Merciless Cult von ScarsLikeVelvet ================================================================================ Kapitel 1: Gefangen im schwarzen Teer der Gefühle ------------------------------------------------- Merciless Cult dröhnte durch die Konzerthalle. Kyos Augen waren geschlossen, während er die Lyrics halb sang, halb shoutete und sich vom Rhythmus der Musik tragen ließ. Er legte sein gesamtes Herzblut in dieses Lied, um das Leid in ihm selbst zum Ausdruck zu bringen. Nicht, dass es irgendjemanden interessiert hätte, was er empfand. Die Fans dachten, dass alles wäre nur ein Spiel, dass er nur so tat, als würde er dieses Leid empfinden und sich auch nicht selbst auf der Bühne verletzen. Nahmen an, dass es sich nur um Kunstblut und gefakte Wunden handelte, aber das Gegenteil war der Fall. Innerlich wurde er regelmäßig von seinen Gefühlen zerrissen und kannte nur zwei Auswege. Entweder er wandelte diese Gefühle in Lieder um oder er verletzte sich selbst. Einen anderen Weg gab es für ihn nicht. Seine Gedanken schweiften ab, während er mechanisch den nächsten Song anstimmte, verloren sich schon wieder in einer schwarzen Abwärtsspirale und er hatte das Gefühl, als hätte er Watte in den Ohren. Kein Laut drang mehr zu ihm durch, was Angst und Panik in ihm aufsteigen ließ und dazu führte, dass er schlussendlich sein Mikro fallen ließ. Das Poltern des Mikrofons hallte durch die Konzerthalle, aber Kyo nahm es nicht wahr. Seine Hände lagen an seinen Ohren und er warf seinen Kopf in den Nacken und schrie, schrie seine Angst und Panik hinaus in die Welt, aber alle hielten es für ein Spiel. Selbst seine Freunde. Keiner von ihnen schien zu bemerken, wie schlecht es ihm gerade ging. Erst als er nach Minutenlangem Spiel der Musik nicht wieder mit seinem Gesang einsetzte, wurden sie aufmerksam und ihre Instrumente verstummten. Doch auch das nahm der Sänger nicht wahr, schrie noch immer laut und vernehmlich, schien nicht einmal richtig Luft zu holen. Vorsichtig, beinahe zögerlich näherten sich Kaoru und Daisuke dem Sänger, knieten sich neben ihn und sahen sich nur kurz an, bevor Daisuke den Sänger auf den Arm nahm und von der Bühne brachte, während Kaoru sich nur kurz ans Publikum wandte, den Rest der Band dann auch von der Bühne winkte. Als Kaoru ihre Garderobe betrat, sah er Kyo auf dem Sofa liegen. Der Blondschopf hatte noch immer die Hände auf die Ohren gepresst und sich auf der Seite liegend eingerollt, aber wenigstens schrie er nicht mehr. Dafür entkam seinen Lippen in regelmäßigen Abständen ein leises Wimmern, was nicht gerade zu Kaorus Beruhigung betrug. Fragend blickte er zu Daisuke, welcher neben dem Sofa kniete und Kyo immer wieder beruhigend durchs Haar streichelte. "Ich weiß nicht, was los ist…Kao…er hat bisher kein Wort gesagt…", sagte der Rhythmusgitarrist leise, ließ seine Finger weiterhin durch Kyos verschwitzte Haare gleiten, um ihn zu beruhigen. "…aber er scheint richtig panisch zu sein…Angst zu haben…Shin und Totchi sind losgezogen, um den Arzt zu holen…so kann das nicht weitergehen", fuhr er fort und blickte voller Sorge auf Kyo hinunter. Kyo verlor sich noch immer in seiner Panik und nahm kaum etwas von seiner Umwelt wahr. Einzig eine Hand, die behutsam durch sein Haar strich, verankerte ihn noch mit der Realität. Seine Augen waren zusammengekniffen und er rang keuchend nach Luft, als wäre er ewig weit gerannt. Immer wieder wimmerte er leise auf, als die schwarze Abwärtsspirale seiner Gedanken sich immer schneller drehte und er das Gefühl hatte sich selbst vollkommen zu verlieren. Mehr als deutlich konnte Kaoru sehen, wie es Kyo von Minute zu Minute schlechter ging. Er setzte sich auf das Sofa zu Kyos Füßen und streichelte ihm über den Rücken, versuchte so ihm mehr Halt in der Realität zu geben, denn er wusste, dass genau das der Grund für Kyos Panik war. Vor Jahren war dies schon einmal passiert. Damals war er der einzige, der sich Kyo in diesem Zustand ansehen musste und versucht hatte ihm darüber hinweg zu helfen. Er hoffte inständig, dass der Arzt bald eintreffen würde, denn ansonsten hatte er nur eine Möglichkeit Kyos Kontakt zur Realität wiederherzustellen und er war nicht sonderlich erpicht darauf, Kyo zu verletzen. Sein Blick wanderte zu Daisuke und er zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln. Es würde nichts bringen, wenn er selbst jetzt auch noch den Kopf verlor. "Das wird schon wieder, Daidai. Kyo ist zäh.", sagte er. Zweifelnd erwiderte der rothaarige Gitarrist den Blick seines Freundes, erwiderte allerdings nichts auf dessen Aussage. Stattdessen wanderte sein Blick zur Tür, die Sekunden später endlich aufgestoßen wurde und Shinya, Toshiya und einen Mann in neonroter Jacke und ansonsten weißer Kleidung einließ. Ganz offensichtlich war es ein Mitarbeiter des Rettungsdienstes, ein Notarzt, wenn die Beschriftung der Jacke stimmte. Erleichterung breitete sich in Daisukes Körper aus und er rückte ein wenig zur Seite, machte dem Mann Platz, aber behielt sein sanftes Streicheln bei. Er war sich nicht sicher, was geschehen würde, wenn er damit aufhörte. Der Notarzt stellte sich knapp vor. "Mein Name ist Ryohei Tateno, Notarzt. Was genau ist vorgefallen?", erkundigte er sich ruhig, während er routiniert begann das wimmernde Bündel Mensch auf dem Sofa zu untersuchen. Zunächst verschaffte er sich einen Überblick über Pulsfrequenz, Blutdruck, Blutzucker und Bewusstseinszustand. Tief durchatmend schloss Kaoru für einige Sekunden die Augen. "Jungs…geht bitte vor die Tür.", bat er leise und sah im nächsten Moment das Erstaunen und den Widerwillen in den Augen seiner Kollegen. "Kyo wollte nicht, dass ihr es erfahrt…bitte…wir sprechen später darüber", bat er sanft und zu seinem Erstaunen verlor keiner der anderen drei ein Wort. Daisuke hauchte lediglich noch einen sanften Kuss auf Kyos Stirn, bevor er sich erhob und gemeinsam mit Shinya und Toshiya wortlos den Raum verließ. Kaorus Blick heftete sich auf das zitternde und wimmernde Bündel Mensch neben sich und warf all seine Bedenken über Bord, zog Kyo auf seinen Schoss, so dass er mit dem Rücken gegen ihn lehnte und legte seine Hand an Kyos Stirn, drückte ihn leicht mit dem Hinterkopf gegen seine Schulter. "Shhh…ich bin da, Kyo. Dir wird nichts geschehen.", wisperte er in Kyos Ohr und wandte dann seine Aufmerksamkeit dem Arzt zu. "…Kyo hat während dem Konzert…den Bezug zur Realität verloren…beziehungsweise zu dieser Realität…er ist in Panik geraten und hat geschrien…Daisuke konnte ihn wohl ein wenig beruhigen, aber so wie ich die Situation einschätze, befindet er sich immer noch in einer gefühlsmäßigen Abwärtsspirale…so hat er es jedenfalls früher genannt." "Also sind solche Situationen schon mehrfach vorgekommen?", erkundigte Tateno sich, während er auf Kyos Arm nach einer brauchbaren Vene suchte, damit er dem Sänger eine Infusion legen konnte. Kaoru schnaubte leise. "…wir hatten schon lange nicht mehr den Fall, dass er soweit abgedriftet ist. Normalerweise kann er die Situation gut einschätzen und weiß sich selbst zu helfen…auch wenn weder Kiriyama-sensei noch ich von seinen Methoden begeistert sind…uns ist es lieber, er fügt sich ein paar harmlose Schnitte zu, als sich so sehr selbst zu verlieren.", gestand Kaoru, streichelte beruhigend über Kyos verschwitzte, nackte Brust. "Also ist er in Behandlung? Konnten sie die Symptome nicht erkennen und Kyo-san rechtzeitig warnen?", erkundigte er sich weiter, fand endlich eine halbwegs brauchbare Vene und versuchte einen Zugang zu legen. "Das Management hat Kyo verboten sich auf der Bühne zu verletzen. Sie haben ihn heute vor dem Konzert gefilzt und ihm alle scharfen Gegenstände abgenommen. Sie mögen es nicht, wenn er sich verletzt, egal wie oft er ihnen erklärt, dass er diese Art der Behandlung mit seinem Arzt abgesprochen hat und dass die Alternativen noch weit weniger schön für alle Beteiligten wären." Kaorus Blick wanderte über Kyos Körper, fixierte sich dann aber wieder auf den Arzt. "…die Alternative wäre ihn dauerhaft mit so starken Medikamenten zuzudröhnen, dass er nichts mehr fühlt, aber das geht auch nicht und Kyo will das auch nicht…und ich ehrlich gesagt auch nicht. Es reicht, dass wir gemeinsam seine Drogensucht überwunden haben beziehungsweise sie gegen harmlosere Varianten getauscht haben…da muss der Scheiß nicht wieder von vorne anfangen." Dr. Tateno schob die Nadel in Kyos Vene und setzte Sekunden später eine Spritze an den Aufsatz, spritzte Kyo ein Beruhigungsmittel. Zufrieden beobachtete er, wie sein Patient nach einigen Momenten aufhörte zu wimmern und sein Körper gegen den seines Bandkollegen erschlaffte. "Er schläft jetzt. Warten wir ab, wie es ihm geht, wenn er aufwacht, Kaoru-san.", sagte er und ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder. Kaorus Lippen entwischte ein leises Seufzen und er ließ seinen Kopf für einen Moment in den Nacken sinken. Das würde jetzt erst recht Stress geben, den Kyo so rein gar nicht gebrauchen konnte. Er hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder er stellte sich diesem Schlamassel und damit dem Management oder er schnappte sich Kyo, packte ihn ins Auto und fuhr mit ihm nach Kyoto. "…ist er stabil genug, dass ich mit ihm wegfahren kann?", wollte er wissen. "Meinen sie, es ist klug ihn jetzt hier wegzubringen? Aus seiner gewohnten Umgebung?", erkundigte sich der Arzt. "Von medizinischer Seite spricht nichts dagegen, aber ich kann nicht abschätzen, wie er emotional reagieren wird. Was haben sie genau mit ihm vor?" Seine Arme drückten Kyo ein wenig enger an sich, als dieser sich im Schlaf ein wenig bewegte. "…ich möchte mit ihm nach Kyoto zu Kiriyama-sensei. Ich glaube, es ist das beste für ihn, wenn er sich erstmal Zeit für sich nimmt und wieder auf die Beine kommt und das kann er bei Keisuke nun mal am besten." Nachdenklich blickte Dr. Tateno die beiden Männer an, nickte dann aber leicht. "Okay, in Ordnung. Allerdings werde ich ihnen dann jetzt noch zwei Spritzen mit Beruhigungsmittel und einen kurzen Bericht mitgeben. Den Zugang werde ich in seiner Hand lassen, damit sie sie ohne Probleme verabreichen können, falls er auf dem Weg nach Kyoto nochmals in Panik verfällt. Ich wäre dafür, wenn sie sich sofort auf den Weg machen und ihn zu seinem Arzt bringen und sich dann kurz bei mir melden, damit ich weiß, dass alles gut gelaufen ist.", sagte er ernst. Unter normalen Umständen würde er eine solche Aktion niemals dulden, sondern seinen Patienten ins Krankenhaus bringen, aber er hatte den Eindruck, dass dies nichts bringen würde. Daher stimmte er der Bitte des Bandleaders zu. "Ich lasse ihre Freunde wieder herein, die können ihnen beim Packen helfen." "Okay…ich danke ihnen, Dr. Tateno", sagte Kaoru und verneigte sich so gut es mit Kyo in seinen Armen ging. Die beiden Spritzen hatte er schon in seiner Tasche verschwinden lassen, da er nicht wollte, dass die anderen sie sahen. Daisuke lief die ganze Zeit vor der geschlossenen Tür auf und ab, sorgte sich sehr um den Sänger. Immer wieder versuchte er an der Tür zu lauschen, konnte jedoch kein Wort der ruhigen Unterhaltung zwischen Arzt und Leadgitarrist ausmachen. Als dann die Tür nach für ihn schier endloser Zeit geöffnet wurde, drängte er sich in den Raum, sah voller Sorgen und ebenso vieler Fragen zu Kaoru. Kaoru lächelte leicht, als er Daisuke in den Raum stürmen sah. "Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, Dai. Er hat ein Beruhigungsmittel bekommen und schläft jetzt.", erklärte er ruhig, erhob sich dabei vorsichtig mit Kyo in den Armen. Er zögerte kurz, entschloss sich dann aber doch, Kyo auf dem Sofa abzulegen und zuzudecken. "Hilf mir bitte Kyos und meine Sachen zu packen. Ich werde ihn erstmal hier wegbringen." Nur kurz zögerte der Rhythmusgitarrist, nickte dann aber und begann Kyos Sachen zusammenzusuchen. Er stopfte sie in Kyos Umhängetasche, blickte dann wieder zu Kaoru und hielt sie ihm entgegen. "Wohin wirst du mit ihm gehen?", erkundigte er sich leise, klang unwillig die beiden einfach so gehen lassen. "An einen Ort, von dem ich weiß, dass Kyo sich dort sicher fühlt…mehr müsst ihr vorerst nicht wissen. Ich will nicht, dass ihm das Management noch weiter im Nacken hängt. Wir haben ja heute gesehen, wohin ihre Sorge führt.", erklärte Kaoru und schnappte sich die Umhängetasche, hängte sie sich zusätzlich zu seiner eigenen um und nahm dann den kleinen, schlafenden Körper von Dir en greys Sänger in seine Arme. "Machst du mir die Türen auf? Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen…bevor uns das Management kriegt." Wieder nickte Daisuke und kam sich dabei vor wie ein Specht. Was anderes hatte er in den letzten Minuten nämlich kaum getan. Er trat an die Tür, öffnete sie und warf dann einen Blick hinaus in den Gang. "Die Luft ist rein.", sagte er. Abgesehen von Shinya und Toshiya war im Moment niemand auf dem Gang. Mit langen Schritten trat Kaoru auf den Gang, ignorierte die beiden Bandküken, während er den Gang hinuntersprintete. In ihm brannte das Verlangen Kyo wegzubringen. Es dauerte nicht lange, da hatte er unbeobachtet sein Auto erreicht. Er jonglierte etwas mit Kyo und den Taschen, bevor er die Tür an der Beifahrerseite geöffnet hatte und Kyo behutsam auf dem Sitz absetzte, um ihn dann sorgsam anzugurten, bevor der Sänger sich zusammenrollen konnte. Erst dann legte er die Taschen in den Kofferraum und glitt in den Fahrersitz. Er blickte besorgt zu Kyo und streichelte ihm zart über die Wange, bevor er losfuhr in Richtung Kyoto. Kapitel 2: Weg in die Freiheit? ------------------------------- +++3 Tage später+++   Kaoru lehnte an der kühlen Fensterscheibe, während sein Blick auf seinen schlafenden Kollegen gerichtet war. Drei Tage war es jetzt her, dass er spät in der Nacht mit ihm hier in Kyoto eingetroffen war am Haus von Keisuke Kiriyama. Dieser hatte ihm geholfen, Kyos zitternden Körper ins Bett zu bringen und ihm ebenfalls ein Zimmer zur freien Verfügung gestellt, bevor er sich um den Sänger gekümmert hatte. Kaoru hatte ihm dabei nur stumm zugesehen und ihm  sowohl die Spritzen wie auch den Bericht von Dr. Tateno ausgehändigt, als er soweit fertig war. Seitdem war Kaoru kaum von Kyos Seite gewichen. Er sorgte sich sehr um den kleinen Sänger, der nicht aufwachen zu wollen schien.   Keisuke Kiriyama seufzte leise, bevor er die Tür zu Kyos Zimmer öffnete. Er wusste, dass Kaoru da sein würde. Woanders hin außer zur Toilette hatte der Gitarrist sich bisher nicht begeben, aber er wusste, dass er ihn dazu nötigen musste. Sonst würde er Kyo nicht zurückholen können. Er betrat den Raum und blickte Kaoru ernst an. "Kaoru-san…bitte…sie müssen etwas essen und ein wenig schlafen. Es hilft Kyo keinen Deut, wenn sie auch noch zusammenbrechen.", sagte er in einem ruhigen, gemessenen Tonfall. Er wusste, dass er Kaoru nicht mit Gewalt hier raus kriegen würde. "Ich möchte etwas versuchen, um Kyo aufzuwecken, aber dazu muss ich mit ihm allein sein…er würde nicht wollen, dass sie ihn so sehen." In Gedanken fügte er noch hinzu: //Er wäre nicht einmal in dieser Situation, wenn man ihm seinen Willen lassen würde//   Müde wandte Kaoru seinen Blick von Kyo zu Dr. Kiriyama, als er angesprochen wurde. Er lauschte den Worten seines Gegenübers und überlegte einen Moment lang, ob er sich dagegen wehren sollte, doch dann nickte er. Er wusste, dass Kyo dem Arzt bedingungslos vertraute und stimmte daher zu. "Also gut…dann werde ich etwas Essen, danach duschen und die anderen informieren…und mich danach hinlegen. Aber bitte…wenn sich etwas an der Situation verändert, dann rufen sich mich bitte."   "Selbstverständlich. Darum müssen sie mich gar nicht erst bitten. Eine Mahlzeit steht in der Küche für sie bereit und wo sie den Rest finden ist ihnen ja bekannt.", sagte Kiriyama leise, wartete dann ab, bis Kaoru das Zimmer verlassen hatte, um sich neben Kyo auf das Bett zu setzen. Sorge stand ihm nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben und er streichelte liebevoll über Kyos Wange, musterte den schlanken, aber geschwächten Körper des Sängers. Er zögerte, stand dann noch einmal auf, um die Zimmertür abzuschließen, denn er wollte nicht gestört werden. Auch die blickdichten Vorhänge zog er zu, ehe er sich wieder neben Kyo auf dem Bett niederließ. Er streckte sich neben dem Sänger aus und zog ihn in seine Arme. "Wir sind allein, Liebling.", wisperte in Kyos Ohr und streichelte ihm zärtlich über die Seite. Er wusste, es würde noch ein Weilchen dauern, bis er wieder richtig zu sich kommen würde, aber diese Zeit würde er Kyo geben. Schon mehr als einmal war es passiert, dass Kyo sich in seine Panik so reingesteigert hatte, dass er jeglichen Bezug zur Realität verloren hatte und Medikamente hatten nur bedingt geholfen. Sie hatten ihn zwar beruhigt, aber zurückgeholt hatten sie ihn nicht. Dafür half allerdings die Nähe eines geliebten Menschen und dieser Mensch war er selbst für Kyo. Er war sein Fokuspunkt und auch wenn seine Freunde bis zu einem gewissen Punkt zu ihm durchdringen konnten, so war er es doch, der immer noch am effektivsten funktionierte. Vielleicht lag es daran, dass er und Kyo eine wirklich tiefe und liebevolle Beziehung zueinander hatten. Er war nicht nur Kyos Therapeut, sondern auch sein Lebensgefährte. Etwas das nach wie vor immer noch ein Geheimnis vor der Welt und ihren Freunden war. Allerdings nahm er an, dass es nicht mehr lange ein Geheimnis vor ihren Freunden sein würde, denn Kaoru würde bald feststellen, dass sich in diesem Haus mehr Dinge, die Kyo gehörten, befanden, als in Kyos Tokioter Wohnung. Er wandte seinen Gedanken wieder Kyo zu und streichelte ihn voller Liebe, hauchte immer wieder sanfte Küsse auf seinen Nacken, Hals und seine Wangen.   Kyos Unterbewusstsein hatte dankbar wahrgenommen, dass Kaoru ihn weggebracht hatte von dieser unsäglichen Situation, war dann aber dem Weg der emotionalen Abwärtsspirale weitergefolgt und hatte sich in ihr verloren. Er fühlte sich, als wäre in einer zähen, teerartigen Masse gefangen, die ihm die Luft zum Atmen ebenso nahm, wie die Fähigkeit zu sprechen, zu sehen oder zu fühlen. Im Moment war er einfach nur leer und auch Kaorus Nähe half ihm nicht, reichte als Fokus für ihn nicht aus. Dabei wusste Kaoru doch, wohin er sich in solch einem Fall wenden sollte oder hatte der Ältere es vergessen? Kyo wusste es nicht. Hin und wieder nahm er so etwas wie ein Aufblitzen einer warmen liebevollen Präsenz wahr, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren, denn zu schnell war sie wieder verschwunden. Verzweifelt kämpfte er sich durch den Teer, der seine verworrenen Gefühle widerspiegelte und er wollte  nur eines. Diesem Teer entkommen, endlich wieder sehen, fühlen und atmen, ganz als wäre er ein richtiger Mensch und nicht nur eine leblose Puppe. Nach einer für ihn schier unendlich langen Zeit fühlte er wieder diese Präsenz. Diesmal war sie ganz nah und wärmte nicht nur seine Gefühlswelt, sondern auch seinen kalten Körper. Das Zittern, welches ihn ständig begleitet hatte, seit er in diese Spirale gerutscht war, verebbte langsam und wurde durch warme, streichelnde Hände und weiche Lippen ersetzt , welche seinen physischen Körper liebkosten, gleichzeitig aber auch Balsam für seine geschundene Seele waren. Diese stetigen warmen Berührungen ließen den Teer, der ihn einengte, flüssig werden und dann von ihm abgleiten, da er sich immer mehr auf diese Wärme und die ihr zugrunde liegenden Berührungen konzentrieren konnte. Wie lange er im Endeffekt brauchte, um den Kampf gegen seine Gefühle zu gewinnen wusste er nicht, aber irgendwann schlug er träge seine Augen auf, blinzelte gegen das schwache Licht an und blickte dabei in die Augen seines Geliebten. Er schluckte schwer, als er die Sorge in den braunen Augen sah, und streckte zittrig seine Hand nach ihm aus, bekam seine Hand zu fassen und wisperte leise 'Keisuke'. //Gott, mein Hals tut weh…was habe ich…gemacht? …ich habe geschrien…oder?// Verwirrung machte sich auf seinem Gesicht breit, als er versuchte sich zu erinnern, was genau vorgefallen war. Kapitel 3: Aufgewacht --------------------- Keisuke hatte Stunden neben Kyo im Bett verbracht, ihn gehalten, gestreichelt und geküsst, um ihm zu zeigen, dass er nicht allein war. Anscheinend hatte diese 'Behandlung' Wirkung gezeigt, denn er merkte, wie das Zittern, welches den kleinen Körper in seinen Armen in den letzten drei Tagen geschüttelt hatte, langsam aber sicher abebbte und er allgemein ruhiger wurde. Das war schon einmal ein sehr gutes Zeichen. Er machte einfach weiter mit dem was er tat und hoffte, dass Kyo irgendwann wieder zu sich kam. Als er spürte, wie Kyo sich leicht bewegte und seine braunen Augen sich öffneten, mischte sich Sorge in seinen Blick, denn für einen Moment glaubte er, dass Kyo zwar körperlich da war, aber geistig nicht anwesend. Doch langsam kehrte das Bewusstsein in Kyos Blick zu rück und als er dann auch noch zittrig nach seiner Hand griff und seinen Namen wisperte, hätte er beinahe vor Erleichterung angefangen zu weinen, aber noch erlaubte er sich das nicht. Er legte eine Hand an Kyos Wange und erwiderte mit einem leisen 'Tooru'. Er war der einzige Mensch auf der Welt, der ihn so nennen durfte, ohne gleich in Stücke gerissen zu werden, also tat er es die meiste Zeit auch. Seine Finger streichelten über die warme Wange seines Geliebten. "Wie fühlst du dich?", erkundigte er sich leise. Als er sah, wie Kyo ihn verwirrt ansah, blickte er ihm tief in die Augen. "Shhh…ganz ruhig, Tooru. Ich werde dir gleich erzählen, was passiert ist. Komm erstmal richtig zu dir.", wisperte er beruhigend, beugte sich dann vor, um einen Kuss auf die spröden Lippen des Blonden zu hauchen. Kyo blinzelte überrascht, kuschelte sich dann aber instinktiv gegen Keisuke und ließ sich in den sanften Kuss fallen, ehe er diesen löste und etwas hustete. "Wasser…", bat er leise, denn seine Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Bevor er irgendwelche Fragen beantworten konnte, brauchte er etwas zu trinken. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er drehte sich halb um, griff eine Flasche Wasser vom Nachttisch und hielt sie an Kyos Lippen, hielt sie, weil er wusste, dass Kyo noch nicht kräftig genug war, um sie selbst zu halten. Einige Schlucke Wasser rannen seine ausgedörrte Kehle hinab und ein wenig lief ihm aus den Mundwinkeln kühl den Hals hinunter. Es tat richtig gut und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, nachdem er von der Flasche abgelassen hatte. "Mir geht's…besser.", beantwortete er dann Keisukes Frage, legte zeitgleich seinen Kopf an Keisukes Schulter, um weiterhin Wärme und Geborgenheit zu tanken. "Hast du Schmerzen? Fühlst dich irgendwie seltsam?", bohrte Keisuke unnachgiebig nach. Er war sich im Klaren, dass er Kyo drängen musste, um klare Antworten über seinen Zustand zu bekommen. Kyo schnaubte amüsiert und verdrehte die Augen ein wenig. "…ich bin nicht mehr panisch, Kei. Keine Angst. Das ist vorbei…erstmal jedenfalls…aber sie haben SIE mir abgenommen.", sagte er und Wut lag bei diesen letzten Worten in seiner Stimme. "Ich brauche SIE zurück." Keisuke seufzte. "Ist okay, Tooru. Ich sehe, was ich tun kann. Aber dir ist klar, dass das dann nicht einfach wird. Sie werden Erklärungen wollen. Richtige Erklärungen, nicht irgendwas halbgares, was sie bisher bekommen haben." "Sie bekommen nicht mehr, als sie vorher wussten, Kei. Ich will SIE wiederhaben und Feierabend. Keine weitere Diskussion. Das hier ist mein Privatleben. Das geht das Management keinen Meter was an und ich bin nicht bereit mir etwas so wichtiges wie SIE abnehmen zu lassen.", erwiderte Kyo todernst. "Okay…wir werden SIE dir zurückholen.", versprach er und drückte Kyo sanft an sich. Seine Hände streichelten über Kyos Rücken, wollten, dass dieser sich wieder entspannte. "Kaoru ist immer noch hier…er hat mich daran gehindert bei dir zu sein…hat drei Tage hier neben dir gesessen und ist nicht einmal weggegangen.", erzählte er Kyo nach einer Weile. Seine Augenbraue wanderte nach oben und er verzog das Gesicht. Drei Tage war er also ein Gefangener seiner selbst gewesen? Eine Ewigkeit nach seinen Maßstäben. Er kuschelte sich an Keisukes Seite, legte seinen Kopf wieder an dessen Schulter und seufzte leise. "…es war eine Ewigkeit…gefangen im schwarzen Teer…und ich kam nicht aus eigener Kraft daraus…", wisperte er an die Schulter seines Geliebten. Ein Zittern durchlief seinen Körper, als er an all die in ihm aufgestauten Emotionen dachte, welche er noch verarbeiten würden müsste. "…ich weiß nicht, ob ich das dieses Mal alleine kann, Kei…ohne, dass ich es zu Ende bringe…langsam aber sicher wird mir das alles zu viel…ich kann damit…mit so vielen Gefühlen nicht umgehen…meine Welt ist nicht mehr nur schwarz und weiß…" Seine Gedanken drifteten immer mehr ab. Keisukes Hand streichelte weiter über Kyos Rücken, während er den Worten des Sängers lauschte. Eine Weile schwieg er, damit Kyo sich weiter äußern konnte, was in ihm vorging, aber da der hübsche Blondschopf in seinen Armen schwieg, sprach er nun. "Du bist nicht allein mit diesen Gefühlen, Tooru. Ich bin bei dir und auch deine Freunde werden dir zur Seite stehen, da bin ich mir ganz sicher." Er hauchte einen Kuss auf Kyos Stirn. "Es wird langsam Zeit, dass Tooru wieder rausgelassen wird und Kyo sich ein wenig zurückzieht. Du bist soweit, dass wir es wagen können…denn obwohl ich dich unterstützt habe, hast du dich diesmal von ganz allein aus diesem Tief befreit. Keine Medikamente, keine Verletzungen waren notwendig. Ich habe dich nur im Arm gehalten und war an deiner Seite, Tooru. Du glaubst nicht, wie stolz ich auf dich bin." Nun war es an Kyo zu lauschen und er lächelte leicht. Er konnte kaum glauben, dass es tatsächlich so wahr. Als sein Blick seinen eigenen Körper hinabstreifte stellte er fest, dass er tatsächlich keine neuen Verletzungen hatte. Lediglich einige ältere schon abheilende Wunden, die er sich auf vorangegangenen Konzerten beigebracht hatte. Auf dem letzten hatte er dazu ja keinerlei Gelegenheit gehabt. "Danke…", war das einzige, was er erwiderte, bevor er sich richtig einkuschelte und leise gähnte. "Bin noch müde.", murmelte er und kaum war die letzte Silbe verklungen, war er auch schon eingeschlafen. Kapitel 4: Wahrheit ------------------- +++Der nächste Morgen+++   Kaoru hatte, nachdem er gegessen und geduscht hatte, tatsächlich die ganze Nacht durchgeschlafen. Jetzt schlug er die Augen auf und blinzelte müde, rieb sich erst einmal den Schlaf aus den Augen, bevor er sich aufsetzte und nach einigen Minuten aus dem Bett krabbelte. Barfuß und nur mit einem Shirt und Boxershorts bekleidet ging er zum Fenster und öffnete es weit, ließ die kühle Morgenluft ins Zimmer und atmete tief durch, um erst einmal richtig wach zu werden. Er streckte sich genüsslich, griff sich dann seine Schachtel Zigaretten vom Nachttisch und setzte sich auf die Fensterbank, um seine Morgenzigarette zu rauchen. Dieses Ritual brauchte er, um vollkommen in der Welt der wachen Menschen anzukommen, bevor er ins Bad ging und sich seiner Morgentoilette widmete. Als er schließlich fertig angezogen war, machte er sich auf den Weg zu Kyos Zimmer. Doch als er die Tür öffnen wollte, stellte er fest, dass diese verschlossen war. //Komisch…davon hat er doch gar nichts gesagt…//, ging es ihm durch den Kopf und er klopfte erst einmal energisch an die Tür. "Keisuke…alles okay? Mach die Tür auf…ich will zu Kyo…", rief er laut.   Keisuke schlief friedlich mit Kyo in seinen Armen, als er von einem energischen Klopfen und Kaorus Stimme geweckt wurde. Müde schälte er sich aus Kyos Umklammerung und krabbelte aus dem Bett, um die Tür zu öffnen, bedachte dabei die Tatsache nicht, dass er nur seine Boxershorts trug. Er rieb sich verschlafen die Augen und gähnte, noch während er die Tür öffnete. "…brüll doch nicht so…Kyo schläft noch.", murmelte er und ging wieder zurück in Richtung Bett, um sich neben Kyo fallen zu lassen.   Träge blinzelte Kyo, als sich seine Wärmequelle a.k.a. Keisuke aus dem Bett entfernte. Er rieb sich verschlafen die Augen und hob den Kopf, sah ihm hinterher. "Kei…", murmelte er ein wenig müde und weinerlich klingend, doch dann krabbelte sein Geliebter auch schon wieder zurück ins Bett und er kuschelte sich wieder an ihn, achtete gar nicht darauf, dass sein Bandleader gerade in sein Schlafzimmer hereinspaziert kam.   Überrascht blinzelte Kaoru, als Keisuke ihm die Tür nur in Boxershorts aufmachte und ihn dann faktisch stehen ließ und zu Kyo ins Bett krabbelte. Einem Kyo, der gerade müde und weinerlich nach dessen Aufmerksamkeit verlangte. Kaoru konnte es kaum glauben und blickte die beiden daher mit großen Augen an. "…was geht hier vor?", erkundigte er sich leise und für seinen innerlich aufgewühlten Zustand viel zu ruhig.   Liebevoll legte er seine Arme um Kyo und zog ihn näher an sich, streichelte ihm über den Rücken und deckte ihn wieder warm zu, bevor er sich Kaoru zuwandte. "…ich hab ihn gestern Abend endlich wachgekriegt…nachdem du weg warst.", erwiderte er vollkommen ruhig und küsste Kyo liebevoll auf die Stirn. "…und bevor du jetzt anfängst zu brüllen…ich habe dich mit Absicht nicht geweckt. Ich wollte Zeit mit Kyo verbringen…allein. Und es ist mein gutes Recht…immerhin bin ich sein langjähriger Partner."   Kyo lugte unter der Decke hervor und erwartete praktisch die Explosion seitens Kaoru, denn er hatte weder Kaoru noch irgendjemandem sonst erzählt, dass er vergeben war. Kaoru wusste lediglich, dass Keisuke sein Therapeut war, wobei diese Aussage am Anfang gestimmt hatte, jetzt allerdings nur noch bedingte Gültigkeit hatte.   Tief atmete Kaoru bei Keisukes Worten durch, besah sich das Bild, welches die beiden Männer im Bett boten. Kyo schien zu erwarten, dass er wütend wurde und auch Keisuke erwartete diese Reaktion von ihm, aber er konnte sich nur zu einem Kopfschütteln durchringen. "Ihr hättet auch was sagen können…beziehungsweise du, Keisuke…dann hätte ich mich zurückgehalten…ich wollte Kyo doch nur nicht allein lassen…das wusste ich doch alles nicht…", äußerte er sich leise und setzte sich zögerlich auf die Bettkante, blickte Kyo dann ernst an. "…wie fühlst du dich? Alles okay?"   Deutlich zeichnete sich die Überraschung über Kaorus Reaktion auf Kyos Gesicht ab, aber er musste auch über Kaorus Gestotter lächeln. "…es geht, Leader-sama…müde…ausgelaugt könnte man sagen, aber das wird wieder. Ich bin bei Kei und alles ist wieder gut.", sagte er und gähnte, drückte sich für einen Moment enger an Kei, bevor er sich aufsetzte. "Es tut mir leid, dass du dir solche Sorgen machen musstest…wirklich…aber es war weder deine noch meine Schuld…", fuhr er fort und wandte seinen Blick kurz Sicherheit suchend zu Keisuke, ergriff dessen Hand, bevor er weitersprach: "Ich brauche meine Klinge wieder…die sie mir vor dem Konzert weggenommen haben. Sie ist wichtig…hätte ich sie gehabt, wäre das hier alles nicht passiert."   Keisuke hielt sich zurück. Ihm war klar, dass Kyo diese Angelegenheit soweit möglich allein klären wollte und daher drückte er auch nur aufmunternd Kyos Hand und gab ihm die Sicherheit, die er verlangte. Auch er setzte sich auf und nahm Kyo von hinten in den Arm und blickte Kaoru ernst an.   "…das muss dir nicht leid tun, Kyo…wirklich nicht…aber was hat das Ganze mit dieser Rasierklinge auf sich? Du weißt, dass sie dir untersagt haben, dich zu verletzen…und was für Ärger das geben wird.", sagte Kaoru und blickte Kyo wirklich fragend an. Der ernste Blick von Keisuke war ihm nicht entgangen, aber so ganz verstand er die Hintergründe nicht und das wollte er gern, bevor er Kyo helfen würde.   Ein leises Seufzen entwischte Kyos Lippen, ehe er es verhindern konnte. Eigentlich war es ihm nicht Recht, Kaoru soviel über sich preiszugeben, aber er hatte den Eindruck, dass er nicht darum herum kommen würde, wenn er Kaorus Hilfe haben wollte. Daher atmete er mehrere Male tief durch, schloss für einen Moment die Augen und lehnte sich dabei in Keisukes warme Umarmung, bevor er anfing zu sprechen. "Diese Rasierklinge ist eine ganz besondere, Kaoru. Sie wurde noch nie benutzt. Ich habe sie von Keisuke bekommen und sie ist mein Fokuspunkt. An ihr hängt ein ganz bestimmtes Versprechen…etwas, das nur Kei und mich angeht, also bitte frag nicht weiter nach. Fakt ist, dass ich diesen Fokus benötige und bei mir tragen muss" Er betonte das letzte Wort besonders. "wenn ich mich unter Kontrolle haben will. Es ist ohnehin schon schwer für mich, mich nicht ständig in meinen Gedanken und Gefühlen zu verlieren, aber dieses Versprechen und die Rasierklinge halten mich im Hier und Jetzt. Wenn ich sie nicht habe…du hast gesehen, was passieren kann. Wenn ich mich selbst verletze, dann tue ich das nicht, um irgendetwas auszudrücken, sondern um einen solchen Absturz, wie ich ihn auf dem Konzert erlebt habe, zu verhindern. …es hätte genauso gut sein können, dass ich einfach nur mit offenen Augen da stehen geblieben wäre und auf nichts mehr reagiert hätte. Als wäre ich in einem gläsernen Käfig gefangen, könnte allem zusehen, aber nicht reagieren…das nennt man Dissoziation und ich möchte diesen Zustand so schnell nicht wiedererleben…also bitte, hol sie mir zurück…du kannst das…mir werden sie SIE sowieso nicht zurückgeben…aber ich brauche sie." Als er endete, atmete er schwer und angestrengt. Es war ihm wirklich schwer gefallen diese Worte zu äußern und sich Kaoru so schutzlos auszuliefern.   Keisuke war stolz auf Kyo. Es war ein großer Schritt für ihn, jemanden außer ihm selbst um Hilfe zu bitten. Er lächelte Kyo an und drückte ihm einen warmen Kuss auf die Lippen. "Das hast du toll gemacht…und jetzt ruh dich noch ein bisschen aus.", sagte er leise und streichelte ihm dabei beruhigend durchs Haar, wusste er doch, dass sein Blondschopf gleich vor Erschöpfung einschlafen würde. Tatsächlich dauerte es nicht lang und er hatte einen schlafenden Kyo in seinen Armen liegen und das noch, bevor Kaoru überhaupt Gelegenheit hatte, Kyo eine Antwort zu geben.   Kaoru lauschte Kyos Worten voller Aufmerksamkeit und machte sich eine ganze Weile so seine Gedanken dazu. Als er sich Kyo dann zuwandte, um ihm eine Antwort zu geben, sah er, dass der Sänger schon wieder schlief. Er schmunzelte leicht, blickte Keisuke dann ernst an. "Wenn er wieder fit ist, reden wir noch mal in Ruhe über diese Beziehungskiste…aber jetzt mach ich mich auf den Weg und hol ihm seine Klinge wieder…er scheint sie wirklich zu brauchen.", sagte er und wartete noch nicht einmal eine Antwort von seinem Gegenüber ab, sondern verließ das Haus um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Kapitel 5: Unsicherheit ----------------------- +++4 Tage später+++   Kyo saß unruhig auf der kleinen Bank unter dem Kirschbaum im Garten. Sein Blick schweifte unstet umher und er war sich nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Kaoru war vor vier Tagen nach Tokyo zurück gefahren, um ihm seine Klinge zurückzuholen, aber bisher hatte er noch keine Rückmeldung von seinem Bandleader und Freund. Diese Funkstille verunsicherte ihn deutlich sichtbar und er hatte sich Ablenkung gesucht. Keisuke hatte ihm vor zwei Tagen erlaubt wieder aufzustehen und nachdem er ausgiebig gebadet hatte, hatte er im Garten Zuflucht gesucht. Jetzt saß er in einen der warmen Yukata seines Liebsten eingehüllt und lauschte dem leisen, gleichmäßigen Klickklock des Bambusbrunnens und beobachtete die Kois im Teich. Ab und an schweifte sein Blick hinauf zum Haus. Er liebte den Anblick des alten im japanischen Stil gebauten Hauses, auch wenn es von innen mit all den neuzeitlichen Annehmlichkeiten ausgestattet war, so hatte es doch noch die alten Reispapiertüren und wirkte ganz so, als hätte es schon zur Zeit der Meijirestauration hier gestanden.   Drei Tage und einige endlose Diskussionen hatte es gefordert, bevor das Management nachgegeben und Kyos Besitz wieder an Kaoru ausgehändigt hatte. Jetzt, am Morgen des vierten Tages, befand er sich gerade auf der Autobahn in Richtung Kyoto und stand im Stau. Ungeduld machte sich in ihm breit, denn er wollte zurück zu Kyo und ihm dieses für ihn so wichtige Utensil aushändigen. Da er nicht wusste, wie lang er brauchen würde, nutzte er seine Freisprechanlage und rief auf Kyos Handy an.   Keisuke war gerade von seinem Arbeitszimmer auf dem Weg in die Küche, als er Kyos Stimme durch das Haus hallen hörte. Erst irritierte es ihn, dass er ihn singen hörte, doch dann begriff er, dass es sich um Kyos Handy handelte. Genauer gesagt um Kyos Klingelton. Er folgte Kyos Stimme, welche 'Ain't afraid to die' zum Besten gab und nahm den Anruf schließlich entgegen. "Hallo, Kiriyama bei Niimura.", meldete er sich.   "Keisuke? Ich bin's…Kaoru…ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich SIE endlich habe…ich bin auf dem Weg zu euch, aber steh im Stau…das wird wohl noch ein Weilchen dauern…aber sag's Kyo schon mal…ich denke mal, er wird sich Sorgen machen, weil ich mich nicht gemeldet hab, oder?", sprach Kaoru und freute sich, da er endlich mal wieder ein paar Meter vorwärts kam.   "Kaoru…schön von dir zu hören…ja…er macht sich wirklich schon die ganzen letzten Tage Gedanken…ich kann ihn kaum ablenken…nicht mal Texten hilft ihm", sagte Keisuke und fuhr sich durch die dunklen Haare. "Im Moment ist er im Garten…ich werde gleich zu ihm gehen und mit ihm reden. Fahr du einfach nur vorsichtig und pass auf dich auf."   "Ja, das werde ich machen…pass du mir gut auf ihn auf.", erwiderte Kaoru und beendete dann das Gespräch, wollte er Keisuke doch nicht unnötig aufhalten.   Keisuke verabschiedete sich ruhig von Kaoru, legte dann Kyos Handy wieder auf die Anrichte im Flur und machte sich auf den Weg in den Garten. Mit einem Lächeln stellte er fest, dass Kyo mal wieder einen seiner Yukata stibitzt hatte und unterm Kirschbaum saß. Er sah wirklich hübsch darin aus und er konnte nicht verhindern, dass er sein Handy zückte und einige Schnappschüsse von Kyo in seiner nachdenklichen Position zu machen, bevor er zu ihm kam.   Kyo blinzelte leicht, als er hörte, wie die Reispapiertür zum Garten aufgeschoben wurde und Keisuke heraustrat, hob aber den Kopf nicht. Erst als er dieses typische Kamerageräusch hörte, welches Keisukes Smartphone von sich gab, als dieser einige Fotos machte, blickte er hoch und zog einen Schmollmund. "Mou…Kei-chan…du weißt, dass ich das nicht mag.", schmollte er und sah seinen Lebensgefährten mit seinen braunen Kulleraugen an.   Als er Kyo so gucken sah, musste er schmunzeln. "Aber ich mag es, dich so zu fotografieren. Das gibt viel schönere Bilder als diese ganzen Fotoshoots je hervorbringen würden.", sagte er und setzte sich neben Kyo, nahm ihn sanft in den Arm und hauchte einen Kuss auf seinen Schmollmund.   Keisukes Aussage beruhigte ihn und als er dann noch so sanft geküsst wurde, verflog auch der letzte Rest an schlechter Laune. Er löste sich nach einigen Momenten aus dem Kuss und blickte Keisuke neugierig an. "Was hat sich aus dem Arbeitszimmer getrieben? Ich dachte, du hast noch zu tun.", erkundigte er sich und lehnte sich zeitgleich in die sanfte Umarmung.   "Kaoru hat sich gemeldet…er ist auf dem Weg hierher, steht aber leider im Stau…er hat sie endlich wieder…hat wohl eine Weile gedauert, das Management zu überzeugen", sagte er und hob seine Hand, um Kyo durch die weichen, blonden Haare zu streicheln.   Erleichterung machte sich in Kyo breit und er lehnte sich jetzt merklich entspannt in Keisukes Arme und schloss die Augen. "Gott sei dank…ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun würde.", wisperte er leise und schloss die Augen für einige Momente. Er genoss die Wärme, die sein Schatz verströmte und fuhr sich mit seiner Hand abwesend über die Augen. "Ich bin froh, wenn ich sie endlich wieder in den Händen halte…ohne unser Versprechen…ohne sie…könnte ich nie beenden, was damals angefangen hat…wenn es zu schlimm wird.", wisperte er leise.   Keisuke schloss seine Augen und lehnte seinen Kopf gegen den Stamm des Kirschbaumes in seinem Rücken. Er mochte es nicht, wenn Kyo davon sprach, seinem Leben ein Ende zu setzen, aber er hatte ihm versprochen, ihn ziehen zu lassen, sollte ihm das alles jemals zu viel werden. Im Gegenzug dafür würde Kyo versuchen, solange durchzuhalten, wie es eben ging, und aus diesen Versuchen durchzuhalten und Kyos Besuchen zusätzlich zu ihren Therapiesitzungen hatte sich irgendwann ihre jetzige Beziehung entwickelt. "Du weißt, dass ich nicht mag, wenn du darüber sprichst, dich umzubringen…wenn es soweit ist…dann sag es mir…aber nicht vorher…ich werde bei dir sein, aber ich möchte nicht darüber nachdenken, dass ich dich jederzeit verlieren könnte, Tooru.", sagte er ebenso leise wie Kyo und atmete tief durch.   Kyo nickte leicht. "Hai…ich weiß…tut mir leid, Kei…wirklich. Aber du weißt, wie wichtig das für mich ist.", meinte er und horchte dann auf. "Da kommt jemand ums Haus."   Kaoru war erleichtert, als er endlich die Autobahn verlassen konnte. Letztendlich hatte der Stau sich dann doch recht schnell aufgelöst und er konnte zügig weiter in Richtung Kyoto und zu Kyo und Keisuke. Er parkte und ging ums Haus herum, da er ja wusste, das Kyo sich dort aufhalten würde. Als er um das Haus herumtrat und die beiden Männer unter dem Kirschbaum sitzen sah, musste er lächeln. Sie sahen beide so friedlich und entspannt aus, wie er sie noch nie gesehen hatte. Der Bandleader ging langsam näher und winkte, zog dann das wichtigste für seinen Bandkollegen aus der Tasche. "Hier ist SIE…", sagte er und legte die Klinge ohne zu zögern in Kyos bereits ausgestreckte Hand.   Ganz behutsam betrachtete Kyo die eingesiegelte Rasierklinge in seiner Handfläche und atmete erleichtert auf. "Gott sei dank…", murmelte er und lächelte Kaoru dankbar an. "Danke, Kao…wirklich…damit hast du mir das Leben gerettet."   ~Owari~   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)