Deplatzierte Genies von Peacer ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ed hielt unbewusst die Luft an, als er die letzten zwei Kabel verband. Ein regelmäßiges, elektrisches Summen erfüllte den Raum und er blies erleichtert aus. Er mochte zwar noch einmal alles kontrollieren müssen, bevor er sich ganz sicher sein konnte, dass auch wirklich alles so lief, wie es sollte, aber er war schon glücklich, endlich soweit gekommen zu sein. Und zuversichtlich, dass seine Konstruktion funktionierte. Er machte keine Fehler. Trotzdem, sicher war sicher. Er erhob sich aus seiner hockenden Position und streckte sich erst einmal ausgiebig. Mit seiner guten Hand strich er sich ein paar blonde Strähnen aus der schweißnassen Stirn, ehe er den goldenen Blick durch das Lagerhaus schweifen ließ. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er sein vollendetes Meisterwerk betrachtete: ein wahres Monstrum aus Maschinen, Kabeln und Transmutationskreisen. Das Herzstück war eine riesige Zeichnung, welche die Mitte des Raumes einnahm und der komplizierteste Kreis war, den Ed je entworfen hatte. Er hatte so viele Komponenten, dass es schwer war, alle auseinander zu halten. Jeder andere würde sich darin komplett verlieren, aber Ed war schon immer speziell gewesen. Er hatte sehr lange hierfür gearbeitet und es erfüllte ihn mit Stolz und einem gewissen Maß an kindlicher Vorfreude, endlich soweit gekommen zu sein. Ed würde endlich nach Hause zurückkehren. Wenn alles funktionierte, wie er es berechnet hatte, hieß das. Aber er war guter Dinge. Nach zehn langen Jahren Forschung und Experimenten und Berechnungen und Kontrollen war ihm bestimmt kein Fehler unterlaufen. Trotzdem würde er noch einmal alles überprüfen. Die Zeiten, in denen er sich ohne Plan und voreilig in irgendein Abenteuer stürzte waren vorbei. Dafür war das hier viel zu wichtig. Immerhin ging es darum, Al wiederzusehen. Es kostete ihn ein paar weitere Tage, um noch einmal sämtliche Anschlüsse, Verkabelungen und Zeichnungen akribisch zu kontrollieren, aber das war nichts nach der langen Zeit der Forschung. Außerdem war es die perfekte Beschäftigung, um die Zeit zu überbrücken, während er auf die richtigen Wetterkonditionen wartete. Zum Glück waren Unwetter kein seltenes Phänomen in Cardiff und er musste sich nicht allzu lange gedulden, bis wieder einmal eins aufzog. Allzu lange hätte er es nicht ausgehalten. Jetzt, da sein Werk vollbracht war und er nichts mehr zu tun hatte als wieder und wieder alles zu überprüfen, bis ihm der Kopf weh tat. Er hatte das letzte Jahrzehnt auf die Vervollständigung dieser Konstruktion hingearbeitet und wusste nichts mit sich anzufangen, jetzt, da sie fertig war. Ed war nicht daran gewöhnt, kein klares Ziel vor Augen zu haben. Ein lautes Donnern ertönte und ein Gefühl der Erleichterung und der Vorfreude überschwemmte ihn. Augenblicklich verließ er seine Bleibe, ließ alles zurück ohne auch nur einen letzten Blick daran zu verschwenden, und rannte die paar Meter zu seinem Lagerhaus. Der Regen durchnässte ihn bis auf die Haut, aber das störte ihn kein bisschen, er bemerkte es nicht einmal. Sein wild klopfendes Herz hielt ihn warm und mit einem Grinsen im Gesicht betätigte er endlich den Schalter. Seine Hand zitterte zum ersten Mal, seit er in dieser Welt gestrandet war. Als das Surren den Raum erfüllte, wurde sein Grinsen noch breiter und sein Herz passte sich dem rhythmischen Pulsieren der Lichter, die das Lager zu erfüllen begannen, an. Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber diese fühlten sich wie eine kleine Ewigkeit an, bis sich das pechschwarze, riesige Tor zu materialisieren begann. Es erschien in der Mitte des Raumes, genau über dem Transmutationskreis, an dem er so lange gearbeitet hatte und der nun bewies, dass er seinen Zweck erfüllte. Es flackerte noch ein bisschen während es Energie aus dem Gewitter zog, aber es war schon perfekt, so fehl am Platz es auch aussah inmitten der ganzen Maschinerie. Er war auf dem Weg nach Hause. „Al, ich komme,“ flüsterte Ed und trat einen entschlossenen Schritt auf das beängstigende Tor zu, auf das er all seine Hoffnungen setzte, obwohl er noch nie gute Erfahrungen damit gemacht hatte. Aber dem Gesetz des Äquivalenten Tausches nach musste es diesmal einfach klappen. Er hatte soviel gegeben, es war nur logisch, dass er nun endlich etwas zurückbekam. Gerade, als er die Hand nach dem Tor ausstreckte, flog mit einem lautem Krachen die Tür zum Lagerhaus auf und ein eisiger Windzug hielt Einhalt in dem ohnehin schon unterkühlten Raum, während ein lautes Donnern zu vernehmen war. Ed wirbelte herum, zornig über die Unterbrechung, welche seine so lang ersehnte Rückkehr hinauszögerte und bereit, den unerwünschten Eindringling im hohen Bogen hinauszuschmeißen, aber seine Schimpftirade erstickte im Keim, als er der ungewöhnlichen Gestalt in der Tür gewahr wurde. Es war ein hochgewachsener, schlaksiger Mann, aber damit hatte es sich schon mit Normalität. Seine Haare trotzten allen Regeln der Gravitation und standen in alle Richtungen ab, obwohl sie nass waren, was wohl zur gleichen Maßen dem draußen herrschendem Sturm und der ungeduldigen Hand, die sie weiter zerzauste, zu verdanken war. Ungewöhnlich war aber vor allem seine Kleidung: der lange Mantel, an sich nicht außergewöhnlich, aber nichts, was Ed in dieser Welt und Zeit bisher zu Gesicht bekommen hatte, aber vor allem die Limette-grünen Schuhe, die aussahen, als würden sie nicht ganz viel aushalten und eindeutig schon bessere und vor allem trockenere Zeiten erlebt hatte. Edward hätte den Mann als Clown abgetan, wäre da nicht dieses kleine, blinkende Gerät in seiner Hand, das ein eigentümliches Summen von sich gab. Jeder andere hätte es wohl für ein Spielzeug gehalten, aber Ed war nicht umsonst als Genie bekannt. Er erkannte Technik, auch ihm unbekannte. Er hatte schon zu viel gesehen, um solche Sachen leichthin abzutun. Das und der ernste Gesichtsausdruck mit den furchtbar alten Augen, die sogar nicht in das junge Gesicht zu passen schienen überzeugten ihn, dass er es nicht mit einem dahergelaufenen Verrückten zu tun hatte. Er hatte ein ungutes Gefühl. Der Mann wedelte noch ein bisschen mit seinem Zauberstab herum, ehe er nickte und es in eine seiner zahlreichen Taschen steckte. „Jep, das Signal kommt eindeutig von hier.“ Er sah sich um und pfiff anerkennend durch die Zähne. „Fantastisch. Das hier ist der momentanen Technologie um Jahre voraus. Um fast hundert, würde ich sagen. Wirklich brillant.“ „Wer zum Teufel bist du?“, unterbrach Ed ungeduldig den Monolog des Fremden und warf einen prüfenden Blick auf seine Messwerte. Bisher war alles mehr oder weniger stabil, aber das konnte sich schnell ändern, von dem Gewitter abhängig. Er wollte lieber nichts riskieren, keine Zeit mir irgendwelchen Fremden vertrödeln. Er hatte zu viel hierin investiert, um sich jetzt von einem dahergelaufenen Clown stören zu lassen. Wer wusste schon, wie lange das nächste Gewitter auf sich warten lassen würde. „Ich bin der Doktor“, antwortete dieser geistesabwesend, während er sich weiter aufmerksam umsah, fast so, als würde er verstehen, wie Eds Meisterwerk funktionierte. Was natürlich völlig absurd war. Und überhaupt, was für ein Verrückter stellte sich als Doktor vor? „Doktor hin oder her, ich bin gerade etwas beschäftigt. Wenn du dir also ein anderes Lager suchen würdest...“ Eds Stimme hatte einen drohenden Unterton, der an diesem Doktor aber anscheinend verloren war, denn er wirkte kein bisschen eingeschüchtert. Ed war sich nicht sicher, ob er ihn einfach überhört hatte oder es ihn schlicht und einfach nicht kümmerte. Dabei war er längst nicht mehr nur auf seine Alchemie angewiesen, um sich Respekt zu verschaffen. Seine Nahkampf Fähigkeiten, vor langen Jahren von seiner Lehrerin eingebläut bekommen, hatte er über die Jahre nur verfeinert und nun, mit einer größeren und kräftigeren Statur, waren sie umso effektiver. „Das kann ich sehen. Es ist wirklich beeindruckend, in diesem Zeitalter eine Verbindung zu einer Parallelwelt zu schaffen. Beeindruckend und gefährlich.“ Ed starrte den Fremden an, geschockt, wie leicht dieser die Situation erkannt hatte. Aber er wäre nicht Edward Elric, wenn er sich nicht schnell von seiner Verwunderung erholt hätte. Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er den Fremden mit neugewonnen Respekt musterte. Kein Verrückter also, sondern ein Genie. Es war manchmal recht schwer, das eine von dem andren zu unterscheiden. Goldene Augen trafen auf braune und Ed sah Intelligenz, aber auch Erschöpfung, die es nicht schafften, das Leid und die unterschwellige Trauer zu verbergen. Es waren Augen,die zu viel gesehen hatten. Sie erinnerten Ed an seinen Vater. „Und was genau geht dich das an?“ Er mochte Genies wie ihn respektieren, aber das änderte nichts an seinem Misstrauen ihnen gegenüber. Oder seiner Feindseligkeit. Er mochte es nicht, wenn sein langjähriges Projekt so leichtfertig in Frage gestellt wurde, noch dazu von irgendeinem dahergelaufenen Doktor. „Nuuuun, ich habe ein gewisses Interesse daran, die Stabilität des Universums zu bewahren.“ Seine Worte waren leicht dahingesagt, aber in seinem Unterton schwang eine dunkle Ernsthaftigkeit mit, die Ed sich innerlich anspannen ließ. Die weiche Hülle schien einen stahlharten Kern zu verbergen, der eine bestimmte Mission verfolgte. Etwas, das Ed nur allzu gut nachvollziehen konnte. „Und ich habe keinerlei Interesse daran, das zu gefährden. Ich will nur nach Hause“, sagte er abwehrend, aber mit Bestimmtheit. Niemand würde ihn jetzt noch aufhalten, so kurz vor der Erfüllung seines größten Wunsches. Der Doktor aber grinste plötzlich und seine Auge funkelten interessiert, jeder Anflug von Bedrohlichkeit vergessen. Er veränderte nicht seine Haltung, aber trotzdem wirkte er plötzlich weitaus entspannter. Wie ein Sturm, der sich legte. „Oh, du bist also nicht von hier?“ Er klang aufgeregt, wie ein kleines Kind beim Geschenke auspacken, und sah ihn mit wissensdurstigen Augen an. Ed hatte keine Ahnung, wie er auf den bizarren Mann reagieren sollte, also griff er auf eine altbekannte Haltung zurück: sarkastische Verachtung. „Offensichtlich. Wenn du mich also entschuldigen würdest...“Damit drehte er sich demonstrativ zurück zum Tor. Er versuchte entspannt zu wirken, erwartete aber insgeheim, dass ihm der Mann in den Rücken fallen würde. Das, oder dass er endlich den Wink mit dem Zaunpfahl verstand und verschwand. Aber so leicht ließ sich der Fremde nicht abwimmeln. „Natürlich“, antwortete er und trat ungefragt an Eds Seite, wo es sich mit vor Begeisterung funkelnden Augen umsah. „Also, wie funktioniert das? Die Grundzüge der Technik sind mir bekannt, aber solche Zeichnungen habe ich noch nie gesehen. Oder solch ein Tor.“ Ein erneutes Donnern war draußen zu vernehmen und Ed verlor allmählich das letzte bisschen seiner ohnehin nur in kleinen Maßen vorhandenen Geduld. „Es sind Transmutationskreise. Alchemie. Sie stabilisieren den Energiefluss und somit das Tor.“ Ein weiteres Donnergrollen. „Energie, die vom Gewitter bezogen wird.“ Üblicherweise versuchte er mit seinem Genie zu bestechen, aber da dies sein Gegenüber kalt zu lassen schien, musste er ihn wohl so los werden. Die Andeutungen schienen glücklicherweise zu genügen, denn der Doktor riss bedauernd seinen Blick von der Konstruktion los und sah stattdessen zu dem Tor. Er nickte. „Natürlich. Geh nach Hause.“ Die Stimme war melancholisch, aber als Ed ihm einen prüfenden Blick zuwarf, war nichts als ein Grinsen zu sehen. Wenn man nicht allzu genau hinsah, hieß das. Ed traf plötzlich die unerklärliche, aber trotzdem sichere Erkenntnis, dass dieser Mann genauso verloren war wie er und keine Bedrohung darstellte. Er streckte ihm aus einer Eingebung heraus, ohne groß darüber nachzudenken, seine Hand entgegen, ebenfalls ein Grinsen im Gesicht, das erste echte, seit er hier gelandet war. Immerhin war er auf dem Weg nach Hause. „Ich bin Edward. Nichts für ungut, aber ich hoffe, wir sehen uns nie wieder.“ Er war sich ziemlich sicher, dass das Grinsen des Doktors auch an Echtheit gewann, als er Eds Hand ergriff. Seine Händedruck war kräftig und warm und ehrlich. „Das hoffe ich auch, Edward. Komm gut nach Hause.“ Seine Augen funkelten mit schelmischer Verschmitztheit. „Ich mache hinter dir zu.“ Und Ed glaubte ihm, diesem Fremden, der trotz allem Vertrauen erweckte. Beruhigt, dass seine Erfindung nicht in falsche Hände geraten würde, trat er auf das Tor zu. Er straffte die Schultern und trat hindurch, ohne noch einmal zurückzublicken. Sein Weg lag vor ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)