Let me be with you... von Vienne (Liebe geht seltsame Wege) ================================================================================ Kapitel 1: Complicated ---------------------- Die Septembersonne stand hoch am Himmel und wärmte die Stadt mit ihren letzten kräftigen Strahlen. In wenigen Wochen würde der nasse Herbst und dann der kalte Winter die Stadt im Griff haben. Ein paar Wolken suchten sich ihren Weg und erhielten Hilfe von einer sanften Brise. Bunte Blätter, die bereits von den Bäumen gefallen waren, wehten über die Straßen Tokios. Die Menschen genossen das schöne Wetter. Es war voll in den Freisitzen der Cafés und auch die Bänke im Jubaan-Park waren fast alle vollständig besetzt. Leise rauschten die Bäume und wurden von den schnatternden Enten übertönt, die um Brot bei den Leuten bettelten. Einige von ihnen warfen tatsächlich den Tieren etwas zu. Hauptsächlich Senioren und kleine Kinder, die immer vergnügt quietschten, wenn wieder eine Ente ein Brotwürfel erwischt hatte. Sie alle waren ausgelassen und ließen es sich gut gehen. Hatten gute Laune bei ihrem Tun. Rei saß auf einer Bank und scharrte nervös mit den Füßen im Kies unter sich. Immer wieder schaute sie auf ihre Armbanduhr. Sah sich genauso oft dabei um. Ihr war ohnehin klar gewesen, dass ihre beste Freundin zu spät kommen würde. So wie immer. Und ganz egal wie viele Nachrichten man auf ihr Handy schickte oder sie anrief: Usagi hatte einfach ein Talent dafür, vorgegebene Zeiten zu überschreiten. Nie war sie auch nur annähernd pünktlich. Rei konnte diese Eigenschaft an ihr absolut nicht leiden. Und doch war es ihr heute ganz Recht. Denn das, was sie Usagi sagen wollte, würde ihrer Freundin nicht passen. Wahrscheinlich würde sie sogar einen Wutanfall bekommen. Sowas war zwar selten bei ihr, aber wenn es vorkam, dass sie ausrastete, dann richtig. Mit allem Drum und Dran und viel Geschrei und Gezeter. Außerdem hatte Rei nicht den blassesten Schimmer, wie und wo sie anfangen sollte mit ihrer Bitte. Laut seufzte sie auf. Es war zum Haareraufen. “Hey!” Ein lautes Rufen ließ die Schwarzhaarige herumfahren auf der Bank. Sie blickte in das lachend Gesicht Usagis, die rennend und mit wehenden Zöpfen auf sie zukam. Dabei winkte. Rei zwang sich zu einem lockeren Lächeln, während sie aufgeregt an den Griffen ihrer Tasche herum nestelte. “Hey Rei!”, Usagi ließ sich neben ihre Freundin fallen, “Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich bin wirklich gleich nach deinem Anruf los. Aber der Bus kam ewig nicht und dann steckte er auch noch im Verkehr fest. Wäre ich zu Fuß gegangen, wäre ich bestimmt schon viel eher da gewesen.” “Macht doch nichts.”, Rei schüttelte lachend den Kopf. “Du bist nicht böse?” ”Nein. Ist doch okay. Bei dem schönen Wetter sind doch eh alle unterwegs. Ist ja auch Sonntag.” “Oh du bist die Beste.” Rei konnte gar nicht so schnell reagieren, wie ihre Freundin sie spontan umarmte. Sie war immer gut drauf und die Schwarzhaarige hatte schon ein schlechtes Gewissen. Aber es ging nicht anders. Tief holte sie Luft. Usagi bemerkte, dass etwas mit Rei war. Es war schon komisch, dass diese nicht böse auf sie und ihr Zuspätkommen war. Das war selten. Meistens musste sie mit einer Standpauke rechnen. Sie schob ihre Freundin ein wenig von sich und sah sie prüfend an. Irgendwas war doch los. Vielleicht hatte sie ja Ärger. Nur mit wem? Rei verstand sich mit allen genauso gut, wie Usagi es tat. Und es gab keinen Stress mit den anderen Mädels. Wo also lag der Grund für ihr komisches Verhalten? “Was ist los?” ”Was meinst du?”, Rei blickte ausweichend zum See. “Hör mal, ich weiß doch, dass du was hast.” ”Wie kommst du denn da drauf?” ”Na also, erstmal bist du nicht böse auf mich, obwohl ich eine dreiviertel Stunde zu spät gekommen bin. Und dann ist dein Lachen nicht echt. Du kaust auf deiner Unterlippe rum. Das machst du nur, wenn du nervös bist. Genauso wie mit den Griffen deiner Tasche zu spielen.” ”Du kennst mich echt gut.” ”Ich kenn dich seit gut einem Jahr. Ein bisschen länger. Auch wenn du in einem Tempel lebst und alle dich als Miko verehren, hab auch ab und an einen Riecher für sowas. Und du benimmst dich äußerst seltsam. Also, was willst du?” “Was?” ”Was willst du?” ”Ich will nichts von dir.” “Rei!”, Usagis Stimme war ein bisschen lauter geworden und sie sprang von der Bank auf, “Du bist eine schlechte Lügnerin. Jetzt sag schon, was du von mir willst und warum ich her kommen sollte. Sonst geh ich nämlich und treff mich lieber mit den anderen im Crown.” Die Angesprochene sah sie verblüfft an. “Jetzt komm schon. Ich hab nicht ewig Zeit.” ”Es ist wegen Mamoru.”, brach es aus Rei heraus. Schon durch den Namen verfiel die Blondine in eine leichte Schockstarre. Sie wusste, dass Rei in den Oberstufenschüler verliebt war. Allerdings hatte sie keine Idee, was das mit ihr selbst zu tun hatte. Verwirrt sah sie ihre Freundin an: ”Hast du dich mit ihm gestritten?” “Nein.” ”War er wieder mal selten dämlich?” ”Nein.” ”Ist ihm was passiert?” “Nein.” ”Was denn dann?”, das blonde Mädchen setzte sich wieder auf die Bank und sah Rei eindringlich an. “Ich hab euch doch erzählt, dass er sich beim Fußballtraining nach der Schule verletzt hat.” ”Der Muskelfaserriss. Ja, ich erinnere mich. Er ist immer noch zuhause deswegen, oder?” “Ja. Ich bin bis jetzt jeden Tag nach der Schule zur Motoazabu-Schule gegangen und hab mich dort mit einem Klassenkamerade von ihm getroffen. Kobajashi hat mir seine kopierten Aufzeichnungen und die Hausaufgaben mitgegeben für Mamoru. Die hab ich ihm dann immer vorbei gebracht. Doch jetzt geht das nicht mehr.” ”Warum denn nicht?” ”Ich hab gestern Abend einen Anruf aus Kobe erhalten.”, seufzte Rei. “Kobe? Ist da nicht dein Opa wegen so einem Klassentreffen?” ”Genau. Na jedenfalls geht es ihm nicht gut. Ich werd mich morgen von der Schule befreien lassen und zu ihm fahren mit dem Shinkansen.” “Oh hast du es gut. Keine Schule.”, Usagi legte den Kopf in den Nacken und schaute in den blauen Himmel. Sie beneidete Rei um die ungewollten Ferien. Nur allzu gerne hätte sie mit ihr getauscht. “Ich kann mir was Besseres vorstellen, Usagi. Aber im Grunde ist das nicht wirklich das Problem.” ”Was dann?” “Mamoru?!” ”Hä? Was hat der denn jetzt mit deinem Opa zu tun?” “Naja, er kann immer noch nicht zur Schule. Und wenn ich ihm jetzt nicht seine Aufgaben und die Aufzeichnungen bringe, wird er die Semsterprüfungen vielleicht nur schwer oder gar nicht schaffen.” ”Ach komm, Rei! Der ist so ein Streber, der schafft das locker!” “Usagi!” “Was denn? Stimmt doch. Der ist genauso schlau wie Ami.” “Er muss auch dafür lernen.” “Hrmpf.” Rei sah zu Usagi. Sie wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Sie musste es ihr sagen. Musste ihr von ihrem Plan erzählen. “Ich wollte dich jedenfalls darum bitten, ihm seine Notizen zu bringen.” ”Was?”, der blonde Haarschopf war nach oben und zur Seite geschnellt. Fassungslos sah Usagi ihre vermeindliche Freundin an. Das konnte nicht ihr Ernst sein! ”Ich kann sonst keinen anderen fragen.” ”Ähm, was ist mit Ami oder Mako oder Mina? Oder auch Motoki?” ”Motoki arbeitete die Woche am Nachmittag im Crown. Ami schafft es nach der Schule maximal ins Crown und ist danach bei ihrem Lernkurs. Und Mako und Mina wollte ich nicht auf die Jungs der Oberstufe loslassen. Die würden zwar die Notizen holen, aber es nicht bis zu Mamoru schaffen.” Usagi wusste, was Rei meinte. Ihre beiden Freundinnen Makoto und Minako waren derzeit nur darauf aus, schnellstmöglich einen Freund zu finden. Man konnte sie wirklich nicht zu älteren Jungs lassen. “Muss das sein?” ”Bitte Usagi.” “Er kann mich nicht ausstehen. Warum geht dieser Kobajashi nicht nach der Schule zu dem Baka?” ”Weil der eine Freundin hat und sich mit ihr nach der Schule trifft. Und er hat jede Menge Hausaufgaben. Außerdem hab ich ihm schon gesagt, dass du die Aufzeichnungen die Woche holst.”, grinste Rei verlegen. “Wie bitte? Wann hast du das dem denn gesagt?” ”Vorhin am Handy.” ”Du hast die Nummer eines Mitschülers von Mamoru? Was sagt der denn dazu?”, Usagi war überrascht. “Es war seine Idee. Falls Kobajashi oder mir was dazwischen kommt, können wir das dem jeweils anderen schreiben oder anrufen.” ”Ich weiß doch nicht mal, wie dieser Kobajashi aussieht.” ”Ich hab dich ihm beschrieben und ihm ein Foto geschickt von dir.” “Wird ja immer besser.” Die Schwarzhaarige hörte den genervten Unterton in Usagis Stimme. Ihr war selbst klar, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. “Es wäre nur bis nächsten Sonntag.” ”Heute ist Sonntag. Das ist eine Woche. Warum bist du solange in Kobe?” ”Ich weiß nicht, was Opa hat. Aber sein bester Freund hat mich angerufen und gemeint, er hätte halt Fieber und Schnupfen. Und so kann ich mich nicht mit ihm in einen Zug setzen. Deswegen bleib ich die ganze Woche und pflege ihn gesund.” “Ich weiß nicht, Rei. Du weißt, dass wir uns nicht riechen können. Es gibt immer Streit zwischen uns.” ”Ja vielleicht könnt ihr das jetzt ändern?”, sie klang hoffnungsvoll. “Hast du ihm davon erzählt? Das du mich bittest?” ”Ja.” “Und er war einverstanden?” “Schau nicht so ungläubig, Usagi! Ich hab echt Arbeit gehabt, ihn zu überzeugen. Aber er hat schneller als du eingesehen, dass es nicht anders geht und niemand sonst Zeit hat. Also bitte, bitte, bitte!” Abrupt stand das Mädchen auf. Ging einige Schritte. Sie wusste wirklich nicht, was sie davon halten sollte. Sie und Mamoru standen auf Kriegsfuß. Es war für sie schon der blanke Horror, dass eine ihrer Freundinnen in ihn verliebt war. Und nun wollte ausgerechnet diese Freundin, dass sie sich um Mamoru kümmerte. Zu allem Überfluss schien es wirklich nur sie zu geben, um zu helfen. Laut seufzte sie und drehte sich zu Rei um, die sie mit flehenden Augen an sah: ”Es ist nur Montag bis Freitag. Am Wochenende musst du nicht zu ihm und ich bin Sonntagnachmittag wieder da. Versprochen.” ”Ich muss also nur die Notizen holen, zu Mamoru und sie ihm in die Hand drücken.” ”Ähm, ja.” ”Rei?”, Usagi hörte sofort den schwankenden Unterton. “Er muss am Mittwoch zum Arzt.” ”Muss ich da mit?” “Ja. Er geht ja noch an Krücken und es ist leichter für ihn, wenn ihm da jemand die Türe aufhält oder so einfach unterstützt, wenn er draußen unterwegs ist.” ”Okay. Also am Mittwoch zum Arzt.” “Genau. Und danach vielleicht noch einkaufen. Wir waren gestern, aber haben nicht soviel eingekauft wegen dem Tragen und so.” ”Du warst seine Leibsklavin.” ”Nein.”, Rei errötete heftig und schüttelte den Kopf, “Seine Assistenz.” ”Wann muss ich an seiner Schule sein?” “Um vier. Schaffst du das?” ”Ja, ich denke schon. Ich hab die Woche eine Stunde weniger und so nur bis um kurz nach zwei. Unser Mathelehrer ist krank.”, die Blondine grinste breit. ”Alles klar. Also um vier musst du vor der Motoazabu-Schule sein. Und dann gehst du zu Mamoru. Hier ist seine Adresse.”, Rei drückte ihr eine Visitenkarte des jungen Mannes in die Hand, “Wenn was ist, ruf mich an.” “Okay.” ”Ich danke dir! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.”, die Schwarzhaarige umarmte ihre Freundin, “Ich muss jetzt auch los. Ich muss noch packen.” “Verstehe.”, auch Usagi stand auf, “Ich hab echt was gut bei dir.” ”Was du willst.” “Ich überleg mir was. Aber es wird nicht billig sein.” “Von mir aus.” Zusammen gingen sie noch zum Ausgang des Parks. Noch einmal umarmte Rei ihre Freundin und entließ diese dann in Richtung Crown. Sie war froh, dass alles gut gegangen war. Vorerst. Spätestens morgen hätte sie Usagi das erste Mal am Ohr. Und sicher auch nicht das letzte Mal. Doch selbst dafür hätte sie einen Plan. Sie sah der Blondine noch nach, bis diese um die Ecke verschwunden war und wandte sich dann selbst ab und zum Gehen. Es war kurz vor neun am Abend, als Usagi ihre Schultasche für den nächsten Tag packte. Ihre schwarze Katze Luna lag auf einem Kissen auf der Fensterbank und schlief. Das verhasste Mathebuch mitten auf dem Schreibtisch. Sehr zum Gefallen des Mädchens. Für sie gab es nichts schlimmeres als Mathe. Nur allzu gerne hätte für sie auch ihre Englischlehrerin krank werden können. Es waren ihre zwei absoluten Hassfächer. Die Lehrer waren ihr mindestens genauso unsymphathisch wie Mamoru. Mamoru. Sie musste an den Nachmittag im Crown zurück denken. Kurz nachdem sie sich von Rei verabschiedete hatte, war sie dorthin gegangen. Hatte die anderen Mädchen getroffen. Minako. Ami. Makoto. Und natürlich ihren Schwarm und Traummann schlechthin: Motoki Furuhata. Ein Student der nebenbei dort arbeitete. Er war ihr bester Freund. Dummerweise auch der von Mamoru. Sie wusste, sie hatte nicht den Hauch einer Chance bei dem blonden, jungen Mann. Aber anschmachten war ja nicht verboten. Immerhin war er immer nett zu ihr und wusste auch ohne einen Satz ihrerseits, was sie haben wollte: Einen Schokoladenmilchshake. Auch diesen Nachmittag wusste er es natürlich sofort. Er machte ihr sogar ein Kompliment wegen ihren Klamotten. Sie war ein bisschen rot dabei geworden. Dann war sie zu ihren Freundinnen gegangen. Schnell waren sie ins Gespräch gekommen und Usagi erzählte ihnen von Reis Bitte. Ami war skeptisch und fragte, ob das nicht zu anstrengend für sie sei. Sie sagte, dass es für eine Woche okay sei. Makoto war sich schnell ziemlich sicher, dass das entweder Usagi selbst oder Mamoru nicht überleben würde. Sie verneinte vehement und versprach, sich zusammen zu reißen. Minako fand das alles unglaublich witzig und rang ihr das Versprechen ab, jeden Tag Infos nach dem Aufeinandertreffen zu bekommen. Sie versprach es. Und sie harkte bei allen Dreien noch einmal nach, ob sie wirklich keine Zeit hätten. Minako meinte, dass sie schon gerne mitkommen würde. Alleine eben wegen der Jungs an Mamorus Schule. Auch Makoto überlegte laut darüber. Doch Usagi meinte, sie bekomme das schon alleine hin. Es war ja ohnehin nur eine Sache von einer knappen Stunde. Sie hatte sich vorgenommen, nach der Schule nach Hause zu rennen und sich umzuziehen. Dann wollte sie zur Motoazabu-Schule und sich mit diesem Kobajashi treffen. Und von da aus zu Mamoru. Die Notizen abgeben und schon wäre sie wieder weg. Wahrscheinlich machte sie sich umsonst Gedanken. Und das hatte sie auch ihren Freundinnen gesagt. Das Mädchen schloss ihre Schultasche und legte sich ihre frisch gewaschene Schuluniform raus. Ihr Blick fiel auf die Uhr auf ihrem Nachtschrank. Es war halb zehn. Wenn sie morgens halbwegs pünktlich in der Schule sein und nicht nachsitzen wollte, sollte sie jetzt ins Bett gehen. Im Bad war sie sowieso schon gewesen. Hatte geduscht und ihren Pyjama angezogen. Sie strich Luna über den Kopf. Entlockte ihr so ein Schnurren. “Schlaf gut, Süße!” Sie machte das Licht aus, tapste zu ihrem Bett und ließ sich hinein fallen. Sie war müde. So wie immer. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Oder zumindest war das Treffen mit Rei es gewesen. Usagi kroch unter die Decke und starrte, auf der Seite liegend, aus dem Fenster. Betrachtete den Mond. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, was Rei an Mamoru fand. Er war ein unausstehlicher Eisklotz. Und ganz sicher nicht so charmant, wie ihre Freundin ihn immer beschrieb. Zumindest nicht zu ihr. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatten sie sich gestritten. Hatte Rei wirklich die Hoffnung, dass es sich jetzt bessern würde. Usagi musste im Stillen zugeben, dass Mamoru nicht gerade hässlich war. Eigentlich sah er wirklich sexy aus. Aber was brachte ihr das, wenn er sie immer beleidigte? Und außerdem mochte sie Motoki ja viel mehr! Sie würde die Woche schon irgendwie überstehen. Es war ja echt nichts Großes dabei, zu ihm nach Hause zu gehen. Eine Kleinigkeit. Er würde sie ja eh nicht rein bitte. Warum auch? Sie gähnte herzhaft. “Es wird schon klappen. Ist ja nicht kompliziert.”, sagte sie zu sich selbst und schloss dabei die Augen. Wanderte ins Traumland hinüber. Es hatte den ganzen Tag schon geregnet. Über Nacht war es schlagartig kalt geworden und nichts ließ mehr an den sonnigen Tag von gestern erinnern. Der Wind war kalt und wehte aus allen Richtungen. Die Menschen hielten ihre Schirme fest. Einige hatten sich die Kapuzen ihrer Jacken tief ins Gesicht gezogen. So wie Usagi. Pünktlich war sie von der Schule nicht heim gekommen. Sie musste eine halbe Stunde nachsitzen, aber das war egal. Ihre letzte Stunde war ohnehin ausgefallen. So würde es die ganze Woche sein. Und eigentlich war sie auch am Morgen rechtzeitug losgegangen. Aber der erste Bus zur Schule war wegen dem Regenwetter vollkommen überfüllt gewesen und der zweite ebenso. Also war sie gelaufen. Frau Haruna hatte natürlich kein Erbarmen gehabt und sie zu einer Runde Nachsitzen verdonnert. Kurz nach drei war sie zuhause gewesen und hatte sich dort schnell ihrer nassen Schuluniform entledigt. Sie gegen bequemere Freizeitklamotten getauscht. Jeans und Pulli. In weniger als einer Viertelstunde war sie mit Umziehen fertig und dann noch schnell in der Küche bei ihrer Mutter gewesen. “Bist du in Eile?”, Ikuko sah ihre Tochter fragend an und hielt ihr den frischgebackenen Zitronenkuchen unter die Nase. Das Mädchen nahm sich sofort ein Stück. Biss hinein. “Isch musch noch schur Motoazabu-Schule.” “Kau bitte erst runter.” Lautstark schluckte Usagi. “Ich muss noch zur Motoazabu-Schule.” ”Was willst du denn dort?” ”Ich tu Rei einen Gefallen. Sie musste heute wegen ihrem kranken Opa nach Kobe fahren. Der ist auf seinem Klassentreffen krank geworden.” ”Aber Rei geht doch auf diese katholische Privatschule.”, ihre Mutter war verwirrt. “Ja sie schon. Aber sie ist doch in diesen Baka von Mamoru verknallt.”, noch einmal biss Usagi in ihre Stück Kuchen. Dieses Mal kaute und schluckte sie aber runter, bevor sie weiter sprach. Sie erzählte ihrer Mutter von der Bitte ihrer Freundin. “Ich dachte, du magst Mamoru nicht.” “Tu ich auch nicht. Aber ich kann doch nicht Nein sagen.” “Du hast ein zu großes Herz.” “Ich weiß.”, die Blondine seufzte, “Na gut, ich muss los.” Ihre Mutter ging ihr nach in den Flur. Beobachtete sie dabei, wie sie die pinken Gummistiefel und die dazu passende Regenjacke anzog. Sich ihren Hasenschirm und die Tasche schnappte. “Hier.” “Was?” “Hier. Nimm ihm etwas von dem Kuchen mit. Er freut sich bestimmt darüber.”, Ikuko strahlte ihre Tochter an. ”Mama! Ich geb ihm seine Notizen und Hausaufgaben und das war’s. Danach geh ich ins Crown zu den Mädels.” ”Stell dich nicht so an.”, ihre Mutter drückte ihr den eingepackten Zitronenkuchen in die Hand und schob sie zur Tür, “Er wird sich sicher freuen und es ist eine nette Geste.” Usagi versuchte vergeblich das Päckchen wieder los zu werden. Versuchte Widerworte zu formen, aber als sie endlich welche gefunden hatte und sich noch einmal umdrehte, war die Türe bereits geschlossen. Sie grummelte leise. Missmutig spannte sie ihren Schirm auf und rannte neuerlich los in Richtung Bushaltestelle. Die Regentropfen prasselten gegen die Fenster und auf die Kacheln des Balkons. Das Licht der Deckenlampe spiegelte sich in den Scheiben. Leise Musik erfüllte die Wohnung und der Duft von frischem Kaffee zog durch die Räume. Mamoru stand auf Krücken gestützt vor der großen Fensterfront des Wohnzimmers. Das Wetter spiegelte genau seine Laune wieder. Gestern schon war er nicht weiter als bis auf den Balkon gekommen. Und er war angesäuert gewesen, als Rei ihn anrief und ihr Treffen absagte. So hatte er keine Chance auf einen noch so kleinen Spaziergang gehabt. Und heute sah es auch schlecht aus. Er hatte schon mehr als einmal an diesem Tag das Gefühl gehabt, dass ihm die Decke auf den Kopf zu scheinen fiel oder er an Klaustrophobie litt. Eigentlich wusste er schon seit mehreren Tagen nichts mehr mit sich anzufangen. Und er war froh, dass wenigstens die Schwarzhaarige jeden Tag vorbei kam. Was er ihr aber nicht sagen würde. Sonst hätte sie womöglich noch mehr an ihm geklebt. Ohnehin war es ihm unangenehm, dass sie sich wirklich Hoffnung auf ihn machte. Dabei war er nur freundschaftlich an ihr interessiert. Auch jetzt war ihm schon wieder langweilig. Sein Blick glitt zur Seite und auf die Uhr, die über der Tür zur Küche hing. ”Viertel fünf.”, er seufzte. Schon seit dem Mittag hatte er nichts mehr zu tun gehabt. Den ganzen Vormittag hatte er die Mitschriften von Kobajashi studiert und seine Schulbücher durchgelesen. Hatte seine Hausaufgaben erledigt, die eh keiner kontrollieren würde. Gleich würde Rei mit den heutigen Notizen und Aufgaben kommen und er würde sich am Abend zusammen reißen müssen, sie nicht dann schon zu erledigen. Er konnte nur auf eine gute Doku im Fernsehen hoffen oder einem gescheiten Film. Die Klingeln riss ihn aus den Gedanken. In seiner Joggingshose und dem schwarzen Muscle-Shirt humpelte er zur Tür, drückte den Summer. Er musste nicht mehr nachfragen. Es war Rei. Sie würde ihn noch zur Genüge voll plappern. Mamoru lehnte sich gegen die Wand. Seine Wohnungstüre hatte er schon geöffnet. Normalerweise ging er immer schon zurück ins Wohnzimmer. Wartete dort auf Rei. Aber heute kam sie sicher mit einem patschnassen Schirm und den wollte er ihr netterweise gleich abnehmen und in die Wanne legen, damit er nicht das ganze Parkett und den Teppich voll tropfte. Er hörte den Lift und wie die Türen aufgingen. Ein quietschendes Geräusch hallte durch den Hausflur. Scheinbar hatte das Mädchen Gummistiefel an. Mamoru schüttelte unmerklich den Kopf. Er konnte sich Rei nicht mit sowas an den Füßen vorstellen. Aber bei dem Wetter schien selbst sie Kompromisse zu machen. Die Schritte kamen näher. Der junge Mann hob seinen Kopf und erstarrte augenblicklich. “Hey Baka!” Usagi sah ihn unverwandt an. In der einen Hand ihren tropfenden Schirm und in der anderen einen Stapel Blätter stand sie auf seiner Fußmatte. “Äh...”, er hüpfte auf sie zu und schob sie zur Seite, um sich im Hausflur umzusehen, “Wo ist Rei?” Das Mädchen verstand nur Bahnhof. Warum fragte er nach Rei. Sie wollte gerade den Mund aufmachen, aber er unterbrach sie: ”Wieso ist Rei heute nicht da?” ”Ich dachte, du hast einen Muskelfaserriss. Aber anscheinend bist du auf den Kopf gefallen.” ”Was?” “Sie ist in Kobe, du Schwachmat. Hier, die kopierten Mitschriften von Kobajashi. Schöne Grüße übrigens. Und du sollst...” ”Kobe?”, Mamoru sah sie fragend an und ignorierte die ihm hingehaltenen Blätter. “Sie hat dich doch angerufen.” “Nein.” ”Wie ‘Nein’?” “Also eigentlich Ja. Ja, sie hat mich angerufen. Aber nur weil sie unsere gestrige Verabredung abgesagt hat. Von Kobe hat sie aber nichts gesagt. Kein Wort.” “Was?”, Usagi entgleisten die Gesichtszüge, “Dieses Biest.” Ihre Stimme war laut und grell geworden. Ein Zustand den Mamoru niemanden antun konnte in seinem Haus. “Zieh die Schuhe aus und komm rein.” “Nee, lass mal. Hier deine Notizen.” ”Komm rein, Odango.”, er zog sie am Handgelenk in seinen Flur und nahm ihr den Schirm ab. Brachte ihn auf Krücken ins Bad. Das Mädchen streifte sich die Gummistiefel ab. Zog die Jacke aus und hing sie an einen freien Harken. Sie folgte Mamorus Kopfnicken in Richtung Wohnzimmer. ”Setz dich. Willst du was trinken?” “Mach dir keine Umstände.”, sie winkte ab und setzte sich aufs Sofa. Er nahm gegenüber von ihr auf seinem Lieblingssessel Platz. “Sie ist also nach Kobe gefahren.” ”Ja.” ”Warum?”, Mamoru war verwirrt und sah Usagi fragend an. “Ihr Opa ist dort wegen einem Klassentreffen und krank geworden.” ”Wie lange bleibt sie.” ”Bis Sonntag.” “So lange?” ”Ja.” ”Und du bringst mir jetzt die Schulsachen?” ”Ja. Glaub mir, ich könnte mir auch was Schöneres vorstellen.”, sie sank zurück, “Aber die anderen hatten keine Zeit. Wobei ich bezweifle, dass sie Ami, Mina, Mako und Motoki überhaupt gefragt hat.” “Warum du?” ”Was weiß denn ich?! Sie meinte, vielleicht reden wir ja auch mal normal miteinander.” ”Aha.” “Schau nicht so doof, Baka. Hör mal, ich werde morgen wiederkommen und dir die neuen Mitschriften bringen und das war’s. Und am Mittwoch geh ich mit dir zum Arzt.” ”Nein, vergiss es. Ich sag den Termin einfach ab.”, er sah sie erschrocken an, “Ich will da lebend hin und wieder weg kommen.” ”Na danke auch! Ich hab es Rei versprochen. Genauso wie mit dem Einkaufen.” “Dieses Biest.” ”Sag ich ja.”, es war das erste Mal, dass das Mädchen wieder lachen konnte. Mamoru entging es nicht. Es verblüffte ihn immer wieder, dass sie so schnell die Stimmung wechseln konnte. Eine Eigenschaft um die er sie ein wenig beneidete. Ihr entging sein Blick nicht. Es war ihr ein wenig unangenehm. Er sah sie nie so an. So durchdringend. “Wie geht es eigentlich deinem Bein?”, sie versuchte die peinliche Stille zwischen ihnen zu durchbrechen. “Es geht schon.” “Sollten wir Rei vielleicht anrufen und sie zur Rede stellen?” “Eigentlich schon.”, er versuchte sein Handy zu angeln, dass auf dem Wohnzimmertisch lag. “Warte. Hier.”, Usagi war aufgestanden und reichte es ihm. Kurz berührten sich ihre Finger und für sie fühlte es sich an wie ein kleiner Stromschlag. Für den Bruchteil von Sekunden schauten sie sich in die Augen. “Danke.” Mamorus Hals war trocken. Es war ihm beinahe unmöglich, sich von ihren Augen abzuwenden. Waren die schon immer so blau gewesen? So klar? In Gedanken schallte er sich selbst. Seid wann dachte er so von Odango Atama. Es kostete ihn Kraft, sich von ihr abzuwenden und die Nummer von Rei zu suchen. Er ließ sein Handy wählen und schaltete den Lautsprecher an. Das Freizeichen war zu hören. Einmal. Zweimal. Dreimal. Nach dem fünften Mal hörten sie endlich Reis Stimme: ”Ja, Mamoru? Bist du’s?” ”Hi, ja. Ich bin’s.”, sein Blick glitt zu dem Mädchen, was vor ihm stand. Was vor Wut schnaubte. Er bedeutete ihr, ruhig zu bleiben. “Was gibt es denn?” “Sag mal, hast du mir nicht vergessen etwas zu sagen?” “Nein. Was meinst du denn?” Mamoru wollte gerade antworten, als ihm das Handy aus der Hand gerissen wurde. Er konnte mit seinem ruhig gestellten Bein gar nicht so schnell reagieren. Ungläubig und mit aufgerissenen Augen folgte er Usagis Tun. “Kobe, Rei. Er meint Kobe!” “Usagi?”, Rei klang überrascht, ausgerechnet ihre beste Freundin an Mamorus Handy zu hören. “Ja ich. Du bist ein Biest.” ”Was?” “Du hast mich schon verstanden, Fräulein Miko!”, die Blondine war sauer, “Mir erzählst du, dass du Mamoru Bescheid gegeben hast, dass ich die Woche sein Schulzeugs bringe. Und als ich vor einer Viertelstunde vor seiner Türe stand, schaut der mich an, wie eine Kuh wenn’s blitzt. Er wusste von nichts.” ”Ups. Das hab ich wohl vergessen.” ”Boah, Rei...” Mamoru hatte sich aufgerappelt und ihr das Handy wieder abgenommen. Schnaubend ließ sich Usagi wieder aufs Sofa fallen. “Warum hast du es denn mir nicht gesagt?” ”Weil du abgelehnt hättest.”, Rei klang eingeschüchtert, “Hört mal, ich muss jetzt Schluss machen. Bis Sonntag!” “Rei, warte.” Aber sie hatte ihn weggedrückt. “Die soll mir mal wieder nach Hause kommen.” Sein Blick glitt zu dem Mädchen. Sie war selten so wütend auf eine ihrer Freundinnen. Ihren Gesichtsausdruck kannte er eher in Zusammenhang mit sich selbst. “Und nun?” Sie hob die Schultern: ”Was soll schon sein? Ich hab Kobajashi schon gesagt, dass ich morgen wieder bei euch an der Schule auf ihn warte.” ”Also kommst du morgen wieder hier vorbei?” ”Ja, muss ich wohl.”, sie erhob sich und ging an ihm vorbei in den Flur. Zog sich wieder an. Bat Mamoru um ihren Schirm. Er öffnete ihr die Tür und sie bedankte sich. Trat auf den kalten von Neonlicht durchfluchteten Hausflur. “Wir sehen uns morgen, Odango.” ”Ja, bis morgen, Baka!”, sie versuchte sich trotz ihrer jetzt richtig miesen Laune ein Lächeln abzuringen, “Versuch keine Dummheiten zu machen. Ach und das hier ist von meiner Mama. Sie meinte, es würde dich sicher freuen.” ”Was ist das?” “Selbstgebackener Zitronenkuchen. Also dann, wir sehen uns.” “Ja. Danke! Bis morgen!” Sie nickte nur und verschwand in Richtung Aufzug, während er sich in seine Wohnung zurück zog. Es war ihm klar, dass es anstrengend mit ihr werden würde. Wahrscheinlich hatte Rei sie auch gebeten, ihn zum Arzt zu begleiten. Mamoru humpelte wieder ins Wohnzimmer zurück. Er packte den Zitronenkuchen aus. Er war noch ein wenig warm. Zaghaft biss er hinein. Er schmeckte köstlich. Im Augenwinkel sah er sein Handy blinken, nahm es sich vom Tisch und schaute kauennd drauf. Eine SMS von Rei: ”Ruf mich heute Abend bitte an. Liebe Grüße, Rei.” Er seufzte auf. Frauen waren einfach kompliziert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)