Merciless Cult von ScarsLikeVelvet ================================================================================ Kapitel 1: Gefangen im schwarzen Teer der Gefühle ------------------------------------------------- Merciless Cult dröhnte durch die Konzerthalle. Kyos Augen waren geschlossen, während er die Lyrics halb sang, halb shoutete und sich vom Rhythmus der Musik tragen ließ. Er legte sein gesamtes Herzblut in dieses Lied, um das Leid in ihm selbst zum Ausdruck zu bringen. Nicht, dass es irgendjemanden interessiert hätte, was er empfand. Die Fans dachten, dass alles wäre nur ein Spiel, dass er nur so tat, als würde er dieses Leid empfinden und sich auch nicht selbst auf der Bühne verletzen. Nahmen an, dass es sich nur um Kunstblut und gefakte Wunden handelte, aber das Gegenteil war der Fall. Innerlich wurde er regelmäßig von seinen Gefühlen zerrissen und kannte nur zwei Auswege. Entweder er wandelte diese Gefühle in Lieder um oder er verletzte sich selbst. Einen anderen Weg gab es für ihn nicht. Seine Gedanken schweiften ab, während er mechanisch den nächsten Song anstimmte, verloren sich schon wieder in einer schwarzen Abwärtsspirale und er hatte das Gefühl, als hätte er Watte in den Ohren. Kein Laut drang mehr zu ihm durch, was Angst und Panik in ihm aufsteigen ließ und dazu führte, dass er schlussendlich sein Mikro fallen ließ. Das Poltern des Mikrofons hallte durch die Konzerthalle, aber Kyo nahm es nicht wahr. Seine Hände lagen an seinen Ohren und er warf seinen Kopf in den Nacken und schrie, schrie seine Angst und Panik hinaus in die Welt, aber alle hielten es für ein Spiel. Selbst seine Freunde. Keiner von ihnen schien zu bemerken, wie schlecht es ihm gerade ging. Erst als er nach Minutenlangem Spiel der Musik nicht wieder mit seinem Gesang einsetzte, wurden sie aufmerksam und ihre Instrumente verstummten. Doch auch das nahm der Sänger nicht wahr, schrie noch immer laut und vernehmlich, schien nicht einmal richtig Luft zu holen. Vorsichtig, beinahe zögerlich näherten sich Kaoru und Daisuke dem Sänger, knieten sich neben ihn und sahen sich nur kurz an, bevor Daisuke den Sänger auf den Arm nahm und von der Bühne brachte, während Kaoru sich nur kurz ans Publikum wandte, den Rest der Band dann auch von der Bühne winkte. Als Kaoru ihre Garderobe betrat, sah er Kyo auf dem Sofa liegen. Der Blondschopf hatte noch immer die Hände auf die Ohren gepresst und sich auf der Seite liegend eingerollt, aber wenigstens schrie er nicht mehr. Dafür entkam seinen Lippen in regelmäßigen Abständen ein leises Wimmern, was nicht gerade zu Kaorus Beruhigung betrug. Fragend blickte er zu Daisuke, welcher neben dem Sofa kniete und Kyo immer wieder beruhigend durchs Haar streichelte. "Ich weiß nicht, was los ist…Kao…er hat bisher kein Wort gesagt…", sagte der Rhythmusgitarrist leise, ließ seine Finger weiterhin durch Kyos verschwitzte Haare gleiten, um ihn zu beruhigen. "…aber er scheint richtig panisch zu sein…Angst zu haben…Shin und Totchi sind losgezogen, um den Arzt zu holen…so kann das nicht weitergehen", fuhr er fort und blickte voller Sorge auf Kyo hinunter. Kyo verlor sich noch immer in seiner Panik und nahm kaum etwas von seiner Umwelt wahr. Einzig eine Hand, die behutsam durch sein Haar strich, verankerte ihn noch mit der Realität. Seine Augen waren zusammengekniffen und er rang keuchend nach Luft, als wäre er ewig weit gerannt. Immer wieder wimmerte er leise auf, als die schwarze Abwärtsspirale seiner Gedanken sich immer schneller drehte und er das Gefühl hatte sich selbst vollkommen zu verlieren. Mehr als deutlich konnte Kaoru sehen, wie es Kyo von Minute zu Minute schlechter ging. Er setzte sich auf das Sofa zu Kyos Füßen und streichelte ihm über den Rücken, versuchte so ihm mehr Halt in der Realität zu geben, denn er wusste, dass genau das der Grund für Kyos Panik war. Vor Jahren war dies schon einmal passiert. Damals war er der einzige, der sich Kyo in diesem Zustand ansehen musste und versucht hatte ihm darüber hinweg zu helfen. Er hoffte inständig, dass der Arzt bald eintreffen würde, denn ansonsten hatte er nur eine Möglichkeit Kyos Kontakt zur Realität wiederherzustellen und er war nicht sonderlich erpicht darauf, Kyo zu verletzen. Sein Blick wanderte zu Daisuke und er zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln. Es würde nichts bringen, wenn er selbst jetzt auch noch den Kopf verlor. "Das wird schon wieder, Daidai. Kyo ist zäh.", sagte er. Zweifelnd erwiderte der rothaarige Gitarrist den Blick seines Freundes, erwiderte allerdings nichts auf dessen Aussage. Stattdessen wanderte sein Blick zur Tür, die Sekunden später endlich aufgestoßen wurde und Shinya, Toshiya und einen Mann in neonroter Jacke und ansonsten weißer Kleidung einließ. Ganz offensichtlich war es ein Mitarbeiter des Rettungsdienstes, ein Notarzt, wenn die Beschriftung der Jacke stimmte. Erleichterung breitete sich in Daisukes Körper aus und er rückte ein wenig zur Seite, machte dem Mann Platz, aber behielt sein sanftes Streicheln bei. Er war sich nicht sicher, was geschehen würde, wenn er damit aufhörte. Der Notarzt stellte sich knapp vor. "Mein Name ist Ryohei Tateno, Notarzt. Was genau ist vorgefallen?", erkundigte er sich ruhig, während er routiniert begann das wimmernde Bündel Mensch auf dem Sofa zu untersuchen. Zunächst verschaffte er sich einen Überblick über Pulsfrequenz, Blutdruck, Blutzucker und Bewusstseinszustand. Tief durchatmend schloss Kaoru für einige Sekunden die Augen. "Jungs…geht bitte vor die Tür.", bat er leise und sah im nächsten Moment das Erstaunen und den Widerwillen in den Augen seiner Kollegen. "Kyo wollte nicht, dass ihr es erfahrt…bitte…wir sprechen später darüber", bat er sanft und zu seinem Erstaunen verlor keiner der anderen drei ein Wort. Daisuke hauchte lediglich noch einen sanften Kuss auf Kyos Stirn, bevor er sich erhob und gemeinsam mit Shinya und Toshiya wortlos den Raum verließ. Kaorus Blick heftete sich auf das zitternde und wimmernde Bündel Mensch neben sich und warf all seine Bedenken über Bord, zog Kyo auf seinen Schoss, so dass er mit dem Rücken gegen ihn lehnte und legte seine Hand an Kyos Stirn, drückte ihn leicht mit dem Hinterkopf gegen seine Schulter. "Shhh…ich bin da, Kyo. Dir wird nichts geschehen.", wisperte er in Kyos Ohr und wandte dann seine Aufmerksamkeit dem Arzt zu. "…Kyo hat während dem Konzert…den Bezug zur Realität verloren…beziehungsweise zu dieser Realität…er ist in Panik geraten und hat geschrien…Daisuke konnte ihn wohl ein wenig beruhigen, aber so wie ich die Situation einschätze, befindet er sich immer noch in einer gefühlsmäßigen Abwärtsspirale…so hat er es jedenfalls früher genannt." "Also sind solche Situationen schon mehrfach vorgekommen?", erkundigte Tateno sich, während er auf Kyos Arm nach einer brauchbaren Vene suchte, damit er dem Sänger eine Infusion legen konnte. Kaoru schnaubte leise. "…wir hatten schon lange nicht mehr den Fall, dass er soweit abgedriftet ist. Normalerweise kann er die Situation gut einschätzen und weiß sich selbst zu helfen…auch wenn weder Kiriyama-sensei noch ich von seinen Methoden begeistert sind…uns ist es lieber, er fügt sich ein paar harmlose Schnitte zu, als sich so sehr selbst zu verlieren.", gestand Kaoru, streichelte beruhigend über Kyos verschwitzte, nackte Brust. "Also ist er in Behandlung? Konnten sie die Symptome nicht erkennen und Kyo-san rechtzeitig warnen?", erkundigte er sich weiter, fand endlich eine halbwegs brauchbare Vene und versuchte einen Zugang zu legen. "Das Management hat Kyo verboten sich auf der Bühne zu verletzen. Sie haben ihn heute vor dem Konzert gefilzt und ihm alle scharfen Gegenstände abgenommen. Sie mögen es nicht, wenn er sich verletzt, egal wie oft er ihnen erklärt, dass er diese Art der Behandlung mit seinem Arzt abgesprochen hat und dass die Alternativen noch weit weniger schön für alle Beteiligten wären." Kaorus Blick wanderte über Kyos Körper, fixierte sich dann aber wieder auf den Arzt. "…die Alternative wäre ihn dauerhaft mit so starken Medikamenten zuzudröhnen, dass er nichts mehr fühlt, aber das geht auch nicht und Kyo will das auch nicht…und ich ehrlich gesagt auch nicht. Es reicht, dass wir gemeinsam seine Drogensucht überwunden haben beziehungsweise sie gegen harmlosere Varianten getauscht haben…da muss der Scheiß nicht wieder von vorne anfangen." Dr. Tateno schob die Nadel in Kyos Vene und setzte Sekunden später eine Spritze an den Aufsatz, spritzte Kyo ein Beruhigungsmittel. Zufrieden beobachtete er, wie sein Patient nach einigen Momenten aufhörte zu wimmern und sein Körper gegen den seines Bandkollegen erschlaffte. "Er schläft jetzt. Warten wir ab, wie es ihm geht, wenn er aufwacht, Kaoru-san.", sagte er und ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder. Kaorus Lippen entwischte ein leises Seufzen und er ließ seinen Kopf für einen Moment in den Nacken sinken. Das würde jetzt erst recht Stress geben, den Kyo so rein gar nicht gebrauchen konnte. Er hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder er stellte sich diesem Schlamassel und damit dem Management oder er schnappte sich Kyo, packte ihn ins Auto und fuhr mit ihm nach Kyoto. "…ist er stabil genug, dass ich mit ihm wegfahren kann?", wollte er wissen. "Meinen sie, es ist klug ihn jetzt hier wegzubringen? Aus seiner gewohnten Umgebung?", erkundigte sich der Arzt. "Von medizinischer Seite spricht nichts dagegen, aber ich kann nicht abschätzen, wie er emotional reagieren wird. Was haben sie genau mit ihm vor?" Seine Arme drückten Kyo ein wenig enger an sich, als dieser sich im Schlaf ein wenig bewegte. "…ich möchte mit ihm nach Kyoto zu Kiriyama-sensei. Ich glaube, es ist das beste für ihn, wenn er sich erstmal Zeit für sich nimmt und wieder auf die Beine kommt und das kann er bei Keisuke nun mal am besten." Nachdenklich blickte Dr. Tateno die beiden Männer an, nickte dann aber leicht. "Okay, in Ordnung. Allerdings werde ich ihnen dann jetzt noch zwei Spritzen mit Beruhigungsmittel und einen kurzen Bericht mitgeben. Den Zugang werde ich in seiner Hand lassen, damit sie sie ohne Probleme verabreichen können, falls er auf dem Weg nach Kyoto nochmals in Panik verfällt. Ich wäre dafür, wenn sie sich sofort auf den Weg machen und ihn zu seinem Arzt bringen und sich dann kurz bei mir melden, damit ich weiß, dass alles gut gelaufen ist.", sagte er ernst. Unter normalen Umständen würde er eine solche Aktion niemals dulden, sondern seinen Patienten ins Krankenhaus bringen, aber er hatte den Eindruck, dass dies nichts bringen würde. Daher stimmte er der Bitte des Bandleaders zu. "Ich lasse ihre Freunde wieder herein, die können ihnen beim Packen helfen." "Okay…ich danke ihnen, Dr. Tateno", sagte Kaoru und verneigte sich so gut es mit Kyo in seinen Armen ging. Die beiden Spritzen hatte er schon in seiner Tasche verschwinden lassen, da er nicht wollte, dass die anderen sie sahen. Daisuke lief die ganze Zeit vor der geschlossenen Tür auf und ab, sorgte sich sehr um den Sänger. Immer wieder versuchte er an der Tür zu lauschen, konnte jedoch kein Wort der ruhigen Unterhaltung zwischen Arzt und Leadgitarrist ausmachen. Als dann die Tür nach für ihn schier endloser Zeit geöffnet wurde, drängte er sich in den Raum, sah voller Sorgen und ebenso vieler Fragen zu Kaoru. Kaoru lächelte leicht, als er Daisuke in den Raum stürmen sah. "Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, Dai. Er hat ein Beruhigungsmittel bekommen und schläft jetzt.", erklärte er ruhig, erhob sich dabei vorsichtig mit Kyo in den Armen. Er zögerte kurz, entschloss sich dann aber doch, Kyo auf dem Sofa abzulegen und zuzudecken. "Hilf mir bitte Kyos und meine Sachen zu packen. Ich werde ihn erstmal hier wegbringen." Nur kurz zögerte der Rhythmusgitarrist, nickte dann aber und begann Kyos Sachen zusammenzusuchen. Er stopfte sie in Kyos Umhängetasche, blickte dann wieder zu Kaoru und hielt sie ihm entgegen. "Wohin wirst du mit ihm gehen?", erkundigte er sich leise, klang unwillig die beiden einfach so gehen lassen. "An einen Ort, von dem ich weiß, dass Kyo sich dort sicher fühlt…mehr müsst ihr vorerst nicht wissen. Ich will nicht, dass ihm das Management noch weiter im Nacken hängt. Wir haben ja heute gesehen, wohin ihre Sorge führt.", erklärte Kaoru und schnappte sich die Umhängetasche, hängte sie sich zusätzlich zu seiner eigenen um und nahm dann den kleinen, schlafenden Körper von Dir en greys Sänger in seine Arme. "Machst du mir die Türen auf? Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen…bevor uns das Management kriegt." Wieder nickte Daisuke und kam sich dabei vor wie ein Specht. Was anderes hatte er in den letzten Minuten nämlich kaum getan. Er trat an die Tür, öffnete sie und warf dann einen Blick hinaus in den Gang. "Die Luft ist rein.", sagte er. Abgesehen von Shinya und Toshiya war im Moment niemand auf dem Gang. Mit langen Schritten trat Kaoru auf den Gang, ignorierte die beiden Bandküken, während er den Gang hinuntersprintete. In ihm brannte das Verlangen Kyo wegzubringen. Es dauerte nicht lange, da hatte er unbeobachtet sein Auto erreicht. Er jonglierte etwas mit Kyo und den Taschen, bevor er die Tür an der Beifahrerseite geöffnet hatte und Kyo behutsam auf dem Sitz absetzte, um ihn dann sorgsam anzugurten, bevor der Sänger sich zusammenrollen konnte. Erst dann legte er die Taschen in den Kofferraum und glitt in den Fahrersitz. Er blickte besorgt zu Kyo und streichelte ihm zart über die Wange, bevor er losfuhr in Richtung Kyoto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)