Kiss me hard before you go von Karo_del_Green ================================================================================ Kapitel 29: Die zweifelhafte Ruhe im Sturm ------------------------------------------ Kapitel 29 Die zweifelhafte Ruhe im Sturm Ein Ruck und er kommt mir noch etwas näher. Ich kann ein eigenartig vertrautes Aftershave an ihm riechen. Mateos Gesicht fährt meinen Hals entlang. Sein warmer Atem trifft meine Haut und ich erzittere bei jedem Atemzug. Ich fühle mich wie gelähmt. Auch noch als er seine Bewegung wiederholt und an meinem Ohr stoppt. „Halt dich einfach von ihm fern...vergiss deine glücklichen Beziehungsvorstellungen und das hier bleibt unter uns", sagt er und bohrt mir seine Zähne hart ins Ohrläppchen. Der Schmerz ist auszuhalten und doch wird mein Herzschlag noch eine Schippe heftiger. Als er sich von mir entfernt, greife ich automatisch an mein malträtiertes Ohr. Ich spüre Feuchtigkeit, doch es sind nur Überreste seiner Spucke. Mateo packt mein Kinn und zwingt mich so, ihn anzusehen. Eine letzte stille Warnung. Ein letzter Blick in seine eiskalten blauen Augen und mit einem Grinsen auf den Lippen setzt er sich die Sonnenbrille wieder auf. Ich beobachte, wie er zurück zu seinem Auto geht, wie er einsteigt und eine weitere unendliche Minute unbeweglich darin sitzen bleibt bis er endlich losfährt. Erst danach habe ich das Gefühl wieder atmen zu können. Nur ein klein wenig. Nur so weit, dass ich nicht zusammenklappe. Ich zittere noch immer als ich die Tür zur WG öffne. Mich umfängt Stille, so, wie so oft in den letzten Wochen. Meine Mitbewohner treiben sich wieder in der Weltgeschichte rum. Ihr gutes Recht, doch dieses Mal wünschte ich mir, dass jemand da wäre. Das ich nicht allein wäre. Es ist so still, dass ich meinen Herzschlag hören kann und das macht mich nur noch nervöser. Ich verschließe zum ersten Mal seit langem die Haustür und gehe als erstes ins Badezimmer. Ich kippe mir mehrere große Ladungen Wasser ins Gesicht und rubbele so lange an meinem Ohrläppchen rum, bis es rot leuchtet und es sich anfühlt als würde mir das Ohr gleich abfallen. Es ist unangenehm, doch in diesen Moment hilft es mir klarer zu denken. Danach gehe ich in die Küche. Ich sitze einfach nur da und starre auf einen imaginären Punkt im Raum. Mateo weiß von mir. Nun ist es keine Spekulation mehr, sondern eine Tatsache. Und das sorgt gerade für Tabula rasa in meinem Inneren. Alles scheint sich zu verknoten und zu verdrehen. Ich beuge mich vor und wieder zurück, aber keine der Positionen bringt eine Besserung. Es dauert eine ganze Weile bis ich mich aus meinem chaotischen Zustand befreien kann und zum Kühlschrank laufe. Ich öffne ihn, um ihm im selben Moment wieder zu schließen. Ich wiederhole es. Stumpf und gedanklich vollkommen woanders. Als auch das sechste Mal kein Ergebnis liefert, besinne ich mich und greife mir den Wasserkocher. Ein Tee wird mir bestimmt helfen. Tee beruhigt. So sagt man es doch. Meine Hände zittern. Ich nehme mir etwas von dem Kräuterteevorrat von Marie und warte darauf, dass das Wasser endlich kocht. Entspannung, Entspannung ist gut. Es wiederholt sich mehrere Mal in meinem Kopf. Danach setze ich mich wieder hin. Ich fühle mich nicht besser. Kein bisschen klarer als vorher. Meine Finger beben und ich sehe deutlich, wie der Tee in meiner Tasse Wellen schlägt. Es klirrt, als ich das Geschirr auf dem Holztisch abstelle. Ich lehne mich zurück und starre auf die hässliche Wachstischdecke, die Marie vor einer Weile besorgt hat. Ein wirklich absurd scheußliches Ungetüm mit gelb, orangem Schottenmuster. Anni hatte mal ein ähnliches Muster auf ihren Fingernägeln. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, meine beste Freundin anzurufen, doch dann lege ich das Telefon einfach nur auf dem Tisch ab. Sie wäre keine Hilfe. Nichts ist gerade eine Hilfe. Woher weiß Mateo, wo ich wohne? Ist er Antony gefolgt? Mir? Egal, was es von beiden ist, er weiß, wo ich wohne. Meine Gedanken rasen und ich schrecke jedes Mal zusammen, wenn aus den Nachbarwohnungen Geräusche dringen. Eine Tür, die zu schlägt oder auch etwas, was einfach zu Boden fällt. Anscheinend sind unsere Nachbarn sehr tollpatschig. Es ist mir vorher nie aufgefallen. Es rumpelt erneut und ich zucke heftig zusammen. Ich höre das Echo meines Herzschlags überall in meinem Körper. Es ist laut und unangenehm. Als ich den ersten Schluck aus der Tasse nehme, ist der Tee bereits kalt. Wie konnte er mich finden? Was soll ich nur tun? Es Antony nicht zu erzählen, würde sich sicher als Fehler herausstellen, aber ich will ihn nicht verlieren und das würde ich. Er würde sofort den Kontakt zu mir abbrechen und das mit dem Schutz meiner Sicherheit argumentieren. Ich hätte kaum Gegenargumente. Vielleicht sollten wir zusammen zur Polizei gehen? Aber sicher wird Antony das nicht wollen, denn dann würde es herauskommen und Stroud würde vielleicht Probleme machen. Die Uni würde es erfahren. Auch von Antony und mir. Es ist also keine Lösung. Jedenfalls keine Gute. Egal, was ich tun werde, es wird nicht gut enden. Ich schließe meine Augen und lehne mich zurück. Das kann alles nicht wahr sein. Wieso ist das alles so schwierig? Wieso kann es nicht einfach sein? Wieder scheint der Pfad in die Zukunft in völlige Dunkelheit gehüllt. Ich horche auf, als ich einen Schlüssel im Schloss höre. Unweigerlich erhöht sich mein Herzschlag und er dröhnt so laut in meinen Ohren, dass ich die letzten Drehungen nicht mal höre. „Hey Hey." Rick steckt seinen Kopf durch die Tür, flötet mir die Begrüßungsformel förmlich entgegen und schnauft atemlos. Ich beuge mich vor und erwidere den Gruß. Nur etwas weniger fröhlich. Ich höre, wie sich mein Mitbewohner geräuschvoll und hektisch seiner Klamotten entledigt, kann aber nicht so weit in den Flur schauen, um ihn zusehen. Nur noch mit Jeans und T-Shirt bekleidet, gesellt er sich zu mir in die Küche. Er atmet noch immer schwer und lässt sich ebenso schwerfällig neben mir auf die Bank nieder. „Puh, ist echt frisch draußen." Ricks Haare sind zerzaust und obwohl er sich über das kühle Wetter beschwert, bemerke ich Schweiß an seiner Schläfe. Bevor ich nachhaken kann, klärt er mich auf. „Ich bin heute Fahrrad gefahren und musste mit erschrecken feststellen, dass ich so fit bin, wie ein 90-Jähriger mit Muskelschwäche", kommentiert er trocken und lacht auf. Sein Lachen wandelt sich zu gequält Stöhnen. Er sieht wirklich erledigt aus, dabei ist der Campus nur ein paar Kilometer entfernt. „Warum auf einmal?", frage ich und ziehe meine Augenbraue nach oben. „Ego...", antwortet er kurz und bündig. Ich glaube ihm kein Wort. Und Rick hat nie den Eindruck gemacht, als würde er sich mit solchen Oberflächlichkeiten aufhalten. „Klar doch! Cora, oder?", hake ich nach und Rick bricht in theatralisch gespieltes Heulen aus. „Sie hat gesagt, ich wäre schon mal fitter gewesen und hätte länger durchgehalten...", wimmert er herum und nun muss ich doch lachen. „Also doch dein Ego...", necke ich. „Japp", seufzt er, "Aber sie hat Recht, ich war wirklich schon mal fitter. Die ganze Lernerei und das Bücherwälzen lässt mir nicht viel Raum für andere Dinge. Das ist also nichts weiter als Lernspeck." Rick lehnt sich zurück, streicht sich über den Bauch und knufft sich dann in eine kleine Falte. Ich finde nicht, dass sie auffällt und im Grunde entsteht sie nur durch seine sitzende Position. Dennoch lächle ich. „Komm schon, ich wollte jetzt ein 'Ach was, du bist total heiß' hören." Rick stupst mir in die Seite und grinst. Ich komme nicht umher, doch zu schmunzeln. „Ich glaube nicht, dass ich sowas sagen sollte", kommentiere ich ruhig und bemerke, dass mich Rick ansieht. Es ist dieser forsche Blick. Der, der einen wissen lässt, dass dein Gegenüber dich durchschaut. „Alles okay?". fragt er gleich darauf und obwohl ich damit gerechnet habe, halte ich kurz die Luft an. Ich greife ausweichend nach der kalten Tasse Tee. Doch ich trinke nicht. „Ich bin nur etwas müde." Ich verwende die gleiche lausige Lüge, die ich öfter auftische. „Tatsächlich. Es hat also rein gar nichts mit deinem mysteriösen Liebhaber zu tun?", hakt er nach und kratzt damit genau in der Wunde. Ich nehme einen Schluck Tee und zucke mit den Schultern. „Du solltest Spion werden und nicht Anwalt." „Na ja, Anwälte müssen auch gute Spione sein." Rick zwinkert mir übertrieben zu und grinst. „Also, womit quälst du dich dann momentan?", fragt er und lässt nicht locker. „Willst du einen Tee? Könnte eine Weile dauern", kommentiere ich witzelnd und verspüre einen dumpfen Schmerz, der sich durch meinen Körper arbeitet. „Oha, klingt nach Drama." Wenn er nur wüsste. Rick schwingt sich auf und holt sich ein Wasser aus dem Kühlschrank. „Na dann...", fordert er mich auf, rutscht tiefer in den Sitz und legt die Beine hoch. Er seufzt und irgendein Knochen in seinem Rückgrat knackt verdächtigt. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll und entscheide mich für das harmloseste Thema. Uni. „Na ja, ich bin im ersten Semester und habe das Gefühl, schon jetzt komplett zu versagen. Ich hinke bei etlichen Modulen hinterher. Und da ist diese Partnerarbeit, bei der ich mich so unendlich nutzlos fühle, weil ich einfach keine Ahnung habe. Das schlägt mir einfach aufs Gemüt." Und zudem ist da noch dieser große, furchteinflößende Kerl, der mir ununterbrochen im Kopf umher spukt. Mateo erwähne ich Rick gegenüber nicht. Ich versuche zu lächeln, doch ich merke selbst, dass ich nicht überzeuge. Mein Mitbewohner mustert mich kritisch. Als dann noch seine Augenbraue nach oben wandert, erstirbt auch der letzte Rest meiner vorgegaukelten positiven Gesichtsmimik. „Du setzt dich zu sehr unter Druck, Ben. Es ist dein erstes Semester und es gibt genügend Studenten, die ihre ersten Semester dafür benutzen, ihre Alkoholtoleranz zu strapazieren und ein schwarzes Buch anzulegen. Sie machen nicht einen Kurs zu ende. Ich habe Kommilitonen, die jetzt noch Module nach dem Sonnenstand wählen." Ricks Arm winkelt sich in verschiedene Positionen. Ich sehe ihm eine Weile dabei zu und mit jedem Winkel amüsiert es mich mehr. Anscheinend hat er genau das bezweckt. Das angenehme Gefühl, welches das kurze Lachen in mir auslöst, ist wohltuend. „Im ernst?" „Ja, er besucht keine Vorlesungen vor 12 Uhr", erklärt er. „Im Ernst, Ben. Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn du den einen oder anderen Kurs noch nicht beendest oder schiebst. Ich kenne keinen, der nach dem beispielhaften Stundenplan verfährt oder auch nur die Regelstudienzeit einhält. Da wird man ja gaga bei." Er lächelt, greift sich die Wasserflasche und leert sie zur Hälfte. „Ich würde es gern lockerer sehen, aber es... ist nicht so einfach." Ich fühle mich innerlich gezwungen, ein gutes Ergebnis abzuliefern. Ich will mich schließlich nicht blamieren. Wäre Antony nicht mein Dozent, wäre es vielleicht sogar möglich. Alles verzwickt. Ich streiche mir mutlos übers Gesicht und seufze. Das angenehme Gefühl ist schon wieder verflogen. Rick legt seine Hand auf meinem linken Knie ab. „Okay, lenken wir dich ab", sagt er. Eine willkommene Idee. "Wir habe immer noch das Problem, dass wir niemanden weiter kennen mit dem Marie so abhängt..." Ablenkung, ja. Weniger problematisch, nein! Zu blöd, dass wir beide keine anderen Kontakte zur biologischen Fakultät haben. Plötzlich habe die Erleuchtung. Der Japaner! „Oh, weißt du was? Ich habe jemanden in einen meiner Kurse, der eigene Biologie studiert und Marie kennt. Ich kann ihn sicher einspannen und er bringt dann auch Leute mit, die Marie kennt!" „Ben, ich könnte dich knutschen!!!", ruft er laut und greift mir an die Schultern um mich zu schütteln, „...Mach ich nicht, keine Sorge. Cora würde mir die Hölle heiß machen...Aber das ist großartig!" Anscheinend habe ich ihm damit wirklich den Tag gerettet. Immerhin ist das auch ein Glückspunkt auf meiner Tagesrechnung, die heute vor lauter dunkler Nebelpunkte nur so strotzt. Wir klären ab, dass ich ihn kontaktiere und um Hilfe bitte. „Ich sollte mal duschen gehen. Ich fange an Fliegen anzuziehen", sagt er und wackelt mit den Augenbrauen und dann mit der Hand vor seinem Gesicht. Er rutscht von der Sitzbank runter, streckt sich ausgiebig und wendet sich zu mir um. „Du weißt, wo du mich findest, wenn du reden möchtest..." Er deutet den Flur entlang und lächelt. Ein wenig schüchterner als sonst. „Danke...und Rick!", halte ich ihn an der Tür auf, „Du siehst heiß aus. Lass dich also nicht verunsichern." Diesen Egopusher hat er sich einfach verdient. Mein Mitbewohner schaut im ersten Moment verdutzt, doch dann beginnt er zu lachen, klopft grinsend gegen den Türrahmen und verschwindet in sein Zimmer. Ich brauche noch einen Augenblick ehe ich mich aus der Küche verabschiede, räume die benutzte Tasse zur Spüle und verschwinde in meinem Zimmer. Ich sehe mich um und entscheide mich kurz entschlossen dafür, einfach ins Bett zu fallen. Eigentlich müsste ich mir die Unterlagen von Kaworu anschauen und die Folie aus den verpassten Seminaren nachholen. Ich habe noch einige Hausaufgaben zu erledigen, doch ich schaffe es nicht einmal, meinen kleinen Zeh zu bewegen. Zwar ist es keine Entschuldigung, aber Rick beschwichtigende Worte hallen in meinem Kopf umher. Auf dem Bett rolle ich mich zusammen, greife mir mein Kissen und drücke es fest an meine Brust. Ich möchte schreien und weinen. Doch selbst das kann ich gerade nicht. Die dröhnende Stille wird durch mein Handy zerrissen. Es klingelt und ich ziehe es missmutig aus der Hosentasche. Mit gemischten Gefühlen blicke ich auf das Display. Es ist Antony. Ich zögere, bevor ich rangehe, atme tief ein und ignoriere die ganzen unwirschen Gedanken, die ununterbrochen durch meinen Kopf geistern. Mit dem Telefon am Ohr drehe ich mich auf den Rücken. „Hey du!", haucht mir Antony lieblich zu. Trotz meiner inneren Zerrissenheit merke ich, wie allein seine angenehme Stimme dafür sorgt, dass ich mich ein bisschen beruhige. „Hey, hast du endlich Feierabend?", frage ich, lege den ungenutzten Arm auf meinem Bauch ab und schließe die Augen. „Noch nicht ganz. Ich muss noch zwei Arbeiten korrigieren, meine Tasse spülen und dann kann ich zusammenpacken. In einer Dreiviertelstunde wäre ich zu Hause. Du könntest herkommen." Bis ich bei ihm bin, ist es bereits 22 Uhr. Und damit viel zu spät. Ich lehne ab. Er erneuert sein Nachhilfeangebot und löst damit ein angenehmes Gefühl in mir aus. Jedoch ist meine Reaktion darauf ebenfalls eher verhalten und das merkt auch mein Dozent. „Ist alles okay bei dir?" „Ja,....", sage ich ein klein wenig zu schnell und presse sofort die Lippen aufeinander. „Benedikt." „Ohh, sag bitte nicht Benedikt...Ich fühle mich jedes Mal, wie ein alter Mann... mit Haarkranz und schwarzer Kutte", murmele ich hinterher. Ich höre, wie Antony zu lachen beginnt. Tief. Ehrlich. Ich mag es, wenn er das macht. Ich schließe meine Augen und genieße es. „Okay, ... Ben...besser?" „Ja", hauche ich. „Was ist los? Fühlst du ich nicht gut?", hakt er ein weiteres Mal nach. „Nein, es ist wirklich alles okay. Ich bin nur etwas müde..." Obwohl mein Verstand regelrecht danach schreit, dass ich Antony von dem Zusammentreffen mit Mateo berichte, ignoriere ich es. Warum genau ist auch mir ein Rätsel. Ich sollte es ihm sagen. Geheimnisse sind immer schlecht. Aber ich will einfach nicht, dass er sich genötigt fühlt, erneut den Kontakt zu mir abzubrechen. Und das würde geschehen. „Okay, wie wäre es dann mit einem ruhigen Abend auf der Couch und dem Versprechen, dass ich dich schlafen lasse?" Es klingt verlockend. Sehr verlockend. Das bestätigt auch das stärker werdende Kribbeln in meiner Magengegend. Und trotzdem sage ich ihm ab. „Es klingt wirklich toll, aber ich muss noch ein paar Fachbücher wälzen und es gibt da diesen Dozenten, der uns immer wieder Hausaufgaben aufgibt", sage ich mit einem leicht amüsierten Unterton. „Na so ein Blödmann. Gib mir seinen Namen, dann mische ich ihn mal ordentlich auf", kommentiert er ebenso belustigt und wir beginnen beide zu lachen. Danach herrscht einen Moment Schweigen, bevor Antony das Wort ergreift. „Bleibt es bei unserem Kinoabend?", fragt er und ich höre ein klein wenig Behutsamkeit heraus. Er befürchtet, dass ich auch dieses Treffen absage. Und ich bin mir nicht sicher, ob es womöglich sogar besser wäre. Immerhin hat er mit keinem Ton seine vorige Unterredung mit Mateo erwähnt. Mit keiner Silbe. Ich soll mich von ihm fernhalten, doch wie kann ich das? Ich sehne mich so nach ihm. Nach seiner Nähe. Seinem Geruch und wie sich seine Hände auf meinem Körper anfühlen. „Antony...", setze ich an, spüre, wie sich mein Hals zu schnürt, bevor ich weiteres preisgeben kann. Ich möchte nicht, dass es endet. Mateo hat kein Recht dazu. Ich gebe ihn nicht auf. Nicht nach all den Kämpfen, die ich bereits durchgestanden habe. „Ja, es bleibt dabei...", fahre ich gefestigt fort als sich die Anspannung löst. Auch auf der anderen Seite des Telefons vernehme ich Erleichterung. „Okay, dann sehen wir uns morgen... Schlaf gut", wünscht er mir hinterher. Ich gebe eine kurze Erwiderung und lege dann auf. Ich bleibe im Bett liegen, ohne noch mal in eines der Bücher zu blicken. Meine Nacht ist schlaflos. Jedes Mal, wenn ich meine Lider schließe, taucht Mateos Gesicht vor mir auf. Genau genommen sind es nur seine Augen. Diese Eiseskälte darin verursacht mir Gänsehaut. Auch jetzt noch. Mitten in der Nacht. Ich liege unter der warmen Decke und dennoch friere ich. Bei meiner letztendlichen Schlafstundenrechnung kommt eine Zahl zusammen, die unterhalb der fünfer Grenze liegt. Ich fühle mich wie gerädert. Nicht einmal der Kaffee hilft, den ich mir unterwegs besorge. Trotz übermäßiger Stärke und dem Aroma von Schuhsohlen, bewirkt er nichts. Ich werfe den Becher mit den letzten Schlucken in einen der Mülleimer vor dem Hauptgebäude der Uni und streiche mir über den Nasenrücken. Ich werde schon während der ersten Vorlesung einschlafen. Was mache ich hier eigentlich? Meine Augen wandern über die verglaste Fassade des modernen Unigebäudes. Das erste Semester ist fast vorüber und ich bin mir immer noch nicht sicher, wo mich das Ganze hinführt. Seit dem Anfang eigentlich nur in Probleme. Zu dem fällt es mir immer schwerer, dem Stoff zu folgen. Im Grunde bin ich gar nicht richtig rein gekommen. Ich besuche die Vorlesungen und Seminare, doch irgendwie scheint alles einfach an mir vorbei zu fliegen. Nichts bleibt hängen und ich bekomme kein richtiges Gefühl für das Studium. Wahrscheinlich liegt es an der verkorksten Gesamtsituation. Ich seufze trübsinnig. „Hey kleiner Ecoboy. Heute so schwermütig?" Die leicht raue Stimme des gepiercten Mannes sorgt dafür, dass sich die Haut in meinem Nacken aufstellt. Lukas Arm legt sich an meine Schultern. Der Geruch von Tabak und abgekühlten Rauch strömt mir entgegen und augenblicklich erwacht in mir das starke Bedürfnis nach einer Zigarette. Es durchdringt mich bis in die kleinste Faser meines Körpers. Meine innere Nervosität stülpt sich immer mehr nach außen. Ich spüre die Unruhe in meinen Fingern, die scheinbar nur noch von einem dieser todbringenden Glimmstängel gestillt werden kann. „Gib mir eine Zigarette!", fordere ich, ohne den Blonden zu begrüßen oder auf seine Floskel einzugehen. Ich sehe auf, direkt in die blauen Augen des anderen Mannes. Lukas linke Augenbraue wandert nach oben. Er mustert mich. Im ersten Moment argwöhnisch. Im nächsten belustigt. Sein Arm bleibt an meiner Schulter, während ich spüre, wie er nach der Packung Zigaretten greift, die sich in seiner Hosentasche befindet. Nur mit einer Hand zieht er sie in unser Blickfeld, schiebt mit dem Daumen die Lasche nach oben, sodass der Inhalt sichtbar wird. Die Packung ist halb leer. Durch die Bewegung kippt eine der Zigaretten zur Seite und scheint förmlich nach mir zu rufen. Ich greife danach, blicke auf den hervorgehobenen Filter und stecke sie zwischen meine Lippen. „Na, wenn das deine Mama erfährt", gibt er neckend von sich, spielt damit auf den Kommentar während unseres ersten Treffens an. Bereits jetzt schmecke ich das Aroma von Tabak, spüre das Zittern, welches tief aus meinem Inneren heraus bricht. Luka sucht in seinen Taschen nach einem Feuerzeug. Ich lasse den Glimmstängel unruhig wippen. Ich weiß um die Konsequenzen, die das Rauchen mit sich bringen kann, denn ich erinnere mich lebhaft an die schrecklichen Wochen, die der erste Entzug verursacht hatte. Lukas Arm verschwindet von meiner Schulter und ich spüre, wie die zuvor erwärmten Stellen abkühlen. Schnell und seltsam unangenehm. Er bleibt direkt vor mir stehen, während mein Blick ausweichend ins Leere geht. Das Kribbeln in meinem Hals wird stärker, als ich das raue Knirschen des Feuerzeugs höre. Das Rädchen, was die Flamme entzündet, weckt weitere Erinnerungen. „Du wirkst angespannt. Was ist passiert?", fragt er ruhig. Statt die Zigarette zwischen meinen Lippen endlich zu entzünden, nimmt er sie mir wieder weg. Ich antworte nicht und wehre mich auch nicht dagegen. Luka steckt sich die Zigarette hinters Ohr und beugt sich vor. „Mateo ist passiert, nicht wahr?" Ich antworte noch immer nicht, spüre nur, wie sich die Härchen auf meinem Armen gegen die Kälte rüsten. Doch nicht nur dort. Sondern auch an meinem Hals und auf meinen Knien. „Hat er dir etwas getan?", fragt er weiter und der Ton seine Stimme ist anders. Ich schüttele zaghaft den Kopf und sehe danach erst auf. Ich erwarte sein schelmisches Grinsen zu sehen, das wissende Gebären um meine falschen Entscheidungen. Doch der Ausdruck auf Lukas Gesicht ist ein ganz anderer. Ich sehe darin Mitgefühl und Verständnis. Die Tatsache macht es nur noch schlimmer, denn mit diesem Blick wird mir die Brisanz immer klarer. Und als würde er es noch verstärken wollen, legt sich seine Hand an meine Wange. „Du solltest dringend die Beziehung überdenken, Kleiner...", flüstert er und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. So zart, dass ich es kaum merke und dennoch bis ins Mark spüre. Er beugt sich weiter zu einem Ohr. Ich spüre seinen warmen Atem, der über meinem Hals streicht. „Außerdem... wäre ich es gern, der dir deinen hübschen Arsch versohlt... Ich weiß, ich hab nicht diese klassischen Lehrerattribute, aber ich verspreche dir, dass ich mir Mühe gebe", flüstert er mir zu. Ich mache unwillkürlich einen Schritt von ihm weg und sehe ihn entgeistert an. Auf seinen Lippen hat er diesmal einer seiner typischen Grinser. Von dem einfühlsamen Moment ist nichts mehr übrig und ich sehe wieder klar. „Niemals, verstanden?", sage ich abweisend und versuche einen gewissen Nachdruck mit hinein zubringen. Es gelingt mir nicht. Ich merke es selbst und bekomme es durch Lukas amüsierten Blick zusätzlich bestätigt. Er leckt sich über die Lippen, als er sich erneut zu mir beugt. Ich rieche die Zigaretten. „Sag das lieber nicht! Du weißt ja, meine Tür steht dir immer offen...", flötet er mir entgegen, bevor er sich auf den Weg zur Campusredaktion macht. Ich bleibe noch einen Augenblick stehen, sehe, wie immer mehr Studenten in das Hauptgebäude strömen und alle scheinen zielstrebig und bestimmt. Etwas, was ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gespürt habe. Es ist zum Verrücktwerden. Die folgenden Vorlesungen sind einfach nur zäh und meine mangelnde Konzentration tut das Übrige. Während die Dozenten über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns sowie die Dynamik von Märkten berichten, wird mein Kopf immer schwerer. Nach einer Weile bekomme ich Kopfschmerzen und das Lesen der Folien wird schier unerträglich. Die abgedunkelten Räume und das Flackern der Beamer verwandeln mein Hirn zusehends in Brei. Ich bin heil froh als der zweite Block endet und ich schnell auf den Flur verschwinden kann. Endlich wieder Luft und Tageslicht. An einem der großen Fenster des Hauptgebäudes bleibe ich stehen und atme tief durch. Ich hätte im Bett bleiben sollen. Mit geschlossenen Augen lehne ich mich an das Fenster. Die Scheibe kühlt angenehm meine Schläfe. Ich würde mich gern mit meinem gesamten Körper ranpressen und selig sterben. Als ich mich endlich von dem Gedanken verabschiedet habe, ziehe ich mein Telefon hervor und blicke auf die Uhr. Den nächsten Block habe ich frei. Danach das Seminar bei Antony. Mein Telefon beginnt zu klingeln. Anni versucht mich zu erreichen. Ich gehe nach kurzem Zögern ran. „Mensa. Kaffee. Jetzt!", ruft es mir durchs Telefon entgegen, ohne jegliche Begrüßung. „Dir auch einen guten Morgen, Darling", kommentiere ich, nutze Annis normalerweise verwendeten britischen Sprachgebrauch und gehe absichtlich nicht auf ihre forsche Ansage ein. „Hase, sorry. Ich wünsche dir auch einen guten Morgen. Kommst du jetzt in die Mensa?" Ich drehe mich zwei Mal hin und her, um abzuwägen, wo ich lang gehen muss, damit ich wirklich Richtung Mensa laufe. „Bin unterwegs..." Ich vernehme den quietschenden Dank und lege auf. Anni zu finden, ist ein leichtes. Ich muss mich nur nach der unruhigsten und hibbeligsten Person umschauen. Und natürlich nach ihrem auffälligen, roten Haar. Anni tigert wild zwischen den Grüppchen an Studenten umher und macht einen kleinen Hüpfer, als sie mich endlich erspäht. Sie ruft meinen Namen und ich täusche kurz an, wie ich mich wieder umdrehe und in die gegengesetzte Richtung verschwinden will. Meine rothaarige Freundin zieht eine deutliche Schnute und verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust. Ich lächele und noch bevor ich bei ihr angekommen bin, lässt sie sie wieder sinken. In der Mensa reihen wir uns in der Schlange der Kaffeezombies ein und brauchen eine gefühlte Ewigkeit, bis wir am Automaten ankommen. „Möchtest du auch?", fragt sie und hält mir einen der leeren Becher hin. „Nein, ich hatte schon einen..." Eine Argumentation, die für gewöhnlich nicht zählt. Kaffee kann man in Annis Universum nie genug haben. Ich denke nicht, dass weiteres Koffein irgendwas in meinem verwirrten Hirn ändert. Im Gegenteil, wahrscheinlich würde es meinen momentanen Zustand nur verschlimmern. „Worüber zermarterst du dir deinen hübschen Kopf, Darling?", fragt sie mich direkt. Ich sehe auf, atme tief ein und zucke mit den Schultern. „Darüber, wie ich es schaffen soll, dieses Semester zu überstehen." Ich lehne mich gegen einen der Tische. „Läuft es nicht gut?" Sie schüttet sich einen Haufen Zucker in die schwarze Brühe und beginnt den Becher zu schwingen. Es läuft kein einziger Tropfen über. „Ich weiß nicht. Irgendwie kann ich mir gerade nicht vorstellen, dass ich auch nur eine Klausur schaffe." Anni nimmt einen Schluck Kaffee und kippt danach einen weiteren Schwung Zucker hinein. Sie bezahlt und wir verlassen die Mensa Richtung Ausgang. „Ach Quatsch. Das hattest du auch beim Abi gesagt und dann hast du doch alles super hinbekommen." „Ja, mit einer drei in Mathe und einer vier in Englisch. Bravourös", kommentiere ich ihren falschen Enthusiasmus trocken. Auch damals habe ich mich arg hin und her geworfen und an allem gezweifelt. Im Augenblick fühlt es sich noch schlimmer an. „Ach was, das sind doch nur Momentaufnahmen und zeigen nicht das wahre Bild." Momentaufnahmen? Ich runzele fragend meine Stirn und ernte einen beleidigten Blick von meiner langjährigen Freundin. „Du packst das schon, will ich damit sagen! Na ja, vielleicht solltest du dich ein bisschen weniger ablenken lassen...", stichelt sie. Galant ist anders. Nun werfe ich ihr einen beleidigten Blick zu. Sie kann es einfach nicht lassen. „Sagt die, die mich seit Anfang des Semesters ständig in neue Dates gedrängt hat", gebe ich den Vorwurf zurück und sehe dabei zu, wie sich ihre grünen Augen kunstvoll hin und her drehen. Sie nimmt einen großen Schluck Kaffee und bleibt stehen. „Ich habe dich aber nicht dazu gedrängt, dich auf deinen Dozenten einzulassen." Ein weiterer unnötiger Kommentar, den sie unbedarft von sich gibt. Eine ihrer schlimmsten Eigenschaften. „Geht's noch etwas lauter...", murre ich getroffen, seufze und habe ihre volle Aufmerksamkeit. „Entschuldige, das war nicht hilfreich..." „Kein bisschen.", kommentiere ich und drehe mich von ihr weg. Ich lasse meinen Blick über das Gelände der Uni schweifen und fühle mich seltsam verloren. Anni seufzt. „Tut mir wirklich leid. Ich weiß ja, dass du im Moment viel um die Ohren hast. Das mit deiner Mum und..." „Wieso hast du angerufen?", unterbreche ich ihre Ausführungen. Ich habe keine besondere Lust, noch weiter über meine Probleme zureden und ich bezweifele, dass sie einfach nur einen Kaffee trinken will. Dafür war ihre dreiteilige Aufforderung vorhin am Telefon zu forsch und bestimmt. Anni bleibt stehen und nimmt einen großen Schluck von ihrem Kaffee. „Ich hab ein Date...", platzt es aus ihr heraus und etwas von dem eben getrunkenen Kaffee läuft aus ihrem Mund. Sie leckt sich schnell über die Lippen und streicht sich einen Rest mit dem Handrücken vom Kinn. „Schön. Und wieso bist du so aufgeregt? Es ist doch nicht dein erstes", frage ich verwundert und deute ihr an, dass die Spuren ihres Kaffeeschwalls noch nicht vollständig getilgt sind. „Aber er hat mich gefragt...", quietscht sie mir entgegen, so als müsste ich verstehen, weshalb es etwas Besonderes ist. „Wer?" „Marvin!" Wer? An den Namen kann ich mich nicht erinnern. Anscheinend sehe ich genauso unwissend aus, wie ich mich fühle. „Marvin. Groß. Muskulös. Geil?" Das Blatt in meinem Kopf bleibt weiß und leer. Ich schüttele meinen Kopf. „Aus dem Fitnessstudio?", erläutert sie weiter. Ich wiederhole die negierende Geste und sehe, wie sich Annis Blick vor Enttäuschung verfinstert. „Ernsthaft? Ich wusste ja, dass du abgelenkt bist, aber dass du nicht mal mehr deiner besten Freundin zu hörst." Sie ist beleidigt und ich weiß immer noch nicht, wann sie mir davon erzählt haben will. Vielleicht verwechselt sie mich mit einem anderen Ben, der still ist, keine Probleme hat und kaum Pflege braucht. „Tut mir echt leid. Wann ist euer Date?", frage ich in der Hoffnung, dass mir deutliches Interesse etwas Gnade bringt. „Am Samstag", antwortet sie kurz angebunden. Sie schmollt. „Wo geht es hin? Nett essen? Kino? Museumsbesuch? Galerieeröffnung?" Anni boxt mir gegen die Schulter. „Museumsbesuch und Galerieeröffnung? Seit wann bist du so erwachsen geworden?" „Einer von uns beiden muss es ja werden", erwidere ich. „Sehr witzig." Ihre Verärgerung scheint sich zu lösen und ich entspanne mich. Wir haben unsere Streitereien gerade erst beendet und ich will auf keinen Fall neue. „Wir gehen tanzen in einem angesagten Club. Du kannst gern mitkommen. Etwas tanzen und abschalten würde dir sicher nicht schaden." Ihr Kopf bewegt sich wackelnd hin und her. „Nein, danke. Clubs sind, wie du weißt nicht meine Welt und das fünfte Rad am Wagen sein, will ich auch nicht. Oh, wir feiern übrigens am Freitag in der WG. Marie hat Geburtstag." Außerdem hat mir der letzte Clubbesuch den ganzen Schlamassel eingebrockt, den ich jetzt habe. Auch wenn mich ein Teil davon sehr glücklich macht. Ich grinse schief. „Na gut, aber nur weil ich weiß, dass du wie eine Ente tanzt. Bin ich denn zu eurer WG-Sause eingeladen?" "Natürlich!" "Schön, ich komme.", bestätigt sie und nimmt einen weiteren Schluck aus dem Pappbecher, "Bäh, der Zucker hat sich unten gesammelt." Sie verzieht angewidert das Gesicht und lässt den Becher im nächsten Mülleimer verschwinden. Ich sehe kichernd dabei zu und ernte einen weiteren kleinen Boxer, bevor wir uns wieder voneinander trennen und in unsere Seminare verschwinden. Ich bin der Erste im Saal und allein die Vorstellung, dass Antony gleich vor mir stehen wird, lässt meine Fingerspitzen erregt kribbeln. Mit jeder voranschreitenden Minute und jeden weiteren Studenten, der sich im Raum niederlässt, wird mein Herzschlag unruhiger. Als der Hörsaal zur Hälfte gefüllt ist, taucht Antony auf. Er trägt diesen unglaublich figurumschmeichelnden, dunklen Pullover, den er auch bei unseren ersten Treffen in der Uni getragen hat. Er lächelt mir kurz zu und wird dann schon von einigen anderen Studentinnen belagert. Während des Seminars versucht er, nicht direkt zu mir zu schauen, sondern schweift mit seinen Augen durch den ganzen Hörsaal. Doch jedes Mal scheint er bei mir zu beginnen und zu enden. Im Gegensatz zu den anderen beiden Vorlesungen scheint das Seminar mit Antony nur so zu verfliegen. „Herr Kaufmann!" Ich wende mich um, suche in der herausströmenden Menge nach dem Rufenden. Die Menge an Köpfen kann ich kaum voneinander unterscheiden. Antony schiebt sich zwischen zwei Gruppen an Studenten hindurch und ich merke, wie mein Herz einen Satz macht. Er hält ein paar Akten und Kopien in seiner Hand. Seine Bewegungen sind geschmeidig und schön. Ich bewundere es immer wieder. Wahrscheinlich ist es nur ein Traum und gar nicht real. „Ben!", höre ich nun meinen Vornamen, als er vor mir stehen bleibt. Erst jetzt löse ich mich aus meinen Gedanken und spüre mein Herz, welches fast aus meiner Brust springt. „Hi!", erwidere ich und versuche, unbemerkt meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. „Können wir eben reden?" Seine freie Hand zuckt nach vorn, doch bevor er mich berührt, stoppt er. Sein Blick geht zur Seite und er deutet in eine ruhigere Ecke. Ich folge ihm. Hier sind zu viele Leute, die uns sehen würden. Wir bleiben einen Moment lange schweigend stehen, während die Gespräche der anderen Studenten leiser werden und verstummen. „Ich wollte über heute Abend reden." „Oh. Ja, ich...ich habe mich noch nicht informiert, was im Moment so läuft", gestehe ich. „Nicht schlimm, ich wollte dir sowieso einen Vorschlag machen. Bei mir in der Nähe gibt es ein kleines Kino. Darin werden hin und wieder alte Filme vorgeführt. Diese Woche zeigen sie ein paar Schwarz-Weiß-Filme mit alten Hollywoodgrößen, wie Toni Curtis und Jack Lemmon." Antony lächelt. Beide Namen sagen mir nichts. „Heute kommt einer der besten Klassiker überhaupt. 'Manche mögens heiß' mit Marilyn Monroe in Bestform", erzählt er weiter. In seinen Worten steckt so viele Begeisterung, dass ich unwillkürlich mit lächele. „Klingt gut", sage ich verhalten als in dem Moment eine paar Studenten an uns vorübergehen. Sofort schweigen wir beide und Antony verschränkt locker seine Arme vor der Brust. Antony ist ein guter Dozent und ein attraktiver Mann. Das wird mir jedes Mal wieder klar, wenn ich die Blicke der Anderen sehe. Besonders die der Studentinnen. Erst als wir wieder allein sind, nimmt er unser Gespräch erneut auf. „Wir können auch in ein normales Kino gehen...", schlägt er vor. Er wirkt verunsichert und das irritiert mich ebenso. „Nein, nein...es klingt wirklich toll." Antony sieht mich an und wendet seinen Blick kurz ab. Er seufzt. „Genauso hast du es gestern schon am Telefon formuliert. Ist wirklich alles okay mit uns?" „Ja, ist es. Wirklich. Ich weiß, nur nicht...wer Toni Lemmon ist", sage ich, stocke und gebe dann meinem begonnenen Satz eine andere Endung. Antony beobachtet mich und beginnt dann zu schmunzeln. „Toni Curtis und Jack Lemmon." „Oh,...", gebe ich peinlich berührt von mir und weiche seinem Blick aus. Ich merke, wie er nach meiner Hand greift. Seine Fingerspitzen sind kühl und trotzdem erfasst mich Wärme. „Du wirst sie bestimmt mögen und wenn nicht, dann ist auch okay. Dann machen wir das nächste Mal etwas anderes zusammen." Ich lächele ihn an und glaube selbst fest daran, dass es mir gefallen wird. „Also heute Abend?", hakte er noch einmal nach. „Ja. Ich freue mich drauf", sage ich. Sein Daumen streicht über meinen Handrücken und wir trennen uns erst, als erneut eine Gruppe von Studenten über den Flur strömt. Ich sehe dabei zu, wie er in Richtung seines Büros verschwindet. Ich gehe zur WG, brauche auffällig lange, um mich fertig zu machen und ziehe mich dabei drei Mal komplett um. Ich bin nervös. Sehr sogar, dabei gibt es keinen Grund. Es ist nicht unser erstes Date. Wir haben Sex und ich kenne seinen brutalen Ex. Sofortige Ernüchterung durchströmt mich. Auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt bekomme ich von Antony eine kurze Nachricht. Er verspätet sich um ein paar Minuten. Kein Problem. Der Film beginnt sowieso erst in einer Stunde und dennoch ertappe ich mich dabei, wie ich mich ungewöhnlich oft umschaue. Ständig in der Erwartung, dass plötzlich der angsteinflößende Ex vor mir steht. Was soll ich nur tun? Vielleicht sollten wir mit all dem zur Polizei gehen? Doch, was können die tun? Im Grunde ist ja nichts passiert. Aussage gegen Aussage. Wie so oft. Er hat mir ja nur gedroht. Und das nicht mal konkret. Ich bin nervös und das legt sich erst, als ich Antony auf mich zukommen sehe. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt, wie er in einer seltsamen Mischung aus Erregung und Anspannung immer deutliche unter meiner Haut zu spüren ist. Unruhig reibe ich mit dem Daumen über die Fingerbeeren meiner Hand. Er sieht unglaublich gut aus. Der elegante dunkelgraue Mantel umschmeichelt seine schlanke Statur. Als auch er mich erkennt, lächelt er. Er bleibt direkt vor mir stehen, greift mir sanft, aber bestimmt an den Kragen und zieht mich in einen Kuss. Ich spüre seine Wärme und schmecke die Süße seiner Lippen. Sein vertrauter Geruch und das wunderbare Gefühl seiner Nähe beruhigen mich schnell. Wir intensivieren den Kuss, bewegen unsere Münde intensiv aufeinander, während wir uns dichter aneinander schmiegen. Wir lösen uns mit geschlossenen Augen voneinander. Ich genieße das Prickeln auf den Lippen, welches meinem gesamten Körper entlang gleitet. „Ich hatte ein wenig Angst, dass du nicht kommst...", flüstert der Portugiese und haucht gleich darauf einen weiteren Kuss auf meine Lippen. „Wieso das?", frage ich verwundert und öffne meine Augen. Antonys sind noch immer geschlossen und er atmet tief ein, bevor er sie öffnet. Danach erfassen mich seine blau-grünen Iriden. „Du hast gestern verunsichert gewirkt und... na ja, ich dachte, du würdest absagen." Ich schließe kurz meine Augen und lächele. Wenn Antony wüsste. Obwohl es in mir kitzelt, beuge ich mich einfach nur für einen weiteren Kuss zu ihm und widerstehe dem Drang, ihm alles zu offenbaren. Ich möchte diesen Moment genießen. Ihn genießen. „Nein, ich bin nur etwas mit der Uni überfordert... doch das hier mit dir macht mich sehr glücklich..." Ich tippe ihm sanft gegen die Brust und lächele ein weiteres Mal. Antony beginnt ebenfalls zu lächeln und greift nach meinem frechen Finger. Er haucht einen Kuss auf meinen Handrücken. „Gut! Bist du bereit für Popcorn und ein bisschen Kitsch?", fragt er hoffnungsfroh. Ich lächele, greife mit beiden Händen an den Kragen seiner Jacke und ziehe ihn einen Kuss. „Ich möchte einen riesigen Eimer Popcorn und eventuell werde ich auch teilen...", erwidere ich, presse kurz die Lippen aufeinander, um nicht sofort zu grinsen und kann es mir dann doch nicht verkneifen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)