Kiss me hard before you go von Karo_del_Green ================================================================================ Kapitel 15: Die Leere der Ernüchterung -------------------------------------- Kapitel 15 Die Leere der Ernüchterung Eine coole ausweichen Antwort wäre jetzt das Richtige, doch mit dem Schreck ist jegliche Coolness aus meinen Gliedern gewichen. Wie soll ich ihm erklären oder eher verschweigen, dass ich ganz genau weiß, wie es sich anfühlt, weil es schon mehrfach getan habe? Rick sieht mich mit einer Mischung aus Neugier und Verwirrtheit an. Ich merke, wie die Formulierungen in meinem Kopf beginnen zu stottern. „Ähm,...na ja...ähm. Also ja, vielleicht,...ähm, ich meine...", stammele ich nun kleinlaut vor mich hin und greife erneut zum Bier. Ich trinke auch diese Flasche fast leer und stehe schlagartig auf. Rick, der sich eben noch an mich gelehnt hat, fällt prompt zur Seite. „Huch,...", kichert er angeduselt und versucht mich zu fixieren. Es bleibt beim Versuch. Ich bin schon fast an der Tür als sich auch Rick eigenartig hilflos aufgerappelt hat und mit einem Mal sein Arm wieder einknickt. Seine festgehaltene Bierflasche neigt sich nach vorn und einiges der Flüssigkeit kippt aus. Ich drehe um und helfe ihm sich wieder aufzusetzen. Die Flasche halte ich und sehe mit Genugtuung, wie sich Ricks Hände wieder fester um das dunkele Glas legen. „Du hast eindeutig zu wenig getrunken, wenn du noch so aufstehen kannst...", lacht er mir erstaunlich sinnreich entgegen. Ich hocke mich neben ihm und schaue in das amüsierte Gesicht. Ricks Kopf neigt sich gegen meinen Arm und er schließt benommen die Augen. Anscheinend reichen bei ihm drei Bier schon aus. „Du hattest eindeutig genug... brauchst du Hilfe?", frage ich leise und nehme ihn die Flasche endgültig aus der Hand. „Nein, schon gut. Ich bin nur leider nicht mehr so trinkfest, wie früher oder wie ich gedacht habe. Drei Bier...echt mal." „Genau genommen nur zweieinhalb...", korrigiere ich. Ricks meerblaue Augen verdrehen sich phänomenal und ich richte mich auf. Das angefangene Bier stelle ich auf der Kommode ab. „Hey, entschuldige, wenn ich bei dir mit meinem offenen Gelaber eine Grenze überschritten hab..." Ich unterbreche ihn mit einem energischen Kopfschüttler. „Hast du nicht. Mir tut es leid, wenn es so rüberkam. Ich bin nur etwas ... na ja, empfindlich..." In seinem Gesicht spiegelt sich das Unverständnis. Er versteht nicht, was ich damit meine und ich schelte mich innerlich für meine Feigheit. Warum kann ich es ihm nicht einfach sagen? Er hat mir nie den Eindruck vermittelt etwas gegen Homosexualität zu haben, aber in meinem Innern lässt die Vorstellung über sein mögliches Reaktionsspektrum jeglichen Mut schrumpfen. Meine Feigheit ist unglaublich. „Nicht so wichtig", wiegele ich ab. „Ben, was ist los?", fragt er misstrauisch als würde er genau wissen, dass ich ihm nicht alles sage. Seine Stirn legt sich trotz seines weichen alkoholisierten Hirns erstaunlich ernst in Falten. „Vielleicht solltest du dich hinlegen", schlage ich vor um ihn abzulenken. Ich greife nach seinem Arm und ziehe ihn etwas hinauf. Rick hält mich zurück. Ich blicke über ihn gebeugt hinab. Die Wärme seiner Hand scheint durch meinen dünnen Pullover zu dringen. Sein Blick ist ungebrochen. Ich sehe nichts als freundschaftliches Empfinden darin und fühle mich nur noch schlechter, weil ich ihn anschwindele. „Ich kann mir dir über sowas einfach nicht reden. Entschuldige, Rick.", gestehe ich unverfänglich. Ich winde meinen Arm aus seinem Griff und richte mich auf. Sein fragender Blick durchdringt mich, doch ich versuche ihn zu ignorieren. „Leg dich schlafen und dann rede mal mit Cora darüber, was du dir wünschst. Vielleicht hilft das schon", empfehle ich bevor ich die Tür schließe und in mein Zimmer verschwinde. Dort bleibe an der Tür gelehnt stehen. Meine Augen sind geschlossen, während ich mehrere Mal laut ein und ausatme. Ich merke, wie mein Puls trotz der Flucht immer weiter nach oben geht. Das kann doch nicht wahr sein. Warum habe ich es nicht einfach gesagt? Jetzt wird er sich erst Recht fragen, was mit mir nicht stimmt. Ich trete gegen die Hose, die neben der Tür liegt und sehe dabei zu, wie sie ein paar Papier von meinem Schreibtisch fegt und auch den Behälter mit Schreibgeräten umwirft. Fantastisch. Ich lasse mich auf das Bett fallen und ignoriere das Chaos. Der Alkohol lässt mich schlecht einschlafen und ich liege lange wach. Am nächsten Morgen habe ich ein kratzendes Kätzchen in meinem Kopf und ich ärgere mich immer noch über meine Feigheit. Warum habe ich es ihm nicht einfach gesagt? Ich bin stark von der Reaktion und der Ablehnung meines Vaters beeinflusst. So sehr, dass ich vor allem bei anderen Männern ein Problem damit habe über meine Homosexualität zu reden. Doch nicht jeder reagiert, wie mein Vater. Das kann ich mir wieder und wieder sagen, aber es ändert nichts. In der Schule gab es einen ähnlichen Moment, wie gestern. Ich musste mich vor einem Bekannten erklären, den ich schon aus Kindheitstagen kannte. Wir waren nicht in derselben Klasse und hatten auch nicht denselben Freundeskreis, dennoch treffen wir uns oft beim Sport. Nichts was er tat, löste in irgendeiner Form sexuelle Erregung in mir aus. Er erfuhr es, nachdem ich von meinen Eltern rausgeschmissen worden bin und war schrecklich pikiert, dass ich ohne ihm etwas zu sagen die Gemeinschaftsdusche mit ihm benutzte. Jede Erklärung und jede Bekundung über mein Nichtinteresse schmetterte er ab. Wir sprachen kein Wort mehr miteinander. Irgendwann erfuhr ich, dass er eigentlich nur beleidigt gewesen war, dass ich es ihm nicht von allein gesagt habe. Doch das macht es nicht besser, denn bis heute gehen wir uns aus dem Weg. Ich erinnere mich noch gut an das ernüchternde Gefühl. Es breitete sich jedes Mal aufs Neue in mir aus, wenn ich an diesen Moment zurückdenke. Die Vorstellung, dass das jetzt auch mit Rick passieren kann, schmerzt. Was wenn es jetzt schon zu spät ist? Ich nehme mein Kissen und drücke es mir auf das Gesicht. Ein lauter Schrei entflieht meiner Kehle, der durch die Füllung gedämpft wird. Ich halte so lange die Luft an, bis ich nicht mehr kann und stehe auf. Das Seminar mit Professor Stroud ist spannend und aufschlussreich, aber ich denke fast ununterbrochen an Antony und daran, dass er nicht da ist. Ich zwinge mich dazu dem Seminar zu folgen. Ich habe ein paar Bilder des Professors von Büchern und Artikeln gesehen, doch ich bin überrascht, als ein adrett wirkender und edel ergrauter Herr vor uns steht. Seine 60 Jahre sind ihm kaum anzusehen. Entweder tat ihm der Urlaub wirklich gut oder er hielt sich mit etwas anderem jung. Natürlich geistert mir Lukas Tratsch im Kopf umher. Am Nachmittag treffe ich mich mit Anni und sie überredet mich zum Shopping. Als ich am Abend in die WG zurückkehre, sind alle Türen geschlossen und die Räume dahinter dunkel. Ernüchternd. Ich greife mir mein Handy tippe Antony eine unverfängliche Nachricht. Als ich einschlafe habe ich noch immer keine Antwort erhalten. Er meinte ja, dass er bis Samstag schwer zu erreichen sein wird. Trotzdem wurmt es mich. Den Rest der Woche sehe ich niemanden aus der WG, nicht einmal Marie. Sie scheint, wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Nur die Tatsache, dass am Morgen ihre Lieblingstasse in der Spüle steht, sagt mir, dass sie mitten in der Nacht nach Hause kommt. Am Freitagmorgen werde ich von der sanften Vibration meines Handys geweckt. Mit geschlossenen Augen taste ich danach und schaffe es auch nur mit einem Auge auf das grellerleuchtete Display zu schielen. Die Nachricht ist von Anni. Ich drehe meinen Kopf wieder zur Seite und schließe meine Augen. Nun beginnt es zu läuten. Ich drehe mich zurück und seufze leicht. Blind und müde tippe ich auf den grünen Hörer und gehe ran. „Wie geht es dir, Darling?", flötet sie mir ins Ohr. Für meinen Geschmack zu fröhlich und zu quietschend. Ich murre ihr nur eine Antwort zu. „Oh, ist der Hase noch müde?" Ich möchte sie erwürgen. „Der Hase ist jetzt schlecht gelaunt. Also was willst du, du Nervensäge?", brumme ich ihr entgegen und drehe mich langsam auf den Rücken. Ich hole tief Luft und fahre mir durch die zerzausten Haare. „Ich wollte dich fragen, ob du morgen Abend mit in den Te-Club kommst? Wieder mal richtig tanzen und auspowern." Allein der Gedanke an Tanzen und Menschenmassen schreckt mich ab. Außerdem explodiert im selben Moment die herrliche Aufregung über das Essen bei Antony in meinem Körper. Sie kitzelt und kribbelt. Ich spüre, wie ich dämlich lächele als ich mir vorstelle, wie wunderbar der Abend werden wird. Ein gutes Essen. Leckerer, süßer Nachtisch. Antonys nackter, heißer Körper. In meinem Kopf bilden sich mehr und mehr Bilder, in denen wir mehr tun als uns gegenseitig Süßigkeiten auf die Haut zu reiben. Wie traumhaft es sein muss schmelzende Schokolade von seinem Körper zu lecken. „Ben? Bist du noch anwesend oder schon wieder eingepennt", fragt Anni mit heller Stimme. „Was? Ja, entschuldige. Nein, ich kann nicht. Ich habe schon etwas anderes vor. Außerdem musst du mich sowas nicht am frühen Morgen fragen", sage ich noch immer etwas abwesend, leicht sauer und nach meinen Überlegungen erregt. Ich hebe meine Bettdecke an. Allein die Vorstellung lässt meine Lenden vor Erregung und Aufregung freudig zucken. „Wie, du hast schon etwas vor? Verheimlichst du mir schon wieder etwas?", fragt Anni aufgebracht und neugierig. „Ständig, aber das Geheimnis kennst du. Ich hab eine Verabredung mit Antony", erkläre ich und setze mich um. „Oh, ein richtiges Date?" Verwundert. „Ja, ein Essen." „Oh, dass ist... schön." Sie klingt überrascht. Ihre schlechte Meinung von Antony rührte vor allem daher, dass mit unserer Konstellation kein normales Kennenlernen und Leben möglich scheint. Jedenfalls für sie. Das belehrt sie eines Besseren. Sie versucht mich nur ein einziges weiteres Mal vom Ausgehen zu überzeugen, aber nichts und niemand konnte mich davon abhalten Mousse au chocolat mit Antony zu essen, von ihm zu essen. Ein paar meiner Seminare fallen aus und ich sitze wartend in der Mensa. Eine letzte Vorlesung beginnt um 16 Uhr an einem Freitag. Ein harter Bruch des Müßiggangs. Meine Lust hält sich in Grenzen. Ich lasse meinen Finger um den bereits eingeweichten Pappbecherrand streichen, treffe einen Tropfen grünen Tees und lecke ihn von meinem Finger. Ich habe mich gegen einen weiteren Kaffee entschieden, weil mich sonst der Herzkasper trifft. Antony hat sich die ganze Zeit über nicht gemeldet. Er hat sicher zu tun. Ich vermisse ihn und einen Geruch und das Gefühl seiner Haut unter meinen Fingern zu spüren. Das sanfte Kitzeln seines Bartes, wenn er mich küsst und die stoppeligen Haare über mein Kinn streicheln oder über meine Wange gleiten. Erregung und Wohlgefühl breitet sich in mir aus. Das sanfte Kribbeln in meinem Magen wandert über die Haut durch meinen gesamten Körper. Meine Fingerkuppen pulsieren und auch meine Zehenspitzen vibrieren. Er hat es mir wirklich angetan. Ich habe nicht gedacht, dass es mich wirklich so treffen würde, doch ich denke andauernd an ihn. Es ist lange her, dass ich mich verliebt habe. Ich lasse meinen Kopf auf die Tischplatte fallen und seufze leise auf. Ich genieße das warme Gefühl, welches sich in mir ausbreitet und schließe die Augen. Mein Traum lässt mich lächeln. Gut eine dreiviertel Stunde schlafe ich mit dem Kopf auf meinem Arm gebettet seelenruhig in der Mensa. Ich bekomme nicht einmal mit, dass sich zwei Studentinnen zu mir setzen und nebenbei fröhlich essen. Irgendwann wache ich auf und schaue mich benommen um. Ich suche mein Handy, sehe auf die Uhr und dann in die beiden hübschen Gesichter der Studentinnen. Eine Inderin mit ebenmäßigen Gesicht und schönen braunen Augen und ein Blondine mit ebensolchen warmen braunen Augen. Nur das erheiterte Lächeln ihrer Gesichter zeigt mir, dass ich wahrhaftig nichts mitbekommen habe. Ich entschuldige mich für Alles, was ich eventuell während meines Tiefschlafs von mir gegeben haben könnte und als ich aufstehe um endlich zu gehen, winkt mich die Blonde noch einmal zu sich heran. Lächelnd fährt sie mir mit den Fingern durch die zerzausten Haare und drückt mir einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in die Hand. Ich bedanke mich höflich und mache mich vom Acker. Als ich die Mensa verlasse, kann ich nicht verhindern, dass ich zu grinsen beginne. Oh, weia. Das Leben als Student ist wirklich anders. Ich schüttele den Kopf und fahre mir selbst noch einmal durch die verwuschelten Haare. Wiederholt sehe ich auf die Uhr. Antony hat sich noch immer nicht gemeldet, also versuche ich ihn zu erreichen. Doch ich kriege nur die Mailbox. Ich seufze leicht und mache mich auf den Weg zu seinem Büro. Er meinte, er sei bis Freitag unterwegs, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob ich in ihn seinem Büro antreffen werde. Aber ein Versuch ist es wert. Im Flur kommt mir eine Horde Studenten entgegen, die gerade ihren Hörsaal verlassen. Ich bleibe stehen, weil ich die Befürchtung habe, dass sie mich sonst gnadenlos über den Haufen rennen, da ich der Einzige bin, der in die gegen gesetzte Richtung muss. Als sich die Masse endlich lichtet, kann ich in der Nische zu den Büros der Lehrkräfte bereits Antony erkennen. Sein Blick ist müde und seine Haare sind ungewöhnlich durcheinander. Den Reflex nach ihm zu rufen, verkneife ich mir. Seine Arme verschränken sich und im nächsten Augenblick breitete er sie unverständlich aus. Er scheint mit jemanden zu diskutieren, doch ich kann seinen Gegenüber nicht erkennen. Unschlüssig bleibe ich stehen. Er wirkt aufgebracht. Eine Hand streckt sich nach Antony aus. Sie ist männlich und sehr groß. Die Finger berühren seinen Hals, reiben über seine Schulter und bleiben darauf liegen. Antony lässt es geschehen, aber nach einer Weile löst er sich und schiebt den anderen energisch von sich. Sie verschwinden in seinem Büro. Ich stehe unschlüssig auf dem Flur. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Noch weiß ich nicht, warum. Eifersucht? Angst? Neugier? Wer ist es? Unbewusst bewegen sich meine Beine und ich stehe wenige Schritte später in der kleinen Nische zu den Büros. Mein Blick wandert über das Glasschild auf dem Antonys Name steht. Die Tür ist nur angelehnt und meine Neugier nimmt überhand. Ich gehe näher. Leise Stimmen. Vorsichtig drücke ich die Tür noch etwas auf und bereue es. Ich sehe Antony mit einem großen, schwarz gekleideten Kerl vor seinem Schreibtisch stehen. Antony trägt nur ein paar legere Jeans und einen schlichten Pullover. Er lehnt gegen dem Schreibtisch und nun erkenne ich, dass er nur Socken trägt. Wieso keine Schuhe? Das irritierte Pochen in meiner Brust wird immer stärker. Ich schaue auf den großen, fremden Mann, der Antony anscheinend sehr vertraut ist. Er kommt mir bekannt vor. Beide verschränken die Arme vor der Brust. „Wann?", fragt die fremde Stimme. Sie ist kalt und einschneidend. Antony seufzt schwer und schüttelt mit geschlossenen Augen seinen Kopf. Seine wirren Haare richten sich an einigen Stellen auf. Er antwortet nicht, was seinem Gegenüber nicht gefällt. „Wann hast du genug vom Lehrer spielen und kommst nach Hause?" Antony sieht auf. Seinen schönen blauen Augen blitzen. „Es ist mitten im Semester. Was denkst du wird Manuel sagen? Wie stellst du dir das vor?", antwortet er unwirsch. Abweisend. Nach Hause. In meinen Ohren beginnt es zu rauschen. Blut pumpt sich durch meine Adern, wie rauschende Stromschnellen aus heißer, verbrennender Flüssigkeit. Ich bekomme nur noch Bruchstücke von dem mit, was sie sagen. Sie diskutieren und der Größere setzt seine Sonnenbrille auf. Nun macht es Klick. Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich ihm in die Arme gerannt bin. Seine gigantischen Hände, die meine Schultern umfassten und mir läuft es eiskalt den Rücken herunter als ich mir auch seine Stimme ins Gedächtnis rufe. Sie hatte mir Angst eingejagt. An dem Tag habe ich Antony in seinem Büro aufgesucht. Wir haben uns geküsst. Doch als sein Handy zu vibrieren begann, war er plötzlich wie ausgewechselt. Abweisend und kühl. Der unwirsche Rauswurf und die unfreundliche Art hatten mir schwer zu schaffen gemacht. Der Größere beugt sich zu meinem Dozenten. „Mir ist egal, wie du es machst...komm nach Hause!" Ein heißes Flüstern an sein Ohr. Mir wird Übel, als mir klar wird, dass der Rauswurf damals wegen ihm gewesen sein muss. Ist das sein Freund? Hat Antony doch einen Partner? Es herrscht eine unendliche Leere in meinem Kopf. „Für den Moment habe, was ich wollte. Spiel keine Spielchen..." „Hör auf", schneidet ihm Antony abwehrend das Wort ab. Aber er nimmt keine dazu passende Körperhaltung ein. "Du musst gehen..." Der Größere beugt sich ohne etwas zu erwidern zu Antony hinab und ihre Lippen treffen sich zu einem Kuss. In diesem Moment scheint es als würde mein Herz stehenbleiben. Mein Blick ist auf die beiden Gestalten gerichtet. Jede noch so kleine Bewegung nehme ich in mir auf. Den Ausdruck ihrer Gesichter kann ich kaum erkennen, doch ihre Körpersprache ist eindeutig. Antony erwidert den Kuss. Schwankend wende ich mich ab, halte mich einen Moment am Türrahmen fest. Er hat mich belogen. Die Gewissheit brennt sich in mein Hirn. Heiß und schmerzhaft. Eine Lüge. Alles ist eine Lüge. Ich beuge mich nach vorn und habe das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen. Mein Magen schmerzt oder ist es der Schmerz meines Herzens, das scheinbar in meinen ganzen Körper auszustrahlen scheint? Ich taste mich an der Wand entlang zum Flur. Ermattet bleibe ich ein paar Schritt vom Büro entfernt stehen. Der Schmerz in meiner Brust lässt mich keuchen. Ich bekomme keine Luft mehr. Meine Lunge brennt. Die Bilder unseres Zusammenseins kommen mir in den Sinn. Sie beginnen zu verglühen und sich in mein Fleisch zu brennen. Mahnend. Verletzend. Quälend. Wie kann er mir das antun? Ich spüre, wie sich die Seitenstrenge meines Halses zusammenziehen und das heftige Kribbeln beginnt meine Augen zu reizen. Ich bin nahe am Heulen. Ich darf nicht anfangen zu weinen. Mehrere Versuche brauche ich um halbwegs durchatmen zu können und um mich wieder aufzurichten. Es sind tausende Nadeln, die sich schmerzhaft mit jedem Luftzug in meine Lunge bohren und sich in meinem gesamten Körper ausbreiten. Jeder Schritt schmerzt. „Hey, Ben." Ich wende mich zu der Stimme, die meinen Namen ruft und sehe Marie auf mich zu kommen. Meine Hand liegt noch immer an meinem Bauch und ich habe das Gefühl mich jeden Moment zu erbrechen. Es fällt mir schwer mich zusammen zu reißen, doch ich schlucke meine Gefühle für einen Moment runter. Ich versuche es jedenfalls. „Hey,...", bekomme ich kläglich herausgepresst und sehe, wie mich Marie ausgiebig mustert als sie näher kommt. „Ich musste dich gerade drei Mal rufen, bevor du reagiert hast. Alles okay?", fragt sie mich skeptisch und ich kann nicht verhindern, dass mein Blick kurz zu Antonys Büro wandert. Ich möchte unbedingt weg sein, bevor Antony und sein Freund rauskommen. „Ja, alles okay. Was kann ich für dich tun?", frage ich ausweichend und drehe mich mit dem Rücken zu den Büros. „Ich bin heute Morgen auf Rick getroffen und er mir erzählt, dass ihr beide einen seltsamen Moment hattet. Er ist etwas verwirrt. Alles okay bei euch?" Ihre bebrillten Augen sind forschend und neugierig. In ihrer Stimme schwingt Besorgnis. Sie ist sehr auf unserer WG-Frieden bedacht. „Ja, ist nur ein kleines Missverständnis und wir kriegen das wieder hin", versichere ich ihr und will einfach nur weg. „Tut mir Leid, Marie, aber ich kann gerade nicht mit dir reden..." Damit schiebe ich mich an ihr vorbei und bekomme nicht mehr mit, dass in diesem Moment auch Antony und der Typ in den Flur treten. Ich schaffe es eine Etage runter. Doch an der Treppe geben ein weiteres Mal meine Beine einfach nach. Am Geländer halte ich mich fest und lasse mich auf die Stufe fallen. Eine Welle der Enttäuschung überrollt mich. Mein Magen zieht sich zusammen und ein weiteres Mal habe ich das Gefühl mich übergeben zu müssen. Das kann nicht wahr sein. Was soll das? Warum macht er das? Fassungslosigkeit wechselt zu Enttäuschung, um im gleichen Moment mit unbändiger Traurigkeit zu verschmelzen. Antony hat mir ins Gesicht gesagt, dass er keinen Partner hat, aber was war der andere dann? Meine Finger beginnen zu zittern. Ich kralle sie in meine lockere Jeans. Sie zittern nur noch heftiger. Er hat mich belogen. In meiner Trauer kitzelt langsam Wut. Ich stehe auf und wende mich um. Ich blicke nicht auf, deshalb bemerke ich nicht den großen Körper, der bereits vor mir steht und mich festhält bevor ich gegen ihn rennen, Eine große Hand bewahrt mich davor einen Schritt zurück zu machen und somit die Treppe runter zu stürzen. „Vorsicht. Du lebst ganz schön gefährlich, Kleiner." Die kalte Stimme lässt mich erstarren und als ich nun doch nach oben schaue, blicke ich direkt in die sonnenbrillenverdeckten Augen. Das frostige Lächeln auf seinen Lippen, lässt mich erstarren und als mir klar wird, wer vor mir steht, weiche ich angewidert zurück. Ich weiß nicht, ob er mich erkannt hat, doch sein Ausspruch lässt es mich vermuten. „Danke, aber Sie müssen sich ja nicht so anschleichen. Also geben Sie gefälligst auch Acht", sage ich zähneknirschend und weiß, dass es in keiner Weise freundlich ist, so etwas zusagen, noch passt es zu meinem Wesen. Sein Anblick macht mich so wütend. Und traurig. Mit einer schnellen Bewegung schiebe ich seine Hand von meiner Schulter und mich an ihm vorbei. Er packt mein Handgelenk und hält mich zurück. Sein Griff ist fest und schmerzhaft. Er zieht meinen Arm nah an sich heran und der Druck wird noch heftiger. Mein Herzschlag wird schneller. Der Typ macht mir Angst. Seine eiskalte Stimme. Die verdeckten Augen. Was macht Antony nur mit so einem Kerl? Wie kann er mit diesem Mann das Bett teilen? Schmerz überfällt mich und bündelt sich als Stein in meiner Magengegend. „Das tue ich, sonst wurdest du, wahrscheinlich mit ein paar gebrochenen Knochen, dort unten liegen." Er deutet die Treppe hinab und ich schlucke. Ein kurzer Ruck, der mich nach hinten neigt, doch er hält mich fest. Der Kerl hatte Recht, aber ich sage nichts, sondern weiche seinem durchdringenden Blick aus. Der Griff wird lockerer und ich ziehe meine Hand an meinen Körper. Ich wende mich ab und betrete bereits die ersten beiden Stufen nach unten. „Vielleicht solltest du dir ein paar Warnschilder umhängen", ruft er mir belustigt nach und als ich endlich aus seinem Blickfeld bin, bleibe ich einen Moment stehen. Furcht pocht durch meine Glieder und wechselt sich mit dem Schmerz ab, der von meinem Handgelenk zu meinem Herzen pulsiert. Warum passiert mir so etwas? Warum durfte ich nicht ein einziges Mal glücklich und zufrieden sein? Fast unbewusst setzen meine Beine ihren Weg fort. Wohin ist mir in diesen Augenblick nicht egal. Mit jedem Schritt fällt mir das Atmen schwerer. Die Seitenstrenge meines Halses ziehen sich erneut zusammen, doch dieses Mal schicken sie puren Schmerz durch meinen Körper. Meine Finger tasten sich an meinen Hals. Sie sind kalt und fremd. Als ich in der WG ankomme, kriege ich kaum noch Luft. Ich fühle mich taub und leer. Ich keuche schwer und heftig. Ich schließe hinter mir die Tür und lehne mich sofort dagegen. Mein Kopf prallt gegen das schwere Holz und ich wiederhole den Vorgang mehrere Mal. Ich spüre nicht einmal diesen Schmerz, so sehr bin ich betäubt. Ich ertrinken und nichts kann mich davor bewahren. Meine Jacke hänge ich noch an den Garderobenständer, doch dann bleibe ich an der Wand gelehnt stehen und rutsche hinab. Am Boden, zwischen Schuhen und Kram bleibe ich sitze. Unwillkürlich ziehe ich meine Knie an mich heran und bette meinen Kopf darauf. Augenblicklich beginne ich zu weinen. Es bricht aus mir heraus und meine Tränen brennen sich siedendheiß in meine Haut. Schmerzhaft. Zerstörend. Mein Herz zerreißt. Meinen Tränenfluss versiegt nicht, doch irgendwann weine ich nur noch stumm. Kein Laut dringt aus meiner Kehle. Ich bin zu keine Bewegung mehr fähig. Als die Haustür auf geht, schiebt sich die schwere Holztür gegen meinen Fuß und gegen meinen Ellenbogen. Es sollte mir wehtun, doch ich merke nichts. Nur ein dumpfes, leeres Gefühl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)