Kiss me hard before you go von Karo_del_Green ================================================================================ Kapitel 7: Der einfache Weg in die falsche Richtung --------------------------------------------------- Kapitel 7 Der einfache Weg in die falsche Richtung Ein lautes Telefongespräch weckt mich am Morgen. Ricks Stimme ist aufgebracht und energisch. In Shorts schleiche ich zur Tür und öffne sie. Nur einen Türspalt breit, doch ich kann ihn zwischen seinem Zimmer und dem Flur hin und her laufen sehen. Ich schaue zur anderen Seite und erkenne Marie, die ihren wuscheligen Kopf durch die Tür gesteckt hat und mich nun fragend ansieht. Ich zucke mit den Schultern und gebe ihr zu erkennen, dass ich nicht weiß, worum es geht. Mit Händen und Füßen diskutieren wir darüber, ob wir ihn ansprechen sollen. Ich möchte, dass Marie geht, doch sie deutet mir dasselbe an. Okay, das ist albern. Ich winke Marie heran und nach kurzem Zögern, gehen wir gemeinsam zu seinem Zimmer. Rick sitzt auf seinem Bett. Das Telefon liegt auf seinem Bauch und er hat seine Augen geschlossen. „Alles in Ordnung?", frage ich vorsichtig in den stillen Raum hinein und ein wenig erschrocken schaut er auf. Wir müssen ein seltsames Bild abgeben. Ich in Shorts, Marie in ihren Schlafklamotten und Rick trägt noch seine Straßenschuhe. „Entschuldigt bitte, wenn ich euch geweckt habe." Rick steht auf und kommt auf uns zu. Er fährt sich ermattet durch die Haare. Wir lassen ihn vorbei und folgen ihm tapsend in die Küche. Dort lässt er sich auf die Strecke fallen. Marie berührt meinen Arm und sie setzt zu ihm an den Tisch. Ich bleibe neben der Tür stehen. „Was ist denn los?", fragt Marie einfühlsam und kitzelt damit ein weiteres schweres Seufzen aus Rick heraus. Er sieht uns abwechselnd an. „Cora hat Schluss gemacht", entflieht ihm gequält. Oh man. Die beiden waren eine Ewigkeit zusammen. Seit der Schulzeit, soweit ich mich erinnere. „Was ist passiert?", erkundigt sich Marie und sieht genauso verwundert aus, wie ich mich fühle. „Tja, sie ist der Überzeugung ich gehe fremd und würde mich nicht mehr für unsere Beziehung interessieren. Totaler Blödsinn. Ich meine, ich pendele, wie ein Bekloppter hin und her, nur damit wir uns sehen. Da quatscht mich einmal eine alte Bekannte auf einer Feier an und sie wird so eifersüchtig, das sie denkt ich gehe fremd?", platzt es energisch aus ihm heraus. Begleitet wird seine Tirade mit stetigen kleinen Seufzern. Wir lassen ihn reden, denn anscheinend braucht er es. Ich lehne mich in den Türrahmen und lasse mich von den Problemen dieser Beziehung berieseln. Mit jedem Wort, das er über ihre Äußerungen und Problematiken verliert, bin ich erleichterter schwul zu sein. Meine bisherigen Beziehungen waren auch nie unkompliziert und mit Anni führe ich, in der Hinsicht eine Art Hetero-Ersatzbeziehung, denn ich kämpfe oft mit genau denselben Problemen bei ihr. Seinen gesamten Frust lässt er raus, schimpft über Reaktionen und Kleinigkeiten. Zum Schluss lässt er sich ermattet zurückfallen und legt den Kopf in den Nacken. „Wow, du liebst sie wirklich, oder?", frage ich ihn danach, denn trotz der kritischen Worte ist eindeutig zu hören, das er niemand anderen will, außer sie. Er sieht mich verblüfft an und auch Marie tut es. „Ach komm, du hast uns zwar gerade ihre Fehler aufgezählt und dich sagenhaft über sie aufgeregt, aber eigentlich sind das alles Gründe, weshalb du sie liebst, sonst würde dir vieles davon gar nicht auffallen oder wäre dir total egal." Sie sehen mich an, wie Goldfische. „Warte ein paar Stunden und dann fahr zu ihr. Redet in Ruhe miteinander. Wahrscheinlich ist ihre Eifersucht schlichtweg eine Angstreaktion und sie will sehen, ob du noch um sie kämpfst. Eifersucht ist immer der einfache Weg, aber der falsche. Eine derartig lange Beziehung wirft man nicht einfach weg und das weiß sie ganz sicher.“ Damit stoße ich mich vom Türrahmen ab, streiche mir über den schlanken Bauch und schlendere ins Badezimmer. Nach dem Frühstück hält mich Rick noch einmal zurück. „Hey, danke" „Wofür?" „Na, dass du mich wieder runtergeholt hast und mich an das erinnert hast, was eigentlich wichtig ist. Das man für das, was man wirklich möchte, kämpfen sollte." „Noch hat es dir nicht geholfen.", kommentiere ich, grinse und will in mein Zimmer, doch er hält mich weiterhin zurück. „Danke, wirklich!" „Keine Ursache und ich spiele gern den WG-Kummerkasten. Die ersten drei Tipps sind kostenlos. Danach 10 Euro die Stunde!" Er lacht und ich erwidere es. Er verschwindet aus der Küche und ich bleibe an der Arbeitsplatte stehen. Ich verschränke die Arme vor der Brust und starre eine Weile auf eine Unebenheit im Boden. Das PVC hat mehrere kleine Wellen gebildet. Mit meinem Fuß trete ich sie platt. Wenn ich ihn wegnehme, kommt die Welle wieder hoch. Sehr widerstandsfähig. Gedankenversunken mache ich das ganze Spiel noch ein paar Mal. Für unser Alter ist es schon eine halbe Ewigkeit, die sie miteinander verbringen. Meine längste Beziehung hielt ein dreiviertel Jahr. Und selbst das war irgendwie nur ein ewiges Hin und Her Ich koche mir einen weiteren Kaffee und setze mich an meinen Laptop. Aus dem Internet ziehe ich mir die Folien der neuen Woche und überfliege sie. Nach einer Weile lehne ich mich zurück. Ich bin zu unkonzentriert um vernünftig zu arbeiten. Das Alles macht mich wahnsinnig. Ich fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht und stehe auf. Ich brauche Bewegung. Zuerst sammele ich die rumliegenden Klamotten zusammen und schmeiße eine Waschmaschine an. Danach sieht mein Zimmer schon halbwegs aufgeräumt aus. Nach einer guten Stunde sitze ich erneut vor dem Laptop und starte einen weiteren Versuch die neuen Folien durchzuarbeiten und die alten aufzuarbeiten. Am späten Nachmittag schneit Marie in mein Zimmer und weist mich daraufhin, dass ich mit dem Einkauf dran bin. Eine willkommene Abwechslung. Prokrastination. Ein herzliches Willkommen. Dritte Woche im Studium. Vielleicht sollte ich meine Lebenshilfe noch mal überdenken. Wir besprechen kurz die Einkaufsliste und gemeinsam gehen wir los. Am Bus trennen sich unsere Wege. Marie fährt weiter zu ihren Eltern. Pünktlich an der Kasse klingelt mein Handy. „Hey, Sugar. Du machst dich ganz schön rar. Ich habe noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen", plappert Anni und ich lege mir das Handy zwischen Schulter und Ohr. „Warum, ich bin doch ganz lieb und brav", weiche ich ihr aus. Ich fummele das Portmonee aus meiner Tasche und bezahle den Einkauf. Ich nehme dankend das Wechselgeld entgegen. „Das glaubst du, doch selbst nicht, Ben." „Meine Selbstverleugnungskräfte sind meisterlich." Sie lacht und durch die folgende Stille weiß ich, dass sie mich bei physischer Anwesenheit hypnotisch anstarren würde. „Okay, welches Hühnchen meinst du?", erfrage ich mich meines Schicksal hingebend. Ich versuche den Einkauf und das Telefon zu handhaben. Die Papiertüten in meiner Hand sind schwer. „Das große Attraktive mit den blauen Augen." Ich seufze ergeben. Natürlich will sie über Antony sprechen. Ich verkneife mir eine Richtigstellung seiner Augenfarbe und mache mich auf den Rückweg. „Und?", frage ich dümmlich, weiß aber worauf sie hinaus will. „Und? Fragst du das ernsthaft. Ben, du darfst ihn nicht mehr sehen. Er macht dich ganz kirre im Kopf und das ist nicht gesund." „Und wie soll ich das anstellen? Vorschläge, Frau Besserwisserin? Ich kann doch schlecht mit der Vorlesung aufhören, nur damit ich ihn nicht mehr sehe. Der Kurs ist obligatorisch, Anni. Ich muss ihn machen und es ist ein Einführungskurs, der mir im dritten Semester nichts mehr bringen wird." „Das weiß ich doch." „Und wieso nervst du mich dann?" „Ich nerve nicht. Ich warne." Ich verdrehe beim Laufen mit den Augen. „Warnen? Anni, bin kein kleines Kind mehr, was du davor beschützen musst, nicht auf die heiße Herdplatte zu fassen." „Und genau darin liegt der Trugschluss. Gerade ihr großen Jungs spielt gern mit dem Feuer und das macht es so besonders gefährlich." Ich seufze schwer und das nicht nur wegen dem Gewicht der Tüten. Nun höre ich auch bei ihr ein ungeduldiges Geräusch. „Benedikt, ich habe deinen Blick gesehen. Du wirst nicht aufhören, ihn sehen zu wollen. Es ist als würdest du vor einem großen roten Knopf sitzen, den du auf keinen Fall drücken darfst und was meinst du wird passieren? Richtig! Knall! Kabumm!" Die Geräusche, die sie von sich gibt, klingen absurd. Wenn sie wüsste, dass ich den großen roten Knopf längst gedrückt habe. Und es hat Spaß gemacht ihn zu drücken. Sehr sogar. Und ich würde ihn wieder drücken, so oft und so lange bis ich verhungere. Da gab es mal Experimente mit Mäusen, oder? Über die Gedanken muss ich etwas lachen. „Du bist schon so ein großer roter Knallk(n)opf", werfe ich ihr durch das Telefon entgegen und ernte ein empörtes Schnaufen. „Ich meine es ernst, Ben. Ich mache mir nur Sorgen." Die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme holt mich in die Realität zurück. „Ich weiß! Anni, mir geht es gut und du weißt auch, dass ich die meiste Zeit ganz vernünftig bin. Du brauchst dir keine Sorgen machen." „Du machst mich fertig!" „Mit Freude, wie immer", entgegne ich grinsend. „Gut, lass uns heute oder morgen ausgehen", setzt sie nach, ohne auf meinen Ausspruch einzugehen. „Und wohin und vor allem wieso?", frage ich sie. Lust habe ich keine. „Einfach irgendwo tanzen oder etwas trinken. Lass uns jemanden kennenlernen. Etwas Nettes für dich und was Nettes für mich. Wie klingt das?" „Unwahrscheinlich und öde", erwidere ich wahrheitsgemäß und denke darüber nach, was beim letzten Mal passiert war als ich mir etwas Nettes gesucht habe. Das langweiligste Date meines Lebens. Und als ich die Sau rausgelassen habe, ist Antony passiert. Außerdem hat auch Anni keine Gabe dafür nette Kerle kennenzulernen. Eher sagenhafte Idioten, deren Abschied im Endeffekt mit massig Tränen und Gebrüll endeten. „Komm schon. Ich will tanzen und etwas trinken", nörgelt sie mir entgegen. Doch ich bleibe hart. „Nächste Woche, vielleicht. Im Moment ist mir nicht danach." Ich höre ein enttäuschtes Murren und frage sie ablenkend nach Nico, ihrem kleinen Bruder. Sofort beginnt ein neuer Redeschwall. Diesmal fühle ich mich nicht in die Enge gedrängt. Bei unseren dauernden Telefonaten sollte man meinen, dass wir uns kaum sehen, doch dem ist nicht so. Wir sehen uns nur nicht mehr oft, wie es in der Schule gewesen ist. Dort haben wir den lieben langen Tag zusammen gesessen und selbst im Unterricht unsere Gespräche nicht unterbrochen. Zum Leidwesen unseren Lehrer. An der Haustür bleibe ich stehen. Noch immer textet mich Anni am Telefon voll und die überquellenden Tüten liegen schwer in meiner Hand. Ich komme kaum an meinen Schlüssel und auch die Treppe gestaltet sich schwierig. Ich kann fast nichts sehen. „Anni, halt mal kurz den Mund. Du kriegst jetzt einen Hosentaschenplatz, weil ich sonst nicht in die Wohnung komme." Ich warte keine Antwort ab und schiebe das Telefon in meine Hosentasche. Am Treppenabsatz bleibe stehen, versuche beide Tüten mit einem Arm festzuhalten. Plötzlich wird mir eine Tüte aus der Hand genommen, verwundert blicke ich auf und schaue direkt in Antonys attraktives Gesicht. Neben der Tüte hält er auch meine Jacke im Arm. „Hey", stammele ich verdutzt. „Wir müssen reden.", sagt er ohne Begrüßung. Sein Blick ist undurchsichtig und mir läuft es kalt den Rücken runter. Sofort nimmt mein Puls an Fahrt auf und verschiedene Gefühle mischen sich mit der Verwunderung, die ich empfinde, weil er plötzlich vor meiner Haustür steht. „Okay.", erwidere ich. Ich frage mich, woher er weiß, wo ich wohne, doch ich schiebe den Gedanken zur Seite, schließe die Tür auf und nehme ihm im Flur die Tüten aus der Hand. In der Küche packe ich schnell die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank und linse dann in den Flur. Antony ist dort stehengeblieben und sieht sich um. Seine Gesichtszüge wirken angespannt und kalt. Sofort überfällt mich ein schlechtes Gefühl. Wahrscheinlich habe ich gestern doch übertrieben. Er legt meine Jacke nicht aus der Hand, sondern hält sie unerbittlich fest. Fast verkrampft. „Möchtest du etwas trinken?", frage ich vorsichtig und stecke damit ab, ob das eine kurze oder längere Angelegenheit wird. Er sieht auf und überlegt. „Wasser, bitte." Ich nicke und fülle zwei Gläser mit der klaren Flüssigkeit. Im Flur reiche ich ihm eines der Gläser, nachdem er keine Anstalten macht mir in die Küche zu folgen. Sofort nimmt er einen Schluck. Ich sehe dabei zu, wie sich sein Kehlkopf bewegt. Fahre mit den Augen seinen perfekt gestutzten Bart ab, der die feinen Linien seines Kiefers betont. Mir wird heiß. Doch in diesem Moment ist es mir eher unangenehm. „Wegen gestern...", setze ich an, doch er unterbricht mich. „Vergiss es", fährt er mich an und erschrocken sehe ich auf. Er stellt sein Glas auf der Kommode ab. „Weißt du, für einen kurzen Moment bin ich wirklich auf dein Schauspiel reingefallen. Ich weiß nicht, was du bezweckst. Doch ich lasse mich nicht verarschen. Du spielst mir was vor und ich falle auch noch drauf rein... Ich dachte wirklich, dass das mit uns etwas... keine Ahnung." Mit jedem Wort wird er lauter und schneller. Ich schaue ihn verdattert an, denn weiß nicht, wovon der andere Mann spricht. „Wie bitte? Wovon redest du? Welches Schauspiel? Was mache ich dir vor?", hake ich verblüfft ein. „Fickst du ihn?" Bei diesen Worten zucke ich zusammen. Die Äußerung verwirrt mich nur noch mehr. „Wen?" Antony greift in die Innentasche meiner Jacke und schleudert mir die Zigarettenschachtel entgegen. Ich fange sie auf, doch dabei kippe ich mir das Glas Wasser über. Ich spüre die Feuchtigkeit, die kalt an mir hinabfließt. Mein Shirt, als auch meine Hose sind durchnässt. Ich sehe verstört auf die Zigarettenschachtel. Nun wird mir klar, worauf er anspielt. Doch ich bin immer noch zu perplex um irgendetwas zu erwidern. „Was?", stammele ich hingegen und sehe von der Schachtel auf. „Luka DiMatteo, hat er dich dazu angestiftet? Solltest du mich umgarnen, damit er eine neue seiner Klatschstory bekommt? Damit er mir wieder eins auswischen kann? Wie lange plant ihr das schon?" Ich sehe erneut auf die Schachtel und dann wieder zu Antony. Ich kann nicht glauben, was ich höre. Es muss ein schlechter Scherz. Antony ist scheinbar richtig sauer. Doch seine Anschuldigungen sind völlig gegenstandslos, haltlos und unverständlich für mich. „Fickt er dich?", fragt er erneut. Nun reicht es mir. Wut und Enttäuschung schwappen abwechselnd durch meinen Kopf. „Stopp,...", fahre ich ihn an und er hält tatsächlich den Mund. Ich sehe, wie sich sein Brustkorb aufgeregt hebt und senkt. „Erst einmal, du hast nicht das Recht mich derartig anzufahren, mir derartige Beschuldigungen an den Kopf zu werfen. Und zweitens, weiß ich nicht wovon du sprichst. Ich schlafe mit niemand außer vor ein paar Tagen mit dir und garantiert hat mich auch niemand dazu angestiftet. Ich habe Luka vor ein paar Tagen auf dem Campus kennengelernt, nachdem du mich abserviert und auf dem Parkplatz stehengelassen hast. Er hat mich auf ein Bier eingeladen und angemacht, doch außer diesem Scherz hier..." Ich werfe ihm die Zigarettenschachtel gegen die Brust. Er fängt sie auf und sieht mich nicht mehr an. Die gesamte Wahrheit über die Schachtel und deren Inhalt offenbare ich nicht. „...ist nichts passiert. Ich weiß nicht, was du für ein Problem mit ihm hast, aber das du es tatsächlich wagst solche Anschuldigungen gegen mich vor zubringen, ist nicht nur absolut absurd, sondern auch noch extrem verletzend. Was denkst du, wer du bist?", fahre ich ihn an. Meine Stimme ist erstaunlich gefestigt, dennoch spüre ich ein Zittern. Es schwingt Enttäuschung und Wut darin. Ich sehe ihn komplett entgeistert an und bin ehrlich schockiert. Ich nehme ihm meine Jacke aus der Hand. „Danke für die Jacke. Da ist die Tür." Ich deute nur kurz in Richtung Wohnungstür und verschwinde in mein Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)