Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 016 – Gewitter sind selten -------------------------- Erstarrt krallte ich mich in die Polster meines Sessels. Sofia saß mir mit offensichtlicher Genugtuung gegenüber und sah mich schweigend an. Sie hatte mich gebissen. Hatte sie mir damit die Entscheidung abgenommen? War ich bereits kurz davor, mich in ein Monster zu verwandeln? Ich sog scharf die Luft ein und stellte ihr noch eine Frage: „Warum?“ „Weil es so leichter für uns beide war.“ Sie öffnete die kleine Schachtel, die auf dem Tisch stand, und nahm sich eine ihrer Zigarren heraus. „Du musst dir deswegen keine Sorgen machen. Es braucht ein bisschen mehr, um jemanden in einen Vampir zu verwandeln.“ Ich war erleichtert, dass sie das sagte, doch rechtfertigte es ihre Tat nicht. Ich war keine Mahlzeit, in die man genüsslich hineinbeißen konnte. „Dann hast du doch mein Blut getrunken. Du hast gelogen.“ Ein weiches Lächeln zierte ihre Lippen. Verständnisvoll und mütterlich auf eine widersprüchliche Weise. „Nein, das habe ich nicht.“ Es ergab keinen Sinn. „Der menschliche Körper reagiert auf vampirischen Speichel mit Bewusstlosigkeit und dem Verlust kürzlich erhaltener Informationen. Deswegen erinnerst du dich nicht, dass du mich auf der Wiese gesehen hast und deswegen habe ich dich gebissen. Nicht wegen deines Blutes. Ich wollte dich sicher zurück nach Hause bringen.“ „Nach Hause?“ Es klang lächerlich und ich verlieh meinem Missfallen zähneknirschend Ausdruck. „Ein schönes Zuhause, in dem man um sein Leben fürchten muss ... mir reicht es. Gute Nacht.“ Sofia ließ mich gehen und ich verschwand schnellen Schrittes aus der Bibliothek. Ich wollte nicht länger mit dieser Frau im selben Zimmer sitzen. Als ich die Tür zu Ezras Zimmer passierte, fror ein eisiger Schauer meine Schritte ein. Seit über drei Jahren hatte mich ein Vampir trainiert ... der Gedanke wollte sich noch immer nicht in meinem Kopf niederlassen. Vampire. Es war Irrsinn. Wahrscheinlich war er tagsüber nicht ein einziges Mal zum Arbeiten in der Stadt gewesen, hatte nicht eine einzige Nacht in seinem Bett geschlafen und hatte sich nur von mir besiegen lassen, weil ... ja, warum eigentlich? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine einfache nette Geste gewesen sein könnte, auch wenn Fay des Öfteren versichert hatte, er sei ein guter Kerl. Ein guter Kerl, der des Nachts Menschen umbrachte. Ob Fay das wusste? Sie kannte ihn schließlich länger als ich und vielleicht hatte man ihr längst die Wahrheit gesagt. Vielleicht wusste sie ganz genau was er war und kam trotzdem hierher ... oder eben genau deswegen. Ein abscheulicher Gedanke, der sich in meinem Kopf geformt. Ich schloss die Tür hinter mir ab, als ich in meinem Zimmer war. Ich wollte kein Risiko eingehen, auch wenn ich sicher war, dass das bisschen Holz mich kaum schützen konnte. Es war zwei Uhr nachts, als ich mich ins Bett begab. Wie sollte ich über all das denken? Konnte ich es glauben und würde Sofia ihr Wort halten? Ich wagte es nicht, meine Augen zu schließen. Aus Angst vor dem, was mich erwarten würde, wenn ich anfing, alles zu verarbeiten. So blieb ich wach, bis die Sonne den Himmel pfirsichfarben leuchten ließ und ich sicher war, dass kein Vampir sich mehr in mein lichtdurchflutetes Zimmer wagen würde. Wenige Stunden später erwachte ich schweißgebadet. Mein erster Blick galt meinen Händen, sie waren zittrig, sahen jedoch normal aus, dann tastete ich nach meinem Gesicht, auch hier war alles wie immer. Ich atmete erleichtert aus. Keine blutigen Klauen, keine verzerrte Fratze mit wolfsartigem Gebiss. Mein Bett war zerwühlt, aber es war noch in einem Stück und nirgendwo lag eine leblose Frau, deren Kehle ich zerfetzt hatte. Nur vier Stunden Schlaf, doch ich war hellwach. Nachdem ich selbst das Monster in meinem Alptraum geworden war, musste ich etwas unternehmen. Ich konnte nicht hier bleiben. Eilig holte ich einen Koffer aus der Kammer hinter dem Salon. In der Küche hatte ich Magdalena das Mittagessen zubereiten gehört. Ich packte, so leise es möglich war, ein paar Sachen zusammen, wusch mich geschwind und schlich zurück ins Erdgeschoss. Wenn ich erst draußen war, konnte mich niemand mehr aufhalten. Ich ging zur Tür, öffnete sie und blickte in Magdalenas überraschtes Gesicht, die einen Bund frischer Kräuter in der Hand hielt. Sie musterte mich und meinen Koffer. „Du willst gehen?“ „Ja, ich muss. Ich bin nicht gemacht für solchen Wahnwitz.“ „Das kann man dir nicht verdenken. Aber sei vorsichtig, die Welt da draußen ist gefährlicher, als man meinen möchte.“ Sie trat beiseite und ließ mich passieren. „Ich werde auf mich aufpassen. Danke.“ Magdalena nickte und mir war schwer ums Herz, als ich mich abwandte und Richtung Pierre aufbrach. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich wollte nicht Teil der Geschichte werden, die Sofia für mich erdacht hatte. Ich wollte kein Vampir sein und ich wollte nicht mit ihnen leben, bis ich irgendwann alt und grau war. Sie waren Mörder und die Ungewissheit, was mit mir passieren würde, wenn ich blieb, ängstigte mich zu sehr, als dass ich es hinnehmen konnte. Bis nach Pierre waren es etwa zwanzig Meilen. Es würde ein langer Fußweg werden. Sechs Stunden, vielleicht sieben, schätze ich. In jedem Fall würde ich noch vor Einbruch der Nacht in Pierre sein und von dort aus konnte ich hoffentlich bald mit dem Zug in eine andere Stadt verschwinden. Sofia hatte mir jeden Monat ein bisschen Geld gegeben, damit ich mir etwas kaufen konnte, wenn Magdalena mich zum Einkaufen mit in die Stadt genommen hatte. Ich war sparsam gewesen und meine Reserven würden mich eine ganze Weile über Wasser halten. Nach ein paar Meilen wurde ich langsamer. Der Koffer wurde immer schwerer, je näher ich der Stadt kam und ich bereute, ihn dermaßen vollgepackt zu haben. Meine Füße schmerzten, aber ich würde nicht stehen bleiben. Während ich lief, flogen die Gedanken kreuz und quer durch meinen Kopf. Ich musste mir etwas einfallen lassen, wie ich mein Leben künftig gestalten wollte. Wie ich es finanzieren sollte, ob ich mich niederlassen, oder ob ich für immer das Leben eines Vagabunden führen wollte. Ich war noch nicht zu alt, um mir irgendwo einen Ehemann zu suchen, auch wenn das sicher nicht die idealste Lösung war. Ich wollte mich nicht an irgendjemanden binden, wollte nicht riskieren, dass man mein Vertrauen missbrauchte, nur wusste ich nicht, ob ich für immer allein bleiben konnte. Trotzdem. Es wäre allemal besser, als mit dem Tod unter einem Dach zu leben. Sie waren gefährliche Monster und hätten mich zu einem solchen gemacht, wäre ich geblieben. Ich war ohne sie um einiges besser dran und dabei spielte es keine Rolle, welcher dieser Aspekte am schwersten wog. Ich schwankte zwischen Enttäuschung, Furcht, zwischen der Angst vor dem was sie waren und der Angst, selbst zum Ungeheuer zu werden. Erst als die Stadt in Sicht kam, konnte ich meine Gedanken zurück auf Kurs bringen. Ich musste mich auf meine weitere Reise konzentrieren und verdrängte die Gedanken an Sofia, Ezra und Magdalena. Gegen halb sieben Uhr abends stellte ich meinen Koffer endlich in einem gemütlichen kleinen Wirtshaus ab und bestellte mir Bangers and Mash – gebratene Würste mit Kartoffelpüree. Das Wirtshaus befand sich direkt neben dem Bahnhof, wo man mir gesagt hatte, dass der nächste Zug erst in zehn Stunden fahren würde, Richtung Minneapolis. Es war nicht ganz ideal, aber für den Anfang würde es genügen. Ich betrachtete das Ticket in meiner Hand, während ich aufs Essen wartete. Vielleicht konnte ich irgendwann wieder etwas weiter gen Süden reisen. Nach Louisiana oder Mississippi, wo es warm war. „Bitte sehr.“ Eine hübsche junge Frau – etwa in meinem Alter – stellte mir ein neues Glas Wasser und einen gut gefüllten Teller auf den Tisch. Es roch köstlich. Ich bedankte mich und nahm gleich einen Schluck aus meinem Glas. So ausgedörrt war ich lange nicht gewesen. Die Bedienung hatte sich schon abgewandt, als ich mir ihre Aufmerksamkeit zurückholte: „Entschuldige! Kann ich dich etwas fragen?“ „Sicher.“ „Gibt es hier in der Nähe ein ordentliches Hotel, in dem man zu einem guten Preis nächtigen kann?“ „Ja, es ist nur ein Stück die Straße hinunter, oder unten neben dem Rathaus, das ist etwas größer.“ „Danke.“ Nach dem Essen machte ich mich auf den Weg. Es galt ein wenig Schlaf nachzuholen und ich wollte nicht länger als nötig durch die Stadt laufen, selbst wenn sie mir bei Weitem friedlicher vorkam als in Sacramento. Die Menschen auf der Straße waren freundlich, sie trugen – trotz des üblen Wetters – stets ein leichtes Lächeln auf den Lippen, daher war es nicht weiter schlimm, dass das erste Hotel voll war. Das Rathaus lag nur ein paar Straßen weiter und ich erwiderte höflich jedes Nicken, das man mir zuwarf. Vor mir tat sich der Rathausplatz auf. Ich beeilte mich, den weitläufigen Platz zu überqueren und betrat die erste Stufe vor dem Hotel, als man mir den Koffer aus der Hand riss. „Hey!“ Ich fuhr herum und blickte ich in das dreckig grinsende Gesicht eines jungen Burschen. „Gib mir meinen Koffer zurück!“ Er sprang eilig ein paar Schritte von mir fort. „Fang mich, wenn du kannst!“ Der Junge würde sein blaues Wunder erleben, wenn ich ihn erwischte. Er hastete davon und ich ihm hinterher. Die Anstrengungen des Tages machten sich schnell bemerkbar. Meine Beine waren viel zu müde, um diesen Tunichtgut durch die halbe Stadt zu jagen. Er wäre keine zehn Fuß weit gekommen, wäre ich ausgeruht gewesen, doch so zog es sich durch zahlreiche Straßen und Gassen. „Für ein Mädchen bist zu ganz schön schnell!“, witzelte er, während er mit Leichtigkeit auf eine Mülltonne kletterte und mitsamt meinem Koffer über einen Zaun sprang. Ich sparte mir meine Spucke und sprang hinterher. Wenn es noch länger dauerte, würde ich ihn verlieren. Ich musste etwas unternehmen, bevor es zu spät war, und mobilisierte meine letzte Kraft für einen kurzen Sprint, um ihn endlich zu fassen zu bekommen. Dann packte ich ihn am Kragen und wollte ihn festhalten, als er sich entsetzt zu mir umdrehte und schließlich rücklings auf die Straße stürzte. Er keuchte mir ins Gesicht, als er hart auf den Boden prallte und ich stemmte mich sofort wieder hoch. „Verdammter Dieb, das hast du jetzt davon!“, fluchte ich und rollte von ihm herunter. Ich hob meinen Koffer auf und beobachtete, wie er sich langsam aufsetzte. „Komm mir nicht zu nahe, ich warne dich.“ Zur Sicherheit behielt ich ihn im Auge, während ich mich von ihm fortbewegte. Als ausreichend Distanz zwischen uns gebracht war, drehte ich mich um und trat fluchs den Rückweg an. Es dauerte nicht lange, bis ich seine Schritte hinter mir vernahm. Er wollte nicht hören. „Hey, warte mal!“, rief er, während er zu mir aufschloss, und kassierte dafür einen harten Faustschlag auf die Nase. „Au! Mann!“ „Ich hatte es dir gesagt. Lass mich in Ruhe!“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt der Junge seine Nase. Er sah mich wütend an, dann glitt sein Blick an mir vorbei zum Ende der Gasse, an der ein anderer Kerl aufgetaucht war, deutlich größer und stämmiger. Ich überlegte nicht lange und ging zügig in die andere Richtung. Nur ein paar Schritte, dann stand auch dort eine bärige Gestalt. Das kann doch nicht wahr sein ... „Was soll das hier werden?“, fragte ich den jungen Kerl, der sich noch immer die Nase hielt. Er wischte sich das Blut von der Oberlippe und blickte mich unschuldig an. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Na schön.“ Ich entschied mich für den direkten Rückweg und ging auf den Kerl zu, der dort so felsähnlich den Weg versperrte. „Würden Sie mich bitte durchlassen?“, fragte ich. Keine Reaktion seinerseits. Ich wartete geduldig und stellte meinen Koffer ab, als dieser Koloss mich schief angrinste. Er würde mich nicht passieren lassen, das hatte ich verstanden. Mir war mulmig zumute, also atmete ich tief durch. Es wäre zweifelsfrei besser gewesen, hätte ich den Dieb mit meinem Koffer davonkommen lassen. Jetzt ließ es sich nicht mehr ändern, also konzentrierte ich meine Gedanken auf den Mann, der mir den Weg abgeschnitten hatte. Körperlich war er mir unbestritten überlegen, also wartete ich ab, bis sich eine Gelegenheit bot. „Lasst sie bloß nicht entwischen!“, wies der Dieb seine Schergen an. „Na los, schnappt sie euch!“ Auf sein Stichwort löste sich der Mann aus seiner Starre und kam auf mich zu. Ich wich ein Stück zurück und duckte mich unter seinen Armen hinweg. Er war nicht sehr schnell und ich wartete einige Augenblicke auf den richtigen Moment. Dann trat ich ihm mit voller Wucht gegen die Kniescheibe. Er sackte weg und ich setzte mit einem Schlag gegen seinen Kehlkopf nach. Ein tiefes Röcheln floh aus seiner Kehle und ich nutze den kurzen Moment seiner Unachtsamkeit, um an ihm vorbeizuschlüpfen. Im Vorbeirennen griff ich meinen Koffer und schwang ihn hinter mich, als die Schritte meines Verfolgers lauter wurden. „Finger weg!“, brüllte ich ihn an, während wir aus der Gasse jagten und ich hart gegen eine andere muskulöse Brust prallte. Der Griff meines Koffers entglitt meinen Fingern, als die schmerzvolle Umarmung diese übel riechenden Mannes mich empfing. Sie waren zu viert. Ein Schmächtiger und drei gleichermaßen abstoßende Hünen. Ich wollte nicht wissen, was sie von mir wollten, ich wusste nur, dass sie es nicht bekommen würden. „Ihr seid so armselig!“, fluchte ich und rammte mein Knie zwischen die Beine des Mannes, der mich festhielt. Er brüllte laut und beschimpfte mich, während er seine Hände schützend um sein Gemächt platzierte und sich zusammenkrümmte. Ich stellte mich auf den dritten der bärigen Männer ein, der auf mich zu walzte, kaum war ich seinem Partner entkommen. Er streckte seine Pranken nach meinem Hals aus. Ich wartete, bis er nahe genug war, hob meinen Arm, drehte mich zur Seite und schlug ihm mit dem Ellenbogen aufs Handgelenk, dass sein Angriff ins Leere lief. Dann riss ich meinen Ellenbogen wieder nach oben gegen sein Kinn und streckte meinen Arm, um ihm meinen Daumen ins Auge zu drücken. Er keuchte und brachte sein Gesicht in Sicherheit. Noch während er sich abwandte, zog ich mein Knie nach oben, stieß es ihm in die Magengrube und ergriff sofort die Flucht, bevor er sich wieder sammeln konnte. Einen Kampf Eins gegen Vier musste ich vermeiden. Ich hörte noch immer Schritte, die mich verfolgten. Sie waren leicht und schnell und ich war sicher, dass es der junge Dieb war. Ich flehte meine Beine an, sie würden mich noch eine Weile tragen und in Sicherheit bringen, hielt Ausschau nach Hilfe oder einem sicheren Versteck, bis es mir schlagartig dämmerte. Ich floh aus Reflex. „Glaubst du wirklich, dass du entkommen kannst?“, rief er mir nach. Wahrscheinlich nicht, also ließ ich ihn herankommen. Ich spürte seine Anwesenheit direkt hinter mir, wie rauen Herbstwind. Noch ehe er mich erfassen konnte, stürzte ich zu Boden, wie eine Katze auf ihre Beute, rollte mich ab und stieß ihm den abgebrochenen Besenstiel entgegen, den ich dabei vom Boden geklaubt hatte. Er rannte ungebremst hinein und das gesplitterte Holz bohrte sich in seinen Bauch. Er durfte ruhig spüren, dass er sich mit der Falschen angelegt hatte. Keuchend und schimpfend ging er zu Boden. Er sah nicht gut aus. „Du hättest mich in Frieden lassen sollen.“ „Verfluchtes Miststück!“, keifte er. Ich hatte weder Zeit noch Lust, mich über seine Worte zu ärgern. Es war wertlos. Viel wichtiger waren seine kolossalen Gefährten, die sich erholt hatten und bedrohlich nah gekommen waren. „Den brauche ich wohl noch.“ Bevor der Dieb meine Worte verstand, hatte ich ihm den Stock aus Bauch und Händen gerissen. Er schrie und ich spannte meine Hand um den Besenstiel, um ihn mit einem schnellen Schlag wieder ruhig zu stellen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich eine andere Wahl getroffen. Heute nicht. Heute durchströmte mich Genugtuung, als der Bursche bewusstlos zusammenklappte. Sein Gefolge stand ein paar Fuß entfernt und beäugte mich skeptisch. Sie waren verunsichert, man konnte es beinah riechen. „Also?“, fragte ich und musterte sie der Reihe nach. „Wollt ihr mich nun gehen lassen, oder nicht?“ „Du wirst dafür bezahlen!“, fauchte der Größte der Drei und donnerte tollwütig auf mich zu. Seine Freunde taten es ihm gleich, nachdem sie sein Startsignal begriffen hatten. Ich nutze den kleinen Vorsprung, den er hatte, täuschte links an und schlug nach schneller Drehung schwungvoll rechts gegen seinen Schädel. Er taumelte zur Seite und ich schmiss mich im Hechtsprung zwischen den anderen beiden hindurch, um hinter ihnen wieder auf die Beine zu kommen. Er würde nicht mehr aufstehen. Nummer zwei machte Bekanntschaft mit meinen Fingerknöcheln, als er sich zu mir umdrehte. Er war geduckt – der andere mit erhobener Faust aufrecht – und wollte mich packen. Ich donnerte sie ihm auf die Nase und riss meinen Stab herum, um den Angriff des anderen zu unterbrechen, während ich über den Rücken seines gekrümmten Freundes rutschte. Es funktionierte und war so leicht. Diese Typen waren dämlich und vor allem langsam. Als ich wieder fest auf dem Boden stand, holte ich erneut aus und traf die Nieren des Kerls, dessen Nase ich gebrochen hatte. Er stöhnte schmerzerfüllt und ging in die Knie. Einer war noch fit. Unter den buschigen Augenbrauen dieses Mannes funkelte ein zorniges Paar Augen. Er wollte es besser machen, wollte mich büßen lassen. „Ich bring dich um!“, knurrte er und stürzte auf mich zu. Zeit das Ganze zu beenden. Ich wich zur Seite, schwang meinen Stab und zielte auf seinen breiten Nacken. Das Holz zerbrach an seinem Unterarm. Er fuhr herum und riss mich von den Füßen. Meine Reaktion kam zu spät. Ich lag auf dem Boden und sah seine mächtige Schuhsohle auf mich zukommen. Er wollte mich wie einen Käfer zerquetschen, doch den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Ich rollte zur Seite und sein Schuh schlug hart auf dem Boden neben mir auf. Meine Position war ideal, ich lag direkt unter ihm und schwang mein Bein nach oben. Der Tritt saß, mein Gegner schnappte nach Luft und ließ sich auf mich fallen. So wich auch mir die Luft aus den Lungen. Er hatte mich unter seiner enormen Maße begraben und tat alles dafür, es mir so ungemütlich wie möglich zu machen. Sein Knie drückte tief in meinen Magen. „Jetzt bist du nicht mehr so stark, was?“, höhnte er und legte seine Hand um meinen Hals. Meine Arme waren eingeklemmt. Ich steckte fest. „Stark genug für dich!“, fauchte ich ihn an und freute mich über seine Verblüffung angesichts der plötzlichen Lautstärke. Mein Körper war zum Zerreißen gespannt, der letzte Ton war nicht verklungen, als ich meine Hüfte ruckartig nach oben stemmte und ihn seines Gleichgewichts beraubte. Er fiel nach vorn und ich trat mit dem Schienbein nach. Nicht eine Sekunde zögerte ich, um ihn mit einem gezielten Schlag meiner Handkante gegen seinen Hals außer Gefecht zu setzen. Erst als er sich nicht mehr rührte, holte ich wieder Luft. Drei von vier waren bewusstlos, einer beobachtete mich mit blutender Nase und tränenden Augen. Er wirkte verstört und nahm dennoch Kampfhaltung ein. „Lass es. Kümmere dich besser um deine Freunde.“ Keiner von uns rührte sich. Eine halbe Ewigkeit geschah nichts, dann entspannte er sich und ich verstand. Es war vorbei, ich konnte gehen. Erleichtert trat ich den Rückzug an. Sobald ich außer Sichtweite war, würde ich mich setzen müssen, mir war flau im Magen und meine Ohren rauschten und pochten. Langsam ging ich weiter, bis ein lauter Knall die Luft und durchdrang. Ein Schuss. Ich fuhr herum und blickte in das vom fahlen Mondlicht beschienene, blutige Gesicht des Mannes, der mir den Lauf seiner Pistole entgegenstreckte. Er hatte mich verfehlt, aber ... hatten wir uns nicht stillschweigend darauf geeinigt, dass es zu Ende war? Ich war fassungslos. Es war von Anfang an ein ungleicher Kampf gewesen, dessen Verlauf soeben eine unerwartet aussichtslose Wendung genommen hatte. Ich setzte einen Schritt zurück und überlegte mir einen Fluchtplan, als der Schütze wie aus dem Nichts von der Straße gefegt wurde. Er verschwand im Dunklen und plötzlich war es totenstill. Selbst der Wind war verstummt. Ich hielt die Luft an. Eine Sekunde. Zwei. Nichts. Dann riss ich meinen Arm herum und schlug hinter mich, mit dem Ellenbogen voran. „Habt ihr noch nicht genug?“, brüllte ich. Mein Schlag wurde geblockt. Mühelos. Mir entglitten die Gesichtszüge, als ich meinen Gegner erkannte. Meine Gegnerin. Sofia. „Hallo Megan.“ „So- ha? Was?“, stammelte ich und riss mich los. „Was tust du hier?“ „Das erkläre ich dir, sobald wir fort sind. Lass uns gehen.“ Ich trat zurück. „Nein. Ich komme nicht mit. Lass mich in Ruhe!“ Dann wandte ich mich ab und eilte in die andere Richtung davon. Weit kam ich nicht. Nur wenige Fuß, bis eine zweite, wohlbekannte Gestalt aus dem Schatten trat. Ezra. Sein Mund und Kinn glänzten dunkel. „Du auch? Seid ihr hier, um mich zurückzuholen?“ „Nein.“ Seine Antwort fiel erwartungsgemäß knapp aus. „Nicht? Warum dann?“ „Später.“ Noch bevor ich erneut nachfragen konnte, hatte Sofia mich am Handgelenk gepackt und zog mich davon. „Wir müssen verschwinden, bevor uns jemand sieht. Komm. Lass uns dich zum Hotel bringen.“ Eine große Wahl hatte ich nicht. Sofia führte mich eilig davon. Sie wurde erst langsamer und ließ mich los, als wir zahlreiche Straßen entfernt waren. „Genug!“, protestierte ich. „Sag mir, was los ist!“ „Du hast dich nicht verabschiedet.“ Ich holte Luft, um zu antworten, hielt inne und dachte kurz darüber nach, während wir weitergingen. „Und deshalb habt ihr mich gesucht?“ Ich klang eher überrascht als skeptisch. Mein Fehler. „Zum Teil.“ „Warum noch?“ „Ich hatte ein ungutes Gefühl und ich wollte nach dir sehen. Offenbar hatte ich recht.“ „Ach ja?“ „Nicht?“ „Ich weiß nicht. Bis ihr beiden aufgetaucht seid, hatte ich alles unter Kontrolle.“ Sofia blieb still. Wollte sie mir nicht widersprechen, oder hatte ich recht? „Schon möglich“, gab sie schließlich zu. „Er hatte auf dich gezielt, nicht wahr?“ „Als er den Abzug zog, ja.“ Ein einfaches Ja hätte genügt. Dass sie es so sagte, verunsicherte mich. „Dann ... hatte er ursprünglich mich im Visier?“ Sie blieb stehen und warf mir einen ihrer warmen, mütterlichen Blicke zu. „Die Hauptsache ist, dass dir nichts zugestoßen ist. Denk besser nicht darüber nach. Es ist nichts geschehen.“ Dennoch ein beunruhigender Gedanke. Er hing mir nach, während wir durch die Stadt liefen. Wir schwiegen. Sehr lange. Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, wusste aber nicht was. Also brach Sofia das Schweigen, bevor ich es tun konnte. „Ich habe übrigens deinen Koffer gefunden. Du wirst ihn wohl brauchen.“ „Oh ... ja, danke. Wo ist er?“ „Im Hotel.“ „Wie?“ „Nun, da ich nicht annahm, dass du auf der Straße schlafen möchtest und eine gewisse Nähe zum Bahnhof benötigst, gab es nur zwei Möglichkeiten. Eine war ausgebucht, also habe ich ihn im Hotel am Rathaus abgegeben und für dich reserviert.“ Wahrscheinlich hätte ich mich darüber freuen sollen, doch es war mir unangenehm. „Danke“, sagte ich trocken. „Es ist schon in Ordnung. Du musst kein schlechtes Gewissen haben.“ Hatte ich aber. Und es ließ sich nicht einfach abstellen. Sofia fuhr fort: „Das Risiko war mir von Beginn an bewusst. Sei unbesorgt, ich bin dir nicht böse.“ Mir fehlten noch immer die Worte. Ich jonglierte mit ihnen in meinem Kopf und versuchte etwas Passendes zu formulieren, bis wir vor dem Hotel standen. „Sofia ... das alles ist für mich zu verrückt. Es macht mir Angst und ... deshalb ich kann nicht bei euch bleiben. Es tut mir leid.“ Sie lächelte. „Es ist dein Leben und deine Entscheidung. Du solltest dich nicht dafür entschuldigen.“ Ich nickte und reichte ihr meine Hand. Ein Abschied. „Pass auf dich auf.“ „Werde ich. Und ... grüß Ezra.“ Dann kehrte sie mir den Rücken zu und schritt mit ungebrochenem Stolz zurück in die Nacht. Sie drehte sich nicht mehr um und war im nächsten Moment verschwunden. Ich überwand die wenigen Stufen zum Eingang des Hotels und klopfte an das Holz. Es dauerte nicht lang, bis man mir öffnete. „Schönen guten Abend, Miss. Kommen Sie herein, es ist kühl draußen.“ Ich trat ein und folgte der freundlichen Dame zur Empfangstheke. Sie überreichte mir meinen Koffer und den Schlüssel zu meinem Zimmer. Es war bereits bezahlt. Das war er also, der Beginn eines neuen Kapitels. Ein wenig gewöhnungsbedürftig war er. Ich hatte keine Angst. Hatte keine Zweifel mehr, dass ich es alleine schaffen konnte. Ich war durchaus in der Lage, mich zu verteidigen. Mich störte nur ein winziges Detail an diesem Plan: Ich rannte davon. Ich ergriff die Flucht, weil ich mich fürchtete und weil ich hoffte, an einem anderen Ort in Frieden leben zu können. Dabei war ich nicht mehr die Megan von vor drei Jahren. Das Mädchen, das nicht fähig war, sich zu behaupten, das keine andere Wahl hatte, als zu fliehen. Das war ich nicht mehr und zumindest einen Teil von mir hielt diese Erkenntnis hier fest. Ich wusste, wem ich es zu verdanken hatte. „Miss? Wollen Sie nicht auf Ihr Zimmer gehen?“, fragte mich die nette Dame. Ich stand noch immer vor dem langen Flur. Er wirkte freundlich, verlockend. „Ich kann nicht.“ „Ich verstehe nicht.“ Die arme Frau sah mich ratlos an. „Ich kann nicht gehen. Ich kann hier nicht fort, ich ... ich meine, ich kann, ich könnte, aber ... es brächte mir nichts. Wissen Sie, was ich meine?“ Nach wie vor machte die Empfangsdame einen irritierten Eindruck. „Es ist ganz einfach: Wenn Sie die Wahl hätten zwischen ... einem heftigen Gewittersturm und einem warmen Schauer, was würden Sie wählen?“ Sie überlegte eindeutig zu lang. „Das Gewitter, Ma'am! Der Schauer mag angenehm sein, aber aus dem bisschen Wasser kann kaum etwas Brauchbares werden und das Gewitter war heftig bisher und sehen Sie mich an. Es hat mich wachsen lassen.“ Sie blinzelte, ich winkte ab und gab ihr den Schlüssel zurück. „Schon gut. Haben Sie vielen Dank, aber ich muss gehen!“ Dann ging ich zur Tür. „Miss?“, rief sie mir hinterher, „Gewitter sind hier selten.“ „Weiß ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)