Zum Inhalt der Seite

Kiss me hard before you go

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Bekenntnisse eines Akademikers 2

Kapitel 19 Bekenntnisse eines Akademikers 2
 

Ich blicke auf den Zigarettenstummel in meiner Hand. Warum muss derzeit alles schiefgehen? Beim nächsten Mülleimer lasse ich die Zigarette verschwinden und habe für einen Moment das Gefühl, dass mit diesem Stummel mein Leben im Müll verschwindet. Nichts, aber wirklich nichts scheint zu funktionieren. Liebe. Freundschaft. Familie. Alles im Arsch.

Mein Körper fühlt sich schwer, aber zugleich unglaublich leer an. Es ist seltsam. Ich sehe auf meine Fingerspitzen. Sie sind taub und das, obwohl ich mich direkt daran erinnere, wie sie über warme, wohltuende Haut streichen. Was ist nur los mit mir?

Entmutigt und seltsam ermattet, gehe ich zur Bushaltestelle und nach nur wenigen Minuten kommt ein Bus. Ich setze mich ganz nach hinten und lehne meinen Kopf müde gegen die leicht vibrierende Scheibe. Das sanfte Rütteln beruhigt mich und ich schließe meine Augen. Warum passiert das nur alles? Für einen Augenblick spüre ich tiefe Verzweiflung, die sich in bodenlose Ernüchterung wandelt. Die anhaltende und tiefsitzende Enttäuschung über die Gefühlskälte meines Erzeugers, der mir damit auch den Rest meiner Familien genommen hat. Meine beste Freundin, die so wenig Empathie und Mitgefühl für mich aufbringt, dass ich mittlerweile der völligen Überzeugung bin, dass bei ihr etwas ganz grundlegend kaputt gegangen sein muss. Und der Mann, bei dem ich mir Halt und Chance wünschte, der aber letztendlich meine Gefühle nur mit Füßen tritt. Und dann noch Luka. Ein Kapitel für sich. Im Grunde meine eigene Dummheit.
 

Die Ernüchterung bereitet sich in mir aus, wie eine Krankheit, die meine Glieder lähmt und meinen Verstand in die Knie zwingt. Na, wenn das mal nicht Stoff für kitschige und dramatische Belletristik ist. In meinem Kopf bündeln sich die Szenen meines chaotischen Lebens zu einer erzählerischen Storyline mit mahnenden Kommentaren. Als ich das nächste Mal auf die Ansage achte, bin ich schon um 5 Stationen an meiner Haltestelle vorbeigefahren und damit bei der Endstation angelangt. Großartig.

Der Bus hält und ich stehe nicht sofort auf. Der Busfahrer wiederholt die Durchsage und betont dabei den Hinweis auf die Endstation. Sein Blick, der über den Rückspiegel auf mich gerichtet ist, ist genervt und leicht aggressiv. Bevor er ein weiteres Mal den Mund aufmacht, ziehe ich mich an einer Haltestange hoch und steige aus dem Bus. Hinter mir schließt er sofort die Tür.

Es ist verdammt kalt. War es vorhin auch schon so kalt? Wahrscheinlich habe ich es nur nicht wahrgenommen, weil diese verräterische Lust in meinem Blut schwamm und sich mein eigener Körper fremd anfühlte. Jetzt trifft sie mich schlagartig.

Ich ziehe merklich die Schultern nach oben und erhoffe mir so mehr Schutz vor der bitteren Kälte. Mein Hals liegt komplett frei. Ich weiß nicht einmal, wo meine Winterklamotten hingekommen sind. Anni weiß es. Noch möchte ich sie nicht anrufen und danach fragen. Ich denke an meine Mutter. Ich habe meine Schwester gebeten, mich auf den Laufenden zu halten, aber bisher habe ich keine Nachricht von ihr bekommen. Es belastet mich nicht zu wissen, wie es meine Mutter geht. Mein Leben gerät aus den Fugen und ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann. In mir wächst das Bedürfnis eine liebevolle Stimme zu hören, die mich beruhigt und mit sagt, dass alles wieder gut wird, auch wenn es nicht stimmt. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und blicke still auf das dunkele Display, während ich schleichend weiterlaufe.

Ich wähle nach kurzem Zögern Natalias Nummer. Es klingelt lange und ich lege nicht auf, bis ich ihre Stimme höre.

„Ben?" Fast nur ein Flüstern. Wahrscheinlich musste sie in einen anderen Raum gehen, bevor sie ans Telefon kam. Unwillkürlich schließe ich die Augen. Ich fühle mich getroffen, auch wenn ich im Grunde weiß, woran es liegt und es nichts Neues ist.

„Hey, wie geht es euch? Wie geht es Mama?"

„Mama, darf nächste Woche nach Hause. Sie muss nicht operiert werden." Ich atme erleichtert aus. Natalia hört es.

„Sie verkraftet es wirklich gut, Ben. Wir kümmern uns um sie. Ich habe mit meinem Chef gesprochen und geregelt, dass ich für einige Zeit verkürzte Arbeitszeiten nehme und sie so unterstützen kann." In mir wächst erneut das schlechte Gewissen. Ich wäre auch gern für sie da. Vor allem, weil es für mich am wenigstens aufwendig wäre, ihr zu helfen.

„Sie hätte dich gern an ihrer Seite, das weißt du, ja?" Sie scheint meine Gedanken zu erraten. Es ist kein Vorwurf, sondern eine unaufgeforderte Bestätigung, dass der Groll weder von meiner Mutter noch von meiner Schwester ausgeht. Ich denke an die Szene im Krankenhaus. Der kalte Blick meines Vaters, der jeglichen Mut aus mir riss. Ihre Stimme verdeutlicht mir ihre bedauernde Machtlosigkeit.

„Ich weiß." Mehr bekomme ich nicht heraus.

„Ben, es ist alles gut, wirklich! Mama schafft das", versucht sie mich zu beruhigen.

„Schaffst du das wirklich alles?", hake ich nach und mache mir einfach nur Sorgen, dass sie sich zu viel zumutet. Ich höre sie leise seufzen. Ein Job, zwei kleine Kinder und eine kranke Mutter. Ebenfalls ein perfektes Klischee.

„Ich bin ein großes Mädchen, Benedikt. Ich schaffe das. Roman kümmert sich um die Mädchen und wir wohnen nicht so weit entfernt. Das wird schon. Außerdem ist Mama ganz versessen darauf, niemanden zur Last zu fallen. Was wiederum Schwierigkeiten machen könnte", kommentiert sie amüsiert, doch ich höre die Sorge, die mitschwimmt.

„Ja, sie kann keine Hilfe entgegen nehmen. So ist sie schon immer. Wie geht es den Mädchen?", flüstere ich meiner Schwester entgegen.

„Sie wachsen und werden immer frecher. Im Ernst, sie werden langsam, wie du damals warst." Natalia ist 6 Jahre älter als ich und damit hat sie mich als Kind komplett wahrgenommen. Ich war kein kleines Püppchen, welches man als große Schwester lustig umher tragen konnte. Ich war nervtötend und ständig am Rumrennen. Bereits damals hatte ich meinen eigenen Kopf und das hat mich des Öfteren in Probleme gebracht. Unbewusst fahre ich mir mit der Hand über das Schlüsselbein. Im Laufe meiner Kindheit habe ich es mir ganze 5 Mal gebrochen. Fast immer im Abstand von 3 Jahren. Das erste Mal mit einem Jahr. Wenn man über den Knochen streicht, dann spürt man die Stellen, an denen er wieder zusammen gewachsen ist.

„Besonders Mira ist sehr wild. Und sie ist letztens fast von der Couch gefallen. So, wie du damals." Ich stelle mir vor, wie sie zu lächeln beginnt und bleibe stehen.

„Du hattest mich geschubst."

„Gar nicht wahr!", wehrt sie sich. In diesem Moment öffnet sich am anderen Ende der Leitung eine Tür. Natalia schreckt auf. Für einen Augenblick ist es still, dann ein Flüstern. Ich höre meinen Namen. Ein niedliches Kichern. Eine meiner Nichten. Mein Herz wird schwer. Ich höre sie leise und sanft miteinander sprechen, verstehe, aber nur Natalia.

„Allo Ben..." Ein zartes Flüstern haucht sich durchs Telefon, gefolgt von einem erneuten kindlichen Lachen. Natalia lobt ihre zweijährige Tochter und ich habe das Gefühl, dass mir mein Herz gleich aus dem Brustkorb springt. Ich weiß nicht einmal, ob es Mira oder Sophie war. In meinem Kopf sehe ich die beiden Mädchen eng eingewickelt in ihren Decken. Pausbäckige, neutrale, aber hübsche Babygesichter. Natalia hält sie beide im Arm. Mittlerweile sind sie so groß, dass sie das wahrscheinlich nicht mehr kann. Ob sie ihre hellen Haare haben oder seine dunklen? Ich weiß es nicht.

„Mira redet schon sehr viel. Sophie ist eher ruhig.", berichtet sie. Das glückliche Lachen einer Mutter. Ich kann nicht verhindern, dass mir erneut Tränen über die Wange laufen. Still und heiß. Ich streiche sie schnell weg.

„Ben, bist du noch dran?"

„Ja, ich bin noch dran."

„Alles okay bei dir?" Ich schaffe es nicht, sofort zu antworten.

„Ja. Alles gut." Ich kann nicht aufrichtig antworten. Natalia ist diejenige, die nun schweigt.

„Ich wollte mich nur erkundigen, wie es Mama und wie es dir und den Mädchen geht. Das ist alles." Ein Teil der Wahrheit. Ich habe auch eine vertraute und liebevolle Stimme hören wollen, auch wenn ich weiß, dass es nichts ändert. Natalia kann mir nicht helfen. Unsere Mutter kann es auch nicht.

„Ben, wenn etwas ist, dann rede mit mir." Erneut höre ich die Tür. Ich sehe auf die Uhr. Sicher kommt ihr Mann bald nach Hause und ich will ihr keine Probleme machen.

„Ich bin ein großer Junge, Natalia. Es ist alles gut." Die Wendung 'Dass ich es schaffe' lasse ich weg, denn im Moment bin ich mir dessen einfach nicht sicher. Natalia schweigt. Sie wägt ab.

„Ben,..." Sie zweifelt. Ich seufze leicht. Dass sie sich nun auch Sorgen um mich machen muss, war nicht beabsichtigt.

„Talia, du hast doch Ahnung vom Kochen. Was kann ich machen, was jedem schmeckt und was auch ich hinbekomme? Oh, was anderes als Nudeln."

„Was anderes als Nudeln...Besitzt ihr eine Mikrowelle?" Der Ernst ihrer Stimme wird nach wenigen Sekunden von einem mädchenhaften Kichern abgelöst. Es durchringt mich. Es lässt mich schmunzeln, dennoch ziehe ich unbewusst eine Schnute. Obwohl ich selbst weiß, dass meine Kochkünste nicht die Besten sind, trifft mich ihre Aussage direkt ins Geschwisterherz. Ich bin dennoch dankbar, dass meine Ablenkung funktioniert hat.

„Wie fies."

„Entschuldige bitte." Ein erneutes Kichern. Sie klingt, wie damals. Ich lächele und fühle mich wirklich etwas besser.

„Okay, okay...wie wäre es mit Minutensteaks, Buttergemüse und ein paar Kartoffeln. Es wäre nur ein bisschen anbraten und auftauen. Das kriegst du hin." Klingt gut. Ich notiere mir ihren Vorschlag gedanklich und blicke kurz auf die Uhr. Zeit habe ich noch allemal um alle Zutaten zu besorgen.

„Empfehlung angenommen!", kommentiere ich, nachdem ich merke, dass sie auf eine Antwortet wartet.

„Lass dir beim Kartoffeln schälen helfen, nicht, dass wir bald noch jemanden im Krankenhaus besuchen kommen müssen." Diesmal entfährt ihr ein herzhaftes Lachen.

„Haha, sehr witzig, Natalia." Sie lacht weiter. „Und schälen ist nicht das Problem, sondern das Geschmackverleihen."

„Kochen ist nicht umsonst eine Kunst, Ben", flötet sie mir entgegen und ich höre erneut, wie die Tür bei ihr auf geht.

„Gut, ich muss meinen Mädels auch noch eine Kleinigkeit zaubern. Meld dich, ja?"

„Ich versuche es. Drücke deine Süßen."

„Mach ich. Ben, pass auf dich auf." In dem Moment, in dem ich das Gespräch beende, vibriert es in meiner Hand. Eine Nachricht. Sie ist von Antony. Mein Herz verkrampft sich. Er will mit mir reden. Ihn zu ignorieren, würde nichts bringen, also entscheide ich mich zu antworten. Ich tippe ein deutliches Nein und schiebe das Telefon zurück in meine Hosentasche. Es bleibt still. Ich nutze die Gelegenheit und besorge im Supermarkt noch ein paar Kleinigkeiten, bevor ich mich zurück in die WG bewege. Darunter die Zutaten, die mir meine Schwester genannt hat und klischeehaft Eiscreme. Vanille. Meine anderen Lieblingssorten gab es nicht. Ich werde als auf Ricks Angebot zurückkommen müssen.
 

Die Tür fällt hinter mir ins Schloss. Lauter als gewollt, dennoch gibt es keine Reaktion in der WG. Ich räume die Lebensmittel in den Kühlschrank und bleibe danach lauschend im Flur stehen. Keine Geräusche, aber unter Maries Zimmertür ist ein Lichtstrahl zu sehen. Ich gehe zurück in die Küche und hole mir das Eis aus dem Gefrierschrank, greife einen Löffel und verschwinde in meinem Zimmer. Nach Kochen ist mir nicht mehr. Vielleicht morgen. Vielleicht übermorgen. Für diesen Moment habe ich das Gefühl, nichts zu Ende bringen zu können.

Ich lasse mich am Schreibtisch nieder. Ich neige meinen Oberkörper Richtung Schreibtisch und lasse den Kopf sinken. Mein Rücken meldet sich mit leichter Aufruhre. Ich richte mich wieder auf und greife nach dem Becher mit Eis. Ich sehe auf die unberührte Oberfläche und lasse meinen Löffel dann fast zärtlich darüber gleiten, sodass sich in der Löffelinnenfläche eine kleine Welle bildet. Ich sehe dabei zu, wie sie leicht nach unten läuft als ich den Löffel mit der Fläche nach oben vor mich halte. Erst als die Creme fast am Ende angelangt ist, lecke ich sie ab, spüre die Kälte, die meine Zungenspitze reizt, merke die Süße, die meine Geschmacksknospen kitzelt. Das blumige, volle Aroma, welches süß meinen Hals hinabrinnt. Ich mache dasselbe ein weiteres Mal und lasse den Löffeln in meinem Mund liegen. Knarrend lehne ich mich zurück. Ich schließe meine Augen, spüre die Rastlosigkeit, die mich in diesem Moment durchströmt. Warum darf ich nicht glücklich sein? Mir vergeht augenblicklich der Appetit. Ich nehme einen weiteren Löffel, doch es befriedigt mich nicht und ich schiebe die Packung lustlos von mir fort. Meinen Kopf bette ich erneut auf das harte Holz. Es klopft an meine Tür und ich hebe mein auf dem Tisch platziertes Haupt.

„Ja?" Ich sehe, wie Marie ihren Wuschelkopf durch den Spalt schiebt und im Zimmer nach mir sucht.

„Hey, da ist jemand für dich an der Tür." Mein Blick ist zuerst verwundert, doch dann bekomme ich eine leise Ahnung. Ich seufze resigniert und nicke ihr zu. Bevor ich das Zimmer verlasse, drücke ich Marie lächelnd das Eis in die Hand. Im Flur erblicke ich die angelehnte Wohnungstür. Mein Herz poltert durch mein Inneres. Ich habe gehofft, dass er es darauf beruhen lässt.

Marie hat ihn nicht in die Wohnung gelassen und ich bin froh darüber. Meine Fingerspitzen beginnen dennoch vor Aufregung zu kribbeln. Ich zögere, während ich der Tür näher komme. Antony blickt auf als ich sie öffne. Nur einen Spalt um ihn anzudeuten, dass er nicht willkommen ist. Er trägt dieselben Klamotten, wie am Morgen. Er ist wohl direkt von der Uni hier her gefahren.

„Hey", sagt er zurückhaltend. Ich antworte nicht. Meine Fingerspitzen pulsieren stärker. Ich drücke sie aufgeregt gegen das kühle Holz. „Können wir reden? Bitte", fragt er leise und sieht sich unbewusst im dunklen Flur um. In mir beginnt es immer mehr zu kribbeln. Mit seinem Anblick wächst erneut die Wut, die Enttäuschung aber auch die Neugier. Das Bedürfnis seine Erklärungen zu hören, schreit laut in mir. Ich sehe Marie aus der Küche zu mir sehen, nehme das als Anlass hinaus auf den Flur zu treten. Ich schiebe vorher meinen Hausschlüssel in die hintere Hosentasche und schließe hinter mir die Tür. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Ein Ausdruck meiner Unsicherheit und keine direkte Abwehr. Ich vermeide es Antony anzusehen.

„Es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich zu dir gewesen bin", sagt er leise und ich schließe die Augen. Wenigstens versucht er mich nicht davon zu überzeugen, dass ich mir das Ganze eingebildet habe oder dass es anders war als es aussah.

„Aber es ist wirklich nicht so, wie..."

„Nicht...", unterbreche ich ihn. Ich unterdrücke ein frustriertes Lachen. Es wäre ja auch Mal eine willkommene Abwechslung gewesen. Ich gebe ein verächtliches Geräusch von mir und blicke ihn verärgert an.

„Willst du mir jetzt erzählen, dass es dein verschollener Kindheitsfreund ist oder was weiß ich", philosophiere ich sarkastisch, aber ermattetet ideenlos für ihn und sehe, wie Antony seine Arme hebt. Sie fallen fast resigniert wieder nach unten und er fährt sich unwirsch durch die mittlerweile ungemachten Haare.

„Nein, das möchte ich nicht.", erwidert er fahrig. Er sieht erschöpft aus.

„Bitte, gib mir nur ein paar Minuten. Danach kannst du mir an den Kopf werfen, was du willst. Brülle mich an, mach mich fertig oder was auch immer, aber lass mich ausreden." Ich sehe dabei zu, wie er einatmet und sich sammelt. Er wirkt nicht viel gefasster. Die Tatsache, dass es auch ihm nicht leicht fällt, lässt mich etwas Genugtuung verspüren, aber es befriedigt mich nicht.

„Ja, ich habe dir nicht gesagt, dass dort noch jemand anderes ist und es tut mir leid. Ich führe mit ihm keine Beziehung, aber ich hatte eine mit ihm...einen sehr komplizierte..." Er macht eine Pause und sieht mich an. Ich spüre, wie unwillkürlich meine Augenbraue nach oben wandert und beginne skeptisch zu gucken. Die Erklärung reicht mir nicht. Kompliziert ist vieles, doch das ist keine Rechtfertigung. Ich schweige, wie er es verlangt hat, beiße aber die Zähne zusammen.
 

Antony lehnt sich gegen die Treppenbrüstung und für einen Moment wirkt es, als wüsste er nichts mit seinen Händen anzufangen. Er streicht über seine Jacke, dann kurz über seine Hose. Seine Finger verschränken sich letztendlich ineinander und er bettet sie gegen seinen Unterbauch.

„Ich habe ihn vor etlichen Jahren in Neapel kennengelernt. Wir haben eine Beziehung geführt, die von meiner Seite beendet wurde...nach dem es... komisch wurde..." Ich warte auf weitere Erklärungen, doch Antony starrt Löcher in den Boden. Seine Finger reiben aneinander. Er weiß nicht, wie er es mir erklären soll, doch ich lasse nicht locker.

„Ja, und weil eure Beziehung beendet ist, schläfst du mit ihm in deinem Büro?", frage ich sarkastisch und Antonys Gesicht wird immer leidender.

„Oh Ben, es tut mir wirklich leid. Ich wollte es nicht und ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll..." In mir beginnt es zu brodeln. Ich wende mich einen Augenblick von ihm ab. Sie haben wirklich miteinander geschlafen. Diese nun bestätigte Tatsache erfasst mich noch einmal mit ungemeinen Unwohlsein und lässt erneut den Schmerz aufflammen.

„Okay, versuch es trotzdem. Ich bin nicht so dumm, wie du anscheinend denkst", stelle ich klar und klinge dabei gefasster als ich in Wirklichkeit bin. Antonys innerer Kampf ist deutlich zu sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass er mir einfach nicht deutlich sagt, was Sache ist. Will er den anderen Mann schützen? Aber wovor? Geht es ihm nur darum, sich selbst zu schützen. Warum ist er dann hier? Noch immer ringt er mit sich. Ich habe keine Lust mehr auf dieses Spiel. Mit einem Kopf schütteln, wende ich mich zur Tür, lasse den Schlüssel ins Schloss gleiten, doch Antony hält mich zurück.

„Ben, bitte nicht. Das Problem ist einfach, dass er der Schwager des Professors ist." Es dauert einen Moment bis ich verstehe, was er damit sagen will. Für einen Moment starre ich ihn fassungslos an.

„Von Professor Stroud", wiederhole ich ungläubig. Antony nickt. Meine Finger umgreifen das Geländer der Treppe. Das kühle Holz und seine Stimme holen mich in die Realität zurück.

„Ben, es klingt wie ein totales Klischee, aber ich hab diesen verflixten Job wirklich durch Beziehungen bekommen. Manuel, Professor Stroud, weiß nicht... Er weiß nichts von der Beziehung zwischen mir und Mateo. Er hätte es nicht gut geheißen und..." Antony ringt mit sich und den Worten. Ich sehe ihn einfach nur fragend an, denn ich verstehe es noch immer nicht vollkommen. Antony versteht meinen Blick.

„Ich wurde ihm damals nur als ein Freund vorgestellt. Und... na ja, ich verstand mich gut mit dem Professor und er fragte mich, ob ich nicht an die Uni wechseln möchte. Er würde mich als wissenschaftlichen Mitarbeiter vorschlagen. Zu dem Zeitpunkt waren Mateo und ich noch irgendwie mit einander liiert, aber nicht mehr richtig und ich..."

„Und?", frage ich weiter, denn nichts von alle dem erklärt, warum er noch immer im Kontakt mit Mateo steht und warum er mit ihm schläft, obwohl ihre Beziehung schon so lange beendet ist.

"Ich habe mich endgültig getrennt als ich den Job wirklich bekam..."

„Anscheinend hast du ihm das mit der Trennung nicht deutlich mitgeteilt", sage ich bissig.

„Das habe ich, aber er hört es nicht...", fährt er mich an. Mein Puls geht augenblicklich höher als er mich gegen die Wohnungstür drückt und mit beiden Händen meine Oberarme fest pinnt. Er ist mir so nahe, dass ich den Geruch seines Aftershaves wahrnehmen kann. Es ist nur noch ein Hauch und trotzdem erfasst er mich mit voller Wucht.

„Er lässt mich nicht gehen. Er kommt hierher, wieder und wieder und er kommt immer zu mir. Mateo akzeptiert kein Nein. Er erpresst mich damit, dass er Manuel von ihm und mir erzählen wird und dass ich dann meinen Job los bin, den ich wirklich mag, Ben. Ich gebe ihm, was er will und er geht. Das hat für mich funktioniert... bisher...", fährt er fort.

„Bisher...", kommentiere ich mit zittriger Stimme.

„Ich habe nicht ohne Grund erstmal abweisend auf dich reagiert. Mein Leben ist schwierig. Ich begnüge mich nur hin und wieder mit oberflächlichen, einmaligen Bekanntschaften, weil das alles ist, was ich vernünftig funktioniert. Es hat mir immer gereicht. Du warst ein One-Night-Stand und es wäre besser so geblieben", presst er ehrlich hervor und ich fühle mich nur noch schlechter. So ist das. Ich verstehe nicht, warum er mir das nicht von vornherein gesagt hat. Ich schlucke schwer, versuche meine Tränen zu unterdrücken, die sich einen Weg nach außen bahnen. Brennend und heiß. Seine Worte verletzen mich tief.

„Okay, ich war einfach nur dein vierteljährliches Stell-dich-ein." Ich sehe, wie er schwer schluckt. Kein Gegenwort.

„Du wolltest nie eine Beziehung." Sein Blick geht zur Seite und fährt sich mit der Hand über den Kehlkopf.

„Du hast mir eine Nähe weiß gemacht, die nie da war", fahre ich fort.

„Nein." Nur ein Flüstern. Ich gehe nicht darauf ein.

„Nähe, die du nie wolltest."

„Das ist nicht wahr." Antony seufzt resigniert auf.

„Was, das hast du mir doch gerade erklärt!", belle ich, sehe, wie er leicht mit dem Kopf schüttelt um erneut zu verneinen, was er mir vor wenigen Minuten an den Kopf geknallt hat.

„Wieso hast du mich dann in dem Glauben gelassen, wir würden eine Beziehung beginnen können! Doch du wolltest mich gar nicht an deinem Leben teilhaben lassen, denn ich war ja nur dein verdammtes Nümmerchen für Zwischendurch." Mit den letzten Worten wird meine Stimme immer lauter. Mein Herz immer gespannter.

„Dir war doch von vornherein klar, dass es nichts Ernstes ist, aber du bist nicht auf die Idee gekommen, mir das ebenso mit zu teilen...Hat es dir Spaß gemacht?", gebe ich anklagend von mir.

„Bitte, hör auf. Ich habe Mist gebaut und ich weiß das.", fährt er mich an und ich zucke deutlich zusammen. Es ist nur die Lautstärke, die mich erschreckt. Seine Stimme ist weder wütend noch verärgert. Sie ist verzweifelt. „Ich kann dir nicht mehr sagen, als dass es mir aufrichtig Leid tut. Wirklich, ich habe schon lange nichts mehr so sehr bedauert, wie das." Antonys Blick ist getrübt. Seine Finger beginnen von neuem über die Materialien seiner Kleidung zu streichen, so wie sie es bereits zum Anfang unseres Gesprächs getan haben.

„Warum soll ich dir das glauben? Was soll ich dir überhaupt noch glauben?"

„Ich wäre nicht hier, wenn mir das zwischen uns egal wäre. Wenn du mir egal wärst." Antony deutet auf mich und dann auf sich. Eine unsichtbare Verbindung. Ich erwidere seinen Blick. Das erste Mal in voller Länge. Er soll den Schmerz sehen, den ich noch immer empfinde. Antony hat mir etwas glauben gemacht, was so nicht stimmte und das im vollen Bewusstsein.

„Wenn ich dir nicht egal bin, warum hast du mich dann trotzdem so lange in dem Glauben gelassen, dass es mehr sein könnte? Warum hast du..."

„Weil es so ist!", wirft er dazwischen und ich schlucke die anderen Fragen, die sich in meinem Kopf gebildet haben, runter. Ich sehe ihn an. Antonys Blick ist erschrocken. Doch dann senkt er seinen Blick und fährt sich fast nervös über die Lippen.

„Ben, ich habe nichts gesagt, weil ich wirklich gehofft habe, dass wir beide vielleicht... Ich dachte, dass das mit uns... und dann kam Mateo und ich war wieder so machtlos, wie sonst...", fährt Antony fort. Er macht einen Schritt auf mich zu. In meinem Rücken befindet sich die Tür. Seine hellen, schönen Augen sehen mich eindringlich an und ich habe das Gefühl innerlich zu zerbersten. Hat Antony wirklich gehofft, dass wir zusammen sein könnten? In meinem Bauch beginnt es zu kribbeln. Ein weiterer Schritt, den er auf mich zu macht. Antony hebt seine Hand, doch er stoppt bevor er mich berührt.

„Ich habe Angst, dass dir Mateo etwas an tut", gesteht er. In meinem Magen wird es flau. Ich schließe meine Augen und dann spüre ich seine kühlen Finger, wie sie hauchzart über meine Wange streichen.

„Mateo ist gefährlich." Die Intensität seines Blicks ist durchdringend. Ich spüre seine Hand, die sich fast zögernd an meinen Arm legt und dennoch so viel Kraft innehat. Als würde er seiner Aussage damit noch mehr Nachdruck verleihen wollen.

„Ich bin ein dummer Idiot. Ich bin das immer gewesen. Ich habe nach der Trennung von Mateo mein Herz abgeschottet. Es verschlossen, weil ich wusste, dass mich das immer verfolgen wird, aber ich habe..." Seine Hand greift nach meiner und er bricht ab. Ich lasse es geschehen. Kühle Finger, die meine treffen. Sein Zeigefinger streicht hauchzart über meine Handinnenfläche. Ein feines Kitzeln. Mein angespannter Kiefer beginnt zu zittern. Er blickt auf unsere ineinander geschlungenen Hände und sieht mich dann an. Seine sonst so kühlen Augen sind warm und voller Reue.

„Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass du dich so schnell in mein Herz schleichst." Die Ehrlichkeit in seinen Worten umfasst mein Herz, scheint es vor weiterem Zerreißen zu bewahren. Wie ein hauchzarter Wall. Dennoch wird mein Herz schwer. Mit einem Mal erfasst mich die Schuld, wie ein Anker, der mich zu Boden zieht.

„Ich war bei Luka", flüstere ich ihm entgegen und spüre, wie sich seine Finger augenblicklich anspannen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  _sasuu
2015-02-04T13:27:41+00:00 04.02.2015 14:27
Omg. Du kannst doch JETZT nicht aufhören D:
Ich lese momentan alle deine FFs die über 8-10 Kapitel lang sind! Ich finde dein schreibstil echt klasse :)
Ich hoffe es geht bald weiter und ich bin gespannt,wie Tony reagieren wird Q_Q
Antwort von:  Karo_del_Green
04.02.2015 14:36
Huhu liebe Schlumpfienee :)

Vielen lieben Dank für dein Kommie. Ich freue mich sehr, wenn dir meine Geschichte solche Gefühlsregungen entlockt xD und dir mein Stil gefällt :)
Ich verspreche, dass es bald weiter geht. Kapi ist in Arbeit!

Lieben Dank und Gruß!
del
Von:  Touki
2015-01-24T22:13:53+00:00 24.01.2015 23:13
Ich denke das es mal nötig war das sie reden >.< Ben wollte das zwar nicht aber irgendwann muss es sein und vielleicht können sie ja jetzt doch einen gemeinsamen Weg finden auch wenn ich glaube das dieser ganz schön steinig werden wird :3

Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt wie es nun weiter geht und wie Tony auf dessen Beichte reagiert, wobei sie ja kein Paar sind und Ben machen kann was er möchte. Sicherlich wird es aber Tony 'freuen' das es Ben irgendwie auch bereut ;D
Antwort von:  Karo_del_Green
04.02.2015 14:38
Heyhey!!
Danke für dein liebes Kommie!
Ja, es wird noch steinig, aber einfach wäre ja auch langweilig xD So ein paar Steinchen würzen das Essen! Nicht wahr? :D
Kapi wird bald kommen. Ich reiße mich am Riemen :D

Lieben Danke und Gruß,
del
Von:  tenshi_90
2015-01-24T08:43:08+00:00 24.01.2015 09:43
Die beiden haben es aber wirklich nicht leicht...

Wenigstens sind sie jetzt ehrlich zueinander. Bin mal gespannt, wie es jetzt nach diesem Geständnis von Ben weiter gehen wird.
Antwort von:  Karo_del_Green
04.02.2015 14:39
Danke für dein liebes Kommie liebe tenshi_90!

Ehrlichkeit ist schon einmal die Hälfte des Weges. Jetzt müssen sie nun noch mit den ehrlichen Worten zu Recht kommen und das ist letztendlich das Schwierigste. das kennt wohl jeder irgendwie!

Dickes Danke und lieben Gruß,
del


Zurück