Kiss me hard before you go von Karo_del_Green ================================================================================ Kapitel 21: Die Unklarheit in der zähen Masse voller Antworten -------------------------------------------------------------- Kapitel 21 Die Unklarheit in der zähen Masse voller Antworten Ein seltsamer Schauer erfasst mich als Luka die Spitze meines Ohres küsst. Seine Hand presst sich einen Moment lang fest gegen meinen Bauch und hält mich in Position. Unbewusst spanne ich ihn an und drücke mich dann von ihm weg. Was meint Luka damit, dass ich Mateo kennen lernen werde? Luka zieht abwehrend die Hände hoch als ich mich energisch löse und steckt sich eine Zigarette zwischen seine Lippen. Seine Hände greifen nach einem Feuerzeug, jedoch zündet er die Zigarette nicht an. Es lässt es nur klicken. Ein arrogantes Lächeln liegt auf seinen Lippen als er erneut beginnt, mich zu mustern. Ein Kopfschütteln folgt. Ein weiteres Zündgeräusch des Feuerzeugs. „Du und der Wirtschaftsfutzi, that blow my mind", stößt er aus. „Was ist das mit dir und Antony?", frage ich ohne auf seinen Ausspruch zu reagieren. Er weiß, sowieso schon zu viel und ich bin mir sicher, dass mehr hinter den Problemen zwischen Luka und Antony stecken muss. „Ich habe ihn gefickt." Während er spricht, zieht er kurz seine Schultern nach oben, so als müsste mir das als Aussage vollkommen ausreichen. Ich kann dabei zu sehen, wie die Zigarette zwischen seinen Lippen hin und her wippt. Er macht wieder einen Schritt auf mich zu und steht damit wieder dicht vor mir. Sein Blick wandert über meine Schulter zu Anni und dann wieder zu mir zurück. Sie haben also miteinander geschlafen. Es überrascht mich nicht so sehr, wie es müsste. Und dennoch spüre ich ein feines schockiertes Kitzeln, welches sich durch meinen Körper arbeitet. Mein Kopf gibt mir zu verstehen, dass ich es geahnt habe. Antonys Reaktion, als er die Zigarettenschachtel und die Handynummer von Luka bei mir gefunden hatte, sprach Bände. Übertriebene Eifersucht, das dachte ich im ersten Moment, aber anscheinend war es nur eine unbehagliche Verknüpfung mit negativen Erinnerungen an den anderen Mann. Ich kann mir vorstellen, dass es keine rosarote Verbindung gewesen ist. Auch, wenn ich hoffte, dass es vielleicht etwas anderes, weniger Prekäres ist. „Ha ha, ich kann mir vorstellen, dass ich nicht zu eurem Bettgeflüster gehörte." „Ben?", ruft Anni. Ich wende mich ihr kurz zu, verdeutliche ihr, dass ich gleich zu ihr komme und drehe mich wieder dem blonden Mann zu. Luka zündet sich nun endlich den Glimmstängel an. Sofort regt sich in mir das Bedürfnis ihm die Zigarette aus dem Mund zu nehmen und sie selbst zu rauchen. Ich versuche zu widerstehen, aber das momentane Chaos in meinem Kopf schreit förmlich danach. Ich sehne mich nach Beruhigung. Die krebsverursachenden Todesstäbchen verheißen genau das. Ich denke an meine Mutter. Diese Worte hatte sie benutzt als sie mich das erste Mal mit einer Zigarette erwischt hat. Krebsverursachenden Todesstäbchen. Ich war damals 15 Jahre alt. Die sonst ruhige und stille Frau ist völlig aus der Haut gefahren. Nie zuvor war derartiges passiert. Es gab endlose Diskussionen und Ansprachen und bis heute weiß ich nicht, ob mein Vater jemals davon erfahren hat. Meine Mutter hat es allein geschafft für genügend Furcht und Bange zu sorgen. Mein Blick haftet an der Zigarette. Luka bemerkt es und hält sie mir hin. Ich schiebe mit erstaunlicher Leichtigkeit seine Hand weg. „Was ist nun vorgefallen?", frage ich stattdessen. Ein wenig bissig und spitz. „Möchtest du die ganze Wahrheit?" Wieder beugt er sich etwas zu mir. Ich rieche den Rauch, der auf seinen Lippen haftet. Ich nicke nicht, sondern starre ihn nur still an. „Ich wollte Informationen über Professor Manuel Stroud. Dieser eingebildete, dumme Narr ist vollkommen überschätzt und überbezahlt. Ich bin in meinem Studium sehr früh mit ihm aneinander geraten. Er war doch tatsächlich der Überzeugung, ich wäre ein überheblicher Nichtskönner und ließ mich durchfallen. In einem nichtsbedeutenden Nebenfach." Seine Stimme ist abfällig und kalt. Sie ist wütend. Garantiert gibt es nur wenige Menschen, die ohne große Probleme mit jemand wie Luka zu Recht kommen. Es wundert mich nicht, dass er aneckt. „Dein Motiv ist also gekränkter Stolz und was bitte hat das mit Antony zu tun?" „Na. Na. Er nannte mich einen Nichtskönner, das kann ich doch bei meinen Fähigkeiten nicht auf mir sitzen lassen!" Während er das sagt, lässt er seinen Zeigefinger vor meinem Gesicht hin und her tanzen. Luka ist ein Egomane und Narzisst. „Ich habe ihm mein Können bewiesen und als guter Journalist nutzt man jede mögliche Quelle. Also habe ich mich an die Person gehängt, die in der Uni am engsten mit ihm zusammenarbeitet. Antony Rochas. Junger, engagierter Neudozent. Seine rechte Hand. Besser ging es nicht. Das Antony auch noch auf Kerle steht, war sozusagen mein kleines Bonbon. Wir hatten viel Spaß zusammen." Diese Worte bohren sich heiß in meinen Leib. Sie sind nur geflüstert und doch treffen sie mich, wie tausende Nadeln, die wie Klingen meinen Körper zerfetzen. Getroffen weiche ich seinem Blick aus. „Am Anfang war mir nicht klar, dass Stroud und Rochas praktisch familiär zusammenhängen bis ich auf Mateo traf, der es mir eindrucksvoll klar machte." Nun sehe ich Luka doch wieder an. Mateo machte es ihm deutlich? Das sagte Vieles, aber auch nichts. Sein Daumen streicht über die tiefe Narbe an seiner Unterlippe und ich verstehe. „Streiche Antony aus deinen Gedanken, denn er wird sich nicht für dich entscheiden. Er ist zu feige und noch dazu wird Mateo nicht zulassen, dass er sich von ihm entfernt." Lukas Hand streckt sich nach mir aus, streicht hauchzart über meinen Kiefer, legt sich an meine Wange, während seine Lippen die andere Seite meines Gesichts küssen. Ich lasse ihn gewähren, weil mein Gehirn schwer damit beschäftigt zu verarbeiten. „Weißt du, was ich glaube?" Er macht eine theatralische Pause. Ich schlucke. „Was?", frage ich genauso, wie er es mit diesen Worten bezweckt. Er nimmt einen letzten Zug und schnippt den Stummel unachtsam ins Beet. „Dass deine Aktion sowieso dafür gesorgt hast, dass er dich auf keinen Fall zurück will." Ein frostiger Schauer durchfährt meine Glieder als mir klar wird, dass ich diesen Gedanken bereits selbst hatte. Antonys enttäuschter Blick, der nach meinem Geständnis folgte, hat sich in meine Gedanken gemeißelt. Mein Fehler. Lukas Daumen streicht über die Haut meines Kinns. Sanft, fast liebevoll. Doch die Berührung ist, wie beißender Hohn. „Pass auf dich auf, Eco-Boy", flüstert er mir entgegen. Ich spüre seine Lippen, die sich gegen meine Schläfe drücken. „Ach und falls du deinen Mut wieder findest, weißt du, wo du mich findest." Damit verabschiedet er sich und verschwindet. Nur ein Hauch von Zigarettenrauch bleibt zurück. Ich schließe meine Augen und öffne sie erst wieder als ich Anni näher kommen höre. „Was hat das hier zu bedeuten?", fragt sie mit erregter Stimme. Sie hat die Situation genau beobachtet und ich kann sehe, wie aufgeregt sie atmet. Meine Augen wandern über ihr ebenmäßiges Gesicht. Sie trägt heute erstaunlich wenig Make up. Ihre Augen wirken müde. Ihre lockige Haarpracht ist in einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Ein paar von Annis roten Haarsträhnen streicheln durch den Wind angeregt über ihre Wange und über ihre Stirn. Auch ich habe noch immer so viele Fragen in meinem Kopf, dass ich mich kaum dazu in der Lage fühle ihre zu beantworten. Luka hat nur wenige wirklich beantwortet. Im Grunde hat er nur Vermutung bestätigt und mir verdeutlicht, dass Antony einen berechtigten Groll gegen ihn hegt. Er hat ihn ausgenutzt und verraten und das wegen Informationen. Luka ist, wie geahnt ein Schwein und er macht keinen Hehl draus. „Ben?" Annis Hand greift an meinem Arm und ich sehe wieder zu ihr. Ihr fragender Blick dringt tief in mich ein. Mein Herz wird schwer. Ich zögere, was sie auch merkt. „Hör zu. Es tut mir wirklich leid. Ich war extrem unsensibel und eine wirklich schreckliche Freundin. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist und warum ich diese Dinge zu dir gesagt habe und... und..." Sie bricht ab und senkt ihren Blick. Mein Gefühl sagt mir, dass sie gleich weint. In meiner Brust beginnt es bereits zu brennen. Ich ertrage es nicht, sie weinen zu sehen. Ein erstes Schniefen bricht hervor. Dann ein leises Schluchzen. Sie schluckt und wischt sich mit der Hand unter der Nase entlang. Wie automatisch greift meine Hand in ihren Nacken. Ich ziehe ihren Kopf an meine Schultern. Ihr Parfüm in meiner Nase. Blumig. Süß. Ihr Schluchzen wird etwas lauter, doch zu meiner Überraschung drückt sie sich von mir weg und schüttelt ihren Kopf. „Nicht Ben, das habe ich nicht verdient.", gibt sie schluchzend von sich. Sie atmet tief ein und trotz ihrer Worte sehe ich eine feuchte Spur auf ihrer linken Wange. „Ich hätte dir eine Freundin sein sollen und das war ich nicht. Es tut mir so leid. Ich verspreche dir, dass ich mich bessern werde und dass ich dich nie wieder so im Stich lasse." Mit diesen Worten beginnt sie richtig zu weinen. Ihre feuchten Augen blicken mir entgegen, während immer mehr Tränen über ihr Kinn perlen und auf dem grünen Stoff ihrer Jacke ein feuchtes Muster hinterlassen. Annis Körper bebt. Es ist lange her, dass ich sie so sehr weinen gesehen habe. Es trifft mich hart, aber ich kann die Enttäuschung in meinen Gliedern nicht vollkommen davon wischen. Ein junges Pärchen kommt an uns vorbei. Sie tuscheln und bleiben ein paar Meter hinter uns stehen. Wahrscheinlich glauben sie, dass ich Anni zum Weinen gebracht habe. Ich möchte nicht wissen, welche bösartigen und klischeehaften Szenarien sie sich ausmalen. „Ich war echt enttäuscht, Anni", gestehe ich. Wohlwissend, dass ich noch mal so richtig schön Salz in die Wunde streue. „Ich weiß", murmelt sie schuldbewusst. Ihre Augen füllen sich prompt mit noch mehr Tränen. Ich widerstehe dem Drang sie sofort in den Arm zu nehmen, um sie einfach nur nicht mehr weinen zu sehen. Trotzdem suche ich bereits meine Taschen nach einem Taschentuch ab. Ich finde eine fast leere Packung in der Innentasche meiner Jacke und reiche sie ihr. Anni nickt. Weswegen genau ist mir nicht klar, also fahre ich fort. „Ich hätte deine Unterstützung gebraucht." Meine Stimme ist ruhig und wenig vorwurfsvoll. Ich weiß, wie sehr diese Art sie quält. Anschreien und rumbrüllen wäre ihr lieber. Damit kann sie etwas anfangen. Doch dazu bin ich nicht wirklich der Typ. Augenblicklich denke ich an Antony, denn diesen habe ich bei unseren Konfrontationen angebellt. Nicht die ganze Zeit, aber dennoch für ein paar Momente. Ein heftiges Ziehen in meiner Brust. Ich bin selten derartig aufgebracht. „Ich weiß", wiederholt sie piepsig. Erneut streckt sie ihre Hand nach mir aus und lässt sie wieder sinken. Diesmal greife ich danach und halte sie fest. Erschrocken blickt sie auf. Ihre blauen Augen sind betrübt. Ein leises Schniefen mit reichlich Rotz ist zu hören und ich verziehe angeekelt das Gesicht. Anni pfriemelt endlich ein Taschentuch hervor und schnaubt. Ich seufze leicht und ziehe sie dann in meine Arme. Mein Kinn legt sich auf ihren Kopf ab. Haare kitzeln meine Wange als Strähnen ihrer widerspenstigen Haare durch die leichte Bewegung aus ihren Zopf fallen. Aprikosenduft umnebelt mich. Annis Arme legen sich um meine Hüfte und sie drückt sich fest an mich. Sie beruhigt sich. Warum nur werde ich so schnell weich. „Du bist doof", kommentiere ich leise, merke prompt, wie sie zustimmend nickt. Das lässt mich schmunzeln. Immerhin streitet sie es nicht ab. Dass mir Anni Recht gibt, ist selten genug. „Es tut mir wirklich leid, Ben", murmelt sie gegen meine Brust. „Ich weiß!" Anni sieht auf. Ihre Augen wandern über mein Gesicht als würde sie darin die Wahrheit lesen können. Ich verstecke nichts vor ihr. Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass es ihr leid tut und auch, dass es wahrscheinlich wieder passieren wird. „Haben wir uns wieder lieb?", fragt sie leise und drückt ihr Gesicht wieder tiefer in meine Halsbeuge. Ich bette meine Wange an ihrem Kopf und seufze theatralisch. „Frag mich nächste Woche noch mal", sage ich leise, aber witzelnd. Anni versteht mich, was sie mir durch ein feines Nicken signalisiert. Ich drücke sie etwas fester an mich und schließe einen Moment beruhigt die Augen. Wir haben schon vieles durch gestanden, da schaffen wir diesen kleinen Bruch auch. Auch, wenn mich Annis Reaktionen ein klein wenig Vertrauen gekostet haben. Eine Weile stehen wir schweigend an der frischen Luft. Kühler Wind trifft unsere Körper, aber ich friere nicht und das, obwohl seit geraumer Zeit meine Jacke offen steht. „Ben?" „Hm?" „Erzähl mir, was passiert ist" Ich habe damit gerechnet, dass sie mich nach den vergangenen Tagen fragen wird und doch verkrampft sich augenblicklich meine gesamte Magengegend. Es schmerzt. Ich weiß nicht, wie ich das Alles verständlich zusammenfassen soll, da es mir ja selbst noch immer nicht zu Hundertprozent verständlich ist. Die Rothaarige löst sich von mir. Sie greift nach meinen Reißverschluss und schließt meine Jacke. Wie fürsorglich. Danach nimmt sie sich das letzte Taschentuch und tilgt auch die letzten Spuren ihrer Heulattacke. Nun ja, nicht alle. Ich deute ihr die entstandenen Pandaaugen an und zum Schluss müssen auch meine beiden Daumen dafür herhalten die Spuren bestmöglich zu vertuschen. „Hast du noch einmal mit Antony gesprochen?" „Ja.", bestätige ich knapp. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und deute Anni an, dass ich Richtung Mensa gehen möchte. Ich mache ein paar erste Schritte, doch Anni folgt mir zunächst nicht. Ich wende mich zu ihr um. Noch immer trübt etwas ihre Augen und ich weiß, dass es die Unwissenheit ist, die sie quält. Ich winke sie ran und ein wenig unwillig beginne ich, ihr alles zu erzählen. Das Aufeinandertreffen mit Antony in der Uni und seine Ausflüchte. Die Schuldzuweisungen oder eher gesagt seine Schuldzurückweisungen. Sein plötzliches Auftauchen in der WG. Die Bedeutung von Mateo, derer ich selbst noch nicht sicher bin. Außer dass er anscheinend eine große Rolle in Antonys Leben spielen muss. Negativ oder positiv. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Weiß nicht, was es bedeutet, dass er sich anscheinend nicht von dem anderen Mann lösen kann. „Ich habe Mist gebaut", flüstere ich leise und sehe zu der Rothaarigen. „Jetzt kommt der Teil mit Luka. Er hat dich rumgekriegt, oder?", fragt sie vorsichtig und es verwundert mich immer wieder, wie leicht sie mich durchschaut. Normalerweise, wenn sie mir ein sexuelles Abenteuer herauskitzelt, verziehen sich ihre Lippen zu einem verschmitzten Grinsen. Diesmal vernehme ich nur ein leises Seufzen. Für gewöhnlich erfragt sie jedes Detail, doch nun scheint sie kein einziges Wort hören zu wollen. Ich bin dankbar dafür, denn ich bin selbst noch nicht bereit. „Ben, bitte, sag mir, dass es nicht meine Schuld ist, dass du mit Luka geschlafen hast." Sie sieht mich fast verzweifelt an. „Soweit ist es nicht gekommen, aber...er hat...na ja..." Ich stocke, weil ich in diesem Moment nicht weiß, was ich ihr antworten soll. Noch, wie ich es ihr verständlich machen, was genau passiert ist. Vielleicht trifft sie eine Teilschuld. Obwohl, ich auch weiß, dass es ganz allein mein Fehlverhalten war. Ich habe nicht genügend über mein Handeln nachgedacht und bin aus den falschen und dümmsten Motiven mit Luka mitgegangen. „Die letzten Tagen waren eine Katastrophe und weiß im Moment nicht mehr, wohin mit den ganzen Emotionen. Es überfordert mich, Anni. Ich...." Ich atme tief ein. „My Dear, hör mir mal zu. Du bist der hoffnungsfrohste und positivste Mensch, den ich kenne und das macht dich so besonders, Benedikt. Ohne dich hätte ich meine schwere Zeit nicht überstanden, denn du hast mich stets aufgefangen und mir deutlich gemacht, wie wunderbar das Leben mit all seinen Facetten ist. Es läuft nur mal nicht alles glatt, aber das heißt nicht, dass es schlecht bleibt..." Kurz gesagt, ich habe auch schöne Momente mit Antony gehabt und daran soll ich mich halten. Hoffungsvolle Worte. In meinem Kopf formulieren sich Antonys Mögensbekundung und ich bekomme Gänsehaut. Was wäre passiert, wenn ich ihm nichts von meinem Fehltritt erzählt hätte? Wäre er bei mir geblieben? Im Grunde lässt mir dieser Gedanke keine Ruhe mehr. Aber ich bin mir sicher, dass selbst wenn es positiv geendet hätte, es irgendwann später herausgekommen wäre. So etwas bleibt niemals unausgesprochen. „Ich will eine Zigarette", sage ich laut und sehe plötzlich in zwei erschrockene blaue Augen. Ungläubigkeit und leichtes Entsetzen. Sie schlägt mir sachte gegen die Schulter. „Benedikt!!" „War nur ein Spaß!", sage ich beschwichtigend oder eher lügend. Meine Fingerspitzen kribbeln. Annis Blick wird misstrauisch. Sie drückt mir ihren Finger in die Wange und ihre Lider senken sich. „Benedikt Kaufmann, wehe, du fängst wieder an zu rauchen", sagt sie bedrohlich und in meinem Kopf ergänze ich den Satz mit 'oder ich erzähle es deiner Mama'. Das hätte Anni definitiv drauf, zumal sie sich sehr gut mit meiner Mutter versteht. „Lass uns endlich etwas essen. Ich verhungere sonst noch.", murre ich, statt weiterhin über Zigaretten zu diskutieren. Anni nickt. Ich kann mich für kein Essen entscheiden. Seit 10 Minuten stehe ich in der Mensa und bin heillos überfordert. Wahrscheinlich ist es auch meiner seltsamen Stimmung geschuldet, dass ich einfach keinen wirklichen Appetit habe. Ich beschließe nur ein belegtes Brötchen mitzunehmen, bezahle und suche einen freien Tisch. Ich lasse meinen Blick über die gefüllt Tischen wandern, sehe viele glückliche Gesichter und höre ein herzhaftes Lachen. Ich sehe zu der schönen Inderin und erkenne sie wieder. Ihre Freundin hat mir ihre Telefonnummer aufgedrückt, nachdem ich an ihrem Tisch sitzend eingeschlafen war. Sie haben mir meine Haare gerichtet. Diesmal sitzt sie mit zwei jungen Männern am Tisch. Ein Brünetter und ein Blonder mit wuscheliger Lockenmähne. Sie lachen schon wieder. Der Brünette sieht zu mir. Seine aufmerksamen und wachen braunen Augen sind beeindruckend. Ob ihn wohl Sorgen plagen? Bei dem Lächeln kann ich es mir kaum vorstellen. Ich bette meinen Kopf auf meinem Arm und schließe meine Augen. Ich höre, wie Besteck gegen Keramik schlägt. Annis Finger beginnen durch meine Haare zu streichen. Sanft und liebevoll. „Hey Ben!", ruft es mir entgegen und ich sehe verwundert auf. Rick kommt auf unseren Tisch zu gelaufen. Die Wahrscheinlichkeit ein bekanntes Gesicht in der Mensa anzutreffen, ist so wahrscheinlich, wie einen Pinguin in der Arktis zu finden. In seiner Hand hält er ein vollbeladendes Tablett. Eine Suppe. Ein Hauptgericht und ein Nachtisch. Ein komplettes Drei-Gänge-Menü. „Da hat aber jemand Hunger!", kommentiere ich sein Essensberg und sehe, wie Rick grinsend neben mir Platz nimmt. „Mein Tag war schon lang, du Erstsemester, du." Rick lächelt und ich bin ein kleinwenig beleidigt. Auch ich habe viele Vorlesungen und Seminare, aber ich bin bei weitem nicht so lange unterwegs, wie Rick es immer ist. Er sieht zu meiner besten Freundin und reicht ihr die Hand. Sie stellen sich einander vor. Annis Körpersprache ändert sich fast augenblicklich. Ihre Schultern straffen sich und wenn sie sich etwas nach vorn neigt, fallen ihre Schultern nach vorn, so dass sich ihre Brüste etwas zusammendrücken. Sie ist im Flirtmodus. Selbst ihre Stimmenlange ändert sich. Sie wird weicher und ein kleinwenig tiefer. Ob das bei heterosexuellen Männern eine Auswirkung hat? Rick ist definitiv vom Äußeren her ihr Typ. Ich werde sie wohl noch mal daran erinnern müssen, dass er in einer langjährige und glückliche Beziehung steckt. Wir plauschen eine Weile über belangloses Zeug. Meine Stimmung hellt sich auf. Anni verabschiedet sich nach einer Weile zu ihrer nächsten Vorlesung und Rick hat nur noch seinen Nachtisch zum Vertilgen. Er taucht seinen Löffel in cremigaussehenden Pudding. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein heller Schokopudding ist oder vielleicht irgendwas mit Karamell. Anhand der Farbe ist es nicht auszumachen. Mit einem Mal taucht der Löffel vor mir auf. „Ich habe Angst, dass du mich gleich anspringst und mir die Haare vom Kopf frisst", kommentiert Rick meinen starren Blick. „Schoko oder Karamell?" „Weder noch! Cappuccino!", sagt er verschwörerisch. Ein weiteres Mal schiebt er mir den Löffeln hin. Als ich danach greifen will, zieht er seine Hand zurück. „Nee, nee, du gibst mir nachher den Löffeln nicht mehr wieder!" „Du hast schlechte Erfahrungen gemacht, oder? Lass mich raten, Cora ist eine gemeine Futterdiebin!" Anni ist vom gleichen Typ. Niemals selber bestellen und Hunger verneinen, aber wenn anderen etwas haben, haben sie plötzlich doch riesigen Appetit. „Es ist schrecklich. Sie mampft mir einfach immer alles weg! Ich bin furchtbar traumatisiert!", gibt er theatralisch von sich und reicht mir dann den Löffel. Ich stecke mir den Pudding in den Mund. Er hat einen angenehmen, dezenten Kaffeegeschmack. Wirklich lecker. Der sahnige Geschmack breitet auf meiner Zunge aus. Ich schließe für einen Moment genießerisch die Augen. Es fällt mir wirklich schwer den Löffel wieder aus der Hand zu geben. „Du siehst wirklich arg traumatisiert aus." Wir lachen beide und ich gebe Rick brav den Löffel zurück. „Ich wollte heute Abend für euch kochen. Nur ganz einfach Kartoffeln mit Buttergemüse und Minutensteaks. Aber ich hadere noch damit", plaudere ich und sehe dabei zu, wie Rick seine Schale Pudding eins fix zwei leer futtert. „Oh, das klingt lecker! Warum überlegst du noch?" „Ich will euch ungern umbringen", gebe ich ehrlich von mir. Rick stockt und fängt dann laut an zu lachen. „Du willst für uns kochen, obwohl du es gar nicht kannst? Kritisch!" „Keine Ahnung, was mich da geritten hat, aber ja." Ich lache selbst ein wenig, weil es so absurd klingt. „Ich helfe dir, wenn du magst! Vielleicht überleben wir das Ganze dann!" Ich sehe, wie er lächelt und dann noch einen winzigen Rest aus seiner Schale kratzt. Vermutlich würde er sie auslecken, wenn nicht so viele neugierige Augen um uns herum wären. Gesättigt und zufrieden lehnt er sich zurück. Seine Hand gleitet über seinen noch immer flachen Bauch. Ich wusste nicht, dass Rick kochen kann, aber wenn er es nur halbwegs hinkriegt, garantiert es uns vielleicht ein verträgliches Mahl. „Das wäre echt toll!", gebe ich erleichtert zu. Ich meine es wirklich ehrlich. Die Gespräche mit Rick tun mir gut. Auch, wenn er im Grunde gar nicht so viel macht. Aber allein die Tatsache, dass er mich nicht seltsam oder abwertend anblickt und mir zu hört, hilft mir. „Sonst geht's dir gut?" Er lehnt sich mit beiden Armen auf den Tisch. Seine Frage reißt mich aus den Gedanken. „Ja, ich bin nur etwas verträumt!" „Schlecht geschlafen?" In seiner Stimme schwimmt Fürsorge. „Nur irgendwie unruhig!", gestehe ich. Ich muss ihm nicht erklären warum. Meine Gedanken wandern wieder zu Antony. Die Vorstellung, morgen mit ihm in einem Seminarraum sitzen zu müssen, bereitet mir bereits jetzt extremes Herzrasen. Ich sehe mich schon die gesamte Nacht kein Auge zu tun. Dabei bräuchte ich dringend etwas Ruhe und Schlaf. „Gib dir etwas mehr Zeit. Manche Dinge lösen sich erst nach einer Verschnaufpause!" Er hebt seinen Zeigefinger. „Hast du selbst gesagt!", legt er dann erklärend nach und ich brauche einen Moment, um zu verstehen, was er meint. Während des Eifersuchtsdramas mit Cora habe ich ihm etwas Ähnliches geraten. Er solle sie etwas in Ruhe lassen. Ihr Zeit geben und dann alles in entspannter Atmosphäre klären. Wahrscheinlich sollte ich meinen eigenen Rat annehmen. „Ich hab bis 18 Uhr Vorlesung, aber danach können wir mit kochen loslegen.", teile ich ihm mit. Ricks Hände vollführen eine Karatebewegung und ich zweifele daran, dass wir mit allen Fingern aus der Kochaktion herauskommen. Zum Abschied legt er mir seinen Arm um und drückt mich sachte an sich. Irgendwie vorsichtig. Wahrscheinlich ist es ihm doch nicht ganz geheuer. Ich kann es ihm nicht verübeln. Lächelnd danke ich ihm und entlasse ihn in seine Vorlesungen. Ich bringe unsere Tabletts weg und gehe zurück zur WG. Mein Weg führt mich über den Parkplatz. Eine Autotür, die sich öffnet. Ich sehe auf. In dem Moment, in dem mein Blick auf das schwarze, bekannte Auto fällt, richtet er sich auf. Antony. Seine kühlen, blaugrünen Augen sind trüb. Er sieht mich an und entgegen meiner Erwartungen steigt er nicht sofort ein. Seine linke Hand umgreift die Gepäckhalterung auf dem Autodach. Ich spüre, wie mit jeder Sekunde unseres Augenkontaktes mein Herz aus meinem Brustkorb zu springen scheint. Schmerz und Wut, aber vor allem ist es das grausame Gefühl des Vermissens, welches sich durch meinen Körper arbeitet. Meine Gefühle für den anderen Mann sind nicht weniger geworden. Im Gegenteil, sie sind vielfältiger und tiefer als je zu vor. Antony wendet seinen Blick ab und steigt in sein Auto. PS vom Autor: Ich danke euch tollen Menschen dafür, dass ihr meine Geschichte lest und mir das Gefühl gebt, dass ich etwas Freude verbreiten kann :D Ihr seit wunderbar! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)