst ein paar Mal geübt haben. Deine Selbstbeherrschung ist schon jetzt beachtlich." Ich atmete tief ein und ließ die Luft seufzend ausströmen. "Also solle ich mich von ihr fernhalten." "Ja." "Das gefällt mir nicht." "Hab etwas Geduld. In ein paar Jahren besteht keine Gefahr mehr." Es dauerte einen Moment, bis ich sicher war, dass ich sie richtig verstanden hatte. "Bitte was?" Eine entsetzliche Vorstellung. "In ein paar Jahren?" "Es geht nicht von heute auf morgen." "Und wie viele Jahre sollen das sein?" Mein Tonfall war alles andere als beherrscht. Sofia dagegen blieb unverändert ruhig. "Schwer zu sagen. Du hast Talent, trotzdem wird es wohl zwei, drei Jahre dauern, bis du aus eigener Kraft widerstehen kannst. Um die zwanzig, bis du es ignorieren kannst und vermutlich noch etwas länger, bis es keine Unfälle mehr geben wird."  "Wow ... in zwanzig Jahren. Da ist sie schon über sechzig." Sofia antwortete nicht. Die Aussicht auf ein friedliches Zusammenleben mit Magdalena in zwanzig Jahren drückte meine Laune weit in den Keller. "Aber ich darf sie sehen, oder?" "Unter Aufsicht." Eine ernüchternde Vorstellung. Unter Aufsicht. Wie sollte man sich unter Aufsicht entspannt unterhalten? Ich konnte Magdalena kaum mein Herz ausschütten, wenn Sofia daneben stand. Oder noch schlimmer: Ezra. Das war keine akzeptable Lösung. Ich brauchte Magdalena und zwanzig Jahre waren viel zu lang. Wer konnte schon sagen, ob sie bis dahin noch lebte? Unwahrscheinlich war es nicht, trotzdem konnte man nie wissen, was die Zukunft brachte. Meine Beziehung zu Magdalena war wichtig und ich war nicht bereit, sie abzuschreiben, weil es vielleicht gefährlich sein konnte. Ich bezweifelte stark, dass Sofias Vermutung überhaupt zutraf. Je länger ich darüber sinnierte, desto klarer wurde mir, dass ich es nicht hinnehmen konnte. Unter keinen Umständen. An den Rändern der dicken Vorhänge wurde es bereits hell, als ich einen Entschluss fasste. Sofia schlief seelenruhig. Ich würde ihr beweisen, dass ihre Sorge unbegründet war, und schob langsam die Bettdecke zurück. Der Stoff war laut. Ich behielt Sofias Gesicht die ganze Zeit über im Blick. Ihre Atmung blieb ruhig und gleichmäßig, also setzte ich mich auf und glitt vorsichtig aus dem Bett. Es knarzte, Sofias Lider zuckten, sie blinzelte mich verschlafen an und ich brach ihr mit einem kurzen Ruck das Genick. Ein Reflex. Ich löste die Hände von ihrem Kopf und atmete erleichtert aus. Sie würde mir nicht mehr in die Quere kommen und ich konnte mühelos den Schlüssel aus ihrer Brusttasche stehlen. Mein Weg führte mich ohne Umwege hinunter in die Küche. Ich genoss den warmen Schauer, der mich überrannte, als Magdalenas Duft mich empfing. Er war um so vieles komplexer als die leicht süßliche Note, dich ich in Sofias Gegenwart wahrnehmen konnte. Salzig, süß, scharf und herb. Magdalena war auf den Beinen. Sie stand am Spülbecken. "Guten Morgen", begrüßte ich sie. Sie zuckte unwillkürlich zusammen und drehte sich hastig zu mir um. "Oh, Megan. Ich habe dich nicht kommen gehört." Ihr Herz schlug rasend schnell. "Wo ist Sofia?" Ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme und nahm am Küchentisch Platz. "Oben." Magdalena beobachtete mich prüfend. Sie war angespannt. "Solltest du nicht schlafen?", fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht müde." Sie stand mir schweigend gegenüber. Nervös und ratlos. Sie gab sich größte Mühe, eine entspannte Haltung zu bewahren und dabei roch sie überaus verlockend. Ihr Blick flog kurz zur Tür. "Willst du nicht lieber wieder gehen?", fragte sie. Ich stand langsam auf – ihr Puls schoss in die Höhe. "Du hast Angst." Auch mein Puls war weit über ein angemessenes Niveau gestiegen. Ich wollte kosten, nur ein bisschen. Nur kurz. Mein Blick blieb an ihrer bebenden Halsschlagader haften. Alles andere rückte in den Hintergrund. Es war nicht von Belang, was sie sagte. Sie zog mich an, wie das Licht eine Motte. Kopflos. Das Verlangen brach aus mir heraus und ich stürzte mich auf sie, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken. Ein tiefer Stich durchbohrte meine Brust, als ich meine Hände an ihre Schultern gelegt hatte. Mein Atem stockte. Magdalena sah mich entsetzt an. "Es tut mir leid", sagte sie, löste die Hand vom Heft ihres Küchenmessers und schob mich zur Seite. Mir wurde schwindelig. Ich stützte mich rücklings an die Arbeitsplatte und betrachtete den hölzernen Griff, der aus meiner Brust ragte. Jeder weitere Atemzug verursachte höllische Schmerzen. Ein leichter Anflug von Panik erfasste mich. Ich würde ersticken, wenn es dort blieb. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, packte ich den Griff und zog die acht Zoll Metall aus meinen Körper. Mir wurde totschlecht. Die Küche kippte nach rechts, dann wurde sie schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)