Weggehen und etwas anderes machen von Niekas ================================================================================ Kapitel 1: Sechs ---------------- Seine früheste Kindheitserinnerung ist die an den Tag, als er in Papas Arbeitszimmer getapst ist und dort alle Schriftrollen aus dem Regal geräumt hat. Die meisten waren leicht zu öffnen, er hat sich einen Spaß daraus gemacht, sie über den Boden zu rollen. Nur einige hatten seltsame Siegel, ein bisschen wie Wachs, leuchtend orange. Er hat versucht, eines dieser Siegel aufzubrechen mit seinen kurzen, kraftlosen Fingern, aber es hat nicht funktioniert. Er ist wütend geworden und hat die Schriftrolle gegen einen Schrank geschlagen, und plötzlich ist das Siegel explodiert. Es hat überall leuchtend orange Farbe verspritzt, über seine Arme und seine Brust bis ins Gesicht. Vor Schreck hat er angefangen zu weinen. „Was ist denn hier los?“ Er erinnert sich an Papas schwere Schritte hinter ihm. „Biwako! Ich habe doch gesagt, du sollst die Kinder nicht in mein Arbeitszimmer lassen!“ „Asuma? Oh nein, was hast du denn gemacht?“ Er hat weiter geheult, und Biwako hat ihn hochgenommen, wobei sie sich selbst mit oranger Farbe beschmiert hat. „Scht. Ist doch alles gut. Alles gut.“ „So ein Durcheinander!“, hat Hiruzen geschimpft. „Das waren wichtige Dokumente!“ „Warum bewahrst du sie dann in deinem Haus auf? Du hast kleine Kinder!“ „Und auf die sollst du ein Auge haben, das kann ja nicht so schwer sein!“ „Hast du eine Ahnung! Man kann besser einen Sack Flöhe hüten als deine Affenbande, Hiruzen!“ „Meine Affenbande? Unsere Affenbande!“ Danach konnte Asuma sich erst recht nicht mehr beruhigen. Mama und Papa sollen sich nicht streiten. * „Nun, das kommt davon!“, sagt Biwako und lacht. „Man bricht nicht einfach so geheime Siegel des Hokage auf. Aber langsam könnte die Farbe doch wirklich abgehen ...“ Asuma sagt nichts dazu. Er ist sechs Jahre alt und hat gerade eine Stunde in der Badewanne eingeweicht. Von Zeit zu Zeit packt Biwako der Eifer, noch einmal zu versuchen, die drei Jahre alte Farbe ab zu bekommen. Mittlerweile sind die orangen Spritzer auf Asumas Armen, Oberkörper und Kinn stark verblasst, aber ein paar Reste sieht man immer noch. „Sowieso ist das eine seltsame Sicherheitsvorkehrung, die Hiruzen da hat. Ein kleines Betäubungsjutsu wäre doch viel nützlicher.“ Sie hebt Asuma aus der Wanne und trocknet ihn gründlich mit einem Handtuch ab. Asuma angelt nach seiner Schlafanzughose. „Darf ich noch raus, Mama?“ Biwako sieht ihn fragend an. „Wo willst du denn hin? In einer Stunde musst du ins Bett.“ „Nur kurz. Ein bisschen auf die Veranda. Es ist doch so warm, Mama.“ „Also schön.“ Sie rubbelt noch einmal durch seine Haare. „Aber zieh dich ordentlich an. Auch Schuhe!“ „Hmmm“, macht Asuma, der mit den Gedanken woanders ist. Draußen auf der Veranda sitzt Hiruzen mit seiner Pfeife, die Beine verschränkt, ganz still. Asuma bleibt in der Schiebetür stehen und atmet den Rauch ein. Es ist der unverwechselbare Geruch von zu Hause, von Papas Pfeife, die ihm aufs Höchste imponiert, und von Erwachsensein. Erwachsene können so viele Sachen, rauchen und spät auf der Veranda sitzen und seltsame Schriftrollen in ihrem Haus aufbewahren. „Komm doch näher, Asuma.“ Asuma zuckt zusammen, als Hiruzen sich zu ihm umsieht. Er lächelt, die qualmende Pfeife in der rechten Hand. Niemand lächelt so wie er, mit den vielen Falten um den Mund und mit diesen klugen, gütigen Augen. In solchen Momenten fällt Asuma auf, wie gern er ihn eigentlich hat. Barfuß tritt er näher und setzt sich neben Hiruzen, wobei er unwillkürlich dessen Haltung imitiert. „Du bist noch wach?“, fragt Hiruzen. „Ich habe schon gebadet“, antwortet Asuma schnell. „Aber ich wollte zu dir.“ „Warum das denn?“ „Weil du ja sonst nie Zeit hast. Du arbeitest so viel, oder du trainierst irgendwen, nur nicht mich.“ Hiruzen hebt die Augenbrauen, sagt aber nichts dazu, sondern zieht bedächtig an seiner Pfeife. Fasziniert beobachtet Asuma, wie er den Rauch einsaugt und durch Mund und Nase wieder ausstößt. „Wie ein Drache“, rutscht es ihm heraus. Hiruzen schmunzelt. „Soll ich versuchen, Rauchringe zu machen?“ „Mach mal!“ Er nimmt einen tiefen Zug, spitzt die Lippen und versucht es einige Male, aber es gelingt ihm nicht. Sie müssen beide lachen. „Tja, mein Sohn. Es gibt auch Dinge, die dein Vater nicht kann.“ „Obwohl du der Hokage bist?“ „Natürlich.“ Der Gedanke, dass selbst ein Hokage nicht alles können muss, kommt Asuma zum ersten Mal. Er muss Hiruzen einige Sekunden lang anstarren, um darüber nachzudenken. Hiruzen zieht erneut an seiner Pfeife. „Also gebadet hast du?“, fragt er. „Du siehst aber noch ein bisschen dreckig aus. Ist das Farbe an deinem Kinn?“ Asuma reibt über den orangen Fleck, der schon so lange da ist, dass er glaubt, er könnte ihn fühlen. „Das ist von damals. Von dem komischen Siegel.“ „Immer noch?“, fragt Hiruzen überrascht. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Farbe so hartnäckig ist.“ „Warum machst du so was an die Schriftrollen, Papa? Dann kann man sie ja nicht lesen.“ Hiruzen lacht. „Natürlich kann man das – wenn man weiß, wie man das Siegel öffnen muss. Niemand, der nicht eingeweiht ist, kann die Schriftrolle unbemerkt öffnen. Es ist ein Trick, um Geheimnisse zu schützen. Verstehst du?“ Asuma macht große Augen. „Was für Geheimnisse denn?“ „Nun ... ich bin der Hokage. Ich befasse mich mit Dingen, die nicht jeder wissen muss.“ „Kannst du mir ein Geheimnis verraten?“, fragt Asuma aufgeregt. „Nur ins Ohr!“ Erneut muss Hiruzen lachen. „Nein, Asuma. Solche Geheimnisse kann ich nur ausgebildeten Shinobi anvertrauen. Wenn du groß bist ...“ Beleidigt schiebt Asuma die Unterlippe vor. „Mach doch nicht so ein Gesicht. Streng dich an der Akademie an, dann wirst du schon bald ein guter Shinobi sein.“ „Wenn du das willst, warum trainierst du mich dann nicht?“ Hiruzen hebt die Augenbrauen. „Sobald du ein, zwei Jahre auf der Akademie warst und die Grundlagen solide beherrschst, kann ich dir gerne etwas beibringen. Davor gibt es wenig, was ...“ „Die Großen hast du schon trainiert, bevor sie auf der Akademie waren“, unterbricht Asuma ihn. „Schon mit vier.“ „Habe ich nicht.“ „Hast du doch! Hat Mama gesagt.“ „Ja ... doch, sie hat recht. Ich erinnere mich.“ Hiruzen seufzt und strubbelt Asuma durch die etwas nassen Haare. „Verzeih mir, Asuma. Es ist wahrscheinlich, weil du der Jüngste bist.“ „Ich weiß. Ich war gar nicht mehr geplant, sagt Mama. Aber ich bin schon sechs! Du kannst mir ruhig mal irgendwas beibringen. Irgendwas Cooles!“ „Irgendwas Cooles“, wiederholt Hiruzen belustigt. „Die an der Akademie fragen schon immer, was ich für Sachen kann, weil ich der Sohn vom Hokage bin. Und wenn sie merken, dass ich nichts kann, lachen sie mich immer aus. Ich ...“ Asuma spürt, dass er rot wird. „Ich will schon gar nicht mehr sagen, dass ich Sarutobi heiße. Alle lachen immer.“ Hiruzen runzelt die Stirn. „Du brauchst dich für unseren Clan nicht zu schämen, Asuma.“ Er sagt es so ernst, dass Asuma nicht weiß, ob es ein Trost oder ein Vorwurf sein soll. Unbehaglich zieht er seine verschränkten Beine enger zu sich. „Weißt du, welches Tier mit dem Sarutobi-Clan in Verbindung gebracht wird?“, fragt Hiruzen. „Der Affe“, murmelt Asuma. „Deswegen nennt Mama uns doch die Affenbande.“ „Ganz genau. Und was tut ein Affe?“ Asuma zuckt die Achseln. „Bananen fressen. Auf Bäume klettern. Mit Aa werfen.“ „Bäume sind ein gutes Stichwort.“ Hiruzen deutet auf den größten Baum des Gartens, der am anderen Ende der Wiese steht. Oben hat er große, starke Äste dicht an dicht, aber auf den untersten fünf Metern sind sie eher spärlich. „Glaubst du, du kommst diesen Baum hinauf, Asuma?“ „Weiß nicht. Eher nicht.“ „Weißt du, wie du dein Chakra einsetzen musst, um am Baumstamm mehr Halt zu haben?“ „Nein. So was gibt es?“ „Natürlich. Soll ich es dir beibringen?“ Asuma blinzelt einige Male. „Das ... ist nicht so richtig cool, Papa.“ „Aber es hilft hervorragend bei der Chakrakontrolle. Soll ich es dir beibringen oder nicht?“ Es ist das erste Mal, dass Papa ihn trainiert, schießt es Asuma durch den Kopf. Vor Aufregung kann er nichts sagen, also nickt er nur. Hiruzen lächelt und steht auf. „Komm mit. Machen wir ein würdiges Mitglied der Affenbande aus dir.“ Sie trainieren so lange, bis Biwako aus dem Haus kommt und schimpft, es sei schon fast Mitternacht und Asuma müsse längst im Bett liegen, was denkt Hiruzen sich eigentlich? Asuma hat es bis in die dicken Äste oben geschafft, und er hat trotz der Dunkelheit im Garten Hiruzens zufriedenes Lächeln gesehen. Das entschädigt ihn für all die Kratzer von der Baumrinde, die kalten Füße und die eingerissenen Fingernägel. Hiruzen ist froh, und deswegen ist Asuma es auch. „Jetzt könntest du gleich noch einmal baden“, raunt Hiruzen ihm zu, als er ihn die Treppe hoch ins Haus trägt. Asuma schüttelt nur den Kopf, schon schlaftrunken. („Sieh ihn dir an, Hiruzen, der Junge ist ja völlig erschöpft! Du bringst ihn sofort ins Bett!“) So leise wie möglich schiebt Hiruzen die Tür zu Asumas Zimmer auf, legt ihn ins Bett und deckt ihn ordentlich zu. „Wenn ich groß bin“, fragt Asuma, dem schon die Augen zufallen, „werde ich dann so stark wie du?“ „Wenn du hart an dir arbeitest, bestimmt“, antwortet Hiruzen lächelnd. „Kann ich dann auch Pfeife rauchen?“ „Natürlich, wenn du möchtest.“ „Kriege ich einen Bart wie du?“ „Ganz bestimmt. Aber jetzt schläfst du erst einmal. Mit dreckigen Füßen schläft es sich ausgezeichnet, das weiß ich aus Erfahrung.“ Er grinst, und Asuma muss lachen und danach gähnen. „Gute Nacht, kleiner Affe.“ „Gibst du mir noch Mori-san?“, murmelt Asuma und deutet auf die Stofftiere, die aufgereiht an der Wand sitzen. Hiruzen mustert sie überrascht. „Du brauchst ein Stofftier zum einschlafen?“ „Quatsch. Mori-san braucht mich, sonst kann er nicht einschlafen.“ Hiruzen lacht. „Dann kann man da wohl nichts machen. Wer ist es denn? Der hier?“ Er greift nach dem orangen Affen, der ganz links sitzt, aber Asuma schüttelt unwillig den Kopf. „Nicht der. Der Bär.“ Den Affen hat er schon ewig und kann ihn nicht ausstehen. Vielleicht liegt es an den ausgeleierten langen Armen oder den dumm starrenden Glasaugen, aber vielleicht auch einfach an der Farbe. Wann immer Asuma Orange sieht, hat der den Drang, wegzugehen und etwas anderes zu machen. „Das ist also Mori-san? Sehr angenehm.“ Hiruzen reicht den Teddy an Asuma weiter, der ihn sorgfältig neben sich aufs Kopfkissen legt. „Gute Nacht, ihr beiden.“ „Gute Nacht, Papa.“ Hiruzen klopft noch einmal die Decke zurecht und lächelt Asuma zu. „Sicher kommt Mori-san bald in ein Alter, in dem er dich nicht mehr zum einschlafen braucht. Was meinst du?“ „Bestimmt“, sagt Asuma. Solange Hiruzen nicht vorschlägt, stattdessen den orangen Affen mit ins Bett zu nehmen, ist ihm alles recht. Oranger Affe. Also wirklich. Jeden Tag, wenn Asuma von der Akademie kommt, sieht er als erstes nach, ob Hiruzen da ist. Meistens ist er es nicht. In diesem Fall isst er zu Mittag, macht seine Hausaufgaben, klettert dann in den höchsten Baum im Garten und wartet. Er kann lange warten, es ist schön hier oben. Die Blätter malen grüne, zuckende Schatten auf den Ast unter seinen Händen und auf seine nackten Arme. Er kann alles beobachten, seine älteren Geschwister, die manchmal im Garten trainieren und ihn nie bemerken, oder Biwako, wenn sie die Blumen gießt. Er wartet. Irgendwann sieht er Hiruzen auf die Veranda treten, meistens in seinem Hokage-Mantel, aber ohne den Hut, etwas müde nach dem Arbeitstag, etwas gebeugt. Und Asuma reckt den Kopf aus den Blättern und schreit hinunter. „Papa! Guck mal, wo ich bin!“ Jedes Mal hebt Hiruzen den Kopf, tut, als müsse er erst suchen, und lacht dann. Es macht ihm Freude, wenn sein jüngster Sohn durch die Äste turnt wie ein Affe. Und wenn das die einzige Art ist, auf die Asuma seine Aufmerksamkeit erregen kann, dann soll es so sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)