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Kiss me hard before you go

von

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Die Sehnsucht nach Vertrauen

Kapitel 26 Die Sehnsucht nach Vertrauen
 

„Wo hast du deine Gläser?", plappere ich, spüre, wie sich mein Puls beschleunigt und sehe in das verwunderten, aber sanften Augen meines Gegenübers. Ein einzelner Tropfen Wasser löst sich aus meinen Haaren und läuft meinem Hals hinab. Das Kitzeln ist auf meinem vor Aufregung gespannten Körper ganz besonders deutlich zu spüren. Zur Verdeutlichung hebe ich die Weinflasche hoch, merke, wie mich leichte Panik erfasst und mein Inneres zu schleudern beginnt. Die Überraschung in seinem Blick weicht sanfter Freude, die mich augenblicklich beruhigt. Antonys Haare sind ungestylt und glänzen feucht. Er greift die Flasche genau an der Stelle meiner Hand. Seine Finger sind kühl. Genauso wie bei unserer ersten Begegnung.

„Danke", haucht er, statt meine Frage zu beantworten, zieht mich an sich heran und legt dann seinen Mund auf meinen. Diese Berührung lässt augenblicklich jeden Zweifel davon schweben und mich selbst vom Boden abheben. Ich genieße das sanfte Gefühl seiner wohltuenden Lippen, sauge die Wärme in mich hinein und suche Halt an seinem Arm damit ich nicht noch vollkommen wegschwebe. Während des Kusses nimmt er mir die Flasche aus der Hand und umschlingt mich mit der anderen. Die Wärme seines Körpers umschmiegt mich mit einem zufriedenen Zittern.
 

Ich löse den Kuss als ich merke, wie schwer es mir fällt einen klaren Kopf zu behalten. Ich bin nicht wegen des Sex' hier. Dieses Mantra sage ich mir mehrfach still vor. Meine Augen bleiben geschlossen, während ich das feine Erbeben durch meinen Körper gleiten spüre. Die Wirkung, die der Portugiese auf mich hat, scheint wirklich mit einer Droge vergleichbar. Er entflammt meinen Leib. Verbrennt mich mit Frohlocken und unbändigem Verlangen. Ich verfalle ihm mit jeder Berührung seiner süßen Lippen mehr. Antony zieht mich weiter in die Wohnung und damit mehr ins Licht und schließt die Tür. Eine dunkelgraue Stoffhose umschmeichelt seine schlanken Beine und er trägt den marineblauen Pullover, den er schon einmal während einer Übung getragen hat. Er schmiegt sich perfekt an seinen Oberkörper, betont seine Brustmuskeln und die schlanken, aber doch so starken Arme. Mein Puls erklimmt die wenigen Meter zur vollendeten Raserei.

„Komm, ich hol dir ein Handtuch und ich zeig dir dann, wo die Gläser stehen", sagt er lächelnd und macht mir damit den Weg frei in seine Wohnung.

Ich ziehe mir die nasse Jacke über die Schultern, reiche sie Antony und sehe mich dabei unauffällig im Flur um. Vom schmalen Eingangsbereich geht ein weiterer Flur ab, in dem die Türen der anderen Zimmer sternförmig angeordnet sind. Die Wohnung wirkt auf dem ersten Blick groß und geräumig. Ein Altbau mit hohen Decken. Antony lächelt mir zu, stellt den Wein auf einer Kommode ab und verschwindet ins Badezimmer. Ich nutze die Gelegenheit um meinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Einatmen. Ausatmen. Selbst meine Gedanken rasen, peitschen sich förmlich durch meinen Kopf. Das Zauberwort ist langsam! Langsam einatmen. Langsam ausatmen. Erst nach mehrmaligen Wiederholen scheint mein Körper zu verstehen, dass er das eigentlich von allein tun müsste. Langsam ein und dann wieder ausatmen.
 

Es ist das erste Mal, dass ich in der Wohnung eines Anderen bin. Ausgenommen sind natürlich alte Schulfreunde. Es ist ein seltsames Gefühl und ein nervöses Kribbeln breitet sich in meiner Brust aus. Unruhig sehe ich mich um und versuche nicht allzu neugierig zu wirken. Wie verhält man sich in solchen Situationen? Zu viel umsehen wirkt zu neugierig. Gar nicht zeigt Desinteresse. Wie hatte sich Antony in der WG verhalten? Ich kann mich nicht daran erinnern. Abgesehen von der Tatsache, dass unsere Aufeinandertreffen zu meist nicht den konservativen Pfad genommen haben, gibt es in der WG oder in meinem Zimmer nicht viel zu sehen. Antony kommt zurück, reicht mir lächelnd ein Handtuch und verschwindet mit dem Wein in die Küche. Aber nicht ohne mir anzudeuten ihm zu folgen. Mir fällt auf, dass er keine Schuhe und keine Socken trägt. Ihn so zu sehen gefällt mir. Gerade als ich ihm folgen will, beginnt mein Handy zu vibrieren. Es muss Anni sein. Meine Hand zuckt zu meiner Hosentasche und ich bleibe im Flur stehen. Der Anruf ist wirklich von Anni. Sie wird sauer sein. Sie wird es nicht verstehen. Ich tippe ihr eine schnöde Entschuldigung als es endlich aufhört zu vibrieren und schalte alle verräterischen Geräusche ab.

Ich lausche einen Moment danach, wie sich der schlanke Mann in der Küche bewegt und lasse dann meine Augen über die bebilderten Wände wandern. Im Flur hängen etliche Fotografien in Schwarz-Weiß. Ich bleibe vor einer Serie von Industriebrachen stehen. Gigantische Bauwerke. Metallische und grobe Riesen. Auch ohne Farbe lassen sich der Rost und der Verfall erkennen. Ob er sie selbst geschossen hat?

Das bedrückte Gefühl in meiner Brust nimmt zu als mir erneut klar wird, wie wenig ich über Antony weiß. Wenn wir wirklich eine Chance haben wollen, dann müssen wir damit beginnen zu reden. Keine Diskussionen über unsere begangenen Verfehlungen. Kein Streit. Kein Schweigen. Sondern einfach einander kennenlernen. Ein weiterer Tropfen löst sich von meinen Haaren und fließt meinen Nacken hinab. Er schafft es über meinen Rücken, dicht an meiner Wirbelsäule entlang bis zum Bund meiner Hose, wo er verebbt. Nun endlich lasse ich das Handtuch durch meine feuchten Haare rubbeln.

„Ich dachte, du wolltest meine Gläser sehen." Ein Glas Rotwein taucht vor mir auf. Ich nehme das Handtuch runter und dem Portugiesen das Glas aus der Hand. Selbst als ich spüre, wie sich sein warmer Körper an meinen Rücken schmiegt, wie sich eine Hand auf meinen Bauch legt und mich dichter an ihn heran zieht, schwelt das bedrückende Gefühl still. Seine Lippen kosten den Geschmack der Haut meines Halses. Die Stelle in meinem Nacken beginnt zu kribbeln als seine Haare dagegen kitzeln. Ich schließe meine Augen und genieße den Moment, so wie er ist.

„Der Wein ist nur ein Vorwand um dich zu sehen", sage ich ehrlich und spüre etwas Scham, die sich auf meine Wangen legt. Ich nehme einen Schluck Wein zur Ablenkung, lasse die feinherbe Flüssigkeit über meine Zunge kitzeln. Die Aromen tanzen, entfalten sich auf meiner Zunge, wie ein Bouquet frischer Blumen. Es ist eine Weile her, dass ich Wein getrunken habe. Der ist viel besser als das süße Zeug, das Anni so gern trinkt.

„Ich freue mich, dass du hier bist.", flüstert er mir zu und küsst meine Wange. Sanft und zärtlich. Dann legen sich seine Lippen erneut gegen meinen Hals. Kurz unterhalb meines rechten Ohres. Die zärtliche Berührung an dieser Stelle lässt meinen gesamten Körper reagieren. Er pulsiert und bebt. Wieder ist es diese extreme sexuelle Anziehung, die mich fast vergessen lässt. Bevor sich mein Gehirn gänzlich abschaltet, löse ich mich etwas aus seiner Umarmung.

„Hast du die gemacht?", frage ich mit einem Blick auf die gerahmten Fotos an der Wand.

„Ja, Fotografieren ist mein kleines Hobby", erzählt er, „Die Bilder entstanden in einer stillgelegte Mine auf Sardinien."

„Italien, oder?", frage ich mit geografischer Unsicherheit. Antony nickt.

„Nach meinem Schulabschluss bin ich für ein paar Wochen zurück nach Spanien und habe dort Freunde und Familie besucht. Mit zwei Bekannten bin ich dann weiter nach Italien. Wir planten einen Fress- und Fototrip." Ein feines Raunen perlt über Antonys Lippen gefolgt von einem Auflachen. Ich genieße die tiefe Vibration, die sich auf meinen Körper überträgt, wenn er lacht.

„Ein Fresstrip?", frage ich amüsiert und kann mir das bei dem schlanken Mann gar nicht vorstellen.

„Oh ja, massenhaft Eis und Tiramisu. Pasta. Pizza. Cannelloni." Ein Portugiese, der von italienischen Essen schwärmt. Amüsant. Ich spüre das Lächeln auf Antonys Lippen, dann einen Kuss gegen meine Wange. Er wiederholt die sanfte Berührung. Mehrere Male. Ich genieße es.

„Und warum fotografierst du ausgerechnet alte Industriegebäude? Du hättest schließlich massenhaft Desserts fotografieren können...", frage ich neugierig, neige mein Gesicht zu dem anderen Mann. Wenn ich an Italien denke, fallen mir viele verschiedene Motive ein, aber nicht das.

„Ow, das habe ich. Die sind in meinen geheimen Fotoalben unterm Bett...", raunt er scherzend.

„Foodporn statt Normalporn. Interessant.", witzele ich zurück, spüre, wie mein Puls bei dem Gedanken daran nach oben schnellt.

„Erwischt!" Antonys Stimme wird weich. „Und du hast recht. Es gibt so viel mehr, was man sich anschauen kann. Die Toskana, wenn die Olivenbäume in voller Frucht stehen. Zypressen in einem sanften Meer voller rotem Mohn und Grün. Das zarte Gelb der Sonne, welches sich über die Hänge legt und sanft geküsste Zitrusfrüchte." Seine Beschreibungen lassen mich schwärmen und alles genauestens erahnen. Ich schließe die Augen. Seine Stimme projiziert die atemberaubenden Farben und ebenso das Gefühl von intensiver Sonne auf meiner Haut. Ich war noch nie in Italien oder in Spanien. Die weiteste Strecke, die ich je zurückgelegt habe, war die Entfernung zwischen meinem Elternhaus und der Uni.

„Tonverputzte Häuser. Eingebettet in die sanften Wogen der Landschaft", setzt er fort, „Carrara-Marmor und Sandstein. Die verzweigten und engen Gassen Jahrhunderte alter Städte. Die Künste der Gotik in den verwinkelten Ecken Sienas. In Florenz gibt es mehr Motorroller als Menschen, die sie fahren könnten.", bemerkt er lächelnd. Seine Arme schlingen sich noch dichter um mich. Antony ist selig. Die Wärme, die er ausstrahlt, scheint mich zu erfassen und trägt mich tief in seine Erinnerungen. Ich sauge seine Worte in mich ein, genauso, wie seine Berührungen.

„Ich habe mich schon immer für Motive interessiert, die die Vergänglichkeit des menschlichen Schaffens zeigen. Ruinen. Brachen. Abbilder des menschlichen Größenwahns. Verfallen und zerstört." Antonys Hand streicht über meinen Bauch. Etwas höher zu meiner Brust. Sie bleibt direkt über meinem Herzen liegen.

„Erzähl mir mehr...", flüstere ich. Er tut es. Antony hat ganz Italien bereist. Ich denke sofort an Napoleon als er von der Insel Elba spricht und wie dieser es als willkommenstes Exil bezeichnete. Antonys kurze Erzählungen malen ein zauberhaftes Bild. Er berichtet von den vulkanischen Hängen Siziliens. Seine Schilderungen wecken Sehnsüchte in mir, die ich nie für möglich gehalten habe. Er erzählt mir vom Meer und vom feuchten Sand unter seinen Füßen. Es klingt wunderbar. Es klingt so weit entfernt. Die dunkelrote Flüssigkeit in meinem Glas schwappt. Unsicherheit lässt meine Hände leicht zittern. Auch Antony bemerkt es.
 

„Bist du okay?", fragt er mich, nimmt mir das Glas aus der Hand und stellt beide auf die Kommode ab. Vor mir bleibt er stehen und weiche seinem Blick aus. Er lässt seine Finger durch meine Haare gleiten. Unwillkürlich schließen sich meine Augen. Nur für einen Moment, aber es reicht mir, um diese sanfte Berührung tief in mich aufzunehmen und zu bewahren. Ich bin mir nicht sicher, was ich auf seine Frage antworten soll. Ich fühle mich hin und hergerissen. Zum einen fühle ich pures Glück, weil Antony bei mir ist und dass er mich trotz allem, was vorgefallen ist, noch in seiner Nähe habe möchte. Andererseits schwelt in mir diese Unsicherheit. Ich weiß nicht, ob wir es schaffe die Differenzen und vergangenen Lasten wirklich abzulegen. Antony lässt ein weiteres Mal eine Hand durch meine Haare streichen. Ich erwidere diesmal die zärtliche Berührung, in dem ich meine Hand an seine Wange lege und meinen Daumen über den perfekt gestutzten Bart gleiten lasse. Die Form hat sich ein kleinwenig geändert. Der Übergang zum Kiefer ist etwas kantiger. Dafür macht die Linie am Kinn zu beiden Seiten einen sanften Bogen. Meine Finger streichen über genau diese Stelle als er sich zu einem Kuss zu mir neigt. Die Berührung ist nur ein Hauch, denn ich weiche vor ihm aus, blicke beschämt nach unten.

„Entschuldige, aber ich will mich nicht schon wieder verlieren...Können wir diesmal einfach nur reden?" Nicht wirklich meine Stärke, aber der Drang danach, wenigstens ein klein wenig Klarheit in unser Beziehungstohuwabohu zubringen, ist gigantisch. Die kühlen Augen meines Gegenübers gleiten über mein Gesicht. Forschend. Fragend. Dann verstehend.

„Natürlich..." Das Lächeln, welches er mir schenkt ist warm. Ich nicke ihm dankend entgegen, spüre, wie sich seine Arme um mich legen und dann seine warme, ehrliche Umarmung. Das Gefühl ist wunderbar.

„Hast du Hunger? Ich habe da ein paar Kleinigkeiten, die du unbedingt mal kosten solltest." Er haucht einen Kuss an meine Stirn und mein Magen grummelt leise zur Bestätigung.

„Gute Antwort!" Antony grinst, löst sich von mir und reicht mir die Weingläser. „Mach es dir schon mal gemütlich..." Er deutet auf eine der angelehnten Türen und verschwindet dann erneut in der Küche.
 

Ich bleibe im Wohnzimmer stehen, betrachte die moderne und kühlwirkende Einrichtung. Sie ist seltsam passend. Weiß. Dunkles Grau. Metall. Ich stelle die beiden Weingläser auf dem Glastisch ab und sehe mich weiter um. Über dem Fernseher hängen zwei farblich abgestimmte Bilder in Türkis- und Blautönen mit zartgelbe Elemente. Sie tauchen auch in Form von Kerzen und Figurinen in der Schrankwand auf. Zwei Fotografien mit farblich abgestimmten Rahmen. Ich erkenne einen jüngeren Antony ohne Bart mit zwei älteren Personen. Vielleicht seine Eltern? Seine Großeltern. Ich bin mir nicht sicher. Auf dem anderen Bild erkenne ich den Professor.

Ich wende mich ab und sehe direkt auf ein wandeinnehmendes Bücherregal. Ein bequemer Sessel, der sich so gar nicht in das Bild der restlichen Wohnung einfügt. Warmes, braunes Leder. Zerschlissen. Er wirkt viel benutzt. An einigen Stellen kann man bereits das Stoffgitter erkennen, welches unter das Leder gewebt ist. Ich gehe darauf zu, lasse meine Finger über das spröde Leder wandern und gleite mit meinem Blick über die Rücken verschiedener Bücher. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich vorwiegend Titel aus dem Wirtschaftsingenieurswesen erlese. Antony hat seine eigene kleine Bibliothek in der Wohnung. Nicht schlecht. Ich kriege für einen kurzen Moment lang ein schlechtes Gewissen, weil mein erstes Semester an der Uni alles andere als glatt läuft.

Mein Zeigefinger tippt gegen weitere Buchrücken. Ein Bildband der Fotografie. Ich ziehe es heraus und blättere es durch. Ein leises Klacken lässt mich aufblicken. Glas auf Glas. Der Portugiese stellt gerade ein paar Teller auf dem Wohnzimmertisch ab.

„Etwas Spannendes gefunden?"

„Mein Lieblingswerk: Mathematik für Wirtschaftsingenieure. Spannung. Witz und lauter Abenteuer.", kommentiere ich neckisch. Mein gequältes Lächeln verdeutlicht meine wirkliche Meinung zu dem Thema und ich bin nicht gewillt, es zu verstecken. Mathe war noch nie mein Ding, aber es gehört dazu, genauso wie im Abitur. Antony nimmt mir das Buch aus der Hand, schaut auf die aufgeblätterte Seite und erwidert meinen seltsamen Gesichtsausdruck als er erkennt, dass das gar nicht Mathe ist. Trotzdem nimmt er den Scherz auf.

„Ich gestehen, dass ist nicht mein Lieblingsbereich. Obwohl der Kollege Krüger drüber spricht als wäre es besser als Sex. Vielleicht haben wir einfach nicht die richtige Einstellung dazu." Ich stelle mir den relativ jungen Professor vor, wie er beim gemeinsamen Mittagessen über lineare Optimierungen spricht. Er wirkt jedes Mal schrecklich aufgeregt und hat ab und an das Problem, dass sein Kopf schneller arbeitet als er formuliert. Seine Sätze finden oft kein richtiges Ende. Ehrlich gesagt, erweckt er nicht den Eindruck als hätte er jemals Sex gehabt. Vielleicht täusche ich mich.

„Dann sollte ich das Thema doch mal vertiefen", schlage ich vor. Antony lacht. Es ist tief und voller herrlicher Vibration. Ich spüre sie bis ins Mark.

„So lange du nicht anfängst sowas beim Dirty Talk zu säuseln, ist alles gut. Komm mit..." Seine kühlen Fingerbeeren treffen auf meine. Diese winzige Berührung. Sie verursacht mir ein prickelndes Gefühl in der Magengegend. Ich folge der hauchzarten Andeutung Richtung Couch.
 

Auf dem Tisch steht eine Platte mit Kleinigkeiten. Belegte Brote. Weintrauben. Käse und Schinken. Ich vermute, dass es sich dabei um italienische Spezialitäten handelt. Die Mühe, die er sich gemacht hat, ist rührend. Unwillkürlich denke ich an den abgesagten Abend, an dem er für mich kochen wollte. Eine Mischung aus Schuldgefühl und Enttäuschung breitet sich in mir aus. Ich schiebe sie zur Seite, kann aber nicht verhindern, dass sie mich weiter belasten.

„Sieht wirklich gut aus...", sage ich und lächele. Ich lasse mich auf die Couch nieder. Sie ist schrecklich hart. Als sich Antony neben mich setzt, merke ich keine Veränderung und das, obwohl er sich zur Hälfte auf demselben Kissen platziert, wie ich. Ich klaue mir eine Weintraube, schmecke die herrliche Süße. Er rutscht näher, reicht mir einen Teller und dann spüre ich seine Hand auf meinem Knie. Sie soll niemals wieder verschwinden.

„Willst du eine Erläuterung?", fragt er und ich nicke. Serranoschinken. Pecorino. Crescenza. Die meisten Begriffe habe ich so schnell wieder vergessen, wie er sie mir nacheinander sagt. Ich bin nicht sehr gut darin mir solche Dinge zu merke. Aber ich spüre, wie sehr ich es mag, wenn er die italienischen Begriffe benutzt. Der Klang seiner Stimme ist reines Wohlgefühl und Erregung in einem.

„Und das sind ein paar Leckereien meiner Heimatküche." Antony deutet auf einen weißen Käse und kleinen Teigtaschen. Auch hier nennt er mir die Namen und jagt mir kleine Schauer durch den Leib. Ich wähle mir ein paar Sachen aus, lasse mir die fremden Aromen auf der Zunge zergehen und bin überrascht. Antony spricht von weiteren Gerichten, in denen diese Käse ihre Verwendung finden. Vor allem die Empanadas sind für mich ein kleines Highlight.

„Es ist wirklich lecker. Ich muss dir aber gestehen, dass ich nicht unterscheiden kann, was typisch Spanisch oder Portugiesisch ist." Mit dem Weinglas in der Hand lehnt sich der Portugiese zurück. Er schmunzelt.

„Na ja, beide Länder schwören Stein und Bein, dass sich ihre Küche sehr unterscheidet, aber im Grunde gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Olivenöl. Knoblauch. Fisch. Käse. Die spanische Küche ist einen Hauch mediterraner." Auch die Verdeutlichung in diese Richtung hilft mir bei der Unterscheidung nicht weiter. Ich kenne mich einfach nicht aus. Antonys Hand legt sich an meine Hüfte. Sie ist mittlerweile warm. Ich spüre seine Hitze durch meinem Pullover. Sie ist angenehm und wohltuend.

„Oh, doch, Bohnen. Die Portugiesen mögen Bohneneintop, aber ansonsten ist es ziemlich ähnlich. Dass ich das gesagt habe, darfst du bitte niemanden verraten." Er lacht und lässt seine Hand meinen Rücken hinauf gleiten. Unwillkürlich lehne ich mich etwas vor, sodass er noch höher streicheln kann.

„Und wie kommt es, dass du einen kleinen Spezialitätenladen in deiner Küche hast?", frage ich, beiße in eines der Brote mit Schinken und schaffe es nicht, es zu verspeisen, ohne dass mir die Hälfte des Fleisches über den Lippen hängen bleibt. Ästhetisch ist anders, aber was soll's. Salziges Aroma legt sich auf meine Zunge und ich streiche mir kleinere Krümel davon.

„Auf dem Weg zum Campus komme ich an einen Laden für Iberische Spezialitäten vorbei und mir werden viele der Leckereien aus der Heimat mit.. gebracht..." Den letzten Rest sagt er auffällig langsam. Er bricht ab. Ich brauche einen Moment um die Aussage zu verdauen.

„Wie praktisch...", sage ich, schaffe es nicht, die Erregung aus meiner Stimmung zubekommen. Mein Magen vollführt eine Drehung und mir ist fast sofort jeglicher Appetit vergangen. Mir wird klar, dass von den Dingen, die auf dem Tisch stehen einige von Mateo hergebracht wurden. Der Kontakt in die Heimat. Antony hat nicht darüber nachgedacht. Ich sehe es deutlich an dem gequälten Gesichtsausdruck.

„Tut mir leid. Ich hab nicht...", gesteht er nun genau das. Er streckt seine Hand wieder nach mir aus, doch ich stehe auf.

Ich fühle mich wie getreten. Mache ich mir nur etwas vor? Ich versuche die Gefühle zu unterdrücken, die auf mich einbrechen. Doch es klappt nicht. Ich weiß, dass sie unrationell und zum Teil völlig idiotisch sind, aber die Vorstellung, dass der andere Mann auf dieser Couch gesessen oder in seinem Bett gelegen hat, macht mich in diesem Augenblick fast rasend. Ich möchte diese Gefühle nicht. Die einhergehende Enttäuschung macht es nur noch schlimmer. Sie macht es schier aussichtlos. Ein verzweifeltes Seufzen entflieht seinen Lippen.

„Hör mir zu." Antony ist mittlerweile aufgestanden und fasst nach meiner Hand. „Du hast mich darum gebeten, dass wir reden und wir wollen ehrlich zueinander sein. Dann lass uns ehrlich miteinander reden" Er zieht mich zurück zur Couch, atmet tief durch und sieht mich an.

„Es ist mir ernst mit dir, Benedikt." Seine Hand umfasst meine. Führend zieht er mich neben sich. Die Kissen der Couch scheinen in diesem Augenblick, wie aus Stein zu sein. Ich fühle mich unwohl. Antonys intensiver Blick macht es nicht besser. Ich denke an seine vormaligen Ausflüchte und vor allem an die Machtlosigkeit gegenüber Mateo. Antony hat nicht einmal geleugnet, dass er es mittlerweile aufgegeben hatte, sich zu wehren. Er hat es hingenommen. Schlimmer noch, er hat sich damit arrangiert. Warum also sollte sich jetzt etwas ändern? Und es gibt so vieles mehr, was gegen eine gemeinsame Zukunft spricht. Das Alles ist gerade so deutlich, wie keine Sekunde zu vor.

„Wie kannst du das sagen, wenn so viele Dinge dagegen sprechen?"

„Was spricht dagegen?" Ich stocke einen Moment und werfe meine Gedanken hin und her.

„Der Altersunterschied...", werfe ich ein. Schwach.

„Der ist mir vollkommen egal."

„Die Uni..." Ich steigere mich.

„Nicht einfach, aber das geht... Ich habe mich auch erkundigt und es gibt Möglichkeiten. Neben Professor Stroud." Er führt es nicht weiter aus. Ich beobachte ihn genau und weiche auch seinem Blick nicht aus als er, nachdem er geendet hat zu mir sieht.

„Mateo." Der Name des anderen Mannes ist nur ein Flüstern. Der Höhepunkt. antony atmet merklich ein und schweigt. Anscheinend muss auch er sich sammeln oder sich irgendwelche neuen Ausflüchte überlegen.

„Ich hätte nicht herkommen sollen."

„Was? Nein! Ben! Du musst mir bitte auch eine Chance geben. Ich kann nicht alles an einem Tag lösen, weißt du!"

"Ich weiß."

"Dann gib mir bitte noch etwas Zeit um eine Lösung zu finden", bitte er sanft, aber eindringlich. Ich schüttle unwillkürlich den Kopf, weil ich nicht daran glaube, dass es etwas bringt.

"Ich kann nicht. Es wird nichts ändern."

"Wieso denkst du das?" Unbewusst schüttele ich erneut den Kopf, verdränge damit meine negativen Gedanken und weiche seinem Blick aus, ohne wirklich zu antworten.

„Ben,..." Eine Ermahnung an unsere Abmachung. Ehrlichkeit.

„Ich weiß, dass das hier ein Fehler ist. Das Alles", sage ich und sehe, wie nun er den Kopf schüttelt. Er streckt seine Hände nach mir aus und umfasst beide Seiten meines Gesichts mit beruhigender Wärme.

„Ich habe so viele Fehler gemacht, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Aber das hier... du! Du bist keiner." Er unterstreicht seine Worte mit einer weiteren mimischen Bestätigung. Ich starre auf seine angefeuchteten Lippen und auf die sanfte Linie seines Bartes. Trotzdem schaffe ich es nicht, ihn wirklich anzusehen.

„Woher willst du das wissen?" Im Grunde kennen wir uns nicht. Antonys Daumen streichelt meine Wange und gleitet dann über meine Unterlippe. Die berührten Stellen beginnen zu kribbeln. Ich schließe meine Augen und widerstehe dem Drang, dasselbe bei ihm zu wiederholen.

„Weil ich das erste Mal seit Ewigkeiten wieder etwas empfinde. Bitte, lass es uns versuchen. Ich werde alles tun um es dir zu beweisen." Seine fast verzweifelten Worte verursachen mir Gänsehaut. Ich blicke auf. Die kühlen Iriden sind trüb. Diese Zerrissenheit und Unsicherheit kosten so viel Kraft. Für uns beide.

„Ich will keinen Fehler mehr machen. Und dich einfach gehen zu lassen, wäre ein großer Fehler." Der Portugiese lässt seine Hände sinken. Sie betten sich in meinem Schoss. Ich will ihm glauben. Mein Verstand mahnt. Doch mein Herz ist ihm bereits vollkommen verfallen.

„Hör zu, ich verstehe deine Zweifel und ich weiß, auch, dass ich dich um einen riesigen Vertrauensvorschuss bitte." Vertrauen in etwas noch immer Fremdes. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, hallt es in meinem Kopf. Vertrauen. Bisher schenkte ich es stets vergeblich.

Nichts, was sich lohnt zu haben, ist einfach zu kriegen, schreit es mir als Antwort entgegen.

„Bitte, gib mir dir Chance, dir zu beweisen, dass ich es kann."

„Du musst es mit ihm klären...endgültig", sage ich, ohne ihm eine direkte Antwort zu geben. Der Schwarzhaarige nickt. Ich verlange viel von ihm. Denn ich weiß, dass im Grunde nicht Antony der Problemfaktor ist, sondern Mateo.

„Das werde ich...so lange bis er es endlich versteht..." Ich glaube ihm. Das seltsame Gefühl, welches ich bereits den ganzen Abend mit mir herumschleppe, bleibt. Antonys Hand streckt sich nach mir aus. Er streicht mir über die Wange und ich schließe meine Augen. Er zieht mich in seine Arme. Die Wärme seines Körpers umfängt mich, wie eine kurierende Hülle. Lasse ich mich nur einlullen? Ich will daran glaube, dass wir es schaffen. So, als hätte er meinen betrübten Gedanken gespürt, drückt er mich fester an sich. In dieser Position verbleiben wir den restlichen Abend. Das Gefühl seiner streichelnden Hände, die wieder und wieder über meinen Rücken gleiten oder meinen Schultern. Hin und wieder ein Kuss. So intensiv und süß. Wir genießen das leise Reden, tauschen kleinere Geschichten aus. Antonys Stimme ist weich und ruhig. Es ist ein deutlicher Unterschied zu der Art und Weise, wie er in der Uni redet. Zwar auch ruhig, aber vor allem distanziert, kühl. Er bittet mich zu bleiben. Ich gehe nicht.
 

Ich erwache durch eine wohltuende Wärme. Antonys Körper drückt sich über die gesamte Länge gegen meinen. Ich spüre seine Brust, die sich sanft bebend gegen meinen Rücken bewegt. Seinen Arm, der um meinen Bauch liegt und die Hand, deren Finger hauchzart meinen Brustkorb berühren. Wohlige Hitze trifft meinem Hintern. Sie jagt mir kleine Schauer der Aufregung durch den Leib. Selbst meine Waden empfangen diese unglaubliche Geborgenheit. Meine Augen schließen sich augenblicklich wieder. Der gestrige Abend hat mich Antony wirklich näher gebracht, hat ihn klarer gezeichnet. Wir haben über Familie gesprochen, aber ohne die Dramen, die einen anderen Abend verlangen. Ein paar meiner kennt er bereits. Der Großteil von Antony Familie lebt in Spanien. Auch seine Eltern sind den Sommer über immer mehrere Monate lang dort. Sie sehen sich nicht oft. Das haben wir also gemeinsam. Er hat keine Geschwister. Ich erzählte ihm von meinen Nichten. Antony kann kochen und das anscheinend richtig gut.

Jetzt am Morgen legt sich sein freudig kribbelndes Lächeln auf meine Lippen, welches sich mit einem Hoffnungsfunken paart. Ich genieße es so lange bis sich der Körper hinter mir regt. Ein leichtes Kitzeln in meinem Nacken als mich Antonys warmer Atem trifft, lässt mich aufhorchen. Es ist erst streichelnd und dann neckend. Ein Kuss, der sich in die sanfte Beuge meines Halses bettet, folgt.

„Bist du wach?", fragt er. Nur ein heiseres Flüstern. Sein Kopf neigt sich über meine Schulter und dann sieht er mir verschlafen an. Nur mit einem Auge und wirrstehenden Haaren. Es sieht unglaublich sexy aus und fast 10 Jahre jünger. Ich schüttele meinen Kopf, verneine somit seine Frage nach meinem Wachsein und ernte das, was ich mir erhoffe. Antony legt sich hinter mich, umfasst mich sofort etwas fester und wir bleiben einfach liegen. Ich döse sogar wieder etwas ein. Das einfache Beieinandersein gibt mir so viel. So seltsam es klingt, aber diese Momente sind viel bindender für mich als Sex.
 

Obwohl es mir schwerfällt, verabschieden wir uns am frühen Nachmittag voneinander. Ein langer ausgiebiger Kuss vor der Tür. Eigentlich sind es viele mehr, aber wer zählt schon mit. Ich fahre Antony ein letztes Mal durch die noch immer ungekämmten Haare. Es lässt die Strenge in seinen Gesichtszügen fast verschwinden. Ich verspreche mich bei ihm zu melden, verschwinde die Treppe runter und sehe dann zum ersten Mal seit gestern Abend auf mein Handy. Das, was ich sehe, jagt mir kalte Schauer durch den Leib.

Trotz meiner Entschuldigung hat Anni fünfzehn Mal versucht mich zu erreichen. Beim der letzten Nachricht trete ich auf die Straße, genieße den kühlen Herbsthauch, der sich auf meine erhitzten Wangen legt. Anni weiß ganz genau, wo ich bin und wen ich ihr vorgezogen habe.

Seufzend schiebe ich das Telefon zurück in meine Hosentasche ohne ihr auf die Mitteilungen zu antworten. Ich werde mich erst in der WG mit ihr auseinandersetzen.

Ein Auto setzt sich in Gang, als ich aufblicke. Ein schwarzer BMW mit getönten Scheiben. Das kurze Kribbeln einer Erinnerung durchfährt mich. Ich habe diesen Wagen schon einmal gesehen. Mein Blick fällt auf das Kennzeichen als es an mir vorbeifährt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  tenshi_90
2015-11-10T16:00:38+00:00 10.11.2015 17:00
Das ist wieder ein richtig gutes Kapiteln :)

Nur das Ende lässt nicht Gutes ahnen... Ich hoffe, es wird nichts schreckliches passieren


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