Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 020 – Spiel mit dem Feuer [zensiert] ------------------------------------ Der Tag war lang vergangen. Durch das schmale Fenster fiel Mondlicht in Sofias Arbeitszimmer und auf dem großen Holztisch tanzte der Feuerschein ihrer Kerze. Sie hätte sich längst zu Bett begeben, hätte Katerina sie nicht gebeten, heute länger aufzubleiben. Sie erwartete hohen Besuch. Herrn Konstantin Svačić, ein wohlhabender Geschäftsmann, der ein neues Wams mit passendem Beinkleid in Auftrag geben wollte, wie Sofia ihn schon einige Male für ihn geschneidert hatte. Edle Brokatstoffe lagen vor ihr und schimmerten im Kerzenlicht. Wunderschöne, teure Materialien, die Katerina gerne für einen ihrer besten Kunden anforderte. "Katerina! Ich befürchte, es gibt ein Problem." Keine fünf Sekunden später stand sie in der Tür. In schlichte Eleganz gehüllt, ihre nussbraunen Haare locker nach oben gesteckt, trat sie an Sofias Tisch und betrachtete den Stoff. Noch bevor Sofia erklären konnte, was das Problem war, hatte sie es schwer seufzend erkannt: "Webfehler." "Ich kann die Schnittmuster darum herum platzieren, aber wir sollten beim Verkäufer einen Preisnachlass verhandeln. Das entspricht nicht der versprochenen Qualität." Katerina nickte. "Ich werde mich darum kümmern." Sie warf einen Blick durch das Fenster und fuhr fort: "Herr Svačić lässt sich heute reichlich Zeit. Ich hoffe, er wird bald erscheinen, sonst muss ich ihn leider auf morgen vertrösten." "Wieso das?" Ein mildes Lächeln breitete sich über Katerinas Lippen aus. "Ich kann nicht verantworten, dass meine beste Schneiderin die ganze Nacht wach bleiben muss. Wenn sich in einer halben Stunde nichts getan hat, kannst du zu Bett gehen." "Danke." Sie verließ das Zimmer und Sofia legte den burgunderfarbenen Stoff neu aus, um den Webfehler zu verbergen. Auch wenn er später nicht zu sehen sein würde, musste der Kunde nicht zwingend davon wissen. Als die Hälfte der Frist verstrichen war, erhob sie sich und ging zum Fenster. Draußen lag das tief verschneite Moskau. Friedlich schlummernd, nachdem das geschäftige Treiben des Tages nach Einbruch der Nacht abgeebbt war. Sofia wollte nicht schlafen gehen. Sie würde bis zum Morgen warten, wenn es sein musste und jeder Moment, in dem es ruhig war, machte sie nervöser. Herr Svačić musste kommen. Er konnte es ihr nicht antun, das Treffen platzen zu lassen. Sie hatte sich fein herausgeputzt zu diesem Anlass und eine Verschiebung würde ihr die Stimmung bitter verderben. Sie dribbelte mit den Fingern auf dem Fensterbrett und zählte die Sekunden. Von der Kutsche war weit und breit keine Spur. Wo bleibt er bloß? Zwischen dem Heulen des Windes und dem Klappern der Fensterläden war kaum etwas zu hören. Irgendwo in der Ferne hallte der Klang von Pferdehufen durch die Straßen und Sofia hoffte, dass es keine Einbildung war. Es kam näher und nur wenig später zogen die Pferde ihre Fracht über die Kreuzung und trabten auf das Waisenhaus zu. Das mussten sie sein. Über Sofias Lippen breitete sich ein zufriedenes Grinsen aus, als die Kutsche unten hielt und sie erkannte, wer im Kerzenschein das Gefährt verließ. Konstantin Svačić in Begleitung seines Beraters. Ein faszinierender Mann. Sofia trat einen Schritt vom Fenster zurück und betrachtete ihre Reflexion in der Scheibe. Jede Haarsträhne war dort, wo sie sein sollte, das Kleid lag ordentlich. Sie kniff sich kurz in die Wangen, um eine gesunde Röte in ihr Gesicht zu zaubern, und begab sich zurück an ihren Arbeitstisch, um auf die beiden Männer zu warten. Obwohl es keine fünf Minuten waren, bis draußen Stimmen durch den Flur drangen, erschien es ihr wie eine Ewigkeit. Nur um sicherzugehen, richtete sie noch einmal ihren Kragen. Die Stimmen wurden lauter und Sofia konnte hören, dass Katerina sich mit Konstantin über die Schwierigkeiten mit den immer zahlreicher werdenden Bettlern unterhielt. Sie hatten die Kutsche aufgehalten, um an Nahrung zu gelangen, deswegen kam er so spät. Die Ernten waren in diesem Jahr wieder schlecht gewesen, das spürte man in der ganzen Stadt und umso wichtiger waren Geschäfte mit den Kunden von außerhalb. Konstantin war Kroate, lebte jedoch seit geraumer Zeit in Rumänien und pflegte regelmäßigen Kontakt zu Katerina. Die beiden traten in die Schneiderstube und Konstantin wünschte einen guten Abend. "Schönen guten Abend, der Herr." Sofia machte einen Knicks, wie es sich gehörte, richtete ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zur Tür, bevor sie sich wieder den Brokatstoffen zuwandte, aus denen Konstantin einen auswählen sollte. "Dieser soll es sein?", fragte Katerina, als Konstantin seine Hand auf den karmesinroten Stoff gelegt hatte, der von goldenem Faden durchzogen war. "Ich bitte darum", erwiderte er und wandte seine Blicke an Sofia. "Ihr könnt dieselben Schnittmuster wie beim letzten Mal verwenden, Fräulein Volkova. Dazu die auffälligsten Spitzenmanschetten, die Ihr habt. Die Hose zwei Fingerbreit enger an den Beinen, so wie es die Spanier tragen. Die Feinabstimmung überlasse ich dann ganz Euch." Sie nickte. "Sehr gerne." Konstantin lächelte trocken, dann strich er über einen zweiten, anthrazitfarbenen Stoff mit königsblauen Ornamenten. "Dieser ist ebenfalls überaus ansprechend." Katerina sah ihn überrascht an. "Ich hatte nicht erwartet, dass du noch mehr in Auftrag geben willst." "Möchte ich nicht. Zu dezent, trotzdem ist er schön." "So?" Katerina schmunzelte. "Der teuerste Stoff ist dem Herrn zu dezent. Das hat außer dir bis jetzt noch niemand behauptet." "Ich bin und bleibe Liebhaber der Extravaganz. Daran wird sich nie etwas ändern." Er schmunzelte vergnügt. "Nichts anderes hatte ich erwartet", gestand Katerina und bot ihrem Gast an, sich das eine oder andere Glas Wein mit ihr zu teilen. Konstantin nahm die Einladung gerne an und verschwand mit Katerina aus der Stube. Sofia wartete, bis die beiden in ein anderes Zimmer verschwunden waren, und warf einen Blick in den Flur. Er war leer und ihr entfuhr ein leises Seufzen. Für einen kurzen Augenblick hing sie ihrer Enttäuschung nach, straffte ihre Schultern und ging zurück an den Tisch. Ein wenig mehr Geduld. Wahrscheinlich verstaute er noch das Gepäck in Katerinas Gästezimmer. Der ausgewählte Stoff nahm einigen Platz auf Sofias Arbeitstisch ein. Sie breitete die alten Schnittmuster zielsicher darauf aus und begann sie festzustecken. Wenn sie schon wartete, wollte sie die Zeit zumindest sinnvoll verbringen. Als sie die Kreide zum wiederholten Male ansetzte, klopfte es an ihrer Tür. Sofia unterbrach die Arbeit nicht, als sie den Besucher hereinbat. Sie zog den Strich zu Ende und hob den Blick. Ein dunkelhaariger Mann mit feiner Kleidung und einem unwiderstehlichen Lächeln stand im Türrahmen. "Herr Şerban, guten Abend. Ich hatte nicht erwartet, Euch heute noch zu sehen." "Verzeiht den späten Besuch, wir wurden aufgehalten." "Die Bettler, ich habe es gehört." Er nickte und kam herüber, um sich den Stoff anzusehen, den Konstantin ausgewählt hatte. Seine dunklen Augen musterten skeptisch die auffälligen Muster, die sich durch den roten Stoff zogen. "Er hat einen außergewöhnlichen Geschmack", stellte er trocken fest und ging ein paar Schritte, um die anderen Textilien in Augenschein zu nehmen, die Sofia zur Seite geräumt hatte. Die junge Frau beobachtete ihn dabei. Alexander Şerban war ein Mann, an dem sich ihre Blicke gerne festsogen. Ungeniert verfolgte sie seine Bewegungen. Wie er seine Finger sanft über die Stoffbahnen gleiten ließ und schließlich den anthrazitfarbenen Stoff auswählte, der schon Konstantin aufgefallen war. Er hielt ihn an seine Brust. "Den burgunderfarbenen Stoff solltet Ihr zurückgeben, aber denkt Ihr, dieser würde mir stehen?" Sofia hob die Brauen und legte die Kreide beiseite. "Selbstverständlich. Das ist ein ausgesprochen edler Stoff. Er würde wunderbar zu Euch passen." Seine Augen waren scharf wie Rasiermesser, anders hätte er den Webfehler im Halbdunkel nicht bemerken können. "Gut, dann möchte ich Euch bitten, meine Maße zu nehmen." "Gerne." Sie griff ihr Maßband aus dem Fach unter dem Tisch. "Würde es Euch etwas ausmachen, an den Tisch zu kommen? Hier ist das Licht besser." Er legte seinen Mantel ab, bevor er herüberkam und begann die Knöpfe seiner Weste zu öffnen. "Das genügt. Ihr müsst nicht ..." Sofia unterbrach sich selbst, als Alexander die Weste abgelegt und die Finger an die Knöpfe seines Hemdes geführt hatte. Töricht, ihn jetzt aufzuhalten. "Was meintet Ihr?", frage er nach. "Ich dachte, es ist ein wenig kalt." Nur ein müdes Lächeln, mehr hatte er für ihre Erklärung nicht übrig. Er ließ sein Hemd auf den Arbeitstisch fallen und Sofia öffnete das kleine Glas voll Tinte, um seine Maße zu notieren. Viele Kunden behielten ihre Hemden an. Sie waren verspannt und oft glaubte man, es wäre ihnen unangenehm, wenn Sofia ihre Maße nahm. Dennoch hatte sie in den vergangenen Jahren einiges gesehen. Dicke Bäuche, dünne Gerippe, lange Narben, dunkle Flecken. Unschöne Details, die die Menschen zu verbergen pflegten. Es waren auch durchaus ansehnliche Kunden in ihr Arbeitszimmer gekommen, schöne, gepflegte Männer und bildhübsche Frauen. Keiner von ihnen konnte Alexander das Wasser reichen. Seine Gesichtszüge, die so entspannt und ruhig waren, sie waren scharf geschnitten und seine Augen stießen einem Dolche entgegen. Gut verborgen unter der kontrollierten Oberfläche lag etwas, das pures Leben, Abenteuer und Leidenschaft versprach. Sofia vermaß seine Armlänge. Wie gerne hätte sie sich in dieses Abenteuer hineingestürzt. Er war so anders, als die Männer, die sie kannte. Es hatte den einen oder anderen Interessenten gegeben. Jüngere Männer, unerfahren, flegelhaft und zuweilen widerwärtig. Sofia hatte sich nie für diese Männer begeistern können. Es war um sie geschehen, als sie Alexander vor fünf Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Er war gebildet, hatte Klasse und konnte ihr mit seinem Lächeln den Atem rauben. So einen Mann wollte sie, keinen anderen. Gewissenhaft notierte sie seinen Hüftumfang und wandte sich dem Bauch zu. Unaufgefordert folgten ihre Augen dem schmalen Streifen dunklen Haars, der von seinem Bauchnabel abwärts führte und unter seinem Hosenbund verschwand. Nur eine Sekunde, oder zwei ... "Stimmt etwas nicht?", fragte er. Sofia kam sofort wieder zu sich. Hatte sie so lange auf seinen Hosenbund gestarrt, dass es ihm aufgefallen war? Möglich. "Nein, alles bestens." Sie zog sich einen Schemel heran und stieg eine Stufe hinauf, um Alexanders Hals zu vermessen. Ein warmes Lächeln hatte sich über sein Gesicht ausgebreitet und sie war kurz davor, darin einzusinken, als ihr Verstand sich meldete. Er ist nur ein Mann! ... Nur ein faszinierender, halb entkleideter Mann ... Sie war ihm rettungslos verfallen. Nur noch ein letztes Maß. Sofia legte das Band um seinen Hals und las die Ziffern ab. Beeindruckend, wie seine Haut sich unter dem Band sanft hob und gleich wieder senkte. Sein Herzschlag. Ob er ebenso aufgeregt war? Eher nicht. Er war entspannt, als sie ihn ansah, beinahe zu ruhig. Kein Lächeln mehr auf seinen Lippen. Ahnte er etwas? "Geht es Euch gut?", fragte er und fixierte sie durchdringend. "Ihr wirkt nervös." "Höhenangst!" Es war die einzige Ausrede, die ihr in den Sinn kam. "Ihr seid zu groß." "Ihr seid zu klein", antwortete er, ohne die Miene zu verziehen, "und es ist nur ein Schemel." "Das genügt." "Bedauerlich." "Findet Ihr?" "Nicht die Höhenangst. Ich weiß, dass Ihr nicht die Wahrheit sagt." Unmöglich, dem heißen Glühen ihrer Wangen noch Einhalt zu gebieten. "Das ist nicht wahr!", beteuerte Sofia und hielt seinen prüfenden Blicken eisern stand. "Zweifelt Ihr an meinem Urteilsvermögen?" Seine Brauen hoben sich, während er Sofias Antwort erwartete. "Wenn Ihr mir keine andere Wahl lasst." Sicher war es nicht die klügste Entscheidung, sich mit Herrn Şerban anzulegen. Er war ein Kunde. Man legte sich nicht mit Kunden an. Besonders nicht mit wohlhabenden Kunden. Er schwieg. Auch Sofia sagte kein Wort. War sie zu weit gegangen? Nein, so empfindlich war er nicht, das konnte sie sich nicht vorstellen. Er dachte nach. Nur worüber? Sollte sie es zurücknehmen? Sollte sie ihre Schuld eingestehen? Auf keinen Fall. Sofia stand noch immer auf dem Schemel und wartete auf seine Reaktion. Es war Folter. Seine Art der Bestrafung vermutete sie. Bitteres Schweigen. Trotz allem würde sie nicht nachgeben und dann, als sie es kaum noch für möglich gehalten hatte, schlug er die Augen nieder, griff sein Hemd und wandte sich ab. "Wie auch immer ...", murmelte er leise vor sich hin, während er die Knöpfe schloss. Seine Reaktion traf sie härter, als sie es erwartet hatte. Hätte er nicht wütend werden können? Ein wenig ungehalten? Es passte ihr nicht. Sofia sprang auf den Boden und folgte ihm zum Fenster. "Darf nun ich etwas fragen?", wollte sie wissen. "Was?" "Ob es Euch gut geht." Er seufzte leise, verschränkte die Arme und sah sie nachdenklich an. "Nein, Fräulein Volkova, nicht mehr, seit ich Euer Zimmer betrat." Ein überraschendes Geständnis. Es zu deuten fiel ihr schwer. "Ich weiß nicht, was Ihr meint." "Eure Blicke. Ich sehe, wie Ihr mich anseht und ich weiß, was es bedeutet." Sie war enttarnt. Jede Sehne entflammt. "Was bedeutet es?" Sicher wusste er es, trotzdem wollte sie es hören. "Wie eine läufige Hündin verzehrt Ihr Euch nach mir. Ihr seht mich an mit euren großen Augen und ich weiß, dass ich nichts weiter tun müsste, als zuzugreifen." Es war nicht charmant, doch seine Worte entfachten Feuerglut in ihren Adern. "Warum tut Ihr es dann nicht?" Wieder schwieg er. Doch diesmal beobachtete er sie gebannt. Sein Ausdruck gefiel ihr. Er war überrascht, neugierig und je weiter ihre Finger an der Knopfleiste ihrer Jacke nach untern wanderten, desto deutlicher konnte sie das gierige Funkeln erkennen, das sich in seine Augen schlich. Der letzte Knopf, ihre Jacke rutschte und Alexander löste sich aus seiner Reglosigkeit. Er schritt eilig auf sie zu, griff den dicken Stoff und zog ihn wieder über ihre Schultern. "Ihr führt mich in Versuchung ..." Noch sträubte er sich. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. "Seid nicht so edelmütig, oder gefalle ich Euch nicht?" "... mehr als es gut ist." Sie lächelte zufrieden und zog die Haarnadel aus dem Gebinde an ihrem Hinterkopf. Das rote Haar fiel in langen Wellen ihren Rücken hinab. "Dann möchte ich Euch gehören." Ein stiller Augenblick, kein Wimpernschlag, dann schlug ihr Herz so stark, dass ihr Körper bebte. Fest drückte er seine Lippen auf ihre. Seine Hände lagen nah an ihrem Hals, die Finger in ihren Nacken gedrückt. Welch berauschendes Gefühl. Es war neu und aufregend, als würden Funken aus seinen Fingerspitzen sprühen und ihr durch alle Glieder jagen. Sie zitterte. Die Aufregung ließ sie nicht stillstehen, als Alexanders Hände die Schleifen und Bänder ihres Kleides öffneten. Es rutschte. Der weiche Stoff der Ärmel glitt über ihre Schultern. Alexander zog das Kleid mitsamt dem Unterrock hinunter. Es waren nur wenige Handgriffe und Sofia stand im engen Mieder vor ihm. Sie fröstelte. Immer wieder jagten Schauer über ihre Haut, egal wie eng Alexander sie an sich zog, oder vielleicht gerade deswegen. Am liebsten hätte sie es abgestellt, doch es ging nicht. Sie versuchte, sich zu entspannen. Vergeblich. Zielsicher löste er die Schnüre ihres Mieders, sie bekam wieder Luft, und endlich ging ein Ruck durch Sofias Körper. Sie wollte nicht tatenlos dastehen, wollte nicht das verängstigte Schäfchen sein, das dem Wolf keinen Widerstand bot. Kein ernst zu nehmender Widerstand, nur eine Spielerei. Sie drückte ihn von sich und ging zwei Schritte zurück, er folgte ihr und sie konnte den hungrigen Wolf sehen, der hinter seiner Fassade hauste. Er sollte sie ruhig holen, sie wollte es nicht anders. Und noch ehe er bei ihr war, hatte sie die letzte Schlaufe ihres Mieders geöffnet und ließ es zu Boden fallen. In ihren Augen lag keine Furcht, keine Unsicherheit. Sie wusste nicht genau, was sie erwartete, sie hatte keine Ahnung, was zu tun war, doch Alexander schien zu wissen was er tat und das war ein erregender Gedanke. Er hob sie vom Boden, schob den teuren Brokatstoff vom Tisch und setzte Sofia darauf ab. Sie war ihm so nah, dass ihr Herz wilde Kapriolen schlug. Es sprang vom Hals bis in die Hose und dort blieb es, als Alexander sich über sie beugte und ihre Brust umfasste. Es kribbelte in ihrem Unterleib. Ein sanftes Kitzeln, das sich in sie eingenistet hatte und von Alexander unaufhörlich gefüttert wurde. Er küsste ihren Hals, vergrub seine Hand in ihren Haaren, strich mit den Fingerspitzen über ihre Brüste und zu ihrem Bauch hinab, während sie sich mühte, ihm das Hemd wieder auszuziehen. Ein kleiner Kampf um sein Hemd, dann fiel es hinab und Sofia legte die Hände an seinen Hosenbund. Sie nestelte daran herum, bis er sich erbarmte und ihr half. Sie riskierte einen Blick, blinzelte und er war nackt. So nackt, wie sie noch nie einen Mann gesehen hatte. Flackernde Schatten tanzten über seine Lendenmuskulatur. Sofia lenkte ihren Blick aufwärts über seine Brust nach oben, bis sie sein Gesicht sehen konnte. Der kurze Anflug von Sorge verflog, als er einen sanften Kuss auf ihre Lippen drückte und beinahe bedächtig die Unterwäsche von ihren Beinen streifte. Sie wusste, dass sie keine Angst haben musste, nicht bei ihm. Er war vorsichtig und sanft. Seine Hände glitten über ihre Schenkel, schoben sie auseinander und griffen nach ihren Hüften. Sie schloss die Augen und ließ sich von ihm in eine Welt entführen. Eine Welt zwischen Himmel und Erde, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Obwohl Eisblumen von innen an den Fensterscheiben blühten, fror sie nicht mehr. Ihr war warm, heiß. Sie glühte. Sie schwebte und gab sich bereitwillig dem Mann hin, den sie so lange begehrt hatte.   Fest hatten sich seine Arme um ihren Brustkorb geschlossen. Ein wohliges Ersticken, für einen kurzen Moment, dann gab sie frei. Er nahm seinen Kopf zurück und seine Augen waren geschlossen. Sie waren sich noch immer nah. Ein zartes Band hielt sie zusammen und Sofia strich vorsichtig sein Haar zur Seite, um ihn besser sehen zu können. Seine Lippen glänzten sinnlich im Kerzenlicht, sie küsste ihn sanft. Er war so atemberaubend schön. Dann lächelte er sein unwiderstehliches Lächeln und sie verspürte das tiefe Verlangen, sich in seine Arme sinken zu lassen und für immer dort gefangen zu bleiben. —   Dumpfes Schlagen und lautes Rasseln ließ sie zu sich kommen. Es war noch dunkel. Sofia konnte nichts sehen. Ein sanftes Flackern, sie öffnete die Lider. Sie war in ihrem Bett und ihr Kopf dröhnte, wie nach einer feuchtfröhlichen Nacht, nur hatte sie nichts getrunken. Alexander hatte ihr die Sinne vernebelt ... hatte er sie hierher gebracht? Sie rieb sich die Schläfen und das Geräusch ihrer Finger war unendlich laut. "Wie geht es dir?", fragte eine vertraute Stimme aus der Dunkelheit. Es war Katerina. Sie saß neben ihrem Bett und hatte das Kinn auf ihre Hände gestützt. Nur ein schwacher Lichtschein fiel von draußen unter dem Türschlitz hindurch. Gerade genug, dass Sofia den sorgenvollen Blick in Katerinas Gesicht erahnen konnte. Sofias Mund war trocken. Ihre Zunge klebte am Gaumen, sie hatte schrecklichen Durst. "Sofia?" Katerinas Stimme klang beunruhigt. "Ja ...", krächzte sie leise, räusperte sich und fuhr fort: "Ich denke, ich bin krank." Katerina seufzte schwer. "Du bist nicht krank." "Ich fühle mich nicht gut." Als Sofia sich setzte, raschelten die Laken lautstark, als riebe man Steine übereinander. Noch immer dröhnte dumpfes Schlagen in ihren Ohren. Es war schneller geworden, nachdem sie aufrecht saß, und erschütterte sie gänzlich, als ein eigenartiger Geruch in ihre Nase stieg. Wasser lief ihr im Mund zusammen. Es war nicht süß, nicht herzhaft, überhaupt roch es nicht nach etwas Essbarem. Es roch herb, metallisch und köstlich. Katerina reichte ihr etwas. Sofia konnte es nicht erkennen. Es war der Ursprung dieses Geruchs und sie musste nichts weiter tun, als sich darüber herzumachen. Gierig schlug sie ihre Zähne in das zarte Stück Fleisch und warm ergoss sich sein Saft in ihren Mund. Das war es, was sie brauchte. Ihre Medizin. Ein Heilmittel für ihren ausgezehrten Körper, das ihr langsam die Steine von der Brust nahm. Es rann ihre Kehle hinunter und sandte neue Kraft durch ihre Adern. Sie fühlte sich leichter, als würden ihr Ketten abgenommen, die sie am Boden hielten. "Mach langsam", sagte Katerina und ihre Stimme klang seidig weich. Langsam ... Sofia musste sich zwingen, eine kurze Pause einzulegen. Es war kaum möglich. Sie hatte ihre Finger fest in ihre Mahlzeit gegraben, konnte die Lippen nicht lösen und erstarrte plötzlich, als das Stück Fleisch sich bewegte. Nur leicht. Ein Zucken. Sie lockerte ihren Griff, tastete und fand eine Hand am rechten Ende. Sie war schlank und geschmeidig, oder bildete sie sich das ein? Vorsichtig öffnete sie die Augen. Sie erkannte Katerinas Gesicht, das noch immer voller Sorge vor ihr ruhte. Sie hatte ihren Arm ausgestreckt und herübergereicht. Jetzt konnte Sofia es sehen: Es war Katerinas Handgelenk, an dem sie trank. Ihr Blut. Ein nicht zu unterdrückendes Würgen bahnte sich seinen Weg ihre Kehle hinauf. Katerina löste ihren Arm aus Sofias Umklammerung. "Bleib ganz ruhig", flüsterte sie und legte ihre Hand an Sofias Wange, "es ist alles in Ordnung." Nichts war in Ordnung. Wie ein wildes Tier hatte sie sich auf Katerinas Blut gestürzt und das Schlimmste dabei war, dass es ihr geschmeckt hatte. "Was ist mit mir?" Sofia konnte das Würgen hinunterschlucken, nicht aber die Angst, die von ihr Besitz ergriff. Etwas Böses war in Gange. Ihr Herz flatterte wild, ihre Lungen arbeiteten auf Hochtouren. In ihrem Kopf sprangen Gedanken willkürlich umeinander. Schlimmes Fieber. Vielleicht hatte sie Wahnvorstellungen? Oder sie träumte. Dann nahm Katerina ihren Kopf in beide Hände, wartete, bis Sofias Blicke nicht mehr Hilfe suchend nach links und rechts flogen, und sah sie eindringlich an. "Sofia, du musst dich beruhigen. Atme langsamer." Sie versuchte es, die Augen starr in Katerinas Gesicht gerichtet. Katerina ließ ihr den Moment, dann sprach sie weiter: "Ich möchte, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin. Ich habe versprochen dafür zu sorgen, dass es dir immer gut geht, solange du unter meiner Obhut bist, aber letzte Nacht habe ich eine egoistische Entscheidung getroffen." Sofia holte wieder Luft. "Was heißt das?" "Ich habe ein Band geknüpft ..." Sie schlug die Augen nieder. Es schien zu schmerzen, was sie sagen wollte und sie musste sich sammeln, bevor sie fortfahren konnte: "Ein Band, das uns für immer verbindet. Ich habe entschieden, dich zu einer der Meinen zu machen. Ich habe dich zum Vampir gemacht." Es klang herrlich verworren. Vampir. Sofia wusste nicht einmal, was das bedeutete. "Das heißt, du bist kein Mensch mehr. Du bist unsterblich", erklärte Katerina weiter. Unsterblich. Kein Mensch. Sofia musste es sich durch den Kopf gehen lassen. Abwägen, ob sie nicht doch träumte. "Unfug! Was ist das für ein faules Spiel, das du mit mir treibst?" Wut begann in ihr zu brodeln. Konnte Katerina nicht die Wahrheit sagen? Sie schlug die Hände weg, die ihr Gesicht hielten. "Hab keine Angst, ich werde dir alles beibringen, was du wissen musst." Sie klang überzeugend. "Das genügt jetzt!", fuhr Sofia sie an, schlug die Decke zurück und stand auf, "Ich will das nicht hören! Ich werde dieses Haus gemeinsam mit Alexander verlassen. Er wird mich mitnehmen, das hat er versprochen, also danke für alles, aber jetzt leb wohl." Sie stapfte zur Tür und riss sie auf. Im Flur brannten Kerzen. "Ich habe ihn längst weggeschickt ... letzte Nacht", gestand Katerina, als Sofia in den Flur trat. "Was?" Blankes Entsetzen verzerrte Sofias Gesicht. Katerinas niedergeschlagener Ausdruck verriet ihr, dass sie richtig verstanden hatte. Alexander war fort. Seit letzter Nacht. Sie hatte einen vollen Tag versäumt. Nie würde sie ihn noch einholen können. Zornig riss sie am Türgriff und wurde vom ohrenbetäubenden Aufeinandertreffen von Metall in die Knie gezwungen. Die Tür war zugeschlagen und hatte sie bis ins Mark erschüttert. Ihre Hände lagen schützend über ihren Ohren. Nie würde sie ihr das verzeihen. Niemals.   —   Ich blätterte um. Nichts. Die folgende Seite war blank. Sofia ließ mich rätselnd zurück. Ich klappte das Buch zu, betrachtete noch ein letztes Mal das kleine Datum auf der Rückseite, und löschte mein Licht. 10. Dezember 1603. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)