Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Prolog: 0 - Der Velvet Room --------------------------- Langsam öffne ich meine Augen. Eine sanfte dunkelblaue Farbe fällt mir in den Blick. Vorsichtig blicke ich mich um. Wo bin ich? Ich sitze auf einem mit blauem Samt bezogenen Stuhl, vor mir steht ein mit einer blauen Tischdecke bedeckter Tisch und dahinter ein dunkelblaues mit Samt bezogenes Sofa, doch niemand sitzt darauf. Sowohl zu meiner Rechten, als auch zu meiner Linken sind Spiegel aufgereiht. Ein Blick hinein lässt mich aufschrecken, denn obwohl alles andere in diesem Raum reflektiert wird sehe ich mein eigenes Spiegelbild nicht. Der Stuhl auf welchem ich sitze ist im Spiegelbild leer. „Wie es scheint haben wir einen Gast mit einem faszinierenden Schicksal.“, erklingt eine Stimme, welche mich aufschrecken und vor mich zu dem Tisch blicken lässt. Auf dem eben noch leeren Sofa sitzt nun ein kleiner Mann mit grauem lichtem Haar und buschigen dunklen Augenbrauen, durch welche seine großen Augen noch mehr zur Geltung kommen. Seine lange Nase und seine spitzen Ohren geben ihm etwas von einem Fabelwesen und doch scheint dieser Mann ein Mensch zu sein. Ich bekomme kein einzelnes Wort heraus und schaffe es nicht meinen Blick von diesem merkwürdigen Mann abzuwenden. „Willkommen im Velvet Room.“, spricht die Gestalt weiter, „Mein Name ist Igor. Ich freue mich deine Bekanntschaft zu machen. Es ist lange her, seit wir das letzte Mal hier einen Gast begrüßen konnten. Dieser Ort besteht zwischen Traum und Wirklichkeit, Geist und Materie…“ Gebannt lausche ich den Worten dieses Mannes, die ruhig aber auch bestimmt sind. „Dies ist ein Raum, den nur diejenigen betreten können, die an einen „Vertrag“ gebunden sind…“, erzählt Igor ruhig. Durch einen Vertrag gebunden? Ich kann mich nicht erinnern einen Vertrag geschlossen zu haben. Igor scheint meine Gedanken lesen zu können, denn plötzlich spricht er weiter: „Es kann sein, dass dich ein solches Schicksal in naher Zukunft erwartet. Nun… Wie heißt du, mein Kind?“ Wie von einer Macht geleitet komme ich nicht drum herum ihm meinen Namen zu verraten: „Shingetsu Mirâ.“ Kurz schweigt der kleine Mann: „Hm… Ich verstehe. Wollen wir einen Blick in deine Zukunft werfen?“ Kurz lässt er seine Hand über den Tisch schweben, worauf Tarot-Karten erscheinen und sich von selbst positionieren. „Glaubst du an Wahrsagerei?“, fragt Igor ohne anscheinend eine Antwort zu erwarten, denn er spricht sogleich weiter: „Jede Vorhersage wird mit den gleichen Karten getroffen, aber das Ergebnis ist immer anders. Das Leben selbst folgt denselben Grundsätzen, nicht wahr?“ Sein Kichern verpasst mir eine leichte unangenehme Gänsehaut. Er deckt die erste Karte auf: „Hm… der Turm in der aufrechten Position steht für die unmittelbare Zukunft. Es scheint, eine schreckliche Katastrophe steht unmittelbar bevor. Die Karte, welche die Zukunft darüber hinaus anzeigt ist…“ Eine zweite Karte deckt sich auf: „Der Mond in der aufrechten Position. Diese Karte steht für „zögern“ und „Geheimnisse“. Wirklich sehr interessant.“ Erneut schwebt seine Hand über den Tisch und die Karten verschwinden wieder. Wieder kichert er: „Es scheint, dass du bald einem Unglück begegnen wirst und über dich wird ein großes Geheimnis verhängt werden. In den kommenden Tagen wirst du mit irgendeiner Art Vertrag in Kontakt kommen und dann wirst du hier her zurückkehren. Das kommende Jahr ist ein Wendepunkt in deinem Schicksal. Wenn das Rätsel ungelöst bleibt, geht deine Zukunft verloren. Meine Pflicht ist es unseren Gästen Hilfe zu leisten, um sicherzustellen, dass dies nicht passiert.“ Ich schlucke schwer. Das, was dieser Mann mir da erzählt klingt so merkwürdig, doch kann ich nicht darauf eingehen. Meine Stimme verweigert mir ihren Dienst. Ich senke kurz den Blick und versuche meine Stimme wiederzufinden, doch nichts hilft. Als ich wieder aufblicke fällt mir nun eine junge Frau auf, welche zur linken des alten Mannes sitzt. Ihr blondes gewelltes Haar ist mit einem samtblauen Haarband zurück gebunden und auch ihr Kleid besteht aus blauem Samt. „Ah! Ich habe versäumt dir meine Assistentin vorzustellen.“, sagt Igor, als säße sie die ganze Zeit neben ihm. Sitzt sie die ganze Zeit schon dort? So sehr ich es auch versuche, ich kann mich nicht erinnern. Mit einer höflichen Handbewegung zeigt Igor auf die junge Frau neben sich: „Dies ist Margaret. Sie ist eine Bewohnerin dieses Ortes, genau wie ich.“ Sie waren also beide nicht menschlich, auch wenn sie so aussahen. „Mein Name ist Margaret. Ich bin hier um dich auf deiner Reise zu begleiten.“, stellt sich die junge Frau kurz und bündig vor. Erneut kichert Igor kurz: „Wir sollten die Details ein anderes Mal klären. Bis dann, Lebewohl.“ Das Bild vor meinen Augen verschwimmt und färbt sich von einem hellen Licht in finsterste Dunkelheit… „…irâ. Mirâ“, hörte sie von weiter Ferne, „Mirâ, wach auf.“ Mit einem leichten Schreck erwachte Mirâ aus ihrem Schlaf und schaute sich etwas orientierungslos um. Wo war der blaue Raum? Wo waren Igor und Margaret? Sie brauchte eine Weile um zu realisieren, dass sie nicht mehr im Velvet Room war, sondern in einem Auto saß und auf einige Berge und Felder hinaus blickte. „Warum schaust du so irritiert?“, fragte die Frau am Steuer mit einem breiten Lächeln, „Sieh nur. Dort vorn ist schon Kagaminomachi.“ Seufzend lehnte das junge Mädchen ihren Kopf gegen die Scheibe der Autotür und blickte auf die immer näher kommende Stadt hinaus. Ihr Traum kam ihr noch einmal in den Kopf und es schien ihr als sei dies auch wirklich nur ein Traum gewesen… Kapitel 1: I - Das Spiegelspiel ------------------------------- Dienstag, 14. April 2015 Seufzend schaute Mirâ auf das Gebäude, welches sich vor ihr befand: Ihre neue Schule. Der Gebäudekomplex war recht groß, zu mindestens im Vergleich zu Schulen in anderen Kleinstädten. Genau vor ihr war der Haupteingang der Schule, in welchem bereits einige Schüler verschwanden. Ganz oben über dem Haupteingang hing eine riesige Uhr, welche bereits kurz vor 8 Uhr anzeigte. Das Schulgebäude erstrecke sich sowohl zu ihrer Rechten als auch zu ihrer Linken. Als sie nach links blickte fiel ihr auf, dass das Gebäude dort an eine große Turnhalle anschloss. Daneben erkannte sie ein Stück vom Sportplatz. Zu ihrer Rechten mündete das Gebäude ebenfalls in ein kleines weiteres Gebäude, welches aber anscheinend nur für Gerätschaften oder ähnliches verwendet wurde. Jedenfalls erkannte Mirâ auf den ersten Blick keine Fenster, die daraufhin wiesen, dass dieses Gebäude überhaupt zum Lernen genutzt werden konnte. Heute war ihr erster Tag an der neuen Schule. Sie war müde und wollte eigentlich wieder ins Bett. Das Einräumen und Einrichten in ihrem neuen Haus hatte länger gedauert als erwartet und somit war sie bis in die Nacht damit beschäftigt gewesen. Sie gähnte noch einmal kurz und wollte sich weiter auf den Weg ins Schulgebäude machen, als sie jemanden rufen hörte. „Vorsicht!“ Schnell drehte sich Mirâ um, doch sie konnte nur noch einen Ball auf sich zu fliegen sehen. Erschrocken schloss sie die Augen und nahm zum Schutz ihre Arme vor ihr Gesicht, doch der Ball traf sie nicht. Erstaunt blickte sie auf und sah wie der Ball wieder zurück geschossen wurde. „Hey Makoto spinnst du?“, rief nun ein Mädchen wütend zu einem Jungen, welcher etwas weiter entfernt stand und seinen Ball wieder gefangen hatte, „Pass gefälligst besser auf!“ „Sorry!“, rief der Junge zurück und spielte danach weiter mit ein paar anderen Jungs Fußball. Mirâ sah ihnen nach, wurde jedoch von dem Mädchen aus ihren Gedanken gerissen: „Alles in Ordnung?“ „Hm?“, erschrocken blickte Mirâ wieder zu dem Mädchen und nickte: „Ja. Danke.“ Sie musterte das Mädchen kurz. Es hatte Schulterlange dunkelbraune Haare, welches sie mit einem Haarband davon abhielt in ihr Gesicht zu fallen. Von der Schuluniform erkannte Mirâ nur den roten Rock, als Oberteil trug sie eine Trainingsjacke, welche aber ebenfalls das Logo der „Jûgoya Highschool“ trug. Auch sie schien Mirâ kurz gemustert zu haben und lächelte freundlich: „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du neu?“ „Ähm ja. Wir sind gestern erst hergezogen. Heute ist mein erster Schultag.“, erklärte Mirâ. „Eine neue Schülerin also. Mein Name ist Akane Chiyo. Freut mich.“, stellte sich das Mädchen mit Namen Akane vor. Auch Mirâ stellte sich kurz und bündig vor: „Mich ebenso. Mein Name ist Mirâ Shingetsu.“ Akane lächelte freundlich: „Dann willkommen auf der Jûgoya Higschool.“ Gemeinsam betraten beide das Schulgebäude, während Akane ihr grob den Aufbau der Schule erklärte und versprach, sie in der Mittagspause etwas herum zu führen. Zwar wusste Mirâ nicht in welche Klasse Akane ging, aber diese meinte, dass sich beide schon finden würden, immerhin seien die selben Klassenstufen immer auf dem gleichen Gang. Nachdem Akane ihr noch erklärt hatte wie sie zum Lehrerzimmer kam, verabschiedete sich diese vorerst von Mirâ und verschwand zwischen den Schülermassen. Nun war sie also wieder alleine und blickte sich noch einmal kurz um. Sie befand sich nun in der Eingangshalle der Schule. Hinter ihr befanden sich die Schuhfächer, wo die Schüler ihre Schuhe wechselten. Immerhin war es in Japan in den Schulen Pflicht die Schuleigenen Hausschuhe zu tragen und keine Straßenschuhe. Schaute sie gerade aus blickte sie auf das Treppenhaus, welche sich am Ende der doch recht großen Eingangshalle befand und in die oberen Stockwerke führte. Als sie in den Gang zu ihrer Linken blickte erkannte sie nur mehrere Räume. Dies waren wohl Clubräume, denn auf den Schildern über den Türen standen Dinge wie „Hauswirtschaft“, „Schülervertretung“ und „Theater AG“. Am Ende des Ganges schien das Gebäude einen Knick zu machen und Mirâ hätte am liebsten gleich geschaut, wohin dieser wohl führte, doch der erste Gong der Schulglocke ließ sie aufschrecken und erinnerte sie daran, dass sie dafür eigentlich keine Zeit hatte. Also drehte sie sich um und ging in den Gang gegenüber. Akane meinte, dass dort das Lehrerzimmer sei. Als sie den Gang betrat blickte sie sich noch einmal kurz um. An der Wand zu ihrer rechten war eine Fensterfront. Zu ihrer linken reihten sich mehrere Räume aneinander. Über den zwei Türen des ersten Raumes stand „Krankenzimmer“ und der Raum darüber war die Bibliothek, welche sich über ein ganzes Stück des Ganges zog. Erst über der letzten Tür zu ihrer Rechten stand ein Schild mit der Aufschrift „Lehrerzimmer“. Bevor sie dieses jedoch betrat fiel ihr Blick auf eine Tür, welche den Gang abschloss. Darüber stand ein Schild mit der Aufschrift „Sportclubs“. Als Mirâ das Gebäude von außen gesehen hatte, dachte sie erst dieser Raum sei eine Abstellkammer, doch nun musste sie feststellen, dass es wohl ein Gang zu einer weiteren Turnhalle war. Welche Sportclubs diese Schule wohl anbot? Sie zuckte kurz mit den Schultern und entschied, dass sie sich später darüber informieren würde. Daraufhin betrat sie das Lehrerzimmer, wo sie bereits ihre Lehrerin erwartete. Etwas später fand sich Mirâ in ihrer neuen Klasse, der 2-1, wieder. Während sie ihren Blick kurz über ihre neuen Klassenkameraden schweifen ließ, fiel ihr auf, dass sowohl Akane, als auch der Junge, welcher sie am Morgen auf dem Schulhof fast abgeschossen hätte, ebenfalls in ihrer Klasse waren. Erstere winkte ihr vorsichtig zu und zeigte grinsend auf den freien Platz neben sich. Wie es schien wollte sie, dass Mirâ neben ihr saß. Noch war etwas Chaos in der Klasse und alle redeten wie wild durcheinander, doch die junge Lehrerin, welche neben Mirâ an ihrem Pult stand gebot dem Einhalt: „Bitte Ruhe jetzt. Wir beginnen mit jetzt mit der Klassenstunde.“ So viel Mirâ bisher erfahren hatte hieß ihre Klassenlehrerin Mrs. Masa. Sie hatte nackenlange schwarze Haare und trug ein zartrotes Kostüm, bestehend aus Blazer und Rock. Sie war noch recht Jung, vielleicht gerade mal Ende zwanzig, allerdings hatte sie die Klasse, wie es schien, gut unter Kontrolle. Kurz darauf saß jeder an seinem Tisch und schaute mehr oder weniger interessiert nach vorn an die Tafel, vor welcher Mirâ stand. „Dieses Jahr haben wir zu Beginn des neuen Schuljahres eine neue Schülerin bekommen.“, ihre Lehrerin drehte sich kurz zu Mirâ, „Stell dich doch bitte kurz vor.“ „Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Meine Familie musste aus Arbeitsgründen hier her ziehen. Ich hoffe wir werden alle gut miteinander auskommen.“, daraufhin verbeugte sie sich kurz. „Sehr schön, Shingetsu-San.“, sagte Mrs. Masa zufrieden, „Such dir doch bitte einen freien Platz aus damit wir mit dem Unterricht beginnen können.“ Noch einmal verbeugte sich Mirâ kurz vor ihrer Lehrerin und steuerte gleich den leeren Platz neben Akane an, wo sie kurz darauf platznahm. Daraufhin begann der Unterricht, welcher an diesem Tag allerdings nur aus organisatorischen Dingen, wie der Wahl der zwei Klassensprecher und die Ausgabe von Infoblättern für spätere Kurse und des Stundenplanes bestand und dadurch auch recht schnell ein Ende fand. Das Klingen der Schulglocke erlöste die Klasse aus ihrem ersten Schultag. „Und bitte vergesst nicht, dass morgen früh die Rede des Schuldirektors stattfindet. Ebenso beginnt morgen auch der reguläre Unterricht. Bitte seid pünktlich und blamiert mich morgen nicht.“, mit diesen Worten verließ Mrs. Masa den Klassenraum und entließ damit ihre Schüler in den freien Nachmittag. Mirâ packte gerade ihre Sachen zusammen, als sie über sich einen Schatten bemerkte. Sie schaute auf und erblickte den Jungen vom Schulhof. Da er nun direkt neben ihr stand konnte sie ihn richtig mustern. Seine nackenlangen dunkelblonden Haare, welche offensichtig gefärbt waren, hatte er teilweise zu einem kleinen Zopf gebunden, wobei allerdings immer noch einige Haare frei hingen. Seine Schuluniform trug er ziemlich schlampig, wie Mirâ fand: Teilweise offenes Hemd und Krawatte und die Jacke war dazu auch noch offen. Akane holte sie wieder einmal aus ihren Gedanken, als sie den jungen Mann leicht genervt fragte: „Was willst du Makoto?“ „Na was wohl? Ich wollte mich für vorhin entschuldigen.“, antwortete der Junge kurz genervt, wand sich dann allerdings an Mirâ, „Entschuldige wegen vorhin. Ich hatte nicht aufgepasst und hab den Ball verfehlt. Ich hoffe mit dir ist alles in Ordnung.“ Trotz seines schluderigen Auftretens schien er ein netter Junge zu sein. Mirâ schüttelte den Kopf, als Zeichen, dass alles in Ordnung und vergessen sei: „Schon gut. Mit mir ist alles in Ordnung. Chiyo-San hat mich gerettet. Es ist also schon wieder vergeben und vergessen.“ Freundlich lächelte sie den jungen Mann neben sich an, welcher leicht rot anlief: „Ähm… wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Hiroshi Makoto. Freut mich sehr.“ „Mich ebenso, Makoto-Kun.“, lächelte Mirâ erneut. „Wo wir gerade dabei sind.“, mischte sich Akane ein, „Bitte sei nicht so förmlich. Nenn mich einfach Akane.“ Erstaunt schaute Mirâ sie an: „Sicher?“ „Aber ja doch.“, grinste Akane, „Wenn ich dich dafür Mirâ nennen darf.“ „Wie wäre es? Wollen wir noch zusammen etwas trinken gehen?“, fragte Hiroshi gerade heraus, doch Mirâ schüttelte den Kopf. „Nein heute nicht. Tut mir leid. Ich habe meiner Mutter versprochen gleich nach der Schule nach Hause zu kommen. Meine kleine Schwester wäre sonst allein.“, erklärte Mirâ und stand auf, „Aber morgen vielleicht.“ „Schade, aber kann man nichts machen.“ ,meinte Hiroshi leicht verlegen, „Dann bis morgen.“ „Bis morgen.“, verabschiedete sich Mirâ von den beiden und machte sich gleich auf den Weg nach Hause. Mirâ musste ein ganzes Stück laufen und auch ein paar Stationen mit der U-Bahn fahren, doch kam bald darauf zu Hause an. Ihr neues Haus stand in einer Wohngegend am Rande der Stadt. Es war ein kleines Häuschen, aber größer als die Wohnung, in welcher sie vor ihrem Umzug gewohnt hatte war es alle male. Und für drei Personen war es vollkommend ausreichend. Um das Haus herum war ein kleiner Garten, allerdings bestand dieser nur aus Wiese und einigen Sträuchern. Als sie die Tür aufschloss kam ihr bereits ihre Schwester entgegen: „Okaerinasai Nee-Chan.“ „Hallo Junko.“, begrüßte Mirâ die Grundschülerin, während sie sich ihre Schuhe auszog, „Bist du schon lange zu Hause?“ Die kleine schüttelte den Kopf: „Nein. Ich bin auch erst vor ein paar Minuten nach Hause gekommen.“ „Du hast dich doch nicht irgendwo rumgetrieben, oder?“, fragte Mirâ streng, woraufhin das kleine Mädchen mit dem Kopf schüttelte, „Dann ist ja gut.“ Gemeinsam betraten sie das Wohnzimmer, welches nur von einem kleinen Flur von der Haustür getrennt wurde. Dieses war recht geräumig und schloss direkt an die Küche an, welche eigentlich eher eine Kochnische war. Getrennt wurden die beiden Räume von einem Raumtrenner, dessen einzelne Fächer mit Büchern und Vasen gefüllt war. Die Kochnische war direkt rechts, sobald man den Raum betrat. Sie war so geräumig, dass sogar ein Esstisch mit hineingepasst hatte. Zu Mirâs Linker war die Treppe in den zweiten Stock und direkt an den Gang grenzte eine Fensterfront, welche hinaus in den Garten führte und das Wohnzimmer am Tag mit Licht flutete. Der Glasfront gegenüber an der Wand standen ein geräumiges Sofa und davor ein kleiner Tisch, um welche Sitzkissen verteilt lagen. An der Wand ihr gegenüber stand ein Regal mit Büchern und Unterlagen und links in einer Ecke stand ein Fernseher, auf welchem eben die Nachrichten liefen. Mirâ setzte sich zu ihrer kleinen Schwester auf den Fußboden und schaute mit ihr etwas fern, während sie sich nebenbei über ihren ersten Schultag unterhielten. Mittwoch, 15.April 2015 Der Tag begann wie von Mrs. Masa angekündigt mit der Rede des Schulleiters, welcher seine Wünsche und Vorstellungen für das kommende Schuljahr erklärte. Mirâ hatte sich zu Akane und Hiroshi gesetzt, welche sie auf dem Weg zur Schule getroffen hatte, und hörte hinter sich Schüler flüstern. „Hast du schon das von Ayasegawa aus der 2-3 gehört?“, hörte sie ein Mädchen flüstern. Ein weiteres Mädchen antwortete interessiert: „Nein. Was denn?“ „Sie soll vollkommen durchgedreht sein. Sie wurde vor einigen Tagen total verängstigt in ihrem Zimmer gefunden und rief immer wieder „sie wollen mich holen“.“, antwortete das erste Mädchen, „Angeblich soll sie das „Spiegelspiel“ versucht haben.“ „Was?“, ein drittes Mädchen mischte empört ein, „Aber das soll doch nur ein Gerücht sein.“ „Habt ihr es mal probiert?“, fragte die erste in die Runde. Die anderen beiden Mädchen schwiegen kurz und Mirâ konnte im Augenwinkel sehen, wie sie vorsichtig den Kopf schüttelten. „Hey ihr drei. Seid still.“, flüsterte eine tiefe Männerstimme und gebot dem Getuschel damit Einhalt. Die Stimme veranlasste Mirâ sich noch ein Stück weiter umzudrehen. Dabei erblickte sie einen Jungen mit leicht zerzaustem schwarzem Haar. Mit zwei silbernen Haarklemmen verhinderte er, dass ihm sein Pony ins Gesicht fiel, was ihm ein leicht freches Aussehen verlieh, was ihm aber hervorragend stand. Ansonsten war er ganz akkurat gekleidet. Seine Schuluniform war ordentlich geschlossen und auch seine Krawatte war akkurat gebunden. So etwas gefiel Mirâ. Aber sie musste auch feststellen, dass er selbst ihr auch gefiel. Als er wieder nach vorn zum Schuldirektor blickte trafen sich kurz ihre Blicke, woraufhin Mirâ sich schnell wieder nach vorn drehte. Sie merkte wie ihr die Röte ins Gesicht gestiegen war und versuchte sich zu beruhigen. „Mirâ ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so rot.“, fragte Akane leise, woraufhin Mirâ aufschrak. „Ja, Ja. Alles in Ordnung.“, lachte sie leicht verlegen und lauschte dann wieder der Rede des Rektors, obwohl es sinnlos war, da sie eh fast die Hälfte verpasst hatte. Danach ging der reguläre Unterricht weiter, welcher aber doch vergleichsweise schnell vorüber ging. Wie versprochen unternahm Mirâ an diesem Nachmittag etwas mit ihren neuen Freunden. Gemeinsam holten sie sich ein paar Getränke und setzten sich in den Park auf eine Bank. Während sie sich über vielerlei lustige Dinge unterhielten und sich Akane und Hiroshi wegen mehrerer Kleinigkeiten des Öfteren in die Haare bekamen, erinnerte sich Mirâ wieder an das Gespräch der drei Mädchen. „Sagt mal ihr beiden. Kennt ihr dieses „Spiegelspiel“?“, fragte sie plötzlich. Die beiden Anderen stoppten ihre aktuelle Diskussion und sahen sie etwas erstaunt an. Sie schienen sich zu fragen, wie sie wohl gerade jetzt auf dieses Thema zu sprechen kam. „Zwei Mädchen aus der Parallelklasse haben sich während der Rede des Rektors darüber unterhalten.“, erklärte sie. „Ach so.“, Akane setzte sich etwas bequemer auf die Bank, „Das „Spiegelspiel“ ist ein Gerücht, was seit einigen Wochen im Umlauf ist. Es heißt ja „Ein Spiegel zeigt immer die Wahrheit“, aber es heißt, wenn man in der Nacht im Dunkeln für längere Zeit in den Spiegel schaut, dann erscheine dir im Spiegel dein „wirkliches“ ich.“ „Hast du es schon mal getestet?“, fragte Hiroshi unvermittelt. „Was? Nein! Ich glaube nicht an solchen Mist.“, sagte die Angesprochene schnell. Mirâ überlegte kurz: „Die drei Mädchen haben erzählt, dass ein Mädchen aus der 2-3 deshalb durchgedreht sei.“ „Ja das habe ich auch gehört. Aber das sind alles nur Gerüchte.“, sagte Hiroshi und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „Ich habe gehört Ayasegawa hat Probleme zu Hause und soll deshalb einen seelischen Zusammenbruch erlitten haben.“ „Das klingt auch plausibler als diese dummen Gerüchte.“, meinte Akane nur zustimmend, „Mal ein anderes Thema, ich habe gehört, dass im Einkaufszentrum ein neues Café eröffnet hat. Lass uns demnächst mal zusammen hin gehen, Mirâ.“ „Gerne.“, nickte Mirâ zustimmend. „Und was ist mit mir?“, fragte Hiroshi. „Wie jetzt?“, kam es nur von Akane und eine erneute Diskussion der beiden startete, welcher Mirâ aber nicht lange zuhörte. Wieder musste sie an das Gespräch der beiden Mädchen denken und zeitgleich km ihr auch ihr Traum vom Velvet Room in den Sinn. Etwas bereitete ihr Unbehagen und sie merkte wie sich dieses Gefühl langsam in ihrem Körper breit machte. Am späten Abend saß Mirâ über ihren Hausaufgaben und versuchte sich auf diese zu konzentrieren. So sehr sie es auch versuchte, jedes Mal schweiften ihre Gedanken wieder ab und sie musste erst an ihren Traum und dann an das Gespräch denken. Vorsichtig schaute sie über ihre Schulter auf den großen Standspiegel, welcher in einer Ecke ihres Zimmers stand. Doch so schnell wie sie konnte wand sie den Blick wieder auf ihre Aufgaben. Erneut breitete sich das ungute Gefühl in ihr aus. „So ein Quatsch.“, ging ihr durch den Kopf und sie strich sich kurz durch ihren Pony. Kurz darauf stand sie auf, schaltete bei dieser Bewegung die Schreibtischlampe aus und begab sich vor ihren Spiegel. Eine Zeit lang starrte sie ihr Spiegelbild an, doch nichts geschah. „Wusste ich es doch.“, sie wollte dem Spiegel gerade wieder ihren Rücken zudrehen und sich wieder an ihre Aufgaben machen, als sie ein Geräusch hörte. Erschrocken blickte sie auf ihr ebenso erschrockenes Spiegelbild, welches allerdings kurz darauf verschwamm. Plötzlich kam etwas Schwarzes aus ihrem Spiegel hervorgeschossen und griff ihren Arm. Mirâ schrie erschrocken auf und versuchte sich krampfhaft aus dem Griff zu befreien. Es dauerte eine Weile bis der Befreiungsversuch gelang, allerdings mit der Folge, dass sie zu viel Schwung hatte und mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Weiterhin erschrocken blickte sie auf den Spiegel und Panik stieg in ihr auf, als sie etwas merkwürdig Aussehendes aus ihrem Spiegel kreuchen sah, was immer näher auf sie zu kam. Immer weiter wich sie zurück, doch das schwarze Etwas verschwand nicht und plötzlich gab es für sie kein Zurück mehr, als sie an ihren Schreibtisch stieß. „Was zum… was ist das?“, Mirâ wollte schreien, doch jeder Ton blieb ihr im Halse stecken. Fast hatte sie das schwarze Etwas erreicht, als plötzlich die Tür zu ihrem Zimmer aufging und das Licht eingeschaltet wurde. „Mirâ, was soll der Lärm so spät? Und wieso sitzt du im Dunkeln? Und dazu noch auf dem Fußboden?“, fragte ihre Mutter erstaunt, welche das Zimmer betreten hatte. Erschrocken blickte Mirâ zu ihrer Mutter und kurz darauf wieder zu ihrem Spiegel. Das schwarze Wesen war verschwunden. War das etwa nur Einbildung gewesen? „Was ist los? Was schaust du so erschrocken?“, fragte ihre Mutter erneut. „Es… es ist nichts.“, antwortete Mirâ so ruhig, wie es ihr in diesem Moment möglich war, „Entschuldige für den Krach. Ich habe etwas gesucht, bin dabei an meinen Tisch gestoßen und umgefallen.“ „Ist ja auch kein Wunder, wenn du kein Licht an machst. Du solltest dann auch bald ins Bett gehen, es ist schon spät.“, meinte ihre Mutter und verließ wieder das Zimmer. Mirâ zwang sich ein Lächeln an: „Ja Mama. Dir schon mal eine gute Nacht.“ „Ja gute Nacht.“, damit war die Zimmertür wieder zu. Nachdem ihre Mutter gegangen war schaute Mirâ noch einmal zu ihrem Spiegel. Hatte sie sich dieses schwarze Ding etwa nur eingebildet? Aber es hatte sie doch berührt. Oder? Vorsichtig blickte Mirâ auf ihren Arm und musste schockiert feststellen, dass dort leichte Abdrücke zu finden waren. Doch keine Einbildung? Noch einige Minuten starrte sie ihren Spiegel an, bis sie sich entschloss ein Tuch darüber zu hängen, welches den Spiegel erst einmal vollkommen abdeckte. Immerhin sollten diese Wesen ja nur erscheinen, wenn man in der Nacht direkt in den Spiegel sah. Das jedenfalls hoffte Mirâ als sie ihren Futon ausbreitete und sich endlich schlafen legte. Kapitel 2: II - Das Erwachen ---------------------------- Donnerstag, 16.April 2015 Am nächsten Morgen fiel es Mirâ sichtlich schwer wach zu bleiben. Sie hatte die Nacht sehr schlecht geschlafen und immer wieder auf ihren Spiegel geschaut, nur um sicher zu gehen, dass nicht wieder ein solches Monster auftauchte. Immer, wenn sie gerade etwas tiefer geschlafen hatte, schreckte sie irgendwann wieder hoch. Zudem hatte sie die ganze Nacht das Gefühl beobachtet zu werden. Doch wer sollte sie beobachten? Und von wo? Erst kurz bevor sie aufstehen musste schlief sie etwas fester ein und hätte dadurch beinahe auch noch verschlafen. Mit viel Mühe schaffte es Mirâ die ersten paar Stunden zu überstehen, doch die letzte Stunde wurde ihr zum Verhängnis. Geschichte war noch nie ihr Lieblingsfach gewesen, doch ausgerechnet ihre Klasse hatte einen Lehrer, welcher dieses Fach noch langweiliger machte und alles in einem monotonen Ton herunter arbeitete. Dazu kam ihre extreme Müdigkeit und so dauerte es auch nicht lange und sie war im Land der Träume verschwunden. Erschrocken blicke ich mich um. Wieder sitze ich in diesem blauen Raum. Wie heißt er noch gleich? Ich versuche mich zu erinnern, aber die Erinnerung an meine letzte Begegnung dieser Art ist extrem verblasst. Die ganze Zeit dachte ich es wäre nur ein Traum gewesen, aber nun bin ich schon wieder hier. „Willkommen im Velvet Room.“, spricht die Stimme von Igor zu mir. Ich blicke auf und sehe ihn mit einem breiten Grinsen wieder mir gegenüber sitzen. Velvet Room. Genau. Das war der Name den ich gesucht habe. „Wie es scheint hast du bereits erste Bekanntschaft mit deinem neuen Schicksal gemacht.“, spricht er ruhig weiter. Woher wusste er das? Heißt das etwa, dieses schwarze Ding war mein Schicksal? Mir läuft es eiskalt den Rücken runter und es schüttelt mich, als ich an die Begegnung mit dem schattenartigen Wesen denke. Ich blicke kurz auf meinen Arm, welchen das Wesen gegriffen hatte und sehe die leichten Abdrücke, die es dabei hinterlassen hatte. Angst überkommt mich. Wieso ich? „Keine Sorge. Deine Fragen werden noch beantwortet. Deine nächste Begegnung dieser Art wird anders verlaufen. Vertrau mir.“, sagt der alte Mann und wieder erscheint ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, „Ich bin schon sehr gespannt, wie du diesem Schicksal gegenübertrittst. Wir werden das nächste mal drüber sprechen, wenn es so weit ist. Bis dann, Lebewohl.“ Wieder verschwimmt das Bild, wurde erst extrem hell und ich tauche dann in tiefste Dunkelheit. Etwas rüttelte an Mirâ, was sie aufschrecken und sich panisch umschauen ließ. Sie brauchte eine Weile, bis sie realisierte, dass sie sich wieder in ihrem Klassenraum befand. Bei längerem hin und her schauen, bemerkte sie, dass der Raum bereits zur Hälfte leer war und sich genau in diesem Moment wieder welche verabschiedeten und gingen. Sie schrak auf: „Oh nein. Ich bin eingeschlafen.“ Röte stieg ihr ins Gesicht. War das peinlich. So etwas war ihr noch nie passiert. „Guten Morgen Schlafmütze.“, grinste sie Akane an, „Du hast ja richtig tief geschlafen. Wie kommt’s?“ Mirâ senkte leicht den Kopf: „Ich habe die Nacht echt schlecht geschlafen. Hat es jemand mitbekommen?“ „Ich denke Mr. Tetsuhima hat es mitbekommen, aber er ignoriert so etwas für gewöhnlich.“, Hiroshi gesellte sich zu den beiden Mädchen, „Aber mal ehrlich. Du sahst den ganzen Tag schon so blass aus. Ich habe mich schon gefragt, wann du wohl einschlafen würdest. Ist etwas passiert?“ Eine Weile überlegte Mirâ, ob sie den beiden von der merkwürdigen Begegnung am Abend erzählen sollte. Sie würden ihr mit Sicherheit nicht glauben und sich über sie lustig machen. Aber mit wem konnte sie sonst darüber reden? Nach nochmaligem Überlegen entschloss sie sich ihren beiden Freunden von der Begegnung des letzten Abends zu erzählen. Sie erzählte ihnen davon, wie sie das Spiegelspiel ausprobierte und kurz darauf von etwas am Arm gegriffen wurde, welches daraufhin aus ihrem Spiegel gekrochen kam. „Das komische Wesen verschwand erst, als meine Mutter das Licht einschaltete.“, beendete Mirâ ihren Bericht. Leider war es so wie sie es erwartet hatte und die beiden begannen zu lachen, als sie die Story hörten. Sie glaubten ihr also nicht. Leider hatte sie keinen Beweis, denn als sie den Ärmel ihrer Jacke hochkrempelte, um ihren Freunden den Abdruck zu zeigen, war dieser verschwunden. Im Velvet Room war er aber noch da gewesen. Oder hatte sie sich das wieder nur alles eingebildet? Langsam bekam sie Kopfschmerzen. Sie wusste nicht mehr was Realität und was Traum war. Wahrscheinlich drehte sie langsam durch. „Hey, jetzt schau nicht so erschrocken. Wir glauben dir ja schon.“, meine Akane mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, als sie merkte wie Mirâ wieder blasser wurde. „Ihr glaubt mir nicht.“, meinte Mirâ leicht beleidigt, „Aber wie kann ich es euch verübeln? Ich habe ja keine Beweise. Vielleicht drehe ich ja einfach nur durch…“ „Jetzt übertreib mal nicht. Der einfachste Beweis wäre, wenn wir das heute Abend noch einmal testen. Wenn es stimmt, was du sagst, dann müsste es ja wieder passieren.“, schlug Hiroshi vor. Akane sprang auf: „Wie bitte? Du willst das wirklich noch einmal testen? Was ist, wenn da wirklich ein merkwürdiges Wesen raus kommt.“ Hiroshi grinste: „Ich dachte du glaubst nicht an solche Dinge. Dann dürfte es dich ja nicht beunruhigen.“ „Es beunruhigt mich, weil Mirâ so etwas erzählt hat.“, erklärte Akane schnell, „Außerdem, wo willst du das testen? Willst du sie zu dir nach Hause einladen? Deine Eltern würden echt dumm gucken, wenn du am späten Abend ein wildfremdes Mädchen ins Haus lässt. Oder?“ „Da könntest du Recht haben.“, leicht verlegen kratzte sich der junge Mann am Hinterkopf, wobei ihm plötzlich etwas einzufallen schien, „Aber am Einkaufszentrum könnten wir das testen.“ „Am Einkaufszentrum?“, fragten die beiden Mädchen synchron. Hiroshi nickte: „Ja. Chiyo, erinnerst du dich nicht? Als sie das Gebäude saniert haben, haben sie drum herum reflektierende Glasscheiben angebracht.“ Akane schien ein Licht aufzugehen: „Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Die reagieren wie ein Spiegel. Aber das Spiegelspiel funktioniert nur in der Nacht.“ „Dann treffen wir uns eben heute Abend. Es wird doch relativ schnell dunkel um diese Jahreszeit. 20 Uhr zum Beispiel.“, kam schnell die Antwort. „Und was ist mit den Menschenmassen? Außerdem sind die Straßen beleuchtet.“, meinte Mirâ, doch Hiroshi grinste nur und meinte, dass sie das mal seine Sorge sein lassen sollen. Somit verabredeten sich die drei für 20 Uhr am Einkaufszentrum und machten sich vorerst auf den Weg nach Hause. Als Mirâ zu Hause ankam, ließ sie sich erst einmal erschöpft auf ihren Futon fallen. Sie hatte noch gut vier Stunden, bis sie sich mit ihren Freunden treffen wollte und überlegte, was sie machen könnte, wenn wieder dieses Wesen auftauchen sollte. So ganz unbewaffnet wollte sie dort nicht auftauchen, doch was war unauffällig genug, um es am späten Abend mit sich herum zu tragen? Sie blickte sich in ihrem kleinen Zimmer um. Ihr Futon lag an der hintersten Wand, ihr Gegenüber war die Zimmertür und rechts davon die Ecke in welcher ihr, immer noch, abgedeckter Spiegel stand. Zwischen Tür und Spiegel stand ein kleines Regal, welches mit Schulbüchern und einigen Romanen gefüllt war. Hier und da lugte auch mal ein Manga hervor. Auch wenn Mirâ kein großer Fan war, so las sie doch ab und an gerne mal einen Manga. Zu ihrer Rechten hatte sie eine kleine Anbauwand mit Kleiderschrank, auf welcher auch ein kleiner Fernseher stand. Links von der Tür aus war ein Fenster und darunter stand ihr Schreibtisch, an welchen an derselben Wand ein weiteres kleines Regal angrenzte, in welchem Mirâ einige andere Dinge verstaute. Plötzlich fiel ihr Blick auf etwas, genau vor ihrem Futon, welches an ihr kleines Regal lehnte. Eine schwarze Tasche hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie lächelte leicht, als sie bemerkte, dass sie eine Waffe gefunden hatte. Nachdem sie sich noch etwas ausgeruht und zu Abend gegessen hatte, verließ sie das Haus mit dem Vorwand ein paar Unterlagen von einer Klassenkameradin zu holen und machte sich auf den Weg zum Einkaufszentrum. Akane und Hiroshi erwarteten sie bereits vor eben diesem. Mirâ betrachtete das große Gebäude, welches aber mittlerweile geschlossen hatte. Es war nicht sehr groß, fiel aber auf diesem Platz extrem auf. Genau wie Hiroshi erzählt hatte, war es vollkommen mit spiegelndem Glas umgeben. Das Gebäude stand an einem großen Platz, in dessen Mitte ein Springbrunnen war. Rum um den Brunnen standen mehrere Bänke unter Bäumen. Zwischen diesen gingen schmale Wege ab, welche in die verschiedensten Gassen führten, welche durch Geschäftsgebäude rund um den Platz geschaffen wurden. Es wäre sicher viel schöner gewesen am Tage hier her zu kommen und etwas in den Läden zu stöbern. Akane sah sich um: „Hier sind zu viele Menschen. Das fällt auf, wenn hier was passiert.“ „Ich habe doch gesagt, dass ihr das meine Sorge sein lassen sollt.“, meinte Hiroshi und lief los, „Es gibt hier nämlich eine Seite des Kaufhauses, die nicht beleuchtet ist.“ Die beiden Mädchen folgten ihm in eine kleine Gasse, welche hinter dem Einkaufszentrum verlief. Als sie in diese einbogen erkannte Mirâ, dass es sich bei dieser Seite des Kaufhauses um den Ausgang für Mitarbeiter handelte. Diese Seite war auch nicht vollständig mit dem Glas bestückt, wie die anderen sichtbaren Seiten, sondern hier war nur ein kleiner Teil damit bedeckt, aber dieser reichte vollkommen aus. „Sag mal Mirâ, was ist da eigentlich in deiner Tasche?“, fragte Akane, welcher bereits beim Eintreffen ihrer Freundin diese Tasche auffiel. Mirâ lächelte nur leicht: „Etwas zur Selbstverteidigung.“ „Du meinst das wirklich ernst, was?“, kam eine weitere Frage, dieses Mal aber ängstlicher, „Sag mal Makoto, woher wusstest du hiervon?“ Hiroshi zuckte mit den Schultern: „Wenn man sich manchmal so rumtreibt, findet man versteckte Gassen.“ „Hä?“, kam es nur zurück und die beiden fingen erneut eine Diskussion an, welche allerdings dieses Mal relativ friedlich verlief. Mirâ währenddessen betrachtete die mit Spiegelglas bestückten Teile der Wand und blickte in ihr Spiegelbild. Ihr Unbehagen war ihr ins Gesicht geschrieben, doch vorsichtig berührte sie das kalte Glas. Es geschah… nichts. Etwas erleichtert atmete sie wieder auf. Vielleicht hatte sie sich das wirklich alles nur eingebildet. Dann wären sie und ihre Freunde zwar umsonst her gekommen, aber zu mindestens brauchte sie sich dann keine Gedanken mehr zu machen, ob etwas aus ihrem Spiegel kam. Sie wollte sich gerade von den Glasscheiben abwenden, als etwas ihre Hand ergriff, welche immer noch das Glas berührte. Erschrocken schrie sie auf, woraufhin nun auch ihre Freunde darauf aufmerksam wurden. Krampfhaft versuchte sich Mirâ los zu reißen, aber nichts half. Je mehr sie zog, desto mehr zog auch das etwas an ihrer Hand und kurz darauf war sie mit einem Teil ihres Armes im Spiegel verschwunden. „Was ist das?“, schrie Akane erschrocken auf. Hiroshi, währenddessen, griff nach Mirâ und versuchte sie wieder zurück zu ziehen, doch es hatte wieder nur den Effekt, dass diese damit immer mehr und mehr in den Spiegel gezogen wurde. Auch Akane ergriff ihre Freundin und zog, doch auch das brachte nicht den erwünschten Effekt. Das Ziehen wurde immer stärker und plötzlich war die Gasse leer. Ein junger Mann kam angerannt und schaute sich aufmerksam um. Hatte er da nicht gerade einen Schrei gehört? Er blickte sich nach allen Seiten um, doch er konnte nichts Auffälliges feststellen. Als er jedoch auf den Fußboden sah, fand er einen kleinen Anhänger auf dem Boden liegen. Es war ein kleiner Jack Frost, einem Maskottchen der hiesigen Spielhallen, welche in fast jeder Stadt zu finden waren. Vorsichtig hob er den kleinen Anhänger auf. Ob ihn jemand verloren hatte? Noch einmal schaute sich der junge Mann um, doch als er wieder nichts erkennen konnte entschied er, dass er sich den Schrei wohl nur eingebildet hatte und machte er sich auf den Heimweg. Mit einem dumpfen Knall landeten Mirâ, Akane und Hiroshi auf dem Fußboden. Das Wesen, welches an ihrem Arm gezogen hatte war vorerst verschwunden. Sich den Kopf reibend sah sich Mirâ vorsichtig um. „Hu?“, bekam sie nur heraus. Es sah aus als seien sie immer noch in der Gasse, doch etwas beunruhigte Mirâ. Es war viel zu hell. Ein Blick in den Himmel verriet ihr die Lichtquelle. Ein riesiger Mond schien über dem Areal. Sie musste kurz überlegen, aber eigentlich war sie sich sehr sicher, dass zurzeit abnehmender Mond war. In einigen Tagen war doch eigentlich sogar schon Neumond, wenn sie sich recht erinnerte und sie war sich auch sicher, dass sie auf dem Weg zum Einkaufszentrum nur eine Mondsichel am Himmel gesehen hatte. Noch einmal schaute sie zu dem riesigen Mond am Himmel und auch dieser war noch nicht ganz voll. Es schien, als sei dies das genaue Gegenteil von dem Mond, welchen sie vorhin noch gesehen hatte. Sie schrak auf. Konnte das sein? Hastig blickte sie sich um. Die Gasse sah genau so aus, wie die von welcher sie in den Spiegel gezogen wurden, doch dann fiel es Mirâ auf. „Argh… was ist passiert?“, fragte Hiroshi, welcher sich ebenfalls den Kopf rieb, „Wo sind wir? In der Gasse?“ „Vielleicht haben wir uns das ja alles nur eingebildet.“, meinte Akane. „Nein.“, mit diesen Worten stand Mirâ auf und rannte aus der Gasse heraus. Als sie um die Ecke auf den Platz bog, an welchem das Einkaufszentrum war, bestätigte sich ihr Verdacht. Alles sah zwar genauso aus wie in Kagaminomachi, aber es war Spiegelverkehrt. Vorsichtig lief sie über den Platz und bemerkte, dass die Blätter der Bäume aus kleinen Glassplittern bestanden. Auch die Gebäude rund um den Platz des Einkaufszentrums waren in Spiegelglas gefasst. So viel sie sich erinnerte war aber nur das Einkaufszentrum mit solchem Glas umgeben. Sie waren definitiv nicht mehr in ihrer Welt. „Was ist denn hier los?“, schrie Akane plötzlich auf. Mit einem Ruck drehte sich Mirâ um und sah, wie ihre Freunde von mehreren merkwürdigen Wesen umzingelt wurden. Erst waren es schwarze schleimartige Wesen, welche sich aufrichteten und plötzlich die Form zweier gestreifter Bälle bekamen, aus welchen lange schwarze Zungen hingen. Auf dem Rücken dieser Wesen, wenn man es überhaupt so nennen konnte, hingen dunkelblaue Masken. Schnell reagierte Mirâ und machte ihre mitgebrachte Tasche auf. Anscheinend hatte es sich doch gelohnt, sie mitzunehmen. Einen kurzen Augenblick später durchbohrte ein Pfeil eines dieser merkwürdigen Wesen, welches kurz darauf verschwand. Ein zweiter Pfeil sauste durch die Luft und traf das zweite Wesen, welches ebenfalls verschwand. Geschockt sackte Akane in sich zusammen: „Was waren das für Wesen?“ „Gute Frage. Aber die sollten wir uns wann anders stellen. Da kommen noch mehr.“, rief Hiroshi, während er Akane auf die Beine half. Aus dem Schatten der Bäume kamen noch mehr dieser merkwürdigen Wesen gekrochen. „Wir sollten von hier verschwinden.“, schon rannte Hiroshi mit Akane an der Seite los. Mirâ folgte den Beide, auch wenn sie es nicht ratsam fand hier einfach herumzulaufen. Ab und an drehte sie sich noch einmal nach hinten, um zu schauen ob ihnen diese Wesen noch folgten. Kamen sie zu nahe blieb sie kurz stehen und schoss einen neuen Pfeil ab. Somit hielt sie diese Wesen auf Abstand. Dabei bemerkte sie allerdings nicht, dass ihre Freunde schon viel weiter weg waren. „Mir gehen langsam die Pfeile aus.“, musste sie nach einer Weile feststellen und entschloss sich dazu ihren Freunden zu folgen. Doch als sie sich umdrehte waren die beiden verschwunden. „Hu? Akane? Makoto-Kun? Wo seid ihr?“, rief sie in der Hoffnung die beiden wieder zu finden, doch bekam keine Antwort, „Verdammt!“ Sie sah sich um. Wohin waren die beiden geflüchtet? Egal in welche Richtung sie sah, sie konnte niemanden sehen. Um den Platz herum standen mehrere Geschäftsgebäude, zwischen welchen kleinere Gassen und mehrere Straßen führten. Mirâ kannte sich nicht einmal richtig in der echten Stadt Kagaminomachi aus. Wie sollte sie dann wissen, wo lang sie in dieser gespiegelten Kopie laufen sollte? Was sollte sie nur tun? Im Augenwinkel sah sie bereits weitere Wesen auf sich zu kriechen, welche sich wieder zu diesen merkwürdigen Bällen formten. Dabei merkte sie aber nicht, wie sich ihr ein Schatten nährte. Sie hörte plötzlich etwas und sah nach hinten, um zu schauen, was das Geräusch verursachte, doch da war es bereits zu spät. Scharfe Krallen blitzten in der Luft und zwangen sie zu Boden. Schnell versuchte sie sich wieder aufzurappeln, doch spürte einen stechenden Schmerz an ihrem Bein. Ein kurzer Blick darauf verriet ihr die Ursache: Quer über ihren Oberschenken zogen sich drei lange Kratzer. Sie hob den Blick um auf das Wesen zu schauen, welches sie angegriffen hatte. Es war ein anderes als diese, welche sie noch kurz zuvor angegriffen hatten. Vor ihr flog ein schwarzes vogelartiges Wesen, welches eine goldene Kronenähnliche Maske und einen roten herzförmigen Kragen trug. Es rüstete sich erneut zum Angriff, spannte seine Krallen an und flog auf Mirâ los. Geschockt saß sie da und konnte sich keinen Millimeter rühren. Ihr ganzer Körper war wie von allen Kräften verlassen. Doch plötzlich stoppte das Wesen und ein Stein fiel vor Mirâs Beinen zu Boden. Erneut fiel ein Stein zu Boden und noch einer. Mirâ sah auf und erkannte Hiroshi, welcher diese Steine auf das Wesen warf. „Hey. Lass sie in Ruhe du komisches Vieh.“, rief er. Durch die Aktion allerdings hatte er die Aufmerksamkeit des vogelartigen und sogar der ballförmigen Wesen, welche bis dato langsam auf Mirâ zu gekrochen kamen, auf sich gezogen und diese machten sich sogleich zu einem Angriff auf ihn bereit. „Oh verdammt.“, schrie er und lief davon, als die Monster auf ihn kamen. Etwas weiter entfernt an einer Wand erkannte sie nun auch Akane, welche auf dem Boden hockte und sich nicht rühren konnte. Erschrocken musste Mirâ feststellen, dass diese Monster nun auch genau auf sie zukamen und somit beide ihrer Freunde in Gefahr schwebten. Aus Reflex griff sie in ihre Tasche, doch dabei griff sie ins Leere. „Meine Pfeile sind alle verbraucht.“, musste sie geschockt feststellen und schaute wieder besorgt zu ihren Freunden. Sie versuchte sich aufzurichten, doch fiel wieder zu Boden. Ihre Beine waren immer noch wie gelähmt und die Wunde an ihrem Oberschenken trug nicht gerade dazu bei, dass es besser wurde. Was sollte sie tun? Sie musste ihren Freunden helfen. Doch wie? Sie fühlte sich so machtlos. Es musste ein Wunder geschehen, sonst war es mit ihnen allen aus. „Bitte ich brauche Kraft. Ich muss ihnen helfen. Bitte!“, ging ihr verzweifelt durch den Kopf. Erneut versuchte sie aufzustehen, doch es hatte denselben Effekt, wie die Versuche davor. Wieder ging sie zu Boden, dabei fiel ihr Smartphone zu Boden, welches in ihrer Jackentasche war. Anfangs interessierte sie das nicht wirklich, denn das Leben ihrer Freunde war wichtiger als ein wahrscheinlich eh kaputt gegangenes Smartphone. Doch plötzlich sah sie im Augenwinkel ein blaues Licht. Sie richtete ihren Blick darauf und stellte fest, dass dieses blaue Licht vom Display ihres Handys kam. Es war ein warmes und sehr angenehmes Licht, welches sie plötzlich umgab. „Ich bin du… und du bist ich. Akzeptiere die Kraft in dir, dann findest du die Wahrheit.“, klang in ihrem Kopf wieder, „Die Zeit ist gekommen.“ Wie von selbst hob Mirâ ihr Smartphone auf und blickte auf den Display, auf welchem sich ein blauer Hintergrund abzeichnete. In der unteren Hälfte war ein blauer Schmetterling zu sehen, welcher seine Flügel zusammengelegt hatte, so als wolle er sie im nächsten Moment ausbreiten um sich in die Lüfte zu heben. Ein Wort kam ihr in den Sinn. Sie hatte es noch nie gehört und doch schien ihr, als sei es wichtig. Langsam sprach sie es aus: „Per… so… na!“ Der Schmetterling auf dem Hintergrund breitete seine Flügel aus und darüber erschien der Schriftzug „Summoning Persona“. Das blaue warme Licht um Mirâ wurde stärker und hinter ihr erschien ein weibliches Wesen, welches in weißes Leinen gehüllt war. Ihr Gesicht war vollständig mit einem Schleier verdeckt und über ihrem Kopf schwebte ein goldenes Schild, auf welchem zwei sich überkreuzende Pfeile abgebildet waren. „Ich bin du… du bist ich. Ich komme vom inneren deines Herzens. Ich bin die Behüterin der inneren Kraft: Hemsut.“ Kapitel 3: III - Shadows und Personas ------------------------------------- „Ich bin du… du bist ich. Ich komme vom inneren deines Herzens. Ich bin die Behüterin der inneren Kraft: Hemsut.“, hörte Mirâ die Stimme des Wesens, welches hinter ihr erschienen war und sich Hemsut nannte. „Wa- was ist das denn?“, rief Hiroshi aus der Ferne, doch seine Worte klangen extrem gedämpft. Es war als wäre sie ganze weit weg. Sie hörte Geräusche und Stimmen, doch für sie waren sie in weiter Ferne. Ihr Körper reagierte mehr oder weniger alleine. Wieder sah sie auf ihr Handy und erblickte zwei Auswahlmöglichkeiten, welche ihr angezeigt wurden: Bufu und Single Shot. Wie von alleine bewegte sich ihr Daumen auf eines der Auswahlfelder zu und wählte die Option „Single Shot“. Hemsut erhob sich in die Luft und sprang auf das vogelartige Wesen zu. In ihrer Bewegung erschien ein Bogen in ihrer linken Hand, während sie mit der Rechten nach einem der Pfeile auf dem Schild griff. Sie spannte den Bogen, schoss auf den Gegner und traf. Dieser wiederum schrie kurz auf und verschwand dann in einem dunklen Nebel. Doch damit war es das noch nicht gewesen. Aus dem Schatten einiger Bäume krochen die nächsten Wesen heran, welche wieder die Form der merkwürdigen Bälle mit Zunge annahmen. Erneut bewegte sich Mirâs Körper wie von selbst und dieses Mal wählte sie die Option „Bufu“. Ihre Persona streckte den Arm aus und um einen der Gegner legte sich eine leichte Eisschicht, welche zerplatzte und das Wesen mit sich riss. Mehrfach wiederholte Mirâ diesen Vorgang, doch bemerkte nach einiger Zeit, wie sie schwächer wurde. Sie wusste nicht, ob es wirklich mit den Angriffen zu tun hatte oder einfach an ihrer Erschöpfung lag, doch sie wusste genau, dass sie den Kampf schnell beenden musste. Noch einmal wiederholte sie die Angriffe und auch der letzte Gegner verschwand. Als der Kampf beendet war blieb sie noch eine Weile kampfbereit, den Daumen in der Näher der Auswahl um schnell zu reagieren, wenn erneut Shadows angriffen. Es war kein weiteres Wesen zu sehen. Langsam löste sich ihre Anspannung und sie schaute zu Hemsut, welche immer noch vor ihr schwebte, sich allerdings langsam wieder auflöste und verschwand. Anscheinend war es vorbei. Plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen. Aus der Ferne hörte sie noch, wie ihre Freunde ihren Namen riefen. Dann war alles um sie herum dunkel. „Willkommen im Velvet Room.“, höre ich die Stimme Igors und öffne daraufhin die Augen. Er grinst mich an und nickt mir leicht zu: „So sehen wir uns wieder.“ „Diesen Raum können nur diejenigen betreten, die auf die eine oder andere Weise einen Vertrag geschlossen habe. Du hast dich dazu entschieden, der Stimme deines Herzens zu folgen und somit einen Vertrag geschlossen. Nur so konnte die in die ruhende Kraft erwachen.“, spricht nun auch Margaret zu mir. Igor hebt seine Hand und ein kleiner Schlüssel erscheint vor meinen Augen, welchen ich vorsichtig auffange. „Nimm das.“, sagt er ruhig, „Von diesem Abend an bist du unser Gast im Velvet Room. Dein Schicksal wird von dir verlangen deine Kraft zu stärken und dafür wirst du unsere Hilfe brauchen. Es gibt nur einen Preis für diese Hilfe.“ Er zeigt mit dem Finger auf mich: „Du musst dich an den Vertrag halten und die Verantwortung für all deine Entscheidungen selbst übernehmen.“ Ich bin verwirrt und mir dröhnt der Kopf: „Ich verstehe nicht ganz…“ Der kleine Mann kichert: „Das ist in Ordnung… vorerst. Die Persona, die du erworben hast: Sie ist ein Spiegel deiner Seele. Sie ist die Seite des Spiegels, welche du zeigst, wenn du dich der Welt um dich herum stellst. Man könnte sagen, sie ist eine Fassade deiner selbst, die du trägst um manche schwierige Situation im Leben zu bewältigen. Doch deine Fähigkeit Personas zu rufen ist die des Jokers. Im Vergleich zu anderen ist sie etwas ganz Besonderes. Sie ist wie die Zahl Null: Leer, doch hat unendliches Potential in sich.“ Eigentlich verstehe ich nur die Hälfte von dem, was Igor mir erzählt: „Was heißt besonders?“ „Die Fähigkeit Personas zu rufen ist die Kraft, das eigene Herz zu kontrollieren und dieses wird durch Bindungen gestärkt. Wenn du mit anderen Menschen in Kontakt trittst werden deine Social Links verstärkt. Und die Macht der Social Links hilft dir die Fähigkeiten deiner Persona zu verstärken.“ „Die Kontrolle des Herzens? Social Links?“, frage ich vorsichtig. Die beiden müssen mich wirklich für vollkommen dumm halten. Ich scheine fast nichts zu kapieren, aber mein dröhnender Kopf lässt keinen klaren Gedanken zu. Wie kann ich überhaupt Kopfschmerzen haben, wenn ich doch schlafe? Wann bin ich eigentlich eingeschlafen? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann beantwortet mir Margaret meine Frage: „Social Links sind für mehr, als nur die Stärkung der Personas erforderlich. Manchmal helfen sie auch die Wahrheit zu finden.“ „Wohin dich wohl deine erwachte Macht führen wird? Ich freue mich den Weg deines Schicksals mit dir gemeinsam gehen zu dürfen.“, sagt Igor, ohne noch einmal auf meine Frage zuvor einzugehen, „Bis wir uns wieder sehen. Lebewohl.“ Damit scheint das Gespräch beendet und das Bild vor meinen Augen verschwimmt, bis ich wieder in tiefste Finsternis tauche. Als Mirâ mit einem Schreck aus ihrer Ohnmacht erwachte, spürte sie unter sich etwas Warmes. Ihr Blick klarte auf und ihr wurde ganz langsam bewusst, dass sie von jemanden in Richtung Einkaufszentrum getragen wurde. „Makoto. Sie ist wach.“, hörte sie Akanes Stimme neben sich, woraufhin Hiroshi anhielt und über seine Schulter hinweg besorgt zu Mirâ blickte. „Ist alles klar?“, fragte er vorsichtig. „Was ist passiert?“, kam eine Frage erschöpft zurück. „Wir wurden von diesen komischen Wesen angegriffen. Weißt du noch? Plötzlich hat dein Smartphone aufgeleuchtet und dann erschien ein Wesen hinter dir. Das hat dann diese Wesen besiegt und als diese weg waren bist du zusammen gebrochen.“, erklärte Akane. „Wir haben versucht dich zu wecken, damit wir von hier verschwinden können. Da du aber nicht reagiert hast, habe ich dich Huckepack genommen.“, kam es von Hiroshi. Langsam kamen Mirâs Erinnerungen zurück und ihre Gedanken wurden klar. Nun bemerkte sie auch selber, dass sie auf Hiroshis Rücken saß und lief peinlich berührt rot an. Sie senkte leicht den Blick: „D- Danke fürs Tragen, aber ich denke ich kann jetzt wieder alleine laufen.“ „Sicher?“, fragte ihr Kumpel vorsichtig. „J-Ja. Außerdem sind wir gleich am Einkaufszentrum.“, nickte Mirâ ab und wurde dann vorsichtig von Hiroshi runter gelassen. Als ihre Füße den Boden berührten hätte sie beinahe wieder den Halt verloren, doch ihre Freundin stützte sie vorsichtig ab. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach dem anderen und langsam gewöhnten sie sich wieder daran selbst zu laufen, wenn auch nur schwer. Zwar bot ihr Hiroshi wieder an sie zu tragen, doch Mirâ lehnte dankend ab. Es war ihr einfach viel zu peinlich von einem Jungen getragen werden zu müssen, obwohl es sicher viele Mädchen gab, die sich so etwas wünschten. Außerdem musste sie so oder so selber laufen. Irgendwie musste sie ja auch nach Hause kommen. Es würde schwer werden ihrer Mutter zu erklären, wer Hiroshi war und weshalb er sie nach Hause brachte, wenn sie doch bei einer Freundin gewesen war. Apropos nach Hause kommen. Wie sollten sie eigentlich wieder aus dieser Welt heraus kommen? Hinein waren sie ja gezogen wurden. Doch würden sie auf demselben Weg wieder zurück kommen? Mirâ hoffte es. Den ganzen Weg über bis zur Gasse schwieg die Gruppe vor sich hin. Jeder schien seinen eignen Gedanken nach zu hängen. Unterwegs sammelte Akane immer mal wieder hier und da einen von Mirâs Pfeilen auf, sodass diese wieder fast alle zusammen hatte. Es dauerte eine Weile bis sie ihr Ziel erreicht hatte, was auch Mirâs Erschöpfung zu verschulden war. „Wie kommen wir jetzt wieder zurück?“, fragte Akane verunsichert. „Ich weiß es nicht, aber vielleicht klappt es ja auf demselben Weg wie hier her.“, meinte Mirâ und berührte vorsichtig die Glaswand. Plötzlich verschwand ihre Hand darin. Es war, als sei dieser Spiegel nur eine Illusion und vorsichtig tauchte Mirâ weiter hinein. Sie merkte noch wie die anderen Beiden ihr an die Schulter fassten und kurz darauf waren sie wieder in der dunklen Gasse des echten Kagaminomachi. Erleichtert sank Akane auf die Knie: „Wir sind wieder zurück. Ein Glück.“ „Wir sollten nach Hause gehen.“, meinte Hiroshi, während er besorgt zu Mirâ schaute, „Du siehst fertig aus. Das vorhin war wohl zu viel…“ Mirâ schüttelte den Kopf und lächelte: „Es geht schon wieder. Keine Sorge.“ Eigentlich ging es ihr wirklich nicht gut. Sie war müde und wollte nur noch schlafen. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, als würde sie einen Sack voll Ziegelsteine tragen müssen. Aber sie wollte ihren Freunden nicht noch mehr Sorgen bereiten als sie es eh schon getan hatte. Doch Hiroshi schien zu merkten, dass sie log: „Von wegen „keine Sorge“. Du siehst aus, als würdest du gleich wieder zusammen brechen. Ich bring dich nach Hause.“ Erneut lief Mirâ leicht rot an und protestierte sofort: „Nein! Das brauchst du nicht. Es geht wirklich wieder. Bis nach Hause schaffe ich es noch. Wirklich.“ Wieder wollte ihr Kumpel etwas sagen, doch Akane ging dazwischen: „Ich bring sie nach Hause. Es sieht sicher merkwürdig aus, wenn sie plötzlich von einem Jungen heim gebracht wird. Ich glaube, das würde Mirâ in Schwierigkeiten bringen.“ Mit diesen Worten führte ihre Freundin sie aus der Gasse. Wiederwillig stimmte Hiroshi zu und somit trennte sich die Gruppe vorerst voneinander. Wie versprochen begleitete Akane ihre Freundin. Allerdings nur bis zur U-Bahn-Station, bei welcher Mirâ aussteigen musste. Zwar protestierte Akane ihre Freundin alleine nach Hause gehen zu lassen, doch diese versicherte ihr, dass sie es nicht mehr weit nach Hause hatte. „Außerdem musst du dann alleine auf die nächste U-Bahn warten. Fahr ruhig nach Hause.“, meinte Mirâ leicht lächelnd bevor sie ausstieg, „Danke, dass du mich begleitet hast. Bis morgen.“ Damit war sie ausgestiegen und ließ eine leicht verwirrte Akane in der U-Bahn sitzen. Zwar war der Weg nach Hause alleine etwas anstrengend, doch irgendwie schaffte Mirâ es doch ihr Haus zu erreichen. Ihr einziger Gedanke war zu schlafen. Vorsichtig öffnete sie die Haustür, weil sie dachte, dass eh niemand mehr wach war. Umso überraschter war sie, als sie plötzlich die Stimme ihrer Mutter vernahm: „Du bist ja schon wieder zurück. Das ging ja schnell.“ Erstaunt blickte Mirâ auf die Uhr, welche im Flur neben der Treppe hing, und musste leicht geschockt feststellen, dass gerade einmal eineinhalb Stunden vergangen waren, seit sie das Haus verlassen hatte. Sie konnte aber schwören, dass sie bestimmt mehrere Stunden in der Spiegelwelt waren. Oder kam ihr das einfach nur so vor? Wieder fing ihr Kopf an zu schmerzen, doch sie rang sich ein kurzes Lächeln ab: „J- ja. Meine Freundin wohnt nicht so weit weg. Es ging doch ziemlich schnell, die Unterlagen zu kopieren.“ „Ich war nur verwirrt, weil du meintest es würde etwas später werden.“, sagte ihre Mutter, doch schien froh zu sein, dass es schneller ging, „Aber so ist es auch in Ordnung. Ich finde es nicht gut, wenn du so spät noch draußen rumläufst, wo wir doch gerade erst hier her gezogen sind.“ „Da hast du recht Mama.“, stimmte ihr Mirâ zu und sah sich um, „Wo ist Junko?“ „Junko ist schon im Bett. Sie wollte eigentlich auf dich warten, aber sie war vorhin schon vor dem Fernseher eingeschlafen.“, lachte ihre Mutter. Auch Mirâ zwang sich ein leichtes Lachen ab und wand sich dann der Treppe zu: „Ich werde dann auch ins Bett gehen. Der Tag war anstrengend. Ich wünsche dir schon mal eine gute Nacht.“ „Dir auch. Schlaf gut.“, hörte sie noch, bevor sie im oberen Stockwerk verschwand und ihr Zimmer betrat. Nachdem sie sich mit Mühe und Not umgezogen und so gut es ging die Wunde an ihrem Bein versorgt hatte, ließ sie sich erschöpft auf ihren Futon fallen und blieb eine ganze Weile so liegen. Jetzt wo sie lag war sie so aufgewühlt, dass sie nicht einschlafen konnte obwohl sie extrem müde war. Die vergangenen Geschehnisse schwirrten in ihrem Kopf umher, sodass sie keinen wirklich klaren Gedanken fassen konnte. Was war da nur passiert? Immer wieder versuchte sie ihre Gedanken zusammen zu fassen und zu sortieren, doch es fiel ihr sichtlich schwer. Murrend griff Mirâ nach ihrem Smartphone und endsperrte ihre Tastatur. „Was ist das denn?“, auf ihrem Startbildschirm fand sie eine App, welche sie garantiert nicht selber installiert hatte. Es war ein kleines viereckiges Kästchen mit einem blauen Schmetterling darauf. Darunter stand das Wort „Persona“. Sie erinnerte sich daran, wie sie mithilfe ihres Smartphones dieses Wesen namens Hemsut gerufen hatte und öffnete die App. Der Bildschirm leuchtete blau auf und es bauten sich mehrere Schaltflächen auf, doch sonst passierte nichts weiter. Sie las sich die Optionen durch: Status, Social Link, Personas und Summoning Persona. Letzteres war grau Unterlegt und konnte somit nicht ausgewählt werden, also wählte sie zuerst die Option „Status“ aus. Es öffnete sich eine Seite auf welcher sie ein Bild dieses Wesens, der Persona Hemsut, erblickte. Darunter standen mehrere Felder, welche Level, Stärken, Schwächen und Fähigkeiten anzeigten. Wie es schien war ihre Persona stark gegen Eis, doch schwach gegen Feuer. In der Liste mit den Fähigkeiten standen die zwei Angriffe, welche sie in der Spiegelwelt eingesetzt hatte, wenn sie sich recht erinnerte: Bufu und Single Shot. Darunter stand ein Feld, auf welchem „Dia“ stand und gleich darunter ein Feld mit der Aufschrift: „Level 6“. Mirâ scrollte wieder nach oben und schaute auf den Level ihrer Persona: Level 5. Sie brauchte also noch ein Level und ihre Persona würde eine neue Fähigkeit erlangen. Zwar wusste sie nicht, wie das gehen sollte, aber wenn es so weit war würde sie es sicher merken. Mirâ drückte die Taste um wieder zurück zum Auswahlfeld zu kommen und wählte nun die Option „Social Link“. Doch das einzige was auf der ausgewählten Seite stand war „Keine Social Links vorhanden“, was sie veranlasste wieder zurück zu gehen und die nächste Option zu wählen: „Personas“. Es erschien eine Felderliste, von denen aber nur das erste Feld ausgefüllt war, in welchem „Hemsut“ stand. Die anderen fünf Felder waren noch leer. Was hatte das zu bedeuten? Mirâ seufzte und entschied, sich darüber erst mal keine weiteren Gedanken zu machen. Mit einem Tastendruck auf die „Home“-Taste war die App geschlossen. Sie drehte sich auf den Rücken und betrachtete kurz ihr Smartphone in der Hand, als ihr auffiel das etwas fehlte. Sie sprang auf und zuckte leicht zusammen, als ihr Bein schmerzte: „Wo ist mein Jack Frost?“ Rund um sich herum suchte sie das Zimmer ab, sah sogar in ihrer Jackentasche nach, doch fand den kleinen Anhänger nicht wieder. Als sie auch bei erneutem Suchen nichts finden konnte, ließ sie sich verzweifelt wieder auf ihren Futon fallen. Auch das noch. Schlimmer konnte der Tag nicht enden. Erst diese merkwürdigen Träume, diese komischen Wesen, diese Welt im Spiegel und ihre Persona. Dann wurde sie auch noch verletzt, wobei sie noch froh war, dass ihre Mutter die Verletzung nicht mitbekommen hatte. Und nun war ihr geliebter Anhänger von Jack Frost weg. Es war nicht so, dass sie sich nicht einfach einen neuen kaufen könnte. Immerhin gab es diese Anhänger in fast jeder Spielhalle, aber dieser war etwas Besonderes. Sie hatte diesen Anhänger von ihrem Vater geschenkt bekommen, kurz bevor sich ihre Eltern haben scheiden lassen. Mirâ wurde immer leicht wehmütig, wenn sie an ihn dachte. Sie hatte ihn immer als netten und zuvorkommenden Mann in Erinnerung. Er war immer für seine Töchter da gewesen, wenn sie ihn brauchten und vor allem für Mirâ. Doch er hatte ein Problem: Er war süchtig nach Spielhallen. So viel Mirâ wusste, hatte es angefangen als ihr Vater sehr viel Stress auf seiner Arbeit als Beamter hatte und er sich von diesem etwas ablenken wollte. Daraus wurde erst eine Leidenschaft und dann eine Sucht, welche ihn fast in den Ruin getrieben hätte. Als das zu Hause herauskam gab es fast nur noch Stress zwischen ihren Eltern, was etwas später zur Scheidung führte. Da ihre kleine Schwester noch sehr klein war, als sich ihre Eltern scheiden ließen konnte sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr richtig an ihren Vater erinnern. Mirâ aber schon und sie hatte immer noch Kontakt zu ihm. Sie wollte ihn auch nicht abbrechen, egal was ihre Mutter sagte. Denn egal wie sehr sich ihre Eltern zerstritten haben mochten, sie verstand sich sehr gut mit ihrem Vater. Und nun war sein Geschenk weg. Ob sie den Anhänger in der Spiegelwelt verloren hatte? Mirâ drehte sich um, legte ihr Handy neben sich auf den Futon. Sie starrte noch eine Weile auf das Gerät neben sich, an welchem nur noch das Bändchen des Anhängers hing. Langsam überkam sie nun doch die Müdigkeit und kurz darauf war sie auch schon eingeschlafen. Freitag, 17.April 2015 Dank des Schlafes ging es Mirâ am nächsten Tag wieder besser. Sie war so erschöpft gewesen und hatte so tief geschlafen, dass sie nicht eine Sekunde an das Wesen im Spiegel denken musste. Vielleicht lag es auch daran, dass sie sich dem Wesen gegenüber sicherer fühlte wo sie nun eine Persona hatte. Wenn sie so darüber nachdachte konnte sie es immer noch nicht wirklich glauben. Doch sowohl die Kratzer an ihrem Bein, als auch die App auf ihrem Handy verrieten ihr, dass sie sich die Ereignisse nicht nur eingebildet hatte. Sie seufzte und zog vorsichtig ihre Overknees über den Verband, welcher die Kratzer verbarg in der Hoffnung niemandem würde auffallen, dass sie verletzt war. Sie zuckte kurz zusammen, als sich der Stoff an ihre Beine schmiegte und damit die Wunde leicht drückte. Vorsichtig richtete sie sich auf und begab sich in das untere Stockwerk, fand aber dort niemanden vor. Auf dem Tisch stand ein Körbchen mit belegten Broten und daneben eine gepackte Lunchbox, auf welcher ein Zettel lag. „Lass es dir schmecken und pass auf, dass du nicht zu spät kommst.“, stand in Schönschrift darauf. Wie es schien waren ihre Mutter und Junko bereits weg. Wenn es klappte, dann wurde ihre kleine Schwester von ihrer Mutter in die Schule gefahren, sodass sie nicht mit der U-Bahn fahren musste. Mirâ war das egal, die fuhr gerne mit der U-Bahn oder allgemein mit Zügen. Es machte ihr irgendwie Spaß. Nachdem sie ihr Frühstück zu sich genommen hatte machte sie sich auf den Weg. Das Laufen fiel ihr noch etwas schwer, da die Wunde an ihrem Bein doch ziemlich schmerzte. Als sie die U-Bahn erreichte hörte sie hinter sich eine ihr bekannte Stimme, welche ziemlich wütend klang: „Mirâ~!“ Leicht erschrocken drehte sich Mirâ um und erblickte ihre Freundin. Diese sah sie mit einem finsteren Blick an, doch Mirâ lächelte nur leicht darauf: „Guten Morgen Akane.“ „Von wegen Guten Morgen.“, schnaubte die Angesprochene, „Was sollte das gestern? Ich hab mir tierische Sorgen um dich gemacht. Ich hatte echt Angst, dass du nicht sicher zu Hause ankommst.“ „Oh...“ ,nun tat es ihr doch leid, dass sie am Vorabend so reagiert hatte, „Verzeih. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte wirklich nicht, dass du alleine auf die U-Bahn warten musst.“ „Ja schon klar. Aber du warst verletzt und total erschöpft.“, meinte Akane besorgt und drehte sich um, als sie die herannahenden U-Bahn hörte. Kurz darauf fuhr der Zug neben ihnen ein. Die Glastüren, welche den Bahnsteig von den Gleisen trennten öffneten sich, nachdem der Zug zum Stehen kam und einige Menschen drängten sich hinaus. Die beiden Mädchen warteten bis alle ausgestiegen waren und stiegen dann ein. Einen Augenblick später fuhr die Bahn auch schon weiter. „Apropos. Wie geht es deinem Bein? Tut es sehr weh?“, fragte Akane vorsichtig. Mirâ schaute kurz auf ihr Bein und lächelte dann leicht: „Es brennt etwas. Aber es geht schon. Ich hab es gestern so gut es ging behandelt. Zum Glück haben wir immer genug erste Hilfe Zeug da, weil meine Schwester sich oft verletzt. Ich bin nur froh, dass meine Mutter es nicht mitbekommen hat.“ „Es wäre sicher schwer gewesen ihr das zu erklären. Was?“, ihre Freundin blickte durchs Fenster auf die grauen Wände welche an ihnen vorbei sausten, „ich war total erstaunt, als ich nach Hause kam und es erst kurz nach 10 Uhr war.“ Nun erinnerte sich auch Mirâ wieder daran, dass sie gar nicht so lange weg waren: „Ich auch. Meine Mutter war auch überrascht, weil ich meinte es würde später werden. Da fällt mir ein...“ Sie holte ihr Handy heraus und zeigte Akane die App, welche seit dem vergangenen Abend installiert war: „Sieh mal. Das hat sich gestern installiert. Ich glaube damit habe ich dieses Wesen gerufen.“ Ihre Stimme wurde immer leiser. Niemand musste mitbekommen worüber sich die Beiden unterhielten. Akane nahm ihr kurz das Smartphone aus der Hand und schaute auf das Display: „Persona...“ „Ja. Das Wesen war wohl eine Persona. Zu mindestens kam mir dieses Wort in den Kopf als ich es rief.“, erklärte Mirâ, „Aber ich kann die Option „Summoning Persona“ nicht nutzen. Sie ist grau unterlegt, siehst du? Die anderen Optionen sind nur informativ und bei Social Links steht noch gar nichts.“ Ihre Freundin reichte ihr das Smartphone wieder zurück und fasste sich an den Kopf: „Zu viele Informationen. Ich bekomme Kopfschmerzen.“ „Tut mir leid.“, Mirâ packte ihr Handy wieder in ihre Tasche, „Ich weiß wie du dich fühlst. Mir geht es schon seit einigen Tagen so.“ Gedanken verloren sah nun auch Mirâ aus dem Fenster. Dabei streifte ihr Blick die Anzeigetafel, auf welcher bereits ihre Station angezeigt wurde. Akane schien ihren Blick zu bemerken und seufzte: „Hör mal. Lass uns über was anderes reden. Wie wäre es, wenn wir heute Nachmittag mal in das Einkaufszentrum gehen? Wir könnten in dem Eiscafé ein Eis essen und uns ein wenig umschauen. Einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen.“ Der Zug fuhr in ihre Station ein und hielt. „Die Idee finde ich gut. Wir sollten Makoto-Kun fragen ob er mitkommt.“, schlug Mirâ vor, als beide die Bahn verließen. „Eh? Warum ihn?“, kam es leicht schockiert von ihrer Freundin. Mirâ lachte, weil sie genau wusste das Akane es nicht so meinte: „Er hat uns gestern immerhin geholfen und mich getragen, als ich ohnmächtig war. Ich finde als Dank sollten wir ihn einladen.“ Ihr war die Aktion immer noch peinlich, sodass sie leicht den Blick abwand damit Akane nicht merkte wie rot sie anlief. Zwar protestierte die braunhaarige junge Frau noch etwas, doch stimmte dann dem Vorhaben zu. Auf dem restlichen Stück, welches die beiden zu Fuß gehen mussten, trafen sie auf Hiroshi und wie besprochen lud Mirâ ihn zu ihrem Ausflug am Nachmittag ein. Als der Unterricht vorbei war machte sich die kleine Gruppe wie besprochen auf den Weg ins Einkaufszentrum. Mirâ gefiel es hier. Es war zwar kein extrem großes Einkaufszentrum, jedoch gab es genügend Geschäfte, welche sich die Drei in aller Ruhe ansahen. Sie gingen in kleine Geschenkeshops, sahen sich einige Klamottenläden an und machten in einigen sogar eine kleine Modeschauen, sodass die Ereignisse der letzten Tage zu mindestens für kurze Zeit in Vergessenheit gerieten. Zum Abschluss ihrer kleinen Tour setzten sie sich in das Eiscafé, von dem Akane so geschwärmt hatte. „Das war wirklich ein schöner Tag heute.“, lachte Mirâ, „Das war wirklich eine gute Idee von dir Akane.“ „Ich weiß.“, grinste ihre Freundin sie an, „Das können wir ruhig öfters machen.“ Zustimmend nickte Mirâ. Sie war glücklich. Als sie in die Stadt gezogen war, hatte sie sich eigentlich vorgenommen, sich nicht so schnell mit jemand anzufreunden. Es war nie klar, wann sie wieder weg musste. Die Arbeit ihrer Mutter verlangte oft von ihr und ihrer Familie umzuziehen. Das war nicht immer leicht, aber sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Doch es war immer noch schmerzhaft sich von den eben gefundenen Freunden zu trennen. Sie alle hatten bisher versprochen, dass sie in Kontakt blieben, aber die wenigsten hielten sich daran. In der letzten Stadt, wo sie wohnten, hatte Mirâ Abstand zu ihren Klassenkameraden gehalten und versucht mit niemandem enger anzubandeln. Zwar wurde sie deshalb als Eigenbrötler und arrogant beschimpft, aber sie musste sich zu mindestens von niemandem verabschieden. Warum also hatte sie es hier nicht geschafft sich von ihren Klassenkameraden fern zu halten? Doch im Grunde war sie froh, dass es so gekommen war. Die beiden waren wirklich nett und auch wenn ihre Streitereien manchmal nervig wurden, so verbrachte sie gerne Zeit mit ihnen. Als es langsam dunkel wurde verabschiedeten sich die drei voneinander und wollten das Einkaufszentrum verlassen, als Mirâ beim Vorbeigehen ein Laden auffiel. Er war nicht sehr groß und war in einer Ecke recht versteckt, doch als Mirâ das Wort „Buchladen“ las, war ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Sie liebte Bücher, deshalb ließ sie es sich nicht nehmen diesen Laden noch vor Ladenschluss zu besuchen. „Willkommen.“ ,wurde sie von einer freundlichen Stimme begrüßt. Mirâ blickte sich um und sah eine junge Frau mit braunem rückenlangem Haar. Ihre Frisur erinnere sie sehr an die von Akane, nur länger. Hinter einer Brille strahlten sie zwei freundliche braune Augen an. „Guten Tag.“, grüßte auch Mirâ freundlich. „Sieh dich ruhig um. Oder suchst du etwas bestimmtes?“, fragte die junge Frau. „Eigentlich nicht. Ich hab diesen Laden nur zufällig gesehen und dachte ich schau mal rein.“, erklärte die Angebrochene freundlich und sah sich die ganzen Bücher an. Obwohl der Laden recht klein war, gab es viele Bücher. Von Romanen, über Sachliteratur, Mangas und Schulbüchern war eigentlich alles vertreten, wie eben auch in einem der großen Buchladenketten, nur wirkte es hier viel familiärer. Während sie so durch die Regale stöberte fiel ihr plötzlich ein blau-weißes Cover in den Blick. Darauf abgebildet war ein wunderschöner blauer Schmetterling. Mirâ nahm das Buch in die Hand und las den Buchtitel „Das andere Ich“. Irgendwie wurde ihr mulmig im Bauch, als sie den Titel sah. Es klang so, als würde es um eine Persona gehen. Aber das konnte doch nicht sein. Oder? Sie drehte das Buch um und las sich kurz den Text auf dem Buchrücken durch. Scharf zog sie die Luft ein und biss sich leicht auf die Lippe. Das konnte doch nicht wahr sein. Das Buch behandelte wirklich die Thematik „Persona“. Konnte das ein Zufall sein? Oder gab es wirklich noch mehr solcher Leute wie sie, die die Macht hatten eine Persona zu rufen? Wo sie nun darüber nachdachte, erinnerte sie sich daran, dass Igor meinte, sie hätten lange keinen Gast mehr gehabt. Also gab es noch andere, die den Velvet Room betreten konnten. Mirâ schüttelte leicht den Kopf um wieder in die Realität zurück zu kehren. Zwar wusste sie nicht, ob ihr dieses Buch helfen würde alles besser zu verstehen, doch auf einen Versuch kam es an. Also entschied sie sich dafür das Buch zu kaufen. Während sie der Verkäuferin das Geld reichte, fiel ihr Blick auf deren Namensschild. Der Name der jungen Frau war also Chihiro Fushimi. Diese reichte ihr nun das eingepackte Buch und lächelte Freundlich: „Danke für den Einkauf.“ „Vielen Dank. Auf Wiedersehen.“, Mirâ nahm das Buch entgegen und verbeugte sich leicht, ehe sie sich auf den Weg nach Hause machte. Gleich als sie zu Hause war, etwas gegessen hatte und baden war, setzte sie sich daran das Buch zu lesen: „Vorwort Dieses Buch behandelt ein Thema, welches uns alle betrifft. Einige werden glauben, dass es nur ein Hirngespinst ist, doch sie existieren wirklich: Personas und Shadows und sie sind ein Teil unserer selbst. Eigentlich agieren diese Seiten der Persönlichkeit nur im Hintergrund, ohne dass wir selber es wirklich mitbekommen. Doch manchmal passieren Dinge, die es erforderlich machen, dass manche Menschen es schaffen ihr „anderes Ich“, die sogenannte Persona, zu kontrollieren. In diesem Buch möchte ich davon berichten, was diese Formen der Persönlichkeit sind und zu was sie fähig sind.“ Erstaunt blickte Mira auf die erste Seite. Shadows… ob das diese schwarzen Wesen waren, welche sie angegriffen hatten? Sie krochen jedenfalls aus dem Schatten hervor. Sie atmete noch einmal tief durch und schlug die nächste Seite auf. „Kapitel 1 – Personas und Shadows Die „Persona“ ist die Manifestation eines Menschen, die als „Maske“ eines jeden einzelnen dient, um bestimmte Situationen im Leben zu schaffen. Wenn ein Individuum in seinem Herzen einen starken Entschluss fasst, so durchläuft die Persona eine Verwandlung und wird stärker. Unter normalen Umständen kann diese Persona nicht gesehen oder hervorgebracht werden. Sie agiert normaler Weise unbewusst im Inneren. Doch es gibt Menschen, deren Willensstärke so groß ist, dass sie es schaffen ihre Persona hervor zu bringen und mit ihr gegen Shadows zu kämpfen. Der Kampf mit einer Persona erfordert allerdings einen starken Geist und eine starke Seele, denn die Verwendung einer gerufenen Persona verbraucht Kraft und Ausdauer. Ein „Shadow“ ist im Grunde genommen das Selbe wie eine Persona. Beides sind Formen der eigenen Gedanken und Gefühle. Doch anders als eine Persona, deren Gefühle antrainiert zurück gehalten werden, sind Shadows die bösartigen Erscheinungsformen der eigenen Gedanken. Demnach werden Shadows aus den dunklen Gedanken der Menschen geboren und geben deren Gefühle preis. Um einen Shadow zu besiegen, bedarf es einer großen Willensstärke und manchmal auch das Eingeständnis, dass dunkle Gedanken in jedem von uns existieren.“ Mirâ musste schwer schlucken und packte erst einmal ein Lesezeichen zwischen die Seiten, welche sie gelesen hatte. Langsam ließ sie auf sich wirken, was sie eben gelesen hatte. Also war es doch keine Einbildung gewesen, dass sie schwächer wurde, nachdem sie ihre Persona eingesetzt hatte. Noch einmal schlug sie das Buch auf, dieses Mal aber die letzten Seiten wo meistens die Kommentare der Autoren standen. Sie las den Kommentar und erfuhr, dass die Autorin durch Vorfälle in ihrer eigenen Stadt auf dieses Thema aufmerksam wurde und weiter geforscht hatte. Dabei hatte sie herausgefunden, dass es in einigen Abständen von ein bis zwei Jahren auch in anderen Städten ähnliche Vorfälle gab. „Zwar sind die Ereignisse immer anders bzw haben einen anderen Verlauf, aber im Grunde laufen sie auf das gleiche hinaus. Und sie alle haben einen Anfang: Jemand oder etwas hat die Ereignisse ausgelöst.“, endete der Kommentar. Darunter stand in Kursivschrift „Ein Kommentar der Autorin Maya Amano“. Der Name kam Mirâ bekannt vor. Sie war sich sicher den Namen schon einmal irgendwo gehört zu haben, wusste aber nicht mehr wo und wann. Viel mehr interessierte sie aber der Kommentar. Die Ursache der Ereignisse wurde immer von jemandem oder etwas ausgelöst. Das musste also heißen, dass es auch für die Welt im Spiegel einen Grund gab. Nun wusste sie auch, wie diese merkwürdigen Wesen hießen. Es war schon mal gut zu wissen, dass etwas, was man sich entgegen stellte einen Namen hatte. Sie nahm sich vor das Buch zu einem späteren Zeitpunkt weiter zu lesen. Vielleicht fand sie da auch einige Tipps, die ihr halfen. Aber eins stand fest, sie musste herausfinden, wer oder was hinter diesen Vorkommnissen steckte. Kapitel 4: IV - Neumond ----------------------- Samstag, 18.April 2015 In der Pause saßen Mirâ, Akane und Hiroshi zusammen auf dem Dach des Schulgebäudes und genossen ihre Lunchpakete. Während Akane und Hiroshi wieder einmal in eine ihrer endlosen Diskussionen vertieft waren, hing Mirâ ihren Gedanken nach. Sie musste an das Buch denken, welches sie am Abend gelesen hatte und überlegte, ob sie ihren Freunden davon berichten sollte. Eigentlich wollte sie die beiden da nicht noch weiter mit hinein ziehen. Andererseits steckten sie auch zum Teil mit drin. Zu mindestens kannten sie ihr Geheimnis mit der Persona. Seit jenem Abend war sie jedoch nicht noch mal in der Spiegelwelt gewesen. Zum einen, weil sie gar nicht daran gedacht hatte, zum Anderen aber auch, weil ihr diese Welt doch ziemlich Angst machte. Ob sie nun wollte oder nicht, wenn sie die Ursache dieses Phänomens herausfinden wollte, musste sie wohl oder übel wieder in diese Welt. Sie fragte sich, ob es denn nicht möglich wäre mit anderen Personen reden zu können, die eine Persona rufen konnte. Es wäre ihr jedenfalls eine kleine Hilfe mit ihrer Aufgabe fertig zu werden. Ein Seufzen entglitt ihren Lippen. Leider etwas zu laut, denn Akane und Hiroshi unterbrachen ihre Diskussion und sahen sie fragend an. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Hiroshi besorgt. „Stimmt. Du bist heute schon den ganzen Tag so komisch.“, stellte Akane fest und schrak auf, „Du warst doch gestern Abend nicht noch mal in dieser schrägen Welt, nachdem wir uns getrennt hatten. Oder?“ Mirâ schrak auf: „Nein!“ Als sie merkte, dass sie schon fast geschrien hatte senkte sie den Kopf und auch ihre Stimme: „Sorry. Nein, ich war gestern nicht in dieser Welt.“ „Was ist es dann?“, Akane setzte sich neben ihre Freundin und blickte sie besorgt an. „Ich möchte euch da wirklich nicht mit hinein ziehen.“, meinte Mirâ ruhig, „Ihr steckt eh schon viel zu tief mit drin. Und das wird sicher gefährlich.“ „Heißt das, du hast etwas herausgefunden?“, kam es von Hiroshi. Mirâs Blick schnellte zu ihm. Es war merkwürdig. Irgendwie merkte er immer sofort, wenn Mirâ etwas verheimlichte oder es ihr nicht gut ging. Und das, obwohl sich die beiden erst ein paar Tage kannten. Sie hatte noch nie so einen Menschen kennen gelernt, deshalb wusste sie nicht so recht damit umzugehen. Er würde sofort merken, wenn sie log oder etwas verheimlichte, was es ihr schwer machte überhaupt zu Lügen, selbst wenn es eine Notlüge war. Hiroshi seufzte und kratzte sich leicht am Hinterkopf: „Deinem Blick nach hast du wirklich etwas herausgefunden. Na los, erzähl schon.“ „Aber…“, Mirâ wollte protestieren, doch stoppte als sie in die lächelnden Gesichter ihrer Freunde sah. Diese Blicke sagten ihr, dass, egal wie sehr sie sich dagegen sträuben würde, die Beiden ihr auf jeden Fall helfen wollten. So konnte sie nicht anders und berichtete ihren Freunden, was sie am Abend zuvor in dem Buch gelesen hatte. „Diese komischen Wesen heißen also Shadows. Ja? Und es gibt noch mehr Persona User?“, fragte Akane. „So wie ich das in dem Buch gelesen habe: Ja.“, nickte Mirâ. „Das heißt jeder könnte ein Persona User sein.“, kam Hiroshi zu dem Schluss. „Im Grunde ja. Aber wie sich das auszeichnet, weiß ich nicht. Außerdem meinte die Autorin, dass sie nach gründlicher Recherche herausgefunden hat, dass für die Ursache der merkwürdigen Ereignisse jemand oder etwas verantwortlich ist. Also das dahinter jemand die Fäden zieht.“, erklärte Mirâ. „Das bedeutet, dass auch hier noch etwas Schreckliches passieren wird?“, fragte Akane. Mirâ nickte: „Das kann schon möglich sein.“ Ihre Freundin sprang auf: „Das dürfen wir nicht zulassen.“ „Wir?“, kam es erschrocken zurück. Akane nickte: „Natürlich. Denkst du wir lassen dich da alleine rein gehen?“ „Chiyo hat recht. Wir helfen dir. Ist doch klar.“, stimmte Hiroshi mit ein. Mirâ sprang auf: „Nein. Das ist zu gefährlich. Was wenn euch etwas passiert?“ „Das lass mal unsere Sorge sein.“, grinste ihr Kumpel nur, „Das nehmen wir auf unsere eigene Kappe.“ „Dann lasst uns heute Abend noch mal in diese komische Welt gehen und diesen Shadows mächtig in den Hintern treten.“, sagte Akane siegessicher. Besorgt schaute sie ihre beiden Freunde an und bereute es ein wenig, ihnen von alledem erzählt zu haben. Andererseits war sie aber auch erleichtert nicht alleine in diese Welt gehen zu müssen. Aber geschah das nicht auf Kosten der Sicherheit ihrer Freunde? Doch nun war es zu spät. Sie hatte ihnen alles erzählt und die beiden hatten beschlossen ihr zu helfen. Dabei ließen sie sich auch nicht umstimmen. Plötzlich erinnerte sie sich daran, was Igor zu ihr gesagt hat: „Du musst dich an den Vertrag halten und die Verantwortung für all deine Entscheidungen selbst übernehmen.“ Das hieß, sie musste nun die Verantwortung dafür übernehmen, dass ihre Freunde mit hinein gezogen wurden. Es war ihre Entscheidung gewesen ihnen alles zu erzählen. Nun blieb ihr also nur eine Möglichkeit: Darauf zu achten, dass den beiden nichts passierte. Wiederwillig nickte sie und stimmte so den beiden zu. Doch sie hatte ein ungutes Gefühl dabei, gerade an diesem Tag in die Spiegelwelt zu gehen. Deses mal hatte Mirâ weniger Probleme ihrer Mutter einen Grund zu nennen, warum sie so spät noch das Haus verließ. Sie sagte einfach, sie wolle mit Freunden ins Kino gehen. Immerhin war am nächsten Tag Sonntag und somit keine Schule. Ihre Mutter gab sich mit dieser Ausrede vorerst zufrieden und fragte nicht weiter nach. Schwieriger war es für Mirâ ihre Ausrüstung mit zu nehmen, ohne dass ihre Mutter es merkte. Immerhin sah es komisch aus, wenn sie ins Kino wollte und dabei ihren Bogen und ihre Pfeile mitnahm. Am Abend traf sich die Gruppe wie besprochen am Einkaufszentrum. Um ganz sicher zu gehen, dass niemand ihnen folgte oder etwas Verdächtiges vermutete, hatten sich die Drei dieses Mal direkt in der Gasse verabredet. Als Mirâ so alleine in der Gasse wartete, war ihr doch etwas anders. Dazu war die Gasse stockduster, da in dieser Nacht Neumond war und es somit keine weitere Lichtquelle gab. Wo blieben die beiden denn? Nervös blickte sie auf ihr Handy. Die Uhr zeigte bereits 21:10 Uhr an und genau vor zehn Minuten waren sie verabredet gewesen. Am liebsten hätte sie die beide angerufen, als ihr bewusst wurde, dass sie vergessen hatten Nummern auszutauschen. „Daran hätte ich auch eher denken können.“, ärgerte sie sich über ihre eigene Dummheit. Ein Geräusch ließ sie aufschrecken, doch als sie aufblickte um zu schauen woher das Geräusch kam erkannte sie bereits Hiroshi und Akane, welche auf sie zu kamen. „Entschuldige die Verspätung, Mirâ. Die U-Bahn ist stehen geblieben. Es gab wohl einen kleinen technischen Defekt.“, entschuldigte sich Akane, „Allerdings verstehe ich nicht, warum Makoto zu spät kommt.“ „Ich musste noch etwas suchen.“, verteidigte sich Hiroshi. „Was denn?“, kam nur eine genervte Frage. Daraufhin ließ Hiroshi einen Ball auf den Boden fallen, welchen er mit dem Fuß festhielt, damit er nicht wegrollte. „Ein Ball? Was willst du mit einem Ball?“, fragte Akane leicht schockiert. „Damit halte ich uns auch ein paar Shadows vom Hals.“, erklärte der junge Mann selbstsicher, „Shingetsu hat auch nicht unendlich viele Pfeile. Ich denke zur Verteidigung reicht es. Außerdem habe ich einen ziemlich starken Schuss drauf.“ „Ja das stimmt. Du hast wirklich einen echten Schuss.“, meinte Akane nur, während sie zu Mirâ herüber ging. Es dauerte eine Weile, bis diese Information bei Hiroshi angekommen war und er verstand, was Akane eigentlich meinte: „He-Hey!“ Obwohl es die Situation eigentlich nicht zuließ musste Mirâ unwillkürlich lachen. Die beiden waren aber auch zu komisch. Zu mindestens war nun ihre Anspannung etwas weg. Leicht erstaunt schauten Akane und Hiroshi ihre lachende Freundin an, doch stimmten dann ebenfalls mit ein. „Danke, dass ihr gekommen seid.“, sagte Mirâ, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Als Antwort bekam sie nur ein Lächeln der beiden, was ihr allerdings vollkommen reichte. Sie war froh, dass die Beiden sie nicht haben sitzenlassen und sie unterstützten. Nachdem sich die Gruppe noch einmal kurz abgesprochen und sich mental darauf vorbereitet hatte, betraten sie gemeinsam durch die Glaswand die Spiegelwelt. Ein helles Licht blendete die Gruppe, als sie die merkwürdige Welt betraten. Es dauerte eine Weile bis sich Mirâs Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, doch dann sah sie sich aufmerksam um. Die Welt sah genau so aus, wie das letzte Mal, allerdings war alles in ein tiefes Rot getaucht. Ein Blick in den Himmel verriet ihr die Ursache: Ein riesiger roter Vollmond leuchtete über der Stadt. Also hatte sie recht mit ihrer Vermutung, dass der Mond hier das genaue Gegenteil zu dem in ihrer Welt darstellte. „Der Mond macht einem ja richtig Angst.“, hörte sie hinter sich von Akane. „Seid vorsichtig. Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.“, meinte Mirâ, während sie sich umschaute. „Hier stimmt doch eigentlich gar nichts.“, kam es von Hiroshi. Auch er schaute sich um, doch es war nirgends etwas zu sehen. Wie Mirâ fand, war es viel zu ruhig. Das letzte Mal wurden sie sofort von Shadows angegriffen, als sie die Spiegelwelt betraten. Doch heute war nichts und genau das beunruhigte sie. Um sicher zu gehen, dass sie sich gleich verteidigen konnte, sobald die Shadows angriffen, öffnete sie ihre Tasche und nahm sich ihren Bogen und einen Pfeil heraus. „Vielleicht haben sie sich das vom letzten Mal gemerkt und haben Angst.“, meinte Akane. An ihrer Stimme jedoch merkte man sofort, dass sie selber nicht daran glauben konnte. Ein Geräusch ließ die Gruppe aufschrecken. Sofort hielt Mirâ ihren gespannten Bogen auf die Stelle. Eine Weile geschah nichts, doch dann bewegte sich etwas im Schatten der gläsernen Bäume. Kurz darauf formte sich ein Wesen aus dem Schatten, jedoch hatte es eine andere Form, als das letzte Mal. Ein silberner Shadow erschien, dessen Arme zwei spitz zulaufende Speere waren. Zu beiden Seiten hatte er ein Rad am Körper, an welchem jeweils drei Beine befestigt waren. Als sich diese anfingen zu drehen, schnellte das Wesen auf die Gruppe zu. Mirâ ließ ihren Pfeil fliegen, doch dieser prallte an dem Monster ab und flog in eine andere Richtung. „Na warte.“, mit einem harten Tritt schoss Hiroshi seinen Ball auf das Wesen. Auch dieser prallte an dem Wesen ab, doch anders als Mirâs Pfeil kam er direkt wieder auf Hiroshi zurück. Mit einem dumpfen Knall ging der junge Mann zu Boden. „Alles in Ordnung?“, fragte Mirâ. „Ja. Geht schon.“, Hiroshi richtete sich wieder auf und rieb sich die Nase, welche getroffen wurde. „Von wegen Shadows fern halten.“, meinte Akane, doch bekam darauf nur ein leichtes Murren zu hören. Nun versuchte sie ihr Glück und griff den Shadow mit einem gekonnten Tritt an, doch auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg. Auch sie wurde wieder zurück geschleudert und landete unsanft auf dem Boden. „Anscheinend reflektiert es Schlagangriffe. Und Pfeile können ihm nichts anhaben.“, zählte Mirâ zusammen, doch schrak plötzlich auf. Um das Wesen bildete sich ein weißes Licht. Das hatte nichts Gutes zu Bedeuten. Sofort sprang sie auf und drehte sich zu ihren Freunden: „Lauft schnell weg.“ „Hu?“, kam es nur von den beiden anderen, doch da war es schon zu spät. Ein Blitz schlug zwischen der Gruppe ein und trieb sie auseinander. Kurz darauf fanden sich die Drei schmerzhaft am Boden wieder. „Ein Elektroangriff…“, vorsichtig richtete sich Mirâ wieder auf, „Anscheinend können Shadows auch mit Magie angreifen. Na warte.“ Sie griff in ihre Tasche und zog ihr Smartphone heraus. Ein Blick auf das Display verriet ihr, dass sich das Persona Programm bereits gestartete hatte. Anscheinend startete es sobald mal die Spiegelwelt betrat. Nun war auch die Option „Summoning Persona“ zur Auswahl frei und Mirâ zögerte nicht lange sie zu wählen. Ein blaues Licht umgab sie und kurz darauf erschien Hemsut. Das Auswahlmenü für Hemsuts Angriffe öffnete sich und sofort wählte Mirâ die Option „Bufu“. Ihre Persona hob die Hand und um den Shadow legte sich eine leichte Eisschicht, welche daraufhin zerbarst. Damit wurde der Schadow zwar zurück gedrängt, allerdings nicht zerstört. „Hat es nicht funktioniert?“, fragte sich Mirâ und wählte die Option noch einmal aus, woraufhin ihre Persona den Angriff wiederholte. Wieder wurde der Shadow zurück gedrängt, doch er verschwand immer noch nicht. Schockiert blickte sie auf das silberne Wesen. Dieses nutzte die Chance zu einem Angriff, allerdings dieses Mal direkt. Es drehte seinen Oberkörper und traf Mirâ mit seinen Speeren, sodass sie gegen eine Wand geschleudert wurde. Kurz musste sie nach Luft ringen, als der Shadow wieder etwas Abstand zu ihr gewonnen hatte. Das hier war alles echt und wenn sie nicht aufpasste, dann war es das mit ihr gewesen. Akane und Hiroshi währenddessen beobachteten Mirâ bei ihrem Kampf. Sie konnten ja doch nichts machen, selbst wenn sie wollten. Sie hatten versucht ihre Freundin zu unterstützen, doch mit ihrer Kraft allein schafften sie es nicht. Sie fühlten sich mies. Eigentlich waren sie gerade zu nichts zu gebrauchen und das, obwohl sie Mirâ versprochen hatten ihr zu helfen und beizustehen. Doch in diesem Moment waren sie für diese keine Hilfe, sondern nur eine Last. Sie waren gegen den Shadow machtlos. „Verdammt.“, fluchte Akane wütend über sich selbst. „Ich weiß was du meinst. Mir geht es nicht anders.“, meinte Hiroshi nur, ohne auch nur den Blick vom Kampfgeschehen abzuwenden, „Ich fühle mich auch total machtlos. Es macht mich verrückt.“ Akane nickte: „Es wäre eine größere Hilfe, wenn wir auch Personas hätten.“ „Da hast du recht.“, stimmte ihr Hiroshi zu. „Um ehrlich zu sein... Ich habe zwar großspurig gesagt, dass ich Mirâ helfen und diesen Shadows in den Hintern treten will. Aber eigentlich...“, Akane konnte nicht weiter reden. Es war ihr viel zu peinlich das auszusprechen. Doch Hiroshi lächelte nur leicht verbittert: „Eigentlich hattest du Angst. Hab ich recht?“ Erstaunt schaute sie Hiroshi an. Er sprach genau das aus, was sie nicht sagen konnte. Doch ehe sie noch etwas erwidern könnte sprach Hiroshi weiter: „Mir ging es da nicht anders. Ich hatte schon das letzte Mal tierische Angst, als uns dieser Shadow angegriffen hat. Ich war echt froh, als Shingetsu uns gerettet hat und wollte ihr danken, indem ich helfe. Das ging ja wohl nach hinten los.“ Akane blieb die Sprache weg. Hiroshi dachte genau wie sie. „Dass es das mal gibt...“, sagte sie leicht verbittert, worauf sie von Hiroshi einen fragenden Blick erntete, „Das wir mal einer Meinung sind.“ Sie schaute wieder zum Kampfgeschehen und sprach weiter: „Ich möchte ihr so gerne helfen. Wenn ich doch nur eine Persona hätte.“ „Ja, ich möchte ihr auch helfen.“, Hiroshis Stimme klang verzweifelt. Mit schmerzenden Gliedern wiederholte sie den Angriff mit „Bufu“ noch einmal und dieses Mal mit Erfolg. Nachdem das Eis zerbrochen war verschwand der Shadow in einem dunklen Nebel. Erleichtert atmete Mirâ auf und erst einmal richtig durch. Sie war vollkommen außer Atem. Die Nutzung ihrer Persona hatte ihren Tribut gefordert. Hemsut verschwand und Mirâ hörte ein Geräusch, welches von ihrem Smartphone ausging. Als sie einen Blick darauf warf stand auf dem blauen Bildschirm mit weißer Schrift geschrieben: „Level up.“ Das Bild verschwand und gab den Blick auf Hemsuts Statusseite frei, wo sie ein kleines Feld öffnet mit der Aufschrift: „New Skill“. Nachdem das kleine Feld verschwunden war leuchtete das Feld mit der Aufschrift „Dia“ auf und setzte sich in die Liste der anderen Fähigkeiten. Um zu testen, was diese neue Fähigkeit konnte, wählte Mirâ sie aus. Ihre Persona erschien daraufhin noch einmal, hob ihre Hand und um Mirâ bildete sich ein grünes Licht. Ganz langsam verschwanden die Wunden, welche sie während des Kampfes erlitten hatte und auch die Kratzer an ihrem Bein waren nach der Heilung weg. „Eine Heilfähigkeit… praktisch.“, dachte sie sich, „Ich sollte Akane und Hiroshi auch heilen.“ Als sie sich allerdings zu ihren Freunden umdrehte waren diese verschwunden. Erschrocken schaute sie sich um. Wo konnten die beiden nur hin sein? Sie hätten ihr doch etwas gesagt. Oder? Sie wurde leicht panisch. Plötzlich wurde sie von einem Feuerball getroffen und ging zu Boden. „Au... Wo kam das denn her?“, sie blickte auf und schaute auf einen riesigen Shadow, welcher die Form eines Löwen hatte. Seine Mähne war Feuerrot und um seinen Kopf schlängelte sich eine gelbe Schlange. Deren Maul war weit aufgerissen und sie schien ihren Gegenüber angreifen zu wollen. Auch um die Beine des Löwen schlängelten sich solche Schlangen. Noch einmal riss der der Shadow sein Maul auf und griff Mirâ mit einem Feuerball an. Diese reagierte schnell und rollte sich zur Seite, sodass die Attacke sie nicht treffen konnte. Schnell zückte sie ihr Smartphone und rief ihre Persona Hemsut. Diese griff darauf den riesigen Löwen mit Bufu an, als Mirâ es ihr befahl. Die Eisattacke traf den Shadow genau an seiner Schnauze und dieser schrie schmerzhaft auf, doch verschwand nicht. Er drehte sich um und rannte davon. „Was zum? Hey bleib stehen!“, schnell folgte Mirâ dem Shadow. Eigentlich hätte sie ihn lieber flüchten lassen, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Freunde finden würde, wenn sie ihm folgte. Sie wusste nicht woher dieses Gefühl kam, aber sie hoffte, dass es stimmte. Allerdings sagte ihr ein anderes Gefühl, dass sie nicht sehen wollte, was ihren Freunden passiert sein konnte. Eine ganze Weile rannte sie dem Shadow hinterher, bis dieser um ein Geschäftsgebäude herum rannte. Als auch sie um die Ecke kam, blieb ihr fast das Herz stehen. „Akane! Hiroshi!“, rief sie geschockt. Beide hingen an Armen und Beinen aufgegangen jeweils an einer merkwürdigen schwarzen runden Fläche, auf welcher ein rotes Pentagramm leuchtete. Da die beiden auch nach mehrmaligen Rufen nicht reagierten, schloss Mirâ daraus dass sie bewusstlos waren. Sie musste die beiden retten. Nur wie? Noch ehe sie sich etwas überlegen konnte, ging plötzlich ein Blitz auf sie nieder. „Urgh...“, sie konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten, doch sah sich aufmerksam um. Kam dieser Angriff auch von diesem riesigen Löwen? Zwar sah Mirâ den Shadow, doch dieser sah nicht danach aus, als hätte er angegriffen. Als ihr Blick nach oben ging, fiel ihr etwas Goldenes auf. Ein Strahl, der in einer Hand endete schwebte etwas über ihren Freuden. Sie folgte dem Strahl und erkannte plötzlich eine goldene Scheibe mit roten böse aussehenden Augen. Von der Scheibe gingen noch viele weitere Strahlen ab, welche an Händen endeten. „Noch ein Shadow?“, entkam es ihr erschrocken. Wie sollte sie alleine zwei solch riesige Shadows besiegen? Die kleinen Shadows waren für sie kein so großes Problem, die waren relativ leicht zu besiegen. Aber diese zwei? Dazu kam, dass sie bereits einen Teil ihrer Kraft verbraucht hatte. Das merkte sie. Doch sie durfte nicht verzagen. Sie musste doch ihre Freunde retten. Schnell schob sie alle Zweifel beiseite und sah entschlossen zu den beiden Shadows auf. Wenn sie sich recht erinnerte hatte ihre Eisattacke gegen den löwenartigen Shadow geholfen. Also rief sie ihre Persona und griff den einen Shadow mit Bufu an, doch der andere nutzte seine Chance und griff Mirâ sofort mit einer erneuten Blitzattacke an. So schnell sie konnte sprang sie zur Seite, um nicht erneut von diesem Angriff getroffen zu werden. Sie zog einen Pfeil, spannte ihn ein und schoss ihn auf den anderen Shadow. Beide Angriffe schienen Wirkung zu zeigen, denn die Gegner taumelten etwas zurück, doch besiegt waren sie damit noch nicht. Wieder kam ein Blitz auf sie zu, welchem sie schnell auswich. Doch dabei merkte sie nicht den Feuerball auf sich zu kommen. Als sie ihn doch bemerkte, war es bereits zu spät und sie wurde zu Boden gerissen. „Urgh...“, vorsichtig öffnete Akane ihre Augen. Wo war sie und was war passiert? Vorsichtig blickte sie sich um und dabei fiel ihr Blick auf Hiroshi, welcher neben ihr hing. Sie schrak auf. Hing? Als sie an sich herunter sah, bemerkte sie, dass auch sie an einer merkwürdigen Fläche hing. Was ging hier vor? Das letzte woran sie sich erinnerte war, dass Mirâ mit einem Shadow gekämpft hatte und sie selbst sich mit Hiroshi darüber unterhalten hatten, wie gut es wäre ebenfalls eine Persona zu haben. Doch was war danach passiert? Wie war sie hier hoch gekommen? Ein Schrei ließ sie aufschrecken. Das Bild was ihr sich bot ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie erkannte Mirâ, welche gegen zwei riesige Shadows kämpfte. Doch es sah nicht gut für sie aus. Immer wieder trafen sie Feuerattacken und rissen sie zu Boden. Zwar versuchte sie sich mit ihrer Persona zu wehren, doch schienen ihre Kräfte mittlerweile zur Neige zu gehen. Sie sah so unglaublich erschöpft aus. Etwas regte sich neben ihr, was sie veranlasste zu ihrer Rechten zu blicken. Langsam hob Hiroshi den Blick. Auch er war verwirrt und schien zu überlegen wie er in diese Situation geraten war. Erschrocken blickte er zu Akane hinüber, doch diese schüttelte nur den Kopf, als Zeichen, dass sie selbst keine Ahnung hatte. „Das ist jetzt aber vollkommen egal. Mirâ steckt in Schwierigkeiten.“, rief sie ihm plötzlich entgegen, was ihn veranlasste sich die Szene ebenfalls anzuschauen. Ihm erging es nicht anders als Akane. Auch er schien zu erstarren, als er die zwei Shadows sah, gegen welche Mirâ kämpfte. „Was sind das für Shadows? Die sind ja riesig!“, rief Hiroshi geschockt, „Shingetsu hat niemals eine Chance alleine gegen die beiden.“ „Wem sagst du das?“, fragte Akane und versuchte sich irgendwie zu befreien, doch der Zauber, welcher sie an der Fläche hielt schien zu stark. Egal wie sehr sie ihre Arme auch bewegte, sie kam nicht frei. Erneut traf sie eine Attacke der beiden Shadows, welche mittlerweile ihre Angriffe kombinierten. Schmerzhaft schlug sie auf dem Boden auf. „Verdammt!“, fluchte sie mit heiserer Stimme. Selbst mit ihrer Persona schaffte sie es nicht ihren Freunden zu helfen. Wie sollte sie es dann schaffen herauszufinden, was in dieser Welt verkehrt läuft? Mit verschleiertem Blick sah Mirâ zu ihren Gegnern hinüber. Diese machten sich für einen erneuten Angriff bereit. Sie musste aufstehen und ausweichen, sonst war das ihr Ende. Doch sie konnte nicht. Alles schmerzte und ihre Kraft reichte kaum noch um ihre Persona zu rufen. Es schien aus zu sein. Dabei hatte das Abenteuer gerade erst angefangen. Sie bereute es ihre Freunde in so eine Gefahr gebracht zu haben, ohne sie beschützen zu können. „MIRÂ!“, hörte sie jemanden rufen. „SHINGETSU!“, war das nächste was sie vernahm. Als sie ihren Blick vorsichtig hob, erblickte sie ihre beiden Freunde. Diese versuchten sich irgendwie zu befreien und riefen nach ihr. „Mirâ gib nicht auf!“, rief Akane ihr zu. „Shingetsu, bleib standhaft.“, hörte Mirâ auch Hiroshi rufen. Ihren Freunden ging es also gut. „Welch ein Glück...“, ging ihr durch den Kopf. Langsam ließ sie ihren Kopf wieder auf ihren Arm sinken. Sie war so müde und wollte nur noch schlafen. „Du darfst nicht einschlafen!“, rief Akane noch lauter, „Mirâ! Schau uns an! Schlaf bloß nicht ein!“ „Akane...“, wieder hob die junge Frau vorsichtig den Kopf. Akane hatte Recht. Sie durfte nicht einschlafen, aber es fiel ihr so schwer. Der Kampf hatte sie ausgepowert und geschwächt. „Shingetsu! Es tut uns leid, dass wir nicht stark genug sind, dir zu helfen. Aber bitte... Bitte stirb nicht!“, entschuldigte sich Hiroshi verzweifelt. „Makoto-kun...“, vorsichtig richtete sich Mirâ auf, auch wenn es sie unendlich viel Kraft kostete und es ihr extrem schwer fiel. „Wie konnte ich nur hier hineingeraten?“, ließ sie plötzlich eine ihr bekannte Stimme aufblicken. Sie ähnelte Akanes, wirkte jedoch trotzem ziemlich verzerrt. „Wieso habe ich zugestimmt noch einmal in diese Welt zu gehen? Dabei machen mir solche Situationen doch Angst.“, sprach die Stimme weiter, woraufhin Mirâ zu Akane sah, deren Blick geschockt wirkte, „Und das für jemanden, den ich erst kennen gelernt habe. Wieso riskiere ich für so jemanden mein Leben? Ich will hier nicht sein!“ Dieser Satz kam eindeutig nicht von der Braunhaarigen, auch wenn er mit ihrer Stimme gesprochen wurde. Darüber war sich die Violetthaarige sicher. Trotzdem versetzte ihr die Aussage einen kleinen Stich, obwohl sie ihn nachvollziehen konnte. Hätte sie in dieser Situation denn ähnlich wie Akane reagiert und wäre einfach mitgegangen, obwohl sie wusste, dass es gefährlich war? Wahrscheinlich nicht. „Wieso konnte ich meine große Klappe nicht halten?“, erklang nun eine weitere Stimme. Diese glich der von Hiroshi, war jedoch ebenfalls extrem verzerrt. Ein Blick zu besagtem Blonden verriet der jungen Frau, dass auch er diesen Satz nicht gesagt hatte, denn auch er wirkte ziemlich geschockt über diese Aussage. Doch bevor sie darüber nachdenken konnte, sprach die Stimme bereits weiter: „Ich bin doch eh vollkommen machtlos in dieser Welt. Was mache ich also hier? Wieso riskiere ich mein Leben? Ich will hier weg!“ Die Stimme wurde lauter und plötzlich schlug neben Mirâ ein erneuter Blitz ein und verfehlte die violetthaarige Frau nur um Haaresbreite. Immer noch war sie zu schwach um sich aufzurichten und würde die nächste Attacke der Shadows wahrscheinlich gar nicht überstehen. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und ihr Blick schnellte zu den beiden riesigen Wesen, welche über ihr schwebten. Diese Stimmen kamen eindeutig von ihnen. Doch was hatte das zu bedeuten? „Ich will noch nicht sterben!“, erklang es erneut. Die Stimmen vermischten sich. Es schien als würden die Shadows den gleichen Gedanken haben, doch war dies für Mirâ gerade zweitrangig. Viel mehr interessierte sie, wieso diese Wesen die Stimmen ihrer neuen Freunde hatten. Einen Moment später jedoch kam ihr ein Geistesblitz, als sie an eine Textzeile dachte, die sie in dem Buch über Personas gelesen hatte. Dort hieß es Shadows wären die manifestierten dunklen Gedanken der Menschen, was wiederum bedeutete, dass diese Wesen die Shadows ihrer Freunde sein mussten. Das brachte ihre Gedanken zum Schluss, dass Gesagtes die versteckten Gedanken der beiden waren. Ein kleines Lächeln umspielte plötzlich ihr Gesicht, welches sie allerdings wieder gesenkt hatte. Erschrocken blickten Hiroshi und Akane zu Mirâ, deren Blick auf den Boden gerichtet war. Auch ihnen war mittlerweile der Gedanken gekommen, dass die Shadows ihre innersten Gedanken aufgesprochen hatten. Und genau das war es, was sie so schockierte. Was sollte Mirâ denn nun von ihnen denken, wo sie ihr doch so großspurig ihre Hilfe angeboten hatten? Diese Sätze mussten für die Violetthaarige regelrechte Schläge in die Magengrube gewesen sein. Das Schlimme an der Situation war, dass sie es nicht einmal verneinen konnten. Es stimmte. Sie hatten Angst und bereuten es der jungen Frau gefolgt zu sein, obwohl sie doch wussten, dass sie gar keine Chance gegen Shadows hatten, so ganz ohne dieses Wesen namens Persona. Ihnen war klar, dass dies ein riesiger Vertrauensbruch war und sie waren sich sicher, dass Mirâ ihnen das niemals verzeihen würde. Doch plötzlich geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatten. Die am Boden liegende junge Frau hob ihren Blick… und sie lächelte. Zwar glänzten kleine Tränen in ihren Augenwinkeln, doch das breite Lächeln war deutlich zu erkennen. Den beiden Gefangenen versetzte dies einen kleinen Stich. Wie konnte sie denn noch lächeln, nachdem sie das gehört hatte? „Schämt euch nicht. Ich verstehe euch.“, sagte Mirâ plötzlich, „Es ist nichts dabei Angst zu haben. Vor allem in dieser Welt. Und trotzdem habt ihr ohne darüber nachzudenken sofort gesagt, dass ihr mich begleitet. Obwohl ihr wusstet, dass ihr sterben könntet. Es tut mir so leid, dass ich euch nicht beschützen konnte.“ Erstaunt sahen ihre Freunde sie an und konnten gar nicht glauben, was sie eben gehört hatten, aber es ging ihnen sehr nahe. Trotzdem schien das die Shadows nicht zu beeindrucken, denn plötzlich setzten diese zu einem erneuten Angriff an und dieses Mal war sicher, dass Mirâ den Angriff nicht überstehen würde. Geschockt mussten die beiden Gefangenen zusehen, wie ihre neue Freundin sie trotz ihres nahenden Endes anlächelte. Kurz darauf leuchtete der Himmel bedrohlich auf, als die Attacken der beiden Wesen genau auf die junge Frau zusteuerten. „Mirâ! Es tut mir so leid! Unseretwegen bist du nun in dieser ausweglosen Situation. Dabei wollten wir dich doch unterstützen! Ich wollte mit dir Seite an Seite kämpfen!“, rief Akane aus voller Kehle, woraufhin der riesige Löwe plötzlich stoppte. „Shingetsu, auch mir tut es leid! Wir wollten dir helfen, stattdessen haben wir dich in Schwierigkeiten gebracht und waren dir ein Klotz am Bein. Dabei wollte ich dich unterstützen!“, rief auch Hiroshi ungeachtet der Situation. Auch die Sonnenscheibe stoppte plötzlich ihre Attacke, noch ehe diese die junge Frau auf dem Boden erreicht hatte. Stattdessen löste sich der kombinierte Strahl aus Flammen und Blitzen in glitzernde Partikel auf und verstreute sich in der Umgebung. Erstaunt blickte Mirâ auf die beiden Wesen, welche plötzlich stillstanden und begannen sich langsam aufzulösen. Auch die beiden Oberschüler sahen nun erstaunt zu den riesigen Shadows und spürten, wie sich in ihrer Brust ein warmes Gefühl ausbreitete. Im nächsten Moment lösten sich auch die riesigen Platten, an welchen sie gefesselt waren und sie schwebten vorsichtig zu Boden. Kaum hatten ihre Füße diesen berührt waren sie auf ihre Freundin zugestürmt, die noch immer auf dem Boden lag. Vorsichtig half Akane ihr auf, wofür sich Mirâ schwach bedankte. Ein plötzliches warmes blaues Licht ließ die Gruppe aufschauen, wo immer noch die beiden Shadows schwebten. Diese jedoch hatten sich bereits fast komplett aufgelöst und änderten im nächsten Moment ihre Form. Der riesige Löwe verwandelte sich in eine weibliche Gestalt, deren Gesicht von einer weißen Maske verdeckt war. Eine tiefrote volle Mähne umspielte dieses, auf welcher ein goldener Reif saß, der an eine sich in den Schwanz beißende Schlange erinnerte, und deren Pony die Maske zur Hälfte verdeckte. Der doch recht muskulöse Körper der weiblichen Gestalt war von weißen Leinen umhüllt, welche bis zu ihren kräftigen Oberschenkeln reichten. Um ihre Taillie lag ein goldener Reif, der ebenfalls an eine sich in den Schwanz beißende Schlange erinnert. An diesem hing eine Kette mit goldenen Gliedern, die sich um den Rücken spannte. Ihre Waden waren ebenfalls von weißen Leinen umgeben, welche von goldenen Schlangen umschmeichelt wurden, die sich um die Gliedmaßen schlangen. Auch an ihren Handgelenken waren solche goldenen Schlangen zu erkennen, jedoch lagen diese direkt auf der Haut an. Die goldene Sonnenscheibe schrumpfte in sich zusammen und verlor die roten gefährlichen Augen, während sich dahinter ein männlicher Körper mit muskulösen Oberarmen und Beinen formte. Sein Gesicht war ebenfalls von einer weißen Maske verdeckt, über welches eine weiße Kaputze mit goldenem Rand gelegt war. Über seiner linken Schulter lag quer ein weißes Tuch, das nahtlos in den quer gelegten knielangen Leinenrock überging, welcher vorn und hinten zum Teil von einem roten, mit goldenen Elementen versetzten, Tuch verdeckt wurde. Auf dem Vorderen prangerte eine nach unten greifende goldene Hand, deren „Arm“ bis zur goldenen Scheibe führte, die das Wesen vor seinem Körper trug. Auch von dieser gingen rechts und links des Tuches jeweils zwei nach unten greifende Hände ab. An den Seiten wurde die Scheibe von dicken goldenen Ketten gehalten, welche am Rücken zur Kapuze übergingen und dort befestigt waren. Um seine Beine schlangen sich goldene kniehohe offene Sandalen. „Ich bin du… du bist ich…“, sprachen die Wesen synchon und richteten noch einmal ihren Blick auf die drei Oberschüler, bevor sie sich in blau leuchtende Karten verwandelten und zu ihren neuen Besitzer kehrten. Doch noch ehe sie diese erreicht hatten, lösten auch sie sich auf und legten sich als blaues warmes Licht über Akane und Hiroshi. „Ein Glück. Euch geht es gut.“, sagte Mirâ schwach, ehe sie wieder in sich zusammensackte. Sofort hatte Hiroshi unter sie gegriffen und sie aufgefangen, da sie ansonsten Akane mit ihrem Gewicht nach unten gezogen hätte. Zwei besorgte Blicke trafen die Violetthaarige, welche nur vorsichtig aufblickte und lächelte. „Es geht gleich wieder…“, kam es leicht geschwächt von Mirâ, während sie ihr Smartphone zog und Hemsut rief. Gleich darauf gab sie ihrer Persona den Befehl „Dia“, woraufhin sie die Wunden der drei nach und nach heilte. „Mirâ, es tut uns leid. Unseretwegen…“, begann Akane, doch wurde von Mirâ mit einer Handbewegung zum schweigen gebracht. Lieb lächelte sie ihre Freunde an: „Ihr braucht euch für nichts zu entschuldigen.“ „Aber…“, fing auch Hiroshi an, da ihn vor allem die Situation Nahe ging, damit die Violetthaarige ihre Gedanken gehört haben musste. Immerhin müssen sie diese Worte sehr verletzt haben. Doch die junge Frau schüttelte nur lächelnd den Kopf: „Nein, schon gut. Lassen wir das.“ Besorgt sagen sich der Blond und Akane kurz an, da sie nicht wussten, was sie darauf erwiedern sollten. „Ich bin vielleicht kaputt.“, meinte die Braunhaarige schlussendlich, um das Thema zu wechseln, und sah sich kurz um: „Es scheinen keine weiteren Shadows aufzutauchen. Lasst uns zurück gehen und es für heute gut sein.“ „Gute Idee.“, stimmte Hiroshi zu. So machten sich dir drei auf den Rückweg und verließen die Spiegelwelt. Zu Hause angekommen öffnete Mirâ leise die Tür. Dieses Mal hatte sie Glück und alle waren bereits im Bett, so musste sie sich keinen weiteren Fragen stellen. Gerade war sie eh nicht in der Lage noch viel zu reden. Dieser Kampf hatte sie wieder einmal einiges an Kraft gekostet. Erschöpft ließ sie sich wieder auf ihren Futon fallen und schaute an die dunkle und kahle Wand. Ihr einziger und letzter Gedanke war, dass sie nun zwei starke Verbündete hatte. Danach war sie sofort im Reich der Träume verschwunden. Kapitel 5: V - Begegnungen -------------------------- Montag, 20.April 2015 Gähnend betrat Mirâ die kleine Küche, in welcher ihre Mutter und Junko bereits frühstückten. „Guten Morgen, Nee-Chan!“, wurde sie freundlich von ihrer kleinen Schwester begrüßt. „Guten Morgen.“, grüßte auch Mirâ, während sie sich hinsetzten und sich ein Glas Milch eingoss. Besorgt blickte ihre Mutter sie an: „Geht es dir wieder besser?“ „Wie meinst du das?“, kam die Frage. „In den letzten Tagen hast du häufig sehr erschöpft ausgesehen. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, ob dir der Umzug dieses Mal nicht so bekommen ist.“, antwortete ihre Mutter besorgt. Das stimmte. Sie war in den letzten Tagen wirklich sehr erschöpft gewesen, aber sie konnte ihrer Mutter schlecht sagen, dass es an ihrer Persona lag. Ebenso wenig konnte sie ihr von der Spiegelwelt erzählen. Ihre Mutter würde sie für verrückt erklären. Außerdem würde sie damit Junko Angst einjagen und das wollte sie nicht. Also blieb er nur wieder eine Lüge: „Ja das stimmt. Die letzten Tage waren etwas anstrengend für mich. Es war schwer mich dieses Mal an die Umgebung zu gewöhnen. Entschuldige, wenn ich dir Sorgen gemacht habe. Jetzt geht es mir aber wieder besser.“ So ganz gelogen war das nicht einmal. Es stimmte ja, dass sie sich erst an ihre neue Umgebung gewöhnen musste. Ihr Mutter seufzte und schien sich damit vorerst zufrieden zu geben: „Das beruhigt mich. Was mich auch beruhigt ist, dass du ein paar Freunde gefunden hast. Ich dachte schon du schottest dich wieder ab, wie letztes Mal.“ Mirâ senkte leicht den Blick und lächelte: „Das stimmt allerdings.“ „Ich finde das jedenfalls gut. Freunde sind wichtig. So ich muss jetzt los.“, ihre Mutter schnappte sich ihre Tasche und begab sich in den Flur, „Mirâ sei bitte so gut und begleite deine Schwester in sie Schule. Ich muss heute außerhalb der Stadt etwas erledigen, deshalb komme ich da nicht vorbei und es wäre ein Umweg.“ „Sicher Mama. Das mach ich.“, versprach Mirâ. „Das ist nett von dir. Also ihr beiden. Bis heute Abend.“, und schon war ihre Mutter weg und Mirâ und Junko saßen alleine am Tisch. Nachdem beide ihr Frühstück zu sich genommen hatten, machten sie sich auf den Weg. Gerade als beide das Haus verließen, hörte Mirâ eine bekannte Stimme, welche sie freundlich grüßte. Als sie sich umdrehte erkannte sie ihre Freundin Akane. „Akane, guten Morgen. Was machst du hier?“, fragte Mirâ leicht irritiert. „Ich wollte dich abholen. Bin dafür extra eine Bahn eher gefahren.“, grinste ihre Freundin sie an, „Wir hatten leider vergessen mal wieder Nummern auszutauschen, deshalb konnten wir am Wochenende ja leider nichts zusammen unternehmen. Ich bin froh, dass ich hier her gefunden habe.“ „Wir hätten uns doch auch an der U-Bahn treffen können. Aber ich Freu mich, das du dir den Weg gemacht hast.“, sagte Mirâ glücklich. Noch nie hatte sie jemand von zu Hause abgeholt. Diese Erfahrung war ihr neu, doch sie freute sich über diese Geste. Nun schien Akane auch Junko aufzufallen, welche sich hinter Mirâ versteckte. „Oh nanu. Ist das deine kleine Schwester?“, fragte sie obwohl sie die Antwort bereits kannte und hockte sich zu Junko hinunter, „Hallo. Ich bin Akane Chiyo. Ich bin eine Freundin deiner großen Schwester.“ Zögerlich kam Junko hinter ihrer Schwester vor: „Mein Name ist Junko.“ „Junko-Chan also. Freut mich sehr.“, lächelte Akane. Junko nickte nur zurückhaltend, woraufhin Akane wieder aufstand und sich die kleine Gruppe auf den Weg zur U-Bahn machte. Da dies das erste Mal war, das Junko mit der U-Bahn in dieser Stadt fuhr war sie leicht aufgeregt. Zumal die Bahn auch ziemlich voll war, doch Mirâ und Akane schirmten sie so gut von den Menschenmassen ab, dass sie schnell ihre Angst verlor. Um zur Grundschule zu gelangen mussten sie bereits eine Station eher aussteigen, sodass sie den restlichen Weg bis zur Highschool laufen mussten nachdem sie Junko abgeliefert hatten. „Da fällt mir ein. Heute öffnen die Schulclubs. Hast du schon überlegt, ob du einen Kurs belegst?“, fragte Akane. „Ich habe überlegt zum Kyûdô zu gehen, wenn sie neue Mitglieder aufnehmen.“, antwortete Mirâ. Ihre Freundin stimmte zu: „Da passt du super rein. Immerhin bist du eine gute Bogenschützin.“ Mirâ schüttelte den Kopf: „Nein eigentlich nicht. Das in der Spiegelwelt war nur Glück. Eigentlich bin ich nicht besonders gut darin. Ich habe in der Mittelstufe damit angefangen, weil ich es interessant fand, aber nachdem ich meine Leistungen nicht verbessern konnte und durch die ganzen Umzüge habe ich damit aufgehört. Aber ich denke das Training wird mir helfen. Es könnte sicher sehr nützlich sein. Hast du dich denn für einen Club entschieden?“ „Sie wird wahrscheinlich in die Judo-AG gehen. Hab ich recht, Chiyo?“, meinte plötzlich eine ihnen bekannte männliche Stimme. Als sich beide umdrehten sahen sie Hiroshi, welcher zu Begrüßung die Hand hob: „Yo!“ „Guten Morgen Makoto-Kun.“, grüßte Mirâ freundlich. „Guten Morgen.“, grüßte auch er noch einmal, „Und habe ich Recht, Chiyo?“ „Ja sicher. Mein Plan ist immer noch Captain zu werden. Unser letzter Captain war ja einer aus der Dritten und jetzt wo er seinen Abschluss gemacht hat, ist die Stelle wieder frei.“, erzählte Akane mit voller Begeisterung. Mirâ musste lachen und wand sich Hiroshi zu: „Und du, Makoto-Kun? Welche AG wirst du belegen?“ Der Angesprochene grinste nur: „Ich bin seit der Mittelstufe in der Fußball-AG, da werde ich auch dieses Jahr wieder hingehen.“ Mirâ erinnerte sich an ihre Begegnung auf dem Schulhof und musste wieder lachen: „Das erinnert mich daran, dass du mich letzte Woche fast abgeschossen hättest. Da hast du wohl mit deinen Kumpanen gespielt, was?“ Hiroshi lief knallig rot an und er kratzte sich verlegen am Kopf: „Ich hab mich doch entschuldigt. Ich hab halt nicht aufgepasst und ja also …“ Die Angelegenheit war ihm wirklich peinlich und je weiter er redete, desto mehr überschlug er sich beim Reden, sodass nur noch wirres Zeug herauskam. Nun konnte Mirâ wirklich nicht mehr an sich halten und ihr Lachen wurde stärker, sodass sie sich einige Momente später den Bauch hielt. „Mach dich nicht über mich lustig.“ ,die rote Farbe in Hiroshis Gesicht wurde immer dunkler. „Sorry. Es war nur so witzig, wie du versucht hast eine Ausrede zu finden. Das hatten wir doch schon abgehakt. Es war ja nichts passiert.“ ,lachte Mirâ und versuchte nach Luft zu schnappen. „Trotzdem...“, kam es nur kleinlaut von Hiroshi, doch Mirâ winkte nur ab und meinte, dass die Sache erledigt war und er sich darüber keine Gedanken mehr machen brauchte. So erreichten sie nach einigen Minuten die Schule und wechselten ihre Schuhe bevor sie sich auf den Weg in den Klassenraum machten. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass Mirâ fast in ein anderes Mädchen gerannt wäre. „Hey, pass doch besser auf.“, sagte dieses leicht genervt. Als Mirâ aufblickte sah sie in zwei violette Augen, welche sie böse ansahen. Bei näherer Betrachtung bemerkte sie auch, dass die schwarzen Haare des Mädchens an einer Seite kürzer waren als auf der anderen und das die lange Seite, sowie der Pony violett gefärbt waren. „Was starrst du so?“, fragte das Mädchen immer noch genervt. Mirâ schrak leicht zurück: „Entschuldige.“ Murrend ging das Mädchen an ihr vorbei. Leicht missmutig sah Mirâ ihr nach. Das Mädchen trug die schwarze Bluse der Schuluniform, allerdings über den Rock und nicht hinein gesteckt, wie man es normaler weise unter der Jacke trug. Diese hatte sie gänzlich weggelassen. Die Krawatte hatte sie auch nur locker um den Hals gelegt. Dazu trug sie eine schwarze lange Strumpfhose. „Das ist Fukagawa aus der 2-3.“, hörte sie Akane neben sich, „Sie ist zu jedem so. Sie redet selten mit jemandem, ist meistens allein und meckert jeden an, der ihr in die Quere kommt. Am besten du ignorierst was sie gesagt hat.“ Daraufhin gingen sie und Hiroshi bereits die Stufen zum nächsten Stockwerk hoch, während Mirâ dem Mädchen noch kurz nachschaute. Sie beobachtete wie ein kleines Mädchen mit hellbraunem Haar in das Mädchen namens Fukagawa stürzte und daraufhin von dieser zusammen gestaucht wurde. Nachdem sie ihren Frust abgelassen hatte ging sie weiter und ließ das kleine Mädchen leicht erschrocken zurück. „Was soll das denn?“, fragte sich Mirâ, doch irgendwie erinnerte sie Fukagawa an sich selbst. Im letzten Jahr hatte sie ja auch so reagiert, um mit niemandem anbandeln zu müssen. Es gab sicher etwas worüber sie nicht reden konnte oder wollte und weshalb sie sich von allen anderen so distanzierte. Während sie immer noch Fukagawa nachsah, welche allerdings bereits um die nächste Ecke verschwunden war, fiel ihr wieder das kleine Mädchen auf. Diese hockte sich verzweifelt und mit Tränen in den Augen hin um ihre Schulhefte aufzusammeln, welche auf dem Boden verstreut waren. Seufzend ging Mirâ auf sie zu und half ihr beim Einsammeln. „Alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig, als sie ihr eines ihrer Hefte hinhielt. Das Mädchen wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und nickte: „J-ja, danke. Es geht schon wieder.“ Nachdem alle Hefte aufgesammelt waren verbeugte sich das junge Mädchen noch einmal vor Mirâ. Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte Mirâ, dass dieses Mädchen bestimmt gut einen Kopf kleiner als sie selbst war. Ihrer Größe zu Urteilen war sie im ersten Jahr. Sie hatte schulterlange gewellte hellbraune Haare, in welchen sie ein rotes Haarband trug. Als Oberteil ihrer Schuluniform trug sie einen weißen Pullover mit roten Streifen, auf welchem aber das Wappen der Schule zu sehen war. Neben dem Wappen sah Mirâ die Schleife, welche man alternativ zur roten Krawatte tragen konnte und welche sie selber auch gewählt hatte. Dazu trug sie den roten Rock der Uniform, allerdings länger als er eigentlich war, denn dieser reichte ihr bis kurz über die Knie. Darunter trug sie eine weiße Strumpfhose. „Vielen Dank, Senpai.“, damit drehte sich das Mädchen um und ging. Auch ihr sah Mirâ noch einmal kurz nach ehe sie sich auf den Weg in den zweiten Stock zu den Klassenräumen des zweiten Jahrgangs auf machte. Im Klassenraum wurde sie bereits von Akane erwartet: „Wo warst du?“ „Ich hab einem Mädchen aus dem ersten Jahr geholfen. Sie wurde von Fukagasa-San angemotzt und ist fast in Tränen ausgebrochen.“, antwortete Mirâ flott. „Hu?“, kam es nur langgezogen von Akane, doch sie ging nicht weiter darauf ein, was auch ihrem Englischlehrer Mr. Tyson zu verdanken war. Mirâ hörte Akane neben sich flüstern. Sie erzählte ihr, dass Mr. Tyson eigentlich aus England kam, aber so vernarrt in Japan sei, dass er bereits seit vielen Jahren in Japan lebte und deshalb gut japanisch konnte, was ihn als Englischlehrer sehr wertvoll machte. Immerhin gab es nicht viele Lehrer die fließend englisch konnten. Es wurde auch nie richtig gelehrt. Erst in den letzten Jahren stockte das Land auf und lehrte richtig Englisch, sowohl in Aussprache als auch in der Sprache an sich in Textform, sodass die Schüler die Sprache auch zu verstehen lernten. „Quiet.“, brachte er die Klasse zum Schweigen und begann seinen Unterricht, „Today, we begin to translate a text from our textbook. Please open your books on page 25.“ Die Lehrbücher wurden aufgeschlagen, zu mindestens von den Schülern, welche verstanden hatten, was ihr Lehrer von ihnen wollte. Alle anderen drehten sich nach links und rechts um und schlugen dann ebenfalls ihre Bücher auf. Mr. Tyson schaute kurz durch die Klasse und sein Blick blieb an Mirâ hängen: „Shingetsu-San. Please translate the first paragraph.“ Mirâ stand auf und überflog kurz die den Absatz, ehe sie anfing zu übersetzen. Ihr Englisch war nicht das Beste, aber um sich zu verständigen reichte es alle male. Probleme hatte sie immer in der Aussprache, aber das Übersetzen und Verstehen von Texten war ihre Stärke. Dies merkte man auch, als sie den Absatz vorlas. Ihr Lehrer hatte aufmerksam gelauscht und nickte. Er merkte nicht einmal, das er plötzlich sogar japanisch redete: „Gut. Du musst noch etwas daran arbeiten die Texte schneller zu verstehen, damit du sie schneller und fließender Übersetzen kannst. Ansonsten war es gut. Setz dich.“ Die Angesprochene setzte sich wieder und ihr Lehrer suchte sich einen neuen Schüler für den nächsten Absatz. Gemeinsam mit Akane machte sie sich nach dem Unterricht auf den Weg zu den Turnhallen der Schule. Hiroshi war nicht dabei, da seine Fußball-AG hinter der Schule Unterricht hatte und der deshalb in eine andere Richtung musste. Zusammen betraten die beiden Mädchen den Gang zu den Sportclubs, welchen Mirâ an ihrem ersten Tag bereits gesehen hatte. Nun stand die Tür weit offen und gab den Blick auf einen langen Gang frei, an welchem sich zur rechten mehrere Türen aufreihten. „Der Kyûdô-Club ist ganz hinten, die letzte Tür. Eigentlich nicht zu übersehen.“, erklärte Akane und blieb an einer Tür stehen, „Ich muss jetzt hier rein. Wir sehen uns dann nach den Clubs. Ok?“ Und schon war sie verschwunden. Mirâ unterdessen ging den Gang bis ganz zum Schluss und fand die Tür, welche Akane meinte. Sie öffnete die Tür und trat in ein umzäuntes Freigelände. Am anderen Ende des Geländes waren die Ziele aufgereiht und durch Wände getrennt, damit nicht ausversehen jemand ein anderes Ziel traf. Die Zielscheiben sahen schon ziemlich mitgenommen aus, so weit wie sie das sehen konnte. Sie selbst stand unter einem Schmalen Dach. Sowohl zu ihrer Linken, als auch zu ihrer Rechten erstreckten sich die Umkleidekabinen: Links für Mädchen und rechts für Jungs. Zwischen dem Überdachten Teil und den Zielscheiben war eine große Freifläche, auf welcher auf halben Wege die Linien waren, an welche sich die Bogenschützen stellten, wenn sie übten. „Noch ein neues Gesicht.“, hörte sie eine Männliche Stimme, woraufhin sie aufblickte. Vor ihr stand ein junger Mann mit braunem kurzem und leicht zerzaustem Haar, welches er an der rechten Seite etwas nach oben gegeelt hatte. Er trug bereits seine Trainingssachen: das weiße Oberteil mit den dreiviertel langen Ärmeln, den dunkelblauen Hakama, den Brustschutz und den Handschuh. Lächelnd blickte er Mirâ an: „Möchtest du uns beitreten?“ „Nehmt ihr denn derzeit neue Mitglieder auf?“, kam die Gegenfrage. Der junge lachte: „Ja sicher. Mein Name ist Dai Kazuma. Ich gehe in die dritte Stufe und bin hier der Captain.“ „Freut mich Kazuma-Senpai. Ich bin Mirâ Shingetsu aus der zweiten.“, stellte sich Mirâ vor, „Es wäre mir eine Freude hier teilnehmen zu dürfen.“ Dai konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Es war ein fröhliches und aufrichtiges Lachen, keinesfalls wollte er sie damit aufziehen, das merkte Mirâ sofort. „Nicht so förmlich.“, er hielt ihr seine Hand hin, „Willkommen in der AG.“ Lächelnd erwiderte Mirâ den Händedruck, bevor Dai weiter sprach: „Bist du mit dieser Sportart vertraut?“ „Ich hatte diese Sportart im ersten Jahr der Mittelstufe betrieben, aber ich musste wegen bestimmter Umstände aufhören.“, erklärte Mirâ, „Aber ich fand, dass ich das Angebot hier nutzen sollte, um mit dem Sport weiter zu machen.“ „Das war eine gute Entscheidung.“, sagte Dai mit einem Grinsen, „Dann hast du ja schon eine Ausrüstung.“ Mirâ nickte, doch ihr fiel ein, dass sie sie gar nicht dabei hatte: „Oh verdammt. Ich hab sie gar nicht dabei.“ Wieder war das aufrichtige Lachen von Dai zu hören: „Das ist nicht schlimm. Heute stellen wir nur unseren Club vor und zeigen den Neulingen alles. Da auch einige aus dem ersten Jahr bei uns anfangen wollen und noch keine Ausrüstung haben, können wir eh nicht viel machen.“ „Dai! Wo bleibst du denn? Wir wollen mit der Vorstellung beginnen!“, hörten die beiden eine verärgerte weibliche Stimme. Beide schauten in die Richtung aus welcher die Stimme kam und sahen eine junge Frau mit blonden lockigen Haaren. Mirâ dachte erst diese waren gefärbt, doch je näher das Mädchen Kam, desto mehr fiel Mirâ auf, dass sie einen europäischen Touch hatte. Dass ihre Haare also wirklich blond waren, war gar nicht so abwegig. Mit ihren strahlend grünen Augen schaute sie Dai böse an. Als ihr Mirâ auffiel schaute sie diese fragend an: „Wer ist das?“ „Ah Hime. Das ist Shingetsu-san aus der zweiten. Sie möchte auch unserem Club beitreten.“, höflich zeigte Dai auf die junge Frau, „Shingetsu-San, das hier ist Amy Iwato, sie wird aber von allen nur Hime genannt. Wir gehen in dieselbe Klasse und sie ist die Managerin unseres Clubs.“ Amy musterte Mirâ mit einem skeptischen Blick. Ihr schien ihre Anwesenheit nicht zu gefallen, zu mindestens sagte das ihr Blick. Wie Mirâ schon gesehen hatte lagen ihre blonden Haare in schönen großen Locken und ein wenig beneidet Mirâ sie für solch schöne Haare. Ihre Schuluniform trug sie genau wie sie selbst, außer dass sie die Krawatte statt der Schleife trug. Noch einmal blieb ihr Blick an Mirâ hängen ehe sie sich umdrehte: „Nun kommt schon. Wir wollen mit der Einführung beginnen.“ Damit ging sie davon. Dai sah Mirâ kurz mit einem entschuldigenden Lächeln an und folgte dem blonden Mädchen dann. Kurz blieb Mirâ noch stehen doch folgte dann ebenfalls den beiden und stieß zu der doch ziemlich großen Gruppe. Als sie sich umschaut erblickte sie noch vier bis fünf weitere Schüler, welche allerdings alle aus dem ersten Jahr zu kommen schienen. Es waren auch nur Jungs. Als sich Mirâ in der gesamten Gruppe so umsah musste sie auch leicht entsetzt feststellen, dass die Mädchen in diesem Club an sich in der Unterzahl waren. Insgesamt zählte Mirâ noch vier weitere Mädchen, Amy nicht mit eingerechnet. Mit ihr waren sie dann also zu fünft. Nachdem alle versammelt waren stellten sich Dai und Amy noch einmal vor. Sie erzählten ein wenig wer sie waren und was für Ziele sie für den Club hatten. Zum Schluss führte Dai noch sein Können vor und erklärte ein wenig dazu. Er traf fast die Mitte, was ihm Respekt abforderte. „So und zum Schluss noch folgendes: Wir treffen uns immer montags und mittwochs, dafür aber nicht wenn es regnet und auch nicht eine Woche vor den Prüfungen.“, klärte er noch auf, „Die Ausrüstung für die Neulinge wird heute noch bestellt und ihr solltet sie zum nächsten Training haben. Wir sehen uns dann Mittwoch. Damit ist der Club für heute beendet.“ Seufzend verließ Mirâ das Gelände. Die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, das Amy sie böse anschaute. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen weshalb. Sie hatte ihr doch nichts getan. Immerhin hatte sie Amy heute zum ersten Mal getroffen. Die Tür neben ihr öffnete sich erneut, worauf sie einen Schritt zur Seite machte. Als sie in zwei grüne böse wirkende Augen blickte schrak sie leicht zurück. „Hör zu Neuling. Lass deine Hände von Dai.“, noch einmal strafte sie Mirâ mit einem bösen Blick und ging dann. „Hu?“, kam es langgezogen aus Mirâs Mund. Was sollte das denn? Kam es denn so rüber als würde sie etwas von ihrem Senpai wollen? Dabei hatte sie ihn doch heute erst kennen gelernt. Sie glaubte langsam zu begreifen, warum es so wenige Mädchen in diesem Club gab. „Nimm dir das nicht so zu Herzen.“, hörte sie neben sich. Als sie sich umdrehte sah sie Dai, welcher nun umgezogen neben ihr stand: „Hime ist manchmal etwas merkwürdig, aber eigentlich ein gutes Mädchen. Und sie macht viel für den Club.“ „Warum nennt ihr sie alle Hime?“, fragte Mirâ irritiert. Wie eine Prinzessin führte sie sich nun wirklich nicht auf. Dai lachte: „Durch ihre europäischen Wurzeln sticht sie so extrem in unserer Klasse bzw. in dieser Schule hervor, dass alle irgendwann angefangen haben sie Hime zu nennen.“ „Hu?“ ,kam es nur langgezogen von Mirâ. Lächelnd schlug Dai ihr leicht auf die Schulter: „Ich bin schon gespannt wie du dich schlägst. Vergiss Mittwoch deine Ausrüstung nicht. Bis dann.“ Somit hatte sich auch ihr Senpai verabschiedet und war kurz darauf durch die Tür am anderen Ende des Ganges verschwunden. Etwas später war sie zusammen mit Akane und Hiroshi in einem Fast Food Restaurant gelandet und gönnte sich einen kleinen Snack. Sie unterhielten sich über ihre Clubs und Mirâ erzählte den beiden von der Begegnung mit Amy und wie diese ihr gedroht hatte. Die beiden Freunde sahen sich daraufhin nur kurz fragend an und rieten ihr dann, Amys Aussage einfach zu ignorieren. „Da fällt mir ein. Ich fände es besser wenn wir unseren Handynummern austauschen würden.“, fing Hiroshi an, „Nicht nur das wir uns so auch in der Freizeit mal verabreden können, wir können so auch wegen der Sache mit der Spiegelwelt in Kontakt bleiben.“ „Komm schon, du willst nur Mirâs Nummer haben und weißt nicht wie du es anders anstellen sollst.“, stichelte Akane mit einem Grinsen nach, worauf Hiroshi sofort rot anlief. „Nein! Also... Naja... Nein. Ich meine das wirklich so wie ich es gesagt habe.“, versuchte er sich heraus zu reden. Die beiden Mädchen konnten sich ein Lachen nicht verkneifen, woraufhin Hiroshi die beiden etwas verwirrt anstarrte, doch dann auch mit einstimmte. Daraufhin tauschten die drei gegenseitig ihre Nummern aus und vereinbarten sich nun immer zu kontaktieren, wenn sie etwas auffälliges fanden. „Ich wollte euch auch noch einmal danken.“, kam es plötzlich von Mirâ, wofür sie zwei ratlose Blicke erntete und selbst den Blick nach unten richtete, „Naja... Ihr wisst schon… in der Spiegelwelt.“ Ein Seufzer ließ sie aufblicken und zu Akane schauen: „Nun hör aber auf. Du hast UNS gerettet und nicht andersrum.“ Hiroshi nickte: „Chiyo hat recht. Und wenn du das mit dem Wecken meinst: Was hätten wir tun sollen? Dich sterben lassen? Wir sind Freunde und wir wollen nicht, dass dir etwas passiert.“ Akane nickte nur darauf. Erstaunt blickte das Mädchen mit den violetten Haaren ihre Freunde an. Sie hatte nie erhofft diesen Satz zu hören, zumal sich die drei ja erst seit einer Woche kannten. Doch es machte sie mehr als glücklich. Nun war sie froh, dass sie auf die Beiden eingegangen war. Sie waren für sie nicht nur Gefährten im Kampf gegen die Shadows, sondern auch gute Freunde. „Vielen Dank.“, bedankte sie sich noch einmal mit einem glücklichen Lächeln. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. „Du bist ich... Und ich bin du...“, hörte Mirâ plötzlich eine Stimme, „Du hast ein neues Band geschlossen... Es bringt dich näher an die Wahrheit... Du sollst gesegnet sein bei der Erschaffung von Personas der Narren Arcana...“ „Hu?“, fragend sah sich Mirâ um. „Was ist los?“, kam die Frage von Hiroshi. „Habt ihr das gehört?“, immer noch sah sie sich um, doch konnte nichts sehen. „Ähm... Nein?“, antwortete Akane, „Alles klar bei dir?“ „J-ja. Das war sicher nur Einbildung. Oder ich hab die anderen gehört.“, Lächelnd sah Mirâ ihre Freunde an und beließ es dabei. Wahrscheinlich hatte sie sich das nur eingebildet. Zu mindestens konnte sie sich nicht vorstellen von wo die Stimme hätte kommen sollen und vergaß das erst einmal wieder. Es hatte eh keinen Sinn sich darüber nun Gedanken zu machen. Später am Abend saß sie über ihren Hausaufgaben, als sie plötzlich eine Nachricht bekam. Etwas irritiert von wem denn um diese Uhrzeit noch eine Nachricht kam, öffnete sie diese und musste feststellen, dass Akane sie geschickt hatte. ‚Bist du mit den Hausaufgaben schon fertig? Ich blick da nicht durch. orz’, schrieb sie. ‚Was verstehst du denn nicht?’, schrieb Mirâ zurück. Es dauerte eine Weile bis eine Antwort kam, obwohl sie sehr kurz ausfiel: ‘alles... T__T’ Sie überlegte kurz wie sie ihrer Freundin helfen könnte und antwortete nach kurzer Zeit: ‘Ich kann versuchen dir morgen noch Mal zu erklären, was du nicht verstanden hast.’ ‘rly? Danke (\^o^/)’, kam daraufhin wieder zurück. Sie schrieben noch eine Weile über mehr oder weniger unwichtige Dinge, bis sie sich voneinander verabschiedeten. Gerade als Mirâ ihr Smartphone weglegen wollte fiel ihr auf, das oben rechts auf dem kleinen viereckigen Zeichen der Persona App ein kleines Ausrufezeichen stand. Etwas irritiert öffnete sie die App und sofort fiel ihr die Option „Social Links“ auf, welche plötzlich gelb unterlegt war. Als sie diese auswählte öffnete sich eine Seite auf welcher sich mehrere kleiner Fenster befanden. Auf genau 22 Stück kam sie, als sie diese durch gezählt hatte, allerdings waren alle noch schwarz unterlegt, mit Ausnahme des ersten Fensters. Auf diesem bildete sich so etwas wie eine Karte ab. Bei genaueren Betrachten sah sie sogar aus, wie die Rückseite der Tarrot-Karten, welche Igor verwendet hatte. Es war eine blaue Karte mit schwarzem Rand auf dessen Mitte sich ein Gesicht - eine Art Maske - abbildete. Diese war auf einer Seite schwarz und auf der anderen hellblau. Oben rechts an der Ecke der Karte war wieder das kleine Ausrufezeichen zu sehen und wollte ihr damit wohl sagen, dass es hier etwas Neues gibt. Mit leicht zittriger Hand berührte Mirâ die Karte. Sie wollte sehen was das zu bedeuten hatte. Als ihr Finger die Karte berührte, drehte sich diese um und ein neues Bild kam zum Vorschein. Dabei öffnete sich auch eine neue Seite, auf welcher sie die Karte nun richtig sehen konnte. Diese blieb blau, aber das Bild darauf war anders. Zu sehen war das Schattenbild eines Wanderers zu dessen Füßen ein Hund zu erkennen war. Unten in der Mitte der Karte war eine weiße 0 abgebildet. Als Mirâ die Seite etwas nach oben scrollte, erkannte sie darunter in weißer Schrift auf blau kariertem Hintergrund den Namen der Karte: Der Narr. Unter dem Namen war ein Balken zu sehen, welcher ein kleines Stück gefüllt war. In diesem Moment fiel ihr wieder die Stimme ein, welche sie am Nachmittag gehört hatte. Ob sie ein Anzeichen dafür war? Auch die letzte Begegnung mit Igor und Margaret kam ihr wieder in den Sinn. „Wenn du mit anderen Menschen in Kontakt trittst werden deine Social Links verstärkt“, hatte Igor zu ihr gesagt. Also war dies ihr erster Social Link. So viel stand fest. Doch mit wem der beiden hatte sie ihn geschlossen? Akane oder Hiroshi? Sie war doch mit beiden zusammen gewesen. Hatte sie ihn etwa mit beiden geschlossen? Warum aber gab es dann nur eine Arcana? Und was um alles in der Welt hatte dieser komische Balken zu bedeuten? Zu viele Fragen schwirrten ihr im Kopf. Es war einfach zum Verrücktwerden. Je mehr sie meinte zu verstehen, desto mehr kam dazu, was sie eben nicht verstand. „Uh...“, Mirâ schloss kurz die Augen und hielt sich den Kopf. Das war alles zu viel für sie. Murrend beendete sie das Persona Programm und schaltete das Display aus, ehe sie ihr Smartphone beiseitelegte. Warum musste ihr das alles passieren? Sie wollte doch einfach nur normal leben. Vorsichtig verschränkte sie ihre Arme auf den Tisch, legte ihren Kopf darauf und starrte ihr Handy vor sich an. Sie musste unbedingt versuchen herauszufinden was das alles zu bedeuten hatte und wenn das bedeutete ehemalige Persona User aufsuchen zu müssen. Kapitel 6: VI - Social Links ---------------------------- „Willkommen im Velvet Room.“, höre ich eine mir bekannte männliche Stimme sagen. Müde schlage ich die Augen auf und erschrecke. Wieder sitze ich im Velvet Room auf dem mir so bekannten Stuhl. Vor mir steht wieder der Tisch mit der blauen Tischdecke und dahinter grinst mich Igor an, doch er richtet dieses Mal nicht das Wort an mich. Dafür erhebt Margaret die Stimme, während sie das Buch auf ihrem Schoß aufschlägt: „Wie ich sehe hast du es bereits geschafft einen Social Links zu formen.“ Sie schlägt eine Seite auf, auf welcher ich die Narr Arcana sehe. „Die Narr Arcana sollte man nicht als unbedeutend ansehen. Sie ist die Nummer Null und die Leere, aus der alles beginnt.“, spricht die Frau mit dem blonden Haar ruhig, „Dieser Social Link ist einer von vielen und wird dir bei deiner Reise sehr nützlich werden.“ Ich möchte sie zu dem aktuellen Fall und zu allen Fragen, die mir im Kopf herumschwirren befragen, doch wieder bleibt mir jedes Wort im Halse stecken. Was war nur mit mir los, wenn ich diesen Raum betrat? Margaret lächelt: „Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie dein weiterer Weg aussehen wird. Bis dahin, Lebewohl.“ Mittwoch, 22.April 2015 „Hey Mirâ, lass uns zusammen Pause machen.“, rief Akane ihrer Freundin hinterher, als diese den Klassenraum verlassen wollte. Mit einem Ruck drehte sich Mirâ um und sah ihre Freundin leicht erschrocken an, doch lächelte dann: „Sicher. Wollen wir aufs Dach?“ „Klar!“, schnell schnappte sich das braunhaarige Mädchen die Lunchbox und lief zu ihrer Freundin hinüber. Zwei Tage waren mittlerweile vergangen, seit Mirâ den ersten Social Link geschlossen hatte. Viel war in der Zeit nicht passiert, alles verlief seit dem letzten Neumond sehr ruhig. Die letzten zwei Nächte hatte sie mehrmals in ihrem Spiegel geschaut, ob sich wieder ein solches Wesen zeigte, wie beim ersten Mal, doch es geschah nichts. Dies veranlasste sie dazu, das Tuch von ihrem Spiegel abzunehmen. Sie vermutete, dass die Shadows sie wegen ihrer Persona in Ruhe ließen und selbst wenn das nicht der Fall war, Angst vor den Wesen der Spiegelwelt brauchte sie keine mehr zu haben. Ihre Persona gab ihr irgendwie Sicherheit, auch wenn Mirâ das alles nicht wirklich verstand. Es war alles so irreal, als sei sie in einem Manga oder Sci-Fi Roman gelandet. Sie hatte im Gefühl, dass bald wieder etwas Furchtbares passieren würde und wusste, dass sich die drei darauf vorbereiten mussten, doch in diesem Moment war sie über die Stille ganz froh. Es gab ihr zu mindestens ein wenig das Gefühl ein normales Mädchen zu sein. „Mirâ? Mirâ! Hörst du mir überhaupt zu?“, meckerte Akane leicht verärgert. Erschrocken sah Mirâ zu ihrer Freundin und bemerkte, dass beide bereits das Dach erreicht hatten. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, wie sie die Treppen hinauf gestiegen waren. Es grenzte eigentlich an ein Wunder, dass sie dabei nicht gestürzt war. „Entschuldige Akane. Ich war in Gedanken versunken.“, entschuldigte sich Mirâ. Akane seufzte: „Das habe ich bemerkt. Was ist los? Ach warte, lass mich raten. Die ganze Sache mit der Spiegelwelt und den Personas. Oder?“ Ihre Freundin nickte: „Ja. Tut mir leid.“ „Hör auf dich zu entschuldigen. Mir geht es nicht anders.“, meinte Akane und setzte sich auf die niedrige Mauer, welche das Dach umgab, „Das ist alles so komisch. Ich weiß schon, dass du dir darüber Gedanken machst. Im Übrigen habe ich jetzt auch dieses komische Programm auf dem Handy. Allerdings sieht es anders aus, als deines.“ „Anders?“, neugierig setzte sich auch Mirâ und schaute ihrer Freundin über die Schulter, welche ihr Handy hervor holte. Kurz darauf hielt Akane Mirâ das Handy vor: „Sieh hier. Bei mir steht nur Status und Summoning Persona. Bei dir stand doch noch mehr.“ Mirâ betrachtete das Display von Akanes Handy und in der Tat fehlten dort die Optionen „Social Links“ und „Personas“. Was hatte das zu bedeuten? Sie erinnerte sich daran, dass Igor meinte ihre Kraft wäre etwas Besonderes. Doch so besonders fühlte sie sich nicht und viel Stärker als die Persona ihrer Freundin war Hemsut auch nicht. „Darf ich?“, fragte Mirâ, woraufhin Akane ihr das Smartphone reichte. Sie wählte die Option „Status“ aus und es öffnete sich das Fenster mit Akanes Persona. An sich sah es genau so aus, wie das ihrer Persona, doch unter der Anzeige welche Fähigkeit sie im nächsten Level erreichte, was in diesem Fall „Tarakuja“ wäre, standen noch mehrere kleine Kästchen mit Fragezeichen darauf. Sofort zückte sie ihr eigenes Handy und öffnete das Persona Programm um die beiden Statistiken zu vergleichen. Und tatsächlich, bei ihrer Persona gab es diese Kästchen nicht. Aber was hatten sie zu bedeuten? „Diese Kästchen sind mir auch schon aufgefallen. Vielleicht sind das noch versteckte Fähigkeiten.“, meinte Akane, während sie Mirâ beobachtete, „Zu mindestens kann ich mir nichts anderes vorstellen.“ „Das würde bedeuten deine Persona kann noch... 12 neue Fähigkeiten lernen? Aber es gibt doch nur 8 Kästchen für Fähigkeiten.“, meinte Mirâ, während sie Akane ihr Handy zurück gab und ihres wieder in die Tasche steckte, „Bei meiner stehen auch keine neuen Kästchen. Bedeutet wohl das Hemsut keine weiteren Fähigkeiten lernen kann.“ Aber wieso war dann gerade ihre Fähigkeit Personas zu rufen etwas Besonderes? Darauf konnte sie sich keinen Reim bilden. Ob es etwas mit der Option „Personas“ zu tun hatte, bei welcher immer noch fünf von sechs Spalten frei waren? „Bei Makoto sieht es genau so aus, wie bei mir. Wir haben gestern mal verglichen.“, erklärte Akane, während sie sich ein Reisbällchen in den Mund steckte. „Wo ist Makoto-Kun eigentlich?“, wollte Mirâ daraufhin wissen. Erst jetzt fiel ihr auf das es viel zu ruhig war. Wenn Hiroshi nicht dabei war gab es ja auch niemanden mit dem sich Akane streiten konnte. Da sie aber bisher immer mit den beiden zusammen war, war es für sie plötzlich merkwürdig dass einer der beiden fehlte. „Ich glaube er muss etwas für seinen Club erledigen.“, kam die Antwort eher desinteressiert. „Sag mal, kennt ihr euch eigentlich schon lange?“, kam eine weitere Frage von Mirâ, nachdem es eine Weile still zwischen den beiden Mädchen war. Akane lief leicht rot an: „Wie kommst du darauf, dass wir uns schon lange kennen?“ „Das ist nur so ein Gefühl. Ihr geht so vertraut miteinander um.“ „Hä? Wir streiten doch nur.“, meinte Akane mit einem leicht beleidigten Blick. Mirâ lachte: „Aber ihr streitet so, als würdet ihr euch nahe stehen.“ Plötzlich hustete Akane schwer, worauf hin Mirâ ihr leicht auf den Rücken klopfte. Anscheinend hatte sie sich bei der Aussage an ihrem Reisbällchen verschluckt. Es dauerte eine Weile bis Akane sich wieder beruhigt hatte, doch anstatt zu antworten schwieg sie noch eine Weile. Es schien als würde sie abwiegen, ob sie ihrer Freundin etwas darüber sagen sollte oder nicht. Mirâ jedoch wartete geduldig, bis Akane sich entschieden hatte. „Wir waren früher Nachbarn.“, fing sie an, „Zu Grundschulzeiten. Deshalb kennen wir uns eigentlich ganz gut. Wir haben immer zusammen gespielt. In der Mittelschule zog ich in ein anderes Stadtviertel und besuchte deshalb die Schule in einem anderen Bezirk, seitdem hatten wir eigentlich keinen Kontakt mehr. Selbst letztes Jahr hatten wir kaum ein Wort gewechselt.“ „Echt jetzt?“, fragte Mirâ leicht erstaunt. Als sie vor einer Woche auf die Schule kam, kam es ihr nicht so vor als hätten sie lange nicht miteinander gesprochen. Das braunhaarige Mädchen nickte: „Eigentlich haben wir erst wieder richtig geredet, als du in unsere Klasse gekommen bist. Aber das ist toll.“ Sie lächelte Mirâ freundlich an: „Ich bin froh dich getroffen zu haben. Die anderen Mädchen gehen mir oft aus dem Weg, weil ich nicht mädchenhaft genug bin. Ich steh halt auf Kampfkunst.“ „Dabei bist du ein sehr nettes Mädchen. Ich bin froh, dass du mich angesprochen hast und wir Freunde geworden sind.“, lachte Mirâ fröhlich. Erstaunt wurde sie von ihrer Freundin angeschaut, doch auch diese lächelte kurz darauf: „Vielen Dank, Mirâ. Du bist wirklich nett.“ Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâ aus, als sie diesen Satz hörte. Es erinnerte sie sehr an das Gefühl, welches sie zwei Tage zuvor hatte, als sie mit Akane und Hiroshi zusammen war und sich der „Narr“-Social Link gebildet hatte. Ein Blick auf ihr Smartphone bestätigte ihre Vermutung. Wieder war das kleine Ausrufezeichen auf der App zu sehen, ebenso wie in der Liste Ihrer Social Links. Um genau zu sein hatte das achte Feld in ihrer Liste das Ausrufezeichen. Als sie es berührte drehte sich die Karte wieder um und das Fenster mit der Arcana öffnete sich. Zu sehen war eine Karte auf welcher das Schattenbild eines Streitwagens abgebildet war. Die Farben der Karte waren in schwarz, grün und gelb gehalten. Der Name der Karte war „Der Streitwagen“ und dessen Nummer war die sieben. Unter der Karte und dem Namen war wieder ein leicht gefüllter Balken zu sehen, genau wie bei ihrer ersten Arcana. Was hatte dieser Balken nur zu bedeuten? „Hey, das ist doch die Arcana meiner Persona.“, erkannte Akane plötzlich, als sie ihrer Freundin über die Schulter blickte. Erstaunt drehte sich Mirâ um: „Wirklich?“ Akane nickte und zeigte ihr noch einmal den Status ihrer Persona, bei welchem auch in einer Spalte die Arcana stand. Es war wirklich dieselbe. Das bedeutete wohl, dass die Menschen mit denen sie in Kontakt trat und einen Social Link bilden konnte jeweils eine Arcana besaßen. Ob diese Personen auch alle in der Lage waren eine Persona zu rufen? Das würde sicher hilfreich sein, allerdings würde sie es eh erst erkennen, wenn eben diese Personen wirklich eine Persona riefen. Oder? Aber 22 Persona User waren doch etwas viel, fand sie. Sie überlegte noch eine Weile und entschloss sich dann dazu lieber am Abend ihr Buch endlich weiter zu lesen und so vielleicht etwas mehr zu erfahren. Nach einer Weile fiel ihr auch ein, dass Igor meinte, sie sei nun ein Gast im Velvet Room. Dort könnte sie auch versuchen Antworten zu finden. Nur wusste sie nicht, wie sie dorthin gelangte. Bisher war sie immer dort gelandet, wenn sie schlief. „Sag mal Akane, sagt dir der Velvet Room etwas?“, fragte sie plötzlich ohne weiter darüber nachzudenken. „Velvet Room?“, fragend sah Akane sie an, „Das hört sich irgendwie verrucht an. Oder? Aber nein, das sagt mir nichts.“ „Sicher? Auch nicht, nachdem du deine Persona erhalten hast?“, fragte Mirâ erneut, woraufhin Akane zwar kurz überlegte, dann aber den Kopf schüttelte. Wenn ihre Freundin davon nichts wusste, würde Hiroshi es sicher auch nicht wissen. Das hieß sie war die Einzige in ihrer Gruppe, die diesen Raum bisher betreten hatte. Vielleicht meinte Igor eben das mit Besonders. Aber was war besonders daran in einen Raum zu gelangen, wo man auch nur vage Antworten auf seine Fragen bekam? Gedanklich schüttelte Mirâ den Kopf um diesen wieder frei zu bekommen. Sie musste herausfinden wie sie von selbst in den Velvet Room gelang um dort Igor und Margaret aus zu fragen, auch wenn sie annahm, dass sie keine konkrete Antwort bekommen würde. Etwas später hastete Mirâ in ihrer Uniform der Kyûdô-AG durch die Schule. Sie hatte ihren Bogen und ihre Pfeile in der Klasse liegen lassen und hatte dies erst bemerkt, als sie bereits umgezogen war. Sie beeilte sich, denn als Neuling wollte sie nicht gleich am ersten Trainingstag zu spät kommen, doch in den Zori, den traditionellen japanischen Tatamisandalen, war das gar nicht so einfach. Jedes Mal musste sie aufpassen, dass sie entweder nicht einen ihrer Schuhe verlor oder nicht auf ihren Hakama trat. Doch aller Vorsicht zum Trotz musste es kommen wie es kam: Ein unvorsichtiger Schritt und Mirâ ging mit einem Aufschrei zu Boden. „Ittai.“, mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Mirâ die Knie auf welche sie gefallen war und blickte zurück. Ein kleines Stück entfernt lag ihre verlorene Sandale, über welche sie gestolpert war. „Das sah schmerzhaft aus. Ist alles in Ordnung?“, fragte eine männliche und ihr doch etwas bekannte Stimme. Als Mirâ aufblickte schaute sie in zwei klare braune Augen, welche sie leicht amüsiert, aber doch freundlich anschauten. Eine Hand wurde ihr zur Hilfe gereicht, welche sie dankend annahm und wieder auf die Beine gezogen wurde. Bei genaueren Betrachten bemerkte Mirâ, dass es sich um den jungen Mann handelte, der eine Woche zuvor die tuschelnden Mädchen aus der Parallelklasse zum Schweigen gebracht hatte. Der Pony seines schwarzen kurzen Haares wurde genau wie damals mit zwei silbernen Spangen davon abgehalten in sein Gesicht zu rutschen. Sie hätte ihn fast gar nicht erkennt, wo er nicht seine akkurate Schuluniform trug. Hier genau vor ihr trug er einen dunkelblauen Hakama, das weiße typische japanische Oberteil und genau wie sie Zori, die japanischen Tatamisandalen. Sie war so darauf fixiert ihn zu mustern, dass sie gar nicht merkte wie sie ihn anstarrte und dabei sogar vergaß ihm eine Antwort zu geben. „Alles in Ordnung? Oder soll ich dich ins Krankenzimmer bringen?“, fragte er noch mal in ruhigem und etwas besorgtem Ton. Nun bemerkte Mirâ wie sie ihn angestarrt hatte und lief augenblicklich leicht rot an, woraufhin sie den Blick etwas abwand: „Ah... Entschuldige. J- Ja mir geht es gut. War nur der Schock. Danke für deine Hilfe, um...“ „Masaru Shin. Ich bin im dritten Jahr.“, freundlich sah er Mirâ an, „Du bist Mirâ Shingetsu aus der zweiten. Hab ich recht?“ Mit weit aufgerissenen Augen sah Mirâ ihren gegenüber an. Woher wusste er wie sie hieß und wer sie war? War sie schon so bekannt? Aber sie hatte doch bisher nichts getan, was die Aufmerksamkeit der Schule hätte erwecken können. Sie war mehr als verwirrt und machte auch keinen Hehl daraus das zu zeigen. Masaru lachte: „Schau nicht so erstaunt. Ich gehöre zur Schülervertretung und weiß deshalb wer du bist. Wir wissen immer wer neu an unsere Schule wechselt.“ Sichtbar fiel Mirâ ein Stein vom Herzen. Das die Schülervertretung wusste wer neu war, kannte sie noch aus ihrer letzten Schule. Zwar gab es auch Schulen, zumeist Staatliche, wo das nicht so war, aber an Privatschulen, wie dieser, war das gar nicht so unüblich. „A- ach so.“, sagte sie immer noch etwas verwirrt. Freundlich lächelte ihr Senpai sie an und setzte sich langsam wieder in Bewegung: „Pass das nächste Mal einfach etwas besser auf und renne nicht in den Zori.“, damit war Masaru an ihr vorbei und winkte ihr noch einmal zu bevor er in einem der Turnhallen verschwunden war. Etwas ratlos sah Mirâ ihm noch nach, ehe sie sich wieder ihre Sandale anzog, welche immer noch auf dem Boden lag und dann ebenfalls zu ihrem Club ging. Als Mirâ am Abend dann zu Hause auf ihrem Futon saß und versuchte das Buch von Maya Amano weiter zu lesen, kam ihr die Begegnung mit Masaru noch einmal in den Sinn. Obwohl er doch ziemlich amüsiert über ihren Sturz war und daraus kein Geheimnis machte, war er trotzdem freundlich geblieben und hatte ihr sogar wieder auf die Beine geholfen. Sie merkte wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, als sie an ihren Senpai denken musste. Schnell schüttelte sie den Kopf. Für so etwas hatte sie doch jetzt gar keine Zeit. Sie musste versuchen etwas über diese Spiegelwelt und die Personas herauszufinden und richtete ihren Blick wieder auf die schwarze Schrift vor sich. „Welchen Kurs er wohl belegt hatte?“ kam ihr plötzlich in den Kopf, „Er trug zwar auch einen Hakama, aber nicht die Ausrüstung für Kyûdô.“ Welche Clubs gab es denn noch, in welchen man Hakamas trug? Kendo oder Aikaido fielen ihr auf Anhieb ein. Sie hätte schauen sollen, nachdem er in der Turnhalle verschwunden war. „Was denke ich da bloß?“, verzweifelt raufte sie sich die Haare. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Es war wie verhext, doch als es auch nach einigen weiteren Versuchen nicht geklappt hatte, klappte sie das Buch zusammen und legte es beiseite. Murrend legte sich Mirâ auf ihren Futon und versuchte ihre Gedanken wieder zu ordnen. Sonntag, 26.April 2015 Seufzend stand Mirâ vor dem Bahnhof und sah auf ihre Armbanduhr, welche sich um ihr linkes Handgelenk schmiegte. Heute war sie mit ihren beiden Freunden verabredet. Beide hatten ihr angeboten mit ihr einen kleinen Stadtbummel zu machen und ihr dabei gleich die Stadt richtig zu zeigen. Bisher kannte sie ja nur ein wenig das Viertel in dem sie wohnte, den Weg zur Schule und den Platz vor dem Einkaufszentrum. Sie hatte sich riesig darüber gefreut, als ihre Freunde ihr dieses Unterfangen anboten. Doch nun stand sie alleine vor dem Hauptbahnhof und mal wieder waren die Beiden zu spät. Etwas gelangweilt sah sie sich auf dem Bahnhofsvorplatz um. Genau vor ihr war der eben genannte Platz, in dessen Mitte sich eine kleine Grünfläche befand. Diese war verziert mit Blumenbeeten, welche um einen Baum herum gepflanzt waren. Dieser Baum stand genau in der Mitte der Grünfläche und spendete damit diesem Platz etwas Schatten. Rund um die Fläche standen vereinzelte Bänke, auf denen es sich einige Leute und auch einige Paare gemütlich gemacht hatten. Sowohl zu ihrer Rechten als auch zu ihrer Linken erstreckten sich ein paar Geschäfte, über welchen die Gleise verliefen. Die Geschäfte waren nur klein. Sie schienen außer Lebensmittel und Blumen auch nichts anderes anzubieten. Im Bahnhofsgebäude gab es noch ein paar größere Geschäfte, wie Mirâ gesehen hatte, aber diese interessierten sie gerade nicht. Etwas weiter von dem Platz entfernt verlief eine große Hauptstraße, welche um diese Zeit gut befahren war. Erneut seufzte sie, als sie eine Hand auf ihrer Schulter fühlte. Sie drehte sich um und erblickte Akane, welche sogleich ihre Hände zusammen schlug und entschuldigend zu Mirâ blickte: „Entschuldige bitte. Ich konnte mich nicht für ein Outfit entscheiden und plötzlich war es so spät. Dadurch hab ich die U-Bahn verpasst und musste die nächste nehmen.“ „Kein Problem. Ist schon in Ordnung.“, meinte Mirâ und musterte ihre Freundin. Diese trug wieder die Sportjacke der Schule, dieses Mal allerdings offen und darunter ein anliegendes weißes Top. Dazu trug sie eine schwarze kurze Hose und darunter eine weiße dreiviertel lange Leggings. Obwohl es ziemlich sportlich war, war es doch für Akane recht elegant. Diese blickte sich um: „Ist Makoto noch nicht da?“ Mirâ schüttelte den Kopf: „Nein.“ Mit einem beleidigten Blick verschränkte das braunhaarige Mädchen ihre Arme vor der Brust: „So was unzuverlässiges.“ „Fass dir erst mal an die eigene Nase. Du bist auch zu spät gekommen.“, sagte eine männliche Stimme, worauf sich beide Mädchen umdrehten und Hiroshi sahen. Er trug ein dunkelblaues offenes, kurzärmliges Hemd und darunter ein weißes Shirt, auf welches ein schwarzes Ornament gedruckt war. Dazu hatte er eine einfache dunkle Jeans an und normale Turnschuhe. „Aber ich hatte einen Grund.“, sagte Akane immer noch leicht beleidigten. „Ich auch.“, meinte Hiroshi erstaunlich ruhig und hielt den beiden jungen Frauen jeweils eine Packung Eis am Stiel vor, „Hier. Geht auf mich. Das ist das beste Eis hier in der Gegend, deshalb wollte ich, dass Shingetsu es mal probiert. Aber die Schlange in dem Laden war so extrem lang, deshalb hat es gedauert.“ Erstaunt griffen beide Mädchen nach dem Eis und packten es schweigend aus. Zum Vorschein kam ein Milchreis am Stiel, dessen Spitze mit Schokolade und ein paar Streuseln bedeckt war. Es sah wirklich lecker aus und als Mirâ vorsichtig hinein biss, machte das Eis seinem Aussehen alle Ehre. Es schmeckte wirklich lecker. Nicht zu süß und trotzdem intensiv nach Vanille und Schokolade. „Es ist wirklich sehr lecker. Vielen Dank Makoto-Kun.“, lächelte Mirâ ihren Kumpel glücklich an und genoss weiter ihr Eis. Hiroshi lief wieder leicht rot an und wandte den Blick etwas ab. Verlegen biss er ebenfalls in sein Eis: „Kein Problem. Es freut mich, wenn es euch schmeckt.“ „Da hast du dich ja noch mal aus der Affäre gezogen. Aber trotzdem danke für das Eis. Es ist wirklich lecker.“, sagte auch Akane, während sie ihr Eis genoss. „Na wenigstens schmeckt es dir.“, meinte Hiroshi ruhig, aber mit einem leichten sarkastischen Unterton, welchen Akane zwar zu bemerken schien, es aber ignorierte. „Wollen wir dann los?“, fragte Mirâ um die Stimmung wieder zu heben, „Ich bin schon ganz gespannt.“ Hiroshi nickte: „Dann los. Willkommen auf deiner privaten Stadtführung.“ Somit machte sich die kleine Gruppe auf den Weg in die Innenstadt. Vorbei an Geschäften, dessen Schaufenster voll mit Puppen und der neusten Mode waren, ging es die Einkaufsstraße entlang. Auch ein Junes war in dieser Stadt zu finden. Junes war ein großes Geschäft in welchem man eigentlich alles von Klamotten, über Lebensmittel bis hin zu elektronischen Geräten bekam. Viele Inhaber von kleinen Geschäften schimpften über Junes, denn eben dieses machte ihnen das Geschäft kaputt. Allerdings schien es hier bisher ganz gut im Einklang zu funktionieren. Kaum Geschäfte waren geschlossen oder schienen kurz davor zu sein. Auf ihrer Tour durch die Innenstadt besuchten sie einige Klamottenläden, auch solche, wo sie sich die Sachen gar nicht leisten konnten. Aber sie wollten wenigstens schauen, was es dort so gab. Ab und an machten sie auch an Ständen oder Geschäften halt, an welchen es Essen oder Süßigkeiten gab und natürlich machten sie auch einen Stopp in der Spielhalle. Alles in allem war es ein schöner und ausgelassener Tag, an welchem sie sehr viel lachten und ihre Sorgen einfach vergaßen. Lachend lief Mirâ ein wenig vorne weg: „Das war wirklich ein toller Tag. Lasst uns das mal wiederholen.“ „Wir sind doch noch gar nicht fertig.“, lachte Akane und hakte sich bei Mirâ ein. „Genau. Jetzt kommt noch ein wenig Kultur.“, sagte Hiroshi, während sie langsam sie Einkaufsstraße verließen. „Kultur?“, fragte Mirâ und sah nach einer Weile vor sich einen Tempel, welcher auf einer kleinen Anhöhe stand. Akane zeigte nach oben auf das rote traditionelle Gebäude mit dem schwarzen hervorstehenden Dach: „Das dort ist der Shinzaro Schrein. Dort kann man Talismane für die Liebe und so kaufen, ein Ema beschriften und natürlich beten.“ Erstaunt blickte Mirâ auf den Tempel vor sich, während sie die Treppen hierauf stiegen. Es war selten einen Tempel mitten in der Stadt zu finden. Meistens lagen sie etwas außerhalb der Stadt. Kurze Zeit später waren sie auf dem Tempelgelände angekommen, woraufhin sich Mirâ umsah. Genau vor ihr war der Schrein, an welchem man für ein paar Yen für sein Glück beten konnte. Links daneben verlief ein Weg zum Haupttempel. Ein Holzschild zeigte den Besuchern an, dass man dort Ema und Glücksbringer kaufen konnte. Ema waren kleine einseitig bedruckte Holztafeln, auf welche man seine Wünsche schreiben konnte. Zur Rechten des Schreins war die Tafel, an welche die kleinen Ema abgebracht wurden. Von der Treppe bis zum Schrein führte ein gepflasterter Weg, an welchem zu beiden Seiten kleine Bäume standen. Hinter den Bäumen erkannte man mit Gras bedeckte Freiflächen, welche regelrecht dazu einluden eine Decke auszubreiten und darauf ein Picknick zu machen. „Lasst uns beten, das wir dieses merkwürdige Abenteuer gut überstehen.“, meinte Hiroshi, während er auf den Schrein zuging. „Aber sollte man nicht besser für andere beten, als für sich?“, kam es amüsiert von Mirâ. Doch Akane stimmte dieses Mal Hiroshi zu: „Es kann auch nicht schaden für sein eigenes Glück zu beten.“ Da hatte sie nicht ganz unrecht. Ihr Abenteuer war wirklich gefährlich und sie konnten schnell verletzt werden, wenn sie nicht aufpassten. Vielleicht wäre es auch nicht ganz falsch etwas zu trainieren. Zwar wollte sie ungern wieder in diese Welt, doch nur zu warten bis etwas passierte brachte auch nichts. Sie sollte bei Gelegenheit mal mit den Beiden darüber sprechen. Doch in diesem Moment wollte sie erst einmal den restlichen Tag genießen. Gemeinsam mit ihren beiden Freunden betete sie für ihre Sicherheit in ihrem Abenteuer und nachdem sie ein paar Yen in den Schrein geworfen hatten sahen sich die Drei noch etwas um. Langsam schlenderten sie den Weg zum Haupttempel entlang. Hinter dem Schrein kam ein großer Innenhof zum Vorschein, welcher teilweise gepflastert war. An einigen Stellen bestand er aber noch aus dem alten Lehmboden. Rund um den Platz führte der Haupttempel, von welchem man aber nur die Außenterrasse, welche das Gebäude umgab, und die geschlossenen Holztüren sah. Anscheinend war bereits geschlossen. Die kleine Gruppe wollte sich gerade zum Gehen abwenden, als Mirâ eine männliche Stimme vernahm: „Hallo Shingetsu-San. Welch ein Zufall.“ Mirâ kannte diese Stimme nur zu gut und hier hatte sie sie am wenigsten erwartet. Schnell drehte sie sich um und erkannte Masaru, welcher in einem schwarzen Hakama und weißen Oberteil lächelnd vor ihr stand. „Shin-Senpai. Gu- Guten Tag.“, kam sie nur knapp heraus, „W- was machst du hier?“ Masaru lachte, genau wie bei ihrem ersten Treffen in der Schule: „Ich wohne hier. Meiner Familie gehört dieser Tempel seit Generationen.“ „Ach stimmt ja. Ich hatte mal gehört, dass jemand aus unserer Schule in dem Tempel wohnt.“, bemerkte Hiroshi, „Also war es Shin-Senpai.“ Wieder lachte Masaru. Es war ein amüsiertes Lachen, aber nicht beleidigend. Man merkte sofort, dass es kein aufgesetztes Lachen war, sondern ehrlich. „Das sich so etwas herum spricht.“, meinte Masaru, „Kann ich etwas für euch tun? Der Laden hat bereits geschlossen, weil heute nicht so viele Besucher da waren. Aber wenn ihr wollt, dann hole ich euch noch Glücksbringer oder ein Ema.“ „Das ist sehr freundlich von dir, Senpai. Aber du brauchst dir nicht extra die Mühe zu machen.“, sagte Akane freundlich. „Nicht? Schade. Dann ein anderes mal.“, kam es freundlich von dem schwarzhaarigen Jungen. „Aber das deine Familie diesen Tempel bewirtschaftet ist wirklich großartig. Du wirst sicher später einmal den Tempel übernehmen. Hab ich recht?“, fragte Mirâ ohne weiter darüber nachzudenken. Plötzlich änderte sich Masarus Blick. Erst schaute er sehr erstaunt, doch dann verdunkelte sich sein Blick kurz, ehe er die Gruppe mit einem offensichtlich aufgesetzten Lächeln anschaute und antwortete: „J- Ja. Höchstwahrscheinlich. So ist es jedenfalls vorgesehen.“ Mirâ fiel dieser Blick auf, weshalb sich auch ihr Blick veränderte und sie Masaru mit leichten Schuldgefühlen anblickte. Es schien, als würde Masaru etwas stören. Ob er vielleicht diesen Tempel gar nicht übernehmen wollte? Aber ihm schien die Arbeit hier doch Spaß zu machen. Oder irrte sie sich da? Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet, denn im nächsten Moment war er wieder genau so fröhlich wie vorher. „Ich muss dann erst mal wieder in den Tempel. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“, damit drehte sich Masaru um und ging wieder zurück in den Tempel. „Fandet ihr nicht auch, dass Senpai etwas traurig wirkte.“, fragte sie nachdem Masaru gegangen war. „Fandest du? Ich fand das nicht. Er war eigentlich so wie immer.“, antwortete Hiroshi und auch Akane schien der verbitterte Blick von ihrem Senpai nicht aufgefallen zu sein. Hatte sie sich das wirklich nur eingebildet? Aber sie war sich sicher, dass Masaru merkwürdig reagiert hatte, als sie meinte er würde den Tempel irgendwann übernehmen. Noch einmal schaute sie in die Richtung in welche ihr Senpai verschwunden war, doch dort sah sie niemanden mehr. So drehte sie sich wieder zu ihren Freunden und verließ mit ihnen das Gelände. Sie waren gerade die letzte Stufe des Tempels hinab gestiegen, als Akanes Handy klingelte. Sie murrte kurz und fragte sich, wer denn jetzt wohl anrufen würde, doch als sie auf ihr Display schaute ging sie sofort und ohne meckern ran. „Was gibt es?“, fragte sie und schrak auf, „Was? Ja ich verstehe. Kein Problem. Ich beeil mich. Bis gleich.“ Seufzend legte sie auf und verbeugte sich dann entschuldigend vor ihren Freunden: „Entschuldigt. Ich muss jetzt gleich nach Hause. Es gab ein kleines Problem, bei dem ich helfen muss.“ Erstaunt sahen die beiden sie an, doch meinten, dass es in Ordnung sei, woraufhin sich Akane noch einmal verbeugte, entschuldigte und sich dann in schnellen Schritten auf den Heimweg machte. Nun war sie also mit Hiroshi alleine. Es war merkwürdig für sie. Sie war noch nie mit einem Jungen alleine, außer in der Schule. Aber das war ja was anderes. Oder? Irgendwie könnte man das doch wie ein Date sehen. Sie lief leicht rot an, als sie daran dachte, doch schüttelte den Kopf. Das war doch kein Date. Immerhin war Hiroshi ein guter Freund und nicht irgendein Junge. Ein Seufzen holte sie aus ihren Gedanken: „Hm... Was machen wir jetzt? Wollen wir vielleicht noch einen Kaffee trinken, bevor wir uns auf den Heimweg machen? Hier gibt es auch ein nettes Café.“ „Ähm gerne.“, kam es leise von Mirâ, woraufhin sich beide auf den Weg machten. Eine unangenehme Stille legte sich zwischen die beiden. Keiner von beiden wusste so recht was er eigentlich sagen oder wie er ein Gespräch anfangen sollte. Etwas später saßen beide in dem kleinen Café, welches sich ganz in der Nähe des Bahnhofes befand. Immer noch schwiegen beide vor sich hin, bis Hiroshi diese Stille brach: „Tut mir leid, alleine bin ich kein so guter Unterhalter. Ich war noch nie wirklich mit einem Mädchen alleine.“ Erstaunt blickte Mirâ ihren Kumpel an und fing unwillkürlich an zu kichern. Hiroshi ging es also genau wie ihr, dabei hatte sie gedacht, er wäre schon mit einigen Mädchen aus gewesen. Zugetraut hätte sie ihm das jedenfalls, aber dass er eigentlich total schüchtern war, hätte sie nicht gedacht. „Was ist so witzig?“, fragte der blonde junge Mann, welchem die Röte ins Gesicht stieg. Mirâ schüttelte den Kopf: „Nichts. Ich bin nur erstaunt wie schüchtern du bist. Ich hätte dir mehr Selbstvertrauen zugetraut. Aber... Mir geht es nicht anders. Ich war auch noch nie wirklich mit einem Jungen alleine. Lass uns den Nachmittag doch einfach fröhlich ausklingen.“ Auch ihr Gegenüber sah sie kurz erstaunt an und nickte dann zustimmend. Das Eis zwischen ihnen schien gebrochen. Während ihrer Unterhaltung kamen sie auch auf Akane zu sprechen. Mirâ fand es schade, dass sie so zeitig gehen musste, doch Hiroshi erklärte ihr, dass die Eltern ihrer Freundin eine Tierarztpraxis leiteten und sie deshalb oft aushelfen musste wenn es eng wurde. Etwas erstaunt war sie über diese Information schon und ihr fiel auf, wie wenig sie eigentlich von ihren Freunden wusste. Allerdings lebte sie aber auch erst ein paar Tage in der Stadt und hatte immer noch genügend Zeit um ihre Freunde besser kennen zu lernen. Das hoffte sie jedenfalls, denn sie wusste nie, wann ihre Mutter wo anders gebraucht wurde. Hiroshi schien zu bemerken, dass Mirâ das Thema beschäftigte: „Hat sie dir das noch gar nicht erzählt?“ Mirâ schüttelte den Kopf. „Nimm es nicht so schwer. Sie hat es sicher nur vergessen.“, meinte der blondhaarige junge Mann mit einem Lächeln, „Sie vergisst gerne mal Dinge. So war sie früher schon.“ Die junge Frau lächelte nun ebenfalls, als sie den Gesichtsausdruck ihres Kumpels sah. Man merkte sofort, dass ihm etwas an der Freundschaft zu Akane lag. Doch warum hatten sie dann so lange keinen Kontakt mehr? „Weißt du, Chiyo und ich kennen uns schon seit der Grundschule.“, fing Hiroshi plötzlich an und erzählte ihr dann genau wie Akane, dass sie sich aus den Augen verloren hatten, nachdem diese umgezogen war. Er erzählte ihr auch, dass er sich gefreut hatte, als er und Akane auf die gleiche Oberschule gingen. Allerdings hatte er sich nicht getraut sie noch einmal anzusprechen, weil er nicht wollte, dass irgendwelche dummen Gerüchte aufkamen. „Das war also der Grund gewesen.“, dachte sich Mirâ. Hiroshi lächelte: „Dank dir kann ich wieder mit ihr sprechen, auch wenn wir uns ständig in die Haare bekommen. Das geht dir sicher manchmal tierisch auf den Nerv.“ Die Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein gar nicht. Ich finde es toll, wie ihr so ungezwungen miteinander umgehen könnt. Und ich bin froh, wenn ich euch dabei helfen konnte, Makoto-Kun.“ „Hiroshi.“, kam es plötzlich von dem jungen Mann ihr gegenüber, „Nenn mich einfach Hiroshi. Wir sind doch Freunde.“ Etwas erstaunt sah Mirâ ihren Kumpel an. Es war ein großer Vertrauensbeweis, wenn man sich mit Vornamen ansprechen konnte. Sie lächelte: „Ok Hiroshi-Kun. Dafür kannst du mich Mirâ nennen.“ „Das freut mich Mirâ.“, lächelte auch Hiroshi. Ein warmes Gefühl breitete sich wieder in ihrem Inneren aus. Genau wie letztens bei dem Gespräch mit Akane, jedoch ließ sie sich erst einmal nichts anmerken. So verbrachte sie noch den restlichen Nachmittag mit Hiroshi, welcher sie zum Schluss noch ein Stück begleitete ehe sich die beiden trennten und nach Hause gingen. Erst als sie zu Hause war wagte Mirâ noch einen Blick auf ihre Persona App. Dabei bestätigte sich ihre Vermutung. Auch mit Hiroshi hatte sie einen Social Link geschaffen: die „Sonnen“-Arcana. Irgendwie passte diese Arcana zu ihm. Er sah zwar nach außen nicht sehr zuverlässig aus, doch war eine warmherzige Person, die sofort merkte, wenn man Probleme hatte. Seufzend schaltete Mirâ ihr Handy aus und blickte an die Decke. Die beiden waren wirklich gute Freunde und sie war froh, dass sie beide kennen gelernt hatte. Sie hoffte nur, dass diese Verbindung auch blieb, wenn sie das Rätsel um das Spiegelspiel aufgedeckt hatten. Kapitel 7: VII - Das kleine Mädchen ----------------------------------- Ich öffne meine Augen und schaue auf die blaue Tischdecke vor mir. Eine sanfte Melodie kommt mir zu Ohren. Spielt diese Melodie schon immer in diesem Raum? „Willkommen im Velvet Room.“, begrüßt mich die Stimme Igors. Als ich aufblicke schaue ich wie immer in sein breit grinsendes Gesicht. Ob es etwas Wichtiges gab? „Ich bin erstaunt und erfreut zugleich.“ , höre ich Margarets Stimme rechts von mir. Mein Blick richtet sich auf sie und ich sehe, wie sie eine Seite ihres dicken Buches aufschlägt. Ein Blick auf die Seiten verrät mir, dass es sich um die Seiten meiner neuen Social Links handelt. „Du hast neue Social Links gesammelt.“, erklingt ihre ruhige Stimme, „Der „Streitwagen“ und die „Sonne“. Zwei starke Bindungen, die dich auf deiner weiteren Reise unterstützen werden.“ „Wie können mir diese Social Links denn helfen?“, entkommt es mir plötzlich, worauf ich aufschrecke. Habe ich gerade wirklich eine Frage gestellt? Sonst blieb mir immer jedes Wort im Halse stecken, doch heute funktioniert es plötzlich. Erstaunt blicke ich die beiden mit großen Augen an, doch Igors Grinsen wird nur noch größer. Aus ihm wird wohl keine Antwort heraus zu bekommen sein. Fragend blicke ich zu Margaret. Diese lächelt mich nur freundlich an: „Diese Frage wird sich dir bald eröffnen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Doch bis dahin begnüge dich bitte damit, dass sie dich unterstützen werden.“ Nun erhebt auch Igor wieder seine Stimme: „Bis dahin. Lebewohl.“ Montag, 27.April 2015 Gähnend saß Mirâ im Unterricht und blickte müde zu ihrer Lehrerin Mrs. Masa, welche gerade etwas über deutsche Literatur erzählte. So wie ihr erging es vielen in ihrer Klasse. Ein Blick zu ihrer Linken verriet ihr, dass sogar Hiroshi den Unterricht einschläfernd fand. Er hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und sein Buch so aufgestellt, dass es nicht so auffiel. Das wünschte er sich wahrscheinlich jedenfalls, denn so ganz unbemerkt blieb es nicht. Es gab einige Schülerinnen, welche kurz zu ihm schielten und dann kicherte. Mirâ seufzte. Hauptsache er bekam deshalb keinen Ärger, aber sie konnte ihn verstehen. Sie wollte auch am liebsten schlafen. Ihre Augenlider waren so schwer, doch sie versuchte gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Um nicht wirklich einzuschlafen dachte sie noch einmal über das Gespräch mit Margaret nach, wenn man es denn überhaupt so nennen konnte. Sie hatte ihr einiges über ihre bereits gesammelten Social Links erzählt und das diese ihr noch nützlich sein würden, aber Antworten auf Ihre Fragen hatte sie nicht bekommen. Noch mal seufzte sie. Es brachte wohl erst mal nichts, sich darüber Gedanken zu machen. Wichtiger war es etwas zu trainieren. Zum nächsten Neumond würde sicher wieder etwas passieren und da mussten sie dieses Mal vorbereitet sein. In diesem Moment entschied sie, in der Pause mit ihren beiden Freunden darüber zu reden. „Hey Makoto! Aufwachen!“, hörte Mirâ plötzlich neben sich. Als sie aufblickte sah sie ihre Lehrerin an Hiroshis Tisch stehen. Mit einem bösen Blick hob sie das aufgestellte Heft nach oben und haute es leicht auf den Hinterkopf des jungen Mannes. Dieser schrak auf und fiel fast noch mit seinem Stuhl um. Er brauchte einige Sekunden, um überhaupt zu verstehen was gerade passiert war, ehe er Mrs. Masa mit großen Augen anschaute. „Also Makoto. Wenn du so viel Zeit hast in meinem Unterricht zu schlafen. Dann kannst du mir sicher sagen, von wem das deutsche Gedicht „Der Zauberlehrling“ stammt.“, sagte seine Lehrerin streng. Hilfe suchend sah Makoto zu Mirâ und Akane, doch da Mrs. Masa genau vor ihnen stand, konnten sie nichts sagen, selbst wenn diese ihnen den Rücken zu drehte. Vorsichtig schrieb Mirâ etwas auf ein Stück Papier und hob es leicht, sodass Hiroshi es lesen konnte. Dieser versuchte sich immer noch heraus zu reden, ehe er bemerkte, dass Mirâ etwas geschrieben hatte. Er brauchte eine Weile bis er es richtig lesen konnte, doch sagte dann: „Ähm Johan Wolfgang von Goethe?“ In diesem Moment drehte sich Mrs. Masa zu Mirâ um, welche schnell das Stück Papier in ihren Händen versteckte. Misstrauisch schaute ihre Lehrerin sie an, ehe sie sich umdrehte und wieder zur Tafel vor lief: „Nochmal gerettet Makoto. Aber pass lieber auf, dann muss dir Shingetsu nicht wieder aus der Patsche helfen.“ Sofort ging schallendes Gelächter durch die Klasse, woraufhin die beiden Erwähnten rot anliefen. Ihre Lehrerin hatte es also doch mitbekommen. So leicht ließ sie sich also nicht veralbern. „Beruhigt euch wieder. Machen wir mit dem Unterricht weiter.“, sagte Mrs. Masa und machte mit ihrem aktuellen Thema „Deutsche Gedichte und Dichter“ weiter. Noch einmal sah Mirâ kurz zu Hiroshi, welcher eine Dankend Bewegung machte und dann versuchte zu mindestens so auszusehen, als würde er dem Unterricht folgen. Auch ihr Blick schweifte wieder nach vorn, doch ihre Gedanken drifteten wieder ab. „Danke noch mal für vorhin, Mirâ. Ich glaube, ohne dich hätte ich mir eine ewig lange Predigt anhören müssen.“, bedankte sich Hiroshi, während die kleine Gruppe das Dach betrat. Mittlerweile war das Dach zu ihrem Stammplatz in der Pause geworden. Mirâ lachte: „Kein Problem. Aber nächstes Mal solltest du wirklich besser aufpassen, Hiroshi-Kun.“ Erstaunt blickte sich Akane zwischen den beiden um: „Hey was ist am Wochenende passiert, nachdem ich weg war?“ „Wie meinst du das? Was soll passiert sein?“, fragte Hiroshi, während er sich auf die Mauer fallen ließ. „Seit wann nennt ihr euch beim Vornamen?“, kam die nächste Frage nach. „Seit gestern.“, kam es nur ruhig von Hiroshi. „Eh?“, Akane schien wirklich schockiert darüber, „Aber...“ „Warum ruft ihr euch nicht auch beim Vornamen?“, fragte Mirâ ruhig, „Ich meine ihr kennt euch schon so lange. Da ist das doch kein Problem.“ Kurz sahen sich Akane und Hiroshi an, doch zuckten dann beide gleichzeitig mit den Schultern. Ob das nun eine Zustimmung war oder nicht, konnte Mirâ nicht sagen, aber das würde sich sicher noch zeigen. Doch nun wollte sie mit ihren Freunden ein anderes Thema besprechen: „Hört mal. Ich wollte mit euch etwas bereden. Auch wenn mir der Gedanke selber nicht gefällt, aber wir sollten vielleicht ab und an in die Spiegelwelt gehen um zu trainieren.“ Die Aufmerksamkeit der Beiden war ihr nun voll und ganz sicher. Sowohl Akane, als auch Hiroshi sahen sie mit großen Augen an, als hätte sie gerade einen schlechten Scherz gemacht. „Ich weiß das klingt verrückt, aber ich bin mir sicher, dass zum nächsten Neumond wieder so ein Shadow auftauchen wird. Aber dieses Mal möchte ich vorbereitet sein.“, erklärte Mirâ ihren Standpunkt, „Aber ich kann euch nicht böse sein, wenn ihr das für eine dumme Idee haltet.“ „Das ist vielleicht verrückt, aber keine dumme Idee.“, meinte Hiroshi, woraufhin Akane nickte. „Wir hatten die Überlegung auch schon, aber da du das letzte Mal so etwas Schlimmes erlebt hast, dachten wir, dass wir die Idee erst einmal für uns behalten sollten.“, sagte ihre Freundin mit leicht verlegenem Lächeln. Erstaunt sah Mirâ ihre Freunde an: „Ihr hattet also die gleiche Idee?“ Mit selbstsicherem Blick nickten die Beiden ihrer Freundin zu, woraufhin ihr ein Stein vom Herzen fiel. Sie hatte schon Angst, ihre Freunde würden sie für völlig verrückt erklären und sie hätte es ihnen nicht einmal übel genommen. Doch nun wusste sie, dass sie wirklich die volle Unterstützung der Beiden hatte. „Diesen Shadows werden wir zeigen, wo der Hammer hängt.“, kam es siegessicher bin Akane, „Den werden wir mal so richtig den Arsch versohlen.“ Mirâ nickte und so vereinbarten die drei bei nächster Gelegenheit noch einmal in die Spiegelwelt zu gehen um zu trainieren. Als der erste Gong der Pausenglocke erklang machte sich die kleine Gruppe auf den Weg zurück ins Treppenhaus. Doch gerade als Mirâ als letzte durch die Tür gehen wollte fiel ihr etwas auf den Kopf. „Au!“, entkam es ihr und blickte, sich den Kopf reibend, auf den Boden, wo ein blauer Schulhausschuh lag, „Hu?“ Sie blickte nach oben und erkannte ein paar Füße, von denen einem der Schuh fehlte. „Mirâ was ist?“, kam es fragend von Akane. „Ni- Nichts. Geht schon mal vor, ich komme gleich nach.“, antwortete Mirâ und ging zurück auf das Dach, während ihre Freunde sich auf den Rückweg zum Klassenraum machten. Fragend blickte Mirâ auf das kleine Häuschen, welches der Ausgang des Treppenhauses und dadurch etwas höher war, als das Schuldach. Sie schnappte sich den herunter gefallenen Schuh und stieg vorsichtig die Leiter des Häuschens hinauf. Auf der Anhöhe angekommen sah sie einen jungen Mann mit dunkelblauem Haar auf dem Boden liegen, welcher die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte und gen Himmel starrte. „Ähm Entschuldigung.“, sagte Mirâ, doch der junge Mann reagierte gar nicht, worauf sie lautet wurde, „Hallo?!“ Plötzlich rührte sich der Junge und setzte sich murrend und Augen reibend auf. Nun erkannte sie auch, weshalb er sie nicht gehört hatte. Seine Ohren waren von großen Kopfhörern verdeckt, aus welchen leise Musik zu ihr herüber drang. Er musste ziemlich laute Musik hören, wenn sogar sie diese vernahm. Der blauhaarige Junge sah sich müde um und brauchte eine Weile, bis er sie registriert hatte und seine Kopfhörer abnahm: „Oh Guten Morgen.“ „Morgen? Es ist bereits Mittag.“, meinte Mirâ und hielt ihm seinen Schuh hin, „Den hast du verloren. Ich hab ihn abbekommen. Und der Unterricht geht gleich weiter.“ Müde nahm der Junge seinen Schuh entgegen: „Entschuldige wegen dem Schuh. Ich verliere ihn öfters.“ Er gähnte lang und genüsslich und legte sich dann wieder zurück, woraufhin Mirâ ihn kurz mit einem merkwürdigen Blick strafte. Sie sagte doch, dass der Unterricht gleich weiter ging. Interessierte ihn das überhaupt nicht? Sie wollte ihm gerade noch einmal darauf aufmerksam machen, als sie bereits ein leises schnarchen vernahm. Mit leicht gemischten Gefühlen verließ sie das Dach und ging zurück in ihre Klasse. Ob es in Ordnung war ihn da schlafen zu lassen? Vielleicht hätte sie ihn doch lieber noch einmal wecken sollen, aber dann wäre auch sie zu spät zum Unterricht gekommen. „Er weiß sicher schon was er macht. Vielleicht hat er jetzt auch eine Freistunde.“, war ihr Gedanke, als sie gerade noch rechtzeitig den Klassenraum betrat. Nach dem der Unterricht vorbei war, begannen die AGs. Konzentriert schaute Mirâ auf die Zielscheibe vor sich, während sie den Bogen, welchen sie in ihrer linken Hand hielt, mit einem Pfeil in der Rechten spannte. Sie atmete tief durch, ehe sie den Pfeil losließ. Ein leises Zischen ging durch die Luft, welches mit einem dumpfen „Plopp“ endete. Der Pfeil hatte sein Ziel getroffen, doch leider nicht dort, wo Mirâ es gerne gehabt hätte. Missmutig schaute sie auf die Zielscheibe, die vom Pfeil am Rand getroffen wurde. „Schon wieder der Rand.“, murmelte sie leise. „Du musst ruhiger bleiben. Außerdem solltest du beide Augen nutzen und nicht eines zukneifen. Dann siehst du das Ziel besser.“, kam es von Dai, welcher an sie heran getreten war. „J- Ja, ich weiß. Das ist eine schlechte Angewohnheit von mir.“, meinte Mirâ. Sie musste wirklich trainieren beim Kyûdô beide Augen offen zu halten. Das war schon früher ihr Schwachpunkt gewesen. Zwar hatte sie sich mal antrainiert beide offen zu halten, aber da sie lange nicht mehr diesen Sport ausgeübte, hatte sich die schlechte Angewohnheit wieder eingeschlichen. Dai sagte nichts dazu, nahm sich nur einen von Mirâs Pfeilen und spannte ihn in seinen Bogen. Alle Blicke waren nun auf ihn gerichtet und eine tiefe Stille legte sich über den Trainingsplatz. Kurze Zeit schien die Zeit stehen zu bleiben, ehe Dai den Pfeil losließ und dieser mit einem dumpfen „Plopp“ an der Zielscheibe hängen blieb: genau in der Mitte. Einen Raunen ging durch die Menge: „Wow!“ „Siehst du? Mit beiden Augen geht es wesentlich besser.“, meinte er mit einem freundlichen Lächeln. Noch ehe Mirâ darauf antworten konnte war ihr Senpai von den anderen Mitgliedern des Clubs umrundet. „Das war klasse Senpai. Wenn du in dieser Form an den japanischen Meisterschaften teilnimmst, wirst du sicher den ersten Platz belegen.“, kam es von einem Schüler, welcher in derselben Stufe war wie Mirâ. Sie erkannte ihn. Vor einigen Tagen war er ihr mal über den Weg gelaufen, aber sie hatte noch nie mit ihm gesprochen. Als sie hörte, dass ihr Senpai an den Meisterschaften teilnahm war sie sehr erstaunt, aber sie bekam auch viel Respekt vor ihm. „Senpai, du hast dich für die japanischen Meisterschaften qualifiziert?“, fragte sie aufgeregt. Verlegen kratzte sich der schwarzhaarige am Hinterkopf: „Ja schon, aber nun lobt mich nicht so. Wer weiß ob ich es überhaupt so weit schaffe.“ „Ganz sicher!“ „Das wirst du bestimmt.“ „Wir werden dann kommen und dich anfeuern.“ Alle riefen durcheinander, was Dai nur noch mehr in Verlegenheit brachte. „Das ist wirklich cool. Du wirst es bestimmt schaffen, aber das Wichtigste ist das du dabei bist. Oder? Es heißt doch „Dabei sein ist alles!“.“, meinte Mirâ mit einem freundlichen Lächeln. Verlegen lachte Dai: „Da hast du recht. Es wird schon klappen.“ „Hey solltet ihr nicht lieber trainieren?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme sauer. Alle blickten auf und sahen Amy, welche alle mit einem bösen Blick strafte. Sofort wanden sich alle ab und gingen weiter ihrem Training nach. Mirâ jedoch blickte noch kurz zu der Managerin des Clubs und bemerkte, wie diese sie mit wütendem Blick anschaute. Wenn Blicke hätten töten könnten, wäre Mirâ mit Sicherheit bereits tot umgefallen. Auch sie drehte sich nun wieder um, doch spürte immer noch den Blick von Amy im Nacken. Um sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr das sehr unangenehm war, holte sie schnell ihre bereits verschossenen Pfeile zurück. Als sie wieder zurück kam, hatte sich Amy umgedreht und beschäftigte sich offensichtlich mit anderen Dingen, was Mirâ vorerst beruhigte. Sie seufzte und versuchte sich weiter auf das Training zu konzentrieren, doch die ganze Zeit fragte sie sich, was Amy wohl gegen sie haben könnte. Nachdem sie zum Schluss des Trainings alles zusammen geräumt und sich umgezogen hatten, war der Unterricht beendet. Mirâ wechselte gerade ihre Schuhe, als sie am Arm gepackt und herum gedreht wurde. Sie blickte in zwei strahlend grüne Augen, welche sie wütend musterten. Es war Amy und sie sah nicht begeistert aus. „Habe ich dir nicht gesagt du sollst deine Finger von Dai lassen?“, fragte das Mädchen mit den blonden Haaren wütend. Vorsichtig befreite sich Mirâ von ihrem Griff: „Was soll das? Ich weiß nicht was du meinst. Wir haben uns nur unterhalten.“ „Ich sehe doch, wie du ihm Schöne Augen machst.“, kam es zischend von Amy. „Bitte?“, brachte Mirâ verwundert heraus und ihr kam ein Gedanke, „Kann es sein, dass du Eifersüchtig bist?“ Die Angesprochene schrak leicht zurück, was Mirâ verriet, dass sie genau ins Schwarze getroffen hatte. Ruhig drehte sie sich wieder zu ihrem Schuhfach und wechselte ihre Schuhe: „Da kann ich dich beruhigen. Ich will nichts von Kazuma-Senpai. Er hat nur meinen vollsten Respekt.“ „Hmpf. Das glaubst du doch selber nicht. Ich sehe es dir doch an. Also hör auf ihm schöne Augen zu machen. Sonst sorge ich dafür, dass du aus dem Club fliegst.“, sagte Amy wütend, was Mirâ kurz in ihrem Handeln stoppen ließ, „Hast du mich verstanden? Hör auf sonst fliegst du.“ „Wieso soll Shingetsu fliegen, Hime? Hat sie etwas verbrochen?“, fragte plötzlich eine männliche Stimme, woraufhin sich beide junge Frauen umdrehten und Dai erkannten, welcher sie fragend und überrascht ansah. „Das weiß sie schon. Mehr musst du nicht wissen.“, mit diesen Worten hatte sich das europäisch aussehende Mädchen umgedreht und war gegangen. Mirâ kam es so vor, als hatte sie es wirklich eilig weg zu kommen. Anscheinend war ihr das zu peinlich und sie hatte Angst, dass Dai etwas davon mitbekam. Fragend blickte Dai ihr nach: „Was ist denn passiert?“ Mirâ zuckte mit den Schultern: „Anscheinend kann mich Iwato-Senpai nicht leiden.“ „Wieso das denn nicht?“, fragte Dai. „Tja... Das solltest du sie lieber selber fragen, Senpai.“, meinte Mirâ ruhig und wollte sich zum Gehen abwenden. Sie wollte eigentlich so schnell wie möglich weg. Zwar wollte sie nicht, das Dai denkt sie wäre sauer auf ihn oder ähnliches, aber sie hatte auch keine Lust, dass Hime die beiden zusammen sah. Aus dem Club fliegen wollte sie erst recht nicht. „Hey warte doch bitte kurz. Hab ich was falsch gemacht?“, vorsichtig griff Dai nach Mirâs Arm, woraufhin sie stoppte. „Nein.“, meinte Mirâ vorsichtig. Sie konnte doch nicht sagen, dass Amy eifersüchtig auf sie war. Am Ende würde Dai es noch in den falschen Hals bekommen. Die beiden sollten das unter einander klären. „Hör mal, egal wegen was Hime dir gedroht hat, dich aus dem Club zu werfen. Du solltest dir darüber keine Gedanken machen. Sie ist zwar die Managerin des Clubs, aber sie hat nicht so viel Macht, dass sie Mitglieder raus werfen kann.“, erklärte Dai, „Außerdem wird unser Lehrer ein Talent nicht einfach gehen lassen.“ „Talent?“, mit großen Augen sah Mirâ zu ihrem Senpai. „Klar.“, grinste ihr Senpai, „Du musst nur richtig trainieren. Also mach dir über Hime keine Gedanken. Ich rede noch mal mit ihr, damit sie sich beruhigt.“ Das war mit Sicherheit auch das Beste für die beiden, aber dazu sagte sie nichts weiter. „Ich wäre dir Dankbar dafür, wenn du noch einmal mit ihr reden könntest.“, Mirâ verbeugte sich höflich vor ihrem Senpai. „Kein Problem.“, erneut grinste Dai. Ein warmes Gefühl breitete sich wieder in Mirâ aus und wieder hörte sie diese Worte: „Ich bin du... Du bist ich...“ „So ich muss los. Komm gut heim. Mach’s gut und schöne Golden Week.“, damit hatte sich ihr Senpai verabschiedet und war gegangen. Stimmt. In dieser Woche gab es kein Training mehr, weil ab Mittwoch die Golden Week begann, an denen mehrere Feiertage aufeinander folgten und sie somit keine Schule hatten. Ob sie etwas mit Akane und Hiroshi unternehmen sollte? Kurzer Hand zog sie ihr Handy aus der Tasche und wollte gerade das Chatprogramm öffnen, als ihr das Ausrufezeichen auf der Persona App auffiel. Stimmt. Sie hatte ja die Stimme gehört. Sie öffnete die App und ihre Social Links, woraufhin sich die neue Arcana in der Liste öffnete. Die Karte hatte einen roten Hintergrund, welcher durch Kreisförmige Ringe getrennt wurde. In der Mitte befand sich das Schattenbild eines Käfigs, an welchem ein Auge hing. In der Mitte des Käfigs befand sich ein Kreis, doch Mirâ konnte nicht wirklich sagen, was er bedeuten sollte. Am unteren Rand in der Mitte stand die römische Ziffer „IX“. Es war also die Arcana mit der Nummer neun. Mirâ scrollte weiter nach unten. „Der Hermit?“, murmelte sie vor sich hin. Diesen Link hatte sie mit Dai geschlossen. Hieß das er war auch ein Persona User? Aber wann hatte er dann seine Persona bekommen? Und würde er nicht merken, dass sie auch eine Persona hatte? Ob sie ihn das nächste Mal fragen sollte? Aber sie sahen sich erst nächste Woche wieder. Außerdem wie sollte sie das anstellen? Sie konnte doch nicht einfach auf ihn zugehen und fragen ob er eine Persona hatte. Es wurde irgendwie immer komplizierter. Sie seufzte und packte ihr Handy wieder weg, ehe sie sich auf den Heimweg machte. Während der Golden Week musste sie sich überlegen, wie sie das am geschicktesten anstellte. Am Abend saß sie wieder über ihrem Buch und versuchte es endlich weiter zu lesen. Bisher hatte sie erfahren, dass die Persona eine zweite Persönlichkeit war, welche man allerdings akzeptieren musste um sie kontrollieren zu können. Akzeptierte man sie nicht, verwandelte sie sich in einen Shadow. Das musste aber nicht immer der Fall sein, denn es gab auch Vorfälle in denen die Personas erwachten, wenn deren Besitzer einfach nur das Potential hatten. Wie war es bei ihr gewesen? Sie selbst wollte ihren Freunden helfen, als diese in Schwierigkeiten steckten. Hieß das, sie hatte einfach das Potential? Aber warum war die Persona dann nicht einfach so erwacht, sondern erst als sie in Schwierigkeiten steckten? Als sie weiter las erfuhr sie, dass es auch Personen mit einer besonderen Fähigkeit gab, mit einer sogenannten Wild Card. Diese befähigte sie dazu mehr als nur eine bestimmte Persona rufen zu können, sofern sie die dazugehörige Arcana besaßen. Mirâ schrak auf und blickte mit großen Augen auf ihr Smartphone neben sich. Sie hatte mehrere Arcanas und zwar in Form der Social Links. Waren damit die anderen Arcanas gemeint? Aber wie sollte sie mit ihrer Hilfe andere Personas rufen? In ihrer Liste mit den Personas stand nur Hemsut. „Ich brauche antworten. Aber je mehr ich denke der Erklärung näher zu kommen, desto mehr Fragen tun sich auf.“, dachte sich Mirâ, während sie seufzend ihr Buch zuschlug und weglegte. Sie hatte das Gefühl auf der Stelle zu treten und hoffte, dass sich das bald ändern würde. Mittwoch, 30.April 2015 Am Abend dieses Tages hatten sich Mirâ und ihre beiden Freunde zum Training verabredet. Nach einer kurzen Lagebesprechung betraten sie die Spiegelwelt. „Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut wenn wir hier her kommen. Und jetzt wo es hier durch den abnehmenden Mond so dunkel ist noch mehr.“, meinte Akane, während sie sich aufmerksam umsah. Es war wirklich sehr dunkel. In der realen Welt war gerade zunehmender Mond, sogar fast Vollmond, dementsprechend hatte hier der Mond bereits abgenommen und war nur noch eine dünne Sichel. Das wiederum führte allerdings zu dieser unangenehmen Dunkelheit. In dieser Welt brannten nicht einmal Lichter. Es war wirklich eine unheimliche Atmosphäre. „Wir hätten uns Taschenlampen mitnehmen sollen.“, sagte Hiroshi leicht angespannt. „Meinst du die hätten funktioniert?“, fragte Akane ohne jedoch eine Antwort zu erwarten, „Es wird so schwer sein die Shadows gleich zu erkennen. Das könnte uns Probleme bereiten.“ „Das stimmt.“, meinte Mirâ und lauschte in die Dunkelheit um vielleicht eine Bewegung zu hören. Sie hörte nichts ungewöhnliches, keine Geräusche die darauf schlossen, dass irgendwelche Shadows in der Nähe waren. Pling... „Hu?“, erstaunt sah sie auf und blickte sich um. Hatte sie da nicht eben ein Glöckchen gehört? „Mirâ was ist?“, kam die Frage von Akane. „Shhh.“, machte die Angesprochene und lauschte erneut. Pling... Pling... „Das hört sich an wie Glöckchen.“, Hiroshi bemerkte nun ebenfalls den goldenen Klang. Also hatte sich Mirâ den Klang nicht nur eingebildet. Doch woher kam er? Ruhig sah sie sich um und versuchte dem Klang des Glöckchens zu folgen. Als sie die ungefähre Richtung des Geräusches ausfindig machen konnte setzte sie sich in Bewegung. Doch auch die Quelle schien sich von ihnen weg zu bewegen. Sie schien zu fliehen, denn als Mirâ schneller wurde, wurden auch die Schritte der Quelle schneller. Ihre Freunde folgten ihr. Ob das eine Katze war? Aber in dieser Welt? Eine ganze Weile rannten sie durch diese merkwürdige Welt, in welcher fast alles aus Glas und Spiegeln bestand, ehe die Quelle des Klangs zum Stehen kam und die Glöckchen verstummten. Auch Mirâ und ihre Freunde kamen zum Stehen. Vor ihnen stand eine kleine Person, doch es war zu dunkel um mehr zu erkennen. „Ein Mensch?“, fragte Akane leicht schockiert. Mirâ kam dieselbe Frage in den Kopf. Wie kam ein Mensch hier her? War sie eine Userin? „Hey du brauchst keine Angst mehr haben. Wir wollen dir nichts tun.“, redete sie vorsichtig auf die Person ein und machte einen Schritt auf sie zu. „Bleib fern von mir!“, rief eine weibliche Stimme. Sie klang noch sehr jung. Die Stimme zusammen mit der Größe schloss auf ein Kind. Nun wurde die Frage dringlicher, wie ein Kind hier her kam. Es war viel zu gefährlich hier für ein Kind. Was, wenn Shadows angriffen? Es sei denn sie konnte wirklich eine Persona rufen. Doch dazu musste die Kleine mit sich reden lassen. Doch je näher Mirâ trat desto mehr wich die Kleine zurück. Bis es für sie kein Zurück mehr gab, als sie an eine Mauer stieß. „Ich habe gesagt du sollst nicht näher kommen! Verschwindet von hier! Das ist kein Ort für Menschen!“, rief sie verärgert. „Das sagt gerade die Richtige.“, meinte Hiroshi ruhig, „Dieser Ort ist nichts für Kinder und erst recht nichts für kleine Mädchen.“ „Nenn mich nicht kleines Mädchen, du ungehobelter Klotz!“, schimpfte die Kleine wütend, „Verschwindet bevor die Shad...“ Weiter kam sie nicht, denn aus dem dunklen der Mauer materialisierten sich plötzlich mehrere schwarze Schatten - auch genau neben dem Kopf des Mädchens. Mit einem kurzen Aufschrei ging sie in Deckung, doch die Shadows schienen gar keine wirkliche Kenntnis von ihr zu nehmen, sondern schlichen schnurstracks auf Mirâ und ihre Freunde los. Einen Augenblick später wurden aus dem schleimigen Wesen wieder die ihnen bekannten ballförmigen Shadows. „Ich dachte schon die tauchen gar nicht mehr auf.“, meinte Hiroshi mit einem breiten Grinsen. „Vorhin hast du dir doch fast noch in die Hose gemacht.“, meinte Akane, welche Rücken an Rücken mit Hiroshi stand. „Tze!“, kam nur von dem blonden Jungen, welcher seinen Ball zu Boden fallen ließ und ihn mit einem kräftigen Tritt gen Shadows schoss. Der Ball prallte gegen mehrere Shadows, welche sich kurz darauf in schwarzem Nebel auslösten, und rollte zurück zu seinem Besitzer. „Hu?“, kam es erstaunt von dem kleinen Mädchen. Auch Akane machte sich zum Angriff bereit und gab einem Shadow vor sich einen kräftigen Tritt. Dieser schrie kurz auf und löste sich ebenfalls auf. Ein weiterer kam mit lang ausgestreckter Zunge auf Mirâ zu geschossen, doch wurde gleich darauf von einem Pfeil durchbohrt und verschwand. „He“, kam es langgezogen von Akane, „Das letzte Mal waren wir noch schwach, doch nun haben wir Unterstützung. Dieses Mal habt ihr nicht so leichtes Spiel.“ Sie wollte sich gerade wieder zum Angriff bereit machen, als sie von etwas zu Boden geschlagen wurde. „Akane!“, rief Mirâ und spannte vorsichtshalber einen neuen Pfeil ein, „Alles in Ordnung?“ „Ja.“, kam es mit schmerzverzerrtem Gesicht von Akane. Vorsichtig richtete sie sich wieder auf um den Shadow zu sehen, welcher sie niedergestreckt hatte. „Was ist das denn für einer?“, fragte sie leicht erschrocken. Vor ihr tänzelte ein Shadow umher, welcher die Form einer Hand hatte. Der schwarze Kopf war mit einer blauen Maske verdeckt und der Körper von einem rosa mit Spitze besetztem Handschuh bedeckt. An einem Fuß, welcher aussah wie der Zeigefinger einer Hand hatte das Wesen einen silbernen Ring. „Urg ein Dancing Hand.“, rief das kleine Mädchen. Erstaunt sah Mirâ sie an: „Du weißt wie diese Wesen heißen?“ Im Dunkeln konnte sie ein vorsichtiges Nicken der kleinen ausmachen: „Diese Hand heißt Dancing Hand und die komischen Bälle sind Sleeping und Lying Hablerie.“ Mirâ wollte sie Kleine gerade fragen woher sie das wusste, da hörte sie bereits Hiroshi rufen: „Na warte!“ Er zückte sein Smartphone und rief seine Persona: „Aton!“ Die männliche Persona mit dem Sonnenscheiben ähnlichem Schild erschien auf der Bildfläche. Sein Besitzer wählte die Option „Zio“, woraufhin Aton die Hand ausstreckte. Zwar traf der mächtige Blitz den Shadow, doch Dancing Hand schien davon sehr unbeeindruckt. Auch Akane rief ihre Persona Wadjet und wählte die Option Agi aus. Auch der Feuerball traf sein Ziel, doch wieder schien es den Shadow nicht wirklich zu interessieren. „Warum funktioniert es nicht?“, rief Akane leicht verzweifelt. Währenddessen war Mirâ noch mit dem ausschalten der Sleeping und Lying Hablerie beschäftigt und konnte ihren Freunden demnach nicht helfen. Mit Hilfe von Hemsut ging es zwar schneller, aber es waren ziemlich viele Shadows auf einmal. „Mit magischen Angriffen sind Dancing Hands nicht zu besiegen. Nutzt physische Angriffe, wie Tritte und Schläge!“, rief plötzlich das kleine Mädchen. Erschrocken sahen Hiroshi und Akane zu der kleinen. Woher wusste sie so etwas? Doch in diesem Moment war es eigentlich egal woher sie das wusste. „Danke Kleine!“, rief Akane und wählte mit einem Grinsen auf den Lippen die Option „Bash“ aus. Wadjet griff mit einem kräftigen Tritt an, woraufhin der Shadow zu Boden ging und sich endlich auflöste. Nun wand sich die Kleine an Mirâ: „Sleeping und Lying Hablerie sind schwach gegen Elektrizität. Lying Hablerie sogar gegen Eis! Die schwarz-weißen Shadows sind Lying Hablerie und die rosa-schwarzen Sleeping Hablerie.“ Die Angesprochene nickte und wählte auf ihrem Smartphone „Bufu“ aus. Sofort griff Hemsut eines der schwarz-weißen Wesen an, welches mit einem lauten Schrei verschwand. Kurz darauf zuckten Blitze durch die Menge. Als Mirâ aufblickte sah sie Hiroshi, welcher sie grinsend ansah. Er hatte seiner Persona den Auftrag gegeben mit Zio anzugreifen und wiederholte dies weiter. Auch Akane hatte sich wieder in das Getümmel gestürzt und griff die Shadows mit ihren Judokünsten an. Einen Moment später waren die Shadows alle verschwunden, doch die drei Freunde blieben noch eine Weile wachsam. Als sich jedoch nach mehreren Minuten kein weiterer Shadow zeigte, entspannte sich die Lage und sie wandten sich wieder dem Mädchen zu. „Danke für deine Hilfe.“, bedankte sich Mirâ. Das Mädchen zögerte noch kurz, doch trat dann endlich vorsichtig näher an die Gruppe heran: „Kein Problem.“ Zwar war es dunkel, doch Mirâ konnte das Mädchen etwas erkennen. Sie hatte rückenlange Haare und trug so etwas wie ein Kimonooberteil. Darunter lugte ein kurzer Rock hervor und auf dem Rücken hatte sie eine lange Schleife. Bei jeder Bewegung erklang wieder der Klang der Glöckchen, doch noch konnte Mirâ nicht erkennen woher der Klang kam. „Wer seid ihr? Und wie seid ihr hier her gekommen?“, fragte die Kleine vorsichtig. „Dieselbe Frage könnte ich dir stellen.“, meinte Mirâ, „Mein Name ist Mirâ Shingetsu und die beiden neben mir sind meine Freunde Akane Chiyo und Hiroshi Makoto. Hergekommen sind wir durch den großen Spiegel am Einkaufszentrum.“ „Diese Wesen die ihr gerufen habt. Was war das?“, kam gleich die nächste Frage hinterher, „Damit habt ihr es geschafft die Shadows zu besiegen.“ Fragend blickte Akane sie an: „Das waren unsere Personas. Aber hast du nicht selbst eine?“ „Nein. So etwas kann ich nicht rufen. Ich muss mich auch selten verteidigen. Die Shadows ignorieren mich mittlerweile mehr oder weniger.“, erklärte das Mädchen. „Mittlerweile? Wie lange bist du denn schon hier?“, fragte Hiroshi leicht schockiert. Die Kleine zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich hier her gekommen bin. Nur das ich schon sehr lange keine Menschen mehr gesehen habe.“ „Eh?“, kam es im Chor von den drei Freunden. „Du weißt es nicht mehr?“, fragte Mirâ. „Nein. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was vor meiner Zeit hier passiert ist. Ich weiß nur noch meinen Namen.“, meinte die Kleine. „Und wie lautet der?“, fragte Akane vorsichtig. „Mika.“ Kapitel 8: VIII - Böse Vorahnung -------------------------------- Mittwoch, 30.April 2015 Seufzend saß Mirâ in der Wanne und starrte auf ihre blauen Flecken, welche sich über ihre Beine erstreckten. Bei der ganzen Aufregung in der Spiegelwelt hatte sie vollkommen vergessen sich und ihre Freunde von Hemsut heilen zu lassen. Es war verrückt. Als sie zum trainieren in die Spiegelwelt gingen trafen sie auf die kleine Mika. Von der Größe her schätzte Mirâ sie auf vielleicht 11 oder 12 Jahre, doch so genau konnte Ihnen das kleine Mädchen das auch nicht sagen. Sie wusste nicht einmal wie sie in diese Welt gekommen war und wie lange sie dort schon fest saß. Das einzige woran sie sich erinnerte war ihr Name. Da es zu dunkel war konnte Mirâ sie nur schemenhaft erkennen, sodass sie nicht einmal sagen konnte wie sie wirklich aussah. Das merkwürdigste an diesem Abend war aber, als sie erfahren hatten, das Mika die Spiegelwelt nicht verlassen konnte. Während die drei Freunde ohne Probleme durch das Glas am Einkaufszentrum hindurch gehen konnten, konnte Mika den Spiegel nur berühren, jedoch nicht in die reale Welt zurück. Es schien als würde sie etwas dort festhalten. Eigentlich wollte Mirâ sie nicht in dieser Welt alleine lassen, doch Mika meinte, dass die Shadows sie eh ignorierten und sie deshalb keine Angst haben muss. „Außerdem bin ich schon so lange hier. Das ist schon in Ordnung.“, hatte die Kleine tapfer gesagt. Also hatte die Gruppe versprochen wieder zu kommen und ihr zu helfen sich an ihre Vergangenheit zu erinnern. Auch wollten sie heraus finden, wie sie Mika wieder aus der Welt heraus bekamen. „Erst mal müssten wir wissen, wie sie überhaupt in diese Welt gekommen war.“, murmelte Mirâ vor sich hin. Zu mindestens hatten sie nun einen weiteren Grund in diese unheimliche Welt zu gehen. Erneut seufzte sie und erhob sich langsam aus dem warmen Wasser. Ein paar Minuten später stand sie frisch gewaschen in ihrem Zimmer. Das helle Licht des fast vollen Mondes schien in ihr Zimmer. Als ihr Blick zu der runden hellen Scheibe glitt breitete sich wieder das ungute Gefühl in ihrem Körper aus. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass in nächster Zeit wieder etwas Schlimmes passieren würde. Montag, 04.Mai 2015 - Vollmond Lachend saß Junko vor ihrem riesigen Eisbecher und freute sich über den schönen Tag mit ihrer Schwester und deren neuen Freunden. Es waren die letzten beiden Tage der Golden Week. Am Mittwoch mussten sie wieder alle in die Schule, sodass sich die Gruppe überlegt hatte diese schönen Tage zusammen zu verbringen. Da Junko, Mirâs keine Schwester, an diesen Tagen allerdings alleine gewesen wäre entschieden sie kurzfristig die kleine mit zu nehmen. Und dieser schien es zu gefallen. Lächelnd beobachtete Mirâ ihre kleine Schwester, welche sich genüsslich ihr Eis schmecken ließ. Ohne es zu wollen musste sie unwillkürlich an Mika denken. In den letzten Tagen war die Gruppe öfters in der Spiegelwelt gewesen um einerseits zu trainieren und auch um Mika zu besuchen. Doch viel hatten sie bisher über die Kleine nicht heraus finden können. Weder wie sie in diese Welt gelangt war, noch wie sie sie dort raus bekamen. Es war merkwürdig, aber je öfter sie Mika besuchten, desto mehr hatte Mirâ das Gefühl sie schon einmal getroffen zu haben. Allerdings war das nicht möglich. Woher hätte sie Mika kennen sollen? Sie war erst vor ein paar Wochen in diese Stadt gezogen und auch an den letzten Orten wo sie lebte hatte sie keine Mika kennen gelernt. Woher also kam dieses merkwürdige Gefühl? „Onee-Chan. Was hast du?“, fragte Junko plötzlich. Mirâ war gar nicht aufgefallen, dass sie ihre Schwester angestarrt hatte, woraufhin sie aufschrak. „Entschuldige. Ich war in Gedanken.“, entschuldigte sich Mirâ. „Denkst du an Mika?“, fragte Akane, während sie an ihrem Erfrischungsgetränk schlürfte. Mirâ nickte zustimmend. „Das ging mir auch vorhin kurz so, als ich Junko beobachtet habe.“, meinte Akane. „Ich weiß wie ihr euch fühlt.“, mischte sich Hiroshi ein, „Das die Kleine sich alleine durchschlägt ist schon krass.“ Die beiden Mädchen nickten zustimmend. Mika tat ihnen schon leid und gerne hätten sie ihr aus der Welt heraus geholfen. Sie war immerhin vollkommen allein und das über viele Jahre. Obwohl sie am Anfang so viel Angst vor Mirâ und ihren Freunden hatte, freute sie sich nun auf jeden Tag an denen die drei sie besuchten. Dabei half sie ihnen sich in der Welt etwas zu orientieren. „Wer ist Mika?“, fragte plötzlich Junko, woraufhin die Gruppe sie etwas irritiert ansahen, „Eine Freundin von euch? Kann ich sie auch kennen lernen?“ Mirâ überlegte wie sie ihrer kleinen Schwester erklärte, dass das nicht ginge. Aber sie konnte ihr schlecht sagen, dass Mika in einer anderen Welt lebte. Zwar hatte Junko eine blühende Fantasie, aber selbst sie würde ihre Schwester dann als verrückt abstempeln. „Weißt du Junko. Mika ist krank und kann deshalb das Haus nicht verlassen.“, log Mirâ ihre Schwester an. Naja so ganz gelogen war das auch wieder nicht, denn Mika konnte die Spiegelwelt, welche derzeit ihr Zuhause war, wirklich nicht verlassen. „Was wirklich? Ist es so schlimm?“, fragte ihre Schwester weiter. „Naja sie verträgt das Sonnenlicht nicht wirklich. Verstehst du?“, log Mirâ weiter. Ihr tat es mächtig leid. Sie wollte ihr Schwester nicht anlügen, doch was hätte sie sonst sagen sollen ohne das Junko weiter gefragt hätte. Diese senkte leicht traurig den Blick: „Ach so. Ja ich verstehe. Also kann ich sie nicht kennen lernen? Das ist schade.“ „Tut mir leid Junko. Aber vielleicht klappt es ja irgendwann mal.“, meinte Mirâ, auch wenn sie nicht wusste ob es wirklich was werden würde. Immerhin wussten sie nicht, wie sie Mika da raus holen sollten. Aber sie konnte den traurigen Blick ihrer Schwester nicht ertragen. Als diese hörte, dass es vielleicht irgendwann doch klappen würde fing sie wieder an zu strahlen. „Das wäre schön.“, meinte sie und machte sich weiter über ihren Eisbecher her. Mit leichten Schuldgefühlen sah Mirâ ihre kleine Schwester an und es war ihr eindeutig ins Gesicht geschrieben. Junko jedoch war so mit ihrem Eis beschäftigt, dass sie dies zum Glück nicht bemerkte. Mirâs Freunde jedoch hatten es bemerkt, doch ließen das Thema erst einmal ruhen. Am Abend schrieb sie noch etwas mit ihren beiden Freunden. Nachdem sie alle gegenseitig ihre Nummern getauscht hatten fanden sie es sinnvoll einen Chat als Gruppe zu eröffnen. So konnten sie immer in Kontakt bleiben ohne jedem einzelnen eine Nachricht schicken zu müssen. ‚Hey wegen heute Nachmittag: mach dir keine Gedanken darüber. Du hast Junko-Chan ja nicht mit bösen Hintergedanken angelogen. =D Es war eine Notlüge. Mach dir also keine Gedanken darüber.’, hatte Akane geschrieben. ‚Akane hat Recht. Junko wird es sicher verstehen. Aber es war die beste Lösung.’, kam kurz darauf von Hiroshi. Mirâ konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Die beiden hatten mitbekommen, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, und hatten sich sorgen gemacht. Das fand sie sehr lieb von ihnen. Sie war froh, dass sie die beiden hatte, denn mit wem sonst hätte sie darüber sprechen können? ‚Vielen Dank ihr beiden. Jetzt geht es mir wieder besser.’, schrieb sie schnell zurück. Es dauerte nicht lange ehe eine weitere Nachricht aufleuchtet. Sie war wieder von Hiroshi: ‚Mach dir keine Sorgen. Wir finden schon eine Methode Mika zu helfen. ;)’ ‚Hey Hiroshi! Tu nicht so cool. Und klau mir nicht meine Sätze. Das wollte ich auch schreiben! >.<‘, kam es kurz darauf von Akane. Selbst im Chat konnten sie es nicht lassen sich zu streiten. Mirâ konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und antwortete den beiden: ‚Ihr habt recht. Schönen Abend ihr beiden. Bis Mittwoch.’ Damit schaltete sie ihr Display aus, doch konnte nicht aufhören zu kichern. „Was ist denn so witzig?“, hörte sie plötzlich. Erschrocken blickte sie sich um, doch konnte nichts sehen. Wer hatte denn da gesprochen? „Mirâ, hier drüben.“, hörte sie nun. Kam das aus ihrem Spiegel? Vorsichtig erhob sich Mirâ von ihrem Stuhl und ging zu ihrem Spiegel hinüber. Als sie plötzlich Mika anstatt ihres Spiegelbildes sah, hätte sie beinahe aufgeschrien. Schnell hielt sie ihren Mund zu um dieses zu vermeiden. Sie war wirklich erschrocken. Doch nun konnte sie das Mädchen zum ersten Mal richtig erkennen. Ihre langen Haare waren dunkelblau und an der linken Seite zierte eine rote Spange das Haar. Diese Spange erinnerte Mirâ an die, welche sie ebenfalls normaler Weise in ihrem Haar trug. Ob es dasselbe Modell war? Rote Augen, wie ihre eigenen lächelten sie liebevoll und frech zugleich an. Es schien, als würde ihr es Spaß machen, dass sie Mirâ so erschreckt hatte. Das Oberteil welches sie trug hatte die Farbe von zartem lila, doch der Kragen war in einem dunkleren violett gehalten. Ihr Obi und die dazugehörige Schleife waren hellblau und nun konnte Mirâ auch erkennen, woher der Klang der Glöckchen kam. An Mikas Obi waren zwei goldene Glöckchen angebracht, welche aber schon ziemlich mitgenommen aussahen. Der kurze Rock den Mirâ bereits im Dunkeln erkannt hatte, war in einem dunklen Türkis gehalten. Als Mirâs Blick auf den Boden glitt, bemerkte sie das Mika barfuß war. „Ist dir nicht kalt?“, fragte sie vorsichtig. „Nein nicht wirklich.“, kam prompt die Antwort. „Ich habe mich vielleicht erschrocken.“, meinte Mirâ mehr zu sich, als zu dem kleinen Mädchen. Diese grinste sie frech an: „Das hab ich bemerkt. Es hat mich ziemlich viel Zeit gekostet, dein Haus zu finden. Und dann bin ich auch noch im falschen Zimmer gelandet. Du hast wirklich eine süße kleine Schwester.“ „Hat Junko dich bemerkt?“, kam es gleich panisch. Mika schüttelte den Kopf: „Nein, keine Sorge.“ Erleichtert atmete Mirâ auf: „Was machst du hier?“ Vielleicht klang es etwas zu harsch, was Mirâ eigentlich nicht wollte, doch in diesem Moment war sie einfach zu überrascht. Verlegen verschränkte Mika die Arme hinter dem Rücken: „Ich wollte mich mit dir unterhalten. Da ihr nicht jeden Tag hier her kommt ist mir etwas langweilig. Soll ich wieder gehen?“ Mirâ seufzte: „Entschuldige. Nein bleib ruhig. Wo hältst du dich eigentlich auf, wenn wir nicht da sind?“ „Hier und da. Ich suche mir immer einen Platz.“, erklärte Mika, während sie sich in dem gespiegelte Zimmer von Mirâ umsah, „Du hast wirklich ein schönes Zimmer.“ „Du hast also keinen festen Platz?“, kam es nachdenklich von Mirâ. Mika nickte. Erneut seufzte Mirâ: „Wenn das so ist, dann bleib doch in dem Zimmer. Es müsste ja wie meines eingerichtet sein.“ Mikas Augen wurden groß: „Bist du sicher? Ich darf hier bleiben?“ Sie Angesprochene nickte. „Vielen Dank. Dann können wir uns öfters unterhalten.“, freute sich Mika. Mirâ lächelte: „Ja gern.“ Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâ aus und sie hörte wieder die Stimme, welche ihr bisher immer angekündigt hatte, dass sie einen neuen Social Link geschaffen hatte: „Ich bin du... Du bist ich...“ „Wieder ein neuer Link.“, ging ihr durch den Kopf. „Alles in Ordnung?“, fragte das blauhaarige Mädchen. „Hm?“, die Angebrochene blickte auf, „Ja. Alles in Ordnung. Mir kam gerade etwas in den Sinn.“ „Oh was denn?“, fragte Mika neugierig, doch stoppte plötzlich und sah sich um. Mirâ fiel dies auf: „Was ist los?“ Die Anspannung verließ Mika langsam wieder: „Mir lief es gerade eiskalt den Rücken runter. Irgendwas hat gerade nicht gestimmt, aber jetzt spüre ich nichts mehr. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet.“ „Falls du wieder etwas spürst, sagst du mir Bescheid?“, fragte Mirâ. Erstaunt blickte Mika sie an: „Sicher. Aber warum?“ „Zum letzten Neumond in unserer Welt, also Vollmond bei dir drüben, tauchte ein riesiger Shadow in deiner Welt auf. Ich habe das ungute Gefühl, dass auch dieses Mal wieder einer auftauchen wird.“, erklärte das Mädchen mit den violetten Haaren. Ihr Gegenüber schien kurz zu überlegen: „Das war also das Gefühl, was ich letztens hatte. Also gut, ich sage dir Bescheid.“ „Danke.“, bedankte sich Mirâ und konnte leider ein Gähnen nicht unterdrücken, „Entschuldige.“ „Nein schon gut. Du bist Müde, das versteh ich. Reden wir später weiter. Schlaf gut.“, verabschiedete sich Mika. „Du auch. Gute Nacht.“, damit schaltete Mirâ das Licht aus und legte sich auf ihren Futon. Noch einmal sah sie kurz zu ihrem Spiegel, doch konnte ihre neue Freundin dort nicht mehr sehen. Von diesem Winkel aus konnte sie aber auch nicht ihren Futon sehen. Vielleicht hatte sich auch Mika zur Ruhe gelegt. Mit diesem Gedanken schlief sie ein. „Willkommen im Velvet Room.“, höre ich die ruhige Stimme von Margaret. Vorsichtig öffne ich meine Augen, doch dieses Mal grinst mich nicht die Langnase von Igor an. Ich blicke mich zu allen Seiten um, doch ich kann ihn nicht sehen. Dafür erblicke ich etwas anderes: Mein Spiegelbild, doch es ist noch sehr verschwommen. Als ich das erste Mal hier war, hatte ich mein Spiegelbild noch nicht sehen können. War es die letzten Male zu sehen gewesen? mir fällt ein, dass Ich bei meinen letzten Besuchen hier gar nicht in die Spiegel geschaut habe. Irgendwie hat es mich da auch nicht interessiert. „Mein Meister ist gerade nicht da.“, sagte Margaret ruhig, woraufhin ich sie wieder ansehe. Vorsichtig schlägt sie ihr Compendium auf: „Aber wie ich sehe hast du neue Social Links gesammelt. Die „Hermit“ und „Tod“ Arcana.“ Tod? War das der Social Link, den ich von Mika bekommen habe? Aber warum hat sie gerade diese Karte? Die junge Frau lächelt zufrieden: „Ich freue mich zu sehen, wie stark deine Kraft am Ende deiner Reise sein wird. Wir sollten das nächste Mal wieder reden, wenn mein Meister wieder da ist. Bis dahin. Lebewohl.“ Mittwoch, 06.Mai 2015 Angestrengt spannte Mirâ ihren Bogen und blickte auf das Ziel vor sich. Sie atmete tief durch und konzentrierte sich, ehe sie den Pfeil in ihrer rechten Hand losließ und dieser los zischte. Einen Wimpernschlag später schlug der Pfeil ins Ziel ein, rechts von der Mitte. „Hm...“, kam es nur von Mirâ, während sie ihren Schuss begutachtete. „Nicht schlecht Neuling. Hast du in der Golden Week heimlich geübt?“, kam es sarkastisch von einer weiblichen Stimme hinter hier. Die Angesprochene verzog nur leicht das Gesicht: „Iwato...“ Mit einem gespielten Lächeln drehte sie sich zu der älteren Schülerin um: „Danke für das Kompliment.“ Das Lächeln verzog sich leicht zu einer Grimasse. Mirâ hatte gar nicht das Bedürfnis ihren Unmut Amy gegenüber zu verbergen. Dieser allerdings schien es ähnlich zu gehen, denn auch ihr Gesicht hatte sich verzogen. Missmutig blickten die beiden Mädchen sich an und schienen sich zu belauern, wodurch sie von den anderen Clubmitgliedern merkwürdig betrachtet wurden. „Warum trainiert ihr nicht?“, schallte es plötzlich laut durch das Areal. Erschrocken blickten alle zu ihrem Captain, welcher das Gelände betreten hatte. Mit mürrischem Blick sah er alle Clubmitglieder an, die sich sofort drauf und dran machten sich weiter ihrem Training zu widmen. Nur Amy und Mirâ standen immer noch da und sahen Dai mit großen Augen an. Dieser kam einen Moment später auf die beiden zu. Er war etwas blass und sein Blick war extrem angespannt. Es schien, als wäre etwas passiert, was Dai beschäftigte. „Gibt es wieder Probleme?“, fragte er die beiden Mädchen, welche immer noch wie angewurzelt da standen. „Ähm nein.“, antwortete Amy, „Ich... Habe noch ein wenig zu erledigen. Bis später Dai.“ Und schon hatte sich Amy aus dem Staub gemacht. Dai und Mirâ sahen ihr kurz nach. Einen Moment später hörte Mirâ ein Seufzend neben sich. Fragend blickte sie zu ihrem Senpai: „Alles in Ordnung, Senpai?“ Der junge Mann fasste sich an den Kopf und murrte kurz: „Naja wie man es nimmt. Aber mach dir darüber keine Gedanken. Das hat nichts mit dem Club zu tun. Entschuldige mich bitte.“ Auch Dai entfernte sich daraufhin. Die junge Frau blickte ihm kurz nach, doch widmete sich dann weiter ihrem Training. „Bis Montag.“, verabschiedete sich Mirâ von den wenigen Mädchen in der Umkleide und begab sich auf den Weg zum Ausgang. Sie öffnete die Tür und hörte plötzlich Dais Stimme: „Ist das wahr? Das hat er doch noch nie gemacht. Ja ich verstehe. Das tut mir wirklich leid. Sagen Sie mir Bescheid, wenn es etwas Neues gibt? Vielen Dank.“ Seufzend nahm Dai sein Smartphone vom Ohr und beendete das Telefonat. „Senpai?“, fragte Mirâ vorsichtig. Leicht erschrocken sah Dai auf: „Shingetsu...“ „Du siehst schrecklich aus. Was ist denn passiert?“, kam es besorgt von dem violett haarigen Mädchen. Dai schwieg kurz und überlegte anscheinend ob er Mirâ erzählen sollte, was passiert war. Doch er seufzte nur: „Naja du wirst es ja eh erfahren irgendwann. Kennst du Masaru Shin? Er gehört zur Schülervertretung.“ Mirâ bekam große Augen: „Shin-Senpai? Ja ich kenne ihn. Was ist mit ihm?“ „Er ist verschwunden.“, meinte Dai, woraufhin Mirâ aufschrak, „Ich habe mich heute den ganzen Tag gefragt wo er ist. Es kam bisher noch nie vor, dass er gefehlt hat ohne sich vorher zu melden. Ich hab den ganzen Tag versucht ihn zu erreichen, aber sein Handy ist abgeschaltet. Und seine Mutter sagte mir gerade, dass er seit vorgestern verschwunden ist.“ „Seit vorgestern?“, erschrocken sah Mirâ ihren Senpai an. Dai nickte: „Ich mache mir Sorgen. Masaru ist noch nie von zu Hause abgehauen, egal wie schwer es war. Ich hoffe ihm ist nichts Schlimmes passiert.“ Besorgt blickte Mirâ Ihren Senpai an. Anscheinend war Dai sehr gut mit Masaru befreundet. Seine Sorge war ihm ins Gesicht geschrieben. Sie wünschte, dass sie ihm irgendwie helfen konnte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Ihr aus. Es war als würde irgendetwas nicht stimmen. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und blickte in zwei besorgte Augen. „Mach dir darüber aber bitte keine Gedanken. Seine Eltern haben die Polizei eingeschaltet, die wird sich darum kümmern. Du solltest jetzt nach Hause gehen.“, damit schien für Dai das Gespräch beendet, denn er setzte sich in Bewegung und ging. Mirâ sah ihm kurz nach ehe sie ebenfalls nach Hause ging. ‚Ob die Polizei Shin-Senpai finden wird?’, kam Mirâ in den Sinn. Sie saß an ihrem Schreibtisch und blickte auf den wieder abnehmenden Mond am Himmel. Zwar hatte Dai ihr gesagt sie solle sich wegen Masaru keine Gedanken machen, doch irgendetwas beunruhigte sie bei dem Gedanken an dessen Verschwinden. Dai meinte, dass Masaru noch nie von zu Hause abgehauen wäre, egal wie schwer es war. Was ihr Senpai wohl damit meinte? Ob Masaru ernste Probleme zu Hause hatte? So sah er zwar ihrer Meinung nicht aus, aber sie könnte sich ja auch getäuscht haben. Vielleicht sollte sie Akane und Hiroshi darüber Bescheid geben. Wenn sie Glück hatte, hatten die beiden vielleicht auch ein paar Informationen in ihren Clubs erfahren. Mirâ wollte gerade nach ihrem Handy greifen und den Beschluss in die Tat umsetzen, als sie eine ihr sehr bekannte, aber extrem aufgebrachte Stimme vernahm: „Mirâ! Etwas Schlimmes ist passiert!“ Ruckartig drehte sich Mirâ um und erkannte eine völlig aufgelöste Mika in ihrem Spiegel. Sie war total zerzaust und ihre Klamotten total durcheinander, doch das schien Mika gerade überhaupt nicht zu interessieren. „Mika was ist passiert?“, fragte Mirâ besorgt, „Bist du verletzt?“ Mika schüttelte den Kopf: „Nein. Aber...“ „Aber?“ „Ein Mensch ist hier!“, kam es sofort von dem kleinen Mädchen. Mirâ schrak auf. Ein Mensch? Doch nicht etwa Masaru? Sie schüttelte leicht den Kopf. Das konnte nicht sein. Solche Zufälle gab es nicht. Oder doch? Geschockt sahen sich die beiden Mädchen an und wussten nicht so recht was sie nun machen sollten. Es war wohl besser, wenn sie am nächsten Morgen mit ihren Freunden besprach, was sie als nächstes taten. Kapitel 9: IX - Die Suche ------------------------- Donnerstag, 07.Mai 2015 Geschockt spuckte Hiroshi seinen Saft wieder aus und sah Mirâ ungläubig an: „Was hast du gesagt?“ „Du hast schon richtig gehört.“, kam es ernst von Mirâ. Soeben hatte sie ihren Freunden erzählt, was Mika ihr am Vorabend geschockt übermittelt hatte: Ein Mensch war in der Spiegelwelt. Einer ohne Persona. Einzeln und hilflos. „Aber wie kam derjenige dahin?“, fragte Akane. Mirâ schüttelte ratlos den Kopf: „Keine Ahnung. Vielleicht wurde er hinein gezogen oder konnte von selbst hinein gelangen. Vielleicht gibt es auch Nicht-Persona-User die in diese Welt gelangen. Aber ich kann es dir nicht genau sagen.“ „Da ist noch etwas, was dich beschäftigt.“, kam es von ihrem besten Kumpel, welcher komischer Weise immer genau wusste, wenn sie etwas bedrückte. Kurz schwieg sie und nickte dann: „Ja... Die Beschreibung, die mir Mika gegeben hat. Sie... Erinnert mich an Shin-Senpai.“ Erstaunt blickten ihre Freunde sie an und Akane ergriff das Wort: „Bist du dir sicher? Ich habe zwar gehört, dass Shin-Senpai als vermisst gilt, aber meinst du wirklich, dass es daran liegt?“ Mirâ schien kurz zu überlegen, doch schüttelte dann den Kopf: „Ich habe auch erst gedacht, dass es ein Zufall ist, aber als Mika mir beschrieben hat, wie diese Person aussieht, hatte sich das für mich erledigt. Es ist Shin-Senpai. Da bin ich ganz sicher. Und selbst wenn er es wirklich nicht ist, müssen wir denjenigen da raus holen.“ „Ja da hast du allerdings Recht.“, stimmte ihr Hiroshi zu, „Aber wir müssen vorsichtig an die Sache heran gehen. Überstürztes Handeln könnte uns in Schwierigkeiten bringen.“ Er sah Mirâ eindringlich an: „Ich weiß was du denkst. Am liebsten würdest du sofort los stürmen und Shin, oder wer auch immer dort ist, retten. Aber wer weiß ob er noch am Tempel ist oder nicht doch schon irgendwo in der Stadt. Mika kann ihn zwar beobachten, aber auch sie muss sich irgendwann ausruhen. Stell dir vor wir finden ihn nicht sofort. Es wäre auffällig, wenn wir jeden Abend ausgehen würden. Wie wollen wir das unseren Eltern erklären? Wir sollten die Suchaktion auf die Wochenenden verlegen. Erstaunt sahen die beiden Mädchen ihren Kumpel an. So ernst kannten sie ihn gar nicht. Akane lag ein Spruch auf der Zunge, doch sie verkniff ihn sich. Die Situation ließ es nicht zu, außerdem hatte er ja Recht. „Aber was, wenn ihm in der Zeit etwas passiert?“, fragte Mirâ schockiert. Wieder traf sie ein ernster Blick von Hiroshi: „Wenn es wirklich Shin ist, dann ist er bereits seit mehreren Tagen dort. Wenn er sich vor den Shadows bis heute verstecken konnte, dann schafft er das sicher auch bis Samstag. Das mag herzlos klingen, aber es bringt uns nichts, wenn wir uns durch überstürztes Handeln in Gefahr bringen. Dann können wir Shin auch nicht retten! Verstehst du? Wir sollten uns richtig vorbereiten und Samstagabend in die Spiegelwelt gehen und nach ihm suchen. Ok?“ Seine Gesichtszüge lockerten sich und er lächelte die beiden Mädchen bedrückt an. Man merkte, dass ihm seine eigenen Worte schwer fielen. Die junge Frau mit den violetten Haaren senkte den Blick und nickte. Aufmunternd klopfte ihr ihre beste Freundin auf die Schulter. Als Mirâ sie ansah, blickte sie in ein lächelndes Gesicht, welches ihr sagen sollte, dass sie sich nicht zu viele Gedanken machen sollte und sie Masaru retten würden, komme was wolle. Samstag, 09.April 2015 „Hier ist es.“, sagte Mika, als die Gruppe vor dem Tempelgelände zum Stehen kam. Wie besprochen hatten sich die drei am Samstag verabredet, um Masaru aus der Spiegelwelt zu retten. Mika sollte in der Zeit bis zum Wochenende beobachten, wie sich die Shadows in dieser Zeit verhielten und ob Masaru seinen Standort änderte. Natürlich aus sicherer Entfernung. Laut dem Bericht des kleinen Mädchens, verhielten sich die schattenartigen Wesen erstaunlich ruhig. Allerdings beunruhigte Mika, dass diese sich vor allem am Tempel aufhielten. Zwar verschwanden sie tagsüber, doch jede Nacht wurden es mehr. Aber die Kleine hatte auch gute Neuigkeiten: Masaru hielt sich immer noch in dem Tempel auf. Sie mussten ihn also nur hier suchen und nicht in der kompletten Spiegelwelt. „Ich hoffe ihm geht es gut.“, meinte Mirâ besorgt. „Das werden wir nicht herausfinden, wenn wir hier dumm rum stehen. Lasst uns gehen!“, Akane steckte ihre beiden Freunde mit ihrem Tatendrang an. „Es gibt da noch etwas... Hey!“, ehe Mika überhaupt noch etwas sagen konnte, waren die drei Freunde bereits durch das Tor zum Tempel getreten und verschwunden. Erstaunt blickten sich Mirâ und ihre Freunde um: „Wo sind wir denn jetzt? Das ist doch nicht der Tempel.“ Die Gruppe stand am Anfang eines langen Gangs. Die Wände zu ihrer Rechten und Linken war mit einer Reihe von Bannsiegeln beklebt, allerdings standen darauf keine Bannsprüche sondern Beschwörungen. Auch die Farbe der Wände machte der Gruppe leicht zu schaffen, denn diese wechselte aller paar Sekunden von dunkelrot zu dunkelblau bis dunkelgrün und wieder zurück. An einigen Stellen wurde die Wand von riesigen Bannsteinen getrennt, welche aussahen wie Stützbalken in einem Stollen. „Was ist das für ein merkwürdiger Ort?“, fragte Hiroshi, während er sich prüfend umsah. Hinter sich hörte die Gruppe ein Geräusch und sah wie Mika hinter ihnen den Gang betrat, als sie sich umdrehten. Wütend schaute sie die Gruppe an: „Das nächste Mal solltet ihr mich vielleicht ausreden lassen bevor ihr euch ins Abenteuer stürzt.“ Erstaunt sah die Gruppe sie an, woraufhin sie sich räusperte und weiter sprach: „Ich habe das Areal die letzten Tage beobachtet. Wenn man am Tag hier her kommt passiert nichts. Man steht dann wirklich auf dem Tempelgelände, aber nachts... Das seht ihr ja selber. Man könnte es einen Dungeon nennen.“ „Sind wir hier in einem Spiel? Das finde ich gar nicht witzig!“, kam es von Akane. Mirâ jedoch lag etwas anderes auf der Seele: „Du sagtest, am Tage ist das hier das normale Areal. Heißt das, am Tag war Shin-Senpai hier im Tempel?“ Mika schüttelte den Kopf: „Das habe ich erst auch gedacht und wollte ihn suchen. Ich habe wirklich in jedem Winkel gesucht, aber er war nirgends zu finden. Er wird wohl in diesem Dungeon gefangen sein. Allerdings habe ich mich nicht tiefer hier hinein getraut. Wie ihr wisst habe ich keine Persona und kann auch so nicht wirklich kämpfen. Zwar lassen mich die Shadows in Ruhe und ignorieren mich, aber es ist nicht sicher, dass sie mich doch angreifen, wenn ich ihrem Opfer zu nah komme.“ Erstaunt blickte Mirâ das kleine Mädchen an. Dafür, dass sie nicht älter als 11 oder 12 schien redete sie sehr erwachsen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie schon so lange hier war. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr klar, dass sie eigentlich gar nicht wussten, wie lange Mika sich hier nun schon aufhielt. Und was würden sie machen, wenn sie heraus fanden, dass Mika eigentlich gar kein Mensch war sondern ein Geschöpf dieser Welt? Es klang zwar merkwürdig, aber ausgeschlossen war das keineswegs. Ob das blauhaarige Mädchen damit klar kommen würde? „Stimmt etwas nicht, Mirâ?“, fragte sie nun eben dieses Mädchen. Sie legte leicht den Kopf schief, was ihr nun wieder einen kindlichen Touch gab. Mirâ schüttelte den Kopf und lächelte leicht. Es war gerade nicht die Zeit, um sich genau darüber Gedanken zu machen. Nun hatten sie ein wirklich wichtigeres Problem: Sie mussten Masaru finden und retten bevor Neumond wurde und der Vollmond in dieser Welt auftauchte. „Nein alles in Ordnung. Lasst uns gehen.“, sagte sie erstaunlich ruhig. Ihre drei Freunde nickten und so machte sich die kleine Gruppe auf den Weg. Der Gang zog sich schier endlos in die Länge und die Wände wiederholten sich immer wieder. Nach einer Weile endete der Gang und teilte sich in zwei Richtungen. „Wo lang nun?“, fragte Akane, sich in beide Richtungen umschauend. Auch Mirâ blickte sich in beide Richtungen um. Der Gang zu ihrer Rechten zog sich ein ganzes Stück in die Länge. Danach wurde es zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Der Gang zu ihrer Linken jedoch bog nach wenigen Metern wieder rechts ab. „Schwierige Entscheidung.“, ging es ihr durch den Kopf, aber wenn sie noch länger zögerten würden sie nie wissen wo sie lang mussten. Für einen Weg mussten sie sich entscheiden. Noch einmal sah sie sich in beide Richtungen um. Zuerst zu ihrer Linken und dann noch mal in den endlosen Gang zu ihrer Rechten. Eine Art Luftzug zog an Mirâs Nacken vorbei, was sie sich wieder umdrehen ließ. „Mirâ, was ist?“, fragte Hiroshi, „Wo sollen wir lang gehen?“ Die Angesprochene setzte sich in Bewegung und ging auf den Gang zu, welcher nach wenigen Metern wieder abbog. Einen Moment zögerten ihre Freunde doch folgten ihr dann. Kurz darauf bog die Gruppe um die erste Ecke, doch plötzlich gingen mehrere Blitze zwischen ihnen nieder. Schnell sprangen die vier auseinander und blickten genau auf einen Shadow vor sich. Sein Körper bestand aus einer Art Kleid, an dessen Rücken zwei Flügel angebracht waren, welche wie riesige Hände aussahen. Diese waren an den richtigen Armen des Shadows befestigt, sodass sich diese bei jeder Bewegung mit bewegten. Der Hals ging genau in eine Narrenmütze über und das Gesicht war eine blaue Maske. Er beugte sich nach vorn und schlug seine Arme zusammen, woraufhin kurz darauf ein Feuerball auf die drei zukam. Hiroshi und Akane sprangen zur Seite, doch Mirâ wurde schmerzhaft zu Boden gerissen. „Mirâ alles in Ordnung?“, rief Mika ihr zu, doch atmete erleichtert auf, als sie merkte, dass Mirâ sich wieder aufrichtete. „Ja. Geht schon.“, kam es von der Angesprochenen. Mika sah wieder zu dem Shadow. Dieser war ihr vollkommen unbekannt, dabei lebte sie schon sehr lange in dieser Welt. Anscheinend gab es auch Shadows, die sich nur an bestimmten Orten zeigten. Hiroshi drehte sich zu dem kleinen Mädchen: „Deinem Blick zu urteilen, hast du diesmal keine Ahnung was das für ein Shadow ist.“ Die Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein tut mir leid. „Schon gut. Wir bekommen das hin.“, kam es grinsend von Akane, während sie ihr Smartphone aus der Tasche nahm, „Euch werde ich es zeigen.“ Um sie herum leuchtete ein blaues Licht und kurz darauf erschien Wadjet hinter ihr. Sie bekam von Akane den Befehl „Bash“ und erhob sich in die Luft, um den Shadow daraufhin mit einem kräftigen Tritt anzugreifen. Dieser torkelte zurück, doch blieb standhaft. Von hinten kam ein Ball angeschossen, welcher den Shadow wieder nach vorne taumeln ließ, jedoch ansonsten keine große Wirkung erzielte. Der Angegriffene richtete sich nun wieder auf und ein weißes Licht umgab ihn, woraufhin die Gruppe wieder in die Verteidigung ging. Doch anstatt sie anzugreifen änderte sich die Farbe des Lichts zu Grün. Kurz darauf stand der Shadow wieder vollkommen aufrecht. „Er kann Dia anwenden.“, rief Mirâ, welche sich wieder von dem Feuerangriff erholt hatte. Sie hätte sich mit Dia ebenfalls heilen können, doch sie wollte nicht unnötig Energie verbrauchen, die ihr später vielleicht fehlen würde. Außerdem waren ihre Wunden nicht so stark, dass es nötig gewesen wäre. Stattdessen spannte sie einen ihrer Pfeile und ließ ihn auf den Shadow los, doch es hatte nur dieselbe Wirkung wie Hiroshis Ball: Der Shadow taumelte etwas zurück, doch sonst geschah nichts weiter. Angestrengt schaute Mika dem Kampf zu. Eine Schwachstelle musste dieses Ungetüm von einem Shadow doch haben. Ihr kam eine Idee, doch ob sie funktionieren würde war nicht klar. Sie wand sich an ihre Freundin: „Mirâ. Als du vorhin von der Feuerattacken getroffen wurdest, hat es dich doch von den Beinen gerissen oder?“ Mirâ nickte: „Ja. Die Schwäche meiner Persona ist Feuer, aber was hat das...“ Sie stoppte, als ihr klar wurde, worauf Mika hinaus wollte. Klar! Wenn er Feuerangriffe nutze konnte das heißen, dass seine Schwäche Eis war. Auf einen Versuch jedenfalls kam es an. Schnell zog sie ihr Smartphone hervor und rief ihre Persona. Das blaue Licht umgab sie als sich Hemsut hinter ihr manifestierte. Das Auswahlmenü für Hemsuts Fähigkeiten öffnete sich und Mirâ wählte die Fähigkeit „Bufu“ aus, woraufhin sich Hemsut in die Luft begab und ihre Hand auf den Shadow richtete. Kurz darauf umgab eine Eisschicht den Shadow und zersprang. Doch statt den Shadow zu zerstören ertönte ein Geräusch, als würde er diese Kraft in sich aufnehmen. Und wirklich, der Shadow richtete sich wieder auf und schien wie neu geboren. „Er hat die Kraft absorbiert.“, geschockt sah Mirâ zu ihrem Gegner. Auch Mika schien schockiert. Wie konnte dieser Shadow gegen Eis resistent sein? Anscheinend konnte man sich nicht unbedingt von der Fähigkeit auf die Schwäche beziehen. Doch gegen welchen Angriff war dieser Shadow dann anfällig? Ehe sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, schoss eine Feuerkugel an ihr vorbei und traf den Shadow genau am Kopf, was ihn zu Boden gehen ließ. Als sie sich umdrehte erkannte sie Hiroshis Persona Aton, welche über ihrem Kumpel schwebte. Auch die beiden anderen Mädchen blickten ihn erstaunt an. „Was ist? Man musste es doch wenigstens probieren oder?“, fragte er, als er in die fragenden Gesichter der Mädchen blickte, „Wir sollten die Chance lieber nutzen und ihn gemeinsam angreifen.“ Als wären die Mädchen aus ihrer Starre erwacht nickten sie ihrem Kumpel zu und die drei Persona-User griffen gemeinsam an. Kurz darauf war der Shadow verschwunden. Eine Weile blickte die Gruppe noch auf den Punkt, wo der Shadow bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Als kein weiterer Shadow auftauchte sahen sich die vier Freunde an und mussten, trotz der Situation, unwillkürlich lächeln. Sie setzen sich wieder in Bewegung, um ihre Suchaktion weiter voran zu treiben. Doch die Freude blieb nicht lange, denn wenige Meter weiter wurden sie von weiteren Shadows attackiert. Dieses Mal waren es „kleine Fische“, wie Akane sie nannte, denn zum Großteil bestand die angreifende Gruppe aus Sleeping Hablerie und Dancing Hands, welchen sie ja bereits schon einmal begegnet waren. Zwischendurch kamen ihnen auch noch Shadows entgegen, welche wie große schwarz-goldene Käfer aussahen und eine rot- goldene Krone trugen. Diese hießen wohl „Golden Beatle“, wie Mika sie nannte. Zwar hatten sie etwas Probleme mit diesen Gegnern, doch dank Mika wusste die Gruppe schnell welchen Schwachpunkt der Shadow hatte. Nach einer gefühlten Ewigkeit endete der Gang und die Gruppe stand vor einer großen Holzkiste, welche ein wenig an einen alten traditionellen Sarg erinnerte. Ein leichter Schauer lief den Vieren über den Rücken. Was mochte wohl darin sein? „Los öffnen wir die Kiste!“, kam es gespannt von Hiroshi. Akane lief erneut ein kalter Schauer über den Rücken: „Bist du verrückt?! Was, wenn dort ein Shadow drin ist? Oder noch schlimmer... Ein Toter?“ Überrascht sah Hiroshi sie an: „Wo bitteschön sollte hier ein Toter her kommen? Vielleicht ist ja auch etwas Nützliches drin. Waffen oder so.“ Akane nuschelte etwas von wegen, wie die Waffen herkommen sollten, doch versteckte sich lieber hinter Mirâ, welche an die Kiste heran trat. Ein wenig musste sie schon schmunzeln, als sie Akane so sah. Ihre Freundin tat immer sehr stark, aber anscheinend gab es auch für sie Dinge die ihr Angst einflößten. Vorsichtig hob sie den Deckel der Kiste an und gab die Sicht auf den Inhalt frei. Diese sah allerdings sehr enttäuschend aus. Nur drei kleine Fläschchen standen in dieser riesigen Kiste. Gefüllt waren sie mit einer gelblich schimmernden Flüssigkeit. Erstaunt sah die Gruppe auf die drei Fläschchen vor sich. „Ziemlich mickrig für so eine große Kiste.“, kam es enttäuscht von Hiroshi. Er hatte anscheinend wirklich mit Waffen oder dergleichen gerechnet. „Was ist das überhaupt?“, vorsichtig griff Akane in die Kiste und wollte sich ein Fläschchen nehmen. Doch als sie dieses berührte löste es sich in Luft auf: „Hu?“ Ein Ton ließ die Gruppe aufschrecken und gleichzeitig nach ihren Handys greifen. Erstaunt blickten sie auf ihre Displays. „Was ist los?“, fragte Mika und sah ihrer Freundin Mirâ über die Schulter. Auf deren Display war das Menü der Persona-App zu sehen. Mirâ hatte ihr bereits davon erzählt und ihr erklärt, dass sie mithilfe dieser App ihre Persona rufen und ihr Befehle erteilen konnte. Zudem zeigte ihr dieses Programm ihre erhaltenen Social Links, sowie den Status ihrer Persona an. Nun leuchtete ein Feld unter der Bezeichnung „Summoning Persona“ auf, welches beim letzten Mal, als Mirâ ihr das Programm gezeigt hatte, noch nicht vorhanden war. Darauf stand in der gleichen blau umrandeten weißen Schrift „Items“. Verwundert öffnete Mirâ diese Option und eine Liste kam zum Vorschein. Allerdings stand dort nur eine Option und diese hieß „Peach Seed“. Dahinter stand in einem kleinen quadratischen Feld „3x“. „Peach Seed. Was soll das sein?“, fragte Hiroshi leicht verwirrt. Fragend sah Mika zu ihm hinüber. Anscheinend wurden die Items bei allen angezeigt. Aber auch sie fragte sich, wofür dieses Item gut sein sollte. Auch Mirâ schien sich diese Frage zu stellen, denn kurz darauf tippte sie auf das Auswahlfeld. Plötzlich verschwanden einige Wunden, welche sie bei den Kämpfen gegen die Shadows erlitten hatte. „Ein Item was Wunden heilt.“, kam es überrascht von Mika, als sie sah wie sich die Wunden bei ihrer Freundin schlossen. Die Liste aktualisierte sich und die Anzahl der Items verringerte sich auf zwei Stück. Fassungslos fasste sich Akane an den Kopf: „Langsam kommt mir das hier wirklich wie ein RPG vor.“ „Ein RPG?“, fragend blickte Mika sie an. „Kennst du das nicht?“, fragte Akane, „Ein RPG ist ein Rollenspiel. Derzeit sind solche Spiele für Konsolen sehr angesagt. Man läuft durch einen sogenannten Dungeon und bekämpft Monster. Unterwegs kann man Items sammeln, die einen verstärken, heilen oder was auch immer. Mein kleiner Cousin ist total verrückt nach solchen Spielen. Und irgendwie machen wir ja gerade genau DAS.“ „Mit dem Unterschied, dass du, wenn du in dem Spiel stirbst, von vorne anfangen kannst. Wenn wir hier sterben, dann war’s das mit uns.“, meinte Hiroshi ernst. Zustimmend nickte Akane: „Und das finde ich alles andere als witzig. Wer oder was auch immer hierfür verantwortlich ist, man sollte ihm mal so tüchtig in den Arsch treten.“ „Aber vorher müssen wir wohl oder übel wieder zurück und den anderen Weg nehmen. Hier kommen wir nicht weiter.“, meinte Mirâ, während sie die Wand vor sich betrachtete. Die Kiste war mittlerweile verschwunden. Daraufhin machte sich die kleine Gruppe auf den Rückweg zu der Abzweigung. Leider ließen auch die Shadows nicht lange auf sich warten und so wurden sie zwischendurch immer wieder von diesen Wesen angegriffen. Da es dieses Mal aber wieder die gleichen Arten Shadows waren, welche sie bereits auf dem Hinweg überfallen hatten, waren sie keine große Herausforderung mehr. Erwartungsgemäß schnell waren sie auch schon wieder an der Abzweigung angekommen und folgten nun dem Weg, welcher auf den ersten Blick ins Dunkel führte. Doch schnell musste die Gruppe feststellen, dass es ihnen anfangs nur so vorkam, weil der dunkle Teil immer ziemlich weit voraus lag. Auch in diesem Gang kamen ihnen mehrere Shadows entgegen, welche sie angriffen. Doch die Gruppe wusste sich durchzusetzen. Ab und an zweigte der Weg wieder ab, was leider auch dazu führte, dass die vier wieder in einer Sackgasse landeten. Dies hatte allerdings oft den Vorteil, dass sie neue Kisten fanden. Sie entdeckten viele nützliche Dinge, auch Waffen, wie Hiroshi gehofft hatte. So konnte Mirâ zum Beispiel ihren Vorrat an Pfeilen aufstocken und Hiroshi fand einen neuen Ball. Alles schien wirklich langsam wie in einem Spiel, doch es war viel zu real. Das musste die Gruppe auch schmerzhaft feststellen, als aus einer der Truhen plötzlich ein ziemlich starker Shadow gesprungen kam und sie große Mühe hatten, diesen in die Knie zu zwingen. Doch dank der Dia-Fähigkeit von Hemsut und den Tränken, welche sie unterwegs fanden kamen sie schlussendlich an einer großen Tür an, welche an die Eingangspforte eines Tempels erinnerte. „Endlich am Ziel.“, kam es begeistert von Akane. Mirâ jedoch hatte ein sehr ungutes Gefühl. Ihr war, als würde sie hinter dieser Tür etwas Schreckliches erwarten. Etwas, mit dem sie nicht so einfach fertig werden würden, wie mit den Shadows auf dem Weg hier her. Andererseits ging es um Masarus Leben. Sie mussten durch diese Tür oder Masaru würde mit dem Leben bezahlen. Noch einmal schluckte sie schwer ehe sie vorsichtig die Tür aufschob. Doch was sie dort vorfanden war alles andere als erleichternd. Sie standen in einer großen Halle, welche allerdings ihnen gegenüber wieder in einen Gang überging. Anscheinend waren sie noch lange nicht am Ende und um weiter zu gelangen mussten sie zu dem Gang hinüber. Doch da gab es ein kleines Problem: Ein riesiger Shadow blockierte ihnen den Weg. Es war ein Ritter auf einem Pferd. Zu mindestens sah es auf den ersten Blick so aus, denn das Pferd war nur zu erkennen, weil die Rüstung die Form angab. Doch eigentlich war dort kein Körper und der ganze Shadow schien zu schweben. Auch der Ritter schien nur aus der Rüstung zu bestehen und mit dem „Pferd“ verschmolzen zu sein. In seiner rechten Hand hielt er eine lange Lanze und sein Gesicht war eine lilane kronenähnliche Maske. Allerdings bewegte er sich nicht. Er schwebte einfach nur still da, den Oberkörper leicht hängend, als sei er extrem geschwächt, und die Lanze zu Boden gerichtet. „Lasst uns versuchen an ihm vorbei zu kommen. Vielleicht haben wir Glück und er bemerkt uns nicht.“, schlug Hiroshi vor, woraufhin die Mädchen nickten. Sofort versuchte die Gruppe ihr Glück und schlichen auf leisen Sohlen an dem Shadow vorbei. Erst einmal geschah nichts und es schien, als könne die Gruppe es schaffen. Doch kaum waren sie ungefähr auf seiner Höhe bemerkten sie plötzlich einen Schatten über sich. Erschrocken blickten sie sich um. Der Schatten hatte die Form eines großen Vogels, doch sie konnten niemanden erblicken. Der Schrei eines Falken war zu vernehmen und plötzlich bewegte sich der Ritter vor ihnen. Nun gab es keine andere Möglichkeit, als zu kämpfen. Ehe der Shadow sich richtig aufgesetzt hatte sah Mirâ noch, wie der vogelartige Schatten in Richtung Ausgang flog und dort verschwand. Schnell gingen die drei Persona-User in die Verteidigung und warteten darauf, dass der Shadow den ersten Schritt tat und angriff. „Es war auch zu schön um wahr zu sein.“, meinte Akane, „Wieso war mir klar, dass wir nicht einfach an dem Teil vorbei kommen?“ „Hör auf zu meckern. Einen Versuch war es wert.“, rief ihr Hiroshi zu. „Konzentriert euch ihr beiden.“, rief Mirâ, während sie sah, wie sich der Shadow aufbäumte. Das wiehern eines Pferdes war zu hören und der Shadow richtete seine Lanze auf Akane. Dann ging er zum Angriff über. Das braunhaarige Mädchen versuchte auszuweichen, doch der Shadow war schneller, sodass sie an der Seite getroffen wurde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht torkelte sie einige Schritte zurück, blieb aber standhaft. „Alles in Ordnung?“, rief ihr Mika zu. „Ja, nur ein Kratzer.“, meinte Akane. Sie griff nach ihrem Smartphone und wählte die Option „Items“ um sich kurz darauf etwas mit einem „Peach Seed“ zu heilen. Währenddessen ging Mirâ zum Angriff über. Sie spannte einen ihrer Pfeile und schoss diesen auf den Shadow zu. Zwar traf der Pfeil den Shadow genau am Körper, doch wurde dieser gleich wieder abgelenkt und flog in eine andere Richtung. Angriffe mit Pfeilen waren also zwecklos. Hiroshi wiederum versuchte es mit einem Zio-Angriff. Dieser traf den Shadow, welcher leicht zurück stolperte, aber ansonsten standhaft blieb. Auch Akane versuchte nun ihr Glück und griff den Ritter mit Agi an, doch auch das blieb ohne großen Erfolg. „Hat dieses Ungetüm denn gar keinen Schwachpunkt?“, fragte Hiroshi, als er ein paar Schritte zurück und wieder in die Verteidigung ging. Wieder bäumte sich der Shadow auf und die drei Freunde rechneten mit dem nächsten Angriff, allerdings geschah vorerst nichts. Doch plötzlich ging Hiroshi zu Boden. Erschrocken sah Mirâ ihren Kumpel fallen. Der Shadow hatte sich doch gar nicht auf ihn zu bewegt. Was war da passiert? „Seid vorsichtig. Ich habe diese Attacke schon einmal gesehen.“, rief ihnen Mika zu, „Sie nennt sich Skewer. Es ist schwer vorher zu sehen, wen die Shadows damit angreifen, weil es so schnell geht.“ „Das hab ich bemerkt.“, meinte Hiroshi, während er sich wieder aufrichtete, „Noch etwas was wir wissen sollten?“ Mika schien kurz zu überlegen: „Ja. Es gibt mehrere Arten dieses Angriffs. Manche haben noch Nebenwirkungen, wie Gift.“ „Gift?“, kam es erschrocken von den drei Persona-Usern. Mika nickte: „Ich weiß aber nicht, welche Angriffe dieser Shadow noch drauf hat. Deshalb kann ich euch nicht sagen, ob er auch Poisen Skewer einsetzen kann. Tut mir leid.“ Die drei Freunde sagten nichts weiter dazu und konzentrierten sich wieder auf den Gegner vor sich. Wenn er keine Schwachstelle hatte mussten sie ihn eben so irgendwie klein bekommen und ihn immer wieder angreifen. Doch bevor sie überhaupt wieder einen Angriff starteten, heilte Mirâ Hiroshis Wunden mithilfe von Dia. Daraufhin griffen sowohl ihr Kumpel als auch Akane den Shadow mit Agi an, was ihn wieder etwas zurück drängte. Der Kampf zog sich in die Länge und immer wieder musste die Gruppe starke Angriffe einstecken. Auch der Shadow schien schwächer zu werden, denn allmählich ließ er seinen wuchtigen Oberkörper hängen. „Gleich haben wir ihn.“, rief Hiroshi sichtlich erschöpft. Der Kampf gegen den riesigen Shadow hatte seinen Tribut gezollt. Noch ein letztes Mal ging der Shadow zu einem Angriff über. Wieder bäumte er sich auf, schwebte aber weiter auf der Stelle. Kurz darauf traf Mirâ etwas scharfes, was sie zu Boden riss. Doch plötzlich fühlte sie noch etwas anderes als den Schmerz. Ihr Körper wurde schwächer je mehr sie sich bewegte. War dies etwa diese „Poisen Skewer“ Attacke? An einigen Stellen ihrer Haut formten sich kleine violette Bläschen, welche übel brannten. „Mirâ beweg dich nicht zu viel. Das ist Gift!“, hörte sie Mika rufen, im Grunde jedoch war ihr das schon selber klar. „Verdammt!“, Hiroshi suchte das Items-Menü nach einem Mittel gegen Gift ab, doch konnte nichts finden. Wie sollten sie Mirâ helfen? „Das wirst du büßen!“, rief Akane wütend und ließ Wadjet mit ihren Agi Angriffen auf den Shadow los. Dann endlich verschwand der Shadow in einer dunklen Wolke. Kurz darauf fielen zwei Fläschchen zu Boden. Die Flüssigkeit der einen Flasche war hellblau, während sie in der zweiten Flasche hellviolett schimmerte. Schnell ergriff Akane die beiden Behältnisse, woraufhin sie verschwanden und die Smartphones wieder einen Ton von sich geben, welche Ihnen sagen sollte, dass neue Items im Inventar waren. Die zwei neuen Items waren „Dokudami Tea“ und „Royal Jelly“. „Bitte lass etwas dabei sein, um Mirâ zu heilen.“, flehte Hiroshi, während Akane auf gut Glück „Dokudami Tea“ auswählte. Ein glänzendes Licht umgab Mirâ und die kleinen Bläschen auf ihrer Haut verschwanden. Auch das Gefühl immer schwächer zu werden ging. Trotz allem war Mirâ immer noch extrem geschwächt. Sie versuchte ihre Fähigkeit Dia einzusetzen, scheiterte allerdings. Sie war nicht einmal mehr in der Lage ihre Persona zu rufen. Anscheinend war sie am Ende ihrer physischen Kraft angelangt. Und trotzdem wäre sie weiter gegangen, hätte Hiroshi sie nicht aufgehalten. „Wo willst du hin Mirâ?“, fragte er sie, als sie sich aufrichten wollte. Vorsichtig hielt er sie am Arm fest um ihr nicht weh zu tun, aber gehen lassen konnte er sie auch nicht. „Wir müssen weiter.“, sagte Mirâ leicht geschwächt und fiel plötzlich vorn über. Akane fing sie auf: „Aber nicht in diesem Zustand. Wir sind alle fertig, Mirâ. Du schaffst es nicht einmal mehr deine Persona zu rufen. Lass uns zurück gehen und später weiter nach Shin-Senpai suchen.“ Erschrocken sah Mirâ ihre Freunde an: „Nein! Wir sind so weit gekommen, da können wir doch jetzt nicht einfach aufgeben.“ „Wir geben nicht auf.“, Hiroshi sah sie ernst an, „Aber in unserem jetzigen Zustand können wir nicht mehr kämpfen. Verstehst du das nicht? Wenn wir so weiter gehen und wieder auf einen starken Shadow treffen, dann sind wir so gut wie tot. Und wie willst du Shin dann retten?“ Mirâ war sprachlos und wusste auch sonst nicht, was sie darauf hätte sagen können. Ihre Freunde hatten ja Recht, aber sie mussten doch ihren Mitschüler retten. Verzweifelt sah Mirâ auf die immer noch verschlossene Tür vor sich. Sie waren dem Ziel so nah und nun? Mika kam auf Mirâ zu und hockte sich zu ihr herunter: „Bitte geht erst einmal nach Hause und ruht euch aus. Ich werde die Sache hier weiter beobachten. Versprochen.“ Das Mädchen mit den violetten Haaren senkte den Blick und nickte dann. Was hätte sie sonst auch tun können? Ihre Kraft war erschöpft und vor ihnen lag immer noch ein langer Weg. Sie mussten so schnell wie möglich wieder zu Kräften kommen. Somit half ihr Akane auf die Beine und stütze sie, während sie Gruppe sich wieder auf den Rückweg machte. Sie hatten sich moralisch schon darauf vorbereitet den gesamten Weg inklusive Shadows wieder zurück laufen zu müssen. Doch als sie durch die Tür traten, durch welche sie in den Saal gelangt waren, befanden sie sich wieder auf der Treppe im Eingangsbereich des Tempels. Erstaunt blickte die Gruppe zurück auf den Eingang, welcher nun hinter ihnen lag. Anscheinend gelangten sie wieder zum Eingang zurück, wenn sie einen Teil des Dungeons bezwungen hatten. Praktisch war dies auf jeden Fall, doch würden sie auch dort wieder starten können, wo sie ihre Suche beendet hatten? Um dies heraus zu finden, mussten sie wieder in den Dungeon hinein, doch nicht an diesem Abend. Vorsichtig stiegen sie nun die Stufen des Tempels hinab und machten sich auf den Heimweg, doch Mirâ schaute noch einmal zum Tempel hinauf, bis dieser aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Kapitel 10: X - Die Rettung --------------------------- Mittwoch, 13.Mai 2015 Erschöpft betrat Mirâ das Trainingsgelände des Kyûdo-Clubs. Eigentlich hatte sie gar keine Lust auf den Kurs, aber sie hatte bereits am Montag geschwänzt. Sie war von der Suche nach Masaru sehr geschwächt gewesen und dieses Gefühl hatte sich bis zu diesem Tag noch nicht richtig gelegt. Akane und Hiroshi ging es nicht anders. Auch sie waren extrem geschwächt. Dass die Gruppe ihre Rettungsaktion abbrechen musste lag Mirâ zusätzlich schwer im Magen. Sie hoffte Masaru ging es gut. Am liebsten hätte sie mit jemanden darüber gesprochen, doch ihre Freunde wollte sie nicht extra damit belästigen. Immerhin hatten sie auch genügend andere Probleme. Auch mit Mika konnte sie nicht darüber sprechen, da diese angeboten hatte den Tempel weiter zu beobachten bis die Gruppe am folgenden Samstag wieder zurück kam. Mirâ hoffte inständig, dass sie und ihre Freunde bis dahin wieder fit waren. Sie mussten Masaru retten. Bald war wieder Neumond und Mirâ hatte das böse Gefühl, das an diesem Tag wieder etwas Schreckliches passieren würde. „Na wen haben wir denn da?“, hörte sie eine weibliche Stimme. Mirâ seufzte. Für Amy hatte sie nun wirklich keinen Nerv. Allein sie wäre schon ein Grund gewesen auf dem Absatz wieder umzudrehen und zu gehen. Doch stattdessen drehte sich Mirâ in die Richtung des blonden Mädchens und setzte ein genervtes Lächeln auf: „Hallo Iwato-Senpai.“ Ihr Gegenüber zog eine Augenbraue hoch und blitzte sie mit grünen Augen böse an: „Wo waren wir am Montag? Du weißt genau, dass es eine Anwesenheitspflicht gibt.“ Genervt fasste sich Mirâ an den Kopf: „Mir ging es am Montag nicht sehr gut. Und um ehrlich zu sein, bin ich auch heute noch nicht wirklich auf dem Damm. Deshalb könntest du mir einen Gefallen tun und mich bitte in Ruhe lassen?“ Damit ging sie an Amy vorbei in Richtung der Umkleidekabinen. Doch diese blähte beleidigt wie ein kleines Kind die Wangen auf und hielt Mirâ auf, indem sie diese am Arm packte. „Sag mal wie redest du eigentlich mit mir, Shingetsu?“, fragte sie wütend. Erneut seufzte Mirâ, dieses Mal aber mehr genervt. Sie hatte überhaupt keine Lust auf eine Diskussion mit Amy. Vielleicht hätte sie auch einfach nur sie Klappe halten und an ihr vorbei gehen sollen. Ein wenig bereute Mirâ ihr übereiltes Handeln. Vorsichtig drehte sie sich zu ihrer Senpai um und setzte ein entschuldigendes Gesicht auf: „Bitte entschuldige, Senpai. Wie gesagt mir geht es nicht so gut, deshalb habe ich etwas überreagiert. Dürfte ich mich dann umziehen gehen, bevor wir mit dem Training beginnen?“ Mirâ versuchte so ruhig zu sprechen wie es ihr nur irgend möglich war. Doch es schien Wirkung zu zeigen, denn Amy ließ sie los. Trotzdem schnaufte sie kurz verächtlich: „Na gut. Dir sei verziehen. Du kannst gehen.“ Dankbar verbeugte sich die jüngere der Beiden und ging dann zu den Umkleidekabinen. 20 Minuten später stand sie nun endlich aufgewärmt vor der Zielscheibe und übte. Doch an diesem Tag war sie so unkonzentriert, dass sie die Scheibe ständig verfehlte. Genervt seufzte Mirâ, während sie ihre Pfeile zurück holte. Als sie zurück an ihrem Platz war wartete bereits Dai auf sie. Er sah sie ernst an, doch auch er schien sehr erschöpft. Seine Wangen waren leicht eingefallen und unter seinen Augen bildeten sich tiefe Augenringe ab. „Ich habe euch vorhin wieder streiten sehen, Hime und dich.“, kam es mit ernster Stimme von ihrem Senpai. „Bitte verzeih, Senpai. Ich bin etwas erschöpft und habe da etwas überreagiert. Das war meine Schuld. Ich habe mich bereits bei Iwato-Senpai entschuldigt.“, entschuldigte sich Mirâ. Es war eigentlich ungerecht, dass sie die ganze Schuld auf sich nehmen musste, aber sie wollte auch keine Unruhe in den Club bringen. Es reichte wenn sie sich ständig mit Amy in die Haare bekam, weil diese eifersüchtig war - warum auch immer. Mirâ hatte schon mit einer Standpauke von Dai gerechnet. Doch dieser seufzte nur leicht und nickte bestätigend. Irritiert blickte sie ihren Senpai an und sah dabei genau in seine müden Augen. „Du siehst auch nicht gut aus. Alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig. Dai schüttelte den Kopf: „Ich hab dir doch erzählt, dass Masaru verschwunden ist. Sie haben ihn immer noch nicht gefunden. Ich mache mir wirklich Sorgen.“ Ein Kloß bildete sich in Mirâs Hals. Wieder wurde sie schmerzlich daran erinnert, dass sie es nicht geschafft hatten Masaru am vorangegangenen Samstag zu retten. Doch sie durfte sich das nun nicht anmerken und sich deshalb auch nicht entmutigen lassen. Vorsichtig klopfte sie Dai auf den Arm: „Das wird schon. Sie werden Shin-Senpai sicher bald finden. Ihm geht es sicher gut. Lass dich bitte nicht unterkriegen. Du musst für den Club stark bleiben.“ Dai lachte kurz auf. Doch es war kein wirklich amüsiertes Lachen. Trotzdem versuchte er für Mirâ ein freundliches Lächeln aufzusetzen: „Das mag sein. Danke Shingetsu.“ „Für was?“, kam es irritiert von der jungen Frau. „Keine Ahnung. Du warst die Erste, die mich drauf angesprochen hat. Reden hilft ein wenig.“, meinte Dai nachdem er kurz überlegen musste. „Du kannst jederzeit mit mir reden wenn du magst. Ich habe immer ein offenes Ohr.“, sagte Mirâ etwas zu unüberlegt, woraufhin sie aufschrak, „Entschuldige. Ich wollte nicht aufdringlich wirken.“ Erstaunt blickte der ältere sie an, doch lachte dann seit geraumer Zeit wieder herzlich: „Nein. Das ist wirklich nett von dir. Vielen Dank. Ich werde bei Gelegenheit auf dein Angebot zurück greifen. Dann bis später.“ Damit setzte sich der junge Mann wieder in Bewegung und beobachtete das Training der anderen Mitglieder. Als ihm Mirâ so nachschaute hatte sie das Gefühl, dass seine Schritte etwas lockerer geworden waren, als noch kurz zu vor. Doch wahrscheinlich bildet sie sich das nur ein. Trotzdem spürte sie ein warmes Gefühl, welches aber schnell wieder verschwand. Also machte sie sich keine weiteren Gedanken darüber und hatte es im nächsten Moment auch schon wieder vergessen. Samstag, 16.Mai 2015 Angespannt stand die kleine Gruppe wieder vor dem Eingangstor des Tempelgeländes. Sie hatten sich in den letzten Tagen wieder vollständig erholt und auf ihren bevorstehenden Kampf vorbereitet. Wie Mirâ erfahren hatte, waren die Personas ihrer Freunde in ihren Level gestiegen und hatten neue Fähigkeiten erlernt, welche sie nun testen wollten. Auch Hemsut war um ein paar Level gestiegen, doch hatte leider keine neuen Fähigkeiten erlernen können. Ein wenig neidisch auf ihre Freunde war sie schon, doch sie war sich sicher, dass sie sich voll und ganz auf deren neue Fähigkeiten verlassen konnte. „Dann mal los.“, sagte Mirâ schwungvoll. Ihre Freunde nickten und somit betraten sie wieder den Dungeon. Glücklicherweise begannen sie genau an dem Ort, an welchem sie eine Woche zuvor aufhören mussten. Auch waren sie froh darüber, dass sie nicht noch einmal gegen den Shadow antreten mussten. Darauf konnten sie wirklich verzichten. Geradewegs schritten sie auf das Tor ihnen gegenüber zu und stießen es auf. Wie zu erwarten erstreckte sich vor ihnen erneut ein langer Gang, welcher ab einer bestimmten Entfernung einfach nur noch ins Dunkel führte. Unbeirrt führten sie ihren Weg fort. Etwas jedoch ließ sie stutzen: Während sie weiter den Gang entlang liefen kamen ihnen kaum Shadows entgegen und diese, auf welche sie trafen, ergriffen so schnell wie möglich die Flucht. „Was ist denn mit denen los?“, fragte Akane erstaunt, „Wie soll man denn da trainieren?“ „Irgendetwas scheint sie zu verschrecken. Aber was?“, meinte Hiroshi, während er sich umsah. Auch Mirâ und Mika blickten sich in alle Richtungen um. Ein eiskalter Schauer lief ihnen über den Rücken, was die kleinere der beiden Mädchen aufschrecken ließ. Sie hatte kein gutes Gefühl. Vor geraumer Zeit hatte sie dieses Gefühl schon einmal gehabt und ihre einzige Option damals war weglaufen. Das klimpern von Ketten drang an ihr Ohr. „Oh nein! Wir müssen hier weg und uns irgendwo ein Versteck suchen!“, rief sie ihren Freunden zu. Etwas erstaunt blickte die Gruppe sie an und schien eine Erklärung zu erwarten. Mika hätte ihnen diese auch geliefert, doch nicht jetzt und nicht an dieser Stelle. Noch einmal wollte sie ihren Freunden klar machen, dort zu verschwinden, doch plötzlich erstarrte sie. Das klimpern wurde lauter und kurz darauf sah sie schwarze Stofffetzen um eine Ecke hinter ihren Freunden kommen. Ein eiskalter Luftzug zog durch den Gang und veranlasste die Gruppe sich umzudrehen. Geschockt blickten sie auf einen riesigen Shadow, dessen Körper schwebte und aus einem dunkelbraun-roten Mantel bestand. An seinem roten Kopf war eine Maske befestigt, die ihm als Gesicht diente und um seinen Oberkörper schlängelten sich dicke Eisenketten. Doch was die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog waren die zwei riesigen und ellenlangen Revolver, welche er in seinen Händen hielt. „Was ist das denn für ein Shadow?“, rief Hiroshi schockiert. Eine innere Stimme sagte zu Mirâ, dass dieser Shadow nicht normal und schlimmer war, als alles was sie bisher gesehen hatten. Doch egal wie oft sie sich einredete zu verschwinden, ihre Beine versagten ihr jeglichen Dienst. Ihre Freunde jedoch schienen die Gefahr nicht zu spüren und brachten sich in Stellung, um gegen diesen Gegner zu kämpfen. Merkten sie denn nicht diese mörderische Atmosphäre, die dieses riesige Monster umgab? Spürten sie nicht die Gefahr, die von ihm ausging? Geschockt beobachtete Mirâ, was nun geschah. Der Shadow wartete nicht einmal darauf, ob seine Gegner ihn angriffen. Er hob seine zwei riesigen Waffen und richtete sie auf die Gruppe. Um seinen Körper bildete sich ein weißes Licht und kurz darauf sahen die vier mehrere Verwirbelungen in der Luft. Der Ton jedoch, welchen sie von sich gaben, hörte sich alles andere als gut an. Er klang wie viele aufeinander schlagende Klingen. Erst geschah nichts, doch kurz darauf wusste Die Gruppe woher dieser Ton kam. Wir durch mehrere Messer getroffen und verletzt gingen sowohl die drei Persona-User, als auch Mika zu Boden. Schmerzhaft landeten sie gemeinsam an der gegenüber liegenden Wand. „Urgh...“, geschockt blickte Mirâ auf den Shadow vor sich, welcher sich erneut zum Angriff bereit machte. „Dieser Shadow ist verdammt stark. Er hat uns alle vier mit einem Mal umgehauen. Wir müssen weg hier. Einen weiteren Angriff von ihm werden wir nicht durchstehen.“, ging es der jungen Frau durch den Kopf, während sie vorsichtig nach ihrem Smartphone griff. Sie wusste nicht, ob ihr Plan funktionierte, doch sie musste es versuchen. Mit einem Tipp auf ihr Display rief sie ihre Persona herbei und ging sogleich zum Angriff über. Mehrmals hintereinander wählte sie die Option „Bufu“ aus. Hemsut gehorchte und brachte ihre ganze Kraft auf, um den riesigen Shadow anzugreifen. Mehrmals trafen ihn kleine Eisbrocken und drängten ihn zu mindestens etwas zurück. Der letzte Eisbrocken zersprang und ein zarter Nebel legte sich zwischen die Gruppe und den Shadow. Mirâ brauchte einen kleinen Moment um ihre Chance zu begreifen, doch schnell griff sie sich ihre Freunde und machte sich auf uns davon. Zitternd hockte die Gruppe in einer Ecke und lauschte. Das Klimpern kam immer näher und stoppte kurz. Die Zeit schien still zu stehen. Keiner der vier traute sich zu atmen. Es dauerte eine Weile, doch plötzlich entfernte sich das Klimpern wieder und kurz darauf hörten sie ein Geräusch, als hätte sich der Shadow aufgelöst. Noch einige Minuten blieben sie so sitzen und rührten sich nicht von der Stelle. Sie mussten sicher gehen, dass er auch wirklich verschwunden war. Dann jedoch stand Mika wieder auf und atmete erleichtert auf. „Ich denke er ist weg.“, sagte sie schließlich. „Was zur Hölle war DAS?“, fragte Akane schockiert. Eindringlich sah Mika die Gruppe an: „Ein Shadow. Ein sehr starker sogar. Er heißt Reaper und taucht auf, wenn sich irgendwo entweder zu viele Shadows tummeln oder aber anscheinend auch, wenn er Menschen hier bemerkt, die nicht her gehören.“ Mirâ ergriff das Wort: „Du wusstest das wir verschwinden müssen, noch ehe du ihn gesehen hast. Bist du ihm schon einmal begegnet?“ Mika schwieg kurz und senkte den Blick: „Mehrmals. Allerdings konnte ich mich meistens vor ihm verstecken. Im Vergleich zu allen anderen Shadows ignoriert er mich nicht. Aber ich kenne seine Kräfte. Als ich in dieser Welt aufwachte, ohne jegliche Erinnerung, griff er mich an. Ich bin ihm mit viel Mühe und vielen Verletzungen entkommen. Seither versuche ich ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hätte nicht gedacht, dass er auch hier auftauchen würde.“ Mirâ betrachtete das Mädchen vor sich. Anscheinend kamen die kaputten Stellen an ihrer Kleidung von diesem Aufeinandertreffen. Wie sie Mika so über diesen Shadow reden hörte wurde ihr erst klar, wie viel Glück sie eigentlich hatten. Sie sollten von nun an immer in die Umgebung lauschen, ob der Reaper irgendwo in der Nähe war. Diesen Shadow konnten sie nicht besiegen. Zu mindestens nicht in ihrem derzeitigen Zustand. Sie mussten wirklich vorsichtig sein. Die Gruppe nutzte die kurze Auszeit, um sich etwas auszuruhen und sich zu heilen. Die Wunden, die sie durch den Angriff abbekommen hatten, waren so stark, als hätten sie gegen eine Horde normale Shadows gekämpft. Dementsprechend verbrauchte Mirâ auch eine Menge ihrer Kraft. Zwar hatten sie Items, mit denen sie sich heilen konnten, doch wollten sie diese für spätere Kämpfe aufheben. Man wusste nie, wann man sie vielleicht doch noch einmal brauchen könnte. Nach einer Weile jedoch, setzten sie ihren Weg fort. Zwar tauchten wieder mehrere kleine Shadows auf, doch der Reaper ließ sich nicht noch einmal blicken - zum Glück. „Das habt ihr nun davon!“, kam es siegessicher von Akane, nachdem sie mehrere Gegner mit ihrer neuen Fähigkeit „Swift Strike“ niedergestreckt hatte. Mit dieser war es ihr erlaubt mehrere Gegner gleichzeitig mit einem Schlagangriff zu attackieren. Dies hatte teilweise sogar den Vorteil, dass einige Gegner, wenn sie nicht sofort besiegt wurden, zu Boden gingen und sich auch nicht mehr aufrichteten. Diese Gelegenheit nutzte die Gruppe meistens dann, um gemeinsam anzugreifen. Auch Hiroshi hatte eine neue Fähigkeit bekommen. Mit einer Attacke, bei welcher sich Licht um den Shadow legte und ihn mit Bannsiegeln umgab, konnte er einen Gegner sofort vernichten. Allerdings standen die Chancen für einen erfolgreichen Angriff 50:50 und die Fähigkeit verbrauchte eine Menge Kraft, sodass er weiterhin mehr auf Agi und Zio zurück griff. So bahnten sie sich weiterhin ihren Weg durch den Dungeon, welcher aber bald wieder an einer riesigen Tür endete. Diese jedoch, war größer und pompöser als die letzte. Doch anders, als beim letzten Mal spürte Mirâ nichts. Keine Vorahnung, dass etwas Schlimmes hinter dieser Tür lauern könnte, ebenso wenig wie der kalte Schauer, welcher sie das letzte Mal überzogen hatte. Nichts. Es war, als sei hinter dieser Tür nichts und trotzdem wusste sie irgendwie, das Masaru dahinter wartete. Zögernd blickte sie zu ihren Freunden, welche zwar erschöpft wirkten, ihr jedoch Mut zusprechend zunickten. Auch Mirâ nickte kurz und trat auf die Tür zu. Als sie diese jedoch öffnen wollte, tat sich... nichts. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter, auch nicht, nachdem die Gruppe es mit vereinten Kräften versuchte. Wieder machte sich Verzweiflung in Mirâ breit. Sie waren nun so weit gekommen und nun standen sie vor einer verschlossenen Tür. Das durfte doch nicht wahr sein. Wütend schlug Mirâ gegen die Tür: „Verdammt! Wieso geht diese Tür nicht auf? Jetzt sind wir so weit gekommen und nun DAS! Das ist unfair!“ Immer wieder schlug sie verzweifelt gegen die Pforte, sodass ihre Hände bald anfingen zu bluten. Nun war es auch für Hiroshi zu viel und er griff nach Mirâs Arm, als diese erneut ausholte. „Es reicht.“, sagte er ernst, „Egal wie oft du dagegen schlägst, die Tür wird sich nicht öffnen. Für uns geht es hier nicht weiter.“ Wütend und entsetzt zugleich sah die junge Frau ihren Kumpel an. Wie konnte er das sagen? Es ging um einen ihrer Mitschüler, welcher in großer Gefahr schwebte. Sie hatten bereits einmal eine Woche aussetzen müssen. Wie lange wollten sie dieses Mal warten? Sie wollte nicht akzeptieren, dass an dieser Stelle Schluss war. Wütend befreite sich Mirâ aus Hiroshis Griff: „Wie kannst du so etwas sagen? Shin-Senpai ist dort drin und schwebt in Gefahr! Wie kannst du dabei so ruhig bleiben? Machst du dir überhaupt keine Sorgen?“ Hiroshi sah sie mit festem und ernsten Blick an: „Natürlich mache ich mir Sorgen! Aber die Tür bewegt sich nicht, das heißt wir kommen hier nicht weiter. Nicht zu diesem Zeitpunkt.“ Seine Stimme wurde zum Ende hin wieder weicher. Er wollte nicht mit Mirâ streiten, doch in solchen Momenten gingen ihre Gefühle oft mit ihr durch. Das hatte er bereits vor einer Woche bemerkt. Ein Blick zu Mika und Akane verriet ihm, dass diese nicht wirklich wussten, was sie sagen sollten. Sie beobachteten die Sache nur schweigend. „Aber...“, Mirâ stoppte, als würde ihr in diesem Moment erst klar werden, dass sie ihren Kumpel angeschrien hatte. Sie senkte den Blick. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie versuchte sie zurück zu halten. Sie wollte und konnte doch nun hier nicht heulen. Mit erstickter Stimme sprach sie weiter: „Aber wir müssen Shin-Senpai doch retten. In zwei Tagen ist schon Neumond. Wer weiß, was dann passiert.“ Mika und Akane schienen gleichzeitig denselben Gedanken zu haben. Während Mika jedoch an die riesige Tür blickte und das riesige Bild betrachtet, welches bisher keine Beachtung fand, fasste Akane ihre Freundin an die Schulter. „Das ist es!“, riefen beide zugleich. Erstaunt blickten Hiroshi und Mirâ die beiden Mädchen an. Was meinten sie damit? Akane bemerkte Mirâs ratloses Gesicht: „Mirâ, merkst du es nicht? Der Neumond! Das letzte Mal, war zu dieser Zeit in dieser Welt Vollmond. Erinnerst du dich, was damals passiert ist?“ Mirâ schrak auf. Sicher erinnerte sie sich noch daran. Damals tauchten die riesigen Shadows von Akane und Hiroshi auf. Langsam bemerke sie worauf ihre Freundin hinaus wollte. „Diese Tür öffnet sich erst, wenn in dieser Welt Vollmond ist.“, sagte Mika, ohne ihren Blick von der Tür zu nehmen. Nun blickte auch Mirâ auf die Tür und machte große Augen. Den linken Flügel der Tür zierte das Bild einer Stadt über welcher ein umrandeter Kreis schwebte. Dieser Kreis war im Mondkalender das Zeichen für Neumond. Auf dem rechten Flügel jedoch war an der Stelle, wo der Neumond sein müsste ein ausgefüllter Kreis, welcher einen Vollmond darstellte. Darunter war allerdings keine Stadt zu erkennen, sondern merkwürdige schwabbelige Wesen mit Armen und fiesen Augen. Mirâ interpretierte sie als Shadows, denn einige von ihren bisherigen Gegnern tauchten erst als dunkle schwabbelige Masse auf, ehe sie ihre wahre Gestalt annahmen. Sie formte ihre Hände zu Fäusten. Also konnten sie bis zum Neumond bzw Vollmond nichts weiter tun, als zu warten. Das grämte sie extrem. Doch anders ging es wohl nicht, auch wenn es schwer fiel. Mit entschlossenem Blick sah sie ihre Freunde an: „Hiroshi-Kun, es tut mir leid wegen vorhin. Du hast Recht. Ich sollte wohl mehr einen kühlen Kopf bewahren.“ Ihr Kumpel schüttelte den Kopf: „Nein, schon gut. Ich kann dich verstehen.“ „Ich schlage vor, dass wir in zwei Tagen, wenn Neumond ist, beim ersten Dunkel hier her zurück kehren. Je schneller wir Shin-Senpai befreien umso besser.“, meinte Akane, während sie ihre beste Freundin ansah und bemerkte, wie diese sich langsam wieder beruhigte. Mirâ und Hiroshi nickten. Sie mussten so schnell wie möglich handeln, da waren sie sich alle einig. Am Montag würde wahrscheinlich die einzige Chance sein, um Masaru zu retten. Sie wollten gar nicht wissen, was passierte, wenn sie es nicht schafften. Seufzend blickte Akane zurück in den Gang, während sie ihre Arme an die Hüfte stemmte: „Und nun den ganzen Weg zurück? Hier ist dieses Mal keine Tür, die uns zum Tor bringen könnte.“ „Da kann man wohl nichts machen.“, meinte Hiroshi mit einem leichten sarkastischen Lächeln. Auch ihm wäre es lieber gewesen, wenn es einen kürzeren Weg gegeben hätte. „Ihr wisst doch: Jeder Gang macht schlank.“, meinte Mirâ, bei welcher langsam die Anspannung wieder abnahm. Doch plötzlich zog etwas ihre Aufmerksamkeit auf sich. Zuerst sah sie nur ein zartes blaues Leuchten, welches um sie herum schwirrte. Als sie jedoch genauer hinsah, erkannte sie einen kleinen blauen Schmetterling. Wie kam dieser hier rein? Das kleine Wesen ließ sich von ihr nicht irritieren und flog in eine Ecke neben der Tür. Dort blieb es auf einer Stelle und flog so etwas wie Kreise, während es dabei einen zarten blauen Schimmer hinter sich her zog. „Was soll das denn?“, fragte Mika, welcher dieses kleine Wesen ebenfalls aufgefallen war. Sie hatte so etwas noch nie hier gesehen. Natürlich wusste sie, dass es sich um einen Schmetterling handelte, jedoch war ihr fremd, dass diese Wesen sich in dieser Welt aufhielten, in welcher es ja nicht einmal Menschen gab. Mit Ausnahme von ihr. Auch Akane und Hiroshi bemerkten nun das blaue Wesen. „Es scheint als wolle es uns etwas zeigen.“, meinte Akane. Zwar kannte sie sich nicht wirklich mit Insekten und Schmetterlingen aus, aber sie wusste, dass Tiere meistens auf der Stelle liefen, wenn sie ihrem Besitzer etwas zeigen oder eine Stelle markieren wollten. Mirâ jedoch schien dies ernst zu nehmen und ging auf den blauen Flattermann zu. Vorsichtig hob sie ihre Hand und berührte den blauen Schimmer, welcher sanft zu Boden fiel, jedoch verschwand bevor er diesen überhaupt erreichte. Der Schmetterling berührte ihre Hand und ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Das letzte woran sie sich danach erinnern konnte war ein gleißenden Licht. Als die Gruppe wieder zu sich kam befanden sie sich wieder vor dem Tempel. Erstaunt blickten sie sich um. Wie waren sie wieder zurück gekommen? Leicht benommen blickte Mirâ auf ihre Hand. Sie hatte diesen Schmetterling berührt und dann? Sie erinnerte sich nur noch an das helle Licht. Hatte dieses blaue Wesen sie zurück gebracht? Auch ihre Freunde kamen langsam wieder vollständig zur Besinnung und auch sie schienen verwirrt zu sein. Etwas irritiert sahen sie sich um, ehe sie bemerkten, dass sie den Dungeon verlassen hatten. Fragend sahen sie Mirâ an, doch auch sie hatte keine Antwort darauf. Mika konnte ebenfalls keine nützlichen Antworten geben, denn für sie war es auch neu, dass es in dieser Welt Schmetterlinge gab. Auf dem Weg zurück in ihre Welt diskutierten sie noch etwas darüber, kamen aber auf keine wirkliche Antwort. So beließen sie es erst einmal auf sich ruhen und machten sich auf den Heimweg. Montag, 18.Mai 2015 Geschockt sah Mirâ zu dem riesigen Shadow auf, welcher die Form eines Falken angenommen hatte. Auf seinem Kopf trug er einen Kopfschmuck, von welchem mehrere goldene lange Ketten herab hingen. Um seine riesigen schwarzen Krallen schmiegten sich zwei dicke silberne Ketten, als wollten sie zeigen, dass er ein Gefangener war. Seine stechend gelben Augen fixierten seine Gegner, welche verletzt auf dem Boden lagen. Auch Mirâ blickte sich nach ihren Freunden um. Wie hatte es nur zu dieser Situation kommen können? Wie verabredet war die kleine Gruppe am Abend des Neumondes wieder in die Spiegelwelt zurück gekehrt. Zum Erstaunen der Gruppe waren sie genau vor dem Tor gelandet, als sie das Tor zum Tempel betraten. Wie von Mirâ vermutet war der blaue Schmetterling der Grund dafür. Nachdem sie vor das riesige Portal getreten waren, flog der kleine Flattermann in der Ecke wieder seine Runden. Dieses Mal öffnete sich das Tor, nachdem die Gruppe es berührte hatte, doch der Anblick der sich ihnen bot war alles andere als erfreulich. Sie befanden sich in einer riesigen Halle, welche stark an einen Dojo oder eine Gebetshalle erinnerte, allerdings in den merkwürdigen Farben des Dungeons leuchtete. In der Mitte der Halle schwebte ein dunkler Fleck und davor stand... Masaru. Doch ehe sie ihren Kameraden erreichen konnten, schoss der schwarze Fleck auf ihn zu und umgab ihn vollständig. Kurz darauf erschien weiter oben im Saal die schwarze Platte mit den magischen Symbolen, welche Masaru an sich fesselten. Der schwarze Fleck jedoch veränderte seine Form und nahm die Gestalt des riesigen Falken an. Eine dunkle Stimme tönte durch die Halle: „Ich bin ein Shadow.... Das wahre ich!“ Er holte mit beiden Flügeln weit aus, als sich um ihn herum ein weißes Licht bildete. Sofort ging die Gruppe in die Verteidigung, doch es hatte keinen Sinn. Ein starker Wind umgab sie und riss sie einige Meter mit sich. Mit einem dumpfen Knall landeten sie an einer der Wände. „Urgh!“, vorsichtig richtete sich Mirâ wieder auf und blickte zu ihren Freunden, „Alles in Ordnung?“ „Geht so.“, kam es von Akane, „Er hat uns wie der Reaper vor zwei Tagen einfach von den Beinen gerissen. Aber im Vergleich zu vorgestern, war sein Angriff recht schwach.“ Auch Hiroshi hatte sich mittlerweile wieder aufgerichtet: „Da hast du recht. Er macht ganz schön Wind...“ Grinsend zog er sein Smartphone hervor. Als Aton über ihm erschien, war Hiroshi wieder von dem blauen Licht umgeben. Dieses wurde stärker, während er seiner Persona den Befehl „Agi“ gab. Aton schwang sich nach oben und breitete die Arme aus. Ein Feuerball flog genau auf den vogelartigen Shadow zu und traf, doch ihr Gegner blieb davon unbeeindruckt. Zu mindestens für den ersten Moment, denn kurz darauf schrie er mit dem Geräusch eines Greifvogels auf und um ihn bildete sich erneut das weiße Licht. Kurz darauf traf etwas Hiroshis Schulter. Ein dunkler Fleck bildete sich an der Stelle und kleine Tropfen liefen seinen Arm hinunter. Mirâ schrak auf, als sie die Wunde bemerkte. So schnell sie konnte rief sie Hemsut herbei und wollte Dia auf Hiroshi wirken, doch dieser hielt sie zurück und meinte, dass es nur ein Kratzer sei und sie ihre Energie aufsparen sollte. Zwar wollte sie protestieren, doch Hiroshi ließ sich nicht davon überzeugen sich heilen zu lassen. Stattdessen versuchte er einen erneuten Angriff, dieses Mal mit seiner Fähigkeit „Hama“. Allerdings erschien zwar um den Shadow der Lichtkreis, doch der gewünschte Effekt blieb aus und nichts passierte. Zu ihrer Linken bemerkte Mirâ, wie Akane ihre Persona rief und den Shadow daraufhin mit ihrer Fähigkeit „Bash“ Angriff. Wadjet flog in hohem Tempo auf den Gegner zu und verpasste ihm einen kräftigen Tritt, doch wieder tat sich nicht viel. Stattdessen griff der Shadow mit seinen riesigen Krallen Wadjet und schleuderte sie gegen einen Pfeiler, woraufhin sie sich in blauen Splittern auflöste. „Urgh!“, mit schmerzverzerrtem Gesicht griff sich Akane an die Brust und ging zu Boden. „Alles in Ordnung?“, fragte Mirâ besorgt, obwohl sie sich diese Frage auch selber hätte beantworten können. Doch Akane lächelte nur: „Ja sicher. Nicht schlimm.“ Erst als sich ihre Freundin vorsichtig und wackelig wieder aufrichtete atmete Mirâ wieder etwas auf. Doch viel Zeit zur Entspannung hatte sie nicht, denn ihr Gegner machte sich erneut zum Angriff bereit. Entschlossen sah sie zu Hemsut, welche immer noch über ihr schwebte und nickte, mehr zu sich als zu jemand anderen. Sie wählte die Fähigkeit „Single Shot“ aus, woraufhin Hemsut nach einem Pfeil griff, welcher auf dem Schild über ihrem Kopf befestigt war. Ein Bogen erschien in ihrer rechten Hand. In diesen spannte sie den Pfeil und zielte. Kurz darauf sauste er in Richtung Shadow. Der Pfeil traf sein Ziel und der Shadow schien kurz zurück zu weichen, schrie jedoch daraufhin auf und breitete seine Flügel aus. Als er sie mit einem kräftigen Hieb wieder zusammen schlug wurde die Luft im gesamten Saal aufgewirbelt und genau auf sie Gruppe geschleudert. Wieder wurden sie gegen die Wand geschleudert und gingen dieses Mal benommen zu Boden. Langsam kam Masaru wieder zu sich. Es dauerte eine Weile bis sein Blick und auch seine Sinne wieder klar wurden. Was war nur passiert? Er erinnerte sich daran, Streit mit seinen Eltern gehabt zu haben. Es ging um das Erbe des Tempels, welches er nach der Schule antreten sollte. Seine Eltern wollten wieder einmal nicht auf seine Argumente eingehen, sodass er wütend in sein Zimmer gegangen war. Und dann? Er glaubte sich an einen Schatten in seinem Spiegel erinnern zu können, doch dann waren seine Erinnerungen sehr verzerrt. Das nächste an was sich Masaru erinnerte war ein schwarzes Etwas, was auf ihn zukam. Danach war alles dunkel. Und jetzt? Vorsichtig blickte er nach links und dann nach rechts und erschrak. Er war gefesselt. Wurde er entführt? Ein Schrei, welcher durch Mark und Bein ging, ließ ihn aufschrecken und seinen Blick auf die Szene vor sich werfen. Dort erblickte er den Rücken eines riesigen schwarzen Greifvogels, welcher eine goldene Kopfbedeckung trug. Er spannte die Flügel so weit wie er nur konnte und holte damit aus, als wolle er sich abstoßen oder jemanden angreifen. Nun konnte Masaru auch den Grund sehen. Dem merkwürdigen Vogel gegenüber stand ein junges Mädchen mit sehr dunklem violettem Haar. War das Shingetsu? Zu ihren Seiten lagen zwei weitere Personen. Sie schienen bewusstlos zu sein. Was ging hier nur vor? Das Mädchen wurde nun von einem starken Wind erfasst und gegen die Wand hinter sich gedrückt. Um sicher zu gehen, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte, wiederholte der Greifvogel seinen Angriff immer wieder. Schmerzhaft wurde Mirâ durch den Wind gegen die Wand gedrückt. Der Shadow wiederholte die Attacke immer wieder, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Der Wind war viel zu stark und blies ihr unablässig ins Gesicht. Luft holen war zu diesem Zeitpunkt unmöglich und so langsam ging ihr der Atem aus. Plötzlich ließ der Wind nach, doch noch ehe Mirâ reagieren konnte holte der Shadow erneut aus und legte dieses Mal seine ganze Kraft in den Angriff. Wie gegen eine Wand gelaufen, traf sie der Wind und sie knallte mit voller Wucht gegen die Wand hinter sich. Dabei schlug sie hart mit dem Kopf auf. Der Sturm legte sich und Mirâ sank zu Boden. „Willkommen im Velvet Room.“, höre ich die Stimme Igors. Vorsichtig schlage ich meine Augen auf. Wie bin ich hier her gekommen. Ich habe doch gegen diesen riesigen Shadow gekämpft. Ich erinnere mich daran, wie ich gegen die Wand geschleudert wurde. Bin ich etwa tot? Ein Kichern lässt mich aufblicken und zu Margaret schauen. Diese kichert sichtlich amüsiert und sieht mich dann mit ihren goldgelben Augen freundlich an. „Keine Sorge. Du lebst noch, aber du bist ohnmächtig. Mir scheint es aber, als hättest du ein paar Probleme mit diesem Gegner.“, spricht sie zu mir. Mir ist, als würde ich ein wenig Spott darin höheren, doch in ihren Augen ist keine Spur von Spott zu sehen. Ich senke den Blick und nicke: „Er ist verdammt stark. Und kein Angriff meiner Freunde funktioniert. Außerdem greift er schneller an, als wir reagieren können. Sein Windangriff ist wirklich lästig.“ „Heißt das du willst aufgeben?“, fragt mich Igor gerade heraus. Erschrocken blicke ich zu ihm. Kommt das so rüber? Vorsichtig schüttle ich den Kopf und blicke Igor und seine Assistentin entschlossen an: „Natürlich nicht!“ Mit einem zufriedenen Lächeln schlägt Margaret das Persona Compendium auf: „Dann wird es Zeit eine der Fähigkeiten deiner Arcana - der Wild Card - frei zu geben.“ Die Seite, welche sie aufgeschlagen hat, leuchtet auf und vier blau leuchtende Karten lösen sich daraus. Nun schweben sie vor dem Gesicht der blonden Frau, doch man erkennt das Bild darauf nicht. „Eine Fähigkeit der Wild Card erlaubt es den Besitzern weitere Personas zu rufen. Du hast vier Arcanas gesammelt und dir somit auch die Kraft ihrer Personas verdient.“, erklärt mir Margaret, woraufhin die Karten wie auf Befehl auf mich zu kommen. Sie fliegen genau in meine Jackentasche, in welcher unter normalen Umständen mein Smartphone ist. Ein warmes Gefühl breitet sich an dieser Stelle aus, doch versiegt dann wieder genauso schnell. Erstaunt schaue ich die beiden Bewohner des Velvet Rooms an, doch diese grinsen bzw Lächeln mich nur an. Daraufhin färbt sich alles um mich herum in gleißendes Weiß. Geschockt blickte Masaru auf das Szenario, welches sich vor ihm abspielte. Mit einem kräftigen Schlag seiner Flügel hatte dieses schwarze Wesen Shingetsu zu Boden gebracht. Nun bewegte sie sich nicht mehr. Am liebsten hätte er sofort nach ihr gesehen, doch die Fesseln an seinen Armen hielten ihn zurück. Wütend blickte er zu dem riesigen Vogel vor sich, welcher ihm immer noch den Rücken zudrehen. Was war das für ein Wesen? Weshalb hielt es ihn gefangen? Und wieso kämpften seine Schulkameraden gegen dieses Wesen? Woher wussten sie überhaupt wo er war? „Und zur Hölle, was ist das hier für ein Ort?“, Masaru schwirrte der Kopf. Es gab zu viele Fragen die er zu gerne beantwortet haben wollte, aber vor allem wollte er wissen, wie es zu all dem kommen konnte. „Ich hasse es in diesem Tempel zu leben!“, hörte er plötzlich. War das seine eigene Stimme gewesen? Sie klang zwar etwas verzerrt, seiner eigenen aber trotzdem ähnlich. „Ich habe es so satt. Ständig geht es nur um dieses alte Gebäude. Nach meiner Meinung wird nicht einmal gefragt.“, erklang es wieder. Masaru kannte diese Worte nur zu gut. Es waren seine eigenen. Das Getue um den Tempel seiner Familie nervte ihn. „Ich wünschte er würde verschwinden!“, diese Worte schallten laut durch den Raum und ließen Masaru aufschrecken. „Nein! Ich habe mir nie gewünscht, dass er verschwindet. Ich...“, der junge Mann stoppte, als sich der Shadow zu ihm drehte. Mit grellen Gelben Augen blickte er Masaru an: „Tief in meinem Inneren wünsche ich mir, das alles in diesem Tempel verschwindet, ihn mit eingeschlossen. Auch wenn ich es niemals zugeben würde.“ Verzweifelt schrie Masaru den Shadow an: „Nein! Niemals! Und wer bist du, das du dir heraus nimmst glauben zu können, was meine wahren Gedanken sind?“ „Ich bin ein Shadow... Das wahre ich! Ich bin du, du bist ich. Wir sind dieselbe Person.“, sprach der Shadow eindringlich. Erschrocken sah Masaru ihn an und schüttelte dann verzweifelt den Kopf: „Nein! Du kannst niemals ich sein.“ Als wären diese Worte eine Zauberformel zum Lösen eines Siegels gewesen, lachte der Shadow plötzlich auf. Schwarzer Nebel umgab ihn mehr und mehr und ließ ihn immer größer werden. Doch plötzlich ging ein Blitz hernieder und der Shadow schrie qualvoll auf, ehe er wieder auf seine vorherige Größe schrumpfte. Erschrocken blickte Masaru auf und erkannte Hiroshi, welcher sein Smartphone in der Hand hielt. Über ihm schwebte ein Wesen, welches hinter einem goldenen Schild hervor schaute. Hatte Shingetsu nicht auch mit solch einem Wesen an ihrer Seite gekämpft? Etwas Rotes schimmerte in seinem Augenwinkel und bald darauf wurde der Shadow von einem Feuerball getroffen. Nun sah Masaru auch Akane und ihr merkwürdiges Wesen, welche nun wieder bereit zum Kampf waren. „Wir sind deine Gegner!“, sagte sie ernst. Eindringlich sah Hiroshi zu Masaru hinauf: „Senpai! Dieses schwarze Wesen hier ist ein Shadow. Dein Shadow um genau zu sein. Sie erwachsen aus den dunklen Gedanken der Menschen, die sie versuchen zurück zu halten. Die einzige Möglichkeit ihn zu besiegen ist ihn zu akzeptieren.“ „Haltet euren Mund!“, wieder holte der Shadow aus. Er wollte offenbar nicht, dass Hiroshi mehr erzählte. Zwischen seinen Flügeln bildeten sich grüne Wirbel. Mit einem kräftigen Schlag schleuderte er diese Wirbel auf die beiden jungen Leute, doch diese wichen nicht zurück sondern blieben stehen. Plötzlich prallte der Angriff ab und gab den Blick auf ein Wesen frei, welches aussah wie ein gelber Hund mit sehr langen Ohren. Diese nutzte das Wesen offensichtlich als Flügel, denn mit ihnen hielt es sich in der Luft. „Change!“, hörte er plötzlich, woraufhin das Wesen verschwand. Als er sich umsah erblickte er zwischen Hiroshi und Akane Mirâ. Sie sah extrem ramponiert aus, doch stand fest entschlossen auf ihren Beinen. In ihrer rechten Hand hielt sie ihr Smartphone, welches bläulich leuchtete. Auch sie sah nun ernst zu Masaru: „Senpai. Ich weiß, dass es schwer fällt, aber jeder von uns hat eine Seite die er nicht zeigen will. Es ist aber nichts Verwerfliches. Du hast sicher deine Gründe, weshalb du so denkst, aber ich bin mir sicher, dass du diesen Ort, diesen Tempel, in dem du aufgewachsen bist, eigentlich gern hast.“ Erstaunt blickte Masaru die jüngere Schülerin an. Natürlich mochte er den Ort an dem er aufgewachsen war, doch in manchen Situationen konnte er einfach nicht anders und ihm kamen diese dunklen Gedanken. Dann wünschte er sich wirklich, dass der Tempel verschwand. Doch er meinte es eigentlich nicht ernst. Wie konnte solch ein Gedanke nur solche Auswirkungen haben? Wie hätte er es ernst meinen können? Er liebte den Tempel und die Umgebung, in welcher er stand. Als Kind war er so gerne durch das kleine Wäldchen hinter dem Tempel gewandert, welcher für ihn mittlerweile viel kleiner wirkte als damals. Wie gern hatte er mit seinen Geschwistern auf der riesigen Anlage verstecken gespielt und dabei die ganzen Geheimtüren gefunden. Nein. Niemals hatte er ernst gemeint, diesen Tempel zerstören zu wollen. Doch er konnte auch nicht leugnen, dass er den Tempel manchmal auch hasste. Er hasste die Verantwortung eines Tages den Tempel übernehmen zu müssen. Er hasste es, das niemand nach seiner eigenen Meinung fragte. Er hasste einfach seine derzeitige Situation. Leicht verzweifelt blickte er zu seinem Shadow hinüber und nickte dann der Gruppe zu: „Ihr habt recht.“ Als sei dies das Zeichen gewesen rief Mirâ eine neue Persona. Es war ein männliches Wesen, dessen Körper in einem Schlangenschwanz endete. Seine Haut war blau und seine langen schwarzen Haare waren vorn zu zwei Zöpfen gebunden. Auf seiner rechten Schulter war eine Art Schoner befestigt und in der Hand desselben Armes hielt er einen silbernen Schild. Dieses war mit einer Schlange verziert, welche sich um ein Schwert schlängelte. In seiner linken Hand hielt er einen langen Speer. Nun hob er diesen an, woraufhin Masaru Mirâ den Namen der Persona rufen hörte: „NAGA!“ Daraufhin schlugen mehrere Blitze auf den Shadow ein. Dieser schrie schmerzhaft auf und ging zu Boden. Das Feld, welches Masaru festhielt löste sich auf und er fiel sanft zu Boden. Sofort waren die drei Persona-User zur Stelle und auch die kleine Mika kam aus ihrem Versteck. „Senpai. Alles in Ordnung? Bist du verletzt?“, fragte Mirâ besorgt. Masaru schüttelte den Kopf und erhob sich, um zu dem nun auf dem Boden liegenden Shadow zu gehen. Neben ihm hockte er sich hin und sah ihm in die gelben Augen: „Es tut mir leid, dass ich dich untergraben habe. Du hast mir aus der Seele gesprochen, doch ich wollte es nicht wahr haben. Du hattest Recht. Wir sind ein und dieselbe Person.“ Erleichtert atmete der Shadow auf und begann zu leuchten. Langsam löste er sich auf und in einem blauen Licht über Masaru erschien ein Wesen halb Mensch, halb Vogel. Sein Oberkörper war der eines muskulösen Mannes, ebenso wie die Beine, welche von der Hüfte bis zu den Knien mit einem grauen Leinentuch bedeckt waren. Seine Arme wurden zu den Händen hin immer dunkler, bis sie am Handgelenk in schwarzen Federn verliefen und in zwei schwarzen Krallen endeten. In diesen hielt er einen goldenen Krummsäbel. Sein Kopf war der eines Falken, allerdings mit schwarzem Federkleid und anstatt eines Mundes hatte er einen bräunlichen Schnabel. Auf seinem Kopf trug er eine goldene Kappe, an welcher mehrere goldene Ketten herab hingen. Mit freundlichen braunen Augen sah er Masaru an, ehe er sich langsam auflöste und in blauem Nebel auf seinen neuen Besitzer herab rieselte. Vorsichtig fing der junge Mann mit den schwarzen Haaren die Karte auf, welche sich aus dem Nebel heraus gebildet hatte. Doch als sie seine Hand berührte löste sie sich auf. Langsam löste sich die Umgebung um sie herum auf und sie standen mitten auf dem Platz des Tempelgeländes. Der rote Mond, welcher noch schien, als sie diese Welt an diesem Abend betreten hatten, hatte mittlerweile wieder seinen silbernen Schein zurück erlangt. Erstaunt sah Masaru auf seine Hand, in welcher sich die Arcana seiner Persona aufgelöst hatte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus und aus unerfindlichen Gründen fühlte er sich seit langer Zeit wieder erleichtert. Mirâ trat an ihren Senpai heran: „Senpai?“ „Danke für eure Hilfe.“, bedankte sich der junge Mann, welcher immer noch auf seine Handfläche schaute, „Ich glaube ihr müsst mir einiges erklären.“ Die Gruppe nickte, doch ehe er eine Antwort bekam verzog sich das Bild vor seinen Augen. Kurz darauf landete er auf seinen vier Buchstaben und fasste sich an den Kopf. „Senpai!“, sofort war Mirâ zu Stelle um ihn zu stützen. „Wir sollten von hier verschwinden.“, meinte Hiroshi, „Shin-Senpai war sehr lange hier. Kein Wunder, dass er erschöpft ist.“ Er ging auf Masaru zu und legte sich einem seiner Arme über die Schulter um ihn so zu stützen. Akane nickte, während sie Masaru von der anderen Seite stützte: „Eine Erklärung können wir ihm auch später noch geben.“ Auch Mirâ nickte und sah zu Mika, welche ihr ebenfalls zustimmte. Daraufhin machte sich die Gruppe auf den Rückweg. Nachdem sie das Tempelgelände verlassen hatten schaute Masaru noch einmal kurz zurück. Zu gerne hätte er gewusst was vor sich ging, doch in diesem Augenblick war er zu erschöpft. Er wollte nur noch nach Hause und ins Bett. Fragen konnte er auch später noch stellen. Kapitel 11: XI - Der Nebenjob [edited] -------------------------------------- Dienstag, 19.Mai 2015 Die Schulglocke beendete den Unterricht an diesem Tag und alle Schüler verließen so schnell wie möglich die Räume. Erleichtert stand Mirâ auf und streckte sich erst einmal richtig. Der Geschichtsunterricht war wieder einmal sehr einschläfernd gewesen. Es erstaunte sie immer wieder selbst, wie sie es schaffte überhaupt wach zu bleiben - Abgesehen von dem einen Mal am Anfang des Schuljahres, wo sie aber die Nacht vorher nicht geschlafen hatte. Ein Blick zu ihrer linken verriet ihr, dass Hiroshi nicht solch ein Durchhaltevermögen besaß. Dieser schnarchte immer noch besonnen vor sich hin und murmelte irgendetwas von wegen „nicht essen“ oder so. Die junge Frau konnte sich daraufhin ein kurzes Kichern nicht verkneifen, doch schrak auf, als ein Heft auf Hiroshis Kopf klatschte. Erschrocken sprang dieser auf, blieb dabei an seinem Stuhl hängen und fiel Rücklinks nach hinten. „Guten Morgen Schlafmütze.“, grinste ihn Akane an. Leicht verschlafen stand Hiroshi wieder auf und stellte seinen Stuhl an seinen Tisch, während er genüsslich gähnte: „Ist schon Schluss?“ „Schon eine ganze Weile, ja.“, meinte Mirâ lachend. Noch einmal gähnte ihr Kumpel verschlafen: „Danke fürs Wecken. Das nächste Mal aber bitte etwas sanfter.“ Erstaunt sah Akane ihn an. Sie hatte mit einer Standpauke gerechnet, aber nicht mit einem Dank. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie schließlich. Erstaunt sah Hiroshi sie an: „Ja sicher. Ich bin nur total fertig von gestern. Ihr nicht?“ Mirâ fühlte sich schon noch etwas schlapp, allerdings nicht so extrem, dass sie jeden Moment einschlafen konnte. Deshalb schüttelte sie auf Hiroshis Frage hin auch nur den Kopf, ebenso wie Akane. Diese allerdings war immer recht schnell wieder auf dem Damm. Als Mirâ das letzte Mal zur Regenerierung eine Woche gebraucht hatte, ging es ihrer Freundin bereits nach zwei Tagen wieder besser. Wahrscheinlich war sie es aber auch gewohnt sich viel zu bewegen. Zu mindestens war Mirâ aufgefallen, das Akane selten wirklich still sitzen konnte und sich immer irgendwie bewegte. Ein wenig beneidete sie die Braunhaarige auch dafür. Hiroshis Murren ließ sie wieder aufblicken: „Oh man. Was habt ihr genommen, das ihr so fit seid? Ich glaub ich geh nach Hause und schlafe. Bis morgen.“ Somit schnappte er sich seine Tasche und verschwand aus dem Klassenraum, während die beiden Mädchen ihm nachsahen. Er sah aber wirklich müde aus. Hauptsache er schlief nicht in der U-Bahn oder beim Gehen ein. Sie hörte Akane plötzlich neben sich kichern und sah sie fragend an. „Ich musste gerade daran denken, was wohl passieren würde, wenn er plötzlich in der Bahn einschlafen würde.“, aus dem Kichern wurde ein Lachen. Auch Mirâ stimmte unwillkürlich mit ein. Das war nicht der Tatsache geschuldet, dass sie sich dies bildlich vorstellte, sondern daran, dass sie etwas Ähnliches gedacht hatte wie Akane. Es war ein schönes Gefühl, welches Mirâ vorher noch nie hatte. Da sie früher kaum Freunde hatte, hatte sie demnach auch nie den selben Gedanken wie einer ihrer Freundinnen. Ein weiteres Gefühl breitete sich in Ihr aus. Ein warmes wohliges Gefühl, doch Mirâ dachte vorerst es käme von ihrem Lachen. Nachdem sich beide Mädchen wieder beruhigt hatten, wollten sie sich auf den Weg nach Hause machen, als ein weiteres Mädchen mit kurzem braunem Haar den Raum betrat. „Chiyo-Senpai. Könntest du uns kurz im Club aushelfen?“, fragte sie verlegen. Erstaunt sah Akane sie an: „Wir haben doch vor den Prüfungen kein Training.“ „Ja ich weiß, aber wir wollten alles für das Training nach den Prüfungen herrichten. Aber es gab ein paar Probleme.“, meinte das Mädchen leicht beschämt. Anscheinend war sie an der Ursache des Problems nicht ganz unschuldig. Mirâ hörte Akane leicht genervt seufzten und sah zu ihr hinüber: „Also gut, ich komme. Mirâ du kannst schon mal vor gehen. Wer weiß wie lange das hier wieder dauert. Ich schreib dir dann. Bis später.“ Damit war sie zusammen mit der jüngeren Schülerin aus dem Raum verschwunden. Mirâ blieb alleine zurück und seufzte kurz, ehe sie sich auf den Heimweg begab. Sie fragte sich, was die Erstklässler angerichtet hatten, wenn sie Akanes Hilfe brauchten. Ob sie Akane später fragen sollte? Sie überlegte noch ein bisschen hin und her, als sie das Schulgelände verließ, ehe sie ihr Smartphone aus der Tasche kramte und ihrer Freundin eine Nachricht schrieb, was denn passiert sei. Als sie die Nachrichten-App schloss, fiel ihr das Ausrufezeichen auf der Persona-App auf. Also öffnete sie das Programm und wurde darauf hingewiesen, dass sich etwas in ihren Social Links getan hatte. Bei genaueren Betrachten sah Mirâ auch genau wo. Über der Arcana von Akane war ebenfalls das kleine Ausrufezeichen zu sehen. Mit einem Tippen auf die Karte öffnete sich die Seite, doch auf den ersten Blick konnte Mirâ keine Veränderung wahrnehmen. Doch plötzlich fiel ihr auf, dass sich der Balken leicht gefüllt hatte. Vor einer Woche war ihr das selbe Phänomen bei der Arcana von Dai aufgefallen. Doch was hatte dieser Balken eigentlich zu bedeuten? Sie hatte sich schon überlegt Igor und Margaret zu fragen, doch die beiden würden ihr nie im Leben eine konkrete Antwort geben. Das ärgerte Mirâ sehr. Außerdem wusste sie immer noch nicht, wie sie selbstständig in den Velvet Room gelangte, wo Igor ihr doch den Schlüssel dazu gegeben hatte. Sie seufzte, schloss die App und schaltete ihr Display aus, damit sie wieder richtig auf den Weg achten konnte. Als sie nun wieder auf den Weg sah, war es allerdings bereits zu spät. Plötzlich stieß sie gegen einen muskulösen Oberkörper und fiel Rücklinks auf ihren Hintern. „Hey, kannst du nicht aufpassen?“, fragte sie eine düstere Stimme. Mirâ blickte auf und erschrak. Vor ihr standen drei sehr kräftige Kerle in schwarzen Mänteln und mit dunklen Sonnenbrillen. Trotz der dunklen Gläser konnte Mirâ genau sehen, dass die Drei sie böse anschauten. Viel zu ängstlich um überhaupt zu antworten saß sie einfach da auf dem Boden und konnte sich nicht rühren. Diese Typen machten ihr wirklich Angst. Und am meisten hatte sie Angst davor, was sie wohl mit ihr machen würden. Sie sahen aus wie Mafiosi und das beunruhigte sie. Der Typ, gegen den sie gerannt war kam auf sie zu und kam ihr bedrohlich nah. Seine Ohren waren mit Ohrringen behangen und sowohl an seiner Nase, als auch an seinen Augenbrauen befanden sich mehrere Piercings. Von seinem Hals, bis zum Anfang seines Gesichtes zog sich ein großes Tatoo, welches ein wenig an die Form eines Drachens erinnerte. Das verstärkte ihre Angst, dass diese drei zur Yakuza gehören könnten. „Hey wir reden mit dir. Du hast meinen Mantel versaut, du dummes Gör. Das wirst du mir bezahlen.“ Bezahlen? Wie denn? Sie war doch nur eine Schülerin. In diesem Moment verfluchte Mirâ sich dafür, auf ihr Handy geschaut zu haben und nicht auf die Leute vor sich. Immer mehr zitterte sie am ganzen Körper und Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie sollte sie hier weg kommen? Mit Shadows kam sie klar, aber doch nicht mit diesen Typen. Sie konnte hier ja auch keine Persona rufen. Plötzlich wurde sie am Kragen gepackt, doch kurz bevor der Typ sie zu sich ziehen konnte, mischte sich jemand ein. „Hey. Seit wann geht man denn so mit einer Dame um?“, im selben Moment griff eine schlanke Männerhand zwischen Mirâ und den Typen und veranlasste ihn so, sie los zu lassen. Sie fiel wieder zurück auf ihren Hintern und erblickte einen schlanken jungen Mann mit braunen, blond gesträhnten Haaren, welcher neben ihr hockte und den Typen vor sich böse anschaute. „Was willst du denn, du Schwuchtel?“, fragte nun ein anderer der drei bedrohlich. „Tze, Tze, Tze. Von euch ist wohl keine Toleranz zu erwachten, was? Jetzt verschwindet hier. Die Kleine ist eine unserer Mitarbeiterinnen und wenn ihr nicht gleich verschwunden seid, dann rufe ich die Polizei.“, sagte der junge Mann ernst, woraufhin die drei Typen kurz zurück zuckten und dann den Rückzug antraten. Als die drei außer Sichtweite waren drehte sich der junge Mann zu Mirâ um und lächelte sie freundlich an: „Alles in Ordnung?“ Zaghaft nickte Mirâ, woraufhin ihr Gegenüber ihr wieder auf die Beine half: „Danke für Ihre Hilfe. Aber bekommen Sie jetzt nicht Ärger?“ „Ärger?“, irritiert sah er Mirâ an, „Von den drei Typen?“ Plötzlich fing er herzhaft an zu Lachen. Ein wenig hatte Mirâ sogar saß Gefühl, er würde wie eine Frau lachen. Aber das konnte doch nicht sein oder? Doch als er sich bewegte konnte sich Mirâ schon denken, wieso ihn die Typen Schwuchtel genannt hatten. Wobei sie dies doch als schlimmes Schimpfwort empfand. „Mach dir darüber mal keine Gedanken, Schätzchen.“, er zwinkerte Mirâ freundlich zu, „Das sind dumme Jungs, die keine wirklichen Hobbys haben. Die treiben sich ständig hier rum und tun so, als gehörten sie zur Yakuza. Die wollen sich hier nur aufspielen.“ Irritiert blickte Mirâ ihren Gegenüber an. Hatte er sie gerade wirklich Schätzchen genannt? Eine Wildfremde? Der Mann schien ihr Unbehagen zu bemerken und anscheinend fiel ihm nun auch auf, dass er sie Schätzchen genannt hatte. „Oh entschuldige. Das ist so meine Art mit Gästen zu reden. Nimm mir das nicht übel.“, entschuldigte er sich, „Takama Shuichi.“ „Ähm... Shingetsu Mirâ.“, stellte sie sich zaghaft vor, „Du hast für mich gelogen und gesagt ich sei eine Mitarbeiterin.“ „Ja.“, erneut zwinkerte Shuichi und zeigte auf das Gebäude neben sich, „Wir sind eine Karaoke-Bar.“ Die junge Frau sah auf das Gebäude neben sich, an welchem über dem Eingang riesig groß „Shādo“ und darunter etwas kleiner "Karaoke-Bar" stand. Dieses Gebäude war ihr auf dem Heimweg schon oft aufgefallen. Es stand ganz in der Nähe der U-Bahnstation, aber sie war noch nie drin gewesen. In den letzten Wochen hatten sie auch wirklich andere Probleme. Plötzlich hielt ihr Shuichi eine Visitenkarte vor die Nase: „Hier. Du gehst doch in die Oberstufe. Wir suchen derzeit wirklich Mitarbeiter. Falls du Interesse hast, kannst du dich ja bei mir melden.“ Dankend nahm Mirâ die Karte entgegen und betrachtete sie einen Moment. Ein Nebenjob konnte sicher nicht schaden. Geld konnte man immer gebrauchen, aber vorher musste sie trotzdem mit ihrer Mutter darüber sprechen. Deshalb bedankte sie sich erst einmal freundlich: „Vielen Dank. Auch noch einmal für die Hilfe. Ich werde mit meiner Mutter darüber sprechen und mir das überlegen. Dann melde ich mich noch mal.“ „Gut. Dann pass auf dem Heimweg auf dich auf und komm gut heim.“, noch einmal zwinkerte ihr der junge Mann zu, welcher eindeutig vom anderen Ufer war, bis er wieder zurück in der Bar verschwand. Mirâ sah ihm kurz nach und dann noch einmal auf die Visitenkarte, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte. Dieses Mal mit wachsamen Augen nach vorn gerichtet, damit sie nicht wieder irgendwelche Leute umrannte. Auch hielt sie nach den Typen Ausschau, weil sie Angst hatte, sie könnten sie noch einmal angehen. Doch auch sie ließen sich nicht noch einmal blicken, sodass Mirâ sicher zu Hause ankam. „Einen Nebenjob?“, fragte Mika mit schief gelegtem Kopf. Sie saß auf dem Fußboden vor Mirâs Spiegel in der Spiegelwelt und blickte über diesen zu ihrer Freundin in der realen Welt hinüber. Diese saß an ihrem Schreibtisch, allerdings mit dem Blick in die Richtung ihres Spiegels gedreht, sodass sich die beiden Mädchen unterhalten konnten. Mirâ nickte: „Ja. Das ist eine gute Möglichkeit, um nebenbei ein wenig Geld zu verdienen. Und meine Oberschule erlaubt auch Nebenjobs, solange die Leistungen nicht darunter leiden.“ „Hu?“, kam es langgezogen von dem kleinen Mädchen, „Das klingt wirklich gut. Dann solltest du das Angebot annehmen.“ „Ja, das denke ich auch. Da gibt es nur ein Problem.“, meinte ihr Gegenüber. Wieder legte Mika den Kopf schief: „Was denn?“ Das violett haarige Mädchen seufzte: „Meine Mutter. Sie mag es überhaupt nicht, wenn ich spät abends noch alleine unterwegs bin. Selbst wenn es ganz in der Nähe ist.“ Mika schien ratlos: „Wieso das denn? Du bist doch in der Oberstufe. Und wie machst du das, wenn ihr hier her kommt?“ Ihre Freundin lächelte leicht: „Dann erzähl ich ihr, dass ich mit Akane ins Kino gehe oder ähnliches. So lange ich nicht allein bin, ist sie nicht so extrem streng.“ „Und weshalb ist sie so?“, Mika konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass eine Mutter so streng sein konnte. Andererseits konnte sie sich nicht mehr an ihre Eltern erinnern. Sie wusste nicht einmal, ob sie überhaupt welche hatte. Schon vor einiger Zeit hatte sie sich überlegt, was wohl wäre, wenn sie erfuhr, dass sie gar kein Mensch, sondern auch bloß ein Shadow war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie überhaupt in diese Welt gekommen war, geschweige denn, was überhaupt war, bevor sie aufwachte. Doch oft verdrängte sie diesen Gedanken. Vor allem dann, wenn sie mit ihren neuen Freunden zusammen war. Nun zuckte Mirâ mit den Schultern: „Ich glaube es liegt an einem Ereignis aus meiner Kindheit. Da muss mal irgendwas passiert sein, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich im Krankenhaus lag, aber ich weiß nicht weshalb. Das ist aber schon etwas her. Das muss vor sieben Jahren oder so gewesen sein, ich glaube Junko war damals noch nicht geboren.“ Mika sah ihre Freundin mit großen Augen an. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie, doch sie konnte es nicht wirklich einordnen. Plötzlich spürte sie einen starken Schmerz im Kopf und zuckte zusammen, während sie eine Hand aus Reflex an ihren Kopf legte. Einige Bilder von Gebäuden kamen ihr in den Sinn, doch sie waren zu unscharf und viel zu schnell weg, als dass sie diese erkennen konnte. „Ist alles in Ordnung, Mika?“, fragte Mirâ besorgt. Der Schmerz ließ langsam wieder nach und die Bilder verschwanden wieder. Sie schüttelte leicht den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Was war das eben? Als sie wieder aufblickte, sah sie in die besorgten roten Augen von Mirâ, welche an den Spiegel heran getreten war. Man merkte ihr an, dass sie sich große Sorgen machte und am liebsten zu Mika herüber gekommen wäre, um ihr zu helfen. Die Kleine schüttelte leicht den Kopf und lächelte: „Es geht wieder. Mir war nur etwas schwindelig.“ „Vielleicht solltest du dich hinlegen. Du siehst blass aus.“, meinte Mirâ besorgt. „Du hast recht, denke ich.“, vorsichtig stand Mika wieder auf, „Dann gute Nacht.“ Nachdem ihr ihre Freundin ebenfalls eine gute Nacht gewünscht hatte, begab sich das kleine Mädchen zu dem Futon in der Ecke. Müde fiel sie auf die Matte vor sich. Plötzlich fühlte sie sich extrem erschöpft. Was war nur passiert? Doch um einen weiteren Gedanken zu fassen war sie viel zu Müde und kurz darauf war sie bereits eingeschlafen. Mittwoch, 20.Mai 2015 Gemeinsam mit ihren beiden Freunden saß Mirâ in der Pause auf dem Dach der Schule und aß ihr Lunchpaket. Auch mit ihnen hatte sie über den Vorfall am Vortag und dem Angebot zu dem Nebenjob geredet. „Diese Karaoke-Bar ist in der Nähe vom Bahnhof oder?“, fragte Akane, woraufhin ihre Freundin nickte, „Die ist wirklich gut und der Typ, der dort arbeitet, sehr nett. Ein guter Job, würde ich sagen.“ „Du kennst diese Bar?“, kam die Frage von Mirâ. Akane nickte und erklärte, dass sie dort schon öfters mit ihren Cousinen und Cousins war, welche total verrückt nach Karaoke waren. Dann seufzte sie: „Ich würde auch gern einen Nebenjob annehmen.“ „Aber?“, fragte Hiroshi. „Meine Eltern brauchen meine Hilfe in der Praxis. Deshalb ist es zeitlich für mich nicht möglich einen Nebenjob anzunehmen.“, erklärte die Braunhaarige, „Aber du hast doch nachmittags Zeit, oder Mirâ? Was lässt dich zögern?“ Die angesprochene seufzte und erklärte ihren Freunden, genau wie Mika am Abend zuvor, dass ihre Mutter sich sicher quer stellen würde. Die beiden Klassenkameraden sahen Mirâ ebenso ratlos an wie Mika, doch diese hatte in diesem Moment keine Lust, noch einmal zu erzählen, weshalb ihre Mutter so war. Sie würde ja selber gerne wissen, was damals passiert war, doch immer, wenn sie versuchte sich zu erinnern oder kurz davor war ihre Mutter darüber auszufragen, bekam sie ein merkwürdiges Gefühl. Als wollte ihr Körper sagen, dass es besser sei sich nicht zu erinnern. Meistens hatte sie auch kurz darauf wieder vergessen, dass sie fragen wollte. Warum eigentlich? Nun wo sie darüber nachdachte, fand sie das selber sehr merkwürdig. Kurz darauf spürte sie auch schon wieder das Gefühl aufkeimen. Es war zwar kein Schmerz oder ähnliches, aber es war sehr unangenehm. „Mirâ? Hey! Hörst du mir zu?“, fragte Akane, was die Angesprochene nach einer Weile aufblicken ließ. „Wie bitte? Entschuldige Akane, ich hab nicht zugehört.“, entschuldigte sich die junge Frau. Ihre Freundin seufzte: „Das hab ich bemerkt. Kein Problem. Du kannst deiner Mutter doch sagen, dass es für dich ein guter Schritt zur Selbstständigkeit ist. Immerhin musst du sie dann nicht mehr um Geld bitten. Oder?“ „Das schon, aber ob ihr das reicht? Ich glaube sie gibt mir lieber selber Geld, als mich abends draußen zu wissen.“, meinte Mirâ leicht geknickt. Wenn es um so etwas ging, war ihre Mutter wirklich streng. Es kostete sie jedes Mal sehr viel Geduld und Zeit, wenn sie sich vornahmen in die Spiegelwelt zu gehen, um ihre Mutter zu überreden, das Haus verlassen zu können. „Aber du bist doch dort nicht allein.“, warf Hiroshi ein, „Sag ihr, dass du dort unter Aufsicht stehst. Außerdem ist es ein Job drinnen.“ „Und der Weg nach Hause?“, fragte Mirâ, „Urgh... Meine Mutter ist echt schwer zu knacken. Die wird mir das nie erlauben.“ Plötzlich bekam sie eine leichte Kopfnuss von Seiten Akane: „Hey. Seit wann gibst du so schnell auf? In der Spiegelwelt wolltest du weiter gehen, obwohl du gar nicht mehr in der Lage warst zu kämpfen und hier gibst du gleich auf, ohne es probiert zu haben? Das passt nicht ganz zusammen.“ Fragend sah Mirâ ihre Freundin an. Da hatte sie Recht, aber in der Spiegelwelt ging es um ein Menschenleben und hier ging es nur um einen Job. Das konnte man doch wohl kaum vergleichen. Oder? „Da gebe ich Akane wirklich Recht.“, hörte sie von Hiroshi. Auch ihn sah sie verwirrt an, doch dieser lächelte sie nur liebevoll an: „Gib nicht so schnell auf. Versuch es doch erst einmal. Wenn du genau so hartnäckig bist, wie in der Welt dort drüben, dann wird deine Mutter sicher einknicken.“ Schelmisch zwinkerte er ihr zu, woraufhin Mirâ leicht rot anlief. Schnell wand sie den Blick ab. Was war das gerade? Als Hiroshi sie so ansah, hatte ihr Herz plötzlich einen leichten Sprung gemacht. Aber wieso? Er war ihr Kumpel. Nicht mehr und nicht weniger. Gedanklich schüttelte sie den Kopf, um diesen wieder frei zu bekommen. Für so etwas hatte sie nun keine Zeit. Sie nickte ihren Freunden lächelnd zu: „Danke ihr beiden. Ich werde heute Nachmittag versuchen sie zu überreden.“ Ihre Freunde lächelten erleichtert und nickten ihr noch einmal aufmunternd zu. Während sich Mirâ eine Garnele aus ihrer Luchbox fischte, schielte sie kurz aus dem Augenwinkel zu Hiroshi hinüber, welcher bereits mit Akane eine andere Diskussion angefangen hatte. Anscheinend hatte er ihr Verhalten nicht bemerkt. Erleichtert atmete sie leise auf. Ein Glück. Sie wollte keine Missverständnisse zwischen sich und ihren Kumpel bringen. Es war alles gut so wie es war. Nachdem die Schulglocke das Ende des Unterrichts eingeleitet hatte, verließen alle Schüler schon fast fluchtartig das Gebäude. Da durch die Prüfungen in der nächsten Woche keine Clubs stattfanden, blieb niemand länger als nötig. Auch Mirâ, Akane und Hiroshi begaben sich auf den Weg zum Ausgang, während sie darüber diskutierten, ob es gut war nun noch gemeinsam irgendwo hin zu gehen oder doch lieber nach Hause zu gehen und zu lernen. „Ich bin ja der Meinung, dass wir lernen sollten.“, kam es von Akane, welcher man allerdings ansah, dass sie lieber etwas mit ihren Freunden unternehmen wollte. „So etwas von dir zu hören ist schon irgendwie komisch.“, meinte Hiroshi. Die braunhaarige junge Frau verzog das Gesicht: „Das brauchst du mir nicht sagen. Es macht mir ja selber Angst. Aber ich versteh diese ganzen Rechnungen in Mathe nicht. Ich muss das bis nächste Woche irgendwie in meinen Kopf bekommen.“ Hiroshi seufzte: „Wie oft willst du dir das noch erklären lassen?“ „Ach halt den Mund. Mathe war noch nie mein Fach gewesen.“, murmelte Akane beleidigt, während sie ihre Schuhe wechselte. Schweigend hörte Mirâ der Diskussion der beiden Streithähne zu. Ruhig wechselte sie ihre Schuhe und stellte ihre Hausschuhe in das dafür vorgesehene Fach. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, was sie aufschrecken und sich ruckartig umdrehen ließ. Nun fiel ihr Blick auf Dai, welcher eine entschuldigend und leicht abwehrende Haltung eingenommen hatte. „Entschuldige Shingetsu. Ich wollte dich nicht erschrecken.“, entschuldigte sich der ältere Schüler. Erleichtert atmete die jüngere der Beiden auf und lächelte freundlich: „Kein Problem, Senpai. Was gibt es? Ist irgendetwas mit dem Club?“ Dai schüttelte den Kopf: „Nein. Etwas anderes. Masaru ist wieder aufgetaucht. Nachdem du mich letzte Woche aufgeheitert hast, dachte ich, dass ich dir das sagen sollte.“ Die junge Frau brauchte etwas, um darauf richtig zu reagieren. Natürlich wusste sie, dass Masaru wieder sicher zu Hause war, aber das konnte sie ihrem Senpai schlecht sagen. Er würde nur unangenehme Fragen stellen. Stattdessen setzte sie ein begeistertes Gesicht auf: „Wirklich? Ist mit ihm alles in Ordnung? Hat er gesagt wo er war?“ Der braunhaarige Schüler lachte kurz aufgrund von Mirâs vielen Fragen, doch wurde dann wieder etwas ernster: „Seine Mutter sagte sie haben ihn erschöpft im Hof des Tempels gefunden. Gestern Abend ging es ihm aber wieder etwas besser, aber seine Eltern behalten ihn diese Woche trotzdem noch zu Hause. Allerdings, sagt Masaru, kann er sich nicht mehr daran erinnern, was passiert war oder wo er war. Das finde ich sehr seltsam.“ „Das wird sicher am Schock liegen.“, versuchte Mirâ die Situation etwas unter Kontrolle zu bekommen. Natürlich musste Masaru sagen er wüsste nicht wo er gewesen war. Er konnte ja schlecht sagen, dass er in einer Spiegelwelt gefangen war. Andererseits war auch nicht klar, ob er sich daran erinnerte, wie er dahin gekommen war. Sobald Masaru wieder in der Schule war, würde sie wohl mit ihm darüber sprechen müssen. Wenn sich der ältere Schüler daran erinnern konnte, wie er in diese Welt gelangt war, dann half ihnen das vielleicht etwas näher an die Wahrheit zu gelangen. Doch nun gab es wichtigeres und sie wand sich weiter an Dai: „Die Hauptsache ist doch, dass es Shin-Senpai wieder besser geht und das er wieder aufgetaucht ist. Oder?“ „Da hast du Recht.“, meinte Dai nach einer kurzen Weile, ehe er sich abwand, „Naja ich muss dann los. Viel Erfolg bei den Prüfungen nächste Woche. Wir sehen uns zum Training.“ „Dir auch viel Erfolg.“, sagte Mirâ noch, ehe ihr Senpai die Eingangshalle verließ. Sie sah ihm kurz nach, ehe sie hinter sich ein Seufzen vernahm. Ein Blick leicht hinter sich verriet ihr, dass dieser von Hiroshi stammte. „Das war knapp.“, meinte Hiroshi, „Ich dachte schon Shin hätte irgendwas erzählt.“ „Was hätte er denn sagen sollen? Denkst du jemand hätte ihm geglaubt?“, fragte Akane, als sie an Mirâ und Hiroshi vorbei zum Ausgang ging. Auch diese Beiden setzten sich in Bewegung und folgten ihrer Freundin nach draußen, während Hiroshi antwortete: „Da magst du Recht haben, aber trotzdem.“ „Wir sollten mit Shin-Senpai reden, wenn er wieder in der Schule ist. Vielleicht kann er sich noch an etwas erinnern.“, meinte Mirâ. „Gute Idee.“, sagte Akane, „Aber das können wir sicher erst nach den Prüfungen. Urgh... Jetzt muss ich wieder an die Prüfung denken. Ich hab keine Lust drauf.“ Mirâ lachte: „Da musst du leider durch. Aber du schaffst das schon.“ Ein langgezogener Seufzer war zu hören, doch mehr sagte Akane nicht dazu. Sie wollte einfach nur, dass die Woche der Prüfungen schnell herum ging. Erleichtert betrat Mirâ am Abend ihr Zimmer. Sie hatte gerade eine sehr lange Diskussion mit ihrer Mutter wegen des Nebenjobs. Anfangs hatte ihre Mutter wie zu erwarten protestiert und Mirâ brauchte einige sehr gute Argumente, welche sie ihr entgegen bringen musste. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit knickte ihre Mutter doch ein und erlaubte es, aber mit der Abmachung erst nach den Prüfungen damit anzufangen und nicht vor den Prüfungen zu jobben. Freudig hatte sich Mirâ bei dieser bedankt und war dann in Ihr Zimmer verschwunden. Nun ließ sie sich erleichtert auf ihren Stuhl fallen und blickte zu ihrem Spiegel: „Mika bist du da?“ Keine Antwort. Auch nachdem Mirâ noch einmal gerufen hatte, war das kleine Mädchen nicht aufgetaucht. Vorsichtig trat Mirâ an ihren Spiegel heran und wollte einen Blick hinein werfen, doch außer ihrem Spiegelbild sah sie nichts. Wo war sie denn? „Vielleicht ist sie irgendwo unterwegs.“, ging der jungen Frau durch den Kopf, während sie sich wieder an ihren Schreibtisch setzte. Es war sicher gut noch einmal in ihre Hefte zu gucken, damit sie für die Prüfungen vorbereitet war. Nachdem sie ihren Freunden eine Erfolgsmeldung gesendet hatte, schlug sie ihre Hefte und Bücher auf und überflog noch einmal alle Themen. Währenddessen lief Mika durch die Spiegelwelt. Seit dem Gespräch mit Mirâ am vorherigen Abend, als sie diese Schmerzen hatte, ging es ihr nicht wirklich gut. Ihr war schwindelig und ständig bekam sie Kopfschmerzen, auf welche irgendwelche Bilder folgten. Doch so sehr sie es auch versuchte, sie konnte diese Bilder nirgends einordnen. Leicht benommen taumelte sie durch die leeren Straßen dieser merkwürdigen Stadt, als wieder ein stechender Schmerz durch ihren Kopf zog. „Ah!“, mit vor Schmerzen zusammengekniffenen Augen und sich den Kopf halten ging das kleine Mädchen auf die Knie. Was war nur mit ihr los? Woher kamen plötzlich diese Schmerzen und wieso kamen sie jetzt auf einmal? Langsam ließ das Stechen in ihrem Kopf nach. Vorsichtig öffnete sie die Augen und erschrak. Wieder zogen diese Bilder an ihr vorbei, doch dieses Mal waren sie extrem klar. Plötzlich hellte alles um sie herum auf. Erschrocken musste sie einen Moment später feststellen, dass es helllichter Tag war. Irritiert blickte sie sich um. Sie stand immer noch in der Stadt, doch etwas war anders. Die Gebäude, welche normalerweise von Spiegelglas umgeben waren, sahen völlig normal aus. Auch die Bäume um sie herum waren mit grünem Laub bedeckt, anstatt mit den kleinen Glassplittern. Ein lauwarmer Wind umgab sie und ließ ihr dunkelblaues Haar hin und her schwingen. „Was ist hier los? Ist das die reale Welt?“, ging ihr durch den Kopf. Erschrocken und schockiert zugleich sah sie sich in alle Richtungen um, doch kaum hatte sie sich umgeschaut verschwamm das Bild um sie herum wieder. Kurz darauf saß sie wieder in der dunklen Straße mit den von Spiegeln umhüllten Gebäuden. Der Wind um sie herum war ebenso verschwunden. Mit großen erstaunten Augen sah sie auf die Straße vor sich. Was war das eben gewesen? Verwirrt saß Mika auf dem Boden, welcher nicht einmal irgendeine Art von Wärme abgab, und konnte sich nicht rühren. Kapitel 12: XII - Die Frage um die Social Links ----------------------------------------------- Donnerstag, 21.Mai 2015 Gähnend blickte Hiroshi von seinem Heft auf und genau neben sich, wo Mirâ versuchte Akane noch einmal die mathematischen Formeln zu erklären. Die junge Frau mit den violetten Haaren erklärte alles ruhig und gelassen, obwohl sie bereits zum dritten Mal dasselbe erzählte. Hiroshi selbst hätte wohl schon längst die Geduld verloren, doch Mirâ blieb völlig ruhig. Wieder nickte Akane einige Male, als würde sie es verstehen, ehe sie doch wieder einen fragenden Blick aufsetzte und dann verzweifelt den Kopf auf ihr Heft sinken ließ. „Ich kann nicht mehr. Das will nicht in meinen Kopf.“, sagte sie verzweifelt. „Wie kannst du das nicht verstehen? Mirâ hat es dir doch jetzt ganze drei Mal erklärt und zwar so, dass es sogar ein Affe verstehen würde.“, meinte Hiroshi leicht genervt. „Kümmere dich doch um deinen Mist und lerne Geschichte!“, kam es daraufhin wütend von Akane. Erstaunt blickte Hiroshi die junge Frau an, als sich Mirâ an ihn wandte: „Hiroshi-Kun, das war nun wirklich gemein.“ Nun schien auch der junge Mann zu begreifen was er eigentlich gesagt hatte und senkte den Blick: „Tut mir leid. War nicht so gemeint, aber Mirâ erklärt dir seit einer geschlagenen Stunde immer wieder dasselbe. Was ist denn so schwer daran?“ Beleidigt sah Akane zur Seite: „Du weißt, das Mathe nicht meine Stärke ist. Geschichtsdaten kannst du dir doch auch nicht merken.“ „Geschichte brauch ich aber auch nicht jeden Tag.“, meinte der blonde junge Mann. „Ach? Und ich brauch ja auch jeden Tag diese Formeln. Das ist mir neu.“, Akane lief vor Wut mittlerweile rot an. „Na, na...“, wollte Mirâ dazwischen gehen, doch sie wurde vorher unterbrochen. „Seid nicht so laut. Das hier ist eine Bibliothek.“, sagte eine weibliche Stimme verärgert. Als die junge Frau mit den violetten Haaren aufblickte, sah sie eine andere junge Frau, welche etwas abseits stand und mit funkelnden grünen Augen böse zu der kleinen Gruppe hinüber schaute. Erstaunt sah Mirâ zu dem Mädchen und wäre fast von ihrem Stuhl gefallen, als ihr die blonden schulterlangen Haare auffielen. „Iwato-Senpai?!“, entglitt es ihr nur überrascht. Doch die Angesprochene legte nur den Kopf schief und sah Mirâ mit einem fragenden Blick an: „Wer ist Iwato-Senpai?“ „Hu?“, kam es nur überrascht von Mirâ und sie sah noch einmal richtig hin. Nun fiel ihr auf, dass die blonden Haare nur leicht gewellt waren, aber nicht in Locken fielen und dass das junge Mädchen vor ihr sogar ein typisches asiatisches Gesicht hatte. Doch ansonsten konnte man sie wirklich leicht mit Amy verwechseln, vor allem wenn man nicht genau hinsah. Sie trug sogar ihre Schuluniform genau wie Amy. Noch einmal sah das Mädchen sie mit einem argwöhnischen Blick an, ehe sie sich umdrehte und sich wieder ihrem Buch zuwendete. Mirâ beobachtete sie kurz, doch sah dann wieder zu ihren Freunden, welche sich langsam wieder beruhigten. „Bitte streitet nicht. Bis zu den Prüfungen haben wir noch ein paar Tage. Wie bekommen das schon hin Akane. Soll ich es dir noch einmal erklären oder wollen wir für heute erst einmal Schluss machen?“, fragte Mirâ, in der Hoffnung, dass ihre Freunde ihren Streit nicht fortführten. Akane ließ ihren Kopf wieder auf ihre Hefte sinken: „Lass uns bitte Schluss machen für heute.“ Hiroshi seufzte: „Wie wäre es, wenn wir einen Kaffee trinken gehen. Geht auf mich.“ Erstaunt blickten die Mädchen zu ihm herüber. Er kratzte sich leicht verlegen am Hinterkopf und sah in eine andere Richtung: „Als Entschuldigung für vorhin...“ „Na dann gerne.“, meinte Akane freudig, während sie von ihrem Stuhl aufsprang. „Wenn man dich einlädt bist du sofort dabei, was?“, meinte der blonde Junge neckisch, aber nicht böse. Die Braunhaarige grinste: „Du hast selber gesagt: Als Entschuldigung.“ Kurz sah Mirâ zwischen den beiden Freunden hin und her und lächelte dann. Sie hatten sich also wieder vertragen. „Zum Glück.“, dachte sie sich. Daraufhin packte die Gruppe ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Der kurze Streit war so gut wie vergessen und während sie so über den Hof zum Tor liefen, kamen sie auf andere Themen zu sprechen. „Hast du in letzter Zeit mal wieder mit Mika gesprochen?“, fragte Akane, während sie das Schulgebäude verließen. „Ich wollte gestern mit ihr sprechen, aber sie war nicht da. Heute Morgen habe ich sie auch nicht gesehen.“, antwortete Mirâ mit gesenktem Blick, „Ich hoffe ihr ist nichts passiert.“ Hiroshi versuchte die junge Frau etwas zu beruhigen: „Warte doch erst mal ab. Vielleicht ist sie heute Abend wieder da. Und wenn nicht, dann sagst du Bescheid.“ „Und dann gehen wir in die Spiegelwelt und helfen ihr, indem wir diesen Shadows kräftig in den Hintern treten.“, als wolle sie es vorführen, trat Akane einmal in die Luft. Dabei verlor sie allerdings das Gleichgewicht und stolperte nach vorn. Ehe sie jedoch fiel, konnte sie sich noch halten und stieß dabei gegen einen Topf, welcher nahe an einem Blumenbeet stand. Mit einem klirren ging der Tontopf zu Boden. „Oh je!“, schrak Akane auf, als sie auf den Scherbenhaufen unter sich blickte. Die Scherben lagen zwischen Erde und Pflanzenstücke verteilt. Peinlich berührt fasste sich Hiroshi an den Kopf: „Das musste ja kommen.“ „Hast du dich verletzt, Akane?“, fragte Mirâ besorgt. „Nein.“, die junge Frau mit den braunen Haaren schüttelte den Kopf. „Kannst du nicht aufpassen?“, schrie eine weibliche Stimme wütend. Erschrocken blickten die Drei auf und sahen ein Mädchen mit schwarzem kurzem Haar auf sie zukommen. Bei genauerer Betrachtung fiel Mirâ der violette Pony und die an einer Seite längere Strähne auf. Es war das Mädchen, welches sie am Anfang des Jahres im Gang der Schule angepöbelt hatte. Fukagawa war ihr Name, soweit sich Mirâ erinnerte. Allerdings sah diese alles andere als erfreut aus. Etwas irritiert sah Akane zwischen den Scherben und Fukagawa hin und her, ehe sie von dieser aus dem Scherbenhaufen geschoben wurde. Erst wollte die junge Frau protestieren, doch stoppte, als sie merkte, dass sich Fukagawa hin hockte und vorsichtig die Pflanze aus den Scherben herausholte. Dann seufzte sie: „Dein Glück. Die Pflanze wurde nicht verletzt.“ „Hör mal, Akane hat es doch nicht mit Absicht gemacht.“, ein wenig nervte Mirâ Fukagawas Art, „Und wieso lässt du die Töpfe überhaupt hier herum stehen?“ Wütend wurde sie von dem schwarzhaarigen Mädchen angeschaut: „Und warum hüpft sie dann so durch die Gegend. Wenn sie normal gelaufen wäre, wäre sie nicht gegen die Blumen getreten.“ „Es tut mir wirklich leid. Ich habe die Töpfe nicht gesehen und habe das Gleichgewicht verloren.“, entschuldigte sich Akane. Fukagawa schnaubte nur kurz, als sie aufstand und sich zu einem der Beete begab. Nun fiel Mirâ auch auf, dass die junge Frau ihr gegenüber eine Schürze über ihrer Uniform und dazu Handschuhe trug. Fukagawa hockte sich wieder hin und pflanzte die Pflanze in das vorbereitete Beet, in welchem bereits einige Blumen eingebettet waren. Anscheinend schien sie sich um diese wunderschönen Blumenbeete zu kümmern, welche Mirâ bereits an ihrem ersten Schultag aufgefallen waren. Diese säumten den Weg vom Tor zum Schulgebäude. Anfangs dachte sie, dass die Schule dafür Gärtner eingestellt hatte, aber sie hatte sich geirrt. „Hast du diese ganzen Beete gepflanzt?“, fragte Mirâ vorsichtig. „Siehst du denn noch jemand anderen?“, kam es nur leicht genervt von Fukagawa. Nun mischte sich auch Hiroshi ein: „Warum bist du so zickig? Mirâ hat doch nur höflich gefragt.“ „Die Frage hätte sie sich sparen können.“, das schwarzhaarige Mädchen sah nicht einmal auf, sondern kümmerte sich um die nächste Pflanze. Fast wäre Hiroshi der Geduldsfaden gerissen, wenn Mirâ ihn nicht zurückgehalten hätte und meinte, dass sie am besten gingen. Ihr Kumpel schnaufte nur noch einmal kurz, ehe sich die Drei nun doch auf den Weg machten und Fukagawa zurück ließen. Noch einmal drehte sich Mirâ kurz um und bemerkte den Blick, welchen ihnen das Mädchen hinterher warf. Es kam ihr so vor, als sah Fukagawa ziemlich wehmütig und etwas traurig aus. Ob sie es vielleicht bereute so zickig gewesen zu sein? Doch vorerst beließ es Mirâ dabei. Sie musste sich nicht anzicken lassen. Vielleicht ergab sich ja irgendwann eine Möglichkeit normal mit diesem Mädchen zu reden. Als Mirâ am Abend ihr Zimmer betrat, sah sie bereits ihre kleine Freundin in ihrem Spiegel. „Mika. Wo warst du gestern?“, war ihre erste Frage an das kleine Mädchen, „Ist alles in Ordnung?“ „Hm?“, leicht erschrocken blickte die Kleine auf, „Ähm ja. Alles in Ordnung. Und gestern... Ich musste etwas nachdenken. Tut mir leid, wenn ich dir Sorgen bereitet habe.“ Bei genauerer Betrachtung fiel Mirâ auf, dass Mika ziemlich müde aussah. Sie wirkte auch in dem Moment, als Mirâ sie angesprochen hatte, geistesabwesend. Ob wirklich alles in Ordnung war? „Bist du sicher?“, hakte Mirâ noch einmal nach. Mika nickte: „Ja sicher. Ähm wie geht es deinem Schulkameraden?“ Fragend sah Mirâ dir Kleine an. Es war nicht so, dass sie nicht wusste wen ihre Freundin meinte. Ihr war klar, dass sie Masaru meinte, doch ihr kam es komisch vor, dass Mika ihn gerade jetzt ansprach. Wollte sie das Thema wechseln? Was war denn mit ihr los? „Shin-Senpai soll es wohl wieder etwas besser gehen.“, antwortete sie nach kurzer Pause, „Wir konnten leider noch nicht persönlich mit ihm sprechen, weil er derzeit nicht in der Schule ist. Ich hab es nur von einem Schüler aus seiner Stufe erfahren.“ „Also konntet ihr ihn auch noch nicht fragen, wie er hier her gelangt war...“, es war mehr eine Feststellung, als eine Frage und auch mehr zu sich selbst, als zu Mirâ. „Beschäftigt dich das?“, fragte die junge Frau daraufhin. Ihr war nicht entgangen, dass Mika abwesend wirkte, dazu kam ihre eindeutige Müdigkeit. Irgendetwas musste sie beschäftigen und Mirâ konnte nur mutmaßen, dass es wegen Masaru war oder zu mindestens, wie er in die Spiegelwelt gekommen war. Auch sie beschäftigte dieses Thema und sie wollte ihren Senpai so schnell wie möglich darüber ausfragen, aber solange wie er nicht in der Schule war ging es eben nicht. Sie wollte auch nicht zu ihm nach Hause gehen, da dies nur unangenehme Fragen geben würde. Mirâ sah mit einem besorgten Lächeln zu ihrer kleinen Freundin: „Zerbrich dir darüber nicht zu sehr den Kopf. Wir werden schon herausfinden wieso das alles passiert.“ Mika nickte, doch änderte es nichts an ihrem derzeitigen Gemüt. Es musste also noch etwas geben, was sie beschäftigte. „Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Mirâ noch einmal, „Du kannst mit mir darüber sprechen, wenn dich etwas beschäftigt.“ Erstaunt blickte das kleine Mädchen sie an, doch schüttelte dann mit einem müden Lächeln den Kopf: „Das ist lieb, Mirâ. Aber es ist wirklich alles in Ordnung. Ich bin einfach nur müde und denke ich werde mich hinlegen.“ Mirâ nickte: „Ist wohl besser.“ „Gute Nacht.“, damit drehte sich die Kleine um und kurz darauf sah Mirâ nur noch ihr eigenes Spiegelbild im Spiegel. Besorgt blickte Mirâ auf ihr Spiegelbild. Sie machte sich ernsthaft Sorgen um ihre Freundin. Zwar kannte sie die Kleine erst ein paar Wochen, doch hatte sie diese sehr ins Herz geschlossen. Sie hoffte, dass Mika wirklich nur extrem erschöpft war und sie beim nächsten Mal wieder so fröhlich war wie sonst auch. Hoffentlich hatte sie nicht irgendwelche Sorgen, die sie in sich hinein fraß. Das würde ihr sicher nicht gut tun. Um sich etwas abzulenken beschloss Mirâ nach langer Zeit wieder in ihrem Buch über Personas zu lesen. Eigentlich hätte sie lernen müssen, denn die Woche drauf hatten sie Prüfungen, aber dafür hatte sie nun überhaupt keinen Nerv. Etwas anderes interessierte sie derzeit und sie hoffte, in diesem Buch Antworten zu finden. Nachdem sie sich umgezogen hatte ließ sie sich auf ihren Futon fallen und blätterte das Buch auf. Dieses hatte ihr bisher wesentlich mehr Antworten gegeben als Igor und Margaret, die, wie sie selber sagten, als Support für ihre Reise dienten. Ihr erster Blick galt dem Inhaltsverzeichnis, denn sie suchte etwas ganz bestimmtes. Sie wollte etwas über Social Links erfahren, denn mittlerweile hatte sie einige gesammelt und seit dem Kampf gegen Masarus Shadow wusste sie auch, wie sie diese Arcanas einsetzen konnte. Doch noch immer stellte sich ihr die Frage ob jeder, mit dem sie einen Social Link bildete, auch ein Persona-User war. Wenn dem so wäre, dann wären es allerdings sehr viele Leute und das kam ihr unrealistisch vor. Zudem war Masaru ein Persona-User, doch mit ihm hatte sie keinen Social Link geformt. Außerdem hatte Mika ihnen erzählt, dass sie keine Persona rufen konnte, aber mit ihr hatte sie einen Link geschaffen. Was sie auch beschäftigte, war eben diesen Social Link, welcher die Arcana des Todes hatte. Warum gerade diese? Sie hoffte, dass ihr dumpfes Gefühl, welches sie in dieser Beziehung hatte, nicht eintrat. Ihr Blick blieb an einem Wort hängen. Genau jenes, welches sie gesucht hatte. Schweigend schlug sie die Seite jenes Buches auf und hoffte nun Antworten zu erhalten. „Kapitel 4 - Social Links und Arcanas In diesem Kapitel möchte ich mich mit einem Thema beschäftigen, welches selbst für mich ein Rätsel ist. Die Rede ist von Social Links. Diese sind Verbindungen mit anderen Menschen in unserem Umfeld - zumeist für uns zuerst fremde Menschen, mit denen wir unter normalen Umständen wohl nicht in Kontakt treten würden. Menschen, an denen wir normaler Weise Schweigend vorbei gehen und die wir nicht wirklich wahrnehmen. Doch als Persona-User mit der Wild Card, ist es meist unerlässlich solch eine Verbindung mit diesen Menschen einzugehen. Für die Wild Card ist es wichtig, andere Menschen kennen zu lernen und Social Links zu formen, um die eigenen Fähigkeiten und die der Personas zu stärken. Es gibt meinen Recherchen nach genau 22 Social Links, sogenannte Arcanas, beginnend von der Nummer Null und endend mit der Nummer 22. Diese bestehen aus einem Teil der uns bekannten Tarotkarten. Diese Arcanas erscheinen in vielen verschiedenen Formen. Neben der Form als Social Link können sie ebenso die Form einer Persona, genauso wie die Form eines Shadows annehmen.“ Mirâ riskierte einen Blick auf ihr Handy und musste an das Menü mit ihren Social Links, sowie ihrer Personas denken. Die Arcanas an ihren Personas, ebenso wie die ihrer Freunde, waren ihr bereits aufgefallen. Ebenso, das die Personas ihrer Freunde und deren Social Link dieselbe Arcana hatten. Der nächste Absatz zog ihre Aufmerksamkeit auf sich: „Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass es nicht zwingend der Fall ist, dass ein Social Link auch ein Persona-User sein muss. Wie ich herausgefunden habe, haben nur bestimmte Personen unter den Social Links diese Fähigkeiten.“ Also hieß das, sie konnte nicht vom Social Link auf einen Persona-User schließen, sondern sie musste es selber herausfinden oder warten bis sich derjenige zeigte. „Jedoch ist mir die ganze Sache mit den Social Links und der Wild Card immer noch ein Rätsel. Persona-User mit der Fähigkeit der Wild Card haben meinen Recherchen zufolge immer die Arcana mit der Nummer Null, den Narren, und bekommen dadurch im Laufe ihrer Reise die Fähigkeit mehrere Personas zu kontrollieren, ja sogar stärkere Personas zu fusionieren...“ Mirâ stoppte. Fusionieren? Das hieß zwei Personas nehmen und daraus eine neue erschaffen. Wie dies wohl funktionierte? Ob sie bereits die Fähigkeit dazu besaß oder sollte sie Igor darauf ansprechen? Sie hatte jedoch arge Zweifel eine Antwort von der Langnase zu bekommen, wenn dieser es noch nicht für nötig hielt ihr etwas darüber zu erzählen. Sie seufzte. „Doch was mich an der Sache stutzig macht, ist die Frage wieso? Zu meiner Zeit, gab es so etwas wie die Wild Card nicht. Ebensowenig so etwas wie Social Links, obwohl auch meine Kameraden und ich im Besitz einer Arcana waren. Wieso also tauchten plötzlich die Social Links und die Wild Card auf? Das ist und bleibt mir ein großes Rätsel.“ Hätte sie nicht bereits gelegen wäre sie wohl von ihrem Futon gefallen, als sie diesen Absatz las. Das hieße ja die Autorin dieses Buches, Maya Amano, war ebenfalls eine Persona-Userin. Andererseits würde das auch ihr Wissen über bestimmte Themen erklären, ebenso überhaupt der Grund, weshalb sie dieses Buch geschrieben hatte. Jemand der nicht mit dieser Materie in Berührung gekommen war, würde sich wohl niemals mit diesem Thema beschäftigen, geschweige denn überhaupt daran glauben, dass so etwas wie Personas oder Shadows überhaupt existieren könnte. Sie hatte geschrieben, dass es zu ihrer Zeit keine Wild Card oder Social Links existierten. Zu ihrer Zeit... Hieß das, sie war keine Persona-User mehr und hatte ihre Fähigkeiten verloren, nachdem ihre Aufgabe beendet war? Oder hieß es, dass sie ihre Fähigkeiten einfach nicht mehr einsetzen musste? Die Wild Card war also nach ihrer Aufgabe erschienen. Das bedeutete also, dass es noch andere Wild Cards gab. Sie musste während ihren Recherchen mit ihnen gesprochen habe. Dass es andere Persona-User gab, konnte sie sich mittlerweile bereits denken. Wenn es nun andere mit der Fähigkeit der Wild Card gab, dann musste sie eine Möglichkeit finden mit ihnen in Kontakt zu treten. Sie musste nur herausfinden wie, denn sie erhoffte sich dabei die Antworten, die ihr Igor und Margaret schuldig blieben. Kapitel 13: XIII - Ein neues Mitglied ------------------------------------- 25.Mai bis 30.Mai 2015 -> Examen Samstag, 30.Mai 2015 / Abend „Es freut mich, dass du mein Angebot mit dem Nebenjob angenommen hast.“, sagte Shuichi freundlich, während er Mirâ durch die Bar führte und ihr alles zeigte. Die junge Frau lächelte freundlich und nickte: „Ich habe für das Angebot zu danken. Es tut mir auch leid, dass es erst ab heute geht und leider kann ich auch nicht während der Prüfungen...“ Sie hatte noch nicht einmal richtig ausgesprochen, da fiel ihr Shuichi bereits ins Wort: „Ach was, Schätzchen. Schule ist wichtig. Das ist schon in Ordnung. So hier hinten sind die Umkleiden und unser Pausenraum. Ich habe dir ein Outfit hingelegt. Ich hoffe es passt. Du kannst dich in Ruhe umziehen und dann kommst du vor an den Tresen. Ja? Dann besprechen wir alles weitere.“ Mit einem Zwinkern in Mirâs Richtung war der junge Mann dann wieder in den vorderen Räumlichkeiten verschwunden, während sie selber die Umkleide betrat. Der erste Eindruck, welchen sie von ihrem neuen Arbeitsplatz hatte, war gut. Es war alles sauber und aufgeräumt und die Mitarbeiter, denen sie bisher begegnet war, schienen alle freundlich zu sein. Das könnte ihr wirklich Spaß machen. Nur an Die Uniform würde sie sich erst gewöhnen müssen. Diese bestand aus einem schwarz-blauen ärmellosen Kleid, welches sie eher an ein Kleid für Cheerleader erinnerte, bei dem allerdings der Rock zum Glück etwas länger war und in breiten Falten fiel. Dem zu hatte es eine Art Hemdkragen um welchen sie eine weiße Krawatte band. Die Männer wiederum trugen ein Hemd in derselben Farbe wie das Kleid und dazu eine dunkle Hose, sowie die weiße Krawatte. Es war etwas ungewohnt für sie. Zwar war sie in noch nicht so vielen Karaoke-Bars gewesen, aber sie erinnerte sich nicht daran, dass die Angestellten dort eine Uniform trugen. In diesem Fall, war diese sehr speziell. Skeptisch betrachtete sich die junge Frau im Spiegel. Zwar passte das Kleid, wie angegossen, aber den Rock fand sie etwas zu kurz. Vielleicht kam es ihr aber auch einfach nur so vor, aber sie musste so oder so damit zurechtkommen. Leicht seufzend verließ sie den Raum und machte sich wieder auf den Weg zum Empfangsbereich. Doch während sie so durch den Gang lief, drang eine laute Stimme an ihr Ohr. Als sie den Empfang betrat erblickte sie auch die Quelle der Stimme. Genau vor dem Tresen stand ein junger Mann mit nackenlangem dunkelblauem Haar. Er trug eine schwarze Weste mit weißen Nähten und eine dunkelblaue Hose. Um seine Hüfte erkannte Mirâ zwei Gürtel, von denen einer passend zur Weste schwarz mit weißen Nähten war und der andere aus Nieten bestand. Am linken Handgelenk des Jungen erkannte die junge Frau ein Nieten- und ein Silberarmband. Aufgebracht sah er Shuichi an, welcher allerdings nur freudig grinste. Seinen Kopf hatte er auf seiner Hand abgelegt und stützte diese mit dem Arm auf dem Tresen. „Warum regst du dich so auf, Süßer?“, fragte er unschuldig. „Hör auf mich süßer zu nennen. Wie oft noch?“, fragte der blauhaarige junge Mann. Shuichi lachte und hielt ihm einen Schlüssel vor die Nase: „Dabei bist du eine süße Schnitte. Schade eigentlich.“ Schnell schnappte sich der junge Mann den Schlüssel aus Shuichis Hand und kam Mirâ nun entgegen. Mit einer leichten Verbeugung und einem freundlichen „Willkommen“ begrüßte sie den Gast, doch dieser stolzierte ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei. Shuichi dagegen lächelte nur und winkte dem jungen Mann nach: „Viel Spaß, Süßer.“ Noch einmal hörte Mirâ einen kurzen Aufschrei aus dem Zimmer, in welchem der Gast verschwunden war, ehe dort die Tür mit einem lauten Knall zu flog. Leicht erschrocken schaute die junge Frau in Richtung des Karaoke-Raumes und begab sich dann zu ihrem Kollegen, welcher nur kichernd am Tresen stand. Fragend schaute Mirâ ihn an, doch Shuichi winkte ab: „Der junge Mann ist ein Stammkunde von uns.“ „Warum war er denn so sauer?“, Mirâ konnte sich diese Frage einfach nicht verkneifen. Der junge Mann neben ihr grinste nur: „Ich zieh ihn gerne etwas auf, allerdings mag er das nicht sonderlich. Aber es macht Spaß.“ So war das also. Noch einmal sah Mirâ in die Richtung des Karaoke-Raumes, in dem der Stammkunde verschwunden war, ehe sie sich wieder an ihren Kollegen wandte. Dieser erklärte ihr daraufhin ihre Aufgaben in der Bar, welche hauptsächlich daraus bestand, die Gäste zu bewirten, wenn sie etwas bestellten. Dafür hatte die Bar sogar ein eigenes elektronisches System, bei welchem die Besucher ihre Bestellungen digital an die für sie zuständigen Kellner schickten. Damit wurde Zeit gespart die Kellner erst rufen zu müssen und die Bestellungen waren schneller bei den Gästen. Ganz in Ruhe und neben seiner Arbeit am Empfang erklärte Shuichi Mirâ, wie dieses System funktionierte und worauf sie zu achten hatte. An diesem Abend war mächtig viel zu tun, doch der junge Mann fand immer wieder Zeit Mirâ alles zu erklären und das, ohne gestresst zu wirken. Erleichtert streckte sich Mirâ, als sie aus der Bar trat. Ihre erste Schicht war vorbei und obwohl sie an diesem Abend nur für einen Raum zuständig war, hatte sie mächtig zu tun. Ihre Kollegen, welche im Vergleich zu ihr, mehrere Räume bedienen mussten, taten ihr in diesem Moment wirklich leid. Aber sie wusste auch, dass es nicht lange dauern würde, bis sie ebenfalls so weit war und auch sie mehr als einem Raum zugeteilt werden würde. Mit einem tiefen Zug atmete sie die frische Abendluft ein und blickte in den klaren Himmel. Obwohl sie viel zu tun hatte, machte ihr der Job aber Spaß und sie war froh ihn angenommen zu haben. „Na geschafft?“, fragte sie eine ihr bekannte Stimme. Schnell drehte sie sich um und erkannte Shuichi, welcher ebenfalls aus der Bar trat und sich seine schwarze Sweatjacke überzog. Kurz darauf hielt er der jungen Frau einen Umschlag vor die Nase, welchen Mirâ allerdings nur mit fragenden Blick anstarrte. Shuichi lachte: „Schau nicht so. Das ist dein erstes Gehalt. Du warst du schnell verschwunden, dass ich ihn dir gar nicht drinnen geben konnte.“ Erstaunt nahm Mirâ den Umschlag entgegen und blickte ihn eine Weile mit großen Augen an. Ihr erstes Gehalt. „Du solltest es lieber wegstecken.“, mit einem Zwinkern lächelte Shuichi sie an, was sie aus ihren Gedanken holte. Schnell packte sie den Umschlag in ihre Tasche und wollte sich gerade von Shuichi verabschieden, als dieser ihr anbot sie noch bis zum Bahnhof zu begleiten. Eine Dame könne man doch im Dunkeln nicht alleine gehen lassen, hatte er mit einem lieben Lächeln gemeint. Somit machten sich die beiden auf den Weg. Unterwegs unterhielten sie sich ein wenig und Mirâ erfuhr, dass Shuichi eigentlich Student für Kunst war und ebenfalls nur nebenbei in der Karaoke-Bar jobbte. Doch am erstaunlichsten fand sie die Tatsache, dass die Bar seinem Vater gehörte und er mit diesem eine Abmachung hatte. So erfuhr Mirâ, dass Shuichis Vater ihm sein Studium ermöglichte und bezahlte, solange dieser in der Bar jobbte, wenn er gerade keine Vorlesungen und Prüfungen hatte. Davon war sie besonders überwältigt. Shuichis Vater musste ein guter und sehr Toleranter Mann sein. Für Eltern muss es auch nicht einfach sein zu akzeptieren, dass ihre Kinder Homosexuell waren, deshalb war ihr der Vater ihres Kollegen gleich richtig sympathisch. Durch ihr ausgiebiges Gespräch verging die Zeit bis zum Bahnsteig rasend schnell. „Vielen Dank für deine Begleitung, Takama-San.“, bedankte sich Mirâ mit einer höflichen Verbeugung. „Kein Problem. Und Shuichi reicht. Wir sind doch Kollegen, das ist auch einfacher.“, meinte der junge Mann. Ein warmes Gefühl breitete sich wieder in Mirâs Brust aus und sie hörte wieder diese merkwürdige Stimme: „Ich bin du... Und so bist ich...“ Sie wusste sofort, was dies bedeutete, doch sie hielt sich zurück auf ihr Handy zu blicken. Wieder hatte sie einen Social Link geformt, doch welche Arcana er hatte würde sich erst später zeigen. „Eh? G-gut, dann Shuichi-San. Vielen Dank.“, bedankte sich Mirâ noch einmal, bevor ihr Zug durchgesagt wurde. „Wie gesagt, kein Problem. Komm gut nach Hause, Mirâ-Chan.“, Shuichi zwinkerte ihr noch einmal kurz zu, ehe die junge Frau in den Zug einstieg. Kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt kramte Mirâ ihr Handy hervor. Als sie den Display entsperrte bestätigte sich ihr Gedanke, als sie das gelbe Ausrufezeichen auf der Persona-App sah. Mit einem kurzen Tipp darauf öffnete sich diese. Ihr erster Blick galt ihren Social Links, wo sie bereits das Ausrufezeichen auf der nächsten Arcana erkannte. Sie öffnete die Infoseite zu dieser Arcana, um zu schauen, welche sie bekommen hatte. Auf ihrem Display erschien nun die Karte mit der Nummer drei. Sie war in Rosa- und Gelbtönen gehalten und in der Mitte war eine schwarze runde Schattenfigur mit einer Krone zu erkennen. Mirâ erinnerte dieser Schatten ein wenig an eine Schachfigur. Umrundet wurde diese Figur von Blätterranken. Mit dem Finger mal kurz nach oben gewischt und der Name der Arcana kam zum Vorschein. „Die Kaiserin? Eine weibliche Karte?“, fragte sich die junge Frau, doch irgendwie war es für sie letzten Endes doch verständlich. Mit einem leichten Seufzen beendete Mirâ die App und schaltete ihr Display aus. Shuichi war also auch einer ihrer unterstützenden Social Links. Welche weiteren sie wohl noch erwarten würden und welchen Menschen sie dabei begegnen würde? Montag, 01.Juni 2015 Überrascht blickte Mirâ auf die Menschentraube vor sich. Als sie den Schulhof betreten hatte, wäre sie beinahe in einen Mitschüler gerannt, welcher mitten auf dem Weg zum Schulgebäude stehen geblieben war. Als sie dann aufblickte sah sie weitere Schüler. Sie alle standen vor einem der Blumenbeete, welche den Weg säumten, und schienen etwas zu beobachten. „Was ist denn los?“, fragte sie eine Schülerin vor sich. Diese sah sie kurz fragend an, doch erklärte ihr im nächsten Moment, dass sich Jungs vom Fußballclub wohl mit Fukagawa anlegten, weil sie deren Beete mit einem Ball verwüstet hatten. Sofort wurde Mirâ hellhörig. Zum einen, weil ihr bester Kumpel Hiroshi ebenfalls im Fußballclub war und zum anderen, weil es Fukagawa war, mit der sie sich anlegten. Da konnte nichts Gutes dabei heraus kommen. Vorsichtig drängelte sie sich an den Schülermassen vorbei, um weiter vor zum Ort des Geschehens zu gelangen. Dies stellte sich allerdings als sehr schwer heraus, denn jeder wollte etwas sehen und so drängelte sich Schüler an Schüler. Sie hatte das Ende der Schülermassen noch nicht einmal erreicht, als sie bereits Hiroshis Stimme vernahm: „Wir haben doch gesagt, dass es uns leid tut. Wir machen das wieder gut. Versprochen.“ „Ihr Idioten. Wie wollt ihr Trottel, die keine Ahnung davon haben, das wieder gut machen?“, hörte sie die aufgebrachte Stimme von Fukagawa. „Kche. Jetzt zick doch nicht so rum. Das sind doch nur ein paar Blumen.“, sagte ein anderer Junge, welcher anscheinend auch im Team war. „Nur ein paar Blumen?“, kam es aufgebracht zurück, „Ich sag doch ihr habt keine Ahnung.“ Endlich schaffte es Mirâ, durch die Massen von Schülern zu kommen und konnte nun einen Blick auf das Schlachtfeld werfen. Anders konnte sie es auch nicht beschreiben. Das Beet sah aus, als wäre eine Horde von Wildschweinen hindurch gelaufen und die Reste der gepflanzten Blumen lagen wild umher. Davor stand die aufgebrachte Fukagawa und ihr gegenüber der Jungs vom Fußballclub, zu welchen auch Hiroshi gehörte. „Was ist denn...“, wollte Mirâ ihre Frage anfangen, als sie jedoch unterbrochen wurde. „Was ist hier los?“, fragte eine männliche Stimme ziemlich laut. Die Schülermenge teilte sich, als sich alle umdrehten und der Blick wurde auf Masaru frei gegeben. Dieser schaute mit einem strengen Blick auf die Schülermassen und dann zu Fukagawa und den Jungs, bevor er auf die Gruppe zukam. Ehe er noch einmal fragen konnte kam bereits einer der Jungs aus dem Fußballteam auf ihn zu und erklärte war passiert sei. Doch wenn man nach dessen Erzählungen ginge, so hätte das Blumenbeet nicht so schrecklich ausgesehen. So erzählte er zum Beispiel, dass sie einfach nur etwas mit dem Fußball gespielt haben und diesen ausversehen auf das Beet geschossen hatten. Wenn sich Mirâ allerdings das Beet so anschaute, sah es eher so aus, als seien sie noch freudig drüber gerannt. Ihr Blick ging zu Hiroshi hinüber, welcher allerdings doch ziemlich betroffen aussah. Auch Fukagawa schien diese Lüge nicht mehr zu ertragen und rief dazwischen: „Von wegen. Ihr seid doch noch drüber gelaufen und habt den Ball zurück geschossen. Ich hab hier alles zerpflückt. Eine Woche Arbeit vollkommen umsonst.“ Masaru schwieg, während er dem Schüler und Fukagawa zuhörte und sich das Beet ansah. Sein Blick war ernst und konzentriert, ehe er sich an die Jungs vom Team wandte: „Als zugehöriger der Schülervertretung gebe ich hiermit dem Team des Fußball den Auftrag heute Nachmittag nach dem Training dieses Beet wieder in Ordnung zu bringen. Fukagawa-San wird euch dabei sagen, was ihr zu tun habt. Ich werde später mit eurem Trainer sprechen, damit er Bescheid weiß.“ Ein Raunen ging durch die Menge von Schülern und die Spieler des Fußballteams beschwerten sich lautstark, doch Masaru ließ sich nicht erreichen und schickte alle Schüler ins Schulhaus. Während die Schüler und Spieler sind von Fukagawa entfernten, hörte Mirâ wie sich einige Schüler über das schwarzhaarige Mädchen unterhielten. Die Mädchen hatten nicht viel für sie übrig, wie sie mitbekommen musste. Diese nannten Fukagawa einen unheimlichen Freak mit merkwürdigen Stimmungsschwankungen. Auch die Jungs fanden ihre schnell umschwenkende Stimmung merkwürdig, doch sprachen sich auch dafür aus, gerne mal mit ihr ausgehen zu wollen, wenn sie nicht so kompliziert wäre. Das hörte sich sogar so an, als sei sie bei den Jungs recht beliebt. Verwundern tat dies Mirâ nicht, denn auch sie musste sich eingestehen, dass Fukagawa eine hübsche junge Frau war, die ihren eigenen Stil gefunden hatte. Schweigend drehte sich Mirâ zu der jungen Frau um und wollte sie ansprechen, doch diese wimmelte sie nur ab und verließ fluchtartig den Ort des Geschehens. „Dabei wollte ich ihr nur helfen...“, ging ihr durch den Kopf, als sie Fukagawa davon laufen sah. „Lass sie am besten erst einmal in Ruhe. Sie beruhigt sich schon wieder.“, hörte sie Masarus Stimme hinter sich, woraufhin sie sich umdrehte. „Shin-Senpai.“, bekam sie nur heraus. Dieser lächelte sie nun an: „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich würde gerne nachher kurz mit euch sprechen. Wo kann ich euch in der Mittagspause finden?“ „Ähm... Auf dem Dach.“, Mirâ war leicht irritiert. Auch sie wollte ja mit Masaru reden, in der Hoffnung etwas über sein Verschwinden heraus zu finden. Doch dass dieser ihr nun zuvor kam überraschte sie ein wenig. „Gut, dann sehen wir uns in der Pause. Bis dann.“, damit drehte sich der junge Mann um und ging, während Mirâ ihm irritiert nachschaute. „Also wirklich.“, nuschelte Akane vor sich hin, als die Gruppe sich zur Mittagspause auf dem Dach wiederfand. Hiroshi hatte den beiden Mädchen soeben erzählt, was nun wirklich am Morgen passiert war, als das Beet verwüstet wurde. So hatten sie erfahren, dass die Jungs wie sie bereits wussten Fußball gespielt hatten. Dabei hatte Hiroshi einen Pass mal wieder zu weit geschossen und dieser ging leider genau auf das Beet. Doch anstatt den Ball einfach wieder herunter zu holen, waren die anderen Jungs auf das Beet gestürmt und hatten dadurch alles zerstört. „Und jetzt dürfen wir heute Abend noch das Beet neu machen.“, seufzte Hiroshi. „Das habt ihr euch selber zuzuschreiben. Auch wenn du nur der Verursacher warst. Ihr sitzt in dem Moment alle in einem Boot.“, meinte Akane nur ohne eine Spur von Mitleid zu zeigen. „Ich weiß...“, nuschelte der junge blonde Mann mit hängenden Kopf. „Ihr schafft das schon.“, versuchte Mirâ ihren Kumpel etwas aufzumuntern. „Aber ich muss Chiyo recht geben. Ihr sitzt da alle im selben Boot.“, kam es von Masaru, welcher sich in diesen Moment zu den dreien begab. Hiroshis Kopf sank noch weiter nach unten und man hätte meinen können, er würde bald den Boden berühren. Man merkte, dass es ihm Leid tat - auch, weil er deshalb länger in der Schule bleiben musste. „Senpai, du wolltest mit uns sprechen?“, fragte Mirâ und wollte somit auf das Thema zu sprechen kommen. Masaru nickte: „Ja. Erst mal wollte ich mich natürlich bei euch bedanken. Dafür, dass ihr mich gerettet habt, meine ich. Ich habe auch noch einmal über alles in Ruhe nachgedacht und kam auch wieder auf das Ergebnis, welches in dieser merkwürdigen Welt heraus gekommen war. Aber ich habe so einige Fragen an euch. Zum einen: Was ist das für eine Welt? Zum anderen: Was waren das für merkwürdige Wesen, zu welchen wohl auch Harachte gehört? Und...“ Er unterbrach kurz und kramte sein Smartphone aus seiner Tasche. Kurz darauf zeigte er der Gruppe das ihnen bekannte Programm. „Was ist das für eine merkwürdige App, die ich seit jenem Abend auf meinem Handy habe? Ich habe zwar herausgefunden, dass ich dort Infos über Harachte herausfinden kann. Aber wofür ist die gut?“, fragte er nun abschließend. Kurz schwiegen die Drei, da sie nicht so recht wussten wo sie eigentlich anfangen sollten zu erzählen. Mirâ kam letzte Endes zu dem Schluss, dass es besser wäre die Fragen der Reihe nach zu beantworten. So erklärte sie Masaru zu aller erst, was es mit der gespiegelte Version der Stadt auf sich hatte und wie man eigentlich dorthin gelangte. Allerdings konnte sie auch nur so viel erzählen, wie sie selber wusste, jedoch nicht weshalb sie existierte. Als nächstes erklärte sie ihm, dass diese Wesen, zu welchem auch das seine zählte, Personas waren. Sie musste ein wenig ausholen um Masaru zu erklären, was es mit der Persona eigentlich auf sich hatte, ehe sie auf das Thema Shadows zu sprechen kommen konnte. Masaru hörte geduldig zu, auch wenn man ihm ansah, dass er mächtig verwirrt war. Zum Schluss kam sie zu der Persona-App. Viel brauchte sie dort eigentlich nicht erklären, da sich ihr Senpai bereits etwas mit dem Programm beschäftigt hatte. Sie erläuterten nur noch, dass die App wichtig war um in der Spiegelwelt ihre Personas zu rufen und um Items zu sammeln, welche sie dort fanden und die sie im Kampf unterstützten. „Items? Das hört sich ja fast so an wie in einem RPG.“, bemerkte Masaru mit misstrauischem Blick. Akane nickte zustimmend: „Das habe ich auch gesagt. Für irgendwen scheint das ein Spiel zu sein.“ Der ältere Schüler schwieg und schien zu überlegen. „Wir wollen herausfinden, wer hinter dieser ganzen Sache steckt. Ich hab erfahren, dass es mehrere solcher Vorfälle gibt und sie alle einen Grund haben.“, erklärte Mirâ, „Deshalb würde es uns auch helfen, wenn du uns ein paar Infos geben könntest.“ „Infos?“, Masaru schaute sie fragend an. „Naja wie du in die Spiegelwelt gekommen bist und so.“, meinte Hiroshi. „Hm...“, wieder schwieg Masaru kurz und überlegte, „An viel kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß noch, dass ich mich mit meinen Eltern gestritten habe und wütend auf mein Zimmer ging. Ich wollte mich hinlegen und ließ deshalb das Licht aus. Als ich an meinem Spiegel vorbei ging kam es mir so vor als würde etwas Rotes darin leuchten, doch als ich hinein sah habe ich nichts gesehen. Und plötzlich war da ein schwarzer Schatten. Danach erinnere ich mich nur noch wie ich in dieser Welt war und von diesem Shadow angegriffen wurde. Aber das kennt ihr ja schon.“ „Das Spiegelspiel!“, kam es wie aus einem Mund von Mirâ und ihren Freunden. Fragend sah Masaru sie an: „Ich hab davon gehört, außerdem ist das doch nur ein Gerücht oder?“ „Schön wäre es...“, meinte Mirâ. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an ihre erste Begegnung mit dem schwarzen Wesen denken musste. Wo sie aber nun darüber nachdachte wurde es ihr noch unheimlicher. Denn wenn ihre Mutter nicht in jenem Moment in ihr Zimmer gekommen wäre und das Licht eingeschaltet hätte, wäre sie womöglich auch in diese Welt verschleppt worden. Ohne es überhaupt zu merken fasste sie sich genau an die Stelle, an welcher das merkwürdige Wesen damals sie damals festhielt. „Alles in Ordnung, Shingetsu?“, fragte Masaru besorgt. Erstaunt sah Mirâ ihren Senpai an und merkte dann erst, dass sie ihren Arm hielt. Schnell verschränkte sie die Arme hinter dem Rücken und lächelte Masaru an, während sie ihm versicherte, dass alles in Ordnung sei. Anschließend erzählte sie ihm aber von ihrer Begegnung mit diesem schwarzen Wesen. Während Mirâ darüber berichtete fiel Akane noch etwas Wichtiges auf. Bevor Mirâ in ihre Klasse gekommen war, gab es zwar die Gerüchte dieses Spiegelspiels, allerdings war bis dato niemand verschwunden. Bis dahin hatte sie nur Gerüchte gehört, dass Leute, die dieses Spiel gespielt haben und danach durchgedreht waren oder irgendwas von sich geben wie „sie kommen mich holen.“ Doch Masaru war der erste, der verschwunden war nachdem er, zwar unbeabsichtigt, das Spiegelspiel gespielt hatte. Aber wieso? Nach kurzem Bedenken und als Mirâ mit ihrem Bericht geendet hatte, sprach sie das Thema in der Runde an. Erstaunt sahen die anderen Drei sie an. „Jetzt wo du es sagst...“, meinte Hiroshi, „Bevor Mirâ an unsere Schule kam, verschwand niemand. Erst nachdem sie von diesem schwarzen Wesen erzählte, was sie in den Spiegel ziehen wollte und wir in dieser Welt waren...“ „Eh? Aber... Was bedeutet das?“, fragte Mirâ verwundert. Es kam ihr so vor, als sei sie schuld daran. Aber warum sollte sie schuld sein? Ob es an ihrer Wild Card Fähigkeit lag? „Vielleicht... Wollte dieses Wesen eigentlich dich entführen, aber da du entkommen bist und beim zweiten Mal deine Persona bekommen hast, will es vielleicht Rache. Oder sucht eine Möglichkeit dich in die Spiegelwelt zu locken.“, warf Masaru in die Runde. Das klang schon einleuchtend. „Wir wollen herausfinden was der Grund ist. Dann finden wir auch heraus, warum das alles passiert.“, meinte Akane, während sie ihrer besten Freundin die Hand auf die Schulter legte. „Könnt ihr dabei vielleicht Hilfe gebrauchen?“, fragte Masaru, „Ich möchte gerne herausfinden, wer mich da entführt hat.“ Mit großen Augen sahen die Drei ihren Senpai an, doch nickten dann zustimmend. Sie konnten jede Hilfe gebrauchen und Masaru war sicher ein zuverlässiger Partner. Somit war entschieden, dass nun auch Masaru zur Gruppe gehörte und sie beschlossen bei nächster Gelegenheit in die Spiegelwelt zu gehen, um zu trainieren. Die Schulglocke beendete das Gespräch, woraufhin sich die vier wieder auf den Weg in ihre Klassenräume machten. Unterwegs schaute Mirâ wieder auf ihr Handy. Sie hatte auf dem Dach wieder dieses warme Gefühl verspürt und war sich sicher, dass es etwas mit ihren Social Links zu tun hatte. Doch dieses Mal war es keine neue Arcana, die sie aufdecken konnte, sondern auf der „Narr“-Arcana leuchtete das gelbe Ausrufezeichen auf. Das konnte nur bedeuten, dass sich der Balken dieser Arcana etwas Gefüllt hatte. Doch nun hatte sie eine ungefähre Vorstellung für was diese Karte existierte. Sie schien für ihre Gruppe zu sein, denn den ersten Teil des Balkens hatte sie gefüllt, als sie mit Akane und Hiroshi unterwegs war. Und nun war Masaru zu ihnen gestoßen und wieder hatte sich der Balken gefüllt. Also konnte es nur so sein. Seufzend ließ sie ihr Smartphone wieder in ihrer Tasche verschwinden und musste noch einmal an das Thema denken, über welches sie sprachen, bevor die Glocke geläutet hatte. Ob dieses Wesen sie wirklich entführen wollte und nun auf Rache aus war? Es klang schon einleuchtend, aber wenn dem wirklich so war, weshalb wollte dieses Wesen sie dann entführen? Was hatte sie denn getan? Oder lag es wirklich an ihrer Wild Card? Das Thema machte sie unruhig. Wenn es wirklich um sie ging, dann wollte sie eigentlich ihre Freunde nicht mit hinein ziehen. Doch etwas ließ sie stutzig werden. Wenn es wirklich um sie ging, warum haben dann auch ihre Freunde jeweils eine Persona bekommen? Das ergab doch gar keinen Sinn. Es wäre doch dann einfach sie alleine in die Spiegelwelt zu locken und dort anzugreifen. Doch so kamen ihre Freunde immer mit. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Wahrscheinlich war es ganz anders und es war nur Zufall, dass die Entführung zu dieser Zeit begann. Sie und ihre Freunde würden alles dran setzen herauszufinden was die Ursache war. Das hatten sie sich geschworen. Kapitel 14: XIV - Sorgen ------------------------ Dienstag, 02.Juni 2015 - Vollmond Gebannt schauten Mirâ und ihre Freunde auf die vor ihnen hängende und ewig lange Tafel, auf welcher sie ihre Namen suchten. An diesem Tag wurden die Ergebnisse der Prüfungen ausgehängt und jeder wollte erfahren wie er abgeschlossen hatte. Es gab ein mächtiges Gedränge im Eingangsbereich der Schule, sodass es schwer war überhaupt etwas zu sehen. „Urgh...“, hörte sie Akane zu ihrer Rechten, welche mit leicht verzweifeltem Blick auf die Tafel starrte, „Nur 60 von 100 Punkten.“ „Das geht doch.“, meinte Mirâ beruhigend, „Es hätte schlimmer kommen können.“ Zu ihrer Linken bemerkte sie kurz darauf nur wie sich Hiroshi mit gesenktem Kopf von der Gruppe entfernte. Fragend sah Mirâ ihm nach und wollte hinter ihm her, als Akane sie zurück hielt und auf einen Namen auf der Tafel zeigte. Ihr blieb kurz die Sprache weg, als sie las, dass Hiroshi nur 45 von möglichen 100 Punkten erreicht hatte. Deshalb war er so niedergeschlagen. Besorgt schaute sie in die Richtung, in welche ihr Kumpel verschwunden war. Ob sie mit ihm reden sollte? Er sah wirklich niedergeschlagen aus. Doch ehe sich Mirâ weiter darüber Gedanken machen konnte fiel ihr Akane um den Hals. „Hast du schon dein Ergebnis gesehen?“, fragte sie freudig, während sie von Mirâ abließ und auf deren Namen zeigte. Darunter stand säuberlich eine 76 geschrieben. Eine Weile betrachtete Mirâ den Punktestand ihrer Prüfung. Es war kein schlechtes Ergebnis, aber es war auch nicht das Beste. Sie konnte sich schon vorstellen, wo sie Punkte hatte liegen lassen. Japanische Literatur hatte sie noch nie gemocht und sie fand es einschläfernd langweilig. Zudem kam, dass sie auch in Geschichte kein großes Ass war. Da musste sie wohl bei den nächsten Prüfungen mehr lernen. Allerdings machte sie sich in diesem Moment mehr Sorgen um Hiroshi, sodass sie sich sogleich auf die Suche nach ihm begab. Zwar bemerkte Akane, das Mirâ sich von ihr entfernte, doch ehe sie sich durch die Schülermassen gedrängt hatte, welche sich erneut vor der Tafel angesammelt hatte, war ihre Freundin bereits aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Nach kurzer Suche fand sie Hiroshi auf dem Dach, wo er sich auf eine der Sitzgelegenheiten gelegt hatte. Langsam und leise näherte sie sich ihrem Kumpel, wodurch er sie gar nicht bemerkte. In seinen Gedanken versunken starrte er in den blauen Himmel, während er seinen Kopf auf den hinten verschränkten Armen stützte. Das Ergebnis seiner Prüfung war mal wieder enttäuschend gewesen. Er wusste genau, dass er dadurch eine Menge Stress bekommen würde und das schlug ihm sauer auf. Plötzlich blickte er in zwei strahlend rote Augen und bekam fast einen Schock. So erschrocken wie er in diesem Moment war setzte er sich auf und stieß dabei mit seiner Stirn gegen die seiner Freundin Mirâ, welche sich über ihn gebeugt hatte. „Ittai!“, kam es nur von Mirâ, welche sich hinhockte und ihre Stirn hielt, während Hiroshi sich richtig hinsetzt und ebenfalls seine Stirn rieb. „Aua. Was sollte das Mirâ? Das war gefährlich.“, meinte er ernst, aber nicht böse. „Das hab ich bemerkt. Ich hab mir Sorgen gemacht, weil du so niedergeschlagen davon getrabt bist.“, erklärte die junge Frau, während sie ihren Blick zu Hiroshi wandte und plötzlich anfing zu lachen. Irritiert sah Hiroshi sie an. Was war denn nun so witzig? Hatte sie sich doch schlimmer verletzt? „Alles in Ordnung?“, fragte er nun doch noch einmal nach, als Mirâs Lachkrampf immer schlimmer wurde. „Entschuldige.“, antwortete sie nach einer gefühlten Ewigkeit, während sie sich ihre Freudentränen aus den Augen wischte, „Aber du siehst zu komisch aus.“ „Hä?“, kam es nur irritiert zurück. Kurz darauf zog der junge Mann sein Smartphone aus der Jacke und schaltete die vordere Kamera ein, um zu sehen, was denn so witzig war. Ein kurzer Blick auf das Display reichte bereits, um zu wissen, was Mirâ meinte. Seine Stirn war knallig rot durch den Zusammenstoß und eine leichte Beule hatte sich gebildet, wodurch er ein wenig wie ein verstümmeltes Einhorn aussah. Seufzend packte er sein Handy wieder weg: „Das ist aber nicht witzig. Außerdem siehst du genau so aus.“ Grinsend blickte er Mirâ an, welche etwas verwundert schaute, es ihm jedoch gleich tat und ebenfalls schaute wie sie aussah. Kurz war Stille, ehe die junge Frau wieder anfing zu lachen. „Wir sind beide Einhörner.“, meinte sie plötzlich. Nun konnte sich auch Hiroshi nicht mehr zurück halten und stimmte mit ein. Und genau das brauchte er auch gerade, um wieder auf andere Gedanken zu kommen. Mirâ kam genau zum richtigen Zeitpunkt, wenn auch mit einem schmerzhaften Auftritt, und er war wirklich dankbar dafür, denn sonst hätte er wohl den ganzen Tag Trübsal geblasen. Ein paar Minuten später hielt Mirâ ihre Stirn unter fließendes kaltes Wasser. Erleichtert atmete sie auf, als das kühle Nass ihre immer noch schmerzende Stirn berührte. Letzten Endes war es wohl doch keine so gute Idee gewesen Hiroshi zu überraschen. Aber andererseits sah er nun nicht mehr so niedergeschlagen aus. Beide hatten sich, nachdem sie sich von ihrem Lachkrampf beruhigt hatten, wieder ins Schulgebäude zurückgezogen und standen nun vor einem der Wasserspender, welche in jeder Etage der Schule zu finden war. Hiroshi lehnte neben ihr an der Wand, die Hände vor seiner Brust verschränkt und erklärte ihr, weshalb er wegen seiner Prüfungsergebnisse so niedergeschlagen war. Seine Eltern hatten wohl ziemlich hohe Erwartungen an seine Schulbildung und duldeten nur ungern schlechte Noten. Deshalb wusste er auch, dass es Stress geben würde, wenn er nach Hause kam. Geduldig und ruhig hörte die junge Frau neben ihm zu. Auch Mirâ kannte den Druck gute Noten mit nach Hause bringen zu müssen, doch selten wurde ihre Mutter so böse über eine schlechte Note, das es Streit gab. Aber sie verstand die Sorgen ihres Kumpels. „Das ist wirklich hart.“, meinte sie, als sie sich wieder aufrichtete und ihr angefeuchtetes Taschentuch gegen ihre Stirn drückte. Hiroshi seufzte: „Ja irgendwie schon. Aber ich bin es ja gewohnt, von daher ist es nichts Neues. Trotzdem danke, dass du zugehört hast.“ „Kein Problem. Wir sind doch Freunde.“, meinte Mirâ, „Und vor den nächsten Prüfungen lernen wir noch mal richtig. Dann werden unsere Ergebnisse nächstes Mal besser. Ok?“ Erstaunt sah sie ihr Kumpel an, doch nickte dann mit einem freundlichen Lächeln. Wieder breitete sich das warme Gefühl in Mirâs Bauch aus, doch verschwand so schnell wie es kam auch wieder. Der Social Link von Hiroshi hatte sich also weiter verfestigt, das war ihr auch bewusst ohne auf ihr Handy schauen zu müssen. „Hier seid ihr beiden also!“, unterbrach jemand laut die Stille, welche sich zwischen die Beiden gelegt hatte, „Ich hab euch überall gesucht.“ Fragend blickten Mirâ und Hiroshi zu Akane, welche auf die beiden zugestampft kam. Sie hatte ihren leicht beleidigten Blick aufgesetzt, welcher aber mehr gespielt als echt war und blickte zwischen den beiden hin und her, ehe ihr die roten Stellen auf deren Stirnen auffiel. „Was ist denn mit euch passiert? Seid ihr beide parallel gegen die Wand gerannt?“, fragte sie gerade heraus. Mirâ war kurz etwas irritiert, doch kicherte dann und erklärte ihrer Freundin die Situation, durch welche sie beide die rote Stellen an ihren Stirnen bekommen hatten und weshalb sie sich nun hier aufhielten. Ihre Freundin schaute erst fragend, doch schüttelte dann den Kopf und meinte nur, dass sie sich umsonst Sorgen gemacht habe, ehe sie sich umdrehte und in Richtung der Klassenräume ging. Mirâ entschuldigte sich kurz bei ihrer Freundin dafür, dass sie ihr Sorgen gemacht hatten und folgte ihr dann, was ihr Hiroshi nach tat. Als Mirâ dann am Abend ihr Zimmer betrat wurde sie, seit einiger Zeit mal wieder, freundlich von Mika begrüßt. Sie hatte das kleine Mädchen bereits mehrere Tage nicht mehr gesehen und hatte sich schon mächtige Sorgen um sie gemacht. Doch nun war sie froh die Kleine wieder zu treffen und zu sehen, dass es ihr gut ging. „Wo hast du gesteckt, Mika? Ich habe mir Sorgen gemacht.“, meinte Mirâ, nachdem sie ihre kleine Freundin begrüßt hatte. Diese verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schaute entschuldigend: „Entschuldige. Ich musste über einiges nachdenken und mich richtig ausruhen.“ Mirâ zog eine Augenbraue in die Höhe. Mika meinte bereits beim letzten Mal, dass sie über etwas nachdachte. Es musste also etwas Wichtiges sein, wenn die Kleine sich darüber immer noch Gedanken machte. Warum also wollte sie nicht mit ihr darüber sprechen? Mika schien zu bemerken, dass sich ihre Freundin darüber Gedanken machte und lächelte: „Es ist wieder alles so weit in Ordnung. Nachdem ich eine Weile darüber gegrübelt habe, bin ich auf den Zweig gekommen, dass es sich nicht lohnt sich weiter den Kopf zu zerbrechen.“ „Darf ich denn fragen worum es eigentlich ging?“, fragte Mirâ gerade heraus. Kurz zögerte die jüngere der Beiden doch erzählte ihr dann von ihrem Erlebnis, als sie dachte alles um sie herum wäre wie in der normalen Welt. Dabei erfuhr Mirâ, dass ihre kleine Freundin mehrerer solcher Visionen hatte, diese jedoch schnell wieder verschwanden. Aus diesem Grunde war die Kleine auch immer so Müde gewesen. Doch seitdem sie versuchte nicht mehr so darüber nachzudenken ging es ihr wieder besser. „Vielleicht sind das ja Erinnerungen. Das würde aber bedeuten, dass du aus dieser Welt kommst. Vielleicht sogar aus dieser Stadt.“, meinte die ältere der Beiden. Mika zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht...“ Ernst sah Mirâ sie an: „Wir werden herausfinden wer du bist Mika. Und auch wie du in diese Welt gekommen bist. Das verspreche ich dir.“ Erstaunt schaute sie das Mädchen ihr gegenüber an, doch lächelte dann: „Vielen Dank Mirâ. Das ist lieb von dir.“ Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich erneut in Mirâ aus. Es war ähnlich dem, wie am Mittag bei Hiroshi und doch etwas anders. Sie hatte das Gefühl, dass es viel intensiver war. Ihr war so, als kannte sie dieses Gefühl, doch sie konnte nicht einordnen woher. Von ihrem Schreibtisch her hörte sie ein leises Geräusch, welches ihr verriet, dass es sich um die Persona-App auf ihrem Smartphone handelte. Sie wollte sich gerade umdrehen um nachzusehen, als sie bemerkte wie Mika sich ruckartig umdrehte. „Was ist los?“, fragte sie sogleich. Mika schwieg kurz, doch drehte sich dann wieder zu ihrer Freundin um: „Ich hatte schon wieder dieses ungute Gefühl.“ Wieder? Kurz stutzte Mirâ, doch als ihr Blick auf ihren Schreibtisch fiel, auf welchem sich seicht das Mondlicht spiegelte fiel es in wie Schuppen von den Augen: Es war Vollmond. Sofort wand sie sich an Mika: „Glaubst du es ist wieder jemand in die Spiegelwelt gekommen?“ „Ich weiß es nicht, aber als dein Mitschüler hier her gekommen ist hatte ich auch dieses Gefühl.“, erklärte ihr die Kleine und wandte sich vom Spiegel ab, „Ich werde mich mal umschauen und dir Bescheid geben, wenn ich näheres weiß.“ Die junge Frau nickte: „Ja, danke dir. Pass auf dich auf.“ Noch einmal kurz sah sie ein Nicken von Mika, ehe sich das Bild in ihrem Spiegel wieder veränderte und sie nur noch sich selbst sah. Mit besorgtem Blick schaute sie noch eine Weile auf ihr Spiegelbild und hoffte, dass sich Mikas Vorahnung nicht bestätigte. Währenddessen verließ Mika in der anderen Welt das Haus, in welchem eigentlich Mirâ und ihre Familie lebten und in dem sie sich derzeit einquartiert hatte. Vorsichtig stützte sie sich am Rahmen der Tür ab, ehe sie hinaus auf sie Straße trat. In diesem Moment wünschte sie sich, dass es in dieser Welt Wind geben würde, denn sie hätte eine kleine Abkühlung gebrauchen können. Wieder hatte sie nach dem Gespräch mit Mirâ dieses merkwürdige Stechen in ihrem Kopf gespürt und wieder waren ihr dabei Bilder durch den Kopf gewandert. Dieses Mal waren es Bilder von einem Haus. Es war ein ähnliches wie dieses, in welchem Mirâ wohnte. Sie sah plötzlich alles genau vor sich. Das kleine Haus, um welches ein großer Garten ging, war traditionell gebaut mit den typischen Holzschiebetüren. Sobald man in das Haus hinein kam blickte man in ein geräumiges Wohnzimmer mit großen Schiebefenstern, welche in den hinteren Teil des Gartens führte. Ging man ein kleines Stück den Flur entlang und dann nach links, so stand man in einer geräumigen Küche. Ging man an der selben Stelle erst nach rechts und dann nach links gelangte man in ein geräumiges Badezimmer. Gegenüber dem Bad, also wenn man vom Flur aus zweimal nach rechts ging, kam man zu einer Treppe, welche in das obere Stockwerk führte. Dort fand man drei Türen: eine direkt links von der Treppe, und zwei den Gang wieder zurück. An der Tür neben der Treppe hing ein Schild, doch das was darauf stand konnte sie nicht erkennen, denn obwohl alles klar wirkte, war die Schrift auf dem Schild extrem verschwommen. Die Tür der gegenüber war schlicht und kahl, doch die Tür, welche sich daneben befand, weckte ihre Aufmerksamkeit. Denn dort stand ein Name, welchen sie definitiv lesen konnte: Mika. Mit einem Schreck kam das kleine Mädchen wieder zu sich. Sie war immer noch an dem Haus, welches eigentlich Mirâ gehörte. Die Bilder aus ihrem Kopf waren wieder verschwunden. Verwirrt fasste sie sich an den Kopf und versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Diese Bilder wurden immer realer. Ihr war als wäre sie wirklich durch das Haus gelaufen. Und dann noch ihr Name, welcher auf dem Schild stand. Hieß das, dies waren wirklich Erinnerungen? Das bedeutete dann aber, dass sie wirklich eigentlich ein Mensch war und in der Welt von Mirâ gelebt hatte. Ein wenig beruhigte sie das schon, denn sie hatte bereits Angst sie sei ein Shadow und aus einer Laune dieser Welt entstanden. Allerdings beunruhigte sie diese Tatsache auch, denn wenn sie wirklich ein Mensch war musste sie irgendwann, irgendwie in diese Welt gekommen sein. Doch wann und wieso? Erneut durchzogen ein Schmerz ihren Kopf, sodass sie die Augen zukneifen musste. Es schien als wolle ihr Gehirn nicht, dass sie sich weiter erinnerte. Nach einer Weile verschwand der Schmerz wieder und Mika versuchte erst einmal nicht weiter darüber nachzudenken. Frühere Erfahrungen haben gezeigt, dass es ihr dann etwas besser ging und sie nicht mehr von Schmerzen gequält wurde. Sie würde früher oder später noch herausfinden, was dies alles zu bedeuten hatte. Nun jedoch hatte sie eine andere Aufgabe. Sie musste herausfinden, ob sich wieder ein Mensch in diese Welt verirrt hatte. Also nahm sie alle ihre Sinne wieder zusammen und machte sich auf den Weg. Mittwoch, 03.Juni 2015 Mit einem leisen Zischen flog der Pfeil an der Zielscheibe vorbei und landete neben den anderen Beiden auf dem Boden dahinter. Genervt blickte Mirâ auf die drei Pfeile, welche in der Erde hinter der Scheibe steckten und seufzte. Sie war heute einfach zu unkonzentriert. Der Gedanke, dass wieder jemand in der Spiegelwelt gefangen sein könnte, machte ihr Sorgen. Doch bisher hatte sie nicht gehört dass jemand fehlte oder vermisst wurde. Jedoch musste das nicht heißen, dass es nicht so war. Sie musste abwarten, bis Mika ihr Bescheid gab, doch gerade dieses Warten machte sie irre. Noch einmal spannte sie einen Pfeil in ihren Bogen und versuchte erneut zu treffen, doch auch dieses Mal flog er daneben. „Kche...“, gab Mirâ nur von sich, als sie sich auf den Weg machten ihre Pfeile zurück zu holen. Am besten sie hörte für heute auf. Es machte ja doch an diesem Tag keinen Sinn. Sie war viel zu unkonzentriert um überhaupt die Scheibe treffen zu können. Aber sie konnte doch auch nicht einfach so gehen, wenn der Club noch nicht beendet war. Doch was hätte sie sonst machen sollen? Es weiter versuchen? Erneut seufzte sie und ging zurück zu ihrem Ausgangspunkt, an welchem sie allerdings bereits erwartet wurde. „Du bist heute ziemlich unkonzentriert.“, meinte ihr Captain mit besorgtem Blick, „Hast du etwas?“ Mirâ schwieg kurz. Sie wusste nicht genau wie sie es Dai erklären sollte. Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie Angst hatte, dass erneut jemand verschwand, wie Masaru vor vier Wochen. Dann hätte sie ihm nämlich auch erklären müssen wieso und das wollte sie nicht. Doch der junge Mann mit den dunkelbraunen Haaren sah nicht so aus, als würde er sich von einem einfachen „nichts“ abwimmeln lassen. „Naja... Kennst du dieses Gefühl eine Vorahnung zu haben, dass etwas Schlimmes passiert?“, fragte Mirâ daraufhin. „Was soll denn passieren?“, kam eine Gegenfrage. Mirâ schüttelte nur den Kopf: „Keine Ahnung. Aber sei ehrlich, hattest du schon so ein Gefühl?“ „Natürlich.“, meinte Dai ohne lange zu zögern, „Ich würde ja fast behaupten es ist eine Art Schutzreflex, der uns vorwarnt. Deshalb ist es immer gut auf dieses Gefühl zu hören. Hat es etwas mit der Schule zu tun?“ Erstaunt sah Mirâ ihren Senpai an, doch schüttelte dann erneut den Kopf: „Nicht direkt. Ich... Erreiche nur derzeit eine Freundin nicht und habe ein wenig Angst, dass ihr etwas passiert ist.“ „Ach deshalb dieses Gefühl. Das kenne ich. Als ich Masaru nicht erreichen konnte, habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht. Aber er ist letzten Endes ja wieder aufgetaucht. Zum Glück. Deine Freundin wird sicher nur sehr beschäftigt sein. Sie wird sich bestimmt bei dir melden, wenn sie Zeit hat. Und wenn nicht, dann solltest du vielleicht bei nächster Gelegenheit mal bei ihr zu Hause vorbei gehen. Vielleicht gibt es ja einen Grund weshalb du sie nicht erreichst.“, meinte Dai mit einem warmen Lächeln, „Sich um andere Menschen Gedanken zu machen zeugt von einem guten Herzen, aber du solltest aufpassen, dass du dich nicht zu sehr hinein steigerst. Zu viel Grübeln schadet nämlich Der Gesundheit.“ „Da magst du Recht haben, Senpai. Danke für den Rat.“, bedankte sich Mirâ, während sie wieder das warme Gefühl in ihrem Körper spürte. Dai lächelte freundlich, ehe er sich nun von ihr abwandte und sich weiter um seine Angelegenheiten als Captain kümmerte. Mirâ sah ihm kurz nach, bevor sie sich entschied, doch noch etwas zu trainieren. Sie musste eh abwarten, bis sie am Abend hoffentlich mit Mika reden konnte und erfuhr ob sich wirklich jemand in der Spiegelwelt aufhielt oder nicht. Doch kaum hatte sie am Abend ihr Zimmer betreten, wurde sie bereits von Mika mit dem Satz begrüßt, welchen sie am wenigsten hören wollte: „Ich habe sie gefunden.“ Kapitel 15: XV - Ungeduld ------------------------- Donnerstag, 04.Juni 2015 „Hallo Shingetsu. Was machst du denn hier?“, fragte Dai, als er Mirâ im Gang des dritten Jahres traf. Erschrocken drehte sich Mirâ zu ihrem Senpai um. Sie hatte eigentlich nach Masaru gesucht, wurde dabei allerdings von Dai gefunden. „Ach du bist es Senpai.“, sagte sie erleichtert. „Warum so erschrocken?“, kam eine weitere Frage. Mirâ schüttelte nur den Kopf, als Zeichen das es egal wäre und sah sich weiter um: „Also... Hast du Shin-Senpai gesehen? Ich müsste kurz mit ihm sprechen.“ Fragend blickte sie der ältere an: „Mit Masaru? Er verbringt die Pause meistens im Raum. Soll ich ihn holen?“ „Das wäre nett.“, bedankte sich Mirâ und beobachtete wie ihr Senpai in den Klassenraum der 3-2 verschwand. Sie konnte hören, wie Dai mit seinem Kumpel sprach und ihm erzählte, dass sie vor der Tür auf ihn wartete. Einige Schülerinnen, welche ebenfalls vor dem Klassenraum standen sahen sie auf einmal fragend an. Auch sie hatten das Gespräch gehört und schienen sich nun zu fragen, was eine Schülerin aus dem zweiten Jahr von Masaru wollte. Ein bisschen unangenehm wurde es ihr nun doch. Sie konnte schon verstehen, dass sich alle fragten was sie mit ihrem Senpai zu schaffen hatte, wo sie erst zwei Monate an dieser Schule war. Doch anders konnte sie Masaru nicht erreichen. Sie hatte ja leider nicht seine Handynummer und sie traute sich auch nicht ihn einfach danach zu fragen, immerhin kannte sie ihn noch nicht so gut. Das würde sicher auch merkwürdig herüber kommen. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal bemerkte, wie Masaru den Raum verließ und vor sie trat. „Shingetsu?“, hörte sie plötzlich, worauf sie aufschrak und wieder ins Hier und Jetzt zurückkam. „Oh Senpai. Entschuldige, ich war in Gedanken.“, entschuldigte sich Mirâ. Masaru lächelte nur: „Das habe ich bemerkt. Was gibt es?“ Mirâ überlegte kurz wie sie anfangen sollte. Sie wollte ihm berichten, dass wieder jemand in der Spiegelwelt war. „Ähm... Es geht um die Spiegelwelt.“, meinte sie leise, darauf bedacht, dass es sonst niemand hörte, „Ich würde das gern mit euch besprechen. Aber ich wusste nicht wie ich dich erreichen kann und deshalb...“ „Scheint wichtig zu sein.“, meinte Masaru und setzte sich in Bewegung, „Ich nehme an wir besprechen das auf dem Dach?“ Mirâ nickte und folgte dem älteren Schüler, doch nicht ohne noch einmal einen vorsichtigen Blick über ihre Schulter zu werfen. Dort sah sie, wie die beiden Mädchen ihr und ihrem Senpai nachsahen und irgendetwas tuschelten. Aber nicht nur die Beiden bedachten sie mit merkwürdigen Blicken, sondern auch einige andere aus dem dritten Jahr sahen den beiden nach. Das konnte ja heiter werden. Sie musste eine Möglichkeit finden Masaru zu kontaktieren, ohne ständig zu seiner Klasse laufen zu müssen. Einige Minuten später erreichten sie das Dach, wo Akane und Hiroshi bereits auf sie warteten. Mirâ verlor keine Zeit und erzählte der Gruppe, dass Mika am Abend zuvor wieder einen Menschen in der Spiegelwelt gefunden hatte und diesen nun weiter beobachtete. „ Zuerst würde ich gerne wissen wer Mika ist.“, kam es leicht irritiert von Masaru. Akane übernahm das Antworten: „Mika ist ein kleines Mädchen, dass schon ziemlich lange in dieser merkwürdigen Welt gefangen ist. Wir wollen herausfinden wie sie dort gelandet ist und wie wir sie dort wieder heraus bekommen. So lange hilft sie uns dort drüben und versorgt uns mit Informationen. In diesem Fall, wenn jemand in die Spiegelwelt gelangt.“ Masaru nickte: „Ich verstehe. Das heißt, es muss jemand, genau wie ich, in die Spiegelwelt gekommen sein. Ihr geht davon aus, dass es dieser schwarze Schatten war?“ Hiroshi nickte ebenfalls: „Genau. Anders können wir uns das nicht vorstellen.“ Akane wand sich an Mirâ: „Konnte Mika erkennen wer es war?“ Die Angesprochene jedoch schüttelte den Kopf: „Nein. Sie meinte nur, dass es ein Mädchen sein muss. Es muss wohl einen Rock getragen haben, es sah jedenfalls so aus, sagte Mika. Mehr hat sie nicht erkannt.“ „Wir haben dieses Mal also auch keinen Verdacht.“, meinte Akane. Schweigen legte sich über die Gruppe. An sich mussten sie nicht wissen wer in die Spiegelwelt gelangt war, da Mika ja wusste wo sie sich aufhielt, aber es wäre eine Erleichterung zu wissen wen sie retten mussten. Wobei sich Mirâ so oder so Gedanken darüber machte, ganz gleich wer verschwunden war. Immer noch hing ihr der Gedanke nach, dass das Verschwinden der Menschen mit ihr zusammenhängen könnte. „Ich werde mich mal umhören, ob jemand in den Klassen fehlt. Vielleicht können wir so herausfinden, wer sich derzeit in der anderen Welt aufhält.“, brach Masaru die Stille, „Ich kann aber für nichts garantieren“ „Vielen Dank, Senpai.“, bedankte sich Mirâ höflich. Das erste Läuten der Schulglocke holte die Gruppe aus ihren Gedanken. Die Pause war vorbei und der Unterricht begann bald wieder, sodass sich die Gruppe wieder auf den Weg ins Treppenhaus machte. Doch noch ehe alle das Treppenhaus betreten hatten blieb Masaru plötzlich stehen. Fragend blickte die junge Frau mit den violetten Haaren zurück zu ihrem Senpai. Dieser jedoch sagte nichts, sondern stieg schweigend die Leiter zu dem Häuschen hinauf. Mirâ packte die Neugier, woraufhin sie Masaru die Leiter hinauf folgte, nachdem sie ihren Freunden sagte, sie sollen schon vorgehen. Als sie das Dach des kleinen Häuschens betrat fand sie dort wieder den Jungen vor, dessen Schuh sie vor einer Weile auf den Kopf bekommen hatte. Wieder lag er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Dach und schien zu schlafen. Aus seinen Kopfhörern drang erneut Musik zu ihr hinüber. Leicht genervt hörte sie Masaru seufzen, welcher sich hinhockte und dem Jungen die Kopfhörer vom Kopf nahm. Dieser schlug total erschrocken die Augen auf und blickte ihren Senpai mit verschlafenem Blick an. „Hier versteckst du dich also, Esuno.“, meinte Masaru mit einem ernsten Ton, „Ich hab mich schon gefragt wo du bist.“ Gähnend setzte sich der junge Mann namens Esuno auf und kratzte sich genüsslich am Hinterkopf: „Jo Iin-chô.“ Nun fiel Mirâ auf, dass die Haare des jungen Mannes, welche sie am Anfang für Blau gehalten hatte, eigentlich nur gefärbt waren, denn an seinen Ansätzen waren eindeutig seine schwarzen Haare zu erkennen. Dem zu fiel ihr auf, dass er gar nicht die Jacke der Schuluniform trug, sondern nur ein khakifarbenes Shirt. Seine Kopfhörer legte er gekonnt um seinen Nacken. Masaru seufzte: „Ich bin schon seit Anfang des Schuljahres kein Klassensprecher mehr. Das würdest du auch wissen, wenn du öfters zum Unterricht erscheinen würdest.“ „Ach so? Dann Ex-Iin-chô. Was gibt es denn?“, fragte Esuno murrend. „Das du jetzt zum Unterricht gehst.“, redete der schwarzhaarige Schüler auf den jungen Mann vor sich ein. „Muss das sein?“, kam eine weitere Frage, doch kurz darauf stand Esuno auf und streckte sich, „Ja na gut. Wenn es sein muss.“ Er setzte sich in Bewegung und ging an Mirâ vorbei, wo sie ihn noch nuscheln hörte, dass er eigentlich keine Lust hatte. Auch wusste sie nun, wo seine Jacke war. Diese hatte er lässig um seine Hüfte gebunden. Ihr war unklar, wie man nur so mit der von der Schule gestellten Uniform umgehen konnte. „Immer dasselbe mit ihm.“, hörte sie Masaru neben sich. „Senpai, wer war das?“, fragte sie schließlich. Ihr Senpai seufzte: „Yasuo Esuno. Wir gehen in dieselbe Klasse, wenn er denn überhaupt mal zum Unterricht erscheint.“ Er schwänzte also öfters den Unterricht. Deshalb hatte es ihn das letzte Mal nicht interessiert, dass der Unterricht wieder begonnen hatte. Während sie neben Masaru wieder zurück ins Schulgebäude ging erklärte ihr dieser, dass Yasuo eigentlich ein richtig guter Schüler war und er wohl nur deshalb noch nicht der Schule verwiesen wurde. Das erstaunte Mirâ schon sehr. Wie es Yasuo wohl schaffte gute Noten zu schreiben wenn er die meiste Zeit dem Unterricht fern blieb? Masaru holte sie wieder aus ihren Gedanken, als sie bereits vor dem Klassenraum der seiner Klasse standen: „Also ich werde mich nach dem Unterricht umhören.“ „Das ist nett, Senpai.“, bedankte sich Mirâ. „Kann ich kurz dein Handy haben?“, kam plötzlich die Frage. Verwirrt blickte die junge Frau ihren Senpai an, doch reichte ihm kurz darauf ihr Handy. Masaru tippte etwas auf ihrem Display und gab ihr das rote Smartphone zurück. Erstaunt sah sie auf das Display und fand dort eine Nummer wieder, woraufhin ihr Blick wieder zu Masaru schnellte. Dieser zwinkerte ihr freundlich zu: „Meine Nummer. Dann brauchst du nicht immer in meine Klasse kommen, wenn etwas ist. Schreib mir doch nachher eine kurze Nachricht, damit ich deine Nummer abspeichern kann. Dann schreib ich dir, ob ich etwas herausgefunden habe.“ Blitzschnell lief Mirâ rot an. Der Blick, welchen Masaru ihr gerade zugeworfen hatte, war einfach zu süß gewesen. Außerdem hätte sie nie gedacht, so schnell seine Handynummer zu bekommen. Sie hatte bereits überlegt, wie sie ihn deshalb fragen sollte, doch nun hat er ihr die Nummer einfach so gegeben. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Am liebsten hätte sie freudig aufgeschrien, doch sie hielt sich zurück und verbeugte sich nur höflich. „Ich bin du... Und du bist ich...“, klang in ihrem Kopf. Noch während sie sich bei ihm bedankte, drehte sie sich auf dem Absatz um und lief schnurstracks zum Treppenhaus, um in die Etage des zweiten Jahres zu gelangen. Ihr Gesicht glühte und sie hoffte, dass es sich legte bis sie wieder in ihrer Klasse war. Noch einmal atmete sie ruhig durch, bevor sie den Raum betrat. Gerade noch rechtzeitig, denn ihre Lehrerin Mrs. Masa trat zur selben Zeit durch dir vordere Tür den Raum. Schnell begab sich Mirâ zu ihrem Platz und setzte sich. Fragend blickte Akane ihre Freundin an. Das rote Gesicht dieser war ihr sofort aufgefallen und am liebsten hätte sie sofort gefragt, was los sei, doch da begann ihre Lehrerin bereits den Unterricht. Das musste also warten. Auch Hiroshi war der freudige und aufgeregte Blick von Mirâ aufgefallen, weshalb er ihr einen leicht argwöhnischen Blick zuwarf. Ein Gefühl regte sich in ihm, welches er nicht einordnen konnte. Doch er empfand es als unangenehm, weshalb er seinen Kopf auf den Tisch legte und versuchte nicht weiter darüber nachzudenken. „Huh?“, kam es langgezogen von Akane, „Shin-Senpai hat dir einfach so seine Nummer gegeben?“ „Hai.“, meinte Mirâ etwas zu überschwänglich. Sie war immer noch extrem glücklich darüber, Masarus Handynummer bekommen zu haben. Schon als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, wollte sie ihn kennen lernen und nun waren sie befreundet. Glücklicher hätte sie in diesem Moment nicht sein können. Sie merkte nicht einmal, wie sie bis über beide Ohren vor sich hin grinste. „Was ist denn so besonderes daran?“, fragte plötzlich Hiroshi, mit einem leicht ironischen Unterton. Er hatte seine Arme hinter dem Kopf verschränkt und hielt mit ihnen seine Tasche fest, während er in Richtung des Eingangsbereichs der Schule ging. Fragend sahen ihn die beiden Mädchen an. Solch einen Ton von Hiroshi kannten sie gar nicht. Was war denn mit ihm los? Vorsichtig wollte Mirâ herausfinden was los war: „Stimmt etwas nicht, Hiroshi-Kun?“ „Hm?“, nun schien auch dem jungen Mann aufzufallen, welchen Ton er angeschlagen hatte und schüttelte den Kopf, „Alles in Ordnung. Ich bin nur etwas müde. Tut mir leid. Es war nicht so gemeint.“ „Schon gut. Nicht schlimm.“, meinte Mirâ. Mit der Begründung, dass er sich zu Hause aufs Ohr hauen will, verabschiedete sich der blonde Junge von den beiden Mädchen und ging. Mirâ jedoch sah ihm besorgt nach. Ob sie etwas falsch gemacht hatte? Er sah irgendwie etwas wütend aus. Akane versuchte ihre Freundin aber zu beruhigen und meinte, das er wohl einfach einen schlechten Tag erwischt hatte und am nächsten Tag alles wieder gut war. Die junge Frau mit den roten Augen nickte nur bestätigend und hoffte, dass ihre Freundin Recht behalten sollte. Denn Streit wollte sie mir Hiroshi nicht. Erst am späteren Abend erreichte Mirâ ein Anruf von Masaru. Nachdem er sich entschuldigt hatte, dass es so lange gedauert hatte bis er antwortete, weil er noch einige Dinge im Schülerrat erledigen musste, erzählte er, was er am Nachmittag herausgefunden hatte. Es fehlten zurzeit wohl mehrere Schüler, doch die meisten von ihnen waren wegen Krankheit entschuldigt. Nur von einer Klasse hörte er, dass eine Schülerin unentschuldigt fehlte. Es war Kuraiko Fukagawa. Masaru hatte sich ein wenig unter den Schülern umgehört um heraus zufinden ob so etwas schon öfters vorgekommen war, doch musste am Ende feststellen, dass Kuraiko eine recht zuverlässige Schülerin war. „Unter dem Vorwand mit Fukagawa wegen des Botanik-Clubs zu sprechen, hat mir das Sekretariat ihre Telefonnummer gegeben. Aber als ich dort anrief habe ich erfahren, dass sie seit vorgestern vermisst wird.“, erklärte Masaru ruhig. „Also können wir davon ausgehen, dass es Fukagawa ist?“, fragte Mirâ vorsichtig „Ja das wäre anzunehmen.“, kam es nur zurück. „Ich verstehe. Danke für deine Mühe Senpai. Morgen sollten wir den Rest mit Akane und Hiroshi-Kun besprechen.“, schlug die junge Frau vor. Nachdem Masaru ihr zugestimmt hatte verabschiedeten sich beide und beendeten das Gespräch. Schweigend legte sie ihr Handy auf den Schreibtisch und starrte auf diesen Punkt, ohne ihn jedoch wirklich zu fixieren, denn mit ihren Gedanken war Mirâ bereits schon wieder bei diesen merkwürdigen Geschehnissen, die ihr immer noch mächtige Bauchschmerzen bescherten. Samstag, 06.Juni 2015 - Abend „Das ist also diese Spiegelwelt.“, sagte Masaru mehr zu sich als zu den anderen während er sich umschaute. Er sah zum ersten Mal wie diese Welt richtig aussah. Als er von Mirâ und den anderen Beiden gerettet wurde, war er so fertig, dass er von dem Rückweg nicht mehr viel mitbekommen hatte. Dieser Ort sah wirklich aus, wie die Stadt Kagaminomachi, doch an den verspiegelten Gebäuden und den Blättern aus Glas an den Bäumen erkannte er, dass dies eine andere Welt war. Eine Gänsehaut zog sich über seinen Körper und seine Nackenhaare stellten sich auf. Dieser Ort war ihm wirklich nicht geheuer. Der Griff um sein Katana, welches er mitgebracht hatte, wurde fester und gab ihm etwas mehr das Gefühl von Sicherheit. „Unheimlich oder?“, meinte Akane, „Geht mir auch noch so.“ „ Solange wir unsere Personas haben können wir uns doch verteidigen.“, kam es grinsend von Hiroshi. Leicht besorgt sah Mirâ zu ihrem Kumpel. Zwei Tage zuvor hatte er sich merkwürdig verhalten und obwohl er sich seit dem gestrigen Tag wieder wie immer benahm, machte sie sich ihre Gedanken. Sie hatte Angst, dass sie etwas falsch gemacht haben könnte und wollte nicht mit ihm streiten. Immerhin gehörten er und Akane mittlerweile zu ihren teuersten Freunden. Doch auch an diesem Tag verhielt sich Hiroshi wieder wie immer. Also warum machte sie sich noch solche Gedanken darüber? Kurz schüttelte sie den Kopf. Es gab jetzt Wichtigeres, als diese düsteren Gedanken. Sobald sie hier fertig waren, würde sie noch einmal richtig mit Hiroshi reden. Das nahm sie sich fest vor. Vielleicht fand sie dann heraus, weshalb er an dem einen Tag so merkwürdig war. „Da seid ihr ja.“, hörte die Gruppe die Stimme der kleinen Mika. „Hallo Mika. Geht es dir gut?“, wurde sie freundlich von Akane begrüßt. „Den Umständen entsprechend.“, meinte Mika nur knapp mit einem Lächeln. Masaru trat vor die Kleine und hockte sich auf Augenhöhe: „Du bist also Mika?“ „Ja.“, nickte das blauhaarige Mädchen nun in einem eher kindlichen Ton, „Und du bist der Junge, den Mirâ, Akane und Hiroshi gerettet haben. Hab ich Recht?“ Auch der schwarzhaarige Junge nickte: „Genau. Mein Name ist Masaru Shin. Freut mich dich kennen zu lernen.“ Etwas irritiert sah Mika den älteren an, doch lächelte dann und erwiderte die Begrüßung. Mirâ beobachtete die beiden lächelnd. Masaru schien eine sehr gute Erziehung genossen zu haben, wenn er sich sogar in solch einer Situation höflich vorstellte. Sie merkte nicht einmal wie sie den älteren Schüler anstarrte, doch jemand anderem blieb das nicht unentdeckt. „Sollten wir nicht lieber langsam los?“, fragte Hiroshi plötzlich, worauf alle Blicke auf ihn gerichtet waren. „Du hast recht.“, meinte Mika wieder ernst und setzte sich in Bewegung, „Ich bringe euch hin. Aber der Ort wird euch sicher überraschen.“ Die Gruppe folgte dem kleinen Mädchen. Mirâ war immer wieder erstaunt, wie schnell Mika von ihrem kindlichen Gemüt zu einer schon erwachsen wirkenden jungen Frau wechseln konnte. Das irritierte die ältere der Beiden etwas. Doch viel Zeit um darüber nachzudenken hatte sie nicht, denn kurz darauf blieb Mika auch schon stehen. „Eh? Ein Gewächshaus?“, fragte Akane erstaunt. Sie standen vor dem Eingangstor eines der vielen Gewächshäuser im städtischen Park. Dieses stand weit offen und lud sie so regelrecht dazu ein einzutreten. Normalerweise waren die Gebäude in der Nacht verschlossen und nur am Tag für die Öffentlichkeit zugänglich. Dass es sich um ein Gewächshaus handelte bestärkte Mirâ in ihrem Gefühl, dass es Fukagawa sein musste, welche hier gefangen war. „Wir werden anscheinend erwartet.“, meinte Masaru ernst. „Oder eben auch nicht.“, kam es von Hiroshi, „Wer weiß was uns dort erwartet.“ „Ich finde es merkwürdig, dass sich der Dungeon hier befindet.“, meinte Mirâ und sah zu ihrem Senpai, „Bei Senpai war der Dungeon bei ihm zu Hause.“ „Für mich ist etwas anderes merkwürdig.“, sagte Mika, während sie den Eingang ernst betrachtete, „Sie ist hier her gelaufen.“ „Eh?“, kam es von der gesamten Gruppe. Mika nickte: „Ich habe sie hier her laufen sehen. Und erst als sie dieses Tor durchquert hatte baute sich der Dungeon auf. Ich hatte mich wieder etwas vor getraut, aber nicht weit. Es ist wie beim letzten Mal im Tempel. Am Tag ist das hier ein normales Gewächshaus, aber in der Nacht... Tja das brauch ich euch ja nicht erzählen. Und Masaru wird es gleich sehen.“ „Worauf warten wir dann noch?“, fragte Masaru. „Wir sollten auf der Hut sein.“, meinte Mirâ, während ihre Freunde ihr zustimmend zu nickten, „Dann los.“ Kaum hatten sie den Dungeon betreten fielen ihnen wieder diese merkwürdigen und äußerst verwirrenden Wände auf, welche sich sowohl zu ihrer Rechten als auch zur Linken der Gruppe befanden. Doch dieses Mal waren sie nicht durch Gebetssteine getrennt und von Beschwörungsformeln übersät, sondern an den Wänden ragten mehrere Blumensträuchern empor. Diese bewegten sich sogar teilweise, was sie unheimlich lebendig wirken ließ. Mirâ sah den Gang vor sich entlang. Weit reichte er nicht, denn schon nach wenigen Metern teilte er sich bereits wieder nach rechts und links. „Das ist also ein Dungeon?“, erstaunt sah sich Masaru um, „Diese Wände sind verwirrend.“ „Man gewöhnt sich dran.“, meinte Hiroshi. „Gehen wir.“, sagte Mirâ nur ernst und setzte sich in Bewegung. Ihre Freunde sahen ihr kurz nach ehe sie der jungen Frau folgten. Kapitel 16: XVI - Endloses Labyrinth ------------------------------------ Samstag, 06.Juni - Abends / Dungeon „Lauft!“, rief Mirâ nur, während sie den eiskalten Hauch im Nacken spürte. Das Klimpern der Eisenketten folgte der Gruppe, welche versuchte ein Versteck vor diesem Gegner zu finden. Sie waren nun einige Zeit in diesem Dungeon um Fukagawa zu finden, doch dieser war wesentlich weitläufiger als der der Tempel, sodass sie sogar noch öfters zu Sackgassen kamen, welche nicht einmal eine Truhe beherbergten. Sicher hatten sie auch wertvolle Items und Waffen gefunden und bereits damit gegen einige kleine Shadows gekämpft, doch nach geraumer Zeit tauchte wieder der Reaper auf. Genau wie die Gruppe am Anfang wollte sich auch Masaru diesem Gegner in den Weg stellen, doch schnell musste er feststellen, dass wegrennen die beste Möglichkeit war. Sie rannten bereits eine ganze Weile, als das Klimpern der Ketten langsam verstummte. Anscheinend hatte der riesige Shadow mittlerweile das Interesse verloren und war vorerst wieder verschwunden. Doch um sicher zu gehen, blieben die fünf kurz stehen und lauschten eine Weile in die Umgebung, doch nichts Neues drang an ihre Ohren. Erleichtert atmete Mirâ auf und rief ihre Persona, um ihre Wunden und die ihrer Freunde zu heilen. Der Reaper war wirklich ein Gegner vor dem sie sich in Acht geben mussten. Dieses Mal kam er recht zeitig, doch Mirâ wusste nicht womit das zusammen hing. Ob er wirklich ihre Präsenz gespürt hatte oder einfach nur die ganzen Shadows, wusste sie nicht, doch im Grunde war es egal. Immer wenn er auftauchte wurde es gefährlich und deshalb war es besser ihm aus dem Weg zu gehen. Nach der kurzen unfreiwilligen Pause und einer kurzen Orientierungsphase wo sie denn nun überhaupt waren und aus welcher Richtung sie kamen, machte sich die kleine Gruppe wieder auf den Weg. Es war schwierig zu sagen, wo sie bereits lang gelaufen waren, da alle Wände gleich aussahen, sodass es mehrmals vorkam, dass sie noch einmal an einen Punkt kamen, an dem sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits schon einmal gewesen waren. Doch irgendwann hatten sie, so hofften sie jedenfalls, endlich ihren Weg wiedergefunden. Allerdings währte die Freude über den Erfolg nicht lange als sich nun wieder die Shadows vor wagten, welche ebenfalls vor dem Reaper geflüchtet waren. Ein Stab sauste vor der Gruppe nieder, welchem sie nur ganz knapp ausweichen konnten. Als alle in die Verteidigung gingen erkannten sie den Shadow vor sich, welcher aussah wie ein kleiner König. Er trug einen roten Mantel und eine blau gestreifte kurze Hose. Seine Haare waren weiß, genau wie der Schnurrbart, welcher an dem schwarzen Gesicht zu erkennen war. Auf seinem weißen Haupt trug er eine violette Krone. Mit seinen schwarzen Knopfaugen, die ihn schon fast niedlich wirken ließen, fixierte er die Gruppe. „Ein Contrarian King.“, rief Mika, „Er benutzt physische Angriffe.“ „Irgendwelche Schwächen?“, fragte Hiroshi. Mika schien kurz zu überlegen: „Das kann ich leider nicht sagen. Tut mir leid.“ „Schon gut. Das bekommen wir raus.“, meinte Akane grinsend und zog ihr Smartphone aus der Tasche. Kurz darauf erschien Wadjet hinter ihr und ging sogleich in einen Angriff über. Sie streckte die Hand aus und ein Feuerball steuerte auf den Shadow zu. Doch als dieser den Gegner traf, ertönte nur ein Geräusch, als würde er den Angriff absorbieren. „Kche.“, kam es nur von der braunhaarigen jungen Frau, „Feuerangriffe sind nutzlos.“ „Dann versuch ich mal mein Glück.“, sagte Masaru, während er sein Smartphone aus der Jackentasche zog, „Harachte!“ Hinter dem jungen Mann erschien die schwarze in weißes Leinen gekleidete Persona mit dem Falkenkopf, den Krummsäbel in seiner rechten Kralle zum Kampf bereithaltend. Mit einem Tippen auf dem Display gab Masaru Harachte die Anweisung zum Angriff „Garu“. Die Persona erhob sich in die Luft und auf seinem Rücken bildeten sich grünliche durchsichtige Flügel. Mit diesen holte er weit aus und schleuderte sie auf den Shadow vor sich. Dieser jedoch blieb von dem Angriff unbeeindruckt, denn der drang nicht einmal zu ihm durch. „Was zum...!?“, leicht verstört sah Masaru zu seinem Gegner, welcher unbeirrt weiter vor sich hin tänzelte und die Gruppe beobachtete. „Anscheinend ist er resistent gegen Wind-Angriffe.“, stellte Mika fest. „Kche.“, kam es genervt von Hiroshi, „Feuer wird absorbiert und Wind kommt gar nicht durch. Dann halt so.“ Er rief seine Persona Aton und gab ihr den Befehl „Hama“, welche kurz darauf den Shadow umgab. Die weißen Siegel, die typisch für den Angriff waren, lösten sich in hellem Licht auf, doch es brachte nichts. Wieder ging die Attacke nicht durch und der Shadow stand immer noch da. Es kam einem fast so vor, als sei er sogar ein wenig schadenfroh. „Licht funktioniert auch nicht. Verdammt.“, fluchte Hiroshi. Ernst blickte Mirâ zu ihrem Gegner hinüber. Angestrengt überlegte sie sich ihren Angriff. Er musste ja irgendwie angreifbar sein. Langsam griff sie nach einem ihrer Pfeile und spannte diesen in ihren Bogen. Kurz darauf zischte ihr Pfeil durch die Luft und traf den Shadow genau am Kopf. Dieser trug zwar keine gravierenden Wunden davon, aber er torkelte einige Schritte zurück. 'Physische Angriffe funktionieren also.', schoss ihr sofort in den Kopf. Ein Blick zu ihren Freunden und sie wusste sofort, dass auch sie es verstanden hatten. Doch zuvor bildete sich um den Shadow ein weißes Licht. Sie sahen den Angriff nicht einmal kommen, sondern spürten plötzlich nur mehrere Schläge auf ihren Körpern. Diese jedoch waren nicht so stark, dass sie schwer verletzt wurden, doch der Angriff hatte sie überrascht, weshalb sie zu Boden gegangen waren. Akane stieß sich mit ihren Händen vom Boden ab und sprang so mit einer sportlichen Bewegung wieder auf die Beine. Sie ließ die Chance nicht liegen und rief erneut Wadjet, welche daraufhin mit dem Angriff „Bash“ auf den Gegner losging. Die Attacke ging genau durch und wieder stolperte der Shadow zurück. Masaru unterdessen zog sein Katana und rannte auf den immer noch torkelte Gegner zu. Kurz vor dem Shadow sprang er in die Höhe und griff ihn so von oben herab an. Ein sauberer Schnitt durchzog den Mantel des wie ein kleiner König aussehenden Shadows, welcher zu Boden ging. Aus dem Augenwinkel sah Masaru etwas anfliegen, weshalb er aus der Schussbahn ging. Kurz darauf prallte mit voller Wucht ein Ball an dem Wesen auf, der in hohem Bogen wieder zurück zu seinem Besitzer flog. Nun war der Shadow komplett ausgeknockt und die Gruppe nutzte ihre Chance um noch einmal gemeinsam anzugreifen. Der Shadow schrie kurz auf eher er sich in schwarzem Nebel auflöste. Erst einmal durchatmend stand die Gruppe noch eine Weile da, ehe sie registriert hatten, dass das Wesen verschwunden war. Es wurde schwerer. Selbst die Shadows wurden immer stärker. Sie mussten wirklich auf der Hut sein und aufpassen, dass sie nicht an zu starke Gegner gerieten. Der Reaper war schon Sorge genug. „Ziemlich lästige Viecher.“, meinte Masaru, während er sein Katana zurück in die Scheide schob. Akane nickte: „Das kannst du laut sagen. Aber dieser Reaper ist der Schlimmste. Oder dieser komische Ritter. Wisst ihr noch? Ob hier wieder so ein Shadow auf uns wartet?“ Die Braunhaarige schüttelte sich leicht. Die Erinnerungen an den schrecklichen Shadow, welcher sie in Masarus Dungeon versuchte aufzuhalten, steckten ihr noch tief in den Knochen. Auch Mirâ wollte nicht gerne daran denken, doch eher, weil sie damals so schwer verletzt war, dass sie nicht weiter konnten. An dem Tag mussten sie umkehren und das hatte sie wahnsinnig gemacht. Hätte Hiroshi sie damals nicht aufgehalten, wäre sie sicher weiter gegangen und damit mit Sicherheit auch in ihren Tod gerannt. Hatte sie sich eigentlich schon bei Hiroshi dafür bedankt, dass er ihr das Leben gerettet hatte? 'Das sollte ich bei Gelegenheit vielleicht noch machen.', dachte sie sich. „Ist etwas Mirâ?“, holte sie Hiroshis Stimme aus den Gedanken. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihren Kumpel angestarrt hatte und lief sofort leicht rot an. Schnell wandte sie den Blick ab und schüttelte peinlich berührt den Kopf. Fragend blickte ihr Kumpel sie an. Etwas irritiert darüber, dass Mirâ ihn anstarrte war er schon, denn das war das erste Mal, dass er so etwas erlebte. Ob es noch mit seinem Verhalten vor zwei Tagen zusammen hing? Normalerweise war er nicht so impulsiv, aber in diesem Moment war er, aus welchen Gründen auch immer, sauer darüber gewesen, dass Mirâ sich so über Masarus Nummer gefreut hatte. Deshalb hatte er auch einfach das gesagt, was ihm in diesem Moment spontan einfiel. Doch das war ihm nicht sonderlich freundlich heraus gerutscht. Auch als sie den Dungeon betreten hatten hatte er so reagiert. Das kam sicher schlecht rüber. Er sollte versuchen sich zu zügeln. 'Und mich am besten bei Mirâ entschuldigen.', dachte er sich. Allerdings erst, wenn sie hier fertig waren. Sich nun mit anderen Gedanken abzulenken konnte in dieser Welt gefährlich werden. Vorsichtig schüttelte er den Kopf und versuchte wieder ins Hier und Jetzt zu kommen. Auch Mirâ hatte ihre Gedanken wieder etwas sortiert und schaute wieder Ernst in den Gang, welcher noch vor ihnen lag. Wer weiß was sie dort noch erwartete, aber sie sollten nicht zu viel Zeit verlieren. Auch sie wurden von dieser merkwürdigen Atmosphäre in dieser Welt geschwächt, wenn auch nur langsam und schwach. Wie musste es dann jemanden gehen der keine Persona hatte? Masaru war nach seinem Aufenthalt in dieser Welt so geschwächt gewesen, dass er eine Woche gebraucht hatte um wieder vollständig zu Kräften zu kommen. Doch es ärgerte sie, dass sie vor dem nächsten Neumond in ihrer Welt nichts weiter machen konnten, als bis zu dem versiegelten Raum zu gelangen, in dem die nächste Gefangene eingesperrt war. Aber wenigstens bis zu diesem Raum wollte sie so schnell wie möglich gelangen, denn Kämpfe vor einem so mächtigen Gegner würden die Gruppe nur unnötig schwächen. „Lasst uns weiter gehen. Wir sollten so weit wie möglich in den Dungeon vordringen, damit mir am Ende unsere Kräfte sparen. Bis zum Neumond sollten wir den versiegelten Raum erreicht haben.“, erklärte sie ihren Freunden. Vier, voller Tatendrang sprühende Blicke trafen sie, weshalb sie wusste, dass ihre Freunde ihr zustimmten. So setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung. Eine ganze Weile und mehrere Sackgassen später erreichten sie eine große Tür, welche mit Blumen geschmückt war. Mirâ spürte wieder diesen gefährlichen Luftzug, welcher ihr auch beim letzten Mal aufgefallen war. Allerdings hatte die Tür nicht die Verzierung des versiegelten Raumes. Das konnte nur eines bedeuten. „Hier hinter ist wieder so ein Shadow, wie der Ritter das letzte Mal. Oder?“, stellte Akane entsetzt fest. Sie hatte keine Lust noch einmal gegen so einen Gegner zu kämpfen, doch um weiter zu kommen würden sie keine andere Wahl haben, als gegen ihn anzutreten. Auch Mirâ wusste dies und stieß, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, die Tür auf. Der Raum sah auf den ersten Blick aus wie ein leer geräumtes und verlassenes Gewächshaus, an dessen Wände sich alte verdorrte Äste hinauf schlängelten und dessen Fenster schon arg zerbrochen waren. Doch durch die Fenster sah man nicht das äußere Umfeld des Gebäudes sondern immer noch die merkwürdigen Wände, welche die Farbe wechselten. Ihnen gegenüber war eine weitere verschlossene Tür und zwischen ihnen und dieser befand sich ein riesiger Shadow. Dieser sah aus wie eine aufrecht stehende weiße Schlange, auf dessen Kopf eine rote Maske befestigt war. An seinem Hals, wenn man es denn so nennen konnte, befand sich ein Gegenstand, welcher hin und her schwang, wenn sich der Shadow bewegte. Dieses sah aus wie das Zeichen für Männlichkeit und daran war am Ende ein Gegenstand befestigt, welcher aussah wie das Zeichen für Weiblichkeit. In geschmeidigen Bewegungen schien der Shadow vor ihnen zu tanzen. Die Gruppe machte sich zum Angriff bereit, doch ehe sie reagieren konnten, bildete sich um das Wesen ein weißes Licht. Dabei verknotet sich der Shadow beinahe und ging dann wieder in seine eigentliche Stellung zurück. Kurz darauf wurde das Feld mitsamt der Gruppe in grünlichen Rauch gehüllt. Schützend hielten sie sich sofort Nase und Mund zu, aus Angst es könnte etwas gefährliches sein. Doch der Rauch hatte wieder Geruch noch wirkte er sich auf den ersten Blick auf die Gruppe aus. Erstaunt blickte jedes einzelne Mitglied der Gruppe an sich herunter, nachdem sich der Rauch wieder verzogen hatte. Niemand schien verletzt oder vergiftet zu sein. 'Aber vielleicht sollen wir das auch nur denken.', dachte sich Mirâ. Einen Grund musste dieser Rauch ja gehabt haben, sonst hätte der Shadow ihn nicht freigesetzt. Sie mussten vorsichtig agieren. Fragend blickte Mirâ zu Mika, welche etwas abseits hinter ihr stand. „Ich kann nicht genau sagen, was das für ein Rauch war, aber die meisten haben verändernde Eigenschaften. Entweder sind eure Angriffe schwächer oder eure Verteidigung. Ich weiß es aber nicht genau.“, kam es von der Kleinen etwas erschrocken, „Tut mir leid.“ Anscheinend gab es wirklich viele Shadows denen sie vorher nie begegnet war. Ob sie sich auch verändern konnten? Stärker wurden sie auf jeden Fall. Masaru trat vor und zog sein Katana: „Dann muss es eben so gehen. Wir werden ja früher oder später erfahren was das war.“ Er rannte los und holte mit dem japanischen Schwert weit aus, ehe er den Gegner mit einem gekonnten Schnitt angriff. Der Shadow zuckte etwas zusammen und wand sich kurz bevor er etwas einknickte, doch ansonsten blieb er von dem Angriff unbeeindruckt. Hinter sich hörte Masaru aus Hiroshis Richtung den Klang einer gerufenen Persona und trat zur Seite, bevor ein Blitz auf das schlangenartige Wesen herab sauste. Mit einem Kampfschrei sprang Akane nach vorn und wollte dem Shadow einen kräftigen Tritt verpassen, doch dieser wich aus, sodass sie mit einem dumpfen Knall hinter ihm auf dem Boden landete. „Aua.“, bekam sie nur mit schmerzverzerrtem Gesicht heraus. „Akane, alles in Ordnung?“, fragte Mirâ erschrocken. „Ja.“, kam die Antwort, jedoch blieb die junge Frau noch sitzen und rieb sich ihr Hinterteil. Um Mirâ bildete sich ein blaues Licht und hinter ihr erschien ihre Persona Hemsut. Im Auswahlmenü wählte sie den Angriff „Single Shot“, woraufhin in Hemsuts rechter Hand ein Bogen erschien. Mit schnellen Griffen nahm sie sich einen Pfeil von dem Schild über ihrem Kopf und spannte ihn ein. Kurz darauf zischte auch schon ein Pfeil durch die Luft und traf den Shadow. Dieser zuckte kurz zusammen, doch es änderte nichts daran, dass er weiterhin den Weg versperrte. Erneut bildete sich ein weißes Licht um den Shadow und kurz darauf spürte die Gruppe mehrere Schläge auf ihren Körpern, was sie etwas auseinander trieb. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Mirâ in die Runde. Dabei bemerkte sie nicht, wie etwas von links geflogen kam. Kurz darauf traf sie etwas an den Beinen, worauf sie zu Boden gerissen wurde. Als sie aufblickte erkannte sie zu ihrem Schrecken einen Ball, welcher langsam wieder in die Richtung rollte, aus welcher er gekommen war. „Eh?“, kam es nur irritiert. Erschrocken blickte sie zu ihrem Kumpel Hiroshi. Was sollte das? Wieso hatte er sie angegriffen? Es versetzte ihr einen kleinen Stich. Das ihr Kumpel sie einfach angegriffen hat, konnte und wollte sie nicht glauben. Doch sie wurde eindeutig von dessen Ball getroffen. Aber weshalb? Hatte er vielleicht falsch gezielt? Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Schon oft hatte sie Hiroshi beim Training zugeschaut, wenn sie die Zeit dafür fand. Dabei konnte sie erkennen, dass er ein guter Spieler war, wenn er sich anstrengte und konzentrierte. Ausrutscher, wie der am Anfang des Jahres oder bei der Aktion mit Fukagawas Beet, kamen nur zu Stande, wenn er nachlässig schoss. Doch in dieser Situation würde Hiroshi niemals nachlässig handeln. Das konnte nur bedeuten, dass er mit Absicht geschossen hatte. Diese Erkenntnis machte es allerdings nicht leichter. In ihrem Augenwinkel merkte Mirâ etwas herunter sausen. Gerade noch so konnte sie den Angriff mit ihren Armen abfangen, bevor Akanes Fuß sie getroffen hätte. Nun griff also auch ihre beste Freundin sie an. Diese holte noch einmal aus, aber auch wenn es Mirâ versuchte, sie konnte sich nicht bewegen. Sie war viel zu geschockt über das Verhalten ihrer Freunde. Bevor sie von Akanes Tritt getroffen worden wäre, sah sie einen Schatten vor sich. „Alles in Ordnung, Shingetsu?“, wurde sie von Masaru gefragt, welcher sich schützend vor sie gestellt hatte und Akanes Angriff abwehrte, „Die beiden sind nicht bei Sinnen. Sieh dir ihre Augen an.“ „Was?“, erschrocken blickte Mirâ ihrer Freundin so gut es ging in die Augen. Sie waren leer und schienen nichts wahr zu nehmen. Es sah wirklich so aus, als seien sie nicht sie selbst. Erneut kam Hiroshis Ball angeschossen, welchen Masaru mit seiner Schwertscheide abwehrte: „Anscheinend hatte der letzte Angriff die Nebenwirkung uns zu verwirren. Wir hatten Glück, dass es uns nicht getroffen hat. Die Beiden anscheinend nicht.“ Besorgt sah Mirâ in die Richtung ihrer Freunde, welche sich bereits wieder zum Angriff bereit machten. Es musste doch eine Möglichkeit geben, die beiden wieder zur Vernunft zu bringen. Eine davon war mit Sicherheit den Shadow zu besiegen, doch es war schwierig ihn anzugreifen wenn sie selbst die ganze Zeit von ihren Freunden attackiert wurde. Sie konnte auch nicht Masaru die ganze Arbeit machen lassen. Sie musste also eine andere Möglichkeit finden. Dieses Mal wich sie dem Ball von Hiroshi aus, als dieser auf sie zukam, während Masaru versuchte sich gegen Akane zu verteidigen ohne sie zu verletzen. Der Shadow dagegen stand im sicheren Abstand zur Gruppe und war in diesem Moment unerreichbar. Für einen direkten Angriff jedenfalls. Mirâ schnappte sich wieder ihr rotes Smartphone, doch rief dieses Mal nicht Hemsut auf das Feld. Als sich um sie das blaue Licht bildete erschien nun das gelbe hundeähnliche Wesen mit den grünen Flügelohren. „Cu Sith!“, rief Mirâ und gab der Persona den Befehl „Garu“. Diese schlug schnell mit ihrem Ohren, als wolle sie davon fliegen. Während des Schlagens bildete sich vor den Ohren grünlicher Wind, welcher kurz darauf auf den Shadow zuflog und ihn genau traf. Der Gegner torkelte zurück und schien eine Weile benebelt. Wind-Angriffe schienen zu wirken. Wieder kam Hiroshis Ball auf Mirâ zugeflogen und dieses Mal konnte sie nur mit Mühe ausweichen, da sie auf den Angriff gegen den Shadow konzentriert war. Masaru stieß Akane leicht von sich um etwas Freiraum zu haben. Als diese zurück torkelte nutze er seine Chance und rief Harachte, welcher sogleich mit dem Befehl „Garu“ in den Angriff ging und diesen auf den schlangenartigen Shadow richtete. Auch dieses Mal ging der Angriff durch, doch freuen konnte sich Masaru darüber nicht, denn es folgte auch gleich der nächste Angriff von Akane, welchem er auswich. Mit besorgtem Blick beobachtete Mika aus sicherer Entfernung den Kampf. Auch ihr war das merkwürdige Verhalten von Hiroshi und Akane aufgefallen. Sie war sich sicher, dass es etwas mit dem Angriff zu tun hatte und überlegte, wie man die beiden von diesem „Bann“ wieder lösen konnte. Ob sie irgendwo ein Item gefunden hatten, mit dem sie den beiden helfen konnten? Wenn Mirâ eine Fähigkeit gehabt hätte, die den Beiden half, dann hätte sie diese sicher bereits eingesetzt. Während sie die Gruppe beobachtete, bemerkte sie, wie sich im Hintergrund um den Shadow ein weißes Licht bildete. Kurz darauf blitzten violette Blitze um ihn herum auf. Sie erschrak. „Mirâ, Masaru! Weg da! Weicht aus!“, rief sie so laut sie konnte. Mika wusste, welcher Angriff auf die Gruppe zukam und auch, welchen Nebeneffekt er hatte. Erschrocken sahen Mirâ und Masaru zu dem kleinen Mädchen und richteten dann ihren Blick auf ihren Gegner. Nun bemerkten auch sie die violetten Blitze, doch da war es bereits zu spät. Noch ehe sie ausweichen konnten wurden sie und ihre beiden immer noch verwirrten Freunde von den Blitzen getroffen, welche sich in kreisförmigen Bewegungen um den Shadow bewegten. Alle vier wurden zurück geschleudert und landeten schmerzhaft auf dem Boden. „Aua“, kam es langgezogen von Akane, „Was war das denn?“ Irritiert sah sie sich um. Was war nur passiert? Sie erinnerte sich noch daran von einem Angriff zu Boden gestoßen worden zu sein, danach hatte sie irgendwie dunkel in Erinnerung gegen zwei andere Shadows gekämpft zu haben. Und dann? Was hatte sie gerade zu Boden gerissen? Als sie an sich herunter sah, musste sie erschrocken feststellen, dass ihre Weise Leggings, welche sie trug, an einigen Stellen eingeschnitten war und sie einige leichte Schnittwunden hatte. „Bist du wieder normal, Chiyo?“, fragte eine männliche Stimme, doch sie klang sehr geschwächt. Erschrocken blickte sie auf und sah Masaru vor sich hocken. Auf seinen Wangen und Händen bildeten sich violette Bläschen, welche sich langsam ausbreiteten. „Senpai. Was ist passiert?“, fragte sie geschockt. „Makoto und du wart durch einen Angriff verwirrt und habt Shingetsu und mich angegriffen.“, antwortete Masaru schwer. Panisch sah sie sich um und fand Mirâ und Hiroshi etwas weiter von sich und Masaru entfernt. Auch sie hockten auf dem Boden und schienen sich zu unterhalten. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Wie konnte sie nur ihre beste Freundin angreifen? Hoffentlich konnte ihr Mirâ das verzeihen. Nach dem Kampf musste sie sich bei ihr entschuldigen, doch erst einmal ging der Kampf gegen den Shadow vor. Und was noch wichtiger war, sie musste Masaru von dem Gift befreien. Schnell suchte sie in der Itemliste nach „Dokudami Tea“ und wendete es auf den Älteren an. Die violetten Flecken und Bläschen lösten sich langsam auf und verschwanden dann. Vorsichtig erhob sich Masaru: „Danke Chiyo.“ „Das ist das Geringste...“, meinte Akane nur und sprang ebenfalls wieder auf, um sich für den weiteren Kampf vorzubereiten. Mirâ derweil schaute besorgt und erschrocken zugleich zu Ihrem Kumpel Hiroshi hinüber. Seit dem Angriff des Shadows hatte er sich nicht mehr bewegt und sie hoffte, dass er nicht schwer verletzt war. Sie hatte gerade vor zu versuchen ihn mit ihrer Persona zu heilen, als er sich doch endlich langsam bewegte. Vorsichtig öffnete Hiroshi die Augen. Was war eigentlich passiert? Irgendwie hatte er einen Filmriss. Das letzte woran er sich erinnerte waren zwei Shadows gegen die er gekämpft hat. Doch wo er nun darüber nachdachte: Wo kamen die zwei Shadows her? Sie hatten doch eigentlich nur gegen dieses schlangenartige Wesen gekämpft. Wie hatte es also sein können, dass er gegen zwei völlig andere Shadows gekämpft hat? Oder hatte er das nur geträumt? Vorsichtig setzte er sich auf und hielt sich den schmerzenden Kopf. Dieser fühlte sich an, als hätte ihm jemand mit voller Wucht darauf geschlagen. Als er aufschaute, blickte er in zwei rote Augen. Erschrocken wich er zurück, doch dabei fiel ihm auf, dass es die Augen von Mirâ waren, welche ihn besorgt ansahen. „Alles in Ordnung, Hiroshi-Kun?“, fragte die junge Frau besorgt. Hiroshi nickte: „Abgesehen von diesen schrecklichen Kopfschmerzen. Was ist eigentlich passiert?“ Mirâ schwieg kurz und überlegte, ob sie Hiroshi berichten sollte, was passiert war. Doch letzten Endes erzählte sie ihm doch kurz und bündig was geschehen war. Erschrocken blickte der junge Mann Mirâ an. Er konnte nicht glauben, dass er seine Freunde und Kameraden angegriffen hatte. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit, doch ehe er sich entschuldigen konnte hörte er neben sich den Angriff einer Persona. Als er aufblickte sah er Akane und Masaru, wie sie den Shadow angriffen. Auch Mirâ erhob sich nun und rief ihre neue Persona „Cu Sith“, welche sogleich mit „Garu“ auf den Shadow losging. Schnell schüttelte Hiroshi den Kopf. Entschuldigen konnte er sich auch nach dem Kampf. Trotz seines schmerzenden Schädels stand er auf und rollte sich mit einer gekonnten Bewegung seinen Ball auf den Fuß. Er balancierte diesen kurz, ehe er ihn leicht in die Luft stieß, dann mit dem Fuß ausholte und die Lederkugel gen Shadow schoss. Der Ball traf den Shadow genau in der Mitte und endlich löste er sich in dunklem Nebel auf. Der Kampf war vorbei, doch wenn sich Mirâ in der Gruppe umsah, so bemerkte sie, wie viel Kraft sie dieser wieder gekostet hatte. Auch sie fühlte sich total fertig und hätte am liebsten sofort einschlafen können. Hiroshi kam auf sie zu, den Blick gen Boden gesenkt: „Mirâ, Senpai. Es tut mir leid.“ Fragend blickten die Beiden den jungen Mann an: „Wofür?“ „Das ich euch angegriffen habe.“, kam prompt die Antwort. Mirâ schüttelte den Kopf, doch ehe sie etwas sagen konnte fiel ihr bereits Akane um den Hals. „Mirâ~! Es tut mir so leid! Bitte sei nicht böse auf mich!“, rief sie verzweifelt, während sie Mirâ fest umarmte. Vorsichtig strich diese ihrer Freundin über den Rücken: „Schon gut. Es ist ja nichts Schlimmes passiert. Ich bin dir nicht böse.“ „Wirklich?“, fragte die Braunhaarige schniefend. „Ja.“, sagte Mirâ mit einem freundlichen Lächeln und wandte sich dann an ihren Kumpel Hiroshi, „Das gleiche gilt auch für dich, Hiroshi-Kun. Bitte macht euch darüber keine Gedanken.“ „Shingetsu hat recht.“, meinte nun auch Masaru, „Chiyo. Ich muss mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich deine Sachen etwas demoliert habe. Du bist ziemlich stark. Ich musste mich wirklich anstrengen um mich zu verteidigen.“ Nun fiel Akane auch wieder ein, dass ihre Leggings voller Schnitte war. Erschrocken ließ sie von Mirâ ab und sah an sich herunter. Erst jetzt sah sie das ganze Ausmaß. Ihre Leggings war nichts weiter als ein Schweizer Käse. An den Stellen wo Masarus Katana sie leicht geschnitten hatte, war die weiße Hose rot gefärbt. Abgesehen von den offenen Stellen, würde ihre Mutter das Blut wohl nie wieder raus bekommen. „Na super. Wie erklär ich das meiner Mutter? Hoffentlich schläft sie nachher schon.“, meinte sie leicht geknickt. „Wir sollten die Suche hier unterbrechen.“, meinte Mika, als sie auf die Gruppe zukam, „Ihr seht alle fertig aus und seid verletzt. Jetzt weiter zu gehen könnte gefährlich werden.“ „So ungern ich es sage, aber du hast recht. Mir wäre es lieber wir könnten weiter gehen, aber in unserem derzeitigen Zustand...“, sagte Mirâ ernst, „Ich heile so weit wie möglich einige unserer Wunden, aber meine Kraft reicht nicht mehr um alles zu heilen.“ Hemsut erschien hinter Mirâ und nach und nach heilte sie die schlimmsten Wunden, welche sich die Gruppe bei diesem Kampf zugezogen hatte. Damit brauchte sie allerdings ihre letzte Kraft auf. An weitergehen war nun wirklich nicht mehr zu denken und das wussten auch ihre Freunde. Somit machte sich die Gruppe vorerst wieder auf den Rückweg. Wie bereits bei Masarus Dungeon gelangten sie wieder zum Eingang des Gewächshauses, als sie durch das Tor der Halle traten. Mika versprach den Dungeon im Auge zu behalten, bis sie Gruppe das nächste Mal wieder kam. Noch einmal sahen die Vier kurz zurück, ehe sie sich abwand und auf den Heimweg machte. Kapitel 17: XVII - Eine kleine Pause ------------------------------------ Sonntag, 07.Juni 2015 Lachend lief die kleine Junko vor ihrer Schwester her. Mirâ hatte versprochen an diesem Sonntag mit ihr einen Stadtbummel zu machen, doch so wirklich in der Verfassung dazu war sie nicht. Der Kampf des vorhergehenden Abends hatte sie sehr entkräftet und sie hätte am liebsten den ganzen Tag im Bett gelegen und geschlafen. Doch versprochen war versprochen und so stand Junko pünktlich 9 Uhr in ihrem Zimmer und drängelte sie regelrecht aus dem Bett. Sie seufzte. Eigentlich machte sie so etwas gern für ihre kleine Schwester, aber warum musste es gerade dieser Tag sein? Junko wiederum war voller Energie und lief von einem Laden zum nächsten, sodass Mirâ aufpassen musste, die Kleine nicht zu verlieren. „Onee-Chan als nächstes nach dort.“, begeistert zeigte Junko auf den nächsten Laden und lief los. „Junko nicht so schnell. Du sollst doch in meiner Nähe bleiben.“, rief Mirâ, doch Junko war bereits in dem Laden verschwunden. Wieder seufzte die junge Frau und folgte ihrer kleinen Schwester. Als sie den Laden betrat war das Erste was ihr auffiel das riesige Regal zu ihrer Rechten, in welchem übereinander gestapelt verschiedene Wollknäule in allen möglichen Farben lagen. In gebührendem Abstand davor standen Auslagen, auf denen verschiedene Utensilien lagen, die man zum Stricken, Häkeln oder Sticken brauchte. In einem Regal ihr gegenüber standen verschiedene Bücher für Anfänger und Fortgeschrittene über diese Hobbys. Anscheinend hatte sich dieser Laden auf genau diese Art von Hobby spezialisiert. Das war auch der Grund weshalb Mirâ etwas stutzig wurde und nicht wusste, weshalb Junko überhaupt in dieses Geschäft wollte. Sie konnte weder Stricken, noch Häkeln oder Sticken und bisher hatte sie auch nicht geäußert, dass sie es lernen wollte. Doch als Mirâ sich umdrehte, um nach ihrer Schwester zu sehen, wusste sie weshalb sie unbedingt her wollte. In den Regalen, welche sie nun sah, saßen verschiedene Plüschtiere. Sie alle waren genäht oder gestrickt. Eines dieser Plüschtiere jedoch fiel ihr Besonders ins Auge. Es sah aus wie Jack Frost, jedoch war er nicht weiß sondern schwarz und die sonst blauen Schuhe und Mütze waren bei diesem violett. Das sonst so süße Lächeln von Jack Frost war hier ein hämisches Grinsen. Doch trotzdem sah er niedlich aus, wie Mirâ fand. Auch Junko schien Gefallen an dem Jack Frost ähnlichen Plüschtier zu finden. Plötzlich jedoch zog etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich, als sie im Augenwinkel etwas Blaues leuchten sah. Sie drehte den Blick leicht in die Richtung, aus welcher sie meinte das Leuchten auszumachen, als sie einen kleinen blauen Schmetterling sah. Jedoch kein normaler. Sie war sich sicher es war derselbe, welcher sie in Masarus Dungeon wieder zurück zum Tor gebracht hatte. Aber wie kam er hier her? Und was machte er hier? Oder war er nur ein Hirngespinst ihrer Fantasie? Gingen vielleicht gerade ihre Nerven mir ihr durch? Oder war sie einfach nur zu müde und träume bereits am Tag? „Kann ich euch helfen?“, fragte eine tiefe männliche und etwas ruppig wirkende Stimme, worauf die junge Frau aus ihren Gedanken gerissen wurde und aufschrak. Kurz schaute sie noch einmal in die Richtung, wo sie den Schmetterling gesehen hatte, doch er war verschwunden. Schnell drehte sie sich in die Richtung, aus welcher die männliche Stimme kam und schrak etwas zurück. Der junge Mann ihr gegenüber hatte ein kantigen Gesicht und einen ziemlich finsteren Blick. Auch die schwarz umrahmte Brille, welche er trug, änderte daran nicht viel. Seine schwarzen Haare waren etwas nach hinten gegelt, wodurch seine kantige Stirn sehr zum Vorschein kam. Dabei erkannte sie eine Narbe über seinem linken Auge. Sein linkes Ohr zierten mehrere silberne Ohrringe. Er trug ein dunkelviolettes T-Shirt, auf welchem ein Totenkopf abgebildet war und dazu eine lässige schwarze Jeans. Um seine Hüfte hatte er so etwas wie eine weiße Schürze gebunden. Irgendwie passte er gar nicht in dieses Geschäft, welches so niedliche Plüschtiere verkaufte. „Ähm... Ich...“, Mirâ wusste gar nicht was sie sagen sollte, „Die- Dieses Plüschtier. Es erinnert mich... Irgendwie an Jack Frost.“ „Ach das.“, der junge Mann nahm das Plüschtier in die Hand und sein Blick wurde etwas sanfter, „Das ist Black Frost. Er ist so etwas wie der Bruder von Jack Frost.“ „Ach so?“, kam so nur von Mirâ. Plötzlich war ihr der junge Mann nicht mehr unheimlich. Er schien seinen weichen Kern anscheinend nur unter einer harten Schale zu verstecken. „Er ist total süß.“, kam es plötzlich von Junko. Erstaunt sah der Schwarzhaarige sie an: „Findest du? Das... Freut mich.“ „Heißt das, du hast das hier gemacht, Onkel?“, fragte die Kleine aufgeregt. Nun schien der junge Mann total überrumpelt. Er lief rot an und wand den Blick ab: „Ähm Naja. Wäre das so schlimm?“ Erstaunt sah Mirâ den jungen Mann an. Also hatte er dieses Plüschtier wirklich selber gemacht. Ob die anderen auch von ihm waren? Wenn man ihn das erste Mal sah so konnte man sich gar nicht vorstellen, dass er so etwas überhaupt konnte. Er sah nicht gerade wie der geborene Hausmann aus. Eher wie ein Rowdy. Aber eigentlich schien er ganz nett zu sein. Junko war nun vollkommen Feuer und Flamme: „Das ist ja genial. Dann sind die andern Plüschtiere auch von dir? Das ist toll. Die sehen richtig klasse aus.“ „Ähm findest du? Das ist nett.“, kam es nur kleinlaut von dem Schwarzhaarigen. Junko lächelte ihm fröhlich ins Gesicht und sah dann freudig zu ihrer großen Schwester. Mirâ kannte diesen Blick. Junko wollte das Plüschtier. Sie seufzte und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Portmonee. Warum konnte sie ihrer Schwester auch nichts ausschlagen? „Wie viel kostet denn der Black Frost?“, fragte sie dann ruhig. Erstaunt sah der junge Mann sie an, doch lächelte dann etwas: „3.500 Yen.“ Fröhlich und mit einer Tüte in der Hand stolzierte Junko aus dem Laden, während ihre große Schwester ihr seufzend folgte. Noch ehe sie die Tür des Ladens geschlossen hatte hörte sie noch den jungen Mann, welcher sich mit einem „Beehren Sie uns bald wieder“ verabschiedete. Nun war sie wieder um einiges an Geld ärmer, ihre Schwester dafür aber glücklich. „Vielen Dank, Onee-Chan!“, lächelte das kleine Mädchen ihre große Schwester an. Auch Mirâ musste lächeln: „Naja. Es war ja für Junko.“ „Wo möchtest du als nächstes hin, Junko?“, fragte sie anschließend. Kurz überlegte Junko und sah sich um, ehe sie auf ein Gebäude zeigte, welches erhöht und etwas weiter von ihnen entfernt stand: Der Shinzaro-Tempel. Gähnend stützte sich Masaru auf den Besen, mit welchem er eigentlich den Hof fegen sollte. So wirklich Lust hatte er darauf keine. Lieber wäre er im Bett liegen geblieben. Die Spiegelwelt hatte ihn doch ganz schön geschafft. Zwar hatten ihn Mirâ, Akane und Hiroshi gewarnt, doch er hatte gedacht, seine Kondition wäre gut genug, um kaum etwas von den Auswirkungen zu spüren. Da hatte er sich aber mächtig verschätzt. Ihm tat wirklich alles weh. Dagegen war das Kendo-Training mit seinem Vater wirklich ein Spaziergang. Er seufzte und massierte sich seine rechte Schulter. „Ich sollte wohl lieber weiter machen, anstatt in Selbstmitleid zu versinken.“, dachte er sich und wollte weiter seiner Arbeit nachgehen, als er jedoch eine ihm bekannte Stimme hörte. „Junko nicht so schnell.“, rief die weibliche Stimme geschafft. Kurz darauf hüpfte ein kleines Mädchen über die Schwelle der Treppe und machte eine Figur, als hätte sie gerade eine Turnübung beendet. Zwei Strähnen ihres dunkelblauen Haares waren an den Seiten zu Zöpfen gebunden. Sie strich sich ihr weißes Kleid mit dem weißen Matrosenkragen und der dunkelblauen Schleife glatt und drehte sich dann wieder Richtung Treppe. Auf dieser folgte einen Moment später eine junge Frau, deren dunkelviolette Haare seitlich zu einem Zopf gebunden waren und welche so aussah, als sei sie mit der Welt fertig gewesen. Erschöpft holte sie erst einmal Luft, nachdem sie die letzte Stufe erklommen hatte, während sie von dem kleinen Mädchen mit schief gelegtem Kopf fragend angeschaut wurde. Irgendwie erinnerte die Kleine ihn in diesem Moment sehr an Mika, wenn sie jemanden fragend ansah. „Alles in Ordnung, Onee-Chan?“, fragte sie zuckersüß. Mirâ winkte ab und lächelte die Kleine lieb an: „Schon gut. Du bist nur so gerannt. Deine Ausdauer will ich noch mal haben.“ Masaru musste lachen, weshalb Mirâ erschrocken aufblickte. Langsam ging er auf die junge Frau und deren kleine Schwester zu: „Du tust ja fast so, als seist du eine alte Frau, Shingetsu.“ Mirâ lief sofort knallig rot an: „Se-Senpai. Guten Tag.“ „Hallo.“, zur Begrüßung hob er die Hand, „Stadtbummel mit deiner kleinen Schwester?“ „Ähm... Ja.“, antwortete Mirâ kurz. Lächelnd wandte sich Masaru an das kleine Mädchen: „Hallo. Ich bin Masaru Shin, ein Schulkamerad deiner Schwester. Und wie heißt du junge Dame?“ Fragend blickte Junko ihn an, ehe sie einen fragenden Blick zu ihrer Schwester warf, welche ihr aber nur ruhig zunickte. Höflich verbeugte sich Junko vor ihm: „Ich bin Junko Shingetsu. Es freut mich, dich kennen zu lernen.“ „Du bist aber höflich, Junko-Chan. Freut mich auch.“, meinte Masaru freundlich. Anscheinend freute sich Junko über dieses Lob, denn kurz darauf strahlte sie ihn mit ihrem kindlichen Gesicht freudig an. Einen Moment später sah sie freudig über das Gelände: „Was für ein großer Tempel.“ Erstaunt sah der junge Mann sie an: „Findest du?“ Junko nickte energisch: „Ja. Hier ist so viel Platz zum Spielen.“ „Junko. Der Tempel ist doch kein Spielplatz.“, mahnte Mirâ ihre Schwester an, doch Masaru fing nur an zu lachen. „Da hast du Recht.“, meinte er dann und hockte sich auf Junko Augenhöhe, „Meine Geschwister und ich haben hier auf dem Gelände sehr oft zusammen gespielt. Meistens verstecken.“ Erstaunt sah Mirâ zu ihrem Senpai herunter. „Du hast auch Geschwister?“, fragte Junko, als sei es die normalste Frage der Welt. „Ja.“, kam prompt die Antwort, „Zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester, aber sie sind alle schon ausgezogen.“ „Dann bist du ja jetzt alleine.“, meinte Junko erschrocken. „Ja schon, aber das ist schon in Ordnung. Ich habe ja gute Freunde.“, meinte Masaru, doch plötzlich spürte er eine kleine Hand auf seiner Stirn. Leicht erschrocken blickte er zu dem kleinen Mädchen, vor sich, welche vorsichtig mit ihrer Hand über seine Stirn strich. Mit ihren großen roten Augen lächelte sie ihn lieb an. Auch Masaru musste lächeln und strich der kleinen über die Haare bevor er wieder aufstand. „Du bist ja wirklich herzallerliebst.“, meinte er dann. Erstaunt blickte Mirâ auf. Sie war so erschrocken über Junkos Aktion gewesen, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte. Doch wo sie Masaru nun so glücklich lächeln sah, löste sich ihre Anspannung wieder. In den letzten Wochen war Junko richtig aufgeblüht. Vor ihrem Umzug hätte sie sich eine Solche Aktion nicht ansatzweise getraut. Sie war eigentlich ein sehr zurückhaltendes und schüchternes Mädchen. Diese Stadt schien sie zu verändern. Ob auch sie selbst sich verändert hatte? Masarus Stimme holte sie aus ihren Gedanken: „Wie wäre es? Soll ich euch den Tempel zeigen? Ganz exklusiv.“ „Eh? Wir möchten dich nicht von der Arbeit abhalten.“, meinte Mirâ sofort. „Kein Problem. Ich hab eh keine Lust zu fegen.“, meinte Masaru grinsend, „Außerdem scheint Junko-Chan Gefallen daran zu finden.“ Ein Blick zu Junko verriet ihr, dass Masaru Recht hatte. Diese strahlte freudig und wurde ganz hibbelig, weshalb Mirâ das Angebot doch dankend annahm. Daraufhin setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und Masaru führte sie durch den Tempel, welcher mehr zu bieten hatte, als man auf den ersten Blick erwartete. Neben dem Haus, welches zu dem Tempel gehörte, sowie dem Schrein und der Gebetshalle, gab es auch einen großen Dôjô. Wie Mirâ erfuhr leitete Masarus Vater neben dem Tempel auch eine kleine Kendo-Schule, in welchem er die alte japanische Schwertkunst lehrte. Nun konnte sie sich auch denken, weshalb Masaru diesen Sport ebenfalls in der Schule ausübte. „Du hast Besuch, Masaru?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme. Erschrocken blickten Masaru und Mirâ auf, während Junko fragend hinter ihrer Schwester hervor lugte. Auf die kleine Gruppe trat eine ältere Frau zu, deren lange schwarze Haare bereits von grauen Strähnen durchzogen waren. Diese hatte sie hinten zu einem lockeren Zopf gebunden, wie es für Mikos üblich war. Dazu trug sie die überall bekannte Miko-Tracht: Einen weißen Juban und dazu einen roten Hakama, dessen Schleife vorne gebunden war. „Hallo Mutter. Ja, kann man so sagen. Die junge Frau ist eine Mitschülerin aus dem zweiten Jahr und die Kleine ist ihre jüngere Schwester.“, erklärte Masaru ruhig. Sofort verbeugte sich Mirâ höflich, was ihre Schwester ihr nach tat: „Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Freut mich Sie kennen zu lernen. Meine Schwester heißt Junko.“ Masarus Mutter lächelte: „Freut mich ebenso. So jungen Besuch hatten wir lange nicht mehr. Das erinnert mich an alte Zeiten, als du noch mit deinen Geschwistern durch die Gänge getobt bist.“ Masaru lief rot an: „Mutter!“ Die Frau musste kurz lachen: „Entschuldige. Wenn ich so junge Leute sehe, werde ich immer sentimental. Es ist wohl besser, wenn ich euch wieder allein lasse. Ich wünsche den Damen noch einen schönen Tag.“ Während Masarus Mutter langsam an den Dreien vorbei ging, verbeugte sich Mirâ noch einmal höflich und wünschte ihr ebenfalls einen schönen Tag. Nach der kurzen Unterbrechung führte Masaru die beiden Mädchen noch etwas durch den Tempel und beendete die Führung wieder vor dem Schrein. Die Sonne war bereits im Begriff unter zu gehen, sodass der Tempelkomplex in ein goldgelbes Licht getaucht war. Während Junko noch etwas den Katzen hinterher jagte, welche sich auf dem Gelände aufhielten, unterhielten sie Mirâ und Masaru noch etwas. „Noch mal Entschuldigung für meine Mutter. Sie ist manchmal wirklich peinlich.“, meinte Masaru. Mirâ schüttelte den Kopf: „Mach dir darüber keine Gedanken, Senpai. Sie erinnert sich nur gerne an früher.“ Der junge Mann seufzte: „Ja ich weiß. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, weshalb sie möchte, dass ich den Tempel weiter führe. Damit ich ihn nicht verlasse. Meine Geschwister haben dem Tempel alle den Rücken gekehrt und sind in andere Städte oder ins Ausland zum Studieren gegangen. Und ich kann sie vollkommen verstehen...“ Mirâ war bereits bei ihrem ersten Besuch hier im Tempel aufgefallen, dass es Masaru nicht gefiel das Anwesen zu übernehmen. In der Spiegelwelt dann war es erst recht klar gewesen, dass er es nicht wollte und trotzdem hatte Mirâ das Gefühl, dass er sich nicht ganz sicher war, ob es richtig war, sich so zu entscheiden. Deshalb nahm sie ihren Mut zusammen und fragte direkt nach: „Du bist nicht sehr begeistert davon den Tempel irgendwann übernehmen zu müssen. Oder?“ Masaru schwieg kurz: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann meine Eltern verstehen, dass sie den Tempel in sicheren Händen wissen wollen. Aber ich ein Shintopriester? Das kann ich mir nicht vorstellen. Jetzt jedenfalls noch nicht. Ich habe ja auch Vorstellungen von meiner Zukunft.“ „Das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Hast du schon einmal mit deinen Eltern darüber gesprochen?“, fragte die junge Frau vorsichtig. Es folgte ein abwertend Geräusch: „Sinnlos. Sie hören mir nicht einmal zu.“ Kurz legte sich Schweigen über die Beiden, ehe Masaru weiter sprach: „An dem Abend, als ich von diesem Wesen in den Spiegel gezogen wurde, hatte ich auch wieder einen Streit mit meinen Eltern. Es ging natürlich wieder um das Erbe des Tempels. Sie haben die ganze Zeit auf mich eingeredet und nicht einmal meine Argumente abgewartet. Und wenn ich doch mal dazu gekommen bin, etwas zu sagen, haben sie es gekonnt überhört oder abgewürgt. Ich war so sauer... In dem Moment habe ich mir wirklich gewünscht der Tempel würde verschwinden. Kaum zu glauben, dass dieser Gedanke solche Auswirkungen haben konnte.“ „Aber du willst gar nicht das der Tempel verschwindet.“, meinte Mirâ. „Natürlich nicht. Er ist mein Zuhause. Nur diese Diskussionen nerven mich. Seit ich wieder da bin haben sie vorerst damit aufgehört. Zum Glück. Dafür beschäftigt mich die Frage, was ich nun machen soll. Dem Tempel, wie meine Geschwister den Rücken kehren, um mir meine eigene Zukunft aufzubauen, oder in diesem Tempel bleiben und meine Eltern glücklich machen. Ich war mir bis vor ein paar Wochen noch fest sicher, dass ich nach meinem Abschluss den Tempel verlassen werde, doch seit dem Vorfall in der Spiegelwelt bin ich mir nicht mehr so ganz sicher.“ Mirâ überlegte kurz, doch sprach dann ruhig auf Masaru ein: „Das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Aber noch hast du ja etwas Zeit. Das Schuljahr hat erst begonnen. Bis zum Abschluss sind es noch ein paar Monate. In der Zeit solltest du vielleicht versuchen, dich noch einmal mit deinen Eltern darüber zu unterhalten. Du musst es nur oft genug versuchen. Dann werden sie dir bestimmt zuhören. Und du kannst dir in dieser Zeit darüber klar werden, was du eigentlich möchtest.“ Erstaunt sah der junge Mann ihr gegenüber sie an: „Ich denke du hast recht. Ich versuche später noch mal mit ihnen zu reden. Ich sollte vielleicht nicht so schnell aufgeben. Danke, dass du mir zugehört hast. Ich konnte nicht mal mit Dai darüber sprechen. Aber es tut gut darüber zu reden.“ „Das solltest du öfters tun. Probleme in sich hinein zu fressen bringt nichts.“, meinte Mirâ mit einem Zwinkern. Masaru lachte: „Das stimmt. Danke, Shingetsu.“ „Mirâ reicht. Wir sind immerhin Freunde.“, sagte Mirâ schnell, wobei sie sich fast überschlug. Sie hatte allen ihren Mut zusammen genommen und ihrem Senpai angeboten sie beim Vornamen zu nennen. Schnell senkte sie den Blick, damit Masaru nicht sah wie sie rot anlief. Dieser jedoch sah sie erstaunt an und lächelte dann: „Gut. Dann vielen Dank, Mirâ.“ Sie spürte, wie ihr noch mehr die Hitze ins Gesicht stieg, als sie ihren Vornamen hörte. So konnte sie ihm doch gerade nicht ins Gesicht blicken. Um das zu umgehen drehte sie sich schnell um und sah auf die Stadt hinunter, welche ebenfalls in das goldgelbe Licht getaucht war. Dann schwieg sie kurz, bis sie sich etwas beruhigt hatte, ehe sie sich lächelnd wieder an ihren Senpai wandte: „Immer wieder gern.“ Dienstag, 09.Juni 2015 Seufzend betrat Mirâ die Bibliothek ihrer Schule. Eigentlich wollte sie gleich nach dem Unterricht nach Hause, aber ihre Lehrerin hatte andere Pläne für sie. So wurde sie beauftragt einige Landkarten wieder zurück zu bringen, welche sie im Unterricht verwendet hatten. Warum gerade sie? Mit schnellen Schritten ging sie auf den Tresen zu, hinter dem eine Schülerin saß, welche gerade Bibliotheksdienst hatte. Dieser Dienst beinhaltete, darauf zu achten, dass es ruhig in dem Raum blieb und die Schüler in Ruhe lernen und lesen konnten. Zudem mussten die Diensthabenden aufpassen, dass keine Bücher beschädigt oder entwendet wurden. Ein langweiliger Job, wie Mirâ meinte und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es Schüler gab, die sich so etwas freiwillig antaten. Seufzend trat sie vor den Tresen und bekam fast einen Schock, als sie aufblickte. „Iwato-Senpai!“, entkam es ihr, als sie die blonden Haare des Mädchens erblickte, welches ihr gerade den Rücken zudrehte. Die Blondhaarige vor ihr schrak auf und wandte sich von den Karteikarten ab, welche sie in diesem Moment durchsucht hatte. Mit grünen, bösen funkelnden Augen blickte sie Mirâ an. „Was soll das? Ich heiße nicht Iwato.“, sagte wie wütend, „Warum nennen mich die meisten so?“ Nun fiel auch Mirâ auf, dass es sich nicht um Amy handelte, sondern um das Mädchen, welches sie bereits vor einer Weile hier in der Bibliothek angetroffen hatte. Bereits zum zweiten Mal hatte sie sich von den blonden Haaren in die Irre führen lassen, dabei sah das Mädchen vor ihr bei genauerer Betrachtung Amy gar nicht so ähnlich. „Entschuldige. Das war nicht böse gemeint. Aber auf den ersten Blick sahst du aus, wie ein Mädchen aus dem Kyûdô-Club.“, entschuldigte sich Mirâ höflich. Mit leicht misstrauischem Blick sah das Mädchen sie an, doch seufzte dann: „Schon gut. Nicht schlimm. Ich war nur böse, weil mir das öfters passiert. Was kann ich für dich tun?“ Mirâ hielt die Karten hoch: „Ich soll die hier zurück bringen.“ Das blonde Mädchen erhob sich und kam um den Tresen herum, um Mirâ die Karten abzunehmen. Während sie diese kurz untersuchte, ob nicht irgendwo etwas kaputt gegangen war, wurde sie von Mirâ beobachtet. Die Blondhaarige sah zwar auf den ersten Blick wirklich wie Amy aus, doch ansonsten schienen sie grundverschieden zu sein. Zu mindestens wirkte die junge Frau sehr nett. „Entschuldige. Darf ich dich nach deinem Namen fragen? Damit ich dich nicht wieder verwechsle.“, fragte Mirâ vorsichtig. Fragend wurde sie mit grünen Augen angeschaut, eher der Blondine ein Seufzer entglitt: „Ich denke nicht, dass das helfen wird, aber meinetwegen. Mein Name ist Tomoko Koizumi.“ „Ich versuch es wenigstens.“, meinte Mirâ lächelnd, „Ich heiße Mirâ Shingetsu. Freut mich.“ „Mich auch.“, meinte Tomoko dann und stellte die Karten in einen Ständer hinter dem Tresen. „Machst du den Dienst hier freiwillig?“, kam eine weitere Frage. Fragend blickte die Blonde sie an: „Ja sicher. Warum sollte ich es sonst machen?“ „A-ach nur so.“, meinte Mirâ, „Dann bist du wohl öfters hier, was?“ „Jeden Tag eigentlich. Kann ich sonst noch etwas für sich tun?“, fragte Tomoko. Wie es schien wollte sie weiter ihrer Arbeit nachgehen, sodass Mirâ den Kopf schüttelte und sich kurz darauf verabschiedete. Wie es schien war Tomoko sehr verantwortungsbewusst. Auch diese Arbeit schien ihr Spaß zu machen, dabei kam sie eher langweilig rüber. Noch einmal kurz blickte Mirâ zu Tomoko, welche bereits wieder mit den Karteikarten hinter sich beschäftigt zu sein schien, bevor sie sich abwand und endlich nach Hause ging. Kapitel 18: XVIII - Gegen jeden Willen -------------------------------------- Mittwoch, 10.Juni 2015 Ein lauter Knall ließ alle Mitglieder des Kyûdô-Clubs zusammenzucken. Auch Mirâ schrak auf und schoss dadurch einen ihrer Pfeile neben die Zielscheibe. Erschrocken blickten alle in die Richtung, aus welcher der Lärm kam. Dem lauten Knall folgte eine meckernde und aufgebrachte Stimme: „Ich kann nicht glauben, dass er so etwas machen will. Und erst recht nicht, dass du ihm auch noch zustimmst.“ Kurz darauf sah man Amy um die Ecke stürmen, gefolgt von Dai, welcher versuchte die blonde junge Frau zu beruhigen. „Wenn es nach mir ginge, dann wäre es nicht so gekommen. Aber ich muss dieser Sache nun einmal nachgehen. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass der Lehrer gleich so reagiert?“, redete er ruhig auf Amy ein. Diese allerdings sah ihn nur mit einem wütenden Blick an. Ihre grünen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen. Wenn Blicke hätten töten können, wäre Dai in diesem Moment wohl tot umgefallen. Die Spannung zwischen den Beiden war greifend spürbar und niemand traute sich auch nur den kleinsten Mucks zu machen. Alle sahen nur erschrocken zu ihrem Kapitän und der Teammanagerin, doch zuckten zusammen, als auch sie der Blick von Amy traf. „Was glotzt ihr so? Wieso trainiert ihr nicht?“, fragte sie wütend, woraufhin sich alle umdrehten und wenigstens so taten, als würden sie weiter ihrem Training nachgehen. Mirâ allerdings sah ab und an noch einmal über ihre Schulter zu den Beiden. Es gab öfters Spannungen zwischen den Beiden, aber noch nie hatten sie so extrem gestritten, wie an diesem Tag. Ihre Diskussion zog sich noch etwas in die Länge, bis Amy meinte sie habe noch etwas zu erledigen und mit laut knallender Tür das Gelände verließ. Dai stand erschrocken und sprachlos da und starrte die geschlossene Tür an, ehe er sich umdrehte und seufzend wieder auf einen Raum zuging, in welchem der aufsichtshabende Lehrer oder Amy Papierkram für den Club erledigen konnten. Aus diesem waren er und Amy vor einigen Minuten heraus gekommen. Anscheinend hatte der Lehrer irgendetwas verlauten lassen, was Amy nicht passte. Zu gerne hätte Mirâ in diesem Moment Mäuschen gespielt um zu erfahren, worum es ging, doch sie hielt sich zurück und widmete sich weiter ihrem Training. Als Mirâ nach dem Training ihre Schuhe wechselte, hörte sie eine Reihe weiter vorn eine Stimme leise vor sich hin murmeln. Sie erkannte die Stimme sofort und überlegte, ob sie die Person ansprechen sollte oder doch lieber einfach nach Hause ging. 'Ich geh wohl besser.', kam sie nach einiger Zeit zu dem Gedanken und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als sie ein Geräusch vernahm, was sie stoppen ließ. Die Stimme, welche bis eben noch wütend vor sich hin gemurmelt hatte, war leiser geworden und Mirâ kam es so vor, als hätte sich ein Schluchzen darunter gelegt. Konnte das wirklich sein? Ruhig blieb sie stehen und lauschte. Da war es wieder. 'Das werde ich sicher bereuen...', gedanklich klatschte sich Mirâ bereits eine, als sie langsam aus ihrer Reihe heraus trat und auf die vor sich zuging. Als sie in die Reihe trat, fand sie dort Amy vor, welche mit gesenktem Blick an dem Schuhschrank lehnte. Eine einzelne Träne lief ihre Wangen herunter und in diesem Moment tat sie Mirâ wirklich leid. Vorsichtig ging sie auf die junge Frau zu: „Iwato-Senpai? Alles in Ordnung?“ Kurz schrak Amy auf, ehe sie langsam ihren Blick hob und Mirâ ansah. Als sich ihre Blicke trafen konnte sie die stechend grünen Augen ihres Gegenübers erkennen, welche sie wütend ansahen. Mirâ erschrak und ging aus Reflex sogleich zwei Schritte zurück. Amy jedoch kam auf sie zu und griff sie kurz darauf an den Schultern. „Du warst es! Hab ich Recht? Du hast Dai erzählt ich würde unsere Teammitglieder bedrohen. Oder? Gib es zu!“, schrie sie die junge Frau an. „Eh?“, Mirâ wusste in diesem Moment nicht worum es ging. Amy allerdings steigerte sich immer weiter rein: „Du hattest mich doch von Anfang an auf dem Schirm. Und nun hast du es auch noch geschafft Dai auf deine Seite zu ziehen.“ Nun wusste Mirâ wirklich nicht mehr was sie sagen sollte. Die Wut ließ Amy anscheinend einige Dinge verdrehen, denn eigentlich hatte diese sie ja immer angezickt und dumm angemacht und nicht anders herum. Amy wurde immer lauter und drängte Mirâ immer wieder ein Stück zurück, doch trotzdem ließ diese sie nicht los. Ihr Griff wurde sogar noch stärker, sodass sich ihre Finger in Mirâs Schultern bohrten. Irgendwann schaffte sie es wieder ihre Sprache zurück zu erlangen und stoppte Amy. Sie fasste die Arme der blonden jungen Frau und blickte ihr ernst in die Augen. „Schluss jetzt! Ich weiß wirklich nicht wovon du redest. Sicher haben wir unsere Probleme miteinander und du hast mich wirklich einmal bedroht, aber ich bin nicht der Mensch der jemanden wegen solchen Kleinigkeiten anschwärzt. Das kannst du mir glauben.“, sagte sie ernst, woraufhin Amy sie erstaunt anblickte. Mirâs Blick wurde sanfter und mit einem leichten Lächeln blickte sie Amy in die Augen: „Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?“ Ihr Gegenüber senkte den Blick und ließ sie los, woraufhin sich Schweigen zwischen die Beiden legte. Einige Minuten später saßen beide auf einer der Bänke, welche zwischen den von Fukagawa angelegten Blumenbeeten standen und Amy erzählte Mirâ von dem, was am Vormittag passiert war. Irgendjemand hatte behauptet sie würde Mitgliedern drohen sie aus dem Club zu schmeißen. Allerdings meinte Amy, dass sie das nur einmal bei Mirâ getan hätte. Weil sie Eifersüchtig war, gab sie zu. Daraufhin hätte der Lehrer sie zu sich gerufen und ihr offenbart, dass er vorhabe deshalb einen neuen Teammanager zu suchen. „Aber das Schlimmste ist, dass Dai mir nicht einmal glaubt.“, beendete Amy zum Schluss. „Das ist hart.“, meinte Mirâ, „Aber wer könnte so eine Wut auf dich haben, dass er so etwas verbreitet?“ Von der Seite traf sie ein Blick, woraufhin sie aufschrak und Amy entgeistert ansah: „Hey! Ich habe dir bereits gesagt, dass ich es nicht war.“ Die blonde Frau seufzte und wandte den Blick wieder ab: „Ja ich weiß. Eigentlich... Hätte ich dir das eh nicht zugetraut. Hättest du mich verpfiffen, dann wäre schon eher etwas vom Lehrer gekommen.“ Erstaunt blickte Mirâ die junge Frau neben sich an. So freundlich kannte sie sie gar nicht und ein wenig machte ihr das schon Angst. Andererseits bewies es aber auch nur, dass Amy eigentlich ganz nett war und nur so auf Mirâ reagierte, weil sie etwas störte. „Ich war vorhin einfach nur Sauer. Du und Dai... Ihr habt euch von Anfang an irgendwie verstanden. Das hat mich wütend gemacht. Deshalb dachte ich, du hättest ihm davon erzählt. Ich dachte, dir würde er sicher glauben, weil er immer so nett zu dir ist. Aber eigentlich ist Dai zu jedem nett. Das wusste ich, aber ich war so eifersüchtig. Tut mir leid.“, entschuldigte sich Amy. „Schon in Ordnung. Ich kann das verstehen, aber Kazuma-Senpai ist für mich einfach nur ein Senpai. Es ist nicht so, dass ich etwas von ihm will. Wir sind einfach nur befreundet. Das kannst du mir glauben.“, erklärte Mirâ und senkte den Blick, „Außerdem gibt es da jemand anderen...“ Das letztere war nur ein Nuscheln, doch Amy schien es verstanden zu haben und grinste. „Shin, hab ich recht?“, fragte sie mit wissendem Blick. „Eh?“, erschrocken sah Mirâ die blonde junge Frau an und merkte, wie sie rot anlief, „Woher?“ „Dann stimmen die Gerüchte.“, meinte ihr Gegenüber. „Ge-Gerüchte?“, kam es nur geschockt. Fragend blickte Amy sie an: „Ja. Seit du bei uns vor der Klasse aufgetaucht bist, um mit Shin zu reden, fragen sich alle, was da wohl zwischen euch läuft. Es ist nicht alltäglich, dass jemand aus dem zweiten Jahr vor unserer Klasse steht und nach einem unserer Jungs fragt. Vor allem, wenn der Junge ziemlich beliebt ist.“ In diesem Moment musste Mirâ aussehen wie eine überreife Tomate. Schnell senkte sie den Blick. Sie hatte eigentlich gehofft, dass es nicht solche Auswirkungen haben würde, wenn sie Masaru in der Klasse aufsuchte. Aber eigentlich hätte sie sich das auch denken können, zumal sie ja mitbekommen hatte, wie sie von Schülerinnen aus Masarus Klasse beobachtet wurde. „Das braucht dir doch nicht peinlich sein. Viele Mädchen in unserer Klasse würden sich freuen, wenn Masaru ihr Freund wäre.“, meinte Amy lachend. „F-Freund?“, in diesem Moment verschluckte sich Mirâ und musste erst einmal nach Luft ringen. Fragend sah Amy sie an: „Ihr seid also kein Paar?“ Schnell schüttelte Mirâ den Kopf. Wie kamen einige überhaupt auf diesen Gedanken? Sie war doch erst ein paar Monate auf dieser Schule und Masaru kannte sie auch erst so richtig seit ein paar Tagen. Doch musste sie auch zugeben, dass sie dem auch nicht abgeneigt wäre. Aber andererseits war Masaru auch einer ihrer Teamkameraden. Es würde doch sicher Unruhe ins Team bringen. Noch einmal schüttelte sie den Kopf. Sie musste diese Gedanken erst einmal wieder loswerden. Sie mochte Masaru, aber wusste so wie so nicht wie es mit ihm stand. Seine Freundlichkeit könnte auch auf seine Dankbarkeit zurück zu führen sein. ‚Mach dir lieber nicht zu viele Hoffnungen.‘, ging ihr durch den Kopf. Noch immer sah Amy sie fragend an, woraufhin Mirâ sich kurz räusperte und dann versuchte ruhig weiter zu sprechen: „N-nein, wir sind kein Paar. Es ist eher Dankbarkeit seinerseits, denke ich.“ „Ah ja.“, meinte Amy nur, doch legte ihr dann eine Hand auf die Schulter, „Dann bleib dran.“ Daraufhin stand die blonde junge Frau auf und streckte sich erst einmal genüsslich: „So schlimm bist du gar nicht, muss ich zugeben. Du bist eigentlich richtig nett.“ Erstaunt sah Mirâ sie an, doch grinste dann: „Das Kompliment kann ich zurückgeben. Was wird jetzt eigentlich aus der Neuwahl?“ Amy drehte sich leicht zu ihr und lächelte leicht verbittert: „Was soll damit sein? Ich werde versuchen das klar zu stellen und sollte das Team mich doch nicht mehr haben wollen, dann werden sie mich so oder so abwählen.“ „Ich werde für dich stimmen.“, versprach Mirâ, woraufhin sie einen erstaunten Blick erntete, „Ich merke doch, dass du eine gute Arbeit als Managerin machst unddass du auch Spaß dran hast.“ Immer noch blickte die Blonde sie erstaunt an, doch lächelte dann: „Danke Shingetsu.“ „Ich bin du... Du bist ich...“, erklang es in Mirâs Gedanken und ließ sie wissen, dass sich ein neuer Social Link gebildet hatte. Sie musste ein wenig grinsen, weil es ausgerechnet Amy war, mit welcher sie diesen Link geschlossen hatte. Diese verabschiedete sich anschließend von Mirâ und machte sich auf den Heimweg, was ihr die Violetthaarige kurze Zeit später nach tat. Dienstag, 16.Juni 2015 Angespannt blickte Mirâ auf die riesige Tür vor sich. Genau wie bei Masaru zierte die Tür ein Bild, welches die Voraussetzung zeigte, um in diesen versiegelten Raum zu gelangen. „Dieses Bild jagt mir einen Schauer über den Rücken.“, hörte sie Masaru hinter sich. „Wem sagst du das?“, kam eine rhetorische Frage von Hiroshi, „Andererseits hätten wir beim letzten Mal ohne dieses Bild nicht gewusst, wie wir in den Saal zu dir gekommen wären.“ „Machen wir uns lieber kampfbereit.“, meinte Mirâ, während sie sich leicht gegen die Tür lehnte. Mit lautem Knarren öffnete die Flügeltür und gab den Blick auf einen riesigen Raum frei. Entgegen der Erwartungen der Gruppe jedoch, sah er nicht aus wie ein Gewächshaus, sondern erinnerte eher an einen riesigen Garten. Allerdings erkannte man ganz deutlich die Wände, welche den Raum abgrenzten und in ihren verwirrenden Farben leuchteten. Von der Decke aus hingen hier und da einige Kletterpflanzen herunter und rund um den Raum wuchsen dicke Sträucher. An diesen wuchsen allerdings nur schwarze Blüten und lange Dornen zogen sich durch die Masse an Pflanzen. Dieser Raum konnte gefährlich werden, wenn sie nicht aufpassten. Würden sie während des Kampfes in eine der Sträucher geschleudert, könnten diese sie ebenfalls stark verletzen. Sie mussten extrem auf der Hut sein. Mirâs Blick wanderte weiter in die Mitte des Raumes, wo sie Fukagawa vorfand. Diese trug noch ihre Schuluniform und hatte den Blick gen Boden gerichtet. Allerdings bewegte sie sich nicht, sondern stand einfach nur still da. Etwas jedoch ließ Mirâ stutzen. Sie sah keinen Schatten, welcher um das Mädchen herum schwirrte, wie es bei Masaru der Fall war. Was hatte das zu bedeuten? Im Augenwinkel erkannte sie Masaru, welcher auf das Mädchen zuging: „Fukagawa, endlich haben wir dich gefunden. Ist alles in Ordnung?“ Ein kalter Schauer lief Akane den Rücken herunter, was sie aufschrecken ließ: „Senpai, weg von ihr!“ Doch da war es bereits zu spät. Mit einem lauten Klatschen sauste eine Peitsche herunter und traf Masaru genau an der Schulter, woraufhin er zurück fiel und auf seinen vier Buchstaben landete. Erschrocken blickte der junge Mann zu dem schwarzhaarigen Mädchen auf, welches den Blick hob und die Gruppe mit stechend gelben Augen angrinste. Ein grässlich Lachen folgte, in welchem man Fukagawas Stimme nur mit viel Mühe erkennen konnte, da sie extrem verzerrt war: „Ihr habt es also hier her geschafft. Doch hier werdet ihr nicht weit kommen.“ Wieder holte sie mit der Peitsche aus, welche plötzlich an Länge zunahm und griff die Gruppe an. Nur schwer konnte Masaru diesem Angriff ausweichen, da er immer noch auf dem Boden saß. Doch auch Mirâ, Hiroshi und Akane hatten ihre Probleme. Zähneknirschend kramte Hiroshi sein Handy hervor und war im Begriff Aton heraufbeschwören, als er von Mirâ zurück gehalten wurde: „Warte! Es ist Fukagawa. Wenn wir Sie so angreifen, kann sie schwer verletzt werden.“ Hiroshi stutzte: „Ja ich weiß, aber wenn wir...“ Erneut sauste die Peitsche herunter und die Gruppe versuchte auszuweichen, jedoch schafften es nicht alle und Akane wurde nun zu Boden gerissen. „Wenn wir nichts unternehmen, dann sind wir dran.“, beendete der blonde junge Mann den Satz. „Akane, alles in Ordnung?“, fragte Mirâ ihre beste Freundin. „Ja alles gut.“, kam nur die Antwort, als sich das braunhaarige Mädchen wieder aufrichtete. Masaru schaffte es wieder aufzustehen und wieder etwas Abstand zu Fukagawa zu bekommen: „War das bei mir auch so?“ „Nein.“, antwortete Mirâ, „Bei dir tauchte sofort der riesige Shadow auf. Ich weiß auch nicht, was das soll. Mika?“ Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf: „Nein. Keine Ahnung.“ Erschrocken blickte sie zu dem von einem Shadow besessenen Mädchen. Diese gelben Augen machten sie nervös. Es war für sie, als hätte sie ein Dejá-vú, denn sie hatte das Gefühl, als hätte sie solche gelben Augen bereits einmal gesehen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Das konnte nicht sein. Woher hätte sie diese Augen kennen sollen? Schützend nahm sie ihre Arme vor die Augen, als der nächste Angriff startete und dadurch eine Menge Wind und Staub aufgewirbelt wurden. Doch viel wichtiger war die Frage: Wieso griff dieses Mädchen an und wo war der Shadow? Ob diese gelben Augen bedeuteten, dass der Shadow die Kontrolle über dieses Mädchen hatte? Dann hieß das, sie mussten ihn irgendwie hervor locken. Doch wie, ohne sie zu verletzen? „Kche! Nur mit ausweichen können wir Fukagawa nicht helfen.“, warf Akane in die Runde. „Aber wenn wir sie angreifen könnten wir sie verletzten.“, entgegnete Mirâ. „Wenn ich an sie heran kommen könnte, könnte ich einen Judogriff machen. Aber so...“, Akane knirschte mit den Zähnen. Sie war gut im Nahkampf, ebenso wie ihre Persona, aber wenn es um Distanzkämpfe ging, hätte sie nur mit Agi angreifen können und das wollte Mirâ nicht. Einerseits hatte sie ja recht mit ihrer Angst, dass Fukagawa verletzt werden konnte. Doch würden sie nichts unternehmen wäre das ihr eigenes Ende. „Kche!“, es ärgerte sie nichts ausrichten zu können. Doch plötzlich stoppte der Angriff, als ein grünlicher Windstoß das Mädchen ihnen gegenüber traf und dieses zu Boden ging. Erschrocken blickte Mirâ zu Masaru, welcher entgegen ihres Willens seine Persona gerufen hatte: „Senpai!“ Der Angesprochene atmete erst einmal tief durch, um so wieder zu Kräften zu kommen, ehe er die Violetthaarige ernst ansah: „Schau mich nicht so an. Ich gebe Akane recht. Wenn wir nur ausweichen können wir nicht helfen und werden vielleicht selber zum Opfer. Da wir aber nicht anders an sie hera kommen war dies die einzige Option. Keine Sorge. Es war nur ein leichter Garu-Angriff. Ihr sollte nichts passiert sein.“ Auch wenn Mirâ die Aktion missfiel, so war sie über die kurze Verschnaufpause ganz dankbar. Trotzdem hoffte sie, dass Fukagawa nicht ernsthaft verletzt wurde. Doch die kurze Pause wehrte nicht lange, als aus Richtung des Mädchens wieder dieses schauderhafte Lachen erklang. Kurz darauf richtete sie sich wieder auf, doch etwas war anders. Um sie herum bildete sich schwarzer Nebel, weshalb das gelb der Augen noch mehr hervorstach. „Kaum zu glauben, dass ihr angreift, obwohl ich den Körper dieses Mädchens benutze. Wie es scheint, kann ich euch so nicht besiegen.“, ertönte die verzerrte Stimme, als das Lachen endete. „Zeigst du endlich dein wahres Gesicht?“, rief Mirâ. Doch anstatt einer Antwort lachte Fukagawa nur wieder, während der Nebel um sie herum immer dichter wurde und sie kurz darauf vollständig einhüllte. Einen Moment später stieg aus dem Nebel ein weibliches Wesen hervor. Ihre langen schwarzen Haare hingen ihr in Strähnen über das Gesicht. Doch durch die einzelnen Strähnen erkannte man ganz klar die tiefroten Augen, welche die Gruppe fixierten. Ihr dunkler Oberkörper war völlig nackt, sodass man ihre weiblichen Rundungen sehen konnte. Nur einzelne Stoffbänder, welche an ihrem Lederhalsband und ihrem Rockbund befestigt waren, schwangen zwischen ihren prallen Brüsten. Durch den weit offenen Rock, welcher tiefe Einblicke bot, sah man ihre übereinander geschlagenen nackten Beine, mit welchen sie auf einem riesigen schwarzen Löwen saß. In ihrer linken Hand hielt sie eine graue Blüte, welche aussah wie ein Lotus, während sie in ihrer rechten Hand eine Peitsche hielt. Zu mindestens sah es auf den ersten Blick aus, wie eine Peitsche. Denn bei genauerer Betrachtung erkannte man, dass sich diese bewegte und sich als gepunktete Schlange entpuppte. „Ich bin ein Shadow... Das wahre Ich!“, hallte die Stimme des Shadows durch den Saal. Hinter dem weiblichen Shadow erschien aus dem restlichen schwarzen Nebel die schwarze Platte mit dem Pentagramm, an welcher die bewusstlose Fukagawa hing. „Endlich zeigt der Shadow sein wahres Gesicht.“, meinte Akane grinsend, „Wurde ja auch Zeit...“ Man merkte ihr sofort an, dass sie schon ganz heiß auf den Kampf war. Nun musste sie sich nicht mehr zurückhalten und konnte ihre Persona beschwören. Diese erschien sogleich über ihrer Besitzerin und ging mit „Bash“ auf den Shadow los. Doch anders als erwartet traf dieser Angriff nicht das geplante Ziel. Noch ehe Wadjet den Gegner erreicht hatte, gab es eine Art Explosion und kurz darauf löste sich etwas in schwarzem Nebel auf. Das braunhaarige Mädchen schrak zurück: „Was war das?“ Plötzlich huschte aus dem Rauch ein Schatten genau auf sie zu. Doch ehe sie darauf reagieren konnte war es bereits zu spät. Das Wesen, welches sich zeigte schlug ihr genau in die Magengegend. Durch die Wucht des Schlages wurde sie zurück geschleudert und fiel genau in die Dornenbüsche. „AKANE!“, schrie Mirâ geschockt, als sie ihre Freundin in die Sträucher fallen sah. Ein Geräusch ließ sie wieder umdrehen, doch in diesem Moment sah sie bereits mehrere Feuerbälle auf sich und die beiden Jungs zufliegen. Auch sie konnten nicht mehr rechtzeitig reagieren und wurden direkt getroffen. Mirâ sogar schlimmer, als die beiden Jungs, da ihre Persona Hemsut schwach gegen Feuer war. So schnell hätte sie diese auch nicht wechseln können. Mit einem dumpfen Knall landete sie auf dem Boden, während sowohl Hiroshi als auch Masaru sich gerade noch halten konnten. „Woher kam das denn?“, fragte Hiroshi irritiert und blickte zu dem Shadow vor sich, welcher immer noch von Rauch umgeben war. Langsam lichtet sich dieser und gab den Blick auf zwei Shadows frei. Der erste Shadow sah aus wie ein Wrestler. Seine Haut war violett, während seine schulterlangen Haare eher silbern wirkten und auf seinem Gesicht trug er die blaue Maske, welche die meisten Shadows auszeichnete. Er trug nur eine für viele Wrestler typische kurze Shorts und kniehohe weiße geschnürte Stiefel. In einer Pose, mit welcher er sowohl jeden Moment angreifen, als auch sich schnell verteidigen konnte wippte er von einem Fuß auf den anderen wartete den Zug der Gruppe ab. Der andere Shadow war ein silberner Tisch, an dem auf der Vorderseite der aufliegenden silbernen Tischdecke ebenfalls diese Maske hing. Etwas erschreckend war, dass über der eigentlichen Tischplatte Besteck flog, welches bekanntlich ja drauf liegen sollte. Mit seiner linken Hand wischte sich Masaru den Schmutz von seiner Wange: „Das wird ja immer bunter. Ein Wrestler und ein Tisch. Wo kommen die plötzlich her?“ „Gute Frage.“, meinte Hiroshi und sah besorgt zu den beiden Mädchen hinüber. Erleichtert musste er feststellen, dass Mirâ sich langsam wieder aufrichtete, während Akane von Mika wieder aus den Sträuchern gezogen wurde. Doch der Sturz in die stacheligen Pflanzen hatte Spuren hinterlassen. Ihre Kleidung war teilweise aufgerissen und Blut tropfte aus kleinen Einschnitten auf ihrer Haut. Besonders schlimm hatten es jedoch mal wieder ihre Beine erwischt und zwar genau an den Stellen, an welchen ihre Haut nicht von Stoff bedeckt war. Wackelig wurde sie von der kleinen Mika gestützt. Um Hiroshi bildete sich das blaue Licht der Beschwörung einer Persona und kurz darauf erschien Aton über ihm, welcher seine Hand gen Akane richtete. Um sie bildete dich ein grünes Licht und langsam verschwanden die meisten ihrer Wunden, sodass sie wieder aufrecht stehen konnte. „Danke.“, bedankte sie sich bei ihrem Kumpel. Der blonde Junge nickte: „Aber pass auf, dass du nicht wieder in den Büschen landest.“ „Noch mal schafft der das nicht.“, entgegnete Akane nur und stellte sich in einer verteidigenden Pose auf. „Urgh...“, langsam öffnete Fukagawa ihre Augen und zuckte sogleich zusammen. Ihr Kopf schmerzte, als hätte ihr jemand eins übergezogen. Wenn sie denjenigen erwischte, würde er dafür bezahlen, das schwor sie sich. Als sie es jedoch endlich schaffte ihre Augen gänzlich zu öffnen, erschrak sie leicht. Sie war nicht bei sich zu Hause und auch nicht in dem Gewächshaus im Park oder einem anderen Ort, an dem sie sich öfters aufhielt. Ihr Körper fühlte sich schwer an und irgendwie fiel es ihr auch schwer richtig zu atmen. Was war das für ein merkwürdiger Ort, an dem die Wände diese komischen Farben hatten? Erst langsam realisierte sie auch, dass sie an irgendetwas gefesselt war. Erschrocken blickte sie jeweils auf ihre Handgelenke, welche neben ihrem Kopf an einer schwarzen Platte befestigt waren. Als sie nach unten blickte kam der nächste Schock. Sie hing extrem weit oben und zu ihrem Bedauern hatte sie schreckliche Höhenangst. Was machte sie hier? Wie war sie hier her gekommen? Wurde sie entführt? Das würde jedenfalls ihre fürchterlichen Kopfschmerzen erklären, aber das würde nicht diesen komischen Ort. Ein Knall ließ sie aufschrecken, welchem kurz darauf eine Rauchwolke folgte. Einen Moment später sah sie aus eben dieser Wolke ein in weißes Leinen gehülltes Wesen mit rotem Haar, welches an die Mähne eines Löwen erinnerte, springen. An Stellen, wo sich der Rauch langsam lichtete, erkannte sie ein bläuliches Leuchten, auf welches ein Blitzschlag folgte, der genau in die Rauchwolke einschlug. Was war hier nur los? Langsam lichtete sich der Rauch und gab den Blick auf ein riesiges weibliches und nur sehr leicht bekleidetes Wesen frei, welches mit überschlagen Beinen auf einem schwarzen Löwen saß. Vor ihr tänzelte ein violettes Wesen mit silbernem Haar, was ihr auf den ersten Blick wie ein Wrestler erschien. Dieses torkelte zurück, als es von einem schwarzen Wesen mit Falkenkopf mit einem Schwert angegriffen wurde. Kurz darauf jedoch rannte ein Mädchen auf diesen zu. Aus der Ferne erkannte Fukagawa die Sportjacke ihrer Schule. Das braunhaarige Mädchen griff sich das violette Wesen und warf es mit einem gekonnten Griff über ihre Schulter. Als das Wesen mit voller Wucht den Boden berührte löste es sich in schwarzem Nebel auf. Am liebsten hätte sich Fukagawa mal gekniffen, um zu überprüfen, ob sie denn nicht sogar träumte. Doch die Fesseln an ihren Handgelenken hinderten sie daran. Das konnte nur ein schlechter Traum sein. Anders konnte es nicht sein. Wie sonst sollte sie sich diese merkwürdigen Wesen erklären? Sie hoffte, dass sie in jedem Moment aufwachen würde, doch nichts dergleichen passierte. Ein starker Wind wehte plötzlich um sie und das riesige Wesen unter ihr wurde leicht zurück gedrängt. Erneut blickte Fukagawa nach vorn und erblickte neben dem braunhaarigen Mädchen mit der Sportjacke noch drei weitere Personen. Sie war sich sogar sehr sicher, dass einer dieser Personen Masaru Shin, ein Mitglied der Schülervertretung, war. Und die anderen drei? Der andere Junge erinnerte sie sehr an ein Mitglied des Fußballclubs, der ihr helfen musste, die Beete wieder herzurichten. Wenn sie sich sogar recht erinnerte war er neben zwei weiteren der einzige aus dem Club, der ihr geholfen hatte. Er hatte sich sogar mächtig über seine Kameraden aufgeregt, die nicht erschienen waren. Neben ihm stand das braunhaarige Mädchen, welches das eine Wesen mit einem Judogriff zu Boden gebracht hatte. Sie war sich sicher, sie ebenfalls schon einmal gesehen zu haben. Nur wann? Fukagawa brauchte eine Weile, bis es ihr wieder einfiel. Sie war ihr zusammen mit dem blonden Jungen und einem weiteren Mädchen über den Weg gelaufen und hatte ausversehen eine ihrer Pflanzen umgeschmissen. Damals hatte Fukagawa sie dafür mächtig ausgeschimpft, denn wenn sie etwas nicht leiden konnte, waren es Leute, die ihre Pflanzen beschädigten. Etwas weiter Abseits der Gruppe erkannte sie ein kleines Mädchen mit dunkelblauen langen Haaren, welche versuchte sich irgendwie hinter einer Säule zu verstecken. Sie schien nicht kämpfen zu können. Jedoch sagte ihr das kleine Mädchen nichts. Sie konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern, ein kleines Mädchen zu kennen. Wieder zog ein blaues Licht ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie erkannte nun auch das violetthaarige Mädchen, welches zu der Gruppe gehörte. Mit ernstem Blick und von dem blauen Licht umgeben sah sie auf das riesige Wesen vor sich. Kurz darauf erschien über ihr eine weibliche Person, welche in weißes Leinen gehüllt war und über deren Kopf eine goldene Scheibe schwebte. Die in Weiß gehüllte Person hob den Arm und ein Eisklotz flog auf das riesige Wesen neben Fukagawa zu. Der Angriff traf, doch das Wesen blieb davon unbeeindruckt. Fukagawa brauchte in diesem Moment nur eins und eins zusammenzählen um zu verstehen, dass die Gruppe gegen dieses Wesen kämpfte. Ob es an ihrer derzeitigen Lage schuld war? Doch wenn dem so war, wieso? Sie konnte sich einfach keinen Reim daraus bilden. Ein helles Licht ließ sie aufschrecken, welches sich um das riesige Wesen neben sich legte. Einige Bannzettel stiegen in die Höhe und keinen Moment später ging der Shadow zu Boden. Sogleich nutzte die Gruppe ihre Chance und griff gemeinsam an, doch viel hatte es nicht genutzt. Nachdem sich der Rauch wieder verzogen hatte stand der Shadow wieder genau wie vorher aufrecht vor ihnen. Auch um ihn bildete sich nun ein blaues Licht und im selben Moment erschienen zwei neue Wesen vor ihm. „Tze! Schon wieder!“, schimpfte Masaru, als er die beiden Shadows auftauchen sah. Mittlerweile hatten sie mitbekommen, dass die Hauptfähigkeit dieses Shadows darin bestand immer neue Shadows zu rufen und diese als Schutzschild zu benutzen. Sobald er weitere Shadows rief, war es unmöglich ihn direkt anzugreifen. Jedes Mal gingen die anderen dazwischen. Eine mühselige Arbeit sich jedes Mal dort wieder durch zu kämpfen. Zumal der Shadow sich in dieser Zeit wieder heilen konnte, bis sie die anderen besiegt hatten. „Ah, langsam wird es lästig.“, meinte Akane genervt und außer Puste. Viel Kraft hatten sie alle nicht mehr, weshalb sie den Kampf eigentlich so schnell wie möglich beenden mussten. Doch das war Dank der Fähigkeit des Shadows alles andere als eine leichte Aufgabe. „Change!“, rief Mirâ, „Los Naga!“ Die Persona mit dem menschlichen Körper und dem Unterkörper einer Schlange erschien über Mirâ und hob seine Lanze. Einen Moment später zuckten mehrere Blitze durch den Raum und rissen dabei dir zwei Shadows mit sich. „Harachte!“, rief Masaru und schickte seine Persona vor, welche mit Garu angriff. Der Angriff traf den riesigen weiblichen Shadow genau und ließ ihn etwas zurück torkeln. Die Gruppe ließ ihm auch nicht viel Zeit um durch zu schnaufen, denn gleich darauf folgte der nächste Angriff. Akane und Hiroshi griffen gemeinsam mit ihren Personas an und endlich sackte der Shadow leicht in sich zusammen. Sie schienen nun Erfolg zu haben und waren sich sicher nur noch einen Angriff zu brauchen, doch dann ließ sie etwas zögern. „Sie verstehen mich nicht. Niemand will mich verstehen.“, hörte die Gruppe eine verzerrte Stimme, welche sie aber sehr an die von Fukagawa erinnerte. Auch diese schrak auf, als sie ihre eigene Stimme hörte. „Wieso haben sie das getan? Wieso haben sie mich nicht einmal gefragt, wie ich mich dabei fühle? Sie interessieren sich nicht einmal für meine wahren Gefühle. Ihnen ist vollkommen egal, was mit mir ist. Hauptsache sie sind zufrieden.“, sagte die Stimme weiter. Erstaunt blickte Fukagawa zu dem riesigen Shadow, aus dessen Richtung die Stimme kam, welche ihrer so glich. Sie selbst konnte sich denken worum es ging. Das, was der Shadow von sich gab, kannte sie nur zu gut. Es waren ihre Gedanken. Sie fühlte sich von vielen missverstanden und vor allem von den Menschen, die sie am besten verstehen müssten. Die Gruppe wiederum stand ratlos da und wusste nicht so recht, worum es eigentlich ging. Der Shadow sprach weiter: „Sie entscheiden über meinen Kopf hinweg mir das zu nehmen, was mir wichtig ist. Das kann ich nicht zulassen. Ich werde meine Eltern nicht einfach walten lassen. Dieses Gewächshaus ist mir heilig. Wenn es abgerissen wird, wohin soll ich dann?“ Ein Stich zog sich durch Fukagawas Brust. Sie erinnerte sich wieder. Als sie eines Abends nach Hause kam, sagten ihr ihre Eltern, dass sie dieses alte Gewächshaus, welches einst ihrer Großmutter gehörte, verkaufen wollten. Die Stadt hätte ihren Eltern viel Geld dafür geboten. Doch nicht das war es, was sie am schlimmsten fand, sondern die Tatsache, dass die Stadt es hauptsächlich auf den Grund und Boden abgesehen hatte, auf welchem dieses Gewächshaus stand. Sprich: Sie wollte es letzten Endes nur abreißen. Das wollte sie nicht zulassen und hatte mit ihren Eltern gestritten. „Sie wissen gar nicht, was sie mir damit antun. Es ist ihnen aber wahrscheinlich eh egal. Ich bin nicht wie sie es gerne hätten. Deshalb ist es ihnen auch egal, wenn ich verschwinde. Sollen sie doch verrecken. Das stört mich nicht.“ Erschrocken blickte die Gruppe zu dem Shadow hinauf. Hatte er wirklich gesagt, dass Fukagawas Eltern sterben sollten? „NEIN! DAS STIMMT NICHT!“, hörten sie plötzlich jemanden schreien. Als sie aufblickten erkannten sie Fukagawa, welche wieder zu Bewusstsein gekommen war. Tränen liefen ihre Augen hinunter: „Sicher gibt es derzeit vieles, über das ich mich bei meinen Eltern aufrege. Und sicher verstehen sie mich nicht, aber ich würde Ihnen niemals den Tod wünschen! NIEMALS! Wer bist du? Wieso nimmst du dir heraus mit meiner Stimme so etwas zu sagen?“ Langsam drehte sich der Kopf des Shadows zu Fukagawa: „Ich bin du und du bist ich. Wir sind ein und dieselbe Person. Deine Gedanken sind auch meine Gedanken.“ „Nein niemals! Nie im Leben!“, rief das schwarzhaarige Mädchen und holte tief Luft. Masaru wusste, was folgte und wollte die junge Frau zurück halten: „Fukagawa, sag es nicht!“ Doch da war es bereits zu spät: „DU BIST NIEMALS ICH!“ Kapitel 19: XIX - Die Fähigkeit der Wild Card --------------------------------------------- Dienstag, 16.Juni 2015 - Im Dungeon Langsam drehte sich der Kopf des Shadows zu Fukagawa: „Ich bin du und du bist ich. Wir sind ein und dieselbe Person. Deine Gedanken sind auch meine Gedanken.“ „Nein niemals! Nie im Leben!“, rief das schwarzhaarige Mädchen und holte tief Luft. Masaru wusste, was folgte und wollte die junge Frau zurück halten: „Fukagawa, sag es nicht!“ Doch da war es bereits zu spät: „DU BIST NIEMALS ICH!“ Ein immer lauter werdendes Lachen durchzog nun den Raum. Ein schauderhaftes und grauenhaftes Lachen, welches eindeutig dem Shadow zuzuordnen war. „Du hast Recht! Nun bin ich Ich. Ich brauche dich nicht mehr!“, schallte es laut heraus, während der Shadow sich aufrichtete und immer größer wurde. Wieder bildete sich um das riesige Wesen das bläuliche Licht. Erschrocken machte sich die Gruppe für einen Angriff bereit, sodass sie nicht einmal merkten, wie sich unter ihnen eine schwarze Fläche ausbreitete. Fukagawa jedoch fiel es auf und sie rief der Gruppe eine Warnung zu, doch da war es bereits zu spät. Der Boden unter ihnen leuchtete schwarz-violett auf und hüllte die Gruppe vollständig ein. Einen Augenblick und erschütternden Schrei später lichtete sich alles wieder und gab den Blick auf Mirâ und die anderen frei, welche KO am Boden lagen. Sie hörte Mika nach ihren Freunden rufen und sah, wie sie auf Mirâ zuging und diese stützte. Schockiert blickte Fukagawa zu der schwer verletzten Gruppe. Was geschah hier nur? War das wirklich alles wegen ihr? Aber das wollte sie doch gar nicht. Wie konnte ein Gedanke nur solche Auswirkungen haben? Tränen stiegen ihr in die Augen und obwohl sie versuchte sie zurück zu halten, gelang es ihr nicht. Langsam bahnten sie sich ihren Weg über ihre Wangen. Sie wollte dass es aufhörte. Doch was konnte sie tun? Wie konnte sie dafür sorgen, dass dieser Albtraum ein Ende hatte? „Verdammt!“, rief sie laut heraus. Ein lautes Lachen ließ sie aufblicken. Es war der Shadow, welcher zu ihr aufblickte. Wütend sah sie ihn an. Nein. Es war nicht ihre Schud, redete sie sich ein. Er war schuld, dass das hier passierte. Er hatte sie hier her gebracht und hielt sie gefangen. Er griff die Vier an, die extra gekommen waren um sie zu retten. Er war der Ursprung allen Übels. Dieser Shadow war an allem Schuld. Das Lachen des Shadows wurde lauter: „Ja genau diesen Blick mag ich. Hasse mich. Verabscheue mich. Rede dir weiter ein, es sei nicht deine Schuld. Rede dir weiter ein, ich sei nicht du und ich kann wirklich ich selber werden.“ Fukagawa schrak auf. Was sagte das Wesen da? Schnell schüttelte sie den Kopf. Nein. Er wollte ihr nur irgendetwas einreden. Sie durfte nicht darauf hereinfallen. Es war nicht ihre Schuld. Sie wollte es einfach nicht wahr haben. Auch wenn es kindisch war, das wusste sie selbst. „Fukagawa!“, hörte sie plötzlich und sah In Richtung der Gruppe, wo sie mit ansah, wie Masaru langsam wieder aufstand und zu ihr aufblickte, „Hör zu. Ich weiß, dass es dir schwer fällt, aber hör auf ihn zu leugnen. Je länger du die Wahrheit leugnest, desto stärker wird er.“ „Was weißt du schon?“, rief die schwarzhaarige dem jungen Mann zu, „Rede nicht so, als wüsstest du wie es mir geht!“ Der Angesprochene jedoch, sah sie weiterhin ernst an: „Ich weiß genau, wie du dich gerade fühlst. Mir ging es vor einem Monat nicht anders. Und Mirâ, Hiroshi und Akane ging es sicher auch nicht anders.“ Erstaunt sah die junge Frau zu der Gruppe hinunter. Was sagte er da? Sie alle hatten dies ebenfalls durch gemacht? Hieß das, sie brauchte sich ihrer Gedanken nicht schämen. Ob diese vier sie verstehen würden? Oder würden sie sie verurteilen? Fukagawa war hin und her gerissen, doch ein Blick zu der Gruppe reichte, um das Gefühl zu bekommen ihnen vertrauen zu können. „Wir verurteilen dich nicht für deine Gedanken.“, sagte nun Akane, „Jeder Mensch hat dunkle Gedanken. Niemand kann von sich behaupten er hätte noch nie daran gedacht jemanden zu töten, wenn auch nur gedanklich. Wir Menschen sind so beschaffen. Du brauchst dich dessen also nicht schämen.“ „Da gebe ich Akane recht.“, Hiroshi setzte sich auf und stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab. Er sah von allen am meisten ramponiert aus, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass seine Persona das Element Licht hatte und er demnach besonders stark von dem Mudo-Angriff des Shadows betroffen war. Doch trotzdem sah er mit ernstem und festem Blick zu der jungen Frau hinauf: „Jemanden deshalb zu verurteilen, wäre pure Ironie. Wenn wir dich verurteilen würden, wären wir wohl auch kaum hier.“ „Das war überflüssig.“, bemerkte Akane mit einem Seitenblick zu Hiroshi, doch Fukagawa lächelte nur leicht darauf. Auch Mirâ schien wieder etwas bei Kräften zu sein: „Siehst du? Niemand verurteilt dich. Wir alle wissen, wie du dich fühlst. Deshalb...“ „SCHWEIGT!“, rief plötzlich der weibliche Shadow und holte mit der Schlangenpeitsche aus, welche auf die Gruppe hinab sauste. Die Angegriffenen versuchten auszuweichen, doch bei dem Versuch Mika ebenfalls mitzuziehen schaffte es Mirâ nicht weit genug weg, sodass die Peitsche sie streifte. Mit einem Aufschrei landeten die beiden Mädchen etwas weiter weg auf dem Boden. „Mirâ! Mika! Alles in Ordnung?“, rief Masaru besorgt. „Ah.“, kam es nur knapp von der Violetthaarigen, „Da will anscheinend jemand verhindern, dass wir zu viel erzählen.“ Vorsichtig stand sie wieder auf, als sie plötzlich das grinsende Gesicht von Igor vor sich sah. Es war nur kurz und erst dachte sie, dass sie es sich nur eingebildet hatte. Doch kurz darauf, vernahm sie gedämpft seine ihr bekannte Stimme: 'Mir scheint, du könntest etwas Hilfe gebrauchen.' Danach leuchtete, unbemerkt von den anderen, ihr Handydisplay auf. Währenddessen bereitete sich der Shadow auf einen erneuten Angriff vor. Dieses Mal wollte er den Kampf endgültig beenden und die Gruppe, sowie sein menschliches Ich ein für alle male beseitigen. Das blaue Licht formte sich um den weiblichen Körper und man konnte erahnen was folgen sollte, denn das blaue Licht war wesentlich intensiver als die Male davor. Die Gruppe wusste was sie erwarten würde, wenn Fukagawa nicht einlenkte. Allerdings blieb auch die Frage, ob es denn überhaupt noch etwas brachte, wenn die Schwarzhaarige sich alles eingestand. Der Shadow schien bereits seine volle Kraft erlangt zu haben. Das blaue Licht verschwand und die Gruppe machte sich bereits auf den Angriff gefasst, welcher wohl wieder von unten in Form des Mudo-Zaubers folgen würde. Doch plötzlich... „SCHLUSS DAMIT! Ihr habt Recht!“, rief die Gefangene plötzlich, was selbst den Shadow aufschrecken ließ, weshalb die Gruppe die Chance hatte auszuweichen. Erstaunt blickten alle zu der jungen Frau hinauf, welche den Blick gesenkt hatte. Tränen liefen ihre Wangen hinunter und tropften zu Boden. „Ja, ich gebe es zu. Du hast recht mit dem was du sagtest. Diese Gedanken. Ich hatte sie, aber doch nur weil ich sauer war. Nie im Leben meinte ich das ernst. Sie sind doch meine Eltern und ich weiß, dass sie mich lieben, auch wenn sie es mir auf eine merkwürdige Art zeigen. Deshalb... Deshalb... Bitte hör auf. Verletze die fünf nicht noch mehr. Bitte.“ „Nein! Das stimmt nicht! Du hasst sie aus tiefsten Herzen.“, rief der Shadow und wollte damit anscheinend Fukagawas Gedanken kontrollieren. Allerdings ging diese nicht darauf ein und lächelte den Shadow mit Tränen in den Augen an: „Nein. Ich hasse sie nicht. Wie könnte ich? Und du weißt es!“ „Nein!“, rief das riesige Wesen und schrumpfte langsam in sich zusammen. Im selben Moment erstrahlte ein helles Licht inmitten der Gruppe. Alle drehten sich erstaunt zu Mirâ um, welche ihr Handy in der Hand hielt, dessen Display hell erleuchtet war. Einen Augenblick später erschienen vor ihr zwei nebeneinander schwebende Karten. Bei genauerer Betrachtung erkannte man auch, dass es sich dabei um die Karten der Personas Ose und Loa handelte, die Mirâ während ihres Aufenthaltes in dem Dungeon erhalten hatte. Plötzlich wurden beide Karten von Lichtfäden verbunden und hinter ihnen bildete sich ein merkwürdiges Gebilde. Kurz darauf leuchteten sie hell auf, sodass sich alle die Augen zuhalten mussten, um nicht geblendet zu werden. „Narashima!“, rief die violetthaarige junge Frau. Das Licht wurde stärker und einen Augenblick später erschien aus eben diesem eine männliche Persona mit gebräunter Haut und dem Kopf eines Löwen. Auf seinem Kopf trug er eine Art roten Helm, während um seinen Hals ein grünes Tuch mit weißem Muster hing. Ebenfalls um seinen Hals baumelte eine Lederkette mit goldenen Talern als Anhänger. Um seine Hüfte trug er einen Lendenschurz in derselben Farbe wie sein Halstuch. Auch um seine rechte Wade war ein Tuch in derselben Farbe gebunden, während um sein linkes Fußgelenk nur mehrere rote Bänder hingen. Seinen linken Arm zierte ein roter Unterarmschutz. In seiner rechten Hand hielt er ein langes Schwert und um das Handgelenk dieser Hand baumelten die gleichen roten Bänder wie um sein Fußgelenk. „Narashima! Angriff mit Hamaon!“, rief Mirâ erneut, was die Persona veranlasste nach oben zu springen und den Arm mit dem Schwert zu heben. Um den Shadow bildete sich eine breite hell leuchtende Fläche, von welcher mehrere Bannzettel hinaufstiegen. Erschrocken blickte sich der Shadow um, doch einen Ausweg für ihn gab es nicht mehr. Die Fläche unter dem Wesen leuchtete in gleißendem Licht auf und der Shadow schrie so laut und grässlich auf, dass es einem durch Mark und Bein ging. Kurz darauf bildete sich schwarzer Nebel um das Wesen, welches immer weiter zusammenschrumpfte, und verbreitete sich in alle Richtungen. Auch die Fläche, an welche Fukagawa gefesselt war löste sich auf und sie fiel sanft zu Boden. Schnell war die ganze Gruppe an ihrer Seite, doch sie hatte in diesem Moment nur eines im Sinn: Ihren Shadow. Vorsichtig und mit wackeligen Beinen stand sie auf und ging auf diesen zu. Das Wesen war mittlerweile wieder zu einem kleinen Schatten geworden, welcher aber die Silhouette von Fukagawa besaß. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht wahrhaben. Ich wusste irgendwie, dass du recht hast und dass du schon immer in mir warst, aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Ich wollte nicht einsehen, dass ich solche Gedanken hatte. Aber... Du bist ich und ich bin du. Wir sind eine Person.“, sagte die junge Frau ruhig, aber sichtlich geschwächt. Der schwarze Schatten nickte und stieg langsam nach oben, wo er sich erst in blaues Licht verwandelte und dann die Form einer Frau annahm. Eigentlich sah diese sogar dem Shadow von eben sehr ähnlich. Ihre langen schwarzen Haare fielen ihr leicht ins Gesicht, welches von einer Maske verdeckt war. Ihr gut gebauter Körper war von weißen Leinen umgeben, welche allerdings vorne rum nur ihre Brüste verdeckten und dann an ihrem Bund an der Hüfte zusammen liefen. Der weiße Rock, welcher von einem goldenen Gürtel gehalten wurde, hatte an der Seite einen tiefen Ausschnitt, doch zeigte nicht mehr als nötig. Auch ihre Arme waren von weißen Leinen umgeben, welche locker um diese schwangen. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Peitsche, dessen Schaft einer Schlange ähnelte, da das Ende sehr an einen Schlangenkopf erinnerte. Zu ihren Füßen lag ein weißer Löwe, welcher aufmerksam zu Fukagawa blickte. Auch die Persona an sich blickte noch einmal zu der jungen Frau, ehe sie sich in sanften blauem Licht auflöste und auf Fukagawa herab sank. Vorsichtig fing diese eine Karte auf, welche ebenfalls zu Boden sank, sich jedoch auflöste, als sie ihre Hand berührte. Nun schien die Anspannung und das Adrenalin aus der jungen Frau zu weichen, denn plötzlich brach sie unvermittelt zusammen. Schnell waren die anderen zur Stelle und halfen ihr wieder auf. „Wir sollten von hier verschwinden.“, meinte Masaru, während er die junge Frau vorsichtig stützte, „Geht es, Fukagawa?“ Die schwarzhaarige nickte kurz schwach, woraufhin sich die Gruppe langsam auf den Rückweg machte. Sie brauchten etwas länger zurück zum Ausgang, da Fukagawa ziemlich geschwächt und der Weg dieses Mal etwas länger war, doch nach einer Weile hatten sie es geschafft. Erschöpft setzten sich die fünf kurz auf eine Bank, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. „Ich begleite Fukagawa nach Hause.“, meinte Masaru, „Alleine wird sie es nicht schaffen.“ „Am besten ich begleite dich. Zu zweit ist es einfacher. Außerdem werden ihre Eltern sicher stutzig, wenn nur du, als Mann, vor ihrer Haustür stehst.“, erklärte Akane. Masaru wollte zwar erst protestieren und meinte, dass sie ja danach alleine nach Hause müsste und es viel zu gefährlich wäre, doch Akane ließ sich nicht umstimmen und so machten sich die Beiden mit Fukagawa im Schlepptau auf den Weg. Hiroshi unterdessen bot Mirâ an, sie nach Hause zu begleiten, damit sie nicht so alleine wäre, zumal sie seiner Meinung nach ebenfalls so aussah als würde sie bald umfallen. Auch die junge Frau wollte erst protestieren, doch sie fühlte sich wirklich etwas merkwürdig und schwach. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass sie jemand begleitete. So machten sich auch die Beiden auf den Weg. Auf diesem jedoch schwiegen sich beide eine Zeit lang einfach nur an. Jeder schien seinen Gedanken nach zu hängen. Aus dem Augenwinkel heraus schielte Mirâ zu ihrem Kumpel, welcher aus dem Fenster der U-Bahn blickte. Ob er immer noch sauer war? Er hatte sich die letzten Tage zwar wieder normal verhalten, doch trotzdem machte sie sich immer noch Sorgen. Immerhin hatte sich Hiroshi wirklich merkwürdig verhalten, bevor sie Fukagawa zur Rettung geeilt waren. Während sie in dem Dungeon war konnte sie sich darüber keine Gedanken machen, immerhin gab es da Wichtigeres. Doch nun kam sie um diese Gedanken nicht drum herum. Irgendwie hatte sie ja auch das Gefühl, sie wäre schuld an Hiroshis Laune. Vielleicht sollte sie sich entschuldigen. „Entschuldige!“, sagte sie plötzlich, während Hiroshi zur selben Zeit „sorry“ sagte. Erstaunt blickten sich beide an und fingen plötzlich an zu lachen. „Warum entschuldigst du dich denn bei mir?“, fragte Hiroshi, nachdem er sich beruhigt hatte. Mirâ zuckte mit den Schultern: „Du warst vor einiger Zeit so merkwürdig drauf. Ich hatte das Gefühl, dass es wegen mir war.“ Fragend blickte sie der Blonde an: „Nein. Es war nicht deine Schuld. Nicht direkt jedenfalls. Ich war nur etwas genervt, weil du so davon geschwärmt hast, dass du die Nummer von Shin bekommen hast.“ Auch die junge Frau blickte nun fragend hinauf zu dem jungen Mann, welcher seinen Blick wieder Richtung Fenster gerichtet hatte. Trotzdem hatte Mirâ das Gefühl einen leichten roten Schimmer auf seinen Wangen zu bemerken. Sie grinste leicht: „Eifersüchtig?“ Erst erstaunt, dann leicht beleidigt sah der Blonde zu Mirâ: „Vielleicht ein wenig.“ Diese lachte nur leicht: „War nur Spaß. Aber keine Sorge. Du bist und bleibst mein bester Kumpel.“ Vorsichtig schlug sie Hiroshi auf die Schulter, als Beweis dass sie es ernst meinte. Dieser lächelte zwar, doch spürte auch einen kleinen Stich in seiner Brust, weil Mirâ das alles anscheinend falsch verstand. Andererseits war er auch ganz froh, dass Mirâ diese Anspielung nicht zu verstehen schien. Es würde eh nur kompliziert werden. Gedanklich schüttelte Hiroshi den Kopf. Es war gut so wie es war. Mit einem breiten Lächelnd sah er seine Freundin nun an und grinste dann: „Na dann bin ich ja beruhigt.“ Ein Geräusch ertönte aus Mirâs Tasche, was sie veranlasste ihr Handy hervor zu holen. Auf dem Display erkannte sie bereits, woher das Geräusch kam. Auf dem Zeichen der App war wieder das kleine Ausrufezeichen zu erkennen. Anscheinend hatte sie den Social Link weiter gefüllt. Etwas anderes konnte sie sich nicht vorstellen. „Alles in Ordnung?“, fragte Hiroshi erstaunt. Schnell packte sie ihr Handy wieder weg und lächelte: „Ja alles in Ordnung. Das war nur ein Alarm. Aber das hat sich erledigt.“ Fragend blickte der Blonde sie an, doch meinte nur, dass es dann ja gut sei. Wenn es etwas gab, was Mirâ ihm nicht sagen wollte, dann war er zwar beunruhigt, aber anscheinend war es dieses Mal wirklich nicht wichtig, sodass er es dabei beließ. Nachdem Mirâ sicher zu Hause angekommen war und sich von Hiroshi verabschiedet hatte, wollte sie nur noch Baden und in ihr Bett. Als sie ihr Zimmer betreten hatte, wollte sie sich fertig fürs Bad machen, aber als sie ihr Handy zur Seite legen wollte stoppte sie. Sie erinnerte sich daran, dass auf der Persona-App das kleine Ausrufezeichen war, was ihr sagen wollte, dass sich etwas getan hatte. Eigentlich ging sie davon aus, dass es Hiroshis Social Link war, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass da mehr war. Deshalb endsperrte sie das Display und tippte auf das kleine viereckige Zeichen mit dem blauen Schmetterling. Die App öffnete sich, doch brauchte sie einige Sekunden bis sich ein Bild zeigte. Erstaunt sah Mirâ auf ihren Display, denn dieser zeigte nicht wie gewohnt das Menü an, sondern einen blauen Hintergrund mit einem zarten weißen Schmetterling darauf, unter welchem sich ein Ladebalken befand. Dieser füllte sich nach und nach, was allerdings einige Minuten dauerte. Was hatte das zu bedeuten? „Ein Update?“, fragte sie sich. Nachdem der Balken vollständig geladen war öffnete sich sich das von ihr bekannte Menü, doch es sah etwas anders aus. Unter dem Button für „Items“ hatten sich zwei neue gesetzt. Auf dem einen Button stand „Fusion“. Jedoch war dieser grau unterlegt, was wohl bedeutete, dass sie diese Funktion nur in der Spiegelwelt nutzen konnte. Ob die Fähigkeit, welche sie in der Spiegelwelt eingesetzt hatte, diese Fusion war? In dem Moment, als sie die Fähigkeit genutzt hatte, wusste sie eigentlich nicht wirklich was sie tat. Sie hatte Igors Stimme gehört und kurz darauf hatte ihr Handy geleuchtet. Als sie drauf geschaut hatte, sah sie nur eine Persona, welche ihr angezeigt wurde, darunter waren zwei Balken, in welchen die Namen zweier anderen Personas standen, welche sie kurz zuvor erhalten hatte. Und oben rechts in der Ecke stand nur ein Button mit einem Häkchen, den sie aus Reflex einfach gedrückt hatte. Daraufhin war Narashima erschienen. Nun wo sie so darüber nachdachte kam es einer Fusion schon sehr nahe. Um dies nachzuprüfen berührte sie den Button „Personas“ und wurde in ihrer Vermutung bestätigt. Die zwei Personas, welche sie genutzt hat, um Narashima zu rufen, waren weg. Das bedeutete sie war nun in der Lage aus zwei vorhandenen Personas eine neue zu erschaffen. Sie hatte bereits in ihrem Buch darüber gelesen, dass es wohl eine Fähigkeit der Wild Card war. Damit hatte sie diese wohl nun auch erlangt. Es wunderte sie nur, dass Igor sie dieses Mal dafür nicht in den Velvet Room gerufen hatte, sondern es auf diese Weise geschah. Seufzend berührte Mirâ die „Zurück“-Taste und schaute erstaunt auf den zweiten dazu gekommenen Button im Menü. Dieser war blau unterlegt und darauf stand „Velvet Room“. „Was hat das denn zu bedeuten?“, nuschelte sie, doch berührte vorsichtig den Button. Kurz darauf wurde sie von einem weißen Licht umgeben, was sie dazu brachte die Augen zu schließen. Als ich meine Augen wieder öffne blicke ich in das grinsende Gesicht der Langnase Igor. Fragend sehe ich ihn erst an, ehe ich mich umschaue. Ich bin wirklich im Velvet Room gelandet. Schlafe ich schon wieder oder...? „Wir haben dich bereits erwartet.“, spricht Igor in seinem üblichen Ton, „Anscheinend hast du die neue Funktion der App bereits bemerkt.“ Ich nicke. „Die Katastrophe, die deinen Weg begleitet... Sie scheint nun Menschenleben zu fordern, um an dein Schicksal zu gelangen. Doch du brauchst dich nicht fürchten. Du hast bereits die Kraft, um gegen sie zu kämpfen. Es scheint nun ist die Zeit gekommen, die Kraft deiner Persona zu nutzen...“, Igor kichert, was mir einen Schauer über den Rücken jagt, „Deshalb haben wir deine App etwas verbessert.“ „Wie du bereits herausgefunden hast, ist die Fähigkeit deiner Persona, die der Wild Card. Wenn du die Kraft deiner Social Links stärkst, werden sie dir helfen jedes Problem zu lösen. Unsere Rolle ist dazu da, dies zu erleichtern.“, spricht Margaret in ihrer üblichen ruhigen Stimme. Igors Grinsen wird wieder breiter: „Mein Beitrag dazu ist, dass ich Personas neues Leben schenken kann. Ich kann ihnen eine neue Form geben, in dem ich verschiedene Personas zusammen mische. In anderen Worten: Die Fusion von Personas.“ Also hatte ich mit meiner Vermutung mit der Fusion sogar Recht. Igor musste mir in diesem Moment seine Fähigkeit geliehen haben, als ich die Persona im Dungeon gerufen habe. „Die Persona-App... Sie wird dir in den Dungeons meine Fähigkeit leihen, wenn du sie brauchst. Du kannst aber auch außerhalb der Dungeons zu mir kommen, indem du die Option „Velvet Room“ benutzt. Dann fusioniere ich die Personas vor Ort.“, erklärt er mir, „Du besitzt die Fähigkeit mehrere Personas zu nutzen und zu beschwören. Auf deinem Weg werden dir immer wieder neue Personas begegnen. Zier dich nicht sie uns vorbei zu bringen. Wenn du deine Social Links weiterentwickelst, werden deine Personas mehr Kraft erhalten. Das solltest du dir zu Herzen nehmen...“ Ich nicke erneut. Dieses Mal verstehe ich wenigstens was Igor mir erzählt. Ich kann in den Dungeons neue Personas finden und diese auch als Material für eine Person benutzen, die mir Igor fusionieren kann. Aber warum soll ich diese Personas hier her bringen? Sammeln sie sie etwa? Aber was wollen sie damit? Haben sie dann nicht von den vorherigen Wild Cards genug gesammelt? Margaret ergreift das Wort und hebt das blaue Buch an, welches immer auf ihrem Schoß liegt: „Wie du bereits weißt ist dies das Persona Compendium. In diesem kannst du deine neu erhaltenen und erweiterten Personas registrieren. Dies erlaubt dir sie jederzeit zurück zu holen, selbst wenn du sie als Material für eine neue Persona nutzt. Komm einfach her, wenn du dies in Anspruch nehmen möchtest.“ Ach so ist das. Eigentlich ganz praktisch, wenn man das so bedenkt. Aber bestimmt hat das ganze irgendwo einen Haken. Oder bin ich einfach nur zu misstrauisch? Aber wer will es mir verübeln. Das ist das erste Mal, dass mir die Beiden einen Tipp geben, den ich auch sofort verstehe. Da muss es also irgendwo einen Haken geben. Außerdem hätten die Beiden mir das ruhig mal eher sagen können. Die zwei Personas, die ich für Narashima geopfert habe, sind nun weg. Ohne dass ich sie vorher registriert habe. Ein leichtes Seufzen entweicht mir, ehe mich Igors Kichern wieder aufblicken lässt. „Erinnerst du dich noch an meine Worte am Anfang?“, fragt er mit seinem typischen Grinsen, „‘Das kommende Jahr ist ein Wendepunkt in deinem Schicksal. Wenn das Rätsel ungelöst bleibt, geht deine Zukunft verloren.‘ Ich meinte genau was ich sagte. Im Kampf besiegt zu werden ist nicht der einzige Weg, dass deine Reise vorzeitig ein Ende nimmt. Bitte vergiss das nicht. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, kommst du aus eigenem Willen hier her. Bis dahin. Lebewohl.“ Als Mirâ ihre Augen wieder öffnete befand sie sich in ihrem Zimmer. Alles schien wie immer. Sie rief sich Igors Worte in Erinnerung, dass ihre Reise auch anders als durch die Niederlage in einem Kampf vorzeitig beendet werden konnte. Sie war sich zwar nicht sicher, aber meinte zu wissen was er ihr damit sagen wollte. Ihr Blick schweife zum Fenster, wo sie den dunklen Himmel betrachtete. Wenn sie es nicht schafften die in den Spiegel gezogenen Leute bis zum nächsten Neumond zu retten, würde wohl etwas passieren, was ihre Reise beendete. Sie wusste nicht, was es war, aber wenn Igor sie davor warnte konnte es nichts Gutes sein. Hoffentlich gelang es ihnen das Rätsel dieser mysteriösen Umstände zu lösen. Mittwoch, 17.Juni 2015 Die Schulglocke läutete das Ende des Unterrichts ein, woraufhin sich alle Schüler auf den Heimweg machten, sofern sie keine Klubaktivitäten hatten. Mirâ und ihre beiden Freunde und Klassenkameraden machten sich deshalb gemeinsam auf den Weg zum Klubgebäude. Dabei mussten sie am Gang des ersten Jahres vorbei. Ein lautes Geräusch, welches sich anhörte wie ein umfallender Tisch, ließ sie jedoch stoppen und ihre Aufmerksamkeit zu den Räumen des ersten Jahres richten. „Bitte gib es mir zurück.“, rief ein, für Ihr Alter, recht kleines Mädchen, während sie hinter einem Jungen her rannte. Dieser grinste nur und rannte vor dem Mädchen weg. In seiner Hand hielt er einen Block, auf welchem man einige leichte Skizzen erkennen konnte. Die anderen Schüler um sie herum lachten nur, doch halfen ihr nicht. Bei der Verfolgung hatte der Junge bereits einige Tische und Stühle umgeworfen, aber die Lehrer schienen alle zu weit weg oder beschäftigt, um diesen Krach überhaupt mitzubekommen. Das junge Mädchen hatte den Jungen und somit ihren Block fast erreicht, als dieser den wieder wegzog, lachte und weiter floh. Langsam stiegen ihr Tränen in die Augen. Wieso taten ihre Mitschüler das immer? Wieso half ihr keiner? Warum musste ihr das passieren? „Hey lasst Yoshiko ist Ruhe!“, rief plötzlich eine kindlich wirkende Stimme. Das kollektive Lachen verebbte und alle Blicke richteten sich auf die vordere Tür des Klassenraumes. Dort stand ein kleiner Junge mit rotbraunem Haar und Sommersprossen im Gesicht, was ihn noch niedlicher wirken ließ. Unter seiner Uniformjacke, welche er offen und an den Ärmeln nach oben gekrempelt hatte, trug er ein blaues Kaputzenshirt mit gelben Blitzen drauf. Der Junge mit dem Block in der Hand grinste nur: „Sonst was Abarai? Wirst du uns dann bestrafen?“ Er versuchte nicht einmal die Ironie in seiner Stimme zu verbergen, doch genau das zeigte Wirkung, denn der kleine Junge holte plötzlich aus und ging auf sein Gegenüber los, wurde allerdings vorher von zwei anderen Jungen, welche gut einen Kopf größer waren als er, gestoppt und zu Boden gebracht. „Abarai-Kun!“, rief Yoshiko entsetzt. Der Junge mit dem Block in der Hand lachte: „Und was nun Schwächling?“ Abarai versuchte aufzustehen, doch wurde wieder zu Boden gedrückt. Keiner half, alle standen nur teilnahmslos daneben. Einige lachten sogar. Verzweifelt versuchte Yoshiko die Sache zu schlichten und bat darum, das Abarai in Ruhe gelassen und ihr der Block zurückgegeben wurde, doch nichts half. Der eine Junge hatte sogar die Idee, den Block im Pool der Schule zu versenken und war bereits im Begriff den Raum durch die hintere Tür zu verlassen, als er plötzlich gegen ein Hindernis stieß. Erschrocken drehte er sich um und blickte in zwei wütend aussehende dunkelblaue Augen, welche zu einem größeren blonden jungen Mann gehörten. Kurz darauf wurde ihm der Block aus der Hand gerissen. „Das ist aber nicht gerade die feine englische Art.“, meinte Hiroshi sauer. Sein Blick fixierte den Jungen vor sich, welcher mindestens einen halben Kopf kleiner war. Dieser sah ihn immer noch geschockt an, doch fand kurz darauf bereits seine Sprache wieder: „Was willst du denn? Wieso mischst du dich ein?“ Ein vernichtender Blick traf ihn, woraufhin er zusammen zuckte: „Hä? Wie war das? Ich hab dich gerade schlecht verstanden.“ „Ähm... A-ach nichts. Lasst uns gehen.“, meinte der Junge nun kleinlaut und verließ, mit den anderen Schülern, den Raum durch die andere Tür. Zurück blieben Yoshiko, Abarai und Hiroshi, zu welchen sich allerdings noch Mirâ und Akane gesellten, die ihrem Kumpel gefolgt waren. Mit einem verächtlichen Schnauben blickte der Blonde den Schülern nach: „Feiglinge. Solange sie in Gruppen sind fühlen sie sich stark. So was unverschämtes.“ Langsam ging er auf das Mädchen mit den hellbraunen Haaren zu und reichte ihr den Block: „Hier. Und lass ihn dir nicht wieder klauen. Du solltest versuchen dich mehr gegen solche Typen zu wehren, sonst hören sie nie damit auf.“ Leicht erschrocken nahm die Kleine den Block entgegen und drückte ihn an ihre Brust: „D-Danke. I-ich versuche mich... Ja zu wehren, a-aber d-das ist verdammt sch-schwer.“ Hiroshi seufzte nur und ging dann auf den Jungen mit rotbraunem Haar zu, während die beiden Mädchen zu Yoshiko gingen und versuchten sie etwas zu beruhigen, indem sie ihr aufmunternde Worte zusprachen. „Hey Kleiner. Alles in Ordnung?“, fragte der Blonde den am Boden liegenden Jungen, welcher sofort zusammenzuckte. „Nenn mich nicht Kleiner!“, schrie er Hiroshi an. Anscheinend war dies sein Schwachpunkt, mit dem man ihn schnell auf die Palme bringen konnte. „Ok, dann eben Ochibi. Du solltest dich nicht mit Leuten anlegen gegen die du keine Chance hast, nur um den starken heraushängen zu lassen. Du siehst ja wozu das führt.“, erklärte Hiroshi und bot dem Jungen seine Hand an, um ihm aufzuhelfen. Doch dieser schlug die Hand nur weg und stand von alleine auf, ehe er den Blonden anschrie und meinte, dass er auf solche Art von Hilfe verzichten konnte. Daraufhin verließ er wütend und fluchtartig den Raum. Die drei älteren Schüler und Yoshiko sahen ihm nach. Dieses Thema schien bei ihm ein rotes Tuch zu sein, welches man besser nicht ansprach. Auch Yoshiko erhob sich nach einiger Zeit und verabschiedete sich von der Gruppe, nachdem sie dieser mehrmals gedankt hatte. „Ob die Beiden gemobbt werden?“, fragte Mirâ besorgt, als die Kleine gegangen war. „Es sah danach aus.“, meinte Akane, „Schrecklich.“ „Aber so lange, wie sie nichts dagegen tun wird sich daran nichts ändern.“, meinte der Blonde, während er ein Blatt vom Boden aufhob, welches vor seinem Füßen lag, „In der Gruppe fühlen sich alle stark. Entweder die Beiden wehren sich oder melden das. Es bringt aber auch nichts, wenn wir uns da einmischen. Am Ende ist es gar nicht so schlimm und die Klasse hat sich wirklich nur einen extrem bösen Scherz erlaubt.“ Während er sprach blickte er auf das Blatt in seiner Hand, was die beiden Mädchen neugierig machte und sie veranlasste über seine Schulter hinweg ebenfalls auf das Blatt zu blicken. Was sie zu sehen bekamen verschlug ihnen fast die Sprache. Auf dem Blatt war eine Mangaskizze von einem Mädchen in Schuluniform. Sie hatte lange Haare, welche an einigen Stellen geflochten waren. An ihrer Seite hatte sie eine kleine Fledermaus, deren Stirn ein kleiner Edelstein schmückte, und in ihrer einen Hand hielt sie einen Stab mit rautenförmiger Spitze. Die Skizze sah wirklich professionell aus, als wäre sie von einem Profi gezeichnet wurden. Doch keinem der drei war ein Manga bekannt, in dem ein solches Mädchen auftauchte. Erstaunt sah Mirâ in die Richtung, in welche Yoshiko verschwunden war. Hatte diese Kleine etwa die Skizze gezeichnet? Das würde jedenfalls erklären weshalb sie ihren Block unbedingt zurück haben wollte. Die Violetthaarige entschloss sich die Skizze vorerst mitzunehmen und sie bei Gelegenheit der Kleinen zurück zu geben. So nahm sie Hiroshi das Blatt aus der Hand und legte es in eines ihrer Hefte, damit es nicht kaputt ging. Danach mussten sich die drei Freunde allerdings beeilen denn sonst wären sie zu spät zu ihren Klubs gekommen. Kapitel 20: XX - Freunde sind wichtig ------------------------------------- Donnerstag, 18.Juni 2015 Alleine schlenderte Mirâ den Weg am Fluss entlang. Die Schule war aus, doch keiner ihrer Freunde hatte heute die Zeit mit ihr gemeinsam nach Hause zu gehen, sodass sie notgedrungen alleine gehen musste. Diese Gelegenheit nahm sie zur Chance den Schulweg mal zu Fuß zu gehen. Sie hatte Zeit und wollte ohnehin einmal testen, wie weit der Weg zu Fuß wäre. So konnte sie auch die Gelegenheit nutzen und sich in Ruhe den Fluss anschauen, welcher durch die Stadt floss. Über ihre Kopfhörer drang leise Musik an ihre Ohren. In den letzten Jahren hatte sie sich angewöhnt Musik zu hören, wenn sie alleine unterwegs war. Da sie in ihren letzten Schulen versucht hatte allen aus dem Weg zu gehen, war das die letzten Jahre keine Seltenheit gewesen. Doch nun hatte sie Freunde gefunden und irgendwie kam es ihr nun seltsam vor, alleine nach Hause zu gehen. In diesem Moment fühlte sie sich doch etwas einsam. Es war erstaunlich wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte wieder Freunde zu haben. Es würde ihr sicher schwer fallen wieder Abschied nehmen zu müssen. Etwas wehmütig blieb sie stehen und sah auf den Fluss hinunter. Sie wünschte sich, dass es gar nicht erst soweit kommen möge. Allerdings war nie sicher, wann es wieder an der Zeit war und ihre Mutter in eine andere Stadt musste. Als ihr ihre Gedanken bewusst wurden, schüttelte die junge Frau schnell den Kopf. Nein. Daran wollte sie nicht denken. Noch nicht. Sie war glücklich hier und wollte ihre Freunde um nichts auf der Welt zurück lassen. Sie würde schon einen Weg finden, wenn es so weit war. Mirâ seufzte kurz. Sie sollte sich nicht zu viele Gedanken machen, immerhin gab es derzeit Wichtigeres. Ihre Freunde und sie mussten immer noch herausfinden was es mit dieser komischen Welt auf sich hatte und weshalb sie existierte. Bisher hatten sie noch nicht viel darüber herausgefunden. „Hast du schon gehört? Es soll wieder jemanden aus der 2-4 getroffen haben.“, hörte sie plötzlich gedämpft eine weibliche Stimme erzählen. Sofort zog sie ihre Kopfhörer aus den Ohren und drehte sich ruckartig um. Hinter sich sah sie zwei junge Mädchen an sich vorbei gehen. Sie trugen beide die Uniform der öffentlichen Mittelschule dieses Bezirks. Mirâ hatte die Uniform schon mehrmals gesehen. Die beiden Mädchen schienen sie nicht einmal zu bemerken und erzählten weiter. „Was wirklich?“, fragte die andere verwundert, „Das ist jetzt schon die zehnte Person aus unserer Schule. Dieses Spiegelspiel scheint wirklich gefährlich zu sein.“ Das junge Mädchen schüttelte sich, als würde ihr es eiskalt den Rücken runter laufen. Doch das andere Mädchen winkte nur ab: „Ach was. Ich glaube nicht dass es daran liegt. Es hat bestimmt irgendwas mit der Psyche zu tun.“ „Sicher?“, fragte die andere, woraufhin ihre Freundin nur kicherte und nickte. Das weitere Gespräch konnte Mirâ nicht mehr hören, da die beiden Mädchen bereits zu weit weg waren. Und folgen wollte sie ihnen auch nicht. Anscheinend waren nicht nur Schüler ihrer Schule betroffen. Aber warum wurden einige in den Spiegel gezogen und andere drehten nur durch? Es musste doch einen Grund dafür geben. Oder waren diese Ereignisse und die mit dem Verschwinden der Leute unterschiedliche Dinge? Mirâ kam auf keinen grünen Zweig, egal in welche Richtung sie dachte. Sie seufzte. Sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen schien nichts zu bringen. Es verursachte nur Kopfschmerzen. Als die junge Frau wieder aufblickte fiel ihr ein Mädchen auf, welches am Ufer saß und auf den Fluss schaute. Ihre hellbraunen leicht gewellten und nackenlangen Haare wehten im aufkommenden Wind. Langsam setzte sich Mirâ in Bewegung, genau in die Richtung des Mädchens. Seufzend blickte sie auf ihren Block, welcher hier und da einzelne Knicke aufwies. Wieder hatte einer ihrer Klassenkameraden ihr den Block weggenommen, auch wenn sie es dieses Mal geschafft hatte ihn sich selber zurück zu holen. Wieso war sie nur so feige und konnte sich nicht wehren? Sie hasste sich dafür. Wütend über sich selbst senkte sie den Blick und lauschte der leisen Musik, welche aus ihren Kopfhörern drang. Nach einer Weile hob sie den Kopf wieder und versuchte nicht weiter daran zu denken. Schnell griff sie nach ihrem Bleistift, welcher neben ihr lag und wollte sich ablenken, indem sie ein wenig skizzierte. Doch kaum blickte sie auf ihren bereits ziemlich mitgenommenen Block verschwamm der Blick vor ihren Augen und ihre Hand mit dem Bleistift begann zu zittern. Sie biss sich auf die Unterlippe, wollte so versuchen ihre Tränen zu unterdrücken, doch es half nichts. Unaufhörlich bahnten sich nun kleine warme Tropfen den Weg über ihre Wangen. Schluchzend ließ sie wieder den Kopf sinken, ebenso wie Ihre Hände, woraufhin Block und Bleistift ins Gras fielen. Sie schlang ihre Arme um ihre angewinkelten Beine und zog diese näher an ihren Körper heran. Wieso waren ihre Klassenkameraden nur so zu ihr und behandelten sie wie einen Freak? Warum konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen? Und wieso war sie nur so schwach? Was war nur falsch mit ihr? Dabei wollte sie doch einfach nur Freundschaften schließen. Plötzlich schrak sie auf, als sie eine Hand an ihrem Arm fühlte. Erschrocken blickte sie nach links und schaute in zwei mitleidsvoll lächelnde rote Augen, welche zu einem Mädchen mit violettem Haar gehörten. Die Kleine erkannte sie als die ältere Schülerin wieder, welche ihr am Vortag gemeinsam mit ihren Freunden geholfen hatte. Schnell wollte sie ihre Tränen wegwischen, doch diese liefen unaufhörlich weiter. „Hier.“, meinte Mirâ und hielt der jüngeren Schülerin ein ordentlich zusammengelegtes Taschentuch hin. Erstaunt sah die Kleine das Taschentuch an, doch nahm es dann dankend entgegen und wischte sich vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht. Mit der anderen Hand zog sie ihre Kopfhörer aus den Ohren, während sich Mirâ neben sie setzte. „Du heißt Yoshiko. Oder? Warum sitzt du denn hier und weinst? Wurdest du wieder geärgert?“, fragte sie vorsichtig. Die Jüngere schwieg kurz und schien zu überlegen, was sie denn antwortete. Doch dann nickte sie. „Passiert das öfters?“, kam eine weitere Frage, auf welche wieder ein Nicken folgte, „Dann solltest du etwas dagegen unternehmen. Hast du es schon einem Lehrer erzählt?“ Das braunhaarige Mädchen schüttelte den Kopf: „Ich... Ich trau mich nicht. Außerdem hören Sie mir eh nicht zu.“ Erstaunt blickte Mirâ die Kleine an, welche wieder ihren Kopf auf ihre angewinkelten Beine gelegt hatte. Sie war wirklich niedergeschlagen, weshalb die Ältere überlegte, wie sie die Kleine wieder etwas aufmuntern konnte. Auf jeden Fall brauchte sie dringend Hilfe, wenn sie ständig so fertig gemacht wurde. Ob sie darüber mit Masaru sprechen sollte? Er war immerhin Teil der Schülervertretung und konnte sicher etwas tun. Bestimmt konnte er der Kleinen helfen, die Mirâ so unendlich leidtat. Ihr Blick fiel auf den Block, welcher auf dem Boden lag. Vorsichtig hob sie ihn an und schaute auf das erste Bild. Es war die Skizze eines jungen Mädchens mit langen Haaren, welches an einigen Stellen geflochten war. Es war nur ein Headshot, aber Mirâ erkannte das Mädchen wieder, welches sie am Vortag als Skizze gefunden hatten. Dann hatte wirklich die Kleine diese Skizze angefertigt. Mirâ wollte weiter blättern, doch vorher wurde ihr der Block wieder aus der Hand gerissen. Erstaunt sah sie zu Yoshiko, welche sie mit einem leicht beleidigten Blick ansah und den Block an ihre Brust drückte. Anscheinend wollte sie nicht, dass man einfach ihre Bilder ansah. Entschuldigend lächelte Mirâ die Jüngere an: „Entschuldige. Ich hätte dich wohl erst fragen sollen, bevor ich mir das angeschaut habe. Hast du die Skizzen gemacht?“ Fragend blickte Yoshiko sie an, doch senkte dann den Blick und nickte. „Das ist wirklich toll. Ich wünschte ich könnte auch so zeichnen.“, meinte die Violetthaarige erfreut, was die Kleine erstaunt aufblicken ließ, „Dürfte ich mir die Skizzen alle anschauen? Bitte.“ Yoshiko zögerte kurz. Anscheinend wusste sie nicht, ob es wirklich so gut war der älteren Schülerin die Skizzen zu zeigen. Immerhin hatte sie bisher nicht wirklich gute Erfahrungen damit gemacht. Noch einmal schaute sie in Mirâs lächelndes Gesicht und reichte ihr dann den Block, welchen Mirâ vorsichtig entgegennahm und durchblättere. Neben einer Menge Skizzen des Mädchens und ihres kleinen Begleiters, waren auch Skizzen von anderen Charakteren mit dabei. Mirâ hatte sogar das Gefühl, dass einer der männlichen Charaktere Ähnlichkeit mit Hiroshi hatte, jedoch verwarf sie den Gedanken schnell wieder. Das konnte auch einfach Zufall sein. Einige Skizzen waren sogar richtig ausgearbeitet. So fand sie unter den Skizzen auch ein Bild, welches die komplette Größe des Blattes einnahm. Dem Motiv zufolge gehörte es wohl zu den Skizzen von dem Mädchen. Ob Yoshiko eine eigene Story darüber schrieb? Mirâ blätterte weiter und fand nun eine skizzierte Stadtkarte vor. Bei genauerer Betrachtung schien diese sogar eine Karte von Kagaminomachi zu sein, doch irgendwie war sie doch etwas anders. So hießen einige Straßen ganz anders und auch die Schule stand an einem anderen Ort. „Wow. Hast du dir die Karte ausgedacht?“, fragte sie schließlich, nachdem sie die Karte eingehend studiert hatte. Yoshiko lief leicht rot an und nickte: „J-ja. Ähm... Kagaminomachi war die Vorlage dafür, aber... Ich habe sie etwas abgeändert. Neben Mangas zeichne ich auch gerne Lagepläne. Ich... Habe ein ziemlich gutes Gedächtnis was Stadtpläne angeht...“ Ihre Stimme wurde immer leiser während sie sprach, so als wolle sie nicht, dass es jemand hörte. „Das ist wirklich unglaublich.“, sagte Mirâ und klappte den Block zusammen, ehe sie ihn Yoshiko zurück gab, „Du kannst wirklich gut zeichnen. Schreibst du an einer eigenen Story?“ Erneut nickte das Mädchen neben ihr, doch wurde immer roter. Sie fand es anscheinend sehr unangenehm im Mittelpunkt zu stehen. Ein so schüchternes Mädchen hatte es wirklich nicht leicht. „Hör mal, Yoshiko-Chan. Ich bin mit jemandem aus der Schülervertretung befreundet. Soll ich mal mit ihm reden? Wegen der Sache in deiner Klasse? Ich meine das kann doch nicht so weiter gehen.“, schlug Mirâ vor, doch die Braunhaarige lehnte dankend ab und meinte, dass es sich sicher bald geben würde und dass ihre Klassenkameraden es ja sicher nicht so böse meinten. Mirâ jedoch war anderer Meinung. Solche Leute hörten meistens nicht damit auf, bis etwas unternommen wurde. Sie hatte schon einige Male solche Situationen mitbekommen. In ihren vorherigen Schulen gab es auch solche Leute. Zu ihrem Bedauern musste sie allerdings zugeben, dass sie sich damals nie eingemischt hatte. Einerseits, weil sie keine Bande zu anderen knüpfen wollte und andererseits, weil sie selbst nicht in Schwierigkeiten geraten wollte. Sie wollte immer einfach nur das Schuljahr überstehen, nach welchem sie eh wieder umziehen musste. Wieso also machte sie sich plötzlich solche Gedanken darüber? Sie wusste selber keine Antwort darauf, allerdings war ihr bereits aufgefallen, dass vieles in dieser Stadt anders lief, als sie es sich vorgenommen hatte. Diese Stadt hatte sie verändert und sie wieder dazu gebracht Freunde zu finden und sich um andere Gedanken zu machen. Ob dies alles mit ihrem Schicksal als Persona-Userin zu tun hatte? Immerhin waren alle Menschen die sie bisher kennen gelernt hatte Social Links. Leichte Zweifel überkamen sie. Waren das dann wirkliche Freundschaften? Irgendwie kam ihr das schon ziemlich skurril vor. Eigentlich waren es ja bei genauerer Überlegung nur Nutzfreundschaften. Oder? Andererseits... Eine Hand berührte sie an der Schulter, woraufhin Mirâ aufschrak und zu Yoshiko blickte, welche sie besorgt ansah. „Alles in Ordnung, Senpai?“, fragte sie, „Du bist plötzlich so blass geworden.“ „A-ah. Alles gut.“, meinte die Ältere lächelnd, „Ich musste nur gerade an etwas merkwürdiges denken.“ Yoshiko setzte sich wieder normal hin: „Dann... Dann ist ja gut. Ich habe mir schon... Sorgen gemacht.“ „Das ist lieb, aber es ist alles in Ordnung. Aber noch mal zurück zum Thema: Ich nehme das Problem in deiner Klasse wirklich ernst. Solltest du also wieder Probleme haben oder sonst irgendwas, schreck bitte nicht davor zurück zu mir zu kommen. Ok?“, meinte die Violetthaarige, was Yoshiko wieder erstaunt aufblicken ließ, „Ich möchte dir wirklich helfen. Und noch etwas, wenn du mal in der Pause einsam bist, komm doch einfach zu uns. Bei schönem Wetter sind wir meistens auf dem Dach. Ok? Die anderen beißen nicht und sind ganz nette Menschen.“ Mirâ wollte einfach nicht glauben, dass die Freundschaften, welche sie über Social Links bildete nicht echt waren. Ihr Gefühl verriet ihr etwas anderes und dem wollte sie glauben. Ihre Freundschaften waren echt und die Social Links nur ein Nebeneffekt davon. Yoshiko lächelte plötzlich leicht erfreut: „Das ist wirklich nett. Vielen Dank, Senpai.“ „Mirâ. Mirâ Shingetsu.“, meinte die Ältere nur mit einem Zwinkern. „Mirâ-Senpai. Danke.“, bedankte sich die Kleine noch mal, „Ähm... Mein voller Name ist Megumi Yoshiko.“ Die beiden Mädchen unterhielten sich noch eine Weile, ehe sie sich voneinander verabschiedeten und auf den Heimweg machten. Mittlerweile war bereits die Sonne dabei unter zu gehen, weshalb die Stadt in ein sanftes orange gefärbt war. Als Mirâ einige Stunden später ihr Zimmer betrat war es bereits dunkel draußen. Der Weg vom Fluss nach Hause zu Fuß war doch länger gewesen, als sie gedacht hatte. Erschöpft stellte sie ihre Tasche auf ihren Stuhl und seufzte. Trotzdem war es ein schöner Nachmittag gewesen. Durch das Gespräch mit Megumi hatte sie herausgefunden, dass diese sich öfters bei schönem Wetter am Fluss aufhielt, um sich Inspiration zu holen. Außerdem mochte sie es dem Fluss zuzusehen. Mirâ musste unweigerlich Lächeln, als sie an das fröhliche Gesicht von Megumi dachte, als sie darüber erzählte. Zu mindestens hatte sie es ein wenig geschafft die Kleine aufzuheitern. „Was grinst du denn so vor dich hin?“, kam plötzlich die Frage, woraufhin sich Mirâ erschrocken umdrehte und Mika in ihrem Spiegel erkannte. Erleichtert fasste sich die junge Frau an die Brust: „Hab ich mich erschreckt. Hallo Mika. Ach weißt du, ich habe mich vorhin mit einer jüngeren Schülerin unterhalten, der in ihrer Klasse wirklich übel mitgespielt wird. Und ich denke ich konnte sie wenigstens ein bisschen aufmuntern.“ „Das klingt doch gut.“, meinte Mika leicht lächelnd, „Bist du deshalb auch heute so spät?“ Während Mirâ durch ihr Zimmer lief und sich langsam ihrer Uniform entledigte antwortete sie auf Mikas frage: „Das auch. Aber auch weil ich heute gelaufen bin, anstatt die U-Bahn zu nehmen. Der Weg war doch länger als erwartet. Auf dem Weg hatte ich dann die Schülerin getroffen.“ „Ach so.“, kam es von dem kleinen Mädchen, welche noch etwas sagen wollte, jedoch stoppte, als sie das Geräusch von Mirâs klingelndem Handy hörte. Dieses wurde kurz darauf von Mirâ vom Tisch genommen: „Oh... Entschuldige mich kurz Mika.“ Die junge Frau machte eine entschuldigende Handbewegung und nahm dann das Telefonat an: „Hallo Papa. Es ist lange her.“ Erstaunt blickte Mika auf und beobachtete ihre Freundin, wie diese freudig durchs Zimmer schritt. Leise hörte sie die tiefe, aber freundlich klingende Stimme des älteren Mannes am anderen Ende der Leitung: „Hallo. Wie geht es meinem großen Mädchen?“ Mirâ lachte: „Mir geht es gut. Ich bin nur etwas erschöpft, aber sonst...“ „Erschöpft? Du wirst dich doch nicht überanstrengen?“ „Nein nein. Ich bin heute von der Schule nach Hause gelaufen und der Weg war doch etwas lang.“, erklärte die junge Frau, „Aber sag mir lieber wie es dir geht. Alles in Ordnung?“ „Ja, alles gut. Mach dir keine Sorgen um deinen alten Herren.“, kam es nur lachend am anderen Ende, „Geht es deiner Mutter und Junko auch gut?“ „Ja. Denen geht es gut. Wir haben uns gut eingelebt und ich habe auch schon einige gute Freunde gefunden.“, meinte Mirâ, woraufhin nur ein verwunderten „Oh?“ aus dem Hörer zu hören war, „Sei nicht so überrascht. Es ist ja nicht so als wäre ich nicht in der Lage Freunde zu finden.“ Wieder ein Lachen: „Das meinte ich damit auch nicht. Ich bin erfreut zu hören, dass du wieder soziale Kontakte knüpfst. Ich habe mir Sorgen gemacht, als du immer meintest, dass du keine Freunde mehr haben willst. Jetzt bin ich erleichtert. Weißt du Mirâ, Freunde sind sehr wichtig. Und wenn es auch noch richtige Freunde sind, dann sind sie immer für sich da, auch wenn du ganz tief in der Klemme steckst.“ Die Violetthaarige nickte, auch wenn sie wusste, dass ihr Vater es nicht sehen würde: „Ja ich weiß. Meine Freunde sind wirklich sehr nett und ich kann mich auf sie verlassen. Sie stärken mir den Rücken.“ Noch einmal hörte man ein Lachen und ein erleichtertes “dann ist ja gut“. Mittlerweile hatte sich Mika erst einmal umgedreht und hörte nicht weiter zu, zumal es mittlerweile eh nur noch um banale Dinge ging, über welche sich Mirâ mit ihrem Vater unterhielt. Das Thema über die Spiegelwelt umging die junge Frau gekonnt. Es war auch ein Thema von dem sie ihrem Vater nicht einfach erzählen konnte. Entweder er würde sie für verrückt erklären oder ihr glauben und sie wegholen, weil es zu gefährlich war. Da war sich Mika sicher. Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihr auf. Ein Gefühl der Vertrautheit, doch sie konnte sich nicht erklären woher dieses Gefühl kam. Es dauerte eine Weile, ehe Mirâ wieder nach ihr rief und sich noch einmal dafür entschuldigte, dass sie plötzlich unterbrochen wurden. Mika jedoch schüttelte nur den Kopf und meinte, dass es in Ordnung gewesen sei, immerhin schien sich Mirâ über den Anruf ihres Vaters gefreut zu haben. „Ja das stimmt.“, meinte die junge Frau mit einem sanften Lächeln, „Weißt du... Meine Eltern leben schon seit vielen Jahren in Scheidung. Sie haben sich häufig gestritten und irgendwann ging es eben nicht mehr. Aber mein Vater war trotzdem immer für mich da. Als sich meine Eltern haben scheiden lassen, war das für mich wie ein Weltuntergang, aber mein Vater munterte mich auf und meinte, dass das nicht hieße, dass wir uns nicht mehr sehen. Seither telefonieren wir regelmäßig miteinander und wenn es die Zeit zulässt, dann gehe ich meinen Vater in den Sommerferien besuchen.“ „Er scheint ein guter Mann zu sein.“, sagte Mika. Die Violetthaarige nickte: „Das ist er. Leider sieht meine Mutter das anders. Sicher... Er hat Fehler gemacht, aber trotzdem ist er mein Vater.“ Auch Mika nickte. Sie konnte die Gefühle ihrer Freundin irgendwie nachvollziehen, obwohl sie sich selbst nicht an ihre Eltern erinnern konnte, wenn sie denn welche hatte. Es war immer noch nicht ganz klar ob sie ein Mensch oder doch nur ein Shadow war. Die Bilder die sie manchmal sah, konnten auch einfach nur eine Laune der Welt gewesen sein. Diese Bilder verwirrten sie. Zeigten sie ihr ihre Erinnerungen? Oder einfach nur irgendwelche Bilder, die gerade passten? Doch wieso bekam sie dabei immer solche Kopfschmerzen? „Mika? Alles in Ordnung?“, fragte ihre Freundin plötzlich, woraufhin sie erschrocken aufsah. „J-ja. Alles gut.“, kam die Antwort zögerlich. „Mach dir keine Sorgen. Wir werden rausfinden, warum du dort festsitzt und dich dort rausholen. Versprochen.“, kam es zwinkernd von Mirâ. Erstaunt sah Mika sie an, doch lächelte dann und nickte: „Ah... Danke Mirâ.“ Plötzlich fiepten ihr die Ohren, was sie veranlasste sich den Kopf zu halten. Schon wieder. Was war das nur? Mirâ bemerkte ihr Unbehagen, doch auf die Frage hin, ob wirklich alles gut war, antwortete das kleine Mädchen nur, dass sie müde sei und sich hinlegen wollte. Nachdem sie sich dann von ihrer Freundin verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg zu dem Futon, welcher in der Ecke lag und schmiss sich darauf. Es dauerte auch keine paar Sekunden, ehe sie bereits eingeschlafen war. Doch was sie dann träumte würde sie wohl nie wieder vergessen. Ihr war unerträglich warm gewesen und ihr Atem ging sehr schnell und unregelmäßig. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blickte in zwei braune besorgt aussehende Augen. Diese gehörten zu einer jungen Frau, nicht viel älter als 20, mit schulterlangem dunkelblauem Haar, welches ihr in leichten Wellen über die Schulter fielen. Sie sagte etwas zu ihr, doch Mika konnte es nicht verstehen. Was mochte sie wohl gesagt haben? Und wer war diese Frau? Ein Mann tauchte hinter der Frau auf und auch seine roten Augen sahen sie besorgt hat. Sein blau-violettes Haar war leicht zurück gekämmt, doch einige Strähnen schienen ihr Eigenleben zu besitzen und standen am Pony etwas ab. Er hob seine Hand und strich ihr sanft über sie Stirn. Es war ein angenehmes Gefühl. Kurz darauf standen die beiden Erwachsenen jedoch auf und entfernten sich von ihr. Panisch streckte sie ihre kleine Hand nach ihnen aus und versuchte nach ihnen zu rufen, doch kein Ton kam aus ihrem Mund. Sie versuchte es immer weiter, bis... „Mama! Papa! Wartet!“, mit einem Schreck und ausgestrecktem Arm wachte Mika aus ihrem unruhigen Schlaf auf. Irritiert blickte sie sich um. Sie war wieder in dem dunklen Raum, welcher in der realen Welt Mirâs Zimmer war. Sie ließ den Kopf sinken und fasste sich an die Stirn. Diese war erstaunlicherweise glühend heiß. Etwas Feuchtes lief ihre Wangen herunter und richtete ihre Aufmerksamkeit darauf. Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern darüber. Tränen? Sie hatte nicht einmal mitbekommen wie sie mit weinen begann. Wieder diese Bilder und dieses Mal hatten sie sie zum Weinen gebracht. Es mussten Erinnerungen sein, da war sie sich nun ganz sicher. Denn als sie diese beiden Menschen gesehen hatte, hatte sie ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit gespürt. Sie hatte also Eltern. Doch genau dieser Gedanke bereitete ihr einen anderen, unangenehmen Gedanken: Sie musste ja irgendwann verschwunden sein. Ob sich ihre Eltern sorgen machten? Ob sie sich überhaupt noch an Sie erinnerten? Ob sie überhaupt noch lebten? So viele Fragen überkamen sie mit einem Male, weshalb sie den Kopf auf ihre angewinkelten Beine sinken ließ. Ein leises Schluchzen erfüllte den Raum. Sie wollte endlich die Wahrheit wissen. Wer war sie? Woher kam sie? Und wie kam sie hier her? So viele Fragen. Doch wusste sie nicht, ob sie jemals eine Antwort darauf finden würde. Kapitel 21: XXI - Der Teufel in Person -------------------------------------- Freitag, 19.Juni 2015 Es war Mittagspause und Mirâ und ihre Freunde hatten sich gemeinsam auf das Dach der Schule zurückgezogen. Auch Masaru hatte sich mittlerweile in die Gruppe integriert und verbrachte die Pause oft gemeinsam mit den drei Schülern aus dem zweiten Jahr. Manchmal brachte er auch Dai mit, welcher dann immer für einen Spaß zu haben war und gute Laune in die Gruppe brachte. Doch an diesem Tag waren sie nur zu viert und genossen in Ruhe ihr Mittag. Nebenbei unterhielten sie sich über verschiedene Dinge. Auch das Thema mit Megumi sprach Mirâ an, auch wenn diese es eigentlich nicht wollte. Die Kleine wollte ihre Probleme eigentlich selber lösen, doch Mirâ machte sich Sorgen, ob sie das alleine schaffen würde. Petzen wollte sie auch nicht, aber das, was in der ersten Stufe gerade abging, konnte sie nicht tolerieren. Masaru hörte geduldig zu und nickte ab und an. Auch Hiroshi und Akane mischten sich in das Gespräch ein und erzählten von dem Ereignis, welches sie zwei Tage zuvor miterlebt hatten. „Ich verstehe. Die beiden scheinen wirklich gemobbt zu werden.“, meinte Masaru nachdenklich. Mirâ nickte: „Ja. Aber sie scheinen sich nicht helfen lassen zu wollen. Megumi-Chan hat es mir direkt gesagt und bei Abarai-Kun kam es so rüber, als Hiroshi-Kun ihm helfen wollte.“ „Ja. Er meinte er bräuchte meine Hilfe nicht.“, meinte der Blonde mit einer abwertenden Handbewegung, ehe er sich ein Reisbällchen in den Mund schob. Masaru schwieg kurz: „Ich würde Ihnen gerne helfen, aber wenn sie nicht selber zu uns kommen wird das schwer. Ihr habt zwar gesehen, wie sie geärgert wurden, aber die Lehrer werden es als Streich abtun, wenn nicht beide Ihnen direkt sagen, was los ist.“ Akane streckte sich kurz, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ sich an das Geländer zurück fallen, an welches sie sich dann lehnte: „Menschen können grausam sein. Ich verstehe solche Menschen echt nicht. Was haben sie davon?“ „Ein Gefühl der Macht, würde ich sagen.“, meinte Hiroshi, „So lange sich aber die Menschen, denen so etwas angetan wird, nicht wehren wird es nicht aufhören.“ „Du scheinst zu wissen wovon du redest.“, fragend blickte Masaru zu Hiroshi, welcher aber nur abwinkte und meinte, dass er es nur indirekt wusste. Auch Mirâ blickte fragend zu Hiroshi und dann zu Akane, welche aber nur den Kopf schüttelte. Die Violetthaarige konnte in diesem Moment nicht sagen, ob Akane damit meinte, dass sie es selber nicht wusste, oder ob es hieß, dass sie darüber lieber nicht sprechen wollte. Ob sie Hiroshi später Mal darauf ansprach? Sie wollte ihm aber auch keine ungemütlichen Fragen stellen. Vielleicht sollte sie es lieber erst einmal lassen. „Mal ein anderes Thema.“, warf Akane in den Raum, „Hat man bisher etwas von Fukagawa gehört?“ „Ihr soll es wohl wieder besser gehen. Nächste Woche soll sie wohl wieder zur Schule kommen.“, antwortete Masaru und trank einen Schluck seines Orangensaftes. „Gut. Dann sollten wir sie gleich Montag dazu befragen. Vielleicht kann sie sich an mehr erinnern.“, meinte die Braunhaarige. Der blonde junge Mann neben ihr seufzte allerdings und meinte, dass er dies bezweifelte, immerhin konnte sich auch Masaru nicht mehr wirklich an alles erinnern. Allerdings war es trotzdem einen Versuch wert, meinte er anschließend. „Wo wir gerade beim Thema sind...“, begann Mirâ und erzählte ihren Freunden dann von dem Gespräch, welches sie am Vortag mitbekommen hatte. Diese hörten aufmerksam zu und schienen sich ebenfalls ihre Gedanken zu machen. Auch teilte Mirâ Ihnen ihre Gedanken mit, denn das Thema, weshalb einige in den Spiegel gezogen wurden, während andere nur einen extremen Schock erlitten ging ihr nicht aus dem Kopf. Zu ihrem Bedauern musste sie wieder an das Thema denken, als sie ein ähnliches Gespräch schon einmal geführt hatten und dabei zur Sprache kam, dass es auch an ihr selbst liegen könnte, weshalb das alles passierte. Doch dann verstand sie nicht nach welchem Kriterium die Personen ausgewählt wurden. Bei Masaru hätte sie es sich noch denken können. Immerhin schwärmte sie wirklich sehr für ihn, auch wenn sie ihm das niemals direkt sagen würde. Aber Fukagawa machte keinen Sinn, denn mit dieser hatte sie bis diese verschwand nur zwei Mal kurz gesprochen. Oder lag es einfach nur am Kontakt? Oder daran, dass sie das Potential einer Userin hatte? Aber das machte noch weniger Sinn, denn das bedeutete, das Etwas was hinter ihr her war machte sich somit noch mehr Feinde. Oder aber... „Vielleicht will er diejenigen mit Potential auch einfach nur los werden und versucht sie auf diese Weise zu töten.“, sprach Akane ihren Gedanken aus, „Und wir kamen dem Etwas immer dazwischen, indem wir die Personen retteten und dadurch ihre Personas erwachten.“ „Das macht Sinn, erklärt aber immer noch nicht, weshalb es Menschen gibt, die durchdrehen.“, meinte Masaru. „Vielleicht haben Sie, genau wie Mirâ, dieses schwarze Wesen gesehen. Nachdem es versucht hat sie in den Spiegel zu ziehen, es aber nicht geschafft hat, sind sie durchgedreht.“, versuchte Hiroshi eine Erklärung zu finden, woraufhin ihn alle nur fragend ansahen, „Ich meine ja nur. Oder fällt euch was Besseres ein?“ Die Gesichter der anderen drei jedoch verrieten, dass auch sie es nicht besser wussten. Synchron mussten die vier seufzen. Es war wirklich zum Haare raufen. „Ich denke wir müssen einfach dran bleiben. Dann finden wir auch heraus, warum das alles so passiert.“, meinte Masaru abschließend, bevor sie bereits den ersten Gong der Schulglocke hörten, welche das Ende der Pause einläutete, „Jetzt haben wir eh keine Zeit mehr.“ Er wandte sich zum Gehen, doch stoppte und drehte sich noch einmal zur Gruppe um: „Ach so. Lasst uns Sonntag doch etwas gemeinsam unternehmen. Dann können wir auch noch mal in Ruhe darüber reden.“ „Gute Idee.“, sagte Mirâ sogleich erfreut. Akane seufzte: „Gute Idee. Wenn nichts dazwischen kommt sollte es klappen. Ich würde sagen den Rest klären wir über Handy.“ Masaru nickte und begab sich dann zurück ins Treppenhaus, während Mirâ und die anderen Beiden ihm nach sahen. Hiroshi schnaubte nur kurz, bevor auch er sich nach drinnen begab. „Hey Hiroshi. Ein wenig mehr Begeisterung bitte.“, rief Akane ihm nach, als sie ihm folgte. Mirâ jedoch blieb noch einen Augenblick stehen und sah ihren Freunden nach. Da war es wieder, das merkwürdige Verhalten von Hiroshi. Dabei dachte sie, sie hätten das bereits geklärt. Oder bildete sie sich das nur ein und Hiroshi war gar nicht sauer? Vielleicht machte sie sich auch einfach zu viele Gedanken darüber. „Hey Mirâ. Kommst du?“, fragend blickte Hiroshi die junge Frau durch die offene Tür hindurch an. Etwas erstaunt sah sie ihn an, doch schüttelte dann den Kopf. Anscheinend hatte sie es sich wirklich nur eingebildet. Lächelnd ging sie auf ihren Kumpel zu und machte sich mit ihm und Akane auf den Weg zurück in den Klassenraum. Sich streckend lehnte sich Mirâ an den Tresen der Karaokebar. Es war ihre dritte Schicht und so langsam hatte sie sich gut eingearbeitet. Mittlerweile war sie auch in der Lage mehrere Räume zu bedienen und konnte ihren Kollegen somit ein wenig Arbeit abnehmen. Gerade war es etwas ruhiger geworden, sodass Mirâ sich eine kleine Pause gönnen konnte. Sie nutzte die Gelegenheit mal kurz auf ihr Handy zu schauen, ob einer ihrer Freunde etwas geschrieben hatte. Und tatsächlich, in ihrem Gruppenchat, welchem mittlerweile auch Masaru beigetreten war, fand sie mehrere Nachrichten vor. 'Also wegen Sonntag. Ich habe noch mal mit meinen Eltern gesprochen ob etwas ansteht. Sollte nicht unverhofft ein Notfall rein kommen, habe ich Sonntag definitiv Zeit. =^-^=V', hatte Akane geschrieben. 'Klingt gut. Ich werde am Sonntag auch nicht am Tempel gebraucht.', hatte Masaru darauf geschrieben. 'Bei mir gibt es auch keine Probleme.', schrieb Hiroshi nur. 'Klasse!', kam von Akane, 'wenn Mirâ dann auch Zeit hat, können wir vier Sonntagnachmittag etwas unternehmen. Wir können in dieses hübsche Café gehen und etwas trinken oder essen. *____*' Mirâ musste schmunzeln, da es irgendwie typisch für Akane war, dass sie so etwas schrieb. Hiroshi schien den gleichen Gedanken zu haben, denn kurz darauf erschien eine Nachricht von ihm in welcher stand: 'Wenn es ums Essen geht bist du immer Feuer und Flamme. Was?' 'x'D und wenn schon. Lass mir diese Freude im Leben, Fußballfreak. >D' 'sfz -_-“, war Hiroshis letzte Antwort darauf. 'Ihr findet immer einen Grund zu streiten was?', kam es noch von Masaru, 'selbst hier. ^^' Ehe diese Diskussion jedoch weiter ausarten konnte antwortete Mirâ noch schnell: 'Die Idee mit dem Café ist super. Da bin ich dabei. =D Zeit machen wir dann noch aus. Ok?' Damit schaltete sie vorerst ihr Display wieder aus und ließ das Handy in ihrer Rocktasche verschwinden. Sie seufzte und schrak auf, als sie etwas Kaltes an ihrer Wange fühlte. Erschrocken drehte sie sich um und blickte in das breit lächelnde Gesicht von Shuichi, welcher ihr eine Dose mit einem Erfrischungsgetränk entgegen hielt. Dankend nahm sie das Getränk entgegen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie durstig sie eigentlich war. Da sie bis zu dieser kurzen Pause ununterbrochen hin und her gerannt war, war ihr das gar nicht aufgefallen. Mit einem Zischen öffnete sie die Dose und nahm einen großen Schluck. Es war ein angenehmes Gefühl, wie das erfrischende Nass ihre trockene Kehle herunter floss. „Du scheinst dich schon gut eingearbeitet zu haben.“, sagte der junge Mann plötzlich, während er noch einige Unterlagen durchblätterte. „Ja. Es macht mir auch großen Spaß.“, meinte Mirâ lächelnd. Ihr Gegenüber sah auf und erwiderte das Lächeln: „Das freut mich. Aber du siehst aus, als würde dich etwas beschäftigen.“ Erstaunt sah Mirâ zu ihrem Kollegen. War das so offensichtlich? Unrecht hatte er ja nicht. Es gab genügend Dinge, die sie beschäftigten. Abgesehen von dem Problem mit der Spiegelwelt, worüber sie mit ihm aber eh nicht sprechen konnte, beschäftigte sie auch noch das Thema mit Megumi. Die Kleine tat ihr leid und sie wollte ihr so gerne helfen. Doch was hätte sie tun sollen? „Möchtest du drüber sprechen?“, fragte Shuichi mit sanftem Lächeln. „Naja...“, die junge Frau senkte leicht den Blick, „Es gibt da ein Mädchen in der unteren Stufe. Ich habe das Gefühl, dass sie von ihren Klassenkameraden gemobbt wird. Aber sie traut sich nicht etwas zu sagen und ich als Außenstehende kann ihr nicht helfen. Auch die Schülervertretung kann erst eingreifen, wenn sie selbst etwas sagt. Dabei ist sie so ein nettes Mädchen, aber eben sehr schüchtern... Vielleicht auch ein wenig eingeschüchtert. Sie tut mir einfach leid und ich würde ihr gerne helfen.“ „Hm... Ich verstehe.“, kam es nachdenklich von dem Älteren, „Das ist wirklich ein Problem. Es ist immer schwer sich in so etwas einzumischen. Aber vielleicht kannst du ihr einfach so helfen, wenn du für sie da bist und sie so unterstützt wird ihr das schon helfen. Solche Menschen brauchen vor allem seelische Unterstützung.“ Mit großen Augen sah die Violetthaarige zu Shuichi. Seelische Unterstützung? Sie nickte und lächelte: „Danke, Shuichi-San. Ich werde mein Bestes geben Megumi-Chan zu helfen.“ Auch der junge Mann lächelte: „Das ist gut. Du hast wirklich ein gutes Herz, Mirâ-Chan.“ Aus Mirâs Tasche ertönte ein gedämpftes Geräusch, welches eindeutig ihrem Handy zuzuordnen war, doch ehe sie darauf reagieren konnte ertönte kurz darauf das kleine Tablet, welches an ihrer Hüfte baumelte. Leicht erschrocken hob sie dieses an, um nachzuprüfen was bestellt wurde und aus welchem Raum. „Wie es scheint geht es weiter.“, sagte Shuichi. „Ah. Danke noch Mal.“, bedankte sich Mirâ noch einmal und drehte sich um. Hinter sich hörte sie Shuichi noch rufen, dass es kein Problem wäre, bevor sie ihrer Arbeit weiter nachging. Samstag, 20.Juni 2015 Gähnend lief Mirâ durch das Schulgebäude, auf dem Weg zu ihrem Klassenraum. Nachdem sie am Vorabend zu Hause war, hatte sie erst gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Hausaufgaben gemacht und sich danach noch eine ganze Weile mit Mika unterhalten. Dabei hatte sie jedoch vollkommen die Zeit vergessen und ging daher erst sehr spät ins Bett. Es war eine wirkliche Qual sich an diesem Morgen aus dem Bett zu schälen. Zudem war sie an diesem Morgen extrem langsam und hatte dadurch auch noch ihre U-Bahn verpasst, weshalb sie eine später nehmen musste. Es war zwar an sich kein Problem, da sie es immer noch rechtzeitig zum Unterricht schaffen würde, jedoch musste sie Akane eine Nachricht schreiben, damit diese sich nicht wunderte und sich fragte wo Mirâ blieb. Noch einmal gähnte sie genüsslich, während sie die Treppe hinauf in den ersten Stock gehen wollte, als sie gegen jemanden stieß, welcher sich an ihr vorbei drängeln wollte. Erschrocken drehte sich die junge Frau um und erkannte Yasuo, welcher sie nur müde ansah und sich entschuldigte. Auch Mirâ wollte sich entschuldigen, doch der junge Mann lief ohne weiteres an ihr vorbei. Auch er gähnte noch einmal genüsslich, bevor er um die Ecke der Treppe verschwunden war. Verwundert sah Mirâ ihm nach. Ob er zum Unterricht ging? 'Wohl eher nicht.', dachte sich die Violetthaarige mit einem leichten Grinsen. Wahrscheinlich würde er sich wieder auf direktem Wege aufs Dach begeben und dort weiter schlafen. Oder er ging nur kurz in seine Klasse, um als anwesend zu gelten und würde sich dann an seinen Lieblingsplatz begeben und dort faulenzen. Masaru würde ihn sicher wieder schelten, wenn er das mitbekam. Kurz musste Mirâ lächeln, als sie an die Szene denken musste, wie Masaru ihn das letzte Mal auf frischer Tat erwischt hatte. Die Schulglocke jedoch ließ sie wieder aufschrecken und holte sie in die Realität zurück. „Oh verdammt!“, fluchte sie und eilte die Treppen hinauf zu ihrem Klassenraum, nur um wenige Sekunden vor Mrs. Masa den Raum zu betreten. Erschöpft ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken, woraufhin sie von ihren beiden Freunden nur einen fragenden Blick erntete. Dieser Tag hatte ja wirklich gut angefangen. Sie hoffte, dass er noch besser werden würde. Gelangweilt schaute Mirâ etwas später am Tag aus dem Fenster am anderen Ende des Raumes, während Mr. Tatsushima in seiner üblichen monotonen Stimme versuchte den Geschichtsunterricht zu gestalten. „Die Shinsengumi, am Anfang auch Mibu Rôshi genannt, waren eine Samurai-Schutztruppe, die in der Edô-Periode für das Shôgunat gekämpft hatte. Sie war die letzte bekannte Samurai-Miliz, die um 1860 in Kyôto aktiv war.“, erzählte er, während er vor der Tafel mit seinem Buch auf und ab ging, sich dann aber an die Tafel drehte und zwei Wörter an die Tafel schrieb, welche gelesen „Mibu Rôshi“ hießen, „Es gab zwei Schreibweisen des Namens für die Shinsengumi. Die eine Schreibweise, welche auch als „Wölfe von Mibu“ gelesen werden kann, wurde später zu ihrem festen Spitznamen, unter welchem sie bei ihren Gegnern gefürchtet waren.“ Mirâ gähnte leise. Sie hasste Geschichte, auch wenn es um die Geschichte des Landes ging. Aber ihr Lehrer hatte eine so langweilige Art den Unterricht zu führen, dass es kaum einer in ihrer Klasse schaffte halbwegs wach zu bleiben. Selbst Akane döste ab und zu mal kurz weg, wachte aber immer erschrocken auf, wenn ihr Kopf langsam von ihrer Hand rutschte. Links neben sich hörte Mirâ es dagegen leise Schnarchen. Auch ohne hinzusehen wusste sie, dass es sich aber um Hiroshi handelte, welcher tief und fest schlief. Doch nicht nur sie hatte Hiroshis Geschnarche mitbekommen, denn etwas weiter vorn vor der Fensterfront, konnte sie zwei Mädchen tuscheln und immer wieder kichern hören, nachdem sie kurz zu Hiroshi sahen. Mirâ seufzte. Ob sie Hiroshi wecken sollte? Allerdings konnte das auch peinlich werden, wenn dieser sich erschrak und aufsprang. Deshalb entschloss sie sich doch ihren Kumpel weiter schlafen zu lassen und schloss selber für einige Minuten die Augen. Am Abend „Guten Abend.“, grüßte Mirâ Shuichi, welcher wie fast jeden Abend am Tresen der Karaokebar stand und sie ebenfalls freundlich begrüßte. Schnell verschwand Mirâ im hinteren Teil des Gebäudes, um sich umzuziehen. Auf dem Weg hatte sie bereits eine Kollegin getroffen, welche Feierabend hatte. Diese hatte ihr gesagt, dass in der Bar derzeit die Hölle los sei und alle Räume belegt seien, weshalb sie ganz froh war Feierabend zu haben. Aus diesem Grund beeilte sich auch Mirâ, um ihren Kollegen unter sie Arme zu greifen. Als sie wieder nach vorne an den Empfang trat hielt ihr Shuichi bereits ihr Tablet vor: „Hier. Heute ist leider ziemlich viel los, deshalb können wir nicht so viel reden. Du übernimmst heute Raum 12 und 13. Ok?“ Nickend nahm Mirâ das Tablet entgegen: „Geht in Ordnung.“ Sie hatte das Tablet noch nicht einmal richtig in der Hand, als bereits die erste Bestellung einging. Sie kam aus Raum 12. So viel Mirâ wusste, war dieser Raum immer für einen Stammgast reserviert. Das hieß sie musste sich umso mehr anstrengen, denn einen Stammgast zu vergraulen würde sie mit Sicherheit ihren Job kosten. Deshalb beeilte sie sich auch auf dem Weg zur Bar um dort die Bestellung aufzugeben. Es dauerte auch nicht lange und die junge Frau klopfte an die Tür von Zimmer 12, bevor sie vorsichtig eintrat. „Schönen guten Abend. Mein Name ist Mirâ. Ich bin heute Abend Ihre Bedienung.“, stellte sie sich höflich vor, „Ich bringe ihre Bestellung.“ „Hey. Du bist doch die Neue.“, hörte sie plötzlich eine männliche Stimme. Erstaunt sah die junge Frau auf und blickte auf einen jungen Mann mit nackenlangem dunkelblauem Haar und gelben Augen. Er trug ein gelbes Shirt und darüber eine schwarze Weste mit weißen Nähten. Die rechte Seite seiner Stirn zierte ein Tattoo mit zwei Sternen. Er saß zwischen zwei jungen hübschen Frauen, denen er seine Arme auf sie Schulter gelegt hatte und welche sich an ihn kuschelten. Eine weitere junge Frau stand vor der Gruppe und hatte bis eben einen der Songs zum Besten - oder wie Mirâ fand zum Schlechten - gegeben. „Ähm ja...“, bekam die Violetthaarige nur heraus. Der junge Mann erhob sich und musterte die junge Frau eingehend, ehe er grinste: „Hey du siehst ja richtig süß aus.“ „Aber Kyo. Das ist doch noch ein Kind.“, lachte eine der jungen Frauen, was auch den jungen Mann kichern ließ, „Seit wann interessierst du dich denn für Kinder?“ Kyo jedoch zog Mirâ an sich heran und berührte sie dabei an ihrem Hintern. Erschrocken wich sie zurück und wollte ihm aus Reflex und mit einem empörten „Was fällt dir ein?“ eine scheuern, doch dieser hielt ihre Hand fest und grinste sie an: „Ganz schön Wild.“ Das Gesicht der jungen Frau glich mittlerweile einer überreifen Tomate. So schnell sie konnte löste sie sich aus seinem Griff und verließ fluchtartig den Raum. Noch bevor sie den Raum verlassen hatte hörte sie die Gruppe lachen, was ihr Unbehagen noch weiter verstärkte. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte lehnte sie sich mit gesenktem Blick dagegen. Ihr Puls raste und sie spürte ihr Gesicht ganz deutlich glühen. Es war ihr so peinlich, dass ein wildfremder Mann sie an ihrem Hintern berührt hatte. Zwar hatte sie schon oft von solchen Übergriffen gehört, vor allem in der U-Bahn, doch war sie bisher immer davon verschont geblieben. Doch nun... Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Es kam aus ihrer Tasche, in welcher sie ihr Handy verstaut hatte. Kurz darauf hörte sie die ihr bereits bekannten Worte: „Ich bin du... Du bist ich...“ Erschrocken hielt sie sich die Ohren zu. Das durfte nicht wahr sein. Er war einer ihrer Social Links. ER! Nach dieser Aktion wollte Mirâ ihn eigentlich nicht wiedersehen, doch da er einer ihrer Social Links war hatte sie ja keine andere Wahl. Vorsichtig zog sie ihr Handy aus der Tasche und schaute auf die App, welche Arcana freigeschaltet wurde. „Der Teufel?“, ging ihr durch den Kopf, als sie die Arcana des Teufels sah, welche ein kleines Ausrufezeichen an der Ecke hatte, „Das passt zu ihm. Er ist wirklich ein Teufel.“ Kapitel 22: XXII - Ein schöner Tag mit Freunden ----------------------------------------------- Sonntag, 21.Juni 2015 Seufzend blickte Mirâ hinauf in den Himmel. Während sie am Bahnhof auf ihre Freunde wartete, hatte sie es sich auf einer Bank auf dem Vorplatz bequem gemacht. Sie freute sich eigentlich auf den Tag, da sie gemeinsam mit ihren Freunden etwas unternehmen konnte, doch war auch verdammt müde und geschafft. Am vorangegangenen Abend hatte sie sich mehrmals mit diesem Kyo herum ärgern müssen, was sie verdammt viele Nerven gekostet hatte. Jedes Mal, wenn sie den Raum wegen einer Bestellung betreten musste, wollte ihr dieser Typ an die Wäsche oder kam mit irgendeinem dummen Spruch daher, über den seine Begleiterinnen lachten, obwohl Mirâ sie alles andere als witzig fand. Sie hatte das Bedürfnis verspürt mit Shuichi darüber zu sprechen, wollte aber auch diesen Gast nicht vergraulen. Zumal sie von ihren Kolleginnen gehört hatte, dass das bei diesem Typen irgendwie normal war. Und weil er ein gut zahlender Gast war, wollte aber niemand etwas sagen. Mirâ seufzte und ließ den Blick sinken. Zu mindestens das Trinkgeld hatte gestimmt. Ein kleiner Trost, wenn man bedachte, dass es alles andere als angenehm war. Ein wenig hoffte sie, dass sie Raum 12 in den nächsten Wochen nicht wieder bekommen würde, doch sie wusste auch, dass sie keine andere Wahl hatte, als mit Kyo zu reden. „Dummer Social Link.“, dachte sie sich. Ob sie den Link nicht auch einfach auslassen konnte? Doch auf diesen Gedanken schüttelte sie den Kopf. Margaret sagte, sie bräuchte die Social Links, um stärkere Personas zu erschaffen. Es gab also keinen anderen Weg, auch wenn sie wenig Lust hatte sich mit Kyo anzufreunden. Aber vielleicht war er am Ende gar nicht so ein Idiot, wie er am Anfang tat, sondern eigentlich ganz in Ordnung. Das jedenfalls hoffte die Violetthaarige inständig. Sie hatte keine Lust ständig belästigt zu werden. Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie erschrocken aufblicken und in zwei nussbraune Augen schauen, welche sie leicht besorgt ansahen. Es war Masaru, welcher leicht über sie gebeugt neben der Bank stand. „Alles in Ordnung, Mirâ? Ich habe dich mehrmals gerufen, aber du hast nicht reagiert.“, meinte er besorgt. Sofort schoss der jungen Frau die Röte ins Gesicht und schnell schüttelte sie den Kopf: „A-alles in Ordnung. I-ich war nur in Gedanken.“ Masaru seufzte und richtete sich wieder ganz auf: „Das hab ich bemerkt. Ist etwas passiert?“ „N-nichts Relevantes. E-es hat etwas mit meinem Nebenjob in der Karaokebar zu tun. Aber ehrlich gesagt möchte ich gerade nicht drüber reden. Tut mir Leid, Senpai.“, sagte die Violetthaarige leicht lächelnd, „A-aber es ist nichts extrem Schlimmes, denke ich.“ „Sicher?“, kam eine weitere Frage, auf welche Mirâ nur nickte und woraufhin sich der junge Mann neben sie setzte, „Dann kann ich dich nicht zwingen. Akane und Hiroshi scheinen noch nicht da zu sein.“ Mirâ lachte: „Das ist normal bei den Beiden. Kein Grund zur Sorge.“ Leicht irritiert sah Masaru sie an, doch lehnte sich dann zurück: „Ist das eigentlich normal, dass sie sich ständig und überall streiten?“ „Ja leider. Es ist manchmal etwas nervig, ich weiß, aber eigentlich mögen sie sich. Ich denke sie wissen nur nicht, wie sie es zeigen sollen.“, erzählte Mirâ, „Sie kennen sich schon von klein auf. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sie für mich immer wie Bruder und Schwester wirken. Vor allem wenn sie sich streiten. Das erinnert mich immer ein wenig an Junko und mich, auch wenn es bei uns nicht so häufig vorkommt. Du hast doch auch Geschwister. Habt ihr euch denn nie gestritten?“ Der schwarzhaarige junge Mann schien kurz zu überlegen: „Doch. Es gab sogar mehr als genug Streit unter uns Geschwistern. Besonders meine beiden Brüder haben sich oft gestritten. Teilweise um belanglose Sachen, aber sie sind jeweils nur ein Jahr auseinander, ich denke das wird ein Grund gewesen sein. Es ging bei uns manchmal schon ganz schön ab, sodass meine Eltern fast verzweifelt waren. Aber letzten Endes haben wir uns wieder vertragen.“ „Siehst du. So ungefähr ist es bei Akane und Hiroshi.“, meinte die junge Frau lachend, „Egal wie sehr sie sich streiten, am Ende vertragen sie sich doch wieder.“ „Da hast du recht.“, lächelnd blickte Masaru nun auch gen Himmel, welcher bis auf ein paar Quellwolken klar war, „Sie sind wirklich ein wenig wie Geschwister.“ Das vibrieren ihres Handy ließ sie aufschrecken und nach dem Gerät greifen. Sie dachte erst Akane oder Hiroshi hätten ihr geschrieben, doch es wurde keine Nachricht angezeigt. Stattdessen war auf der Persona-App wieder das kleine Ausrufezeichen zu sehen. Auch ohne die App zu öffnen konnte sich Mirâ denken, was das zu bedeuten hatte, weshalb sie dem erst einmal keine weitere Beachtung schenkte. Plötzlich spürte sie etwas Kaltes in ihrem Nacken, was sie aufspringen ließ. Mit einem Ruck drehte sie sich um und blickte in Akanes grinsendes Gesicht. In ihrer linken Hand hielt sie eine kleine Flasche mit Wasser, welche sie der jungen Frau in den Nacken gelegt hatte. Neben der Braunhaarigen stand Hiroshi, der eher erschrocken schaute. Wahrscheinlich hatte er selber nicht mit der Aktion seitens Akane gerechnet und hatte sich auch erschrocken, als Mirâ aufgesprungen war. „Da seid ihr ja endlich.“, begrüßte Masaru die Beiden. „Sorry für die Verspätung. Ich hab Akane unterwegs eingesammelt, als sie in einem Laden hängen geblieben ist.“, mit einem Seufzer kratzte sich Hiroshi am Hinterkopf. „Hey! Du warst genauso zu spät. Und das auch bevor du mich gefunden hast.“, beschwerte sich Akane lautstark. Der Blonde verdrehte sie Augen: „Mit dem Unterschied, dass meine Bahn Verspätung hatte und ich nicht vor einem Regal mit Mangas gestanden habe, obwohl ich schon längst am Treffpunkt hätte sein können.“ Die Braunhaarige lief knallig rot an und packte im nächsten Moment Hiroshis Wangen, um diese lang zu ziehen: „Du hast versprochen die Klappe zu halten.“ „Forhy, if mir fo rhaufherupft.“, kam es verzerrt von dem angegriffenen jungen Mann. Seufzend ließ Mirâ dem Kopf hängen. Immer dasselbe mit den Beiden. Ein Blick zu Masaru verriet ihr, dass er in diesem Moment genau dasselbe dachte, als er nur ungläubig seinen Kopf schüttelte. Eine Weile beobachteten die Beiden das Treiben der Streithähne, ehe sie dann doch dazwischen gingen und meinten, dass sie doch gemeinsam einen schönen Tag verbringen wollten. Daraufhin ließen die Beiden voneinander ab. Mit knallig roten Wangen trotteten sie einige Minuten später dann den anderen Beiden nach. Eine halbe Stunde später saßen die vier gemeinsam in dem Café, welches sie vor einiger Zeit schon einmal besucht hatten. Während sie ihre Getränke genossen und Akane sich auch noch einen großen Eisbecher gönnte, unterhielten sie sich über einige Dinge. Vor allem aber über die Spiegelwelt und wie ihre weitere Vorgehensweise war. Alle waren sich einig, dass sie auch Fukagawa um Hilfe bitten sollten. Je mehr sie waren, desto einfacher würde es später auch für sie werden. Natürlich lag die Entscheidung letzten Endes bei Fukagawa selber. Sie konnten diese ja schlecht zwingen, doch sie hofften, dass sie sich kooperativ zeigte. Das allerdings würde die Gruppe eh erst am nächsten Tag erfahren, wenn Fukagawa sich bereit erklärte mit ihnen zu sprechen. Mirâ nahm einen kleinen Schluck ihres Milchkaffees und erschrak leicht, als sie das Gefühl hatte ein kleines blaues Licht im Augenwinkel zu sehen. Doch kaum sah sie sich nach dem Licht um, war es auch schon wieder verschwunden. Gedanklich schüttelte sie den Kopf. Das hatte sie sich sicher nur eingebildet. Woher sollte der kleine Schmetterling auch dieses Mal kommen? Sie stellte ihre Tasse zurück auf den Tisch und bemerkte, wie Masaru neben ihr verkrampfte. Fragend sah sie ihm ins Gesicht, welches er auf die Menschenmassen vor dem Café gerichtet hatte. Sein Blick war angespannt und ernst. Die junge Frau folgte seinem Blick, doch konnte nichts erkennen, was jemanden so anspannen ließ. Was der junge Mann wohl gesehen hatte? „Senpai. Alles in Ordnung?“, fragte plötzlich Hiroshi, dem Masarus Blick ebenfalls aufgefallen war. Auch er war dessen Blick gefolgt, doch hatte nichts sehen können. Der Angesprochene schrak leicht auf und schien aus seiner Starre zu erwachen. Etwas irritiert sah er kurz zur Gruppe, dann wieder zu den Menschenmassen und dann wieder zu der Gruppe, wo er allerdings ein Lächeln aufsetzte. „J-ja alles in Ordnung. Ich dachte nur ich hätte jemanden gesehen.“, sagte der Ältere schließlich. Fragend blickten die drei Jüngeren ihn an. Wen konnte er denn gesehen haben, dass es ihn so erschreckt hatte? Diese Frage lag wohl allen dreien auf der Zunge, was Masaru eindeutig an ihren Gesichtern ablesen konnte. Er seufzte: „Ach wisst ihr. Ich dachte ich hätte einen der Polizisten gesehen, welche mich zu meinem Verschwinden befragt haben. Aber das habe ich mir wahrscheinlich nur eingebildet.“ „Du wurdest zu deinem Verschwinden befragt?“, kam die Frage von Akane. „Ja. Eigentlich normal, da meine Eltern mich ja als vermisst gemeldet hatten. Die Polizei kam ca zwei Tage nachdem ich wieder zu Hause war. Sie wollten wissen ob ich mich erinnern kann, was passiert ist und ob ich mich an den Ort erinnern konnte, wo ich gefangen gehalten wurde. Da ich mich ja wirklich kaum an etwas erinnerte, habe ich ihnen nur erzählt, dass ich bewusstlos geschlagen wurde und mich an kaum etwas erinnern konnte. Die Sache mit der Spiegelwelt habe ich weggelassen, aber der eine Polizist... Naja er war mir unheimlich. Ich hatte das Gefühl er hätte durchschaut, dass ich nur einen Teil der Wahrheit sage.“, erzählte der Schwarzhaarige ruhig, „Und gerade dachte ich, ich hätte ihn gesehen. Aber das war sicher nur Einbildung. Ich sehe anscheinend schon Geister.“ Schweigen breitete sich in der Gruppe aus. Die Polizei wurde also auch eingeschaltet. Wenn sie sich auch bei Fukagawas Fall eingeklinkt hatte, musste die Gruppe aufpassen, dass sie nicht zu viel Aufsehen erregten. Es würde sicher merkwürdig sein, wenn alle die verschwanden plötzlich mit zu ihrer Gruppe gehörten, zumal sie ja auch aus anderen Klassen und Stufen kamen. Der Polizei zu erklären, was da vor sich ging, würde mit Sicherheit auch nichts bringen, da diese nicht in die Spiegelwelt kam und selbst wenn, dann hätten sie keine Chance gegen die Shadows und würden wahrscheinlich sterben. Eine unheimliche Vorstellung. Sie sollten jedenfalls auf der Hut sein und aufpassen, dass es nicht zu auffällig wurde und sie dadurch unangenehme Fragen gestellt bekamen. Nachdem sie ihre Rechnung im Café bezahlt hatten, machte sich die Gruppe auf den Weg zu einem kleinen Stadtbummel. Sie besuchten verschiedene Läden, auch jenen, welchen Junko vor einiger Zeit gefunden hatte und wo ihr Mirâ das Black Frost Plüschtier gekauft hatte. An diesem Tag gab es dort einen kleinen Kurs wie man Plüschtiere selber herstellen konnte. Zu Mirâs erstaunen wurde dieser von dem jungen Mann mit dem finsteren Blick geleitet, vor welchem sie sich das letzte Mal so erschrocken hatte. Wie sich herausstellte hieß er Kanji Tatsumi. Er studierte an der hiesigen Uni und arbeitete nebenbei in diesem kleinen Laden, um sich etwas Geld nebenbei zu verdienen. Mit seiner etwas harschen Stimme erklärte er den Besuchern, was sie zu tun hatten. Trotzdem versuchte er höflich zu wirken. Anscheinend war dies einfach seine Art. Als aber ein kleines Mädchen, welches ebenfalls an dem Kurs teilnahm um seine Hilfe bat, wurde sein Blick weich und er erklärte der Kleinen noch einmal ganz in Ruhe, wie sie weiter zu machen hatte. Er war also das beste Beispiel für den Spruch „harte Schale, weicher Kern“. Bei diesem Gedanken musste Mirâ lächeln. Sie überlegte sogar, ob sie nicht auch einmal probieren sollte ein Plüschtier zu nähen. Eigentlich war sie handwerklich nicht sonderlich gut bewandert, aber irgendwie bekam sie Lust darauf, sodass sie kurz darauf mit einigen Dingen wie Stoffen, Knöpfen und Watte, sowie einem Buch über das Handwerk Nähen vor dem Laden stand. Akane hatte sich einen kleinen Anhänger gekauft, welcher aussah wie ein Kürbis mit schwarzem Mantel und Hut, der eine Laterne in der Hand hielt. Sie hatte sich auf Anhieb in diesen kleinen Anhänger verliebt, wie sie selber meinte. Etwas später besuchte die Gruppe auch noch einige verschiedene Buchläden, sowie Klamottenläden und Elektronikfachgeschäft. Zum Abschluss ihrer Tour besuchten sie noch das hiesige Junes, da es Laut Hiroshi dort die meisten Konsolengames viel günstiger gab. So fand sich die Gruppe letzten Endes in der Konsolenabteilung des riesigen Supermarktes wieder. Etwas verloren lief Mirâ durch die Regale, welche voll von Spielen waren. So wirklich konnte sie damit nichts anfangen. Sie war kein Mensch der gerne an einer Konsole hockte, zumal diese wirklich tierisch teuer waren. Von den Spielen ganz zu schweigen. Seufzend blickte sie zu Hiroshi, welcher mit Akane über einige Spiele diskutierte und darüber, ob es sich lohnte diese zu kaufen. „Du scheinst auch nicht so begeistert davon zu sein. Was?“, fragte plötzlich Masaru. Leicht erschrocken blickte die junge Frau zu ihm auf und nickte dann mir einem Lächeln: „Nicht wirklich. Aber es ist in Ordnung. Immerhin hat heute jeder etwas für sich gefunden. Deshalb ist es nur fair, wenn auch Hiroshi-Kun seinen Willen bekommt.“ „Da hast du Recht.“, lachte Masaru, „Trotzdem hoffe ich, dass sie bald fertig werden.“ „Ich auch.“, sagte die Violetthaarige, „Ich glaube ich schau mal bei den CDs. Vielleicht finde ich noch etwas.“ „Alles klar. Falls die Beiden mal fertig werden sag ich ihnen Bescheid und wir kommen nach.“, sagte der junge Mann, woraufhin sich Mirâ dankend umdrehte und die Konsolenabteilung verließ. Kurze Zeit später schlenderte sie durch die Regale von CDs und blieb gleich an dem Fach mit A stehen. Mit einem schnellen Griff nahm sie sich eines der Alben aus dem Fach und blickte darauf. Das Cover schmückte ein junges Mädchen mit blonden Haaren, welches zu zwei Zöpfen gebunden war und mit hübschen weiß-blauen federähnlichen Spangen geschmückt war. Mit gelben fröhlichen Augen strahlte sie in die Kamera, während sie ihre linke Hand, um dessen Handgelenk mehrere Armreifen baumelte, ebenfalls in die Richtung des Fotografen streckte. Ihr weißes Kleid mit den schwarzen Verzierungen und dem hellblauen Überrock, welcher am schwarzen Kragen mit der hellgelben Schleife befestigt zu sein schien, schwang dabei durch ihre Bewegung. In der linken Ecke prangte in rosaroter schön geschwungener Schrift der Name „Akisu“ und darunter der Titel „Be with me“. Mirâ kannte diese junge Sängerin, welche seit einiger Zeit für viel Aufsehen sorgte, da sie einerseits so jung war und ihre Texte laut Medien alle selber schrieb und diese außerdem alle ausschließlich eine Nachricht beinhalteten: „Komm zurück“. Niemand wusste so wirklich, ob es eine geheime Nachricht war und an wen sie gerichtet sein soll, oder ob es einfach nur reiner Zufall war, der sich einfach nur extrem gut verkaufte. Aber alles in allem mochte Mirâ ihre Lieder und überlegte ernsthaft sich dieses Album, welches das neuste war, zu kaufen. „Das ist wirklich ein bärig starkes Album.“, hörte sie plötzlich ganz nah neben sich eine recht quietschige Stimme. Leicht irritiert sah sie zur Seite und blickte in ein großes schwarzes Auge. Erschrocken und mit einem leichten Aufschrei wich Mirâ zurück und fiel dabei auf ihren Hintern. Als sie wieder aufblickte sah sie ein merkwürdiges Wesen, welches von der oberen Hälfte her ein Bär hätte sein können, allerdings mit blauem Fell. Kurz unter dem in Gold eingerahmten Gesicht verlief ein silberner Reißverschluss, welcher einmal um den Kopf herum ging. Darunter befand sich ein nach unten hin dünner werdender Körper in einem rot-weißem Overall mit großen roten Knöpfen. Seine blauen Hände ähnelten eher Fäustlingen und seine Füße waren nur zwei blaue Stummel. Er wippte leicht hin und her wobei er merkwürdige Geräusche verursachte, wenn er von einem Fuß auf den anderen trat. Schockiert blickte Mirâ das merkwürdige Wesen an. Was war das denn? „Mirâ was ist passiert?“, rief Hiroshi, welcher gemeinsam mit Akane und Masaru angerannt kam. Immer noch erschrocken zeigte die junge Frau auf das komische Tier, woraufhin auch ihre Freunde nur ratlos dastanden und zu überlegen schienen, was das sein soll. „Eine Katze?“, kam es von Akane und Hiroshi gleichzeitig. Das überdimensionale Plüschtier trat nun wütend auf einen Fuß: „Was soll das? Man sieht doch dass diesen bärige Kostüm einen Bären darstellen soll!!!“ Fragend legten Mirâs Freunde nur den Kopf schief und schraken auf, als das Wesen, welches selber meinte ein Bär zu sein, eine von hinten übergebraten bekam. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst in meiner Nähe bleiben, du dummer Bär!“, sagte eine verärgerte männliche Stimme. Kurz darauf trat ein junger Mann mit rotbraunem kurzen etwas wirrem Haar, welcher nicht älter war als Anfang 20, hinter dem Wesen hervor. Er trug ein weißes Hemd, dessen ersten Knopf er offen trug und unter dem man ein orangenes T-Shirt erkennen konnte. Dazu trug er eine dunkle Jeans und schwarze Schuhe, während er in seiner Hand so etwas wie ein Jackett hielt. Quer über die Schulter zur Hüfte hin baumelte eine orange-schwarze Tasche und um seinen Nacken hatte er sich Kopfhörer gelegt, welche ebenfalls die Farbe orange hatten. Man erkannte sofort die Lieblingsfarbe des jungen Mannes. Der merkwürdige Bär hielt sich den Kopf und wippte stärker hin und her: „Aber mir war so bärig langweilig. Du warst ja beschäftigt, Yosuke.“ Der Mann mit Namen Yosuke fasste sich an den Kopf und seufzte: „Trotzdem kannst du nicht einfach während eines wichtigen Gesprächs verschwinden und irgendwelche jungen Mädchen erschrecken, Trottelbär.“ Irritiert blickte Mirâ zwischen den beiden diskutierenden Personen hin und her. Um beide schwirrte kurz ein kleines blaues Licht, welches eindeutig wie ein kleiner Schmetterling aussah. Doch so schnell wie das Licht kam war es auch wieder verschwunden. Der Braunhaarige wandte sich an die Violetthaarige und bot dieser seine Hand an, welche sie dankend annahm und wieder auf die Beine gezogen wurde: „Entschuldige bitte. Ich hab einmal nicht aufgepasst und schon war dieser Trottel verschwunden.“ „N-nein schon gut. Ich habe mich nur erschrocken.“, sagte Mirâ, „Ist das... Ein Kostüm?“ Kurz sah Yosuke sie fragend an und sah dann zu dem Bären, ehe er wieder zurück blickte: „J-ja. Er ist ein Maskottchen. Um genau zu sein von dem Junes in Inaba. Wir waren hier um dieses Maskottchen auch den anderen Junes‘ schmackhaft zu machen. Aber anscheinend ist er wohl doch zu erschreckend.“ „Ein Maskottchen also.“, ging der jungen Frau durch den Kopf, während sie diesen schüttelte, „Nein. Er sieht ganz süß aus. Ich habe mich nur erschrocken, als er plötzlich neben mir stand. Damit hatte ich nicht gerechnet.“ „Sie hat mich bärig süß genannt.“, rief der junge Mann in dem Kostüm und wollte auf die junge Frau losstürmen, wurde jedoch von dem jungen Mann zurück gehalten. „Hör auf damit du dummer Bär. Wir haben dafür keine Zeit und du erschreckst die Kunden.“, schimpfte er und packte den Bären am Kragen, ehe er sich kurz verbeugte, noch einmal entschuldigte und dann mit dem merkwürdigen Bären ging. Etwas irritiert sahen die Gruppe, sowie weitere Kunde, den beiden nach, bis diese aus dem Sichtfeld verschwunden waren. „Das war ein schöner Tag.“, sagte Mirâ zu Akane, nachdem beide sich von den Jungs verabschiedet und auf den Heimweg gemacht hatten. „Da hast du Recht. Aber ich kann nicht glauben, dass Hiroshi sich schon wieder mit neuen Games eingedeckt hat. Hat er nichts Besseres zu tun?“, meinte die Braunhaarige seufzend. Die Violetthaarige lachte: „Lass ihn doch. Wenn es ihm Spaß macht.“ „Da hast du ja Recht.“, kam es von Akane, die kurz schwieg, „Ich sollte ihn fragen ob er mir eines der Games mal ausleiht.“ Verlegen musste Mirâ lachen. Das war irgendwie typisch Akane. Erst über Hiroshi meckern und dann doch irgendwie zustimmen. So war sie immer. Im Gegenzug dazu war Hiroshi ihr gegenüber aber genauso. „Wirklich fast wie Geschwister.“, dachte sich die junge Frau und musste leicht schmunzeln. Plötzlich spürte sie einen Schatten über sich, was sie ruckartig anhalten und aufblicken ließ. Erschrocken sah sie zu einem Mann hinauf, in den sie hinein gerannt wäre, wenn sie nicht rechtzeitig gestoppt hätte. Er trug einen schwarzen Anzug, dessen Jacke er offen hatte, und darunter ein weißes Hemd mit einer dunkelblauen Krawatte. Den oberen Knopf des Hemdes hatte er offen und auch seine Krawatte war nur locker gebunden. Seine nussbraunen Haare fielen ihm von einem Mittelscheitel her bis in dem Nacken und fransten zum Ende hin leicht aus. Durch eine Sonnenbrille hindurch sah er auf Mirâ hinab, was ihr einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Seit wann stand er da? Sie hätte doch bemerkt, wenn ihr jemand entgegen gekommen wäre. Oder? „Mirâ kommst du?“, hörte sie Akane fragen, was sie aus ihren Gedanken holte. Die Violetthaarige trat daraufhin erst einen Schritt zurück und dann zur Seite. Dabei verbeugte sie sich leicht und entschuldigte sich leise, doch der Mann schritt ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei. Fragend sah sie auf und hatte für einen Moment das Gefühl, dass seine Augen sie kurz fixiert hatten, jedoch nur ganz kurz, denn gleich darauf war er bereits einige Schritte von ihr entfernt. Irritiert sah Mirâ ihm nach. Wer das wohl war? Für einen Moment machte sich Unbehagen in ihr breit. Irgendwas machte ihr bei diesem Mann Sorgen. Plötzlich sah sie etwas Blaues im Augenwinkel an sich vorbei fliegen. Schnell drehte sie ihren Kopf um zu sehen, was es war und erblickte einen kleinen blauen Schmetterling, welcher aber einen Moment später bereits verschwunden war. Erstaunt sah sie sich noch einmal leicht um und rieb sich die Augen. Was war nur heute mit ihr los? Das war das dritte Mal, dass sie meinte einen Schmetterling gesehen zu haben. Drehte sie langsam durch? „Hey alles klar?“, hörte sie plötzlich und ließ sie aufschrecken, „Was war das für ein Typ? Kanntest du den?“ „N-nein. Ich hab nicht einmal mitbekommen, wie er vor mir aufgetaucht ist.“, sagte Mirâ, die noch einmal in die Richtung sah, in welche der Mann verschwunden war. „Ehrlich gesagt hab ich ihn auch nicht mitbekommen.“, meinte Akane, nachdem diese kurz überlegt hatte, und zuckte dann mit den Schultern, „Komischer Kauz. Lass uns weiter. Es wird schon dunkel.“ „Ok.“, nickte die Angesprochene und drehte sich wieder zu ihrer Freundin, woraufhin sich beide auf den Heimweg machten. Am späten Abend saß Mirâ an ihrem Schreibtisch und probierte sich laut Anleitung an einem kleinen Plüschtier. Obwohl es eigentlich gut erklärt wurde, hatte sie hier und dort einige Schwierigkeiten, doch langsam ging es voran. „Was machst du denn da?“, fragte Plötzlich Mika, was die Ältere aufschrecken und sich in den Finger stechen ließ. „Au.“, fluchte sie und drehte sich langsam um, während sie ihren blutenden Finger in den Mund steckte, „Ah Mika. Erschrick mich bitte nicht immer so.“ Die Kleine verschränkte ihre Arme hinter dem Rücken und senkte leicht den Blick: „Sorry. Es war so ruhig, deshalb habe ich mich gewundert. Ist das, was du da machst so interessant?“ Mirâ lachte leicht: „Naja es geht. Ich versuche ein Plüschtier zu nähen. Wir waren heute in einem Laden, in dem so etwas als Kurs angeboten wird. Leider kamen wir etwas zu spät und konnten nicht mehr mitmachen, aber ich wollte es trotzdem ausprobieren.“ „Hu?“, kam es langgezogen von der Blauhaarigen, „Darf ich mal sehen?“ Etwas zögerlich zog Mirâ das kleine Plüschtier hervor und hielt es so, dass Mika es sehen konnte. Bisher waren nur der Kopf und der Körper des kleinen Tieres fertig, sowie die langen Ohren, welche rechts und links herunter hingen. Es war nicht perfekt, sah aber trotzdem ziemlich niedlich aus. „Das ist aber ein süßer Teddy.“, kam es plötzlich von Mika, woraufhin die Ältere der Beiden empört rot anlief: „D-das ist doch kein Teddy. Das soll ein Hase werden.“ Sie betrachtete das kleine Plüschtier in ihrer Hand: „Ich weiß ja selbst, dass es nicht so perfekt ist, aber das sollte man doch erkennen.“ Plötzlich hörte sie ihre kleine Freundin lachen und sah sie irritiert an. „Entschuldige.“, entschuldigte sich die Kleine, „Das war nur ein Spaß. Ich sehe doch, dass es ein Hase werden soll. Ich wollte dich nur etwas ärgern.“ „Moah. Na warte du!“, schimpfte Mirâ mit erhobener Hand, was Mikas Lachen nur verstärkte und sie kurz darauf sogar mit einstimmen ließ. Plötzlich wurde allerdings die Tür aufgerissen und eine irritierte Haruka stand auf der Schwelle. So schnell Mika konnte verschwand sie im Schatten des Spiegels, sodass sich das Glas wieder in ein normales Spiegelbild veränderte, während Mirâ sich vor Schreck verschluckte. Heftig hustend versuchte sie wieder nach Luft zu schnappen. Währenddessen sah sich ihre Mutter fragend im Raum um. „Kann ich dir helfen, Mama?“, fragte Mirâ mit erstickter Stimme, als sie sich wieder beruhigt hatte. Irritiert sah ihre Mutter sie an und legte dann den Kopf schief: „Mir war so, als hätte ich noch eine zweite Stimme gehört. Außerdem hast du plötzlich angefangen zu lachen. Ich dachte du hast Besuch.“ Mit einem Ruck saß Mirâ kerzengerade. Ihre Mutter hatte Mika gehört und noch schlimmer, sie hatte mitbekommen dass sie mit dieser gesprochen hatte. Es gab nicht viele Möglichkeiten um so etwas zu erklären. Angespannt sah die junge Frau ihre Mutter an und lachte dann leicht verlegen. „Ähm... Ich... Habe gerade noch mit Akane gesprochen. Wir hatten eine Videokonferenz... Und... Sie hatte mir einen Witz erzählt, deshalb...“, stotterte sie vor sich hin. Fragend sah ihre Mutter sie an, doch seufzte dann: „Ach so... Ich dachte schon. Ist das Gespräch schon vorbei?“ „I-ich... Habe ausversehen beendet, als du hier herein gestürmt kamst. Entschuldige, wenn ich zu laut war.“, sagte die Violetthaarige. Ein erneutes Seufzen ihrer Mutter: „Nein schon gut. Ich wollte dich nicht erschrecken. Dann schreib Akane lieber, nicht das sie sich noch Sorgen macht. Und geh dann ins Bett. Es ist schon spät und du musst morgen wieder früh raus.“ „J-ja, das werde ich. Gute Nacht.“ Mit einem „Gute Nacht“ schloss ihre Mutter die Tür. Noch eine Weile blickte Mirâ auf die geschlossene Tür und dann wieder hinüber zu ihrem Spiegel, wo Mika vorsichtig nachsah ob die Luft wieder rein war. Synchron atmeten beide Mädchen erleichtert auf und kicherten dann leise. Sie mussten unbedingt aufpassen, dass sie nicht so laut waren. Es würde schwer werden Mirâs Mutter zu erklären, wer die Kleine war und weshalb sie in dem Spiegel steckte. „Das war knapp.“, sagte das blauhaarige Mädchen. „Oh ja. Ich bin erstaunt, dass meine Mutter mir das abgenommen hat. Sie ist sonst eigentlich nicht so leichtgläubig. Aber dieses Mal ist es ganz gut so.“, erklärte die Ältere, „Wir sollten besser aufpassen.“ Sie seufzte, stand von ihrem Stuhl auf und streckte sich erst einmal: „Naja. Ich werde dann erst mal ins Bett gehen. Es ist wirklich schon spät. War auch ein ziemlich schräger Tag. So oft wie ich heute erschreckt wurde, müssten mir eigentlich graue Haare wachsen.“ Die Violetthaarige lachte leise, was Mika mit einem Kichern erwiderte: „Also dann Mika. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Du solltest dann auch schlafen.“ Die Kleine nickte: „Das werde ich. Schlaf gut. Gute Nacht.“ Kapitel 23: XXIII - Nice to meet you ------------------------------------ Montag, 22.Juni 2015 „Schon wieder Montag.“, beschwerte sich Akane, während sie sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen an den Schrank mit den Wechselschuhen lehnte, „Ich vermisse die Zeit in der öffentlichen Schule, wo man Samstags auch frei hat.“ Fragend sah Mirâ ihre Freundin an: „Warst du auf einer öffentlichen Schule?“ „Ja in der Mittelstufe. Dann hatte ich die Wahl zwischen staatlicher oder privater Oberstufe.“, die Braunhaarige ließ den Kopf hängen, „Warum hab ich mich auch für die private Schule entschieden?“ Die Violetthaarige lachte leicht: „Aber sei doch froh. So sind wir uns wenigstens begegnet.“ „Auch wieder wahr.“, kam es seufzend zurück, „Aber ein längeres Wochenende wäre trotzdem mal wieder schön.“ Mirâ nickte zustimmend. In dem Zusammenhang musste sie Akane rechtgeben. Andererseits war Mirâ es an sich nicht anders gewohnt. Sie war bisher nur an einer einzigen staatlichen Schule gewesen. Ansonsten hatte ihre Mutter sie immer an privaten Schulen angemeldet. Warum auch immer. An privaten Schulen war es üblich, dass der Unterricht von Montag bis Samstag ging und die Schüler nur sonntags einen ganzen freien Tag hatten. Öffentliche Schulen wiederum hatten nur einen Unterrichtsplan von Montag bis Freitag und die Schüler hatten so das gesamte Wochenende für sich. Manchmal wünschte sich Mirâ auch ein längeres Wochenende, aber was sollte sie machen? Ihre Mutter hatte die Schule gewählt. Sie konnte sich ja doch nicht wehren. Außerdem gefiel ihr diese Schule ansonsten ganz gut, zumal sie hier auch richtig gute Freunde gefunden hatte. Wenn auch auf eine merkwürdige Art und Weise. Sie schloss das Fach, in welchem sie ihre Straßenschuhe verstaut hatte und wollte sich mit ihrer Freundin auf den Weg zu ihrem Klassenraum machen, doch stieß plötzlich leicht mir der Schulter gegen jemanden. Schnell drehte sie sich um und entschuldigte sich, stoppte dann jedoch kurz. Genau vor ihr stand Kuraiko und ihrem Blick zufolge hatte sie nicht besonders gute Laune. Sicher würde diese Mirâ jeden Moment wieder angehen, dass sie besser aufpassen sollte. Doch stattdessen seufzte die Schwarzhaarige nur. „Guten Morgen.“, sagte sie in einem doch recht ruhigen Ton. „M-morgen. Geht es dir wieder besser?“, fragte die Violetthaarige vorsichtig nach. Kuraiko nickte: „Ja. Die letzte Woche habe ich mich noch gut erholt. Ich habe einige Zeit gebraucht um das Alles überhaupt erst einmal zu realisieren. Aber mittlerweile geht es, auch wenn es schwer zu akzeptieren ist.“ Akane schaltete sich in das Gespräch ein: „Das kenne ich. Trotzdem müssten wir dich in der Pause zu einigen Dingen befragen, wenn das möglich wäre.“ „Befragen?“, ungläubig zog die Angesprochene die Augenbraue hoch, „Seit ihr Detektive oder was? Wie auch immer. Mir ist es recht. Ich will euch nämlich auch ein paar Fragen stellen.“ „Dann treffen wir uns in der Mittagspause auf dem Dach. Ok?“, gab Mirâ den Treffpunkt preis. „Soll mir recht sein.“, damit ging Kuraiko an den beiden Mädchen vorbei und verschwand auf der Treppe zum ersten Stock. Akane und Mirâ sahen ihr nach, während die Braunhaarige ihr Unbehagen Kuraiko gegenüber aussprach und meinte, dass diese echt komisch sei. Die Violetthaarige nickte darauf nur, allerdings hatte sie das Gefühl, dass die Schwarzhaarige damit nur ihre eigene Unsicherheit überspielen wollte. Oder irgendetwas anderes. Jedenfalls schien sie etwas unter dieser harten Schale zu verstecken. Sie zuckte fast unbemerkt mit den Schultern. Das würde sie sicher auch noch heraus bekommen. Langsam setzte sich Mirâ in Bewegung und machte sich auf den Weg zum Treppenhaus, während Akane ihr folgte. Zur Mittagspause fanden sich die vier Freunde dann auf dem Dach der Schule ein. Noch vor dem Unterricht hatte Mirâ Masaru eine Nachricht geschrieben, damit er wusste, dass sie sich treffen würden um mit Kuraiko zu reden. Nun wartete die Gruppe darauf, dass die junge Frau auftauchte, doch diese ließ auf sich warten. „Wo bleibt sie denn?“, fragte sich Mirâ, während sie nervös auf ihre Uhr schaute. „Sie lässt sich wirklich Zeit.“, Masaru verschränkte die Arme vor der Brust und schaute immer wieder zur Tür hinüber, wo sich allerdings nichts tat. Nur Yasuos Füße, welche über den Rand des kleinen Gebäudes hingen, was ein Teil des Treppenhauses war, zuckten ab und an mal. Missmutig blickte der Schwarzhaarige sie an. Wieder hatte sich Yasuo nach der Verfügungsstunde heimlich verdrückt und schwänzte den Unterricht. Da seine Noten an sich stimmten, sogar eigentlich richtig gut waren, sagten die Lehrer nichts dazu, aber trotzdem wäre es ratsam für ihn gewesen öfters mal den Unterricht zu besuchen. Wieder zuckten die Füße kurz, doch ansonsten rührte sich der Junge auf dem Vordach nicht. Masaru seufzte. Immer dasselbe. Hiroshi lehnte sich zurück und seufzte: „Oh man. Sie ist wie ne Diva.“ „Wer ist hier ne Diva?“, kam es harsch zurück, woraufhin der Blonde zusammenzuckte. Erschrocken sahen die Vier zu der Schwarzhaarigen, welche das Dach betreten hatte und auf sie zukamen. Ihre Arme hatte sie vor der Brust verschränkt und ihr Blick war todernst. Es wirkte schon wieder fast, als sei sie sauer. Hiroshi wollte etwas erwidern, doch Mirâ ging vorher dazwischen: „Wir haben uns gewundert wo du so lange bleibst. Die Pause ist fast um.“ „Ja sorry. Mir kam da was mit dem Club dazwischen.“, sagte die junge Frau leicht genervt, „Also müssen wir es kurz halten. Was geht hier vor?“ Erneut zuckte die Gruppe kurz zusammen, durch ihre harsche Art, doch begann dann der Schwarzhaarigen alles so weit zu erzählen, wie sie selber bisher herausgefunden hatten. Diese hörte ruhig zu, doch man sah ihr sofort an, dass sie nicht wirklich glauben konnte, was ihr erzählt wurde. Andererseits war sich Mirâ sicher, dass Kuraiko Ihnen glauben würde, da sie es ja selber erlebt hatte. Die Frage war nur ob sie die Gruppe unterstützen würde. Nach einer Weile seufzte Kuraiko: „Also wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann gibt es eine Welt hinter dem Spiegel, die aussieht wie unsere Stadt. Dort leben Wesen die sich Shadows nennen und die versuchen Menschen in diese Welt zu ziehen. Und nur die Leute, die Potential haben und eine Persona rufen können, sind in der Lage diese Wesen zu besiegen. Richtig?“ Ein synchrones Nicken folgte. „Und dieses Wesen, gegen das ihr gekämpft habt war mein Shadow, der, nachdem ich ihn akzeptiert hatte, zu meiner Persona wurde?“, erneutes Nicken, „Und ihr geht in diese Welt um die, die dort hineingezogen wurden zu retten und um herauszufinden, warum das alles passiert.“ „Ich weiß, das klingt alles merkwürdig.“, meinte Mirâ kleinlaut, denn es klang wirklich so, als seien sie aus irgendeiner Klapse entwischt. Die Schwarzhaarige fasste sich an die Schläfen und schien alles innerlich erst einmal ordnen zu müssen: „Das klingt wirklich alles merkwürdige und wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich euch für verrückt abstempeln. Aber ok. Es ist schon alles merkwürdig, aber ich denke ich habs verstanden. Da ihr mit mir reden wolltet, nehme ich an ihr wollt wissen, wie ich in diese Welt geraten bin. Oder?“ Erneut nickte die Gruppe und Kuraiko überlegte kurz: „Ich hatte Stress mit meinen Eltern, wegen des Gewächshauses. Deshalb hatte ich fluchtartig unser Haus verlassen. Als ich an unserem Laden vorbei ging, meinte ich etwas im Schaufenster gesehen zu haben. Ich dachte erst es wären Einbrecher und ich habe mich vorgelehnt um besser sehen zu können, als mich plötzlich etwas gegriffen hatte. Kurz darauf bin ich wieder aufgewacht und lag neben dem Schaufenster auf der Straße. Es war extrem dunkel, aber ich hatte mir in dem Moment keine großen Gedanken gemacht. Deshalb bin ich auch einfach weiter gegangen und dann zum Gewächshaus. Auf meine Umgebung hatte ich da gar nicht groß geachtet, sonst wäre mir wohl aufgefallen, dass diese Welt anders war als unsere.“ Mirâ ging ein Licht auf: „Deshalb hat Mika dich zum Dungeon laufen sehen.“ Mit fragenden violetten Augen sah Kuraiko sie an: „Mika? Ach... Das kleine Mädchen? Wer ist sie?“ Akane schaltete sich ein: „Das wissen wir auch nicht genau. Sie kann die Spiegelwelt nicht verlassen und wir möchten herausfinden warum sie dort ist und wer sie wirklich ist. Deshalb wäre es gut, wenn du uns helfen könntest. Unterstützung können wir gut gebrauchen.“ „Ihr bittet mich also um Hilfe?“, kurz schloss die Schwarzhaarige die Augen und schien zu überlegen, „Also gut. Aber versteht das nicht falsch. Ich mache das nur, weil ich euch etwas schulde. Immerhin habt ihr mich gerettet.“ Mirâ musste kurz Lächeln. Ein wenig hatte sie mit solch einer Antwort gerechnet. Irgendwie schien es typisch für die junge Frau zu sein. Zwar kannte Mirâ sie noch nicht richtig, aber von dem was sie bisher mitbekommen hatte, war dies irgendwie abzusehen. Sie war eben doch ziemlich berechenbar. Trotzdem war sie froh, dass Kuraiko sich bereit erklärte ihnen zu helfen. Damit sie dieses Mal keine Probleme bei der Kommunikation bekamen, tauschte die Gruppe sofort mit Kuraiko die Handynummern aus. So konnte sie ebenfalls schnell erreicht werden, wenn es die Situation erforderte. Noch während Mirâ Kuraikos Nummer einspeicherte vibrierte ihr Handy und gab den ihr bekannten Ton der Persona-App von sich. In der Anzeige über dem Bedienfeld erschien eine kurze Nachricht: „Fool Arcana update“. Erstaunt hielt Mirâ kurz inne. Das war neu. Hatten Igor und Margaret schon wieder eine Art Update geschickt? Oder war ihr das nur bisher nie aufgefallen? Sie beendete ihre Eingabe und speichert Kuraikos Nummer ab, ehe sie die App öffnete. Es war wirklich ein Update bei ihrer Fool Arcana. Der Balken hatte sich erneut gefüllt und bestand nun aus drei Teilen. Also Stufe 3. Mit einem mulmigen Gefühl schloss sie die App und schaltete das Display ab. Kurz kam ihr wieder der Gedanke der Nutzfreundschaften in den Sinn, doch sie versuchte ihn wieder zu verwerfen. Das, was hier gerade um sie herum geschah, war nicht gespielt. Das war alles echt. Auch ihre Gefühle ihren Freunden gegenüber waren echt. Sie fühlte es ganz genau und ihr Gefühl konnte sie doch nicht täuschen. Als die Gruppe gemeinsam das Treppenhaus hinunter ging, hörten sie bereits aus dem Stockwerk des zweiten Jahres eine laute männliche Stimme, welche empört vor sich hin schimpfte. Neben sich hörte Mirâ bereits ihre Freunde allesamt genervt stöhnen und sah einen nach den anderen kurz fragend an. Was sollte das denn? Als sie das Stockwerk des zweiten Jahres betraten sahen und hörten sie den Ursprung der männlichen Stimme. Es war ein kleiner, recht kräftiger älterer Mann mir lichtem Haar, welcher sich leicht gebeugt auf einen Gehstock stütze. Sein dunkelgrauer Anzug spannte um seinen runden Bauch herum und durch die eng gebundene Krawatte wirkte sein Hals zugeschnürt, was ihm zugleich auch noch ein mächtiges Doppelkinn verpasste. Seine dicke Brille rutschte ihm leicht von der verschwitzten Nase in seinem roten Gesicht. „Oh nein. Toshizo-Sensei ist wieder da.“, stöhnte Masaru leicht genervt auf, welcher vorsichtshalber mit hinunter gegangen war, um zu schauen was los war. „Toshizo-Sensei?“, fragte Mirâ irritiert und wunderte sich, als sich sowohl Hiroshi, als auch Akane und Kuraiko vorsichtig von der Gruppe entfernten und unauffällig in den Klassenräumen verschwanden, dabei immer darauf bedacht von dem Lehrer nicht entdeckt zu werden. „Ja.“, nickte Masaru, „Ach so du kennst ihn nicht, weil er zu Beginn des Schuljahres eine OP am Bein hatte. Ich rate dir dich vor ihm in Acht zu nehmen. Er ist ein echtes Scheusal. Jeder der sich nicht an die Schulordnung hält landet bei ihm auf der Abschussliste.“ Nun verstand Mirâ, weshalb sich ihre drei Freunde aus dem Staub gemacht hatten. Jeder von ihnen verstieß gegen die Schulregeln. Hiroshis Haare waren gefärbt und auch viel zu lang. Dem zu trug er seine Krawatte sehr locker, den oberen Knopf des kurzärmligen Hemdes offen und das Hemd nicht in die Hose gesteckt. Akane trug ihre schulterlangen Haare offen, obwohl bei dieser Länge ein Zopf vorgeschrieben war und anstatt der schwarzen kurzen Bluse ihr Sportshirt. Und Kuraiko hatte ebenfalls teilweise gefärbte Haare, trug verbotener Weise Ohrringe und hatte ihre schwarze Bluse ziemlich weit offen und nicht in den Rock gesteckt. Die rote Krawatte hatte sie komplett weggelassen. Zudem war sie auffällig dunkel geschminkt. „Da fällt mir ein...“, kam ihr der Gedanke und ließ sie an sich herunterschauen. Auch sie hatte ihre Bluse nicht in den Rock gesteckt. Auch wenn sie sonst immer sehr akkurat war, so fand sie es doch ziemlich hässlich, wenn die Bluse im Rock steckte. Deshalb hatte auch sie diese über den Rock gezogen. Vielleicht sollte sie sich auch besser verziehen, bevor der Lehrer auf sie aufmerksam wurde. Vorsichtig wollte sie sich in Bewegung setzen, doch zuckte zusammen, als Toshizo-Sensei wieder laut wurde. „Ihr verdorbenen Mistkröten. Seht ihr das hier? Was soll das?“, fragte er lautstark und ging auf ein Mädchen zu, welches fragend aus dem Raum der 2-4 geschaut hatte, „Warum trägst du nicht die Uniform unserer Schule? Willst du mich verhöhnen? Ich werde dich beim Schulleiter melden! Und was fällt dir ein Ohrringe zu tragen? Und diese Haare! Junge Dame, du fängst dir gerade mächtig viel Ärger ein!“ Mit seiner linken Hand, dessen Zeigefinger er erhoben hatte, fuchtelte er vor der Schülerin herum. Diese jedoch sah ihn nur fragend an und legte den Kopf schief, was den Lehrer nur noch mehr in Rage brachte. Einige Schüler, welche um sie herum standen kicherten bereits. Dies jedoch verursachte, dass Toshizo-Sensei nur noch lauter wurde. Die Violetthaarige ging noch einen Schritt zur Seite, um einen besseren Blick auf das Mädchen zu haben. Sie hatte schwarze gewellte Haare, welche ihr leicht auf die Schulter fielen. Allerdings war nicht ihr ganzes Haar schwarz. Ihr Pony war blond und fiel ihr über ihr rechtes Auge. Sie trug eine andere Uniform, welche Mirâ noch nie gesehen hatte. Diese bestand aus einer weißen Bluse mit dunkelgrauem Kragen und Puffärmeln, welche ähnlich wie die Jacke der Jûgoya High Uniform geknöpft wurde, nur spiegelverkehrt. Dazu trug sie einen kurzen Faltenrock in derselben Farbe wie der Kragen, welcher eindeutig gekürzt war, da er ziemlich kurz wirkte. Dazu trug sie weiße Overknees. Um den Kragen hing ein braunes Band mit einem weißen Streifen. Immer noch fragend blickte die Schülerin den Lehrer an und schien irgendwie nicht kapieren zu wollen, was er von ihr wollte. Dies brachte ihn noch mehr in Rage und beinahe wäre er wohl auch explodiert, wenn nicht Mrs. Masa vorbei gekommen wäre und den Sachverhalt geklärt hätte. Deshalb erfuhr Mirâ, dass dieses Mädchen Mioshirô Hamasaki hieß und lange Zeit in den vereinigten Staaten gelebt hatte, weshalb sie nur schwer japanisch verstand und man, wenn, langsam mir ihr reden musste, damit sie alles halbwegs verstand. Auch erklärte die Lehrerin, dass das Mädchen eine Sondergenehmigung des Rektors hatte um ihre alte Uniform tragen zu dürfen, da ihr Schulwechsel so überraschend kam, dass auf die Schnelle keine passende Uniform herangeschafft werden konnte. Jedoch wandte sich die Frau auch noch persönlich an die Schülerin, um ihr auf Englisch zu erklären, dass Ohrringe in japanischen Schulen nicht gerne gesehen waren. Kurz fasste sich das Mädchen an ihr linkes Ohr, wo man eine silberne Kreole erkenne konnte, doch nahm diese dann mit einem gekonnten Griff ab und ließ sie in ihrer Rocktasche verschwinden. Mit einem freundlichen Lächeln klopfte Mrs. Masa ihr auf die Schulter und meinte dann, dass sich doch nun bitte alle in ihre Klassenräume begeben sollten, da der Unterricht bald weiterginge. So löste sich die Masse an Schülern langsam auf, welche mürrisch von Toshizo-Sensei beobachtet wurden. Mirâ sah noch, wie auch er sich dann langsam entfernte, bevor sie den Raum betrat. Er war ein wirklich fürchterlicher Mann. Die junge Frau konnte sich vorstellen, weshalb ihm alle aus dem Weg gingen. Sie wettete sogar, dass sowohl Hiroshi, als auch Akane bereits Bekanntschaft mit der Laune dieses Lehrers gemacht hatten. „Haha. Ich glaube es gibt kaum jemanden, der noch nicht von Toshizo-Sensei zusammen gestaucht wurde.“, lachte Amy. Sie stand neben Mirâ, welche ihre Übungen machte und der blonden Frau von ihrem Erlebnis zur Mittagspause erzählt hatte. „Mich ist er auch schon angegangen, wegen meiner blonden Haare. Dabei sind sie wirklich blond, aber er dachte sie seien gefärbt. Ein grässlicher Mann, der auch nicht mit sich reden lässt. Das Beste ist ihm aus dem Weg zu gehen.“, erklärte die Blonde ruhig. Seitdem sich Mirâ mit der älteren Schülerin ausgesprochen hatte verstanden sich beide ganz gut. Wenn sie Zeit fanden, dann sprachen sie während des Clubs oder auf den Gängen kurz miteinander. Dabei musste die Violetthaarige aufs Neue feststellen, dass die Blonde eigentlich gar nicht so schlecht war. Nur wenn es um Dai ging konnte sie zur Furie werden. Wenn sie merkte, dass sich ein weibliches Wesen dem jungen Mann näherte, war sie sofort zur Stelle und wurde wieder so zickig, wie sie am Anfang zu Mirâ war. Der Grund lag wohl darin, dass sie sich nicht traute dem jungen Mann ihre Gefühle zu offenbaren. Dabei war sich Mirâ sicher, dass Dai etwas für Amy empfand. Doch die junge Frau war sich auch sicher, dass sie wahrscheinlich nicht anders reagieren würde, wenn sie so etwas betreffen würde. Man konnte in sein Gegenüber nun mal nicht hineinschauen und verletzt werden wollte man auch nicht. „Sag mal Senpai. Ist eigentlich schon etwas wegen der Neuwahl herausgekommen?“, fragte Mirâ vorsichtig. Es war noch gar nicht so lange her, da gab es zwischen Amy und Dai mächtigen Streit, weil jemand behauptet hatte die blonde Schülerin würde Clubmitglieder bedrohen. Es stimmte zwar, dass Amy Mirâ angegangen war, jedoch hatten sich beide ausgesprochen und die Violetthaarige war auch nicht der Typ der jemanden wegen so etwas verpfiff. Bisher war deshalb immer noch ungeklärt, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt hatte und weshalb. Die Ältere schwieg kurz: „Tja... So richtig klar ist das noch nicht. Immerhin gab es sonst keine Beschwerden, aber der Lehrer ist immer noch sauer und beobachtet meine Arbeit akribisch.“ Sie blickte mit ihren Augen kurz Richtung Lehrerzimmer, wo man den Lehrer hinter einer Scheibe in den Trainingsbereich blicken sah. Ob er wirklich Amy beobachtete konnte man jedoch nicht genau sagen, trotzdem überkam die Blonde ein unangenehmes Gefühl, weshalb sie sich unwohl über die Oberarme strich. Auch Mirâ blickte kurz zum Lehrerzimmer, wandte sich dann aber wieder der Blonden zu: „Und was sagt Kazuma-Senpai?“ „Hm...“, Amy senkte den Blick, „Ich hab seither nicht wirklich mir ihm gesprochen. Ich war so sauer, dass er mir nicht glauben wollte, dass ich ihm ziemlich viele nicht so schöne Sachen an den Kopf geknallt habe, als er mit mir sprechen wollte. Er wird sicher sauer auf mich sein.“ „Das glaube ich nicht. Du solltest versuchen mit ihm zu reden und dich gegebenenfalls bei ihm für die Dinge entschuldigen, die du ihm gesagt hast. Ich kann mir vorstellen, dass Kazuma-Senpai dir verzeiht.“, meinte die Violetthaarige, während sie einen Pfeil abschoss, welcher am Rand der Scheibe stecken blieb. „Da magst du Recht haben.“, kam es ruhig von Amy, woraufhin sie auch kurz zu sich selbst nickte, „Danke Mirâ. Ich werde mit ihm sprechen, wenn ich ihn treffe. Aber jetzt lasse ich dich besser weiter trainieren, bevor wir beiden noch ärger bekommen. Bis später.“ Während sich Amy entfernte, blickte ihr Mirâ kurz nach. Sie fand es selbst merkwürdig wie gut sie sich plötzlich mit der Blonden verstand, doch war eigentlich ganz froh darüber. Sie schnappte sich einen Pfeil aus ihrem Köcher und spannte ihn in ihren Bogen. Dann konzentrierte sie sich und fixierte mit beiden Augen den schwarzen Punkt in der Mitte ihrer Zielscheibe. Dann ließ sie los. Ein kurzes Zischen erklang, gefolgt von einem dumpfen Geräusch und der Pfeil steckte knapp neben der Mitte in der Scheibe. Nach dem Club nutzte Mirâ die Gelegenheit auf ihr Handy zu schauen, während sie den Gang zum Eingangsbereich entlanglief. Als sie sich umgezogen hatte war ihr Blick auf ihr Handy gefallen, welches bläulich vor sich hin blinkte. Wie zu erwarten war es die Persona App, die ihr sagen wollte, dass sie einen Social Link weiter geformt hatte. In diesem Fall war es die Mond Arcana von Amy, deren Balken auf zwei gesprungen war. Zwei Social Links innerhalb von einem Tag, jedoch irritierte Mirâ die Tatsache, dass sich jeder dieser Links nur dann füllte, wenn sie mit dieser Person einzeln zu tun hatte, außer bei der Narr Arcana. Sie wusste, dass ihre Persona Hemsut den Narr als Arcana hatte, doch wieso füllte sich der Link immer nur, wenn sich ihre Gruppe vergrößerte? Ob dieser Social Link für den Zusammenhalt des Teams stand? Igor und Margaret zu fragen würde ihr mit Sicherheit nicht helfen, aber vielleicht sollte sie es trotzdem am Abend versuchen. Ein Geräusch zu ihren Füßen ließ sie von ihrem Handy aufblicken und dann zu Boden sehen. Irritiert schaute sie auf das silberne Etwas, was an ihrer linken Fußspitze lag. Sie schaltete ihr Handy ab und hockte sich hinunter, um das silberne Etwas aufzuheben und dabei festzustellen, dass es sich dabei um einen silbernen Ohrring handelte. Eingängig betrachtete sie die silberne Kreole. Sie war ziemlich dick und hatte in der Mitte ein kleines Scharnier, damit man sie öffnen konnte. Der Stecker, welcher durchs Ohr geschoben wurde, steckte im hinteren Teil des silbernen Gegenstandes und schloss somit die Kreole. Auf der Vorderseite war ein kleines schwarzes Ornament aufgedruckt und als Mirâ den kleinen Ohrring kurz drehte, konnte sie im Inneren eine kleine Gravur erkennen, jedoch nicht, was dort eingraviert war. Wo kam der denn her? Ob den jemand verloren hatte? Für diese Frage hätte sie sich eigentlich ohrfeigen müssen. Natürlich hatte den jemand verloren. Weshalb sollte er sonst hier liegen? Vorsichtig stand die Violetthaarige wieder auf und blickte sich fragend um. Nur wer könnte ihn verloren haben? Sie konnte niemanden im Eingangsbereich sehen. Die meisten Schüler waren ja eh bereits zu Hause. Vielleicht sollte sie den Ohrring im Sekretariat abgeben, jedoch verwarf sie den Gedanken wieder. Derjenige könnte am Ende von Toshizo-Sensei Ärger bekommen, weil er Ohrringe mit in die Schule gebracht hatte. Mirâ verstand diese Regel nicht. An Ohrringen war doch nichts Schlimmes dran. Sie selbst trug ja auch welche, auch wenn es nur einfache Stecker waren. Mirâ entschied sich dazu den Ohrring erst einmal einzustecken. Der Besitzer würde ihn sicher suchen und wenn sie das mitbekam, konnte sie den Ohrring zurückgeben. Sie war gerade im Begriff die silberne Kreole in ihre Rocktasche zu stecken, als sie ein leises Fluchen vernahm. Fragend sah sie auf und erkannte, dass jemand in zwischen den Schuhregalen herum kroch. Vorsichtig blickte sie in die Reihe, wo sie die Person gehört hatte, und erkannte die Austauschstudentin Mioshirô, welche auf dem Boden hockte und etwas zu suchen schien. „Kann ich dir helfen?“, fragte Mirâ, woraufhin Mioshirô erschrocken aufsah, „Suchst du etwas?“ Fragend sah das Mädchen sie mit ihren violetten Augen an und schien kurz zu überlegen, was Mirâ sie gefragt hatte, ehe sie aufstand und leicht nickte: „Ich ähm... suche meine... Ähm... Piercing.“ Sie zeigt auf ihr linkes Ohr, welches nicht von ihrem Pony verdeckt wurde. Leicht irritiert sah Mirâ sie an. Sie konnte wirklich nur schlecht japanisch, obwohl sie einen japanischen Namen hatte und sogar eine Uniform trug, die einer japanischen Uniform sehr ähnlich sah. Die junge Frau erinnerte sich daran, dass Mrs. Masa erzählt hatte, dass sie lange Zeit in den Staaten gelebt habe. Das musste wirklich sehr lange Zeit gewesen sein, in der niemand mit ihr japanisch gesprochen hatte, sodass sie ihre Landessprache vergessen hatte. Sie spürte den Ohrring, welchen sie immer noch in ihrer Hand hielt und schrak kurz auf. Mioshirô hatte gesagt sie sucht einen Ohrring. Schnell hob sie ihre Hand dem Mädchen entgegen und öffnete sie, sodass die silberne Kreole zum Vorschein kam. „Das hier?“, fragte Mirâ vorsichtig. Das Gesicht der jungen Frau ihr gegenüber begann zu strahlen und sie nahm ihr den Ohrring aus der Hand: „Thank you. It's important to me.“ „No problem.“, sagte Mirâ in ihrem eher schlechten Englisch, während sie das Mädchen anlächelte. Zu sehen wie glücklich Mioshirô in dem Moment schaute, machte auch sie irgendwie glücklich. Diese Ohrringe mussten ihr wirklich viel bedeuten. Sie beobachtete, wie die junge Frau ihre Ohrringe wieder an den dafür vorgesehenen Stellen platzierte, bevor sie mit einem breiten Lächeln angeschaut wurde. „Warst du auch bei einem Club?“, fragte Mirâ langsam in der Hoffnung, die junge Frau würde es verstehen. Diese überlegte kurz, doch schien dann zu verstehen was gemeint war, woraufhin sie den Kopf schüttelte: „No. Ich ähm... War in... Ähm... library. Ich haben gelernt... language. Haven't spoken it for years.“ „How much?“, fragte die Violetthaarige vorsichtig. Die Schwarzhaarige zählte kurz an ihren Fingern ab: „Nine or ten years. Eine lange Zeit.“ Zehn Jahre? Dann hatte Mioshirô das Land verlassen, als sie gerade einmal sieben Jahre war. Zu dieser Zeit begann man gerade mal in der Schule damit, die Sprache erst richtig zu lernen. Das war wirklich hart. Irgendwie interessierte Mirâ in dem Moment schon wieso sie als Kind in die Staaten ziehen musste und nun wieder hier war, doch ehe sie zu einer Frage diese Art ansetzen konnte, drehte sich Mioshirô bereits um. „Sorry. I have to go. Let's talk some other time. Thanks again. Bye!“, sagte sie freundlich und winkte Mirâ noch einmal zu, bevor sie das Gebäude verließ und Richtung Tor rannte. Leicht irritiert sah Mirâ ihr nach, doch lächelte dann ehe sie ihre Schuhe wechselte und sich ebenfalls auf den Heimweg machte. Kapitel 24: XXIV - Schulalltag ------------------------------ Mittwoch, 24.Juni 2015 Eilig lief Mirâ das Treppenhaus hinauf. Sie hatte es ein wenig eilig, sodass sie sogar an Toshizo-Sensei vorbei rannte, welcher sie lautstark ermahnte, dass im Treppenhaus nicht gerannt wurde. Sie jedoch ignorierte ihn mehr oder weniger und lief weiter. Da ihre Lehrerin ihr aufgetragen hatte die Arbeitsblätter der vorangegangenen Stunde einzusammeln und ins Lehrerzimmer zu bringen, musste sie sich etwas beeilen, denn sonst würde sie von ihrer Mittagspause nicht mehr viel haben. Außerdem warteten bereits ihre Freunde auf sie. Ihr Bentou fest unter den Arm geklemmt stürmte sie um die Ecke. Nur noch eine Treppe und sie wäre auf dem Dach. Doch plötzlich knallte sie mit jemandem zusammen. Schmerzhaft fielen beide Personen zu Boden. „Aua.“, entkam es ihr nur, während sie ihren Hintern rieb, „Entschuldige. Ist alles in Ordnung?“ Sie blickte auf und erkannte Megumi, welche sich ebenfalls den Hintern rieb. „Nanu. Megumi-Chan. Entschuldige bitte. Ich hatte es eilig. Ist dir was passiert?“, fragte Mirâ besorgt. Doch die Brünette schüttelte nur den Kopf und lächelte: „Nein. Alles gut, Senpai.“ Vorsichtig stand die Kleine auf und richtete ihre schwarze Bluse und ihren knielangen Rock, bevor sie ein kleines sorgfältig eingepacktes Päckchen aufhob. Es sah aus wie eine eingepackte Bentoubox. „Wolltest du auf dem Dach zu Mittag essen?“, fragte die Ältere der Beiden, woraufhin Megumi den Blick leicht senkte und nickte, „Möchtest du vielleicht mit uns essen?“ Erstaunt sah Megumi auf, doch ehe sie reagieren konnte hatte Mirâ sie schon am Arm gepackt und mit Richtung Dach gezogen „Da bist du ja endlich, Mirâ.“, rief Akane bereits, als sie ihre Freundin sah. „Entschuldigt. Es hat etwas länger gedauert.“, entschuldigte sich Mirâ und sah erstaunt in die Gruppe. Masaru fehlte heute. Jedoch wusste Mirâ, dass er wohl etwas zu erledigen hatte und deshalb keine Zeit hatte in Ruhe Mittag zu essen. Was sie jedoch mehr erstaunte war Kuraiko, welche neben Hiroshi saß und in Ruhe ihr Essen verspeiste. Auch ihr Kumpel und Akane sahen erstaunt zu Mirâ hinüber oder besser hinter sie, wo sich Megumi versteckte. Erstaunt blickte auch Mirâ hinter sich. „Du brauchst keine Angst haben. Das sind meine Freunde Akane Chiyo, Hiroshi Makoto und Kuraiko Fukagawa.“, meinte sie, während sie auf die eben Genannten zeigte, und wandte sich an ihre Freunde, „Ich hab Megumi-Chan ausversehen umgerannt und ihr dann spontan angeboten mit uns zu essen. Hoffe das war in Ordnung.“ „Sicher.“, meinte Akane und rutschte ein Stück zur Seite, „Setz dich Yoshiko-Chan. Keine Angst, wir beißen nicht.“ Leicht irritiert sah die Brünette kurz zu Mirâ, welche sie nur anlächelte, und setzte sich dann neben die ältere Schülerin mit den dunkelbraunen Haaren. „Da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn Akane Hunger hat könnte sie auch zubeißen.“, meinte Hiroshi grinsend zu Megumi. Sofort stürzte sich Akane auf ihn, woraufhin beide wieder anfingen zu zanken. Mirâ lächelte leicht verlegen und entschuldigte sich für die Beiden bei Megumi, während Kuraiko nur genervt seufzte. Die Jüngere jedoch beobachtete die beiden Streithähne mit einem Schmunzeln, allerdings ging Kuraiko irgendwann dazwischen, als es ihr zu viel wurde und trennte die Beiden voneinander. Mit knallig roten Wangen setzten sich die Beiden auf ihre Plätze und schmollten vor sich hin. Leicht verunsichert blickte Megumi zu Kuraiko hinüber. Ein wenig machte sie ihr Angst. Abgesehen davon, dass sie mal böse von ihr zusammengestaucht wurde, war ihre Art irgendwie komisch. Megumi kam mit solch einer Art von Menschen nicht wirklich klar. Sie schrak auf, als die violetten Augen der Schwarzhaarigen sie böse fixierten, woraufhin sie den Blick abwandte. Ihr Blick wanderte zu Akane, welche links neben ihr saß und mittlerweile ein Gespräch mit Mirâ begonnen hatte. Sie wusste nicht worum es ging und versuchte auch nicht zuzuhören. Fremde Dinge gingen sie rein gar nichts an. Ab und an hörte sie auch Hiroshi etwas sagen, doch auch da hörte sie nicht zu. „Was meinst du Megumi-Chan?“, wurde sie plötzlich von Mirâ angesprochen. Erschrocken blickte sie auf und sah die Gruppe fragend an: „Ähm...“ Mirâ lachte: „Du hast ja gar nicht zugehört. Wir haben uns über das Schulfest unterhalten. Es ist zwar noch eine Weile hin, aber ich freue mich schon irgendwie drauf. Es ist immerhin mein erstes Schulfest an dieser Schule. Für dich doch auch. Oder? Bist du da nicht aufgeregt?“ Die Kleine senkte kurz den Blick: „Ich... freu mich auch ein wenig, aber die ganzen Schülermassen machen mir ein wenig Angst.“ „Wirklich? Hast du Platzangst oder so?“, fragte Hirosh, woraufhin Megumi allerdings den Kopf schüttelte. „Nein das nicht. Aber ich fühle mich dann nur nicht so wohl.“, sagte sie leise. „Vielleicht fühlst du dich auch nur unwohl, wenn du alleine bist. Wenn du mit uns das Schulfest verbringst, geht es dir vielleicht besser. Was meinst du?“, schlug Akane vor, „Manchmal ist es in solchen Situationen besser, man ist mit Leuten zusammen die man kennt.“ Erstaunt sah die Brünette in die lächelnden Gesichter von Mirâ, Hiroshi und Akane, welche ihr sagten, dass sie herzlich willkommen war. Ihr Blick schweifte zu Kuraiko, die jedoch nur ernst und eher desinteressiert in Richtung Stadt schaute. Doch für einen kurzen Moment kam es Megumi so vor, als habe die Schwarzhaarige kurz gelächelt. Erleichtert lächelte auch die Jüngere und nickte ihren Senpais dankend zu. Das Training am Nachmittag zog sich für Mirâ in die Länge. Zwar machte ihr Kyûdô Spaß, jedoch hatte sie an diesem Tag eigentlich keine wirkliche Lust auf die AG. Lustlos holte sie ihre Pfeile aus der Zielscheibe und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Übungsplatz, als sie hörte wie die Tür zur Lehrerkabine aufging. Neugierig blickte sie auf und erkannte Amy, welche seufzend aus dem Raum trat und dann das Trainingsgelände verließ. Sie sah erschöpft aus. Ob alles in Ordnung war? Am liebsten wäre ihr Mirâ nachgegangen, um sie zu fragen, doch sie durfte ohne Erlaubnis nicht einfach während des Trainings verschwinden. Das musste also noch warten. Schade eigentlich. Erneut hörte sie die Tür der Kabine aufgehen und kurz darauf trat Dai heraus. Auch er sah erschöpft aus, jedoch weniger als Amy. Mirâ bekam mit, wie ein Junge aus der AG, welcher wahrscheinlich mit Dai in eine Klasse ging, nachfragte was passiert sei, doch der junge Mann winkte nur ab und meinte, dass es nicht wichtig sei. Daraufhin begab er sich an seinen Übungsstand und begann ebenfalls mit seinem Training. Die Violetthaarige beobachtete ihn eine Weile, wobei ihr auffiel, dass er auch ziemlich unkonzentriert war. Das sah alles andere als nicht wichtig aus. Es musste etwas passiert sein und Mirâ war sich sicher es hatte etwas mit der Neuwahl für den Managerposten zu tun. Wenn sie die Gelegenheit fand, würde sie versuchen Dai darauf anzusprechen und ein gutes Wort für Amy einlegen. Ihre Chance kam schneller als erwartet, als sie Dai nach der AG bei den Schuhfächern traf. Es war selten, dass er zur selben Zeit heim hing wie alle anderen, da er normalerweise noch einiges zu erledigen hatte. Heute jedoch schien er dafür keine Nerven mehr zu haben. Gerade als er gehen wollte, stellte sich die Violetthaarige ihm in den Weg. Erstaunt sah er sie mit seinen dunkelblauen Augen an, während der Blick Mirâs ernst war. „Was ist denn so wichtig, Shingetsu?“, fragte Dai nach einer Weile. Beide hatten das Gebäude verlassen und waren Richtung Tor gelaufen. Die meisten Schüler waren bereits verschwunden, weshalb sich die junge Frau keine großen Gedanken um irgendwelche Gerüchte machen musste, nur weil sie mit ihrem Senpai reden wollte. Ihr Blick war immer noch ernst: „Es geht um Iwato-Senpai.“ Dai sah sie erst erstaunt an, doch schien dann zu begreifen: „Ach wegen der Neuwahl. Du hast davon erfahren? Jemand hat uns gesagt sie würde unsere Mitglieder bedrohen. Oder potentielle Mitglieder. Das wäre Sabotage. Wir brauchen die Mitglieder.“ „Das stimmt nicht.“, entkam es Mirâ schnell. Wohl etwas zu schnell, denn der Braunhaarige sah sie verwundert an. „Sei ehrlich. Glaubst du wirklich das Iwato-Senpai so etwas tun würde?“, fragte die junge Frau direkt. Der Junge ihr gegenüber kratzte sich am Hinterkopf und fixierte einen Punkt außerhalb des Schulgeländes: „Es ist nicht relevant was ich glaube. Wenn mir so etwas zu Ohren kommt muss ich dem auf den Grund gehen. Das ist meine Aufgabe als Kapitän.“ „Aber glauben tust du es nicht!?“, wieder sah der Braunhaarige sie verwundert an und traf dabei mit seinem Blick auf den von Mirâ, welche ihn ernst und hoffnungsvoll ansah. Er seufzte: „Nein. Aber ich kenne Hime. Wenn ihr etwas nicht passt kann sie ungehalten werden. Aber mich erstaunt, dass du dich so für sie einsetzt. Ich kann mich erinnern, dass ihr euch öfters in den Haaren hattet.“ „Wir hatten unsere Probleme, ja, aber die haben wir in einem Gespräch aus der Welt geschafft.“, meinte Mirâ, während sie ihrem Senpai den Rücken zu drehte, 'Außerdem war sie wegen dir so komisch zu mir. Aber das kann ich ja schlecht verraten.' Sie vernahm ein erleichtertes seufzen: „Ein Glück. Ich dachte schon ihr vertragt euch nie. Das löst aber leider nicht das Problem. Ich weiß dass es schwer ist für Hime und wenn es nach mir ginge müsste sie da auch nicht durch, aber der Lehrer hat nun mal entschieden, das neu gewählt werden soll. Urgh... Hätte ich doch nur meine Klappe gehalten und erst mal mit Hime drüber gesprochen.“ Verzweifelt fasste sich der junge Mann an die Stirn, woraufhin ihn Mirâ erstaunt ansah: „Sag Senpai. Kann es sein, dass du Iwato-Senpai echt gern hast?“ Dais Blick schnellte zu ihr, während er knallig rot anlief. Diese Reaktion war eindeutig. Also hatte Amy sich vollkommen umsonst Sorgen gemacht, dass ihr geliebter Dai etwas von einer anderen wissen wollte. Grinsend klopfte ihm Mirâ auf den Rücken und wünschte ihm viel Erfolg, bevor sie sich umdrehte und sich auf den Weg nach Hause machte. Kurz jedoch blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu Dai: „Ach Senpai. Bei der Wahl werde ich definitiv für Iwato-Senpai stimmen, denn ich finde sie macht ihre Arbeit sehr gut und hat Spaß daran. Und wenn du sie wirklich gern hast, solltest du ihr vielleicht auch mehr vertrauen.“ Damit ließ sie Dai verwundert am Tor stehen und ging. In ihrer Tasche spürte sie, wie ihr Handy vibrierte, doch in diesem Moment interessierte sie das nicht. Donnerstag, 25.Juni 2015 Erschrocken blickte Mirâ auf den schwarzen Sportwagen, welcher einen Moment zuvor mit quietschenden Reifen neben ihr gehalten hatte. Die seitlichen Türen zierten rote Vinyls in Form von Flammen, welche sich von der Beifahrertür bis zum hinteren Kotflügel zogen. Die hinteren Fenster, sowie die Heckscheibe waren schwarz getönt. Wer auch immer dieses Auto fuhr, der musste viel Geld haben, denn soweit Mirâ sehen konnte, handelte es sich um ein ziemlich teures Modell. PS-stark schien der Wagen jedenfalls zu sein. Einen riesigen Knall musste der Fahrer auch haben, wie Mirâ fand. So schnell in die Nähe von Menschenmassen zu fahren, war wirklich verrückt. Die Beifahrertür flog auf und Mirâ vernahm eine ihr bekannte Stimme. „Moah. Onii-chan, it's dangerous if you drive so fast. You should drive more slowly.“, meckert die weibliche Stimme, während das dazugehörige Mädchen aus dem Auto stieg. Es war Mioshirô, welche den Wagen verließ, allerdings hatte sie ihren Blick weiterhin in die Richtung des Fahrers gerichtet. Dieser seufzte nur und sprach mit netter, allerdings etwas genervter, tiefer Stimme in fließendem Japanisch mit der jungen Frau. Er meinte, dass er nicht so rasen müsse, wenn sie nicht ständig verschlafen würde und er sie deshalb ständig zur Schule fahren müsste. Die Schwarzhaarige mit dem blonden Pony streckte dem Mann die Zunge entgegen und zog ihr unteres Augenlid nach unten, ehe sie mit einem „Ya mata“ die Tür zuwarf und sich ruckartig umdrehte. Da sie sich bei dieser Drehung ihren Rucksack über sie Schultern warf, hätte sie beinahe Mirâ erwischt, welche allerdings noch schnell einen Schritt zurückgehen konnte und Mioshirô nun mit großen Augen anstarrte. Auch die Schwarzhaarige sah sie mit ihren violetten Augen verwundert an. Beide Mädchen schraken auf, als das Fenster der Beifahrertür herunter ging und sich der Mann am Steuer noch einmal von Mioshirô oder Shio, wie er sie nannte, verabschiedete, ehe er weiter fuhr. Kurz sahen die jungen Frauen dem Wagen nach, bevor Mirâ der Schwarzhaarigen anbot gemeinsam den restlichen Weg zur Schule zu gehen. Mioshirô, welche dem Wagen ihres Bruders noch kurz beleidigt nachsah, nahm dieses Angebot freudestrahlend an. „Ich ähm... Wollte mich noch... Bei dir bedanken für vorgestern. Thanks, ähm...“, versuchte Mioshirô auf Japanisch zu sagen, jedoch schien ihr Mirâs Name nicht einzufallen. Woher auch? Die Violetthaarige hatte vollkommen versäumt sich dem Mädchen vorzustellen. Die holte sie in diesem Moment nach: „Shingetsu Mirâ.“ Leicht erstaunt sah Mioshirô sie an, doch lächelte dann: „Then... Danke Mirâ.“ Etwas überrascht sah Mirâ die Schwarzhaarige an. Sie war es nicht gewohnt sofort mit Vornamen angesprochen zu werden. Zu mindestens nicht seit sie auf die Mittelschule gegangen war. Als Kind machte man sich über Etikette nicht wirklich Gedanken, jedoch bekam man irgendwann mit, dass es in der Gesellschaft nicht erwünscht war sich sofort beim Vornamen zu nennen, sondern erst einmal des Respekts wegen beim Nachnamen. Auch Mioshirô schien nun ihrem Fehler bemerkt zu haben und schrak auf. „Sorry. Ich hätte Shingetsu... Sagen müssen. Oder? It's a bad habit from America.“, entschuldigte sie sich. „Nein, schon gut. Das ist nicht schlimm. Ich bin da nicht so.“, beruhigte Mirâ ihr Gegenüber, „Ich war nur erstaunt, weil ich es nicht gewohnt bin. Du kannst mich ruhig Mirâ nennen.“ „Realy? Thanks. Du kannst mich Shio nennen.“, meinte Shio lächelnd, „My friends und my brother... Nennen mich so.“ „Shio?“, etwas irritiert legte die Violetthaarige den Kopf schief. Shio nickte: „Ah. I know, it means salt. Right? I don't know, warum mein Bruder mich so genannt hat. He was the first. But it's ok. Ich mag ihn.“ „Ich verstehe.“, meinte Mirâ. Während die beiden jungen Frauen über den Schulhof liefen erzählte ihr ihre neue Freundin etwas über sich. So erfuhr Mirâ, dass Shio aufgrund des Berufes ihres Vaters zu ihren Bruder ziehen musste, welcher in Japan blieb, als sie und ihr Vater in die Staaten zogen. Ihr Vater musste beruflich nach Deutschland und da sie selber der deutschen Sprache nicht mächtig war, allerdings auch nicht alleine in den Staaten bleiben konnte, weil sie noch nicht volljährig war, war die letzte Alternative ihr älterer Bruder. Dieser hatte zwar selber genug mit seinem Job zu tun, war allerdings gerne bereit sich um seine kleine Schwester zu kümmern. Allerdings hatte sich dieser angewöhnt mit Shio nur auf Japanisch zu reden, damit sie wieder ihre alte Landessprache lernte, obwohl er ebenfalls fließend Englisch sprach. Das jedoch verriet Mirâ wenigstens, wie es Shio schaffte mittlerweile bereits ganze Sätze zu sagen. „Das ist ziemlich hart. Vermisst du deine Freunde nicht?“, fragte Mirâ, obwohl sie sich die Antwort denken konnte. „Sure, but... Wir schreiben miteinander und bleiben so in Kontakt. It's hard, but ok. Wenn ich alt genug bin gehe ich zurück.“, meinte die Schwarzhaarige lächelnd, während die Beiden den Eingangsbereich betraten und ihre Schuhe wechselten. Mit leicht traurigem Blick sah die Violetthaarige zu der jungen Frau hinüber, welche aber weiterhin lächelte. Mirâ kannte das Gefühl Freunde zurück lassen zu müssen, deshalb konnte sie verstehen, wenn es Shio dabei nicht gut ging. Doch diese schien ganz gut damit klar zu kommen, oder zeigte einfach nicht, wenn es ihr schlecht ging. Sie ließ sich jedenfalls davon nicht unterkriegen. Die junge Frau ihr gegenüber schien einen starken Charakter zu haben und ein wenig beneidete Mirâ sie dafür. Sie kam sich kindisch vor, wenn sie daran dachte, dass sie die letzten Jahre Freundschaften vermieden hatte, weil sie nicht verletzt werden wollte. Shio jedoch war anders. Sie versuchte das Beste aus ihrer Situation zu machen und neue Freunde zu finden. Vielleicht sollte sie sich daran ein Beispiel nehmen. Sie spürte wieder ihr Handy in der Tasche vibrieren, doch ehe sie danach greifen konnte, wurde sie bereits von hinten angesprungen und umarmt. „Guten Morgen liebste Mirâ.“, begrüßte sie Akane freudig. Lachend sah die junge Frau zu ihrer besten Freundin und hatte in jenem Moment bereits wieder ihre Gedanken vergessen: „Guten Morgen Akane. Wie war das Morgentraining?“ Das Morgentraining von Akanes Judoclub war der Grund gewesen, weshalb Mirâ an diesem Tag alleine zur Schule gehen musste, da das Training bereits eine Stunde vor Schulbeginn losging. Die Braunhaarige winkte auf sie Frage allerdings nur ab, was wohl bedeutete, dass es schwachsinnig war so früh aufgestanden zu sein, und drehte sich dann fragend in Shios Richtung. Auch sie sah fragend zu den beiden Mädchen, doch verabschiedete sich dann von Mirâ und verschwand im ersten Stock. Kurz sahen die beiden Mädchen ihr nach, ehe Akane wagte zu fragen: „Seit wann seid ihr befreundet?“ „Wir sind uns auf dem Weg hierher begegnet und haben uns ein wenig unterhalten. Sie ist wirklich nett, hat es aber nicht so einfach. Aber sie steht das echt tapfer durch.“, erklärte Mirâ. „Hu?“, kam es lang gezogen von Akane, doch zuckte dann mit den Schultern und streckte sich, „Boah ich bin Hundemüde. Ich werde die erste Stunde garantiert nicht überleben. Doofes Morgentraining.“ „Da kann man nichts machen, Akane. Ich versuche dich wachzuhalten.“, meinte die Violetthaarige lachend, während sie sich auf den Weg in den ersten Stock machte, wohin ihr Akane folgte. Seufzend verließ Mirâ das Schulgebäude. Akane hatte sich bereits eher von ihr verabschiedet, da sie wieder einen Anruf von zu Hause bekommen hatte und somit versuchen wollte, die nächste U-Bahn zu bekommen. Auch Hiroshi war bereits weg, weil er etwas zu erledigen hatte. Zudem hatte er eh einen anderen Schulweg, als Mirâ und hätte sie sowieso nicht begleiten können, ohne einen Umweg zu machen. "Und Masaru-Senpai hat im Schülerrat zu tun.“, ging ihr durch den Kopf, während sie den Kopf sinken ließ. Sie hatte also keine andere Wahl, als an diesem Tag mal wieder alleine nach Hause zu gehen. Ob sie laufen sollte? Vielleicht traf sie unterwegs wieder Megumi. Ein Blick in den Himmel verriet ihr allerdings, dass es wohl bald regnen würde. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die jüngere Schülerin sich bei der Gefahr an den Fluss setzen würde. Vielleicht sollte sie sich auch besser beeilen, wenn sie nicht nass werden wollte. Sie wollte sich gerade auf den Weg machen, als ihr jemand am Wegrand des Schulhofs auffiel. Kuraiko hockte in einem der Beete und kümmerte sich um die dort eingepflanzten Blumen. Sie war sauer. Obwohl der Botanikclub an die 10 Mitglieder hatte, war sie doch am Ende die Einzige, die überhaupt etwas machte. Die anderen waren, so wie sie das sah, nur in dem Club angemeldet, damit sie überhaupt einen Kurs nach der Schule belegten. Aber die Arbeit blieb grundsätzlich an ihr hängen und das nervte sie, obwohl sie Gartenarbeit eigentlich sehr mochte. Wütend zupfte sie das Unkraut heraus, welches um die Blumen herum wuchs, als sie plötzlich einen Schatten über sich spürte. Irritiert hob sie ihren Blick und sah in zwei rote fragend blinkende Augen. „Hallo Fukagawa.“, grüßte Mirâ sie freundlich und sah sich um, „Bist du wieder alleine unterwegs? Wo sind denn die Mitglieder deines Clubs?“ „Das frage ich mich auch jedes Mal, aber ich nehme an, sie werden bereits zu Hause sein oder sich irgendwo in der Stadt herumtreiben.“, erzählte Kuraiko in einem Ton, der nicht einmal Zweifel daran ließ, dass sie sauer war. Die Violetthaarige legte den Kopf schief: „Jedes Mal? Heißt das, das ist nicht zum ersten Mal so? Das ist ziemlich gemein.“ „Was soll ich machen? Kann ihnen ja nicht vorschreiben zu bleiben.“, erklärte die Schwarzhaarige, während sie sich weiter dem Unkraut widmete. Da hatte sie allerdings Recht. Es gab zwar Clubs die eine Anwesenheitspflicht hatten, aber der Botanikclub gehörte anscheinend nicht dazu. Wahrscheinlich unternahm Kuraiko auch nichts, da ihr Club wahrscheinlich sonst zu wenige Mitglieder hätte und geschlossen werden würde. Andererseits fand Mirâ es schwachsinnig einen Kurs zu belegen und diesen nie zu besuchen. Das brachte am Ende ja auch nichts. „Ähm... Soll ich dir helfen?“, fragte Mirâ vorsichtig, woraufhin die Schwarzhaarige sie erstaunt ansah, „Ich kenne mich zwar nicht wirklich gut aus, aber wenn du mir erklärst was ich machen soll, dann bekomme ich das hin.“ „Sicher?“, fragte ihr Gegenüber etwas ungläubig, was Mirâ nur mit einem Nicken bestätigte, „Das wäre nett. Ähm... Ich hole dir schnell eine Schürze und Handschuhe.“ Daraufhin war die Schwarzhaarige im Schulhaus verschwunden und kam wenige Minuten später mit eben genannten Gegenständen zurück, welche sie Mirâ reichte. Diese stellte ihre Tasche in sichtnähe ab und streifte sich Schürze und Handschuhe über. Danach erklärte ihr Kuraiko in Ruhe, welche Pflanzen sie wie herauszuholen hatte und welche Pflanzen sie unter keinen Umständen verletzen durfte. Als alles erklärt war, fingen beide Frauen mit der Arbeit an. Zwischendurch fragte Mirâ Kuraiko ein wenig aus, weshalb sie erfuhr, dass eben diese den Botanikclub im ersten Schuljahr gegründet hatte, da sie in der Mittelschule bereits einen solchen Club besuchte. Am Anfang waren es auch genügend Schüler, welche mit Lust und Spaß bei der Arbeit waren, wodurch die Schulleitung die Erlaubnis gab, die Beete auf dem Schulhof zu gestalten. Doch mit der Zeit kamen immer weniger Schüler, doch Kuraiko wollte weiterhin die Beete pflegen und stand so regelmäßig alleine da. Dadurch blieb Kuraiko teilweise auch bis spät abends in der Schule, bevor der Hausmeister meistens alles abschloss. „Aber das macht mir nichts aus.“, beendete Kuraiko ihren Satz, „Ich liebe es mit Pflanzen zu arbeiten. Von daher...“ Erstaunt sah Mirâ zu der Schwarzhaarigen, welche leicht rot anlief, als sie den Blick der Violetthaarigen spürte. Schnell wandte sie den Blick ab, damit Mirâ nicht merkte wie sie rot wurde. Diese jedoch lächelte nur. Kuraiko hatte also auch ihre guten Seiten, nur zeigte sie diese selten. Jedoch hoffte die Violetthaarige, dass ihre neue Freundin ihr gegenüber irgendwann auftauen würde. Leider setzte kurz darauf der sich bereits ankündigende Regen ein, wodurch die beiden Mädchen ihr Werk nicht zu Ende bringen konnten. Gemeinsam standen sie unter dem Vordach der Eingangshalle und starrten auf den grauen Himmel hinaus. „So ein Mist aber auch.“, fluchte Kuraiko. „Da kann man nichts machen.“, meinte Mirâ, „Blöd nur das wir beide keinen Schirm haben. Oder?“ „Ja das stimmt.“, nickte sie Schwarzhaarige, „Aber komm mir jetzt nicht, es sei meine Schuld, dass du nun nicht heim kommst.“ Die Violetthaarige lächelte. Anscheinend sollte das wohl eine Entschuldigung sein, halt in Kuraikos Art. „Nein schon gut. Ich hab meine Mutter angerufen, dass es etwas später wird. Außerdem hat es Spaß gemacht mich mit dir zu unterhalten.“, erklärte Mirâ lachend, woraufhin sie nur wieder einen leicht erstaunten Blick Kuraikos erntete. Diese räusperte sich kurz: „D-dann ist ja gut. Aber trotzdem danke für deine Hilfe.“ Mirâ konnte das Gesicht der Schwarzhaarigen nicht sehen, da sie wieder einmal den Blick abgewendet hatte, jedoch konnte sie sich vorstellen, dass sie wieder knallig rot im Gesicht war. „Schon gut. Keine Ursache.“, lächelnd blickte die Violetthaarige zum wolkenverhangenen Himmel, während sie in ihrer Jackentasche kurz ihr Handy vibrieren spürte. Kapitel 25: XXV - Rettung in letzter Sekunde -------------------------------------------- Samstag, 27.Juni 2015 - Abend „Vielen Dank und beehren Sie uns bald wieder.“, verabschiedete sich Mirâ höflich von der Gruppe Mittelschüler, welche soeben die Karaokebar verließen. Bis vor wenigen Minuten hatten sie noch ausgiebig in einem der vielen Räume gefeiert und lautstark gegrölt. Mirâ war in dieser Zeit ihre Bedienung und jedes Mal, wenn sie den Raum betrat, hatte sie Angst um ihre Ohren. Einige der Mädchen in dieser Gruppe sangen sowas von schief und gingen mit ihren Stimmen so weit hoch, dass es schon eher ein kreischen war, dass man denken musste, sie wollten die Gläser zerspringen lassen, welche auf dem Tisch standen. Zwar ließ es sich die junge Frau nicht anmerken, aber ihr dröhnte dadurch mächtig der Kopf und sie war froh, wenn sie Feierabend machen konnte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr auch, dass es fast so weit war, wenn nicht unverhofft doch noch ein Gast die Bar aufsuchte. Es war jedoch bereits kurz vor 11 Uhr, sodass sich Mirâ nicht denken konnte, dass noch jemand aufschlug. Jedenfalls hoffte sie das inständig. Immerhin musste sie sonst so lange bleiben, bis die Gäste gingen, welche in dem Raum waren, den sie betreute, außer Shuichi verkündete, dass die Bar bald geschlossen wurde. Doch samstags war meistens Open End. Mirâ wollte sich gerade auf den Weg zu den Umkleidekabinen machen, als sie eine ihr bekannte Stimme vernahm, die ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte und sie stoppen ließ. „Hallo Shuichi. Wie immer.“, sagte die Stimme nur. Erschrocken sah die junge Frau in die Richtung, aus welcher die Stimme kam und erkannte denjenigen, den sie am wenigsten sehen wollte: Kyo. Zu ihrem Erstaunen jedoch, war er an diesem Abend alleine, ohne seine weiblichen Anhänger. „Oh guten Abend mein Süßer.“, begrüßte ihn Shuichi mal wieder reichlich übertrieben. Zwar war Shuichi vom anderen Ufer, jedoch zeigte er das selten offen. Sicher merkte man es ihm an, doch selten wenn er sprach. Nur bei diesem ganz bestimmten Gast wurde seine Art übertrieben, da er den jungen Mann damit aufziehen konnte. Und auch dieses Mal fiel dieser wieder darauf herein und ging den jungen Mann am Tresen wieder mürrisch an. Shuichi jedoch lächelte nur und griff nach einem der Schlüssel, welchen er Kyo hinhielt. Der Blauhaarige riss ihn wieder einmal förmlich aus Shuichis Hand und stampfte dann zu dem Raum, welchen er eigentlich immer reservierte. Erstaunt sah Mirâ ihm nach. Sie wusste nicht, weshalb Kyo immer nur diesen Raum haben wollte. Jeder Raum war gleich ausgestattet. Ob es eine Bedeutung hatte? Aber vielleicht machte sie sich auch zu viele Gedanken und es hatte gar keinen tieferen Sinn, dass Kyo immer diesen Raum nahm. Die junge Frau zuckte aus ihren Gedanken auf, als sie Shuichi ihren Namen rufen hörte. Erschrocken drehte sie sich zu ihrem Kollegen um, welcher sie bat sich noch um Kyo zu kümmern. Zwar protestierte Mirâ, da sie bald Feierabend hatte, doch der junge Mann versprach ihr, ihr rechtzeitig eine Ablösung zu schicken. Seufzend griff sie nach ihrem Lesegerät für die Bestellungen und schnallte es sich um. Es dauerte auch keine Minute, ehe es bereits piepste und die Bestellung aus besagtem Raum an sie weitergeleitet wurde. Erneut seufzend gab sie diese an die Bar weiter und wartete, bis alles vorbereitet war. Kurz darauf stand sie mit zittriger Hand vor dem Raum und klopfte vorsichtig, ehe sie eintrat. „Guten Abend. Ich bin heute Ihre Bedienung. Hier ist Ihre Bestellung.“, begrüßte sie den jungen Mann so höflich wie es ihr in diesem Moment möglich war und stellte ihm seine Bestellung, ein Long Island Icetea, ein Glas Wasser und ein paar Knabbereien auf den Tisch. „Hey. Du bist doch das freche Biest von letztens.“, meinte er grinsend, „Hab ich recht?“ Mirâ nuschelte eine Entschuldigung und wollte gehen, doch Kyo schien es zu überhören, griff sie am Handgelenk und zog sie näher zu sich. Als die junge Frau erschrocken aufblickte, schaute sie in die gelben Augen von Kyo, welche nur wenige Zentimeter von ihren entfernt waren. Auch ihr Gesicht befand sich nur einen Wimpernschlag von dem des älteren entfernt. Sofort lief die junge Frau tiefrot an und wollte wieder einen Schritt zurück, um Abstand zu gewinnen, doch der junge Mann ließ sie nicht los. „Du hast ja richtig hübsche Augen.“, sagte er in einem Tonfall, den Mirâ nicht richtig einzuordnen vermochte, „Wollen wir ein bisschen Spaß zusammen haben?“ „Bi-Bitte lassen Sie mich los.“, stotterte die Violetthaarige und versuchte erneut Abstand zu Kyo zu bekommen, doch egal was sie macht, er ließ ihr Handgelenk nicht los. Warum musste auch ihr so etwas passieren? Die ganze Situation war ihr so unangenehm. Sie wollte hier raus. Nur weg von ihm. Doch nichts half. Plötzlich spürte sie erneut seine Hand an ihrem Hintern. Aus reinem Reflex griff Mirâ nach dem ersten was sie zu greifen bekam und einen Moment später hatte Kyo sein bestelltes Wasser im Gesicht. Erschrocken ließ er die junge Frau los, welche sofort Abstand nahm und erst mal durchatmete. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie spürte immer noch ganz deutlich, wie ihr Gesicht glühte. Erst nach und nach realisierte sie, was sie eben getan hatte und war einerseits erleichtert deshalb von Kyo weggekommen zu sein, aber auch geschockt darüber, was passiert war. Hätte sie nur falsch gegriffen, hätte sie Kyo den Cocktail ins Gesicht geschüttet, welcher fast nur aus Alkohol bestand. Sie blickte in das vollkommen erschrocken Gesicht des jungen Mannes, dessen nasses Haar ihm im Gesicht klebte. Schnell verbeugte sie sich mit einer Entschuldigung, ehe sie fluchtartig aus dem Raum stürmte. Als sie ruckartig die Tür öffnete, blickte sie in das erschrockene Gesicht ihrer Kollegin. Die Schwarzhaarige ihr gegenüber wollte anscheinend gerade selber in den Raum und hatte nicht damit gerechnet, dass die Tür plötzlich aufgerissen wurde. „Huch. Mirâ, warum hast du es so eilig? Shuichi schickt mich. Ich soll dich ablösen.“, sagte die junge Frau. Sie war vier Jahre älter als Mirâ und arbeitete hauptberuflich in der Bar, weshalb sie fast jeden Abend hier anzutreffen war. Ihre nette und zuvorkommende Art half ihr schnell Freunde zu finden und mit den Gästen ohne Probleme auszukommen. Auch Mirâ hatte ihre freundliche Art schon mitbekommen, als sie angefangen hatte in der Bar zu jobben und noch total überfordert war. Obwohl ihre Kollegen dabei selber mehr als genug um die Ohren hatte, war es für sie selbstverständlich der Violetthaarigen unter die Arme zu greifen. Nun da Mirâ aus dem Raum heraus war und vor ihrer Kollegin stand ließ die Anspannung in ihrem Körper wieder nach. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen und liefen ihre Wangen herunter, woraufhin sich die junge Frau hinhockte und versuchte die warme Flüssigkeit wegzuwischen. Erschrocken sah ihre Kollegin sie an: „Mirâ. Was ist denn los?“ Sie hockte sich zu der Oberschülerin herunter und versuchte sie zu beruhigen, als die Tür zum Karaokeraum hinter Mirâ aufging und ein nasser Kyo in der Tür stand. „Hey sag mal, was...“, der junge Mann stoppte, als er den erschrockenen und verheulten Blick Mirâs sah. Diese war so überrascht, dass sie aufsprang und fluchtartig in die Umkleidekabine rannte. Sie hörte noch die erschrockene Stimme ihrer Kollegin, welche nach ihr rief, doch das interessierte sie nicht. Sie wollte nur weg von diesem Kerl. Eine viertel Stunde später saß die Oberschülerin zusammengesunken auf einem Stuhl in der Umkleidekabine, während ihre Kollegin neben ihr Shuichi zusammenstauchte. „Du Idiot. Du weißt doch genau, dass du zu Kyo nicht jeden schicken kannst. Vor allem nicht, wenn er alleine unterwegs ist. Du weißt genau wie er ist.“, schimpfte sie den älteren Kollegen aus. Dieser kratzte sich am Hinterkopf und entschuldigte sich zum gefühlten hundertsten Mal bei Mirâ dafür, dass er sie so unbedacht in eine so unangenehme Situation gebracht hatte. „N-nein mir tut es leid.“, entschuldigte sich Mirâ, „Ich hätte nicht so überreagieren dürfen.“ „Ach was. Du hast dich ja nur gewehrt. Und keine Sorge. Kyo ist zwar etwas schwierig, aber er ist alles andere als nachtragend.“, erklärte ihre Kollegin mit einem Lächeln, „Also alles gut. Am besten du machst jetzt Feierabend, gehst nach Hause und versuchst dich etwas zu beruhigen. Und vergiss das wieder. Mach dir darüber einfach keine Gedanken.“ Mirâ nickte und stand auf: „Ich versuche es.“ Sie schnappte sich ihrer Jacke und Tasche und wollte sich auf den Weg machen. „Kommst du alleine zurecht?“, fragte Shuichi besorgt, „Soll ich dich zur U-Bahn begleiten?“ Man merkte sofort, dass er sich für den Vorfall die Schuld gab. Mirâ jedoch lehnte dankend ab und meinte, dass alles gut sei und sie eh unterwegs noch was Kleines essen wollte. Nachdem sie sich noch für die Hilfe ihrer Kollegin bedankt und sich verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg zur U-Bahn. Seufzend und mit einem Sandwich in der Hand verließ Mirâ den Konbini, welcher in der Nähe der U-Bahnstation war. Sie hatte tierischen Hunger. Die Aufregung hatte sich auf ihren Magen gelegt. Während sie genüsslich in das Brot biss, kramte sie ihr Handy hervor und lief Richtung U-Bahnstation. Es hatte nach dem Vorfall vibriert und die junge Frau vermutete das schlimmste. Und sie sollte nicht enttäuscht werden. Bei der Persona-App gab es ein Update. Die Devil Arcana hatte sich um einen Balken erweitert. Sie verstand das System nicht, immerhin dachte sie Social Links sind Verbindungen, die sie mit Leuten schloss, die ihre Freunde waren. Doch für Kyo empfand sie derzeit alles andere als Freundschaft. Man konnte es schon fast Hass nennen, was sie für den Blauhaarigen empfand. Zu was war also dieser Social Link gut? Das war ihr eindeutig zu hoch, doch Margaret oder gar Igor danach zu fragen, brachte eh nichts. Aber vielleicht sollte sie es mal versuchen. Sie schrak auf, als sie ein lautes Hupen vernahm. Erschrocken blickte sie zur Seite und sah zwei helle Lichter mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu rasen. Viel zu geschockt, um sich bewegen zu können, gab es für sie keine Chance mehr die Straße zu verlassen. Warum hatte sie auch nicht auf die Straße geachtet? Schon darauf gefasst, gleich von dem Auto erfasst zu werden, kniff sie die Augen zusammen, doch plötzlich griff sie etwas am Arm und zog sie mit so viel Schwung zurück, dass sie schmerzhaft auf ihrem Hintern landete. Mit quietschenden Reifen hielt der rote Sportwagen. „Du blöde Kuh. Kannst du nicht auf die Ampel gucken?“, schrie der Fahrer sie aus dem Fenster her an, ehe er wieder Gas gab und mit erneut quietschenden Reifen weiterfuhr. Geschockt sah Mirâ auf die Stelle, wo das Auto gestoppt hatte. Um ein Haar wäre sie von eben diesem überfahren worden, wenn sie nicht jemand weggezogen hätte. Doch wer? Langsam drehte sie ihren Kopf, um ihren Retter sehen zu können, als sie lauthals erneut angeschnauzt wurde. „Sag mal bist du bescheuert? Du müsstest eigentlich alt genug sein, um die Verkehrsregeln zu können.“, meckerte ein großer Mann. Im Licht der Laternen erkannte Mirâ, dass er schwarze kurze Haare hatte. Er trug eine dunkelblaue teilweise kaputte Jeans, eine schwarze Jacke und, wenn Mirâ es richtig erkannte, ein rotes Shirt. Sauer blickte er auf die junge Frau herunter. Dabei erkannte sie die zwei Narben, welche sich über seinem linken Auge befanden. Erst langsam wurde Mirâ klar wie viel Glück sie eigentlich hatte. Langsam senkte sie ihren Blick und ließ ihren Kopf hängen. Dieser Abend war eindeutig nicht ihrer gewesen. Erst die Sache mit Kyo und nun wurde sie noch von einem Fremden gemaßregelt. Zu Recht! Was hatte sie nur verbrochen? Sie hörte ein Seufzen neben sich, bevor sie merkte, wie der Mann sich zu ihr herunterhockte: „Hey. Alles in Ordnung? Bist du verletzt?“ Vorsichtig sah sie auf und in zwei dunkelrote besorgte Augen. Jetzt, wo er ihr so nahe war, bemerkte Mirâ erst, dass ihr Gegenüber nicht viel älter zu sein schien als sie selbst. Vielleicht ungefähr in Masarus Alter, aber auf keinen Fall älter. Schnell schüttelte sie den Kopf: „N-Nein. Alles gut. Danke für deine Hilfe. Ohne dich würde ich wohl jetzt nicht mehr leben oder aber schwer verletzt im Krankenhaus liegen.“ „Dann ist ja gut.“, mit einem Ruck stand der Schwarzhaarige wieder auf und reichte ihr seine Hand, „Aber pass das nächste Mal besser auf und starre nicht auf dein Handy.“ „J-ja, das werd ich.“ Apropos ihr Handy. Irritiert sah sie sich um. Sie hatte es auf der Straße noch in der Hand gehabt, nun jedoch nicht mehr. Nach kurzer Zeit fand sie das rote Smartphone knapp vor der Straße wieder und hob es vorsichtig auf. Äußerlich hatte es zwar einige Schrammen, aber es sah nicht kaputt aus. Sie hoffe, dass auch innerhalb nichts kaputt gegangen war. Vorsichtig schaltete sie das Display an und entsperrte es. Es schien alles noch zu funktionieren. „Ein Glück.“, dachte sie sich, wobei das Handy nur ein kleines Opfer gewesen wäre. Hätte der junge Mann ihr nicht geholfen, hätte sie das Handy eh nicht mehr nutzen können. „Aber trotzdem gut, dass ich mir kein neues besorgen muss.“, sie drehte sich zu dem Schwarzhaarigen und verbeugte sich noch mal, „Danke für deine Hilfe.“ „Schon gut. Pass nächstes Mal einfach besser auf.“, damit drehte er sich um und ging zurück Richtung Konbini. Mirâ sah ihm kurz nach, ehe sie sich nun, ohne aufs Handy zu starren, auf den Weg zur U-Bahn und dann nach Hause machte. Sonntag, 28.Juni 2015 Das stetige summen ihres Smartphones, welches neben ihrem Futon lag und freudig hin und her rutschte, ließ sie aufwachen. Murrend griff sie nach dem nervigen Gegenstand, sich selbst hassend, es nicht auf lautlos gestellt zu haben, und nahm den Anruf entgehen. „Ja?“, kam es nur verschlafen. „Mirâ! Wo bleibst du denn? Wir wollten uns doch heute treffen!“, kam es laut aus dem Hörer, was die Violetthaarige aufschrecken und auf ihre Uhr sehen ließ. Diese zeigte 12:30 Uhr an. „Oh verdammt! Ich hab verschlafen.“, rief Mirâ erschrocken und sprang auf, „Es tut mir so leid Akane. Ich bin gleich da.“ Ein Seufzen war am anderen Ende zu hören, welches in ein leicht amüsiertes Kichern über ging: „Kein Problem Dornröschen. Hetz nicht so, bevor du dir noch wehtust. Ich warte. Bis gleich.“ Damit hatte sie aufgelegt. Leicht irritiert sah Mirâ auf das Display, welches nur noch ihren Hintergrund zeigte, bevor sie ihre Sachen zusammensammelte und sich umzog. Eine knappe Stunde später stand sie vor dem Haus, in welchem Akane wohnte. Erstaunt sah sie sich das Gebäude an. Genau vor ihr war das mehrstöckige Wohngebäude. Ein moderner Neubau. Soweit sie sehen konnte gab es ein Erdgeschoss und ein Obergeschoss. Rechts neben dem Haus grenzte ein Flachbau mit großen Fenstern an. Über dem Flachbau hing ein Schild mit der Aufschrift „Tierpraxis Chiyo“ und wies darauf hin, dass es sich bei dem flachen Gebäude um die Praxis von Akanes Eltern handelte. „Was stehst du da wie angewurzelt, Dornröschen?“, hörte sie eine ihr mehr als bekannte Stimme. Erschrocken sah sie auf und erkannte Akane, welche in der Tür stand und sie angrinste. „Moah, mach dich nicht lustig über mich.“, kam es leicht beleidigt von der Violetthaarigen, während sie auf ihre Freundin zuging, „Der Abend gestern war echt schrecklich.“ „So?“, Akane legte den Kopf schief. „Tut mir trotzdem leid, dass ich verschlafen habe.“ „Mach dir darüber keine Gedanken. Komm rein.“, vorsichtig öffnete die Braunhaarige dir Tür, „Aber erschreck dich nicht.“ „Hu?“, irritiert betrat Mirâ den Flur des Hauses. Wovor sollte sie sich denn erschrecken? Ihre Frage wurde jedoch sofort beantwortet, als sie etwas um ihre Beine herum schleichen spürte. Leicht erschrocken hob sie ihren einen Fuß ein wenig und sah kurz darauf etwas kleines Braunes weglaufen. Fragend sah sie dem Etwas nach und erkannte kurz darauf eine kleine Katze, welche ruckartig stoppte und dadurch auf dem glatten hellen Holzboden durch eine Tür rutschte. Kurz darauf spürte sie allerdings noch etwas um ihre Beine schleichen und sah erneut nach unten. Dort schmiegte sich eine schwarze Katze mit weißen Pfoten an ihr rechtes Bein und schnurrte vor sich hin. Eine dritte Katze, welche ein rotbraunes getigertes Fell hatte, saß mit schief gelegtem Kopf vor ihr und sah sie mit großen grünen Augen an. „Ich sag doch, du sollst dich nicht erschrecken.“, meinte Akane und nahm die rotbraune Katze auf ihren Arm, „Das sind Takô und Kuro. Und die braune Katze, die geflüchtet ist heißt Ame. Sie ist leider sehr schreckhaft, während Kuro extrem verschmust und Takô extrem neugierig ist.“ Sie strich der Katze namens Takô über den Rücken, welcher sich an sie schmiegte. Mirâ hockte sich zu der schwarzen Katze zu ihren Füßen und kraulte sie im Nacken, was Kuro sichtlich genoss. „Gott sind die süß.“, kam es entzückt von der Violetthaarigen. „Nicht wahr?“, kam es von Akane, während sie Mirâ mit einer Hand ein paar Schlappen hinlegte und sich dann umdrehte um weiter ins Innere des Hauses zu gehen, doch stoppte. „Oh ist dein Besuch da?“, fragte eine erwachsene weibliche Stimme, was die Oberschülerinnen aufblicken ließ. Ein kleines Stück vor Akane stand eine Frau mittleren Alters mit dunkelbraunem Haar. Sie hatte eine ähnliche Frisur wie Akane, nur etwas länger. Sie hatte ihre Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und diesen über die Schulter gelegt. Mit ihren grünen Augen lächelte sie Mirâ freundlich an. Man erkannte sofort nach wem Akane kam. „Du musst Mirâ sein. Habe ich Recht? Akane erzählt sehr viel von dir. Eigentlich geht es fast nur noch Mirâ hier und Mirâ da.“, meinte die Frau kichernd, woraufhin sie von einer hochroten Akane getadelt wurde und anfing zu lachen, „War doch nur Spaß. Ich bin froh, dass Akane eine so tolle Freundin gefunden hat. Freut mich sehr dich kennen zu lernen, Mirâ.“ Etwas irritiert darüber, was Akanes Mutter gesagt hatte, brauchte Mirâ eine Weile bis ihr klar wurde, dass sie darauf zu antworten hatte. Schnell verbeugte sie sich leicht: „Guten Tag. Es freut mich ebenso Chiyo-San.“ Die Braunhaarige Frau lächelte nur freundlich, ehe sie, mit dem Angebot, dass sie beiden jungen Frauen später etwas Kuchen und Kaffee haben konnten, wieder zurück im Wohnzimmer verschwand. Als ihre Mutter weg war, führte Akane die Violetthaarige in den ersten Stock und in ihr Zimmer. Dieses war ziemlich groß und hell. Genau rechts neben der Zimmertür war eine Fensterfront, welche die Hälfte der Wand einnahm und hinaus auf einen Balkon führte. An der anderen Hälfte dieser Wand stand eine Schrankwand, auf welchem ein kleiner Flachbildfernseher, eine Spielkonsole , einige DVDs und ein paar Spiele standen. Die Schrankwand mündete in einen Eckschreibtisch, welcher die Wand mit der daneben verband. Gegenüber der Schrankwand stand ein breites Bett und davor, also links von der Zimmertür, war ein großer Schrank. Vor dem Bett lag ein runder Teppich und darauf stand ein kleiner Tisch. Alles war in hellen grün- und weißtönen gehalten. „Willkommen in meinem Reich.“, sagte die Braunhaarige und ließ erst einmal die Katze namens Takô wieder herunter, welche sich sofort einen Platz auf Akanes Bett suchte und sich dort zusammen rollte. Dieses war komplett mit einer Decke überzogen. Da Akane nichts sagte, als sich die rotbraune Katze hinlegte, ging Mirâ davon aus, dass die Decke genau deshalb auf ihrem Bett lag. Beide Mädchen setzten sich und Mirâ erzählte ihrer besten Freundin, was am Vorabend geschehen war und weshalb sie vergessen hatte ihren Wecker zu stellen. Die Braunhaarige fühlte mit ihrer Freundin und regte sich tierisch auf, als sie von Kyo erfuhr, während sie extrem besorgt wurde, als sie hörte, dass Mirâ fast von einem Auto erwischt worden wäre. Zwischendurch kam auch Kuro in Akanes Zimmer stolziert und holte sich auf Mirâs Schoß einige Streicheleinheiten ab. Sogar die scheue Katze Ame kam irgendwann und ließ sich von Mirâ kurz streicheln, bevor sie wieder so schnell sie konnte abhaute. Nach einiger Zeit rief Akanes Mutter die beiden jungen Frauen zum Kaffee herunter, wo Mirâ auch Akanes Vater kennenlernte. Dieser war ein Mann mittleren Alters mit dunkelbraunem, mit einigen grauen Strähnen durchzogenem Haar. Auch er begrüßte Mirâ freundlich und bekundete, genau wie seine Frau, dass er froh war, dass Akane endlich richtige Freunde fand. Nachdem sie sich den leckeren selbstgebackenen Kuchen von Akanes Mutter hatten schmecken lassen, entschieden sich die beiden Oberschülerinnen dazu noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Eine halbe Stunde später liefen sie nebeneinander einen schmalen Weg entlang. Rechts und links von beiden erstreckten sich kleine Einfamilienhäuser. An einigen Grundstücksgrenzen wuchsen Büsche und Sträucher, ab und an aber auch ein paar schöne Blumen. „Der Kuchen war wirklich lecker. Und deine Eltern sind super nett.“, sagte die Violetthaarige, „Nächstes Mal kommst du zu mir. Ok?“ „Gern.“, lachte Akane, doch blieb plötzlich stehen und sah sich um, „Hast du das gehört?“ Fragend sah Mirâ ihre Freundin an und schüttelte den Kopf, doch lauschte dann in die Umgebung. Allerdings konnte sie nichts hören, außer den bekannten Geräuschen der Umgebung. Was konnte Akane nur gehört haben? Oder hatte sich ihre Freundin das nur eingebildet? Plötzlich drehte sich die Braunhaarige um und suchte rechts und links die Büsche an den Grundstücken ab. „Akane, was ist denn los?“ „SHH!“, wieder lauschte Akane und ging dann weiter, ehe sie sich an einem Busch herunterhockte und die Sträucher zur Seite schob, „Oh je. Du armes Ding. Was ist denn mit dir passiert?“ Mirâ sah Akane über die Schulter und erkannte inmitten des Gebüschs eine kleine graue Katze. Sie war noch sehr jung, vielleicht gerade mal ein paar Monate alt und kauerte sich ängstlich an den Stamm des Busches. Das auch nicht ohne Grund. Irgendjemand hatte sie ganz übel zugerichtet. Ihre linke Pfote war verletzt und das Blut daran schon total verkrustet, dazu hatte sie eine Wunde am Kopf, welche ebenfalls schon verkrustet war. Man konnte nicht sagen, ob es ein großes Tier oder irgendein Mensch gewesen war, der ihr das angetan hatte, aber das war eigentlich egal. Sie sah einfach schrecklich aus. Akane zog ihre dünne Weste aus, welche sie getragen hatte, und wollte damit die Kleine einfangen. Diese jedoch hatte so viel Angst das Akane mächtige Probleme hatte und mehrere Versuche brauchte, ehe sie das verletzte und zitternde Tier, eingewickelt in ihrer Weste, auf dem Arm hielt. „Was hast du vor?“, fragte Mirâ etwas verwirrt. „Ich nehme sie mit nach Hause und zeig sie meinen Eltern. Vielleicht können sie ihr helfen. Aber wir sollten uns beeilen.“, antwortete die Braunhaarige und stand auf, ehe sie wieder in die Richtung ging, aus welcher die Beiden gekommen waren. Erstaunt sah Mirâ ihre Freundin an, doch folgte ihr dann. Es erstaunte sie, dass Akane das miauen der Katze überhaupt gehört hatte, wo sie selber nichts gehört hatte. Außerdem fand sie deren Einsatz für die kleine Katze sehr lobenswert. Irgendwie hatte sie das Gefühl nun auch zu wissen, weshalb Akanes Familie so viele Katzen hatte. Und nun würde es wohl eine mehr werden, wenn die Kleine es überlebte. Nachdem Mirâ Akane nach Hause begleitet hatte verabschiedete auch sie sich von ihrer Freundin und machte sich auf den Heimweg, da es bereits dunkel wurde. Bevor sie allerdings endgültig ging sah sie noch einmal auf das Schild der Tierarztpraxis und hoffte dass die kleine Katze durchkommen würde. Kapitel 26: XXVI - Wo die Liebe hinfällt ---------------------------------------- Dienstag, 30.Juni 2015 „Morgen.“, grüßte Hiroshi die beiden Mädchen, als diese die Treppen von der U-Bahn noch oben gestiegen waren. Fragend sahen beide ihn an. Es kam noch nie vor, dass Hiroshi sie bereits an der U-Bahn abgefangen hatte, immerhin lag es eigentlich nicht auf seinem Weg. Deshalb erstaunte es die beiden Mädchen, als sie ihren Kumpel vor sich stehen sahen. „Was?“, fragte er daraufhin nur. „Entschuldige bitte, Hiroshi-Kun. Guten Morgen.“, grüßte Mirâ den Blonden. „Wir sind nur erstaunt, dass du hier auf uns wartest. Das ist doch sonst nicht deine Art, zumal es nicht auf deinem Weg liegt.“, meinte Akane nur, „Hast du irgendwie ein schlechtes Gewissen oder so?“ „Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Ich habe doch nichts verbrochen. Tut mir ja leid, dass ich auf euch gewartet habe.“, sagte der junge Mann leicht beleidigt und setzte sich in Bewegung. Schnell versuchte sich Mirâ für Akane zu entschuldigen: „So war das sicher nicht gemeint. Wir waren nur verwundert wegen dem Umweg.“ „Hm... Ich hatte noch etwas hier in der Umgebung zu klären und dachte deshalb ich warte hier.“, meinte der Blonde nur, „Ich weiß ja mit welcher Bahn ihr immer fahrt.“ „Was zu klären. Ja? Hoffentlich nichts illegales.“, kam es von Akane mit durchdringendem Blick. Geschockt sah Hiroshi sie an: „Sag mal was denkst du eigentlich von mir? Sehe ich so aus, als würde ich so etwas machen? Außerdem, was sollte ich denn für illegales Zeug machen?“ Die Braunhaarige grinste: „Was weiß ich. So finstere Sachen oder so.“ „Hä? Sag mal hast du dich irgendwo am Kopf verletzt oder was? Du spinnst doch.“, meinte der Blonde, während er seine Kindheitsfreundin mit durchdringendem Blick ansah Mirâ seufzte, lächelte aber in Richtung der Beiden, welche die Diskussion weiterführten und sich immer wieder irgendwelche merkwürdigen Sachen an den Kopf knallten. Ihre Streitigkeiten nervten zwar manchmal, aber sie hatten sich bisher immer wieder vertragen und das war für Mirâ das Wichtigste. „Bei euch geht es ja schon früh am Morgen so lebhaft zu.“, sagte eine männliche Stimme, was die Violetthaarige neben sich blicken ließ. Es war Masaru, welcher sie freundlich begrüßte. Sie erwiderte die Begrüßung und sah dann wieder zu den beiden Diskutierenden. „Wie immer halt. Sie können es nicht lassen.“, kicherte sie anschließend. Auch Masaru musste kurz lachen, doch wandte sich dann wieder an die junge Frau: „Sag mal Mirâ. Das mag jetzt etwas plötzlich kommen, aber hast du heute nach der Schule schon etwas vor?“ „Eh?“, erstaunt sah die Angesprochene ihren Senpai an und wurde leicht rot: „N-nein. Warum?“ „Würdest du mich heute nach der Schule in die Stadt begleiten?“, fragte Masaru frei heraus. Die Röte in Mirâs Gesicht wurde immer stärker und ihr Herz schlug ihr bereits bis zum Hals. War das eine Einladung zu einem Date? Sie war aufgeregt, aber auch extrem glücklich. „Ja gern.“, sagte sie deshalb auch wahrscheinlich etwas zu überschwänglich. Auch Hiroshi hatte das Gespräch mitbekommen und brach abrupt die Diskussion mit Akane ab, ehe er mit einem missbilligenden Blick zurück zu der Violetthaarigen und dem älteren Schüler blickte. Akane sah ihn kurz irritiert an, ehe auch sie zurück sah und bemerkte worum es ging. Sie seufzte, schnappte sich das Handgelenk des Blonden und zog ihn hinter sich her, während sie Mirâ und Masaru kurz zurief, dass sie und Hiroshi schon vorgingen. Sie sah noch kurz den fragenden Blick der Violetthaarigen, bevor sie in den Hof der Schule einbog. Zwar versuchte sich Hiroshi aus Akanes Griff zu reißen, doch gab er kurze Zeit später auf, sonst hätte er sich wohl den Arm ausgekugelt. Man merkte, dass die Braunhaarige Judo machte. Erst im Eingangsbereich der Schule ließ die junge Frau den Blonden wieder los, welcher erst einmal sein Handgelenk rieb. Dieses war knallig rot. „Sag mal, spinnst du? Wolltest du mir den Arm rausreißen?“, fragte er anschließend, „Was sollte das eigentlich?“ Akane sah nicht einmal auf und wechselte ihre Schuhe: „Nun hab dich nicht so. So doll hab ich gar nicht gezogen. Und was das sollte? Ich hab dich davor bewahrt die Fassung zu verlieren. Du solltest deine Eifersucht in den Griff bekommen.“ Fragend sah Hiroshi sie an: „Eifersucht? Welche Eifersucht?“ Er schrak zurück, als ihn ein allessagender Blick seiner Freundin traf. „Tu nicht so. Ist ja nicht so, als würde man nicht sehen, dass du auf Mirâ stehst. Nur Mirâ selbst scheint das nicht zu begreifen. Aber wenn du zu feige bist und sie nicht nach einem Date fragst, darfst du nicht sauer werden, wenn dir ein anderer Mann zuvor kommt.“, meinte sie ruhig ohne den Blick von Hiroshi zu nehmen. Dieser lief rot an und antwortete empört: „Hör auf mit dem Mist. Ich steh nicht auf Mirâ. Sie ist nur ne gute Freundin.“ „Hm?“, kam es langgezogen von der Braunhaarigen, ehe sie mit den Schultern zuckte, sich umdrehte und Richtung Treppe ging, „Schon klar.“ Damit schien das Gespräch für Akane beendet. Irritiert und hochrot sah er ihr nach, wie sie in den ersten Stock ging. Er brauchte eine Weile, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte. War sein Verhalten so auffällig? Er wollte es Akane gegenüber nicht zugeben, aber er empfand wirklich was für Mirâ, wollte es ihr aber nicht sagen. Wenn sein Verhalten aber wirklich so offensichtlich war, dann sollte er wirklich versuchen das unter Kontrolle zu bekommen. Es nervte ihn nur so extrem, wie Mirâ den älteren Schüler anhimmelte. Allerdings konnte er der jungen Frau ja nicht böse sein wegen ihrer Gefühle. Sie waren ja nur menschlich. Er seufzte und ging an sein Fach, um seine Schuhe zu wechseln. „Ist Akane schon hoch?“, fragte Mirâ plötzlich neben ihm, woraufhin er erschrocken einen Schritt zur Seite machte. „Wah! Mirâ! Erschreck mich nicht so!“, meckerte er und schnappte nach Luft, bevor er realisierte, dass das Mädchen, über welches er kurz zuvor noch mit Akane gesprochen hatte nun neben ihm stand, „Ah. Seit wann bist du hier?“ „Gerade erst gekommen. Ich hab mich noch mit Masaru-Senpai unterhalten. Wieso? Ist etwas passiert?“, fragte die junge Frau mit schief gelegtem Kopf, „Akane und du habt euch doch nicht schon wieder gestritten oder?“ „Nein.“, erleichtert atmete der Blonde auf. Er hatte bereits befürchtet Mirâ hätte das Gespräch mitbekommen und so alles erfahren, aber anscheinend hatte er Glück gehabt. Es gab Dinge, die man einfach nicht aussprach und seine Gefühle waren in diesem Moment eines dieser Dinge. Er packte seine Straßenschuhe in sein Fach und beobachtete, wie die Violetthaarige ebenfalls ihre Schuhe wechselte. „Worüber habt ihr euch denn unterhalten?“, fragte er anschließend frei heraus. Er wusste selbst, dass ihn das eigentlich nichts anging, aber seine Neugier würde ihn sonst umbringen. Außerdem tat es seiner erneut aufkeimenden Eifersucht ganz gut. Zumindest konnte er sie so unter Kontrolle halten. Vielleicht war es ja keine Einladung zu einem Date gewesen, sondern etwas anderes. Das redete er sich jedenfalls ein. „Uhm... Senpai hat mich gebeten mit ihm nach einem Geburtstagsgeschenk für seine Schwester zu suchen.“, erklärte Mirâ mit leichter Enttäuschung in der Stimme, „Auf meine Frage, ob er da nicht lieber ein Mädchen aus seiner Klasse fragen wollte, meinte er nur, dass die alle die Situation wohl nur ausnutzen würden.“ Anscheinend hatte Mirâ auf ein Date gehofft. So wie es klang war es aber keines. Ein wenig glücklich darüber war er ja schon, auch wenn es nicht angemessen war. Er sah wieder ein kleines Licht am Ende des Tunnels und seine Chance. „Schau nicht so enttäuscht. Wir können ja gerne mal zusammen weggehen. Einen Kaffee trinken oder so.“, meinte Hiroshi vorsichtig. Mit großen Augen sah die junge Frau ihn an und lächelte dann freundlich: „Nett das du dir Sorgen machst, aber mir geht es gut. Ich habe trotzdem zugesagt. Wir können gern zusammen was trinken gehen, aber Akane sollten wir dann nicht vergessen.“ Damit drehte sie sich um und machte sich auf den Weg in den ersten Stock. Total perplex sah der Blonde ihr nach. Mirâ hatte das völlig falsch verstanden. Er wollte doch mit ihr alleine ausgehen. Das war doch eindeutig eine Einladung zu einem Date. Wie konnte sie das denn missverstehen? Oder ignorierte sie das mit Absicht? Seufzend ließ Hiroshi den Kopf hängen und trottete die Treppe hinauf zum Klassenraum. Nach der Schule traf sich Mirâ wie abgesprochen mit Masaru am Eingang der Schule. Zwar war dies kein offizielles Date, was sie anfangs doch sehr enttäuschend fand, doch sie wollte es trotzdem vollkommen genießen. Sie konnte es immerhin als etwas wie ein Date sehen, allerdings erst, wenn sie außer Sichtweite der Schule waren. Sie spürte bereits die bösen Blicke einiger Mädchen aus Masarus Stufe. Mirâ konnte regelrecht ihre Mordlust spüren, weshalb sie so schnell wie möglich weg wollte. „Danke, dass du mir hilfst etwas für meine Schwester zu finden. Ich bin nicht wirklich gut in so was. Wollen wir dann los?“, fragte der Schwarzhaarige. Mirâ nickte: „Kein Problem. Wir werden sicher etwas Schönes finden.“ Somit machten sich die Beiden auf den Weg. Als die Schule außer Reichweite war und sie nicht mehr die eifersüchtigen Blicke der weiblichen Schüler spürte entspannte sich die Violetthaarige wieder etwas. „Pf hahahaha. Ehrlich jetzt?“, lachte Akane schallend, weshalb sich einige Gäste nach ihr umdrehten. Gemeinsam mit Hiroshi war sie in einen Burgerladen gegangen, um eine Kleinigkeit zu essen. Dort hatte ihr dieser erzählt, was am Vormittag in der Eingangshalle passiert war. Nun schaute er, seine Cola schlürfend, beleidigt aus dem Fenster hinaus auf die Straße, während Akane erst einmal versuchen musste ihren Lachkrampf unter Kontrolle zu bekommen. Der Blonde bereute es bereits seiner Kindheitsfreundin davon erzählt zu haben. Wenn es blöd lief erzählte sie Mirâ davon, auch wenn er sich das nicht vorstellen konnte, obwohl die Braunhaarige eine ziemliche Quasselstrippe war. Dass sie lachen würde, hätte er sich allerdings denken können. Auch wenn ihm absolut nicht zum Lachen zu Mute war. Eigentlich war es ja nicht lustig. Zumindest empfand er es nicht so. „Ok, ok. Eigentlich ist das echt traurig, aber...“, kurz schien sich Akane wieder beruhigt zu haben, doch kicherte kurz darauf wieder, „Das Mirâ dich mit so einem Spruch hat stehenlassen. Das ist echt...“ Sie lachte wieder und wischte sich die Tränen aus den Augen: „Schade dass ich das verpasst habe.“ Missmutig sah Hiroshi die Braunhaarige von der Seite an: „Du bist mir ja echt ne große Hilfe. Da hätte ich mir das Geld auch sparen können.“ Um in Ruhe mit Akane reden zu können, hatte er vorgeschlagen zusammen etwas essen zu gehen. Da die Braunhaarige allerdings ihr Taschengeld für diesen Monat bereits aufgebraucht hatte, hatte sich Hiroshi bereit erklärt sie einzuladen. Doch mittlerweile bereute er es ein wenig, zumal er das Geld auch gut für etwas anderes hätte verwenden können. „Sorry.“, entschuldigte sich die Oberschülerin, „Danke für die Einladung. Ich weiß, dass ist nicht komisch. Aber wieso hast du auch so durch die Blume gefragt?“ „Was hätte ich denn sagen sollen? Sie soll Masaru vergessen und stattdessen lieber mit mir ausgehen?“ „Ja... oder so ähnlich.“ Hiroshi ließ den Kopf hängen. Das war wirklich keine Hilfe. Er wollte sich Mirâ weder aufzwingen, noch ihr vorschreiben, wen sie mögen sollte oder wen nicht. Akane beobachtete ihren Kumpel kurz, ehe sie weiter redete: „Du magst Mirâ wirklich gern, was?“ Der Oberschüler seufzte: „Ja. Aber ich kann die derzeitige Lage eh nicht ändern. Sie steht nun mal auf Masaru.“ „Gib nicht gleich auf. Wer weiß wie ernst es ihr mit ihm ist oder andersherum. Am besten du bist ihr erst einmal einfach nur ein guter Freund. So wie bisher. Das kannst du doch super.“ Hiroshis Gesicht war wieder Richtung Scheibe gedreht, doch mit seinen Augen sah er die Braunhaarige leicht skeptisch an, schien allerdings zu überlegen. Kurz herrschte Stille, dann lächelte er und sah wieder vollständig zu seiner Freundin. „Danke Akane. Ich denke du hast Recht. Vielleicht ist es auch ganz gut, wenn es erst einmal so bleibt wie es derzeit ist.“, bedankte er sich darauf. Auch Akane lächelte ihn mit ihren grünen Augen an und grinste dann: „Zur Not kann ich Mirâ ja erzählen wie du früher warst und ihr Fotos zeigen. Vielleicht verliebt sie sich ja dann in dich, Hiro-Chan.“ „WAG ES DIR JA NICHT! UND NENN MICH NICHT SO!“, rief ihr Kumpel daraufhin nur mit hochrotem Gesicht und weit aufgerissenen Augen, was die junge Frau allerdings nur zum Lachen verleitete. Mit einer Verbeugung wünschte die Bedienung den Beiden Gästen am eben bedienten Tisch guten Hunger, ehe sie weiter ihrer Arbeit nachging. Ruhig griff Mirâ nach ihrem Milchkaffee und nahm einen vorsichtigen Schluck des Heißgetränkes. Ihr gegenüber saß Masaru, welcher ebenfalls einen Schluck seines Kaffees nahm. Neben ihm stand eine hübsch verpackte Tüte mit dem Geschenk für seine Schwester. Den ganzen Nachmittag waren die Beiden durch die Stadt gewandert, ehe sie was Passendes gefunden hatten. Auch wenn es kein offizielles Date war, so hatte Mirâ den Nachmittag trotzdem sehr genossen, zumal sie zwischendurch auch einige Male seine extrem lustige und gelassene Seite kennenlernen durfte. Meistens zeigte er nach außen hin ja eher seine ruhige und begonnene Art, doch es gab an diesem Nachmittag auch Situationen, wo er sich gemeinsam mit Mirâ einige Späße erlaubt hatte. So hatten beide in einem Laden lustige Mützen aufgesetzt und dazu Grimassen geschnitten. Die junge Frau musste unwillkürlich kichern, als sie an diesen Moment dachte und ihr wurde wieder etwas mehr bewusst, wie gern sie den jungen Mann hatte. Als sie daran dachte legte sich ein leichter Rotschimmer auf ihre Wangen, weshalb sie leicht den Kopf senkte und auf ihren Kuchen starrte. „Mirâ, vielen Dank für den schönen Nachmittag heute. Ich habe es sehr genossen.“, sagte der Schwarzhaarige plötzlich, was Mirâ etwas erschrocken aufblicken ließ, „Und noch einmal danke für deine Hilfe.“ „Hör auf dich ständig zu bedanken. Das habe ich doch gern gemacht.“, sagte die junge Frau, „Hauptsache deine Schwester gefällt das Geschenk. Außerdem... Hat es mir heute auch riesigen Spaß gemacht. Es hat mich wirklich sehr gefreut, dass du mich gefragt hast, ob ich dich begleite.“ „Da bin ich ja beruhigt. Ich hoffe nur, dass es dir in der Schule keine Probleme bereitet.“ Mirâ wusste genau, worauf der ältere Schüler hinaus wollte. Sie würde mit Sicherheit in der Schule mit seinen „Fans“ Ärger bekommen, allerdings interessierte sie das gerade recht wenig. Bis eben hatte sie die ganze Sache sogar eigentlich vergessen. Mit einer Handbewegung tat sie es ab: „Ach was. Ich komme schon klar. Aber danke, dass du dir Sorgen machst. Aber sag mal. Freust du dich eigentlich schon darauf, deine Geschwister wieder zu sehen? Sie werden doch sicher zur Feier deiner Schwester alle kommen oder?“ Mirâ wollte ein anderes Thema anschneiden, um nicht mehr an die dummen Weiber aus der Schule zu denken, die hinter Masaru her rannten und ihn eigentlich nicht mal wirklich kannten. Zwar konnte auch Mirâ nicht wirklich behaupten, dass sie ihn zu einhundert Prozent kannte, aber sie wusste zumindestens von seinen tiefen Gedanken, wenn auch eher unfreiwillig durch die Spiegelwelt. „Hm.“, der Schwarzhaarige schien kurz zu überlegen, was die junge Frau kurz stutzen ließ, „Ja also, ich freue mich schon sie zu sehen. Allerdings bezweifle ich dass alle da sein werden. Mein ältester Bruder studiert im Ausland und es ist äußerst schwer für ihn nur an einem Wochenende vorbei zu kommen. Und bei meinem anderen Bruder weiß ich es auch nicht so genau. Er studiert in Tokio. Aber es wäre schon schön, wenn wir mal wieder alle zusammen wären, vor allem für unsere Eltern.“ „Das verstehe ich. Bei mir ist es ähnlich, nur das ich keine Geschwister habe, die weit weg sind, sondern mein Vater, der in einer anderen Stadt lebt. Du musst wissen, meine Eltern sind geschieden und leider auch nicht wirklich im Guten. Deshalb sehe ich meinen Vater sehr selten. Wir telefonieren ab und an, aber besuchen kann ich ihn immer nur in den Sommerferien. Und das auch nur für maximal eine Woche.“, erklärte Mirâ. „Das ist sicher nicht leicht für dich.“ „Ich habe mich daran gewöhnt. Aber es wäre trotzdem schön meinen Vater öfters zu sehen. Und ich denke bei dir ist es ähnlich mit deinen Geschwistern.“ Masaru nickte: „Das stimmt. Aber ich kann sie genauso verstehen, dass sie ihre eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft haben und versuchen sich diese aufzubauen. Mir geht es ja genauso...“ Es legte sich kurz Stille zwischen die Beiden. „Du bist ein guter Mensch, Senpai.“, entkam es der jungen Frau plötzlich, weshalb sie rot anlief, „Du hast ja auch eine Vorstellung deiner Zukunft und trotzdem machst du dir auch Gedanken über deine Eltern und euren Tempel.“ Leicht irritiert sah Masaru sie an, doch lächelte dann liebevoll: „Danke Mirâ, das ist nett von dir. Auch wenn ich noch keine Lösung für mein Problem gefunden habe.“ In diesem Moment machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer und in ihrem Bauch schienen kleine Schmetterlingen Achterbahn zu fahren. „Das wirst du ganz sicher.“, auch die junge Frau lächelte freundlich, aber vor allem, um nicht noch roter anzulaufen als sie eh schon war. Am frühen Abend fanden sich beide an der U-Bahnstation in der Innenstadt wieder. Masaru hatte ihr noch angeboten sie bis dorthin zu begleiten, auch wenn es für ihn einen kleinen Umweg bedeutete. Mirâ nahm dieses Angebot jedoch sehr gerne an. Sie war froh über jede Minute, die sie mit Masaru verbringen konnte. „Danke noch mal für heute. Du hast mir sehr geholfen.“, bedankte sich der junge Mann wieder. Die Violetthaarige seufzte mit einem Lächeln, da sie ihm ja bereits gesagt hatte, dass er sich nicht ständig bedanken sollte. Allerdings schien das eben seine Art zu sein, weshalb Mirâ es einfach so hinnahm. Masaru war eben sehr gut erzogen und das merkte man auch. „Es hat Spaß gemacht.“, lächelte sie ihren Senpai an, doch schrak auf, als sie etwas Bläuliches im Augenwinkel sah. Erschrocken drehte sie sich um und erkannte einen kleinen blauen Schmetterling. Wo kam der her? Sie ließ ihren Blick über die Menge an Menschen schweifen, welche sich um diese Zeit an der Station aufhielten, doch konnte nichts weiter erkennen. Auch der kleine Schmetterling war kurz darauf verschwunden. Was hatten diese Schmetterlinge nur zu bedeuten? Oder bildete sie sich das einfach nur ein? Wurde sie langsam verrückt? „Ist alles in Ordnung?“, Masarus Stimme holte sie wieder aus ihren Gedanken. „Ähm... J-ja. Ich dachte nur ich hätte etwas gesehen. War aber wohl nur Einbildung.“, erklärte die junge Frau und sah bereits ihre Bahn einfahren, „Also dann. Wir sehen uns in der Schule. Machs gut, Senpai.“ Damit stieg sie in die eben eingefahrene Bahn. Als diese sich in Bewegung setzte erkannte sie noch, wie Masaru ihr winkte. Lächelnd blickte sie aus dem Fenster, auch als die Bahnstation bereits vorbei war. Dieser Tag hatte sie wirklich glücklich gemacht, auch wenn es kein offizielles Date gewesen war. Es hat ihr trotzdem extrem viel Spaß gemacht und sie hoffte, dass sie das noch einmal wiederholen konnte. Kapitel 27: XXVII - Ruhige Vollmondnacht ---------------------------------------- Donnerstag, 02.Juli 2015 - Vollmond „Und Mika? Spürst du etwas?“, fragte Mirâ das kleine Mädchen, welches ihr gegenüber im Spiegel auf dem Boden saß. Mika schloss die Augen, doch schüttelte dann den Kopf: „Nein. Es ist merkwürdig. Vielleicht... Ist auch niemand in die Welt gekommen.“ Mirâs Blick glitt zu ihrem Fenster, wo der helle Schein des Vollmondes in ihr Zimmer schien. Sie hatte sich extra für diesen Abend mit Mika verabredet, um herauszufinden, ob wieder jemand in die Spiegelwelt gelangte, damit sie sofort am nächsten Tag Maßnahmen ergreifen und herausfinden konnten, wer verschwunden war. Doch Mika spürte nichts, obwohl sie bereits einige Stunden zusammen verbracht hatten. Müde sah sie auf ihr Handy, welches bereits kurz nach 0 Uhr anzeigte, ebenso wie mehrere Nachrichten ihrer Freunde in ihrem gemeinsamen Gruppenchat. Seufzend öffnete sie die Nachrichten, welche alle nur die Frage beinhalteten: Ob Mika etwas gespürt hatte. Schnell antwortete sie ihren Freunden, dass anscheinend niemand in der Spiegelwelt war und erhob sich dann, um sich zu Strecken. Ein wenig Hoffnung hatte sie ja, dass es vielleicht zu Ende war und niemand mehr in Gefahr gebracht wurde, doch so wirklich glauben konnte sie es nicht. Es würde nicht einfach enden. Das konnte sie sich nicht vorstellen, auch wenn es ein schöner Gedanke wäre. „Mika tut mir leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe.“, entschuldigte sich die junge Frau bei dem Mädchen, welches sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Dieses schüttelte den Kopf: „Nein schon gut. Ich halte weiterhin Augen und Ohren offen. Wenn etwas sein sollte melde ich mich. Du solltest ins Bett gehen. Du hast doch morgen Schule.“ Mirâ kicherte, doch ging bereits auf ihren Futon zu: „Du klingst wie meine Mutter, aber du hast recht. Gute Nacht Mika. Schlaf gut.“ „Du auch.“, damit verschwand das Mädchen und der Spiegel zeigte nur noch die Reflexionen des Zimmers. Mirâ betrachtete noch eine Weile den Spiegel ohne ihn aber direkt zu fixieren. Was war nur dieses merkwürdige Gefühl? Es beunruhigte sie, dass Mika bisher noch nichts gespürt hatte, obwohl es ja auch ein gutes Zeichen hätte sein können. Doch was, wenn jemand unbemerkt in die Spiegelwelt kam und er deshalb nicht gerettet werden konnte? Das machte ihr Sorgen und bereitete ihr mächtige Kopfschmerzen. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte an etwas anderes zu denken, um einschlafen zu können, doch ihre Gedanken drehten im Kreis. Es brauchte mehrere Versuche und einiges an Zeit, bis sie irgendwann in einen unruhigen Schlaf fiel. Freitag, 03.Juli 2015 Seufzend saß Mirâ neben ihren Freunden auf dem Dach der Schule und nahm einen Bissen von ihrem Reisbällchen. Auch ihre beiden Freunde Akane und Hiroshi seufzten, während Kuraiko ruhig ihr Frühstück weiter verspeiste. Äußerlich ließ sie sich zwar nichts anmerken, aber irgendwie konnte man spüren, dass auch sie angespannt wegen der derzeitigen Situation war. Mirâ hatte am frühen Morgen noch einmal mit Mika darüber gesprochen, ob diese jemanden spüren konnte, doch auch dieses Mal musste die Kleine verneinen. Dies hatte sie ihren anwesenden Freunden nun berichtet, während sie Masaru eine Nachricht geschrieben hatte, da dieser sich erst etwas später zu ihnen gesellen wollte. Zwar hatten ihre Freunde versucht es Irgendwie schön zu reden, dass es vielleicht sein konnte, dass dieses Mal niemand in der Spiegelwelt gelandet war, doch auch sie konnten es nicht wirklich glauben. Das unangenehme Gefühl ließ Mirâ auch nicht los. Es war beklemmend und sie hoffte so sehr auf eine Antwort, doch würde wohl so schnell keine darauf bekommen. Das Geräusch einer geöffneten Tür ließ die Gruppe aufschrecken und in die dazugehörige Richtung schauen. Dort sahen sie Masaru, welcher allerdings nicht sofort auf sie zukam, sondern erst einmal in alle Richtungen blickte, als würde er etwas suchen. Kurz darauf sah er über sich und kletterte dann die Leiter des kleinen Häuschens hinauf, nur um kurz darauf mit gesenkten Schultern wieder herunterzukommen und auf die Gruppe zuzugehen. „Senpai, was ist passiert? Suchst du jemanden?“, fragte Akane verwundert. Der Schwarzhaarige nickte und setzte sich zu der Gruppe: „Ja also, ich suche Esuno.“ „Esuno?“, kam es im Chor von Akane, Hiroshi und Kuraiko. „Der Junge, der immer auf dem Dach schläft und schwänzt. Hab ich Recht?“, stellte Mirâ fest, was ihr fragende Blicke ihrer Freunde einbrachte. Erneut nickte Masaru: „Ja genau.“ Er wandte sich an die anderen drei, welche immer noch so schauten, wie ein Schwein ins Uhrwerk: „Esuno ist ein Mitschüler aus meiner Klasse. Er ist ziemlich faul und schwänzt häufig den Unterricht, allerdings hat er bisher noch nie während der Klassenstunde und der Anwesenheitskontrolle gefehlt. Selbst unser Klassenlehrer war erstaunt, dass Esuno fehlte. Ich dachte ich finde ihn an den sonst üblichen Orten, aber egal wo sich nachgesehen habe, er ist nicht da.“ „Du machst dir ja echt Sorgen um ihn.“, bemerkte Kuraiko in ihrer üblichen kühlen Art. „Wäre er heute zur Anwesenheitskontrolle da gewesen oder hätte wenigstens der Lehrer etwas gewusst, dann würde ich nicht nach ihm suchen.“, meinte der ältere Schüler nachdenklich, „Wie gesagt, er schwänzt den Unterricht, aber zur Klassenstunde ist er immer anwesend.“ „Kann es sein, dass du da eine Verbindung zur Spiegelwelt ziehst?“, hakte Hiroshi nach, woraufhin Masaru nickte, „Vielleicht ist er aber auch nur krank und hat vergessen sich zu melden.“ „Ja genau. Das könnte doch sein.“, meinte auch Akane, „Passiert ja schnell mal, dass es jemandem schlecht geht.“ „Vielleicht habt ihr Recht.“, stimmte der ältere Schüler zu. „Wenn es dich so beschäftigt, dann geh doch nach der Schule bei ihm vorbei. Als Mitglied des Schülerrats solltest du ja ohne Probleme an seine Adresse kommen.“, warf Kuraiko in die Runde, woraufhin sie von allen etwas irritiert angesehen wurde. Es war das erste Mal, dass sie nun mit der Gruppe gemeinsam über das Phänomen der verschwunden Schüler grübelte und schien bisher auch recht desinteressiert, doch dieser Vorschlag war eine sehr gute Idee. So ganz desinteressiert schien sie dann doch nicht zu sein. Irgendwie brachte dieser Gedanke Mirâ zum Lächeln. Es war immer wieder erstaunlich wie die Schwarzhaarige ihr Interesse unter einer Maske verstecken konnte, dadurch aber vielleicht auch eher einen kühlen Kopf bewahrte. Masaru überlegte kurz, doch befand dann, dass diese Idee die einfachste Lösung wäre, weshalb er sich vornahm die Adresse zu besorgen. Am späten Nachmittag befand sich die gesamte Gruppe auf dem Weg zu Yasuos Haus. „Sagt mal. Die Idee ist ja schön und gut, aber könnt ihr mir erklären, weshalb ich mit musste?“, fragte Kuraiko mürrisch. „Naja. Du gehörst immerhin jetzt zum Team, da fanden wir es angebracht dich mitzunehmen.“, erklärte Hiroshi mit einem Grinsen, was ihm allerdings nur einen tödlichen Blick von der Schwarzhaarigen einbrachte. „Es müsste gleich hier um die Ecke sein.“, meinte Masaru, welcher gemeinsam mit Mirâ ein Stück weiter vorne lief. Leichten Schrittes bog er an der nächsten Kreuzung rechts ab, doch blieb abrupt stehen, weshalb die jüngeren Schüler in seinen Rücken rannten. Irritiert rieb sich Hiroshi seine Nase, doch wurde, gemeinsam mit den drei Mädels, im nächsten Moment zurück hinter eine Mauer gezogen. Auch Mirâ fand dieses Verhalten merkwürdig und wollte ihren Senpai fragen, was denn los war, doch dieser gebot ihr mit einem „shh“ Einhalt. Angespannt sah er dann vorsichtig um die Ecke, zurück auf sie Straße, in welche sie ursprünglich einbiegen wollten. „Was ist denn los?“, fragte Mirâ letztendlich so leise sie konnte. „Ich hab euch doch von diesem Kommissar erzählt, der mich so beunruhigt hat.“, erzählte Masaru ohne den Blick von dem Geschehen zu nehmen. Fragend sah Akane zu Masaru hinauf: „Ja. Und was ist mit dem?“ „Er ist hier.“ Leicht irritiert sah die Gruppe sich gegenseitig an und rutschte dann ebenfalls an die Ecke der Mauer heran, um sich selbst ein Bild der Situation machen zu können. Nur um dann festzustellen, dass der Kommissar, welchen ihr Senpai meinte, genau der Mann war, in welchen Mirâ bei ihrem letzten gemeinsamen Ausflug fast hinein gerannt wäre. Auch Kuraiko stellte fest, dass sie diesen Mann kannte. So erzählte sie, dass er sie, genau wie bei Masaru, zu ihrem Fall befragt hatte. „Ich habe ihm erzählt, dass ich mich an nicht sehr viel erinnern konnte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl...“, sie konnte nicht weiterreden, da Masaru sie unterbrach: „Dass dieser Typ dir nicht glaubt und irgendwie durch dich hindurch blicken kann. Hab ich Recht?“ Kuraiko nickte bestätigend. Mirâ musste schwer schlucken. Wenn dieser Mann irgendetwas ahnte und sie gemeinsam mit Kuraiko und Masaru sah, würde er doch sofort eins und eins zusammen zählen und wüsste sofort was ungefähr los war. Vielleicht nicht unbedingt, das Beide in einer fremden Welt gefangen gewesen wären, aber vielleicht, dass Mirâ und ihre Freunde etwas mit dem Verschwinden und plötzlichen wieder Auftauchens derjenigen zu tun hatten. Was sollten sie nun machen? Sie waren dem Ziel so nah und kamen nicht an es heran. Doch eine weitere Frage quälte die junge Frau. „Was machen die ganzen Polizisten überhaupt hier?“, fragte sie frei heraus. Ihre Freunde schwiegen, während sie sich alle wieder in den Schutz der Mauer stellten. Es konnte nichts Gutes bedeuten und jeder von ihnen hatte wohl in dem Moment den gleichen Gedanken: Es hatte etwas mit Yasuos Verschwinden zu tun. Dieser Kommissar untersuchte anscheinend diese Fälle, sonst wäre er nicht sowohl bei Masaru, als auch bei Kuraiko auf den Plan getreten. Und dass er sich nun hier in der Nähe des Hauses von Yasuo aufhielt, deutete eindeutig darauf hin. Doch Mika hatte am Vortag nichts gespürt. Genauso wenig am heutigen Morgen. Was hatte das nur zu bedeuten? „Hey! Was macht ihr hier?“, hörte die Gruppe plötzlich eine tiefe männliche Stimme, welche sie so sehr aufschrecken ließ, dass sie in null Komma nichts das Weite suchten. Völlig außer Atem stützten sich alle an einem Gegenstand ab, welchen sie gerade für geeignet empfanden. „Verdammt hab ich mich erschreckt.“, meinte Mirâ, während sie sich an einer Laterne abstützte. „Wem sagst du das?“, fragte Akane, welche an einer Wand lehnte. Auch Masaru stützte sich an der Wand ab und atmete erst einmal durch: „Das war knapp. Hoffentlich hat er uns nicht erkannt. Vor allem zusammen.“ „Das wäre schlecht.“, meinte Hiroshi, welcher gebeugt stand und sich seinen Händen an seinen Knien abstützte, „Das könnte uns in Schwierigkeiten bringen.“ Kuraiko saß auf einem Geländer, welches den Fußweg von der Straße trennte und atmete ebenfalls ruhig durch: „Und selbst wenn, wäre es jetzt eh zu spät. Dann müssen wir uns eben eine gute Ausrede einfallen lassen. Außerdem kann er nicht beweisen, dass wir etwas mit dem Fall zu tun haben, außer das Senpai und ich beides Opfer waren. Ich meine wir könnten uns darüber ausgetauscht haben oder was weiß ich. Wichtiger ist jetzt aber herauszufinden, ob Esuno-Senpai wirklich in die Spiegelwelt entführt wurde oder nicht. Aber wenn die ganze Schar von Polizisten da ist, werden wir heute nicht mehr weit kommen.“ Erstaunt sah die Gruppe wieder einmal zu Kuraiko. Da war es wieder gewesen: Dieses anfängliche Desinteresse zu dem Fall, welches sie an den Tag legte, aber auch nur äußerlich war und welches aber nach einiger Zeit zu offener Interesse wurde, wo sie sich richtig hineinsteigerte. Die junge Frau blieb aber wieder einmal am ruhigsten von allen und erklärte ihre Ideen in einer Ruhe, welche sich sofort auf die Gruppe übertrug. Ihre Ideen konnten der Gruppe später noch sehr nützlich werden, wenn sie diese einmal brauchen würden. Kuraiko schien zu bemerken, weshalb alle sie so erstaunt ansahen, weshalb sie einen leicht beleidigten Blick aufsetzte und diesen von der Gruppe abwandte. „Ich meine ja nur, weil ihr alle schon wieder Panik bekommt. Ihr solltet wirklich ruhiger an die Sache heran gehen.“, meinte sie nun wieder in ihrer üblichen Art. Mit einem leichten Lächeln sah die Gruppe Kuraiko an, welcher das eindeutig zu peinlich war, weshalb sie den Blick nicht anhob und weiter in eine andere Richtung sah. Da sie eh nicht mehr zu Yasuos Haus gelangen würden, entschloss sich die Gruppe erst einmal Mikas Report vom heutigen Tag abzuwarten und vorerst nach Hause zu gehen. Ganz egal was sie dann zu berichten hatte, einigten sich die fünf darauf, trotzdem am nächsten Tag einen erneuten Versuch zu starten und bei Yasuo vorbeizugehen. Am Abend saß Mirâ auf einem Hocker am Eingangsbereich der Karaokebar und lag, die Arme nach vorne hin ausgestreckt, schon halb auf dem Tresen. Es war dieses Mal fast gar nichts los. Um die paar Gäste, welche an diesem Abend anwesend waren kümmerten sich ihre Kollegen, während sie erst einmal die Anmeldung übernehmen sollte. Shuichi, welcher diese Aufgabe normalerweise übernahm, hatte einer Kollegin geschrieben, dass er sich wohl verspäten würde, weil er noch einige Dinge auf der Uni zu klären hatte. Und nun saß Mirâ hier, niemand kam und sie hatte auch niemanden zum Reden, da alle anderen beschäftigt waren. Es war langweilig. Allerdings konnte sie deshalb noch einmal in Ruhe über die Dinge des Tages nachdenken. Das Yasuo nicht in der Schule war und ein Aufgebot an Polizisten ausgerechnet in seiner Straße vor Ort war, konnte kein Zufall sein. Zumal auch dieser Kommissar dabei war, welcher Masaru und Kuraiko befragt hatte. Ihr kam die Frage auf, wer dieser Mann überhaupt war. Als sie ihm persönlich das erste Mal über den Weg gelaufen war, hatte er sie mit einem Blick angesehen, den sie nicht deuten konnte, der ihr aber sehr unangenehm war. Ob er etwas wusste? Doch woher? Damals hatte sie einen blauen Schmetterling gesehen. Sie wusste nicht was dieser Schmetterling, der immer mal wieder auftauchte, zu bedeuten hatte oder ob er überhaupt irgendetwas bedeutete. War es wichtig? Oder nur eine Illusion? Doch warum sah sie diesen kleinen Flattermann dann nur bei bestimmten Leuten? Wollte er ihr vielleicht etwas sagen? Wenn ja, was? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es etwas mit dem Vorfall oder dem Velvet Room zu tun haben könnte. Doch was? Egal wie sie es drehte, es machte keinen wirklichen Sinn. Doch schlimmeres Kopfzerbrechen bereitete ihr, dass dieser Kommissar Verdacht schöpfen könnte. Vielleicht hätten sie nicht wegrennen sollen, als er sie gefunden hatte. Vielleicht hatten sie dann etwas herausgefunden. Aber was wenn er unangenehme Fragen gestellt hätte? Es würde ihnen doch niemand glauben, worum es ging. „Urgh... Das ist alles zu kompliziert.“, frustriert ließ Mirâ ihre Stirn auf die kalte Tischplatte sinken. „Was ist so kompliziert?“, fragte plötzlich eine männliche Stimme. Erschrocken hob die Violetthaarige den Kopf und sah Shuichi, welcher genau vor ihr am Tresen stand. Mit einem Ruck saß Mirâ wieder gerade auf ihrem Hocker und begrüßte ihren älteren Kollegen. Dieser legte fragend den Kopf schief: „Kann ich dir irgendwie helfen? Verstehst du irgendwas nicht?“ Mirâ brauchte eine Weile ehe sie verstand weshalb Shuichi fragte, doch schüttelte dann den Kopf: „N-Nein. Also es hat nichts mit der Arbeit zu tun. Meine Freunde und ich haben da so ein kleines Problem und wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen. Das ist ziemlich kompliziert zu erklären, deshalb...“ „Ich verstehe. Klingt nach einer Menge Kopfzerbrechen.“, meinte der Braunhaarige nur, „Und es ist nichts, wo ich dir vielleicht einen Tipp geben kann?“ Die junge Frau schüttelte erneut den Kopf: „Das ist nett, aber leider nicht. Wir verstehen es ja selber nicht wirklich, deshalb bringt es nichts von einem Außenstehenden Rat einzuholen. Nimm es mir nicht übel.“ Shuichi lachte: „Keine Sorge. Mach ich nicht. Außerdem hast du bei mir noch etwas gut.“ Irritiert sah Mirâ ihn an. Was hatte sie denn bei ihm gut? Hatte sie Shuichi mal einen Gefallen getan? Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. „Schon vergessen? Sie Sache mit Kyo.“, sagte der Junge Mann zaghaft und kratzte sich am Hinterkopf, „Es war ja irgendwie auch meine Schuld, dass es so ausgeartet war.“ Ach das. Mirâ wurde kurze Zeit leicht blass. Am liebsten wollte sie den Vorfall vergessen, zumal sie danach ja auch fast noch von einem Auto erwischt wurde. Sie hatte sich entschlossen Shuichi nichts von dem Beinaheunfall zu berichten, sonst würde er sich noch mehr Gedanken darüber machen. Das wollte sie nicht. Deshalb schüttelte sie diese Gedanken von sich und lächelte ihren Kollegen freundlich an: „Ach was. Das ist schon wieder vergessen. Du konntest nichts dafür. Also hör auf dir Gedanken zu machen. Mir geht es gut. Also keine Sorge.“ Zwar sah Shuichi sie leicht besorgt an, doch lächelte sie dann ebenfalls an, ehe er die junge Frau am Tresen ablöste. Da nicht mehr viel zu tun war, konnte Mirâ die Gelegenheit nutzen und etwas eher Feierabend machen. Sie war sowieso viel zu hibbelig, um sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Ihre Hoffnung war, das Mika gute Nachrichten für sie hatte und niemand in der Welt war, doch sie hatte so ein unangenehmes Gefühl, seit sie das Polizeiaufkommen gesehen hatte. Nachdem sie ihren Lohn bekommen und sich von ihren Kollegen verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Heimweg. Doch Zuhause wurden ihre Hoffnungen zerschlagen, als sie von einer Mika mit dunkler Miene begrüßt wurde. Sie hatte schlechte Neuigkeiten für sie. Es hatte eine Weile gedauert, doch letzten Endes hatte sie etwas gespürt. Eine Person, welche sich in der Spiegelwelt aufhielt. Doch es war ein anderes Gefühl, als dieses welches sie hatte, wenn Personen durch ein Tor in die Spiegelwelt kamen. Diese Person war schon eine Weile in der Welt. Allerdings hatte sie noch eine viel schlechtere Nachricht. „Zwar kann ich die Person in dieser Welt spüren, aber...“, Mika schwieg kurz, „Ich kann denjenigen nicht Orten, also weiß ich nicht wo sich derjenige sich gerade aufhält.“ Kapitel 28: XXVIII - Was nun? ----------------------------- Alles um mich herum ist dunkel, doch eine Melodie kommt mir zu Ohren. Eine wohl bekannte Melodie, welche von einem Klavier zu mir herangetragen und durch eine sanfte Stimme unterstützt wird. Es ist die Arie, welche immer im Velvet Room spielt. Anfangs war sie sehr leise, doch mittlerweile habe ich sie bei jedem Besuch deutlich hören können, doch... Erschrocken öffne ich die Augen und muss durch das strahlende Blau, welches mich umgibt blinzeln. Irritiert sehe ich mich um. Wie bin ich hier her gekommen? Ich bin mir hundertprozentig sicher ins Bett gegangen zu sein. Dabei hatte ich mein Handy nicht einmal in der Hand, also kann ich den Button für den Velvet Room gar nicht gedrückt haben. Aber warum...? „Willkommen im Velvet Room. Es ist schon eine ganze Weile her.“, holt mich die bekannte Stimme der Langnase Igor aus meinen Gedanken und lässt mich zu ihm schauen, „Wie es scheint hast du einige Schwierigkeiten mit dem aktuellen >Opfer<.“ Er macht mit seinen Zeigefingern Gänsefüßchen, als er das Wort Opfer benutzt und grinst mich danach wieder an. Ich senke den Blick. Damit hat er Recht. Es wundert mich bereits nicht mehr, dass diese Beiden bestens über den aktuellen Stand der Dinge Bescheid wissen. Der Gedanke, dass mich beide auf Schritt und Tritt beobachten, kam mir bereits vor einer ganzen Weile. Ob sie mich allerdings über die App oder über den Vertrag, den ich noch nie gesehen habe, beobachten, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich sind aber beide Möglichkeiten, auch wenn es ein komisches Gefühl ist, zu wissen, dass man beobachtet wird. „Anscheinend hast du dir tief in deinem Inneren gewünscht, die Antwort auf deine Fragen bei uns zu finden.“, sagt nun Margaret, was mich wieder aufblicken lässt, „Doch leider müssen wir dich enttäuschen, denn wir dürfen dich nur in Sachen Personas und Social Links unterstützen. Alles andere ist vertraglich verboten.“ Obwohl ich mir bereits gedacht habe, dass sie mir nicht helfen können oder werden, bin ich etwas enttäuscht. Auch wenn ich nicht aktiv selber in diesen Raum gekommen bin, habe ich mir nach dem Aufwachen gewünscht sie würden mir helfen können. Was nun? Ich bin unfreiwillig hier und auch noch völlig umsonst. Wenn ich doch nur wüsste, wo sich derjenige aufhält, der nun in der Spiegelwelt ist. Es würde auch helfen zu wissen, wer es ist. Wir vermuten zwar Esuno-Senpai, allerdings war es uns am Tag nicht vergönnt gewesen, dies zu prüfen. Auch wenn es makaber klingt, so hoffe ich in diesem Moment darauf, dass es Esuno-Senpai ist, da wir so wenigstens schon mal wüssten, wer das Opfer ist. Trotzdem wissen wir dann immer noch nicht, wo er sich aufhält. Ich seufze, doch schrecke leicht auf, als Igor kichert. „Einen Tipp kann ich dir geben: wenn du nicht weiter weißt, musst du herausfinden, wo du wieder anknüpfen kannst.“, sagt er kichernd. Ja danke auch. Der Tipp ist wirklich hilfreich. Ich sehe den kleinen Mann an und hoffe in diesem Moment, dass er nicht meine sarkastischen Gedanken lesen kann. Dann seufze ich erneut. Umsonst. Ich bin umsonst hier her gekommen. Prinzipiell schlauchen mich solche Besuche immer genauso, als würde ich die Nacht nicht schlafen, weshalb es für mich gerade noch schlimmer ist. Dann werde ich wohl in der Schule wieder durchhängen. Klasse... „Nun zieh nicht solch ein Gesicht. Wenn du einmal hier bist, können wir doch gleich mal schauen, ob du etwas Neues für uns hast und wie weit du bereits mit deinen Social Links bist. Margaret, darf ich bitten?“, spricht die Langnase und sieht zu der Blonden hinüber. Diese schlägt ihr Buch auf, welches auf ihrem Schoß liegt, und mein Handy in meiner Tasche beginnt zu leuchten. Seit wann habe ich es in der Tasche? Als ich an mir herunter sehe bemerke ich nun auch, dass ich anstatt meines Schlafanzugs meine Schuluniform trage. Das fällt mir zum ersten Mal auf. Dieser Raum wird immer merkwürdiger. Das Leuchten löst sich von dem Display meines Smartphones und zwölf leuchtende Karten schweben zu der jungen Frau hinüber, schweben kurz über dem Buch und verschwinden dann darin. Kurz darauf bilden sich bewegte Bilder und kurze Texte auf den bis dahin weißen Seiten. Daraufhin legt sie das Buch aufgeschlagen auf den Tisch und ich sehe worum es sich handelt. Auf der ersten Seite sieht man ein Bild der Narr-Arcana, mit welchem Namen die Seite auch betitelt ist. Neben der großen Karte, welche fast die Hälfte der Seite einnimmt steht ein kurzer Text, den ich allerdings nicht entziffern kann und darunter sieht man bewegte Bilder, als würde man ein Video auf dem Smartphone abspielen. Zu sehen sind Szenen mit meinen Freunden und zwar als Gruppe. Da es nur bestimmte Szenen sind, gehe ich davon aus, dass es ausschlaggebende für den Social Link sind. Aktuell sehe ich die Szene, wie wir am Tag vor dem Kommissar davon gelaufen sind und danach über unser weiteres Vorgehen geredet haben. Margaret dreht das Buch zu mir, sodass ich selber weiter blättern kann. So schlage ich die nächste Seite auf, welche allerdings beide leer sind. Irritiert blättere ich weiter und erblicke daraufhin die nächste Arcana mit der Nummer 3, die Kaiserin. Auch hier ist die Seite mit dem Namen und der Nummer der Karte gekennzeichnet, sowie mit einem Bild und einem kurzen Text geschmückt, welchen ich aber auch hier nicht entziffern kann. Unter der Abbildung und dem Text spielte wieder so etwas wie ein Video, dieses Mal mit Szenen von mir und Shuichi. Auch hier sind es vor allem die ausschlaggebenden Szenen, welche den Link vorangetrieben haben. Ich blättere weiter durch das Buch. Immer wieder kommen einige blanko Seiten, doch dazwischen tauchen immer wieder Artikel über bestimmte Arcanas auf, so folgen auf die Kaiserin die Liebenden, der Streitwagen, der Einsiedler, die Stärke, der Tod und die Mäßigkeit, bei welcher ich erstaunt stoppe. Seit wann habe ich die Mäßigkeit als Social Link? Als ich mir die Seite so betrachte sehe ich in dem kleinen Video Szenen mit Megumi und zwar jene, als ich mit ihr gemeinsam am Fluss saß und mir ihre Bilder angesehen habe. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mit ihr einen Social Link geformt hatte. Ist mir das entgangen? Es ist ja nicht so, dass ich nicht regelmäßig in die Persona-App schaue, doch ich erinnere mich beim besten Willen nicht daran diese Arcana gesehen zu haben. Ist sie etwa genauso unscheinbar wie Megumi? Naja, immerhin ist es die Mäßigkeit. Nach kurzem Überlegen scheint es mir, als bringe es nichts weiter darüber nachzudenken, so blättere ich die nächste Seite auf. Es folgen die Arcanas des Teufels, des Sternes, des Mondes und der Sonne. Danach ist Schluss und es folgen nur noch weiße Seiten. Eine schmale Hand, welche sich auf die weiße Seite legt und daraufhin das Buch wieder herum dreht, holt mich aus den Gedanken. Es ist Margaret, die das Compendium wieder auf ihren Schoß nimmt und noch einmal eine bestimmte Seite aufschlägt. Sofort bemerke ich, um welche Karte es sich handelt, als ich das Bild der Arcana des Todes sehe. Igor lässt seine Hand über dem Tisch schweben und daraufhin erscheint vor ihm die Arcana des Todes. Kurz schließt er die Augen und scheint die Karte zu lesen, ehe er mich grinsend ansieht: „Diese Arcana ist äußerst interessant. Das kleine Mädchen, welches sie trägt, umgibt ein Geheimnis. Etwas, was deinen Weg aus den Fugen werfen könnte. Ich bin gespannt, wie deine Reaktion sein wird, wenn du es irgendwann herausfindest.“ Er bewegt seine, immer noch über der Karte schwebende, Hand von links nach rechts und die Arcana verschwindet: „Doch bis dahin wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Nun solltest du aber gehen. Das nächste Mal kommst du sicher wieder aus eigenem Antrieb hierher. Bis dahin... Lebewohl.“ Igors Gesicht vor mir verschwimmt und geht in gleißendes weiß über. Samstag, 04.Juli 2015 Gemeinsam mit ihren Freunden hatte sich Mirâ in der Mensa der Schule wiedergefunden und starrte gedankenverloren aus dem Fenster, an welchem langsam dicke Wassertropfen herunter kletterten. Gerade hatte sich ein neuer Tropfen gebildet und kletterte langsam den Weg nach unten Richtung Erde. Auf seinem Weg sammelte er verschiedene noch stillstehende Tropfen ein und wurde somit immer größer. Bereits den ganzen Tag schüttete es wie aus Eimern, sodass sich die Gruppe nicht auf dem Dach treffen konnte. Doch schnell mussten sie feststellen, dass auch die Mensa nicht der beste Ort war, über ihr Vorhaben zu sprechen, sodass sie die Köpfe zusammengesteckt und ihre Lautstärke auf ein Minimum reduziert hatten, damit sie sich gerade so noch gut verstanden. Mirâ jedoch war mit ihren Gedanken ganz woanders. Zwar schnappte sie einzelne Gesprächsfetzen auf, sobald sie mal kurz im Hier und Jetzt landete, doch kurz darauf hatte sie wieder alles um sich herum abgeschaltet. Dann versank sie wieder in ihren Gedanken. Es war das Gespräch mit Igor, was ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Er hatte gesagt Mika hätte ein Geheimnis, was ihren bisherigen Weg komplett aus den Fugen werfen würde. Was konnte das nur bedeuten und was für ein Geheimnis sollte das sein? Was konnte denn so schlimm sein, dass es Mirâ aus der Bahn werfen könnte? Egal wie sehr sie sich den Kopf darüber zerbrach, sie kam einfach auf keine Antwort. Ob sie Mika fragen sollte? Doch würde die Kleine ihr davon erzählen? Geheimnisse hatte immerhin jeder und niemand mochte es, wenn man in ihnen herumschnüffelte. Die junge Frau seufzte. Eigentlich hatte sie dafür nun wirklich keine Zeit, doch... „Hey Mirâ. Hörst du überhaupt zu?“, ein Hand sauste vor ihrem Gesicht herunter, was die Violetthaarige und dadurch auch die braunhaarige Besitzerin der Hand zurückschrecken ließ. Irritiert sah sich Mirâ um und schaute in die verwunderte Gesichter ihrer Freunde. Als ihr Blick die besorgten grünen Augen von Akane traf, merkte sie erst, wie sehr sie überhaupt abgelenkt war. „Entschuldigt bitte. Ich war in Gedanken.“, entschuldigte sie sich mit gesenktem Blick. „Das ist uns aufgefallen. Stimmt etwas nicht?“, fragte Masaru besorgt, „Hast du irgendwelche Sorgen?“ 'Genügend.', ging der jungen Frau durch den Kopf, doch schüttelte daraufhin den Kopf, „N-nein. Alles gut. Ich mache mir nur etwas Gedanken zur aktuellen Lage.“ „So geht es uns allen, deshalb haben wir ja darüber gesprochen. Es wäre ratsam, wenn du, als unsere >Anführerin< dich daran beteiligen würdest.“, kam es ernst von Kuraiko. Mirâ senkte den Blick, was Hiroshi eingreifen ließ: „Hey. Jetzt sei mal nicht so unfreundlich. Mirâ hat schon genug um die Ohren.“ „Der rettende Prinz in strahlender Rüstung. Meinst du nicht Mirâ ist alt genug, um sich selbst zu rechtfertigen?“, bemerkte die Schwarzhaarige beiläufig und sah den Blonden dann mit düsteren Blick an. „Wie bitte?“, hörbar knirschte Hiroshi mit den Zähnen und ballte seine eine Hand zur Faust. Am liebsten hätte er dieser immer so arrogant herüberkommenden Person eine gescheuert, doch hielt sich zurück. Er wurde einfach nicht warm mit ihr, weil ihm ihre Art so dermaßen auf die Palme brachte. Die Schwarzhaarige grinste nur siegessicher, da sie es wieder einmal geschafft hatte den Blonden zu provozieren und wollte etwas sagen, doch Mirâ ging dazwischen. „Schluss jetzt.“, sagte sie ernst, „Tut mir leid, dass ich euch Sorgen bereite und nicht aufgepasst habe. Bitte streitet nicht deshalb. Mir wächst das alles nur gerade etwas über den Kopf. Deshalb...“ Eine Hand legte sich auf ihre Schultern, was sie in die grünen Augen von Akane blicken ließ: „Du brauchst dich für nichts entschuldigen. Ich denke du hast den schwierigsten Part von uns allen. Deine Fähigkeit unterscheidet sich von unseren und wahrscheinlich spielst du in der ganzen Sache auch eine ganz andere Rolle als wir. Deshalb verstehen wir es, wenn dir das alles zu viel wird. Aber du musst auch uns verstehen, wenn wir uns Sorgen machen, wenn du alleine über alles Mögliche grübelst. Also rede mit uns. Ok? Sag uns wenn dich etwas bedrückt und friss nicht alles in dich hinein. Wir sind deine Freunde und helfen dir, wenn du Sorgen hast. Ok?“ Erstaunt sah Mirâ ihre beste Freundin an, doch nickte dann lächelnd: „Ja. Danke. Das ist lieb von euch. Es ist nur so, dass ich darüber gerade nicht reden möchte, weil ich mir selber erst sicher sein muss. Aber wenn es so weit ist, dann gebe ich euch Bescheid. Versprochen.“ Zwar sahen ihre Freunde sie kurz besorgt an, doch lächelten dann und nickten. Daraufhin erkundigte sich die junge Frau noch einmal darüber, wie nun der Plan für diesen Tag aussah. So wollte die Gruppe nach der Schule noch einmal zu Yasuo nach Hause gehen und abklären, ob dieser krank oder wirklich verschwunden war. Außerdem wollten sie, wenn er wirklich weg war, versuchen herauszufinden, wo er sich aufhalten könnte. Dann würden sie sicher auch wissen, wo sie in der Spiegelwelt zu suchen hatten. Mehr als das konnten sie gerade eh nicht machen. Als die Schulglocke mit dem ersten Gong das Ende der Pause einläutete begaben sich die fünf wieder zurück in ihre Klassenräume und verabredeten sich für nach der Schule vor dem Haupteingang. Nach der Schule Betrübt blickte Mirâ unter ihrem Schirm hervor zu dem grauen Himmel, welcher immer noch unablässig das kalte Nass herabrieseln ließ. Doch der Regen änderte nicht viel an den aktuellen Temperaturen. Vielmehr wurde es durch den andauernden Regen immer schwüler und drückender. Aus der Ferne hörte sie bereits erstes Donnergrollen. Anscheinend zog bereits ein Unwetter heran. Sie sollten sich beeilen, damit sie nicht hineingerieten. Auch Akane und Hiroshi sahen besorgt in den Himmel. Es schien, als sei das Wetter ein schlechtes Omen für ihre kommende Aufgabe. Kuraiko besah sich derweil ihre Blumenbeete und schien sich damit etwas abzulenken. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach, während sie auf den schwarzhaarigen Jungen aus dem dritten Jahr warteten, welcher noch einige Dinge zu erledigen hatte. Nach einigen Minuten jedoch trat Masaru ebenfalls aus dem Schulgebäude und die Gruppe konnte sich auf den Weg machen. Einige Zeit später standen sie vor einem alten traditionellen japanischen Haus. Die Wände sahen aus, als hätten sie schon bessere Tage gesehen und neben den ganzen renovierten und teilweise neu gebauten Häusern, sah dieses eher schäbig aus. Jedoch hieß es, dass Yasuo in eben diesem Haus leben sollte. Umgeben war das Haus von einem kleinen Garten, welche von einer niedrigen, teilweise kaputten Mauer abgegrenzt war. Nur durch das eiserne Tor, welches bereits etwas Rost angesetzt hatte, war die Mauer geteilt. Von der Polizei war niemand mehr zu sehen. „Hier wohnt Esuno-Senpai?“, fragte Akane leicht ungläubig, „Ziemlich altes Haus.“ Masaru nickte: „Ja. Er soll mit seinen Großeltern hier leben, soviel ich weiß.“ „Statt hier rumzustehen, sollten wir lieber klingeln und nachfragen, ob Esuno-Senpai zu Hause ist.“, meinte Kuraiko ernst. „Kuraiko hat recht.“, sagte auch Mirâ und trat vor. Vorsichtig ging sie auf das Tor zu und wollte es aufschieben. Doch noch bevor sie es berühren konnte, schrak sie auf, als ein lautes Bellen ertönte. Kurz darauf kam ein großer beigefarbener Hund angerannt und bellte die junge Frau, welche vor dem Tor stand, an. Erschrocken wich Mirâ einige Schritte zurück, doch das Bellen ebbte nicht ab. Kurz darauf ging die Tür des Hauses auf und alte Dame trat heraus. „Yasuo?“, fragte sie voller Erwartungen, doch stoppte, als sie die Gruppe vor ihrem Tor sah, „Ah... Bejû aus!“ Sofort hörte der große Hund, welcher anscheinend Bejû hieß, auf zu bellen und sah die alte Dame mit großen Augen an. Mit einem „Sitz“ setzte er sich auf seinen Hintern und wedelt erwartungsvoll mit dem Schwanz. Die alte Frau trat aus dem Haus und kam auf das Tor zu, während sie beiläufig dem Hund über den Kopf strich. „Guter Junge.“, sagte sie zu ihm und wandte sich dann den Oberschülern zu, „Diese Uniform. Ihr geht auf sie Jûgoya. Seit ihr Freunde von Yasuo?“ Masaru trat vor: „Ja also, ich gehe mit Esuno in eine Klasse. Entschuldigen Sie die Störung. Wir haben uns Sorgen gemacht, weil er gestern und auch heute nicht in der Schule erschienen ist. Ist er krank?“ Das Gesicht der alten Frau wurde bleich und ihr Blick mehr als besorgt: „Yasuo... Er ist verschwunden. Wir haben ihn überall gesucht, aber konnten ihn nicht finden. Auch Bejû hat ihn nicht finden können. Immer wenn wir ihn Yasuo haben suchen lassen, ist er nur zu dessen Zimmer gelaufen, aber dort ist er nicht.“ „Seit wann ist Esuno-Senpai verschwunden?“, fragte Mirâ etwas zu energisch, weshalb die Frau ihr gegenüber sie erschrocken ansah, „Und hatten sie vorher Streit mit ihm?“ Die Frau wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ihr auch nicht zu verdenken, denn es war unüblich, dass Oberschüler so in der Privatsphäre fremder Personen wühlten. „Entschuldigen Sie bitte, aber es ist wichtig.“, sprach Masaru ruhig weiter. Yasuos Großmutter überlegte kurz, doch begann dann zu erzählen: „Er ist seit Donnerstagabend verschwunden, allerdings habe ich nicht gehört, wie er das Haus verlassen hat. Ich wollte vor dem Zubettgehen noch einmal mit ihm reden, aber er war nicht in seinem Zimmer. Erst dachte ich er sei noch eine Runde mit Bejû spazieren, aber dieser lag in seiner Hütte im Garten und schlief. Es ist merkwürdig, weil er normalerweise sofort reagiert, wenn Yasuo das Haus verlässt. Er hängt sehr an ihm. Aber am Donnerstag hat er keinen Mucks gemacht.“ Während sie erzählte kraulte sie den Hund hinter den Ohren, welcher sich dies sehr gefallen ließ. „Und haben sie vorher Streit mit ihm gehabt?“, frage nun Hiroshi vorsichtig. Doch die alte Frau schüttelte den Kopf: „Nein nicht direkt Streit. Eher eine Diskussion. Ach... Ich hätte ihm den Brief nicht zeigen dürfen.“ Aus ihrer Stimme sprachen Schuldgefühle. Anscheinend gab sie sich die Schuld dafür, dass Yasuo verschwunden war. Doch vieles sprach dafür, dass sich die Befürchtungen der Gruppe bewahrheitet hatten und Yasuo sich in der Spiegelwelt befand. Doch wie sollten Sie ihn finden, wenn Mika ihn nicht Orten konnte? „Wir würden Ihnen gerne helfen Esuno-Senpai zu suchen. Gibt es denn irgendwelche Orte, an denen er sich gerne aufhält?“, fragte plötzlich Kuraiko. Erstaunt sah die alte Frau sie an: „J-ja. Er ging gerne runter an den Fluss oder in den kleinen Wald hier in der Nähe. Dort war er oft mit Bejû spazieren, aber dort haben wir bereits nach ihm gesucht. Ihr werdet ihn dort sicher auch nicht finden.“ „Wir werden trotzdem noch einmal dort suchen. Vielleicht haben Sie etwas übersehen. Wir sind mehr. Vielleicht finden wir ihn ja. Wir möchten gerne helfen.“, mischte sich nun auch Akane ein, „Bejû sieht so traurig aus. Es scheint mir er vermisst sein Herrchen.“ Sie ging an Mirâ vorbei an das Tor und hielt dem beigefarbenen Hund ihre Hand durch das Gitter entgegen. Beju schnüffelt kurz daran und legte diese dann ab, bevor er sich auch von Akane streicheln ließ. „Guter Junge. Wir finden dein Herrchen schon. Das verspreche ich dir.“, sprach sie ruhig zu dem Hund, welcher sie daraufhin mit großen braunen Augen ansah. Mirâ beobachtete ihre Freundin eine Weile. Ihre tierliebe kannte wirklich keine Grenzen. Sie verstand sogar, wie sich dieser Hund fühlen musste, wo sein geliebtes Herrchen verschwunden war. Akane streichelte Bejû noch eine kurze Weile durch das Tor hindurch und stand dann auf, ehe sie sich zu ihren Freunden drehte. Als wäre dies das Startzeichen gewesen, verabschiedete sich die Gruppe kurz von Yasuos Großmutter und machte sich dann auf den Weg. Doch ihr Ziel war weder der Fluss noch das kleine Wäldchen, zu mindestens nicht in dieser Welt. An einer Kreuzung trennte sich die Gruppe mit dem Vorhaben, sich am Abend am Einkaufszentrum zu treffen. Später Abend - Dungeon Vorsichtig betrat einer nach dem anderen durch die Glasfront des Gebäudes die Spiegelwelt, wo sie bereits von Mika erwartet wurden. Um Zeit zu sparen hatte Mirâ bereits mit dem kleinen Mädchen gesprochen und ihr die zwei Orte genannt, wo sich Yasuo aufhalten könnte. Daraufhin hatte sich die Kleine auf die Suche begeben und ihr Blick verriet Mirâ auch, dass sie mit einem der Orte Recht hatten. Damit war auch klar, dass es wirklich Yasuo war, welcher sich hier aufhielt. Mika trat an die Gruppe heran und hielt Mirâ ihre schwarze Tasche mit ihrem Bogen und den Pfeilen entgegen. Auf ihren Schultern trug sie noch eine schlanke längliche Tasche, sowie einen Sportbeutel, während sie in der linken Hand eine ziemlich große Sense hielt. Um nicht weiter mit ihren Sachen aufzufallen, hatte die Gruppe nach dem letzten Trainingsabend, welcher bereits einige Tage zurück lag, entschieden einige ihrer Waffen in dieser Welt zu lassen. Mika bewahrte sie in dieser Zeit sicher auf, doch musste sie immer mitbringen, sobald ihre Freunde in diese Welt kamen. Zwar war es etwas umständlich, doch erst einmal eine gute Zwischenlösung, bis sie eine bessere fanden, denn noch umständlicher wäre es gewesen, ihre Waffen, vor allem Kuraikos Sense, unerkannt durch die Stadt zu führen. So hatte Mirâ sich in der Stadt eine neue Tasche für ihre Ausrüstung besorgt und einen Teil davon in die alte Tasche gepackt und sie in dieser Welt gelassen, während Masaru eines der Schwerter, welches er in dieser Welt gefunden hatte hier ließ. In dem Sportbeutel befand sich Hiroshis Ball und die riesige Sense gehörte Kuraiko. Anfangs hatte die junge Frau nur eine kleine Gartensense dabei gehabt, mit welcher sie allerdings umzugehen wusste, doch im Laufe ihres Trainings in dieser Welt hatte sie eine größere bessere Sense gefunden und nun erinnerte sie alle ein wenig an den Tod, nur das der Mantel mit der tiefen Kapuze fehlte. Hiroshi zog sie damit oft auf, doch Kuraiko ging selten darauf ein oder spielte das Spiel gekonnt mit. Nachdem jeder seine Waffe entgegen genommen hatte, führte Mika die Gruppe zu einem der beiden Orte, welche sie abgesucht hatte. Es handelte sich um den kleinen Wald, welcher sich in unmittelbarer Nähe zu Yasuos Haus befand und an einen Park grenzte. Doch der Eingang zum Wald war mehr als merkwürdig. Kurz vor dem Eingang stand ein rotes Tor, welches man eher an einem Tempel erwartet hätte. Doch der Durchgang leuchtete in allen möglichen Farben, so wie die Wände in den ganzen Dungeons. „Das ist neu.“, meinte Hiroshi. Fragend sah Kuraiko die Gruppe an: „Wie, neu?“ „Naja, bei den anderen war der Eingang nicht so. Und es gab auch keine seltsamen Tore, die hier eigentlich nicht stehen sollten.“, antwortete Akane skeptisch. „Es scheint irgendwie überall anders zu sein.“, bemerkte Masaru nebenbei. „Ah ja.“, Kuraiko nickte, doch blickte mit leicht besorgtem Blick auf das rote Tor. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, ein wenig nervös war sie schon. Zwar hatte sie bereits mit der Gruppe ein bisschen Kampferfahrung sammeln können, als sie vor einiger Zeit bereits einmal in dieser komischen Welt waren, doch dies hier war ihr erster Dungeon. Von den anderen hatte sie gehört, dass sich in den Dungeons wesentlich stärkere Shadows aufhielten, als die, welche sich sonst so hier befanden. Natürlich machte sie das auch neugierig, doch ein wenig Sorge schwang auch mit. Immerhin wollte sie nicht sterben. Was sie wohl hier erwarten würde? Nach einer kurzen Lagebesprechung machte sich die Gruppe auf den Weg in den Dungeon. Dieser sah, abgesehen von den wieder einmal merkwürdigen Farben, wie ein normaler Wald aus. Man hätte denken können, die Gruppe würde auf einem Waldweg stehen. Doch sie wussten genau wo sie waren, auch wenn es eher harmonisch aussah. Jederzeit kampfbereit machten sich die sechs auf den Weg, doch mussten schnell feststellen, dass in diesem Dungeon so einiges nicht stimmte. So begegneten sie kaum irgendwelchen Shadows und wenn doch, dann versuchten diese zu fliehen. Zuerst dachte die Gruppe der Reaper sei wieder unterwegs, doch sie konnten ihn weder hören noch fühlen. Und noch etwas war komisch. Gab es doch einmal einen Shadow der sie angriff, so war dieser ziemlich träge und schwach, sodass die Gruppe recht schnell mit ihm fertig wurde. Auch der Dungeon allgemein war merkwürdig, denn er war wenig verzweigt und wenn doch, führten die Wege nur einige Meter hinein, sodass man sofort sah, wenn man in eine Sackgasse lief. Es schien, als wollte es ihnen der Dungeon einfach machen. Jedoch fanden sie durch den einfachen Aufbau kaum Truhen mit hilfreichen Items oder neuen Waffen. Auch die Chance neue Personas zu finden waren für Mirâ hier eher gering. Dafür brauchten sie nicht allzu lange um ihr erstes Etappenziel zu erreichen: Den Zwischenboss, wie sie die stärkeren Shadows nannten, welche sich immer zwischen sie und ihrem Weg zum Raum des gesuchten stellten. Akane hatte mit dem Begriff begonnen, da sie vieles an ihrer Mission immer noch an ein RPG erinnerte, auch wenn sie wusste, dass dies hier kein Spiel war. Gemeinsam standen sie nun vor der riesigen Tür, welche mehr als fehl am Platz wirkte, da rund herum immer noch der Wald war, und verschnauften kurz. Zwar waren sie nicht wirklich außer Atem, da es nicht viel zu kämpfen gab, doch eine kurze Pause tat allen gut. Leicht besorgt blickte Mirâ auf die Tür vor sich. Was würde sie dahinter erwarten? Wenn sie sich an die letzten Zwischenbosse erinnerte lief es ihr immer noch eiskalt den Rücken herunter. Vor allem der Shadow in Kuraikos Dungeon war gefährlich gewesen. Wieder kamen Mirâ die Bilder in den Kopf, als Akane und Hiroshi von dem Shadow mehr oder weniger kontrolliert wurden und sie und Masaru angriffen. Doch würde dieser Shadow auch so stark sein? Die restlichen Shadows in diesem Dungeon verrieten etwas anderes, aber man wusste ja nie. Sie sollten weiterhin vorsichtig sein. Trotzdem beunruhigt sie das merkwürdige Verhalten der Shadows. Auch Mika fand es merkwürdig. Sie hatte so etwas auch noch nie beobachtet. „Ich hatte mehr erwartet.“, meinte Kuraiko plötzlich, woraufhin alle zu ihr sahen, „Ihr habt mir alle erzählt, dass die Shadows in den Dungeon so stark seien, aber die bisher waren doch sehr schwach.“ „Das finden wir auch merkwürdig.“, entgegnete Hiroshi, „In deinem und Senpais Dungeon waren sie um einiges stärker und gingen keiner Konfrontation aus dem Weg. Eher das Gegenteil: Sie haben die Konfrontation gesucht.“ „Aber wer weiß, was uns dort drin erwartet.“, meine Akane besorgt. Auch sie erinnerte sich ungern an die zwei großen Shadows vorher. Mirâ sah in die Runde: „Wollen wir weiter?“ Sie blickte in die Gesichter ihrer Freunde, welche Sorge und Zuversicht zugleich zeigten. Daraufhin drehte sie sich um und schob langsam die riesige Tür vor sich auf. Als sie eintraten standen sie auf einer großen Lichtung. Es war ein bizarres Bild, denn obwohl es in dieser Welt dunkel war, so wirkte es, als würde die Sonne durch Baumwipfel hindurch auf die Lichtung scheinen. Vereinzelt leuchteten an einigen Stellen helle große Flächen auf. In einer dieser Flächen standen zwei Shadows, welche wie Statuen in diesem bizarren Bild wirkten. Es waren steinerne Arme, welche ein riesiges steinernes Schwert hielten. Sie standen ruhig da und bewegten sich kaum, sodass man sie wirklich für riesige Figuren halten konnte. Doch die Gruppe wusste genau, dass es sich hierbei um ihre nächsten Gegner handelte. Kampfbereit gingen fünf der sechs auf die beiden Shadows zu, doch noch ehe sie diese erreicht hatten bewegte sich einer der Beiden und hob das riesige Schwert in die Höhe. Erst erschien ein blaues Licht um den Shadow und kurz darauf wurden beide in ein goldenes Licht getaucht. Daraufhin erhob auch der zweite Shadow sein Schwert und ebenfalls leuchtete um ihn herum das bekannte blaue Licht auf. Dieses Mal jedoch, wurde jeder der Gruppe, welche am Kampf beteiligt waren, kurz von einem Licht umgeben, allerdings verspürte niemand daraufhin Unwohlsein. „Die haben es ja echt eilig.“, sagte Akane leicht erwartungsvoll. „Ist mit euch alles in Ordnung?“, fragte Mirâ besorgt in die Runde. Niemand wusste, welcher Effekt auf sie eingewirkt wurde, weshalb sie besonders vorsichtig vorgehen mussten. Vergiftet oder verwirrt schien jedenfalls niemand ihrer Gruppe zu sein, was entweder hieß, dass der Effekt nicht gewirkt hatte oder aber, dass es einer war, welchen sie noch nicht kannten und im Laufe des Kampfes noch Schwierigkeiten machen würde. So oder so, sie durften die Shadows nicht unterschätzen, egal wie stark sie waren. Neben Mirâ leuchtete es bläulich auf und kurz darauf erschien Akanes Persona, welche sie sofort in den Kampf schickte. Wadjet stieg hinauf und hielt ihre Hand gen Shadows. Gleich darauf flogen zwei kleine Feuerkugeln auf die beiden steinernen Arme zu, doch als sie diese trafen passierte nichts. Die Feuerkugeln prallten einfach an den Shadows ab und flogen in ganz andere Richtungen wo sie in die Bäume des Raumes donnerten und dort mit lautem Krach explodierten. „Kche. Feuer wirkt nicht.“, bemerkte sie genervt. Anscheinend wollte sie den Kampf ebenso schnell beenden, wie die vorher. Kuraiko rannte los, holte mit ihrer Sense weit aus und schwang diese auf einen der beiden Shadows. Doch der Shadow hob in Windeseile, welche man ihm auf den ersten Blick nicht zugetraut hätte, sein Schwert und blockte die junge Frau so ab, dass sie mit ihrer Sense abrutschte und mit der Spitze im Boden stecken blieb. Nur mit viel Schwung konnte die Schwarzhaarige ihre Waffe wieder aus dem Boden ziehen und fiel deshalb einige Schritte zurück. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf flog bereits ein Ball an ihr vorbei. Doch auch dieser prallte nur am Shadow ab und flog zurück zu seinem Besitzer. Masaru zückte sein Handy und rief seine Persona Harachte auf das Kampffeld. Da er bemerkt hatte, dass Angriffe mit dem Schwert nichts brachten wählte er die Option „Garu“ aus, woraufhin sich am Rücken der Persona grüne Federn bildeten. Mit diesen holte er weit aus. Vor den ausgebreitet Flügeln bildeten sich kleine Wirbel aus Wind, welche, als Harachte die Flügel zusammenschlug, auf die beiden Shadows zuflogen. Sie trafen direkt und dieses Mal ging der Angriff auch durch, doch viel Erfolg gab es dabei nicht. Immer noch standen die beiden Gegner unbeeindruckt vor der Gruppe. „Angriffe mit Schwertern nützen nichts, ebenso wenig Angriffe mit Feuer oder mit Hiroshis Ball. Dafür ging der Angriff von Senpai durch.“, überlegte Mirâ und griff nach ihrem Smartphone. Daraufhin bildete sich auch um sie das blaue Licht und Hemsut erschien, welche sofort in den Angriff über ging. Sie hob die Hand und richtet sie gegen ihre Gegner, woraufhin Beide von einer dünnen Eisschicht eingehüllt wurden. Das Eis zersprang und die Shadows zuckten kurz zusammen. Auch dieser Angriff ging durch, doch richtete recht wenig aus. Nun waren jedoch die steinernen Shadows am Zug. Einer der beiden kam auf die Gruppe zu und blieb vor Kuraiko stehen. Dann holte er mit Schwung aus und griff die Schwarzhaarige an. Diese wollte ausweichen, doch schaffte es nicht mehr und wurde von dem schweren Schwert, welches sich allerdings als ziemlich stumpf erwies, getroffen, was sie zurück warf. Auch wenn die Klinge stumpf war, so war der Angriff trotzdem ziemlich heftig. Zu heftig, wie Mirâ fand. Mittlerweile hatten sie sich eigentlich eine ziemlich gute Verteidigung antrainiert, sodass solche Angriffe sie zwar treffen konnten, sie allerdings nicht so weit weg schleuderten. Lag es am Shadow? Oder hatte es etwas mit dem Effekt von vorhin zu tun? Eine böse Vorahnung überkam die Violetthaarige, doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, ging bereits der zweite Shadow zum Angriff über. Er hob den Arm, wie bereits am Anfang des Kampfes und wieder bildete sich um ihn das bekannte Licht. Daraufhin zuckten Blitze durch den Raum, allerdings um einiges stärker, als die, welche Hiroshis Persona herbeirufen konnte. Und sie trafen alle in der Gruppe mit lautem Donner. Krachend gingen sie auf die fünf herab und verursachten immensen Schaden. Schockiert blickte Mika auf ihre Freunde, welche bewusstlos am Boden lagen. Was nun? Sie allein konnte nichts ausrichten, immerhin konnte sie keine Persona rufen, wie ihre Freunde. Wie sollte sie also verhindern, dass sie erneut angegriffen wurden? Würde es hier enden? „Verdammt, das tat weh.“, hörte sie plötzlich die vertraute Stimme von Hiroshi. Erstaunt blickte sie in seine Richtung und sah, wie er langsam und mit wackeligen Beinen wieder aufstand. Mika überlegte für einen Moment, wie er diesen Angriff überstehen konnte, doch dann kam ihr in den Sinn, dass seine Persona ebenfalls den Angriff Zio nutzen konnte und er deshalb wahrscheinlich besser geschützt war, als die Anderen. Für einen Moment sah es sogar so aus, als würde er jeden Moment wieder umkippen, doch dann stand er fest auf seinen Füßen. Er sah kurz zu seiner Linken und Rechten, ehe er zu seinem Smartphone griff und etwas wählte, was Mika allerdings nicht erkennen konnte. Einen Moment bildete sich um ihn und die anderen drei ein grünliches Licht und die schlimmsten Verletzungen verschwanden. Er hatte also ein Item aus seinem Inventar gewählt und damit die Gruppe geheilt. Vorsichtig setzte er sich in Bewegung und hockte sich neben Mirâ hinunter, nur um sie vorsichtig an der Schulter zu berühren und zu überprüfen ob alles in Ordnung sei. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder zu sich kam und langsam und vorsichtig aufstand. Auch Akane, Kuraiko und Masaru kamen langsam wieder auf die Beine, wobei der schwarzhaarige Schüler etwas länger brauchte, um wieder klar zu sehen. Seine größte Schwäche war Elektrizität, weshalb ihn der Angriff besonders stark getroffen hatte. Doch langsam kam er wieder zu Sinnen. Erleichtert atmete Mika durch. Ihnen war nichts Schlimmeres passiert. „Ein Glück.“, dachte sich die Kleine. Die Gruppe jedoch griff in diesem Moment bereits erneut die Shadows an und dieses Mal war es etwas einfacher. Anscheinend hatte der Effekt vom Anfang des Kampfes langsam seine Wirkung verloren. Doch trotz allem hatten sie alle Mühe sich diesen Shadows zu stellen und so war es nicht verwunderlich, dass sie eine ganze Weile brauchten, um diesen Gegner zu besiegen. Erst als Kuraiko mit lauter Stimme ihre Persona Kadesh rief und diese mit ihrer Fähigkeit Mudo angreifen ließ, welche unter den Shadows ein schwarzes Feld bildete, lösten sie sich endgültig in schwarzem Nebel auf. „Uff!“, entkam es Akane nur, als sie sich auf ihre vier Buchstaben fallen ließ, „Was war das?“ „Da hattest du deine starken Shadows.“, meinte Hiroshi geschafft zu Kuraiko, „Zufrieden?“ Die Schwarzhaarige atmete durch: „Woher hätte ich wissen sollen, dass es so krass wird?“ „Ich denke wir waren uns zu sicher, weil die restlichen Shadows so schwach waren. Das sollte uns eine Lehre sein.“, sagte Masaru, damit kein Streit entfachte, doch selbst dafür waren Hiroshi und Kuraiko zu geschafft, sodass es eh nicht dazu gekommen wäre. Vorsichtig trat Mika auf die Gruppe zu: „ihr habt gut gekämpft. Ich hatte zwischendurch aber wirklich Angst um euch. Tut mir leid, dass ich euch nicht besser unterstützen kann.“ Mirâ sah auf und schüttelte den Kopf, ehe sie langsam aufstand und dann Akane auf die Beine zog: „Lasst uns lieber gehen. Weiter können wir eh nicht. Wir sollten in ein paar Tagen noch einmal wieder kommen. Wenn wir so weiter machen, sterben wir noch.“ Ihre Freunde sahen sie erschöpft an und nickten. Es war eh niemand der Gruppe mehr in der Lage auch noch einen Schritt weiter in den Dungeon zu setzen. So halfen sich alle auf, soweit es möglich war und die Gruppe machte sich auf den Weg den Dungeon und danach auch die Spiegelwelt zu verlassen. Auf dem Heimweg zur U-Bahn sah Mirâ noch einmal kurz zurück auf den Platz, auf welchem das Kaufhaus stand. Nun aus dem Winkel betrachtet, welchen sie in diesem Moment hatte, kam ihr dieses Bild mächtig vertraut vor, auch wenn sie etwas störte. Doch da sie weder wusste, woher dieses vertraute Gefühl kam und was genau sie störte, schüttelte sie diese Gedanken von sich und machte sich auf den Heimweg. Kapitel 29: XXIX - Einkauf mit Umwegen -------------------------------------- Sonntag, 05.Juli 2015 Seufzend lief Mirâ die Straße in Richtung Einkaufszentrum entlang. In ihrer Hand hielt sie einen Zettel, auf welchem eine ziemlich lange Liste stand. Ihre Mutter hatte sie darum gebeten noch ein paar Besorgungen für sie zu tätigen, da sie selbst noch einiges an Papierkram zu erledigen hatte. Mürrisch starrte Mirâ auf die Liste. Daran würde sie sich wahrscheinlich dumm und dämlich schleppen. Sie war sich sicher, dass sie mit dem ganzen Zeug eine ganze Menge zu tragen hatte und hatte irgendwie das Gefühl, dass sie es nicht alleine schaffen würde. Seufzend ließ sie den Kopf hängen und steckte den Zettel in ihre Tasche, welche links an ihrem Rock baumelte. Sie hatte keine Lust einzukaufen. An diesem Tag wollte sie eigentlich endlich mal ein wenig faulenzen und mit ihrer kleinen Schwester deren Lieblingsserie "Featherman" schauen. Ihre Mutter konnte wirklich gemein sein, wenn sie wollte. "Sie kann mich wirklich nicht sitzen sehen.", dachte sich Mirâ, blickte auf und erkannte auf der anderen Seite der Straße eine ihr bekannte Person. Es war Hiroshi, welcher vor dem Krankenhaus stand und hinauf auf den Schriftzug, welcher an der Pforte stand, blickte. Was wollte er denn im Krankenhaus? Ein Gedanke kam ihr in den Sinn. Hatte er sich etwa schlimm verletzt? Vielleicht bei dem Kampf in der Spiegelwelt am gestrigen Tag? Aber warum hatte er dann nichts gesagt? Sorgen stiegen in ihr auf, was sie veranlasste dem blonden jungen Mann zu folgen. Bis sie jedoch über die Straße und im Krankenhaus war, hatte sie ihn kurzzeitig aus den Augen verloren. In der Empfangshalle des Krankenhauses sah sie sich kurz um, ehe sie wieder Hiroshis blonde Haare erblickte und ihm vorsichtig folgte. Er lief einige Gänge entlang, die Treppe hinauf und bog um eine Ecke, ehe er vor einer Tür stehen blieb. Mirâ beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Sie wusste selber nicht, weshalb sie sich in diesem Moment nicht traute einfach auf den jungen Mann zuzugehen. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihm nachspionierte. Mittlerweile war ihr bereits klargeworden, dass Hiroshi nicht wegen einer Untersuchung hier war. Dieser stand noch eine ganze Weile ruhig vor der Tür und starrte sie an. Es hatte ein wenig den Anschein er würde mit sich hadern, ob er wirklich eintreten solle oder doch lieber wieder ging. Doch dann schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. Entschlossen hob er den Kopf und öffnete dann die Tür. "Hallo.", hörte sie noch, während der junge Mann eintrat und hinter sich die Tür schloss. Leise und vorsichtig ging Mirâ auf die Tür zu und schaute auf das Patientenschild. "Makoto, Rin.", fragend blickte Mirâ auf das Schild. "Wie geht es so?", hörte sie Hiroshis Stimme gedämpft von innen. "Soweit ganz gut. Muss ja.", antwortete eine weibliche und sehr erwachsene Stimme. Hatte Hiroshi eine ältere Schwester? Die Stimme klang zu jung, als dass es seine Mutter sein könnte, aber auch zu alt für jüngere Geschwister. Es musste also die ältere Schwester sein. Oder? Ein beklemmendes Gefühl nahm sie ein. Im Grunde wusste sie fast nichts über Hiroshi, außer das, was er ihr bisher erzählt hatte. Andererseits hatte sie ihn auch nie gefragt. Wieder machte sich ihr schlechtes Gewissen breit, weil sie ihrem Kumpel nachspioniert hatte. So etwas gehörte sich nicht. Vorsichtig schüttelte sie den Kopf über ihre eigene Dummheit und wollte sich zum Gehen wenden, als die Tür aufgerissen wurde und ein verwunderter Hiroshi vor ihr stand. "Hier.", erschrocken blickte Mirâ auf, als ihr eine Dose Milchkaffee vor die Nase gehalten wurde. Verwundert nahm sie diese entgegen und senkte wieder den Blick. Nachdem Hiroshi sie bei ihrer Schnüffelei erwischt hatte, hatte sie bereits mit einer Standpauke seinerseits gerechnet. Dieser hatte sie jedoch nur fragend angesehen und dann gefragt ob sie etwas trinken möchte. Nun saßen beide in einem Aufenthaltsraum, in welchem mehrere Getränkeautomaten standen, und schwiegen sich an, während Mirâs schlechtes Gewissen sich wieder meldete. "Jetzt zieh nicht so ein Gesicht.", meinte Hiroshi und trank einen Schluck aus seiner Dose, "Ich bin nicht sauer." "Tut mir trotzdem leid.", nuschelte Mirâ nur mit gesenktem Blick. Hiroshi nahm einen weiteren Schluck und beobachtete Mirâ von der Seite: "Mich würde aber trotzdem interessieren, warum du hinter mir hergelaufen bist." Die junge Frau rutschte immer mehr in sich zusammen und hätte sich am liebsten ins nächste Mäuseloch verkrochen: "Als ich dich hab ins Krankenhaus gehen sehen, dachte ich du wärst vielleicht verletzt und willst dich behandeln lassen. Ich habe mir Sorgen gemacht, auch wenn ich weiß, dass es das nicht besser macht." "Du hast dir Sorgen gemacht?", mit großen dunkelblauen Augen schaute er seine Freundin erstaunt an, ehe er leicht Lächeln musste, "Das ist lieb. Aber mir geht es prächtig. Alles in Ordnung. Siehst du?" Als wolle er zeigen, dass alles in Ordnung ist, hob er die Arme und drehte sich einmal. Mirâ beobachtete ihn kurz, senkte dann wieder den Blick und nickte. Dann legte sich wieder Stille zwischen die Beiden. Eine unangenehme Stille, wie Mirâ meinte. Sie wollte gerne ein Gespräch anfangen. Doch was? Sollte sie Hiroshi auf diese Rin ansprechen? Irgendwie wollte sie schon gerne wissen, wer sie war. "Ähm... Ich... Ich wusste gar nicht, dass du eine ältere Schwester hast.", fragte sie dann doch. Fragend und erstaunt sah Hiroshi sie an, doch fing dann plötzlich herzhaft an zu lachen: "Rin? Nein, ne große Schwester hab ich nicht. Rin ist mein großer Bruder." "Eh?", mit hochrotem Kopf sah Mirâ ihren Kumpel an, welcher immer noch grinste, "A-aber d-da war doch ein Mädchen..." "Ach das. Das war Aika. Rins Freundin...", meinte Hiroshi nur, "Sie kann immer nur sonntags herkommen, weil dann meine Eltern nicht hier sind." "Eh? Heißt das, deine Eltern können sie nicht leiden?", fragte Mirâ erstaunt. Hiroshi schüttelte den Kopf: "Nein. Eher wissen sie nicht einmal, dass es Aika gibt." "Eh? Warum?", Mirâ konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb jemand seine Freundin verheimlicht. Ihr Kumpel schwieg kurz und zerdrückte seine Dose, welche er eine Weile betrachtete: "Weil Rin perfekt ist. Deshalb." Er erntete nur einen fragenden Blick. Was sollte das heißen „perfekt“? Hiroshi seufzte: "Ich habe dir doch erzählt, dass meine Eltern sehr darauf bedacht sind, dass ich gute Noten schreibe. Rin ist der Grund dafür. Er war immer sehr gut in der Schule, war immer der brave Junge und hat das gemacht, was unsere Eltern von ihm verlangten: Kein Schludern, kein unnötiger Sport, keine Freundin. Volle Konzentration auf Schule, Studium und Ausbildung. Nichts was einen ablenken könnte. Der perfekte Sohn für unsere Eltern. Naja jedenfalls hat er das äußerlich so gezeigt. Von Aika habe ich auch erst erfahren nachdem Rin hier gelandet ist. Er hat sie gut versteckt und das ziemlich lange. Sie sind wohl schon seit Anfang der Oberstufe zusammen. Und so lange Rin da war und immer das getan hat, was nötig war, ließen mich meine Eltern in Ruhe. Es ging immer nur "Rin hier" und "Rin da". Was mit mir war, war ihnen eigentlich egal. Damals hat mich das echt wütend gemacht, deshalb habe ich ständig rebelliert, irgendwelchen Schwachsinn gemacht, mir die Haare gefärbt und angefangen Fußball zu spielen. Alles das, was meine Eltern so hassen. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke, war es sogar besser als jetzt." Mirâ blieb der Mund offenstehen. Sie konnte nicht glauben was sie gerade gehört hatte. Bisher hatte sie immer nur gedacht, dass Hiroshi einfach nur überbesorgte Eltern hatte, die sich Sorgen um die Zukunft ihres Kindes machten. Doch so etwas...? "Was ist passiert?", fragte sie schließlich. "Tja... Rin hatte einen Unfall, als er mit Aika zusammen heimlich einen Ausflug machen wollte. Aika kam mit einigen Schrammen davon, Rin hatte weniger Glück. Er liegt seitdem im Koma. Was genau passiert ist, weiß ich nicht und Aika schweigt sich dazu aus. Meine Eltern waren natürlich außer sich, sodass Aika die Lüge erfand, sie wäre nur Zeugin gewesen. Deshalb wissen sie bis heute nichts von ihr und ich halte mich da raus. Im Grunde ist es ja auch Rins Sache. Ich komme mit Aika klar, aber ich weiß auch, wie meine Eltern reagieren würden.", erklärte der blonde junge Mann und warf seine Dose mit etwas zu viel Wucht in den Mülleimer, "Nur lassen Sie mich seitdem eben nicht mehr in Ruhe. Jetzt, wo Rin nicht mehr ihr Mustersohn sein kann, fiel Ihnen plötzlich auf, dass es mich auch noch gibt. Sie versuchen mich genauso zu biegen. Ich habe schnell bemerkt, dass ich nur der Ersatz für Rin bin und das nervt mich noch mehr." Sauer trat Hiroshi kurz gegen die Wand. Mirâ konnte verstehen, dass er sauer war und wusste in diesem Moment nicht, was sie sagen sollte. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr Kumpel solche Probleme Zuhause hatte, wo er doch sonst immer so fröhlich war. "Das ist hart.", war das Einzige was ihr in diesem Moment dazu einfiel. Ihr Kumpel schüttelte den Kopf: "Ich komm schon klar. Aber danke, dass du mir zugehört hast. Ich traue mich nicht wirklich mit anderen darüber zu reden, weil ich niemandem zur Last fallen will." "Hast du nie mit Akane drüber gesprochen?", fragend legte Mirâ ihren Kopf schief, "Ihr kennt euch doch schon so lange." "Nein. Akane kennt das Problem, dass meine Eltern mich ignoriert haben, aber das mit Rin... Der Unfall ist ein Jahr her. Da waren wir also im ersten Jahr. Wir haben da doch nicht miteinander gesprochen.", Hiroshi setzte ein leichtes Lächeln auf, „Und jetzt möchte ich, wie gesagt, niemandem damit zur Last fallen.“ "Ich ähm... Höre immer gerne zu, wenn du reden möchtest. U-und du fällst mir damit auch nicht zur Last. Also...", die junge Frau senkte ihren hochroten Kopf, doch spürte den fragenden Blick ihres Kumpels auf sich ruhen. Dieser schwieg kurz und lächelte dann in seiner typisch fröhlichen Art: "Das ist lieb. Danke dir Mirâ." Nun sah die junge Frau wieder auf und erwiderte sein Lächeln. Dabei streifte ihr Blick die Uhr, welche über dem Eingang des Aufenthaltsraumes hing. Es traf sie plötzlich wie ein Blitz, als ihr einfiel weshalb sie eigentlich hier entlangkam und das seither fast zwei Stunden vergangen waren. Schnell sprang sie auf, was ihren Kumpel zurückschrecken ließ: "Was ist passiert?" "Ich habe vollkommen vergessen, dass ich einkaufen gehen sollte.", kam die Antwort panisch, "Meine Mutter wird sich schon fragen wo ich bleibe." Erstaunt sah Hiroshi sie an und musste unwillkürlich herzhaft lachen. Bei ihrer ganzen Sorge um ihn, hatte sie doch tatsächlich vergessen, was sie eigentlich machen sollte. Das fand er irgendwie süß. Er ging auf sie zu und tippte ihr vorsichtig mit dem Finger auf die Stirn: "Dann solltest du wohl schnell in den Supermarkt gehen und noch einkaufen, bevor deine Mutter sich noch Sorgen macht. Und keine Spionage mehr. Ok? Das nächste Mal sprichst du mich einfach drauf an. Ja?" Die rote Farbe in dem Gesicht der jungen Frau nahm einen noch dunkleren Ton an, da Hiroshi nun so nah vor ihr stand. Sie konnte sogar riechen, dass er etwas Parfume aufgetragen hatte. Nicht viel, nur ganz dezent, aber es roch dennoch sehr angenehm. Wieder breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus, dazu aber auch ein leichtes Kribbeln im Bauch. Ihr ganzer Körper war in diesem Moment extrem angespannt. Sie traute sich gar nicht, sich zu bewegen, auch nicht, als sie ihr vibrierendes Smartphone in ihrer Tasche bemerkte. Mit seinem üblichen freundlichen Lächeln zwinkerte er Mirâ zu und wandte sich zum Gehen ab, worauf sie sich wieder etwas entspannte: "Wir sehen uns dann morgen in der Schule. Machs gut." "J-ja bis morgen.", verabschiedete sich Mirâ, ehe Hiroshi den Raum verlassen hatte. Als auch sie sich zum Gehen wenden wollte, fiel ihr auf, dass sie immer noch die volle Dose Milchkaffee in ihrer Hand hielt. Sie hatte bei der ganzen Aufregung vergessen ihn zu trinken. Vorsichtig lächelte sie. Hiroshi hatte sie an diesem, anfangs langweiligen, Tag ziemlich durcheinandergebracht. Ungefähr eine dreiviertel Stunde später war Mirâ bereits wieder auf dem Weg nach Hause. Vollgepackt lief sie die Einkaufsstraße entlang und wich immer wieder ihr entgegenkommenden Menschen aus. In ihrer linken Hand trug sie einen nicht allzu schwere Plastiktüte mit einigen Haushaltsdingen und auf ihrem rechten Arm trug sie, eng an sich gedrückt, den restlichen Einkauf. Wie sie bereits vermutet hatte war es ziemlich schwer und sie ärgerte sich darüber, dass sie zu Hause kein Fahrrad hatten, was sie hätte nehmen können, um alles zu transportieren. Ihr kam auch kurz der Gedanke, dass sie Hiroshi hätte fragen können, ob dieser ihr half, doch hatte sie diesen Gedanken sofort wieder verworfen. Ihr Kumpel hatte gerade wirklich eigene Probleme, dagegen waren diese nichtig. Kurz machte sie Pause und stellte ihre Einkaufstaschen kurz ab, um ihren Rücken durchzustrecken, als ihr ein angenehm süßlicher Geruch von frischem Brot und Plätzchen in die Nase stieg. Erstaunt blickte sich die junge Frau um und merkte, dass sie vor dem Schaufenster einer kleinen Bäckerei stand. Vorsichtig sah sie hinein und konnte genau auf den Verkaufstresen der Bäckerei blickten, welche vollgepackt war mit verschiedenen kleinen Broten, Kuchenblechen und kleinen Törtchen. Bei diesem Anblick lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Kurz überlegte sie, ob sie hier noch etwas Kleines mitnehmen sollte. Aber es war bereits 14 uhr und eigentlich sollte sie sich wirklich nach Hause beeilen. Noch einmal blickte sie durch das Schaufenster auf die Auslage und entschied sich nun doch dazu etwas Kuchen für sich, ihre Schwester und ihre Mutter mitzunehmen. Genug Geld hatte sie noch bei sich, außerdem sollte es eine Entschuldigung dafür sein, dass sie getrödelt hatte. Bisher hatte sich ihre Mutter zwar noch nicht bei ihr gemeldet, wo sie blieb, weil sie wahrscheinlich immer noch mit ihrem Papierkram beschäftigt war. Doch irgendwann würde ihr das sicher auffallen, dass Mirâ noch nicht zurück war. So nahm die junge Frau ihre Einkäufe wieder in die Hand und betrat die kleine Bäckerei. In dieser herrschte reges Treiben. Es waren ziemlich viele Kunden da, sodass sich Mirâ anstellen musste. Während sie warten musste belauschte sie einige Kunden, welche wohl des Öfteren hierher kamen. Sie schienen alle sehr begeistert von dieser kleinen Bäckerei zu sein. "Haben Sie heute wieder diese leckeren kleinen Brownies da, die sie letzte Woche verkauft haben?", fragte eine ältere Dame die Frau im mittleren Alter, welche hinter dem Tresen stand. Diese lächelte freundlich noch schüttelte den Kopf: "Nein, tut mir leid. Heute haben wir dafür diese kleinen Törtchen im Angebot, falls ich Sie dafür begeistern kann." "Die sehen wirklich gut aus. Ich nehme zwei.", kam es nur zurück, "Und noch zwei Ihrer leckeren Zitronenbrötchen." "Sehr gern.", daraufhin packte die Verkäuferin zwei Törtchen sorgfältig ein, doch wandte sich, bevor sie abkassierte, kurz in den Raum, welcher sich hinter dem Verkaufsraum befand, "Raiko sind noch ein paar von deinen Törtchen da?" Aus dem hinteren Raum hörte man nur, wie eine junge Frau rief, dass sie gleich noch welche bringen würde, woraufhin sich die Verkäuferin wieder an die ältere Dame wandte und abkassierte. Einen Moment später trat eine junge Frau in einer weißen Schürtze aus dem Hinterzimmer. In ihrer Hand hielt sie ein großes Blech mit den besagten kleinen Törtchen. Auf ihrem Kopf trug sie ein weißes Kopftuch und mit ihren violetten Augen sah sie sich kurz in dem kleinen Verkaufsraum um, ehe sie erschrocken zu Mirâ sah. Auch diese blickte die junge Frau erstaunt an und rief aus Reflex heraus den Namen der ihr gegenüberstehenden jungen Frau: "Kuraiko!" Die Angesprochene ließ beinahe das Blech fallen, konnte dies aber gerade noch so verhindern: "Was machst du hier?" Es klang schon fast vorwurfsvoll, doch war mit Sicherheit nicht so gemeint. Etwas verlegen kratzte sich Mirâ am Hinterkopf und erklärte Kuraiko, dass sie zufällig hier vorbeigekommen war. Erstaunt sah die Verkäuferin zu den beiden Mädchen und schien überrascht. "Ist das eine Freundin von dir Raiko?", fragte sie mit einem sanften Lächeln, worauf Kuraiko allerdings nur beleidigt fragte ob es denn so schlimm wäre, was die Verkäuferin aber nur mehr Lächeln und sich kurz Mirâ zuwenden ließ, "Das ist ja schön. Willkommen. Raiko, wenn deine Freundin schon mal hier ist, dann mach doch erst mal Pause. Wir kommen hier schon kurz alleine aus." Einige Minuten später standen die beiden Mädchen vor dem Schaufenster der Bäckerei, in welcher der Betrieb lebhaft weiterging. Mittlerweile hatte Mirâ auch herausgefunden, dass die Frau hinter dem Tresen Kuraikos Mutter war, als sich die Schwarzhaarige bei dieser darüber beschwert hatte, dass sie sie nicht immer Raiko nennen sollte. Danach hatte diese Mirâ mit nach draußen geschliffen. Und nun standen sie beide da. Kuraiko hatte immer noch die weiße Schürze an, darunter erkannte Mirâ eine schwarze Leggins, welche aber mit Mehl bestäubt war. Auch das schwarze T-Shirt, welches ihre Freundin trug war an einigen Stellen weiß. Dazu trug sie ein paar weiße Crocs. Es herrschte Stille zwischen den Beiden, was die Violetthaarige als ein wenig unangenehm empfand. "Entschuldige, wenn ich dich überrascht habe.", meinte Mirâ, was Kuraiko aber nur abwinkte, "Ich wusste gar nicht, dass deine Eltern eine Bäckerei betreiben. Ich hatte eher mit einem Blumengeschäft gerechnet." Fragend sah die Schwarzhaarige sie an, schien dann zu verstehen weshalb, doch antwortete auf ihre typische Art: "Und wenn schon. Nur weil ich Blumen mag, heißt das ja nicht, dass meine Eltern ein solches Geschäft führen." Mirâ lachte: "Schon klar. Ich finde es toll, dass du deinen Eltern in ihrem Geschäft aushilfst." "Naja, das also...", begann die Schwarzhaarige, doch wurde unterbrochen, als eine ältere Dame aus dem Geschäft trat und sie auf die kleinen Törtchen ansprach, welche heute in der Bäckerei verkauft wurden. Erst war Mirâ erstaunt, doch dann erzählte die Dame, dass sie von Kuraikos Mutter erfahren hatte, dass sie von der Schwarzhaarigen gebacken wurden. Mit großen Augen sah die Violetthaarige zu ihrer Freundin, welche rot angelaufen war, sich aber trotzdem erstaunlich höflich, bei der Dame bedankte. Nachdem die ältere Frau gegangen war, sah Mirâ immer noch zu ihrer Freundin, welcher das nun doch auf die Nerven zu gehen schien. "Was?", fragte sie genervt und etwas zu harsch, woraufhin Mirâ aufschrak, "Ist es so komisch, dass ich auch gerne backe und das meine Eltern mir erlauben damit etwas Taschengeld dazu zu verdienen?" "N-nein, ich war nur erstaunt. Du hast also noch andere Hobbys außer Blumen.", antwortete die Violetthaarige etwas zurückhaltender. Kuraiko schnaufte: "Ja sicher. Sehe ich so aus, als würde mich nichts interessieren?" Die Angesprochene lächelte: "So war das nicht gemeint. Tut mir leid." "Schon gut.", seufzte ihre Freundin und sah kurz in den Laden, "Ich sollte langsam zurück. Warte kurz hier." Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand die Schwarzhaarige in der Bäckerei, während Mirâ wie geheißen und ziemlich irritiert stehenblieb. Worauf sollte sie denn warten? Es dauerte eine Weile, doch dann trat Kuraiko wieder aus dem Laden heraus und hielt der Violetthaarigen eine kleine Tüte vor die Nase. Nun erst recht verwirrt starrte diese auf die Tüte vor sich. So standen die beiden Frauen eine Weile schweigend da, bis Kuraiko Mirâ diese Tüte mehr oder weniger in die Hand drückte. "Schau nicht so. Hier nimm. Schenk ich dir.", sagte sie, "Da ich dich ja rausgezerrt habe müsstest du dich sonst wieder anstellen und gerade ist es wieder sehr voll. Und du musst sicher auch endlich mal nach Hause mit deinen Einkäufen." Erstaunt sah Mirâ auf die Tüte: "Ähm danke. Aber ist das in Ordnung? Ich meine..." "Ja ist in Ordnung. Jetzt mach dich nach Hause. Ich muss weiterarbeiten. Wir sehen uns in der Schule.", ohne eine weitere Antwort abzuwarten war die Schwarzhaarige daraufhin wieder in der Bibliothek verschwunden. Die Violetthaarige sah ihr kurz nach, bevor sie einen kurzen Blick in die Tüte riskierte, in welcher sie drei kleine Törtchen vorfand. Noch einmal sah sie in die Bäckerei, wo Kuraiko mittlerweile hinter dem Tresen abkassierte. Sie musste Lächeln und spürte ein leichtes Vibrieren aus ihrer Tasche. Heute hatte sie eine weitere Seite an Kuraiko kennengelernt. Irgendwie machte sie das glücklich. So sammelte sie ihre Einkäufe zusammen und machte sich nun endlich auf den Weg nach Hause. Kapitel 30: XXX - Schlechter Tag -------------------------------- Montag, 06.Juli 2015 „Verdammter Mist.“, fluchte Hiroshi, während er eiligen Schrittes von der U-Bahnstation in Richtung Schule lief. Er hatte Dank seiner eigenen Dummheit tierisch verschlafen und das nur, weil er sich am Abend zuvor nicht von seiner Konsole trennen konnte. Dabei wollte er das neue Spiel nur kurz anspielen. Am Ende saß er bis kurz nach Mitternacht vor dem Fernseher. Nun bereute er es. Seinen Wecker hatte er komplett überhört. Erst als sein Vater nach ihm sah und fragte, wie lange er denn noch vor habe zu schlafen, war er langsam wach geworden. Doch da war es bereits zu spät. Seine U-Bahn hatte er bereits verpasst. Trotzdem hatte er sich in Windeseile angezogen und fertig gemacht und war danach aus der Wohnung gestürmt, den bösen Blick seiner Mutter im Nacken spürend. Ein Grund weshalb er sich nicht getraut hatte einen seiner Eltern zu fragen, ob sie ihn zur Schule fahren würden. Er hätte sich nur die ganze Fahrt eine ewig lange Standpauke anhören müssen. Das wollte er nicht. Ein anderer Grund war, dass er sie auch einfach nicht fragen wollte. Immerhin war er selber schuld an seiner Situation, weshalb er sie auch selber ausbaden wollte. Man musste nun auch mal die Konsequenzen für sein Handeln übernehmen. „Wie philosophisch.“, ging ihm durch den Kopf, als er aufblickte. Er sah bereits das Schultor vor sich und wollte noch einen Zahn zulegen. Eigentlich war es egal, denn die erste Stunde würde er sowieso verpassen und den Rest vor dem Raum verbringen, trotzdem war es sicher nicht falsch etwas außer Atem zu wirken, wobei er als Fußballer schnelles Laufen und Rennen gewöhnt war. Trotzdem... Es waren nur noch wenige Meter bis zum Tor, als er plötzlich von der Seite her angerempelt wurde. Normalerweise hätte ihn das nicht viel ausgemacht, doch da er in diesem Moment nicht damit gerechnet hatte, warf ihn das regelrecht aus der Bahn und er landete schmerzhaft auf dem Boden. „Aua... Nicht mein Tag.“, murmelte er, während er seine Seite rieb, auf welche er gefallen war. Dann blickte er auf und sah in die erschrockenen dunkelbraunen, fast schwarzen, Augen eines Mädchens, welche vor ihm stand. Anscheinend hatte sie ihn angerempelt. Ihre schwarzen Haare fielen ihr durcheinander über die Schultern. Sie war nicht sonderlich groß und etwas pummelig, weshalb ihr weißer Pollunder, welchen sie über der schwarzen Bluse trug etwas spannte. Darunter zeichneten sich deutlich die Knöpfe der Bluse ab. Immer noch erschrocken sah sie ihn an und schien nicht wirklich begriffen zu haben, was gerade passiert war. Doch plötzlich schrak sie auf, verbeugte sich kurz entschuldigend und rannte dann in Richtung Schule. Verwirrt sah der Blonde, welcher immer noch auf dem Boden hockte, ihr nach. Was sollte das eben? Vorsichtig erhob er sich und klopfte sich den Staub von der Hose, wobei er kurz zusammen zuckte, als er an die Seite kam, auf welche er gefallen war. Das würde wohl einen schönen bunten Bluterguss geben. Große Klasse. Seufzend hob er seine Tasche auf, bevor er ebenfalls seinen Weg zur Schule fortführte. Doch obwohl er sich beeilte wurde er kurz darauf bereits von Mrs. Masa vor die Tür geschickt und musste warten, bis die erste Stunde vorüber war. Auf dem Weg zurück in den Gang konnte er einen kurzen Blick zu seinen Freunden werfen und erkannte zum Einen den etwas besorgten Blick von Mira, aber zum Anderen auch den alles sagenden und grinsenden Blick von Akane, welche kurz darauf nur leicht kicherte. Die folgenden Stunden bis zur Mittagspause jedoch waren eine Qual für den blonden jungen Mann. Zum einen, da Akane ihn bei jeder kurzen Pause damit aufzog, dass er zu spät gekommen war, auch wenn Mirâ versuchte ihr das auszureden und eher besorgt wirkte. Zum anderen hatte er, da er sich beeilen musste, nicht frühstücken können und Zeit um sich eine Lunchbox zu füllen hatte er ebenso wenig gehabt, sodass er nun auch ohne Mittag da saß. Allerdings wusste er, dass er nicht verhungern würde. Wenn nur die Zeit bis zur Pause schneller herum gehen würde, dann könnte er zum Kiosk der Schule gehen und sich ein oder zwei Sandwiches und eine Flasche Wasser kaufen. Doch vorher musste die Zeit herumgehen und diese zog sich. Es kam nicht nur einmal vor, dass sich sein Magen lautstark meldete, weil er Hunger hatte, was allgemeine Erheiterung der Klasse zur Folge hatte. Niedergeschlagen saß er an seinem Tisch, den Kopf auf die Platte gelegt und sich den Bauch halten. Darauf wartend, dass endlich die Mittagspause kam. Jedoch hatte er sich zu früh gefreut, denn als die Mittagspause kam und er vor dem Kiosk stand - bereits den Geschmack eines leckeren Salami Sandwiches im Mund - musste er, bei einem Blick in sein Portmonee, feststellen, dass er ebenso vergessen hatte sich etwas Geld einzustecken. Er sparte sein Geld sorgfältig in einer dafür vorgesehenen Dose und nahm sich nur für die Schule oder wenn er etwas mit seinen Freunden unternehmen wollte etwas heraus. Doch da er früh so in Eile war, hatte er es vergessen. Wie so einiges. Einzig und allein rund 200 Yen lächelten ihn noch freundlich entgegen. Entgeistert blickte er auf die Angebotstafel und musste feststellen, dass das Geld gerade einmal für eine Flasche Wasser reichte. „Naja... Besser als nicht.“, ging ihm durch den Kopf, während er sich zu mindestens etwas zu trinken holte. Es würde zwar schwer werden, aber irgendwie würde er die Schule so schon rumbekommen. Irgendwie... Er blieb stehen, als ihm einfiel dass er am Nachmittag auch noch Fußballtraining hatte. In diesem Moment schrieb er sich bereits tot. Das Training mit leerem Magen zu überstehen war geradezu unmöglich. Er sah sich bereits, unter dem spöttischen Gelächter seiner Kameraden, vor Hunger zusammenklappen. Dieser Tag... Konnte er eigentlich noch schlimmer werden? Mit einem tiefen Seufzer ließ er den Kopf hängen und trottete in Richtung Dach, wo seine Freunde bereits auf ihn warteten. „Nanu. Hiroshi-Kun, wolltest du dir nicht etwas zu essen kaufen?“, fragte Mirâ erstaunt, als sie die Wasserflasche in seiner Hand sah. Kurz blickte der junge Mann auf die Flasche in seiner linken Hand und seufzte dann, ehe er sich neben seine Klassenkameradin setzte: „Ja schon. Ich hatte aber leider nicht mehr genug Geld.“ „Nicht mal ein bisschen für ein Sandwich?“, fragte Akane erstaunt, „Hast du dein Taschengeld wieder für sinnloses Zeug raus geschmissen?“ „Mal abgesehen davon, dass ich dich letztens noch von MEINEM Geld zum Essen eingeladen habe, wo wir gerade bei sinnlosen Ausgaben sind. Aber nein. Ich war heute Morgen so in Eile, dass ich vergessen habe mir was einzupacken.“, meinte der Blonde leicht genervt. Der Gedanke an diesem Tag mit leerem Magen zum Training zu müssen gefiel ihm gar nicht, aber er musste es irgendwie überstehen. Hungrig sah er sich um und erblickte die reich gefüllten Lunchpakete der anderen, was ihm das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Er hatte mächtigen Hunger und sein Magen machte daraus auch kein Geheimnis, als er lautstark knurrte. Um zu verhindern, dass die anderen merkten, wie er rot anlief, nahm er einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Es änderte zwar nichts an seinem Hunger, aber sein Magen war etwas gefüllt, sodass dieser erst einmal Ruhe geben sollte. Doch stattdessen merkte er, wie ihn leichte Übelkeit überkam. Er wollte etwas essen. Sofort! „Möchtest du etwas von mir ab haben?“, fragte plötzlich Mirâ, „Es ist eh zu viel für mich.“ Erstaunt sah der Blonde auf und blickte auf das reichgefüllte Lunchpaket der Violetthaarigen. Er erkannte panierte Garnelen, kleine Reisbällchen und Würstchen, die wie kleine Oktopusse aufgeschnitten waren. Der Anblick ließ ihm erneut das Wasser im Mund zusammen laufen. Dankend wollte er annehmen, als er eine recht quirlige Stimme vernahm. „Senpai! Endlich hab ich dich gefunden!“, rief sie. Erschrocken blickte die Gruppe auf und erkannte am Ausgang zum Dach ein leicht kräftig gebautes Mädchen mit schwarzen schulterlangen Haaren, welches außer Atem wirkte und eine weiße Tüte an sich drückte. Schnurstracks ging sie auf Hiroshi zu und hielt ihm die Tüte entgegen. Fragend blickte der Blonde sie an. Was sollte das denn jetzt? „Für dich. Als Entschädigung dass ich dich heute Morgen umgerannt habe. Ich habe gesehen, dass du vor dem Kiosk standst und anscheinend kein Geld hattest. Deshalb hab ich dir zwei Sandwiches gekauft. Ich hoffe ich habe deinen Geschmack getroffen.“, plapperte sie direkt drauf los. Leicht irritiert nahm Hiroshi die Tüte entgegen: „Ähm danke, aber das wäre nicht nötig gewesen. Ich meine, du brauchst dein Geld doch selber.“ „Das ist schon in Ordnung und das geringste, was ich als Entschuldigung machen kann.“, sagte das Mädchen lächelnd und blickte dann in die fragenden Gesichter der Anderen. „Ähm. Kennt ihr euch irgendwoher?“, fragte Masaru leicht irritiert an Hiroshi gerichtet. Dieser blickte kurz zu dem Mädchen und dann zu seinen Freunden, doch bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, übernahm das bereits das Mädchen und erklärte, dass sie es am Morgen eilig hatte und dabei Hiroshi über den Haufen gerannt hatte. Sie war wohl so geschockt, dass sie sich nicht richtig entschuldigt hatte und dass sie ihm deshalb die Sandwiches gekauft hatte. Sie selbst stellte sich als Matsurika Watanabe vor, welche ins erste Jahr ging. Doch was die Gruppe am meisten erstaunte war die Tatsache, dass sie Hiroshi mit „Makoto-Senpai“ ansprach. Sie wusste also genau wer er war, während er sie anscheinend nicht einmal kannte. Hiroshi, welcher bereits dabei war sich eines der Sandwiches zwischen die Zähne zu schieben, fragte vorsichtig nach, woher sie denn überhaupt seinen Namen kannte. Daraufhin lächelte die Schwarzhaarige nur und meinte, dass er unter den Schülerinnen im ersten Jahr bekannt wie ein bunter Hund sei. Jedes Mädchen aus ihrer Klasse wusste wohl, dass er als Stürmer im Fußballteam der Schule spielte und dass er ins zweite Jahr ging. Sie selbst sah sich wohl auch öfters die Spiele der Fußballmannschaft an und wusste deshalb wie er hieß, immerhin stand sein Name auf seinem Trikot. Man merkte sofort, dass es Hiroshi leicht stolz machte so bekannt zu sein, doch ihm selbst war das eigentlich nie aufgefallen. Es war ja auch nicht so, als würden ihm die Mädchen hinterherlaufen, anders als Masaru. Gedanklich schüttelte er den Kopf: nicht wieder dieses Thema. „Du spielst auch oft vor der Schule Fußball. Hab ich Recht?“, meinte Matsurika plötzlich, was ihn aufblicken sah. Das stimmte. Oft spielte er gemeinsam mit seinen Kumpels noch etwas Fußball, bevor der Unterricht begann. Es war kein Training, sondern einfach nur ein bisschen Spaß in kleiner Runde. Es war weder anstrengend noch ernst und vor allem hatten sie selten Zuschauer. Eigentlich fast nie, weshalb der Blonde es merkwürdig fand, dass sie das wusste. Klar werden sie von einigen gesehen, aber nie schaute jemand wirklich aktiv zu und er war ja nicht der einzige der spielte. Meistens waren sie mindestens acht bis neun Leute. Er fiel dabei kaum auf. Ein wenig Unbehagen überkam ihn. „Ähm... Wäre es ein Problem für euch, wenn ich euch Gesellschaft leiste?“, fragte Matsurika plötzlich einfach heraus, woraufhin sich der Blonde erschrocken verschluckte. Solch eine Direktheit hatte er selten gesehen, immerhin waren die Japaner ja gerade für ihre Zurückhaltung bekannt. Auch die anderen schienen erstaunt von dieser Direktheit, aber dennoch lächelte Mirâ sie freundlich an und erlaubte ihr zu bleiben. Während die Schwarzhaarige sich zu der Gruppe setzte, stellte die Violetthaarige alle nach einander vor. Danach genossen sie ihre Lunchpakete und fragten Matsurika so einiges aus. So erfuhren sie, dass diese bisher noch keinen Club besuchte, da sie sich noch nicht entscheiden konnte. Viel mehr erzählte sie allerdings auch nicht wirklich. Hiroshi schwieg währenddessen und starrte immer mal wieder auf Mirâs Lunchbox, von welcher er fast etwas abbekommen hätte. Er hätte sich so gefreut etwas von dem Mädchen zu bekommen, dass ihm so wichtig war, doch diese Matsurika hatte alles kaputt gemacht. Schockiert musste er feststellen, dass Akane die Frechheit besaß Mirâ etwas von ihrem Essen abzuluchsen und ihn dann ganz frech anzugrinsen. Böse sah er seine Kindheitsfreundin an, doch diese streckte ihm nur die Zunge entgegen. Seufzend ließ er den Kopf hängen und biss in das zweite Sandwich. Naja zumindest musste er nicht mehr hungern. Ein kleiner Trost. Doch plötzlich lief es ihm eiskalt den Rücken herunter und er hatte das Gefühl beobachtet zu werden, doch als er in die Runde blickte sah ihn niemand an. Alle waren noch in ihre Unterhaltung vertieft. „Hab ich mir das nur eingebildet?“, ging ihm durch den Kopf, doch egal wo er hinsah, selbst hinter sich, konnte er niemanden erkennen. Also tat er es vorerst doch als Einbildung ab und beschäftigte sich weiter mit seinem gesponserten Mittag. Der restliche Schultag verging für Hiroshi endlich etwas besser. Es gab keine weiteren Vorkommnisse, weshalb sich der junge Mann schon dachte seine Pechsträhne wäre nun gerissen. Gut gelaunt betrat er so also nach dem Umziehen den Fußballplatz der Schule und streckte sich, bevor sich die Mannschaft in einer Linie aufstellte und der Trainer allen erzählte, was sie heute während des Trainings alles machen wollten. So wollte der Trainer anhand eines Trainingsspiels entscheiden, wer von den Stammspielern zum nächsten Spiel am Wochenende gegen die Nachbarschule antreten durfte. Nach der kurzen Instruktion begann das Aufwärmen und die Mannschaft rannte ihre Runden um den Platz. Danach wurden sie in zwei Teams geteilt und sollten gegeneinander antreten. Um unterscheiden zu können, wer in welchem Team war, bekam ein Teil der Mannschaft rote Westen übergezogen. Der andere Teil spielte normal in ihren Trainingstrikots. Nachdem noch geklärt wurde welches Team auf welcher Seite begann startete das Spiel. Es dauerte nicht lange bis sich die ersten Schaulustigen an dem Spielfeldrand versammelten und zusahen. Es war nichts ungewöhnliches, dass sie beim Training Zuschauer hatten, weshalb sich niemand aus dem Team daran störte, auch Hiroshi nicht. Die lautesten Schreie kamen aus einer Ecke des Spielfeldes, wo sich eine Meute von Mädchen versammelt hatte, die nach „Shuyan“ riefen. Jeder hier wusste, dass es sich bei Shuyan um Hiroshis Kumpel Shuya Nagase handelte, welcher sich liebend gern von seinem Fanclub feiern ließ und keine Gelegenheit ausließ den Mädchen, welche alle aus seiner Klasse waren, kleine Küsschen zuzuwerfen. Auch daran hatte sich Hiroshi mittlerweile gewöhnt. Shuya war in seiner Klasse sehr beliebt. Er war ungefähr einen halben Kopf kleiner als der Blonde, doch er hatte ziemlich viel Kraft. Seine lilablau gefärbten durchgestuften Haare waren für einen Jungen eigentlich viel zu lang, weshalb er von den anderen Mitgliedern des Clubs gerne als Mädchen bezeichnet wurde. Um zu verhindern, dass ihm die langen Haare in sein Gesicht rutschten hatte er sie mit zwei dünnen Gummibändern halbwegs unter Kontrolle gebracht. Hiroshi kannte ihn seit der Mittelschule und hatte ihm eine ganze Menge zu verdanken. Doch plötzlich hörte der Blonde eine Stimme, welche es ihm eiskalt den Rücken herunter laufen ließ. „MAKOTO-SENPAI! Gib dein Bestes!“, hörte er die ihm nun vertraute Stimme von Matsurika kreischen. Erschrocken blieb er stehen und sah sich um, dabei merkte er nicht einmal wie ein Ball auf ihn zukam, welchen er genau ins Gesicht bekam. Danach war kurze Zeit Schwärze um ihn herum. Als er seine Augen wieder öffnete blickte er in die erstaunten Gesichter seiner Teamkameraden und seines Trainers. „Hey Makoto, was war das denn?“, fragte der Trainer irritiert, „Alles in Ordnung?“ Vorsichtig setzte sich der Blonde auf und hielt sich den brummenden Kopf: „Ja ich denke schon. Ich war wohl abgelenkt.“ „Das kennt man gar nicht von dir.“, sagte sein Kumpel Shuya lachend zu ihm. „Stimmt. Sonst passiert das immer Nagase.“, lachte ein anderes Mitglied aus dem Team, woraufhin sich der genannte junge Mann am Hinterkopf kratzte. Shuya richtete seinen Blick wieder auf den Blonden und grinste ihn an. Er kam näher und wurde leiser: „Seit wann stehst du denn auf kräftige Mädchen, dass du so abgelenkt bist.“ Sofort stieg ihm die Röte ins Gesicht, doch nicht vor Scham, sondern vor Ärger. Sein bester Kumpel wusste genau auf welches Mädchen Hiroshi stand, doch trotzdem machte dieser sich einen Spaß daraus ihn zu ärgern. Anscheinend hatte Shuya mitbekommen wer nach Hiroshi gerufen hatte und wusste deshalb Bescheid. Apropos... leicht erschrocken blickte er sich um, doch da hörte er bereits Matsurikas quirlige Stimme. „Senpai alles in Ordnung?“, fragte sie. Sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet. „Soll ich dich ins Krankenzimmer begleiten?“, fragte sie anschließend. Sofort sprang Hiroshi auf und wollte sich herausreden. Meinte sogar, dass es ihm blendend ginge und er keine Hilfe bräuchte und dass das Training weiter gehen könnte. Doch kaum war er einige Meter gegangen sackte er noch einmal leicht weg. Hätte sein Kumpel ihn nicht gestützt wäre er wohl wieder auf seinen vier Buchstaben gelandet. Wieder wollte Matsurika ihm anbieten ihn ins Krankenzimmer zu bringen, doch Shuya ging bereits dazwischen und meinte, dass Zuschauer auf dem Spielfeld nichts zu suchen hatten und dass ein Spieler Hiroshi begleiten würde, ehe er den Blonden zur Spielerbank begleiteten und ihn dort absetzte. „Danke.“, murmelte Hiroshi. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Shuya leicht besorgt, während er seinem Kumpel eine Flasche Wasser reichte, „Kennt man gar nicht von dir.“ „Heute ist nicht mein Tag.“, antwortete der Blonde nur, „Echt Dreck. Aber es geht schon wieder. Ich bin zu schnell aufgesprungen.“ Shuya sah in Richtung der Zuschauer und sah wieder Matsurika, die in ihre Richtung blickte: „Aber jetzt mal ohne Scheiß. Wer ist das? Ich dachte du stehst auf Shingetsu. Oder hast du sie aufgegeben, weil du keine Chance hast?“ „Quatsch. Dieses Mädchen, Watanabe heißt sie, hat mich heute Morgen ausversehen umgerannt und nun hängt sie an mir.“, kam nur die Erklärung, während der Blonde einen Schluck Wasser trank. „Sicher dass es nur ausversehen war?“, fragte sein Kumpel, woraufhin Hiroshi ihn verwundert ansah. Daraufhin erklärte ihm sein Kumpel, dass er wohl eine Verehrerin hatte und sie diesen Zusammenstoß als Vorwand nahm um mit ihm in Kontakt zu treten. Hiroshi wollte erst etwas dagegen sagen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand so etwas machen würde. Er hatte davon gehört, wollte aber nicht glauben dass es so was gibt. Doch dann fiel ihm wieder das merkwürdige Gespräch von der Pause ein. Als er schwieg sah ihn sein Kumpel fragend an, was dazu führte, dass er diesem von dem Gespräch erzählte. „Dann hast du sogar eine Stalkerin würde ich sagen. Glückwunsch!“, meinte Shuya grinsend. „Urgh.“, der Blonde ließ den Kopf sinken, woraufhin er nur spürte wie ihm mitfühlend auf die Schulter geklopft wurde. Doch so wirklich aufmunternd war das nicht. Völlig am Ende und mit rotem Gesicht betrat Hiroshi am frühen Abend den Eingangsbereich des Wohnblocks, in welchem er mit seinen Eltern lebte. Nachdem er sich einige Minuten auf der Bank ausgeruht hatte konnte er weiter am Training teilnehmen und wurde sogar für das Spiel am Wochenende in die Mannschaft gewählt, doch so richtig zufrieden war er mit seiner Leistung nicht gewesen. Ständig wurde er von diesem Mädchen abgelenkt. Nach dem Training wollte sie ihn sogar nach Hause begleiten, doch wieder hatte ihn Shuya gerettet, indem er dazwischen gegangen war. Nun wollte er eigentlich nur noch etwas essen, sich dann vor seine Konsole setzen und etwas zocken. Seufzend trat er an den Briefkasten und nahm die Post heraus, ehe er sich auf den Weg zum Fahrstuhl begab. Kurze Zeit später öffnete sich die silberne Tür und er wollte eintreten, als er mit einem kleinen Jungen zusammen stieß. Er hatte ihn gar nicht gesehen, doch griff sofort dessen Arm, als er merkte, dass dieser kurz davor war wieder in den Fahrstuhl zu fallen. Erst dann erkannte er den Grundschüler, welcher gemeinsam mit seinen Eltern einige Etagen über ihnen wohnte. „Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. Der Grundschüler sah auf und lächelte dann: „Ja alles in Ordnung. Ich hatte es eilig.“ „Das hab ich bemerkt. Warum so eilig?“, kam die nächste Frage. „Ich möchte auf den Bolzplatz.“, antwortete der Junge knapp und wollte weiter, doch hielt plötzlich wieder an und drehte sich zu dem Blonden, „Kommst du auch hin und trainierst mit uns?“ Hiroshi überlegte kurz: „Ich überlege es mir. Ok? Ich bin echt fertig.“ Kurz erkannte er einen enttäuschten Blick auf dem Gesicht des Jungen, doch dieser hellte sich kurz darauf wieder auf und er stimmte zu, ehe er stürmisch aus dem Gebäude rannte. Der Blonde huschte derweil schnell in den Fahrstuhl, welcher bereits wieder im Begriff war sich zu schließen. Er drückte den Knopf für die siebte Etage und lehnte sich an die kühle Wand, während er überlegte ob er noch einmal hinausgehen sollte oder sich lieber auf sein Bett packte. In der siebten Etage angekommen öffnete sich die Tür und er betrat einen langen Gang, welcher auf eine balkonähnliche Terrasse führte, die fast die komplette Länge des Gebäudes einnahm. Sah er nach rechts, also nach draußen, erblickte er die Straße und das Grundstück vor dem riesigen Wohnblock. Zur Linken erstrecken sich unzählige Türen, welche zu den jeweiligen Wohnungen führten. Hiroshi selbst musste fast bis zum Schluss des Ganges, ehe er vor der Wohnungstür seines Heims stand. Er atmete noch einmal durch und öffnete dann die Tür. Drinnen herrschte Stille. Ein Blick zu seinen Füßen verriet ihm, dass seine Eltern beide noch nicht zu Hause waren. Wie immer, aber schlecht war es nicht. Das bedeutete nur noch etwas mehr Ruhe für ihn selbst. Mit den Zehenspitzen zog er sich seine schwarzen Lederschuhe von den Füßen und trat auf den hellbraunen Parkettboden. Dann wollte er sich in sein Zimmer machen, doch hielt noch einmal kurz an, drehte sich um und stellte seine Schuhe ordentlich an den Rand. Er hatte keine Lust später wieder Ärger zu bekommen, nur weil er seine Schuhe nicht ordentlich abgestellt hatte. Noch einmal seufzte er, schmiss seinen Schlüssel in eine Schüssel, welche auf einer Garderobe rechts von ihm am Rand stand und lief den Flur entlang, direkt auf eine leicht angelehnte Tür zu, durch welche man eine helle Couch erkennen konnte. Doch anstatt durch die Tür zu gehen bog er davor rechts ab und folgte dem Gang weiter, direkt auf eine weitere Tür am Ende des Ganges zu. Vor einer Tür, welche rechts von ihm war, blieb er kurz stehen und starrte sie kurz an, ehe er weiter ging und sein Zimmer betrat. Daraufhin stand er genau vor seinem Bett, welches von der gegenüberliegenden Wand direkt ins Zimmer ragte. Über dem Bett war ein großes Fenster, durch welches man hinaus auf die Stadt sehen konnte. Rechts vom Bett stand ein großer Schreibtisch, auf welchem verschiedene Hefte verteilt und ein zugeklappter Laptop lagen. Die kleinen Regale, welche mit der Arbeitsplatte verbunden waren, waren voll vom Schreibutensilien und verschiedenen Dingen. Daneben stand ein großer Kleiderschrank, an dessen Tür ordentlich seine Jacke der Schuluniform hing. Links vom Bett war eine kleine Sitzecke, bestehend aus einer dunkelgrauen Schlafcouch, einem kleinen Tisch und einem Regal mit seinem Fernseher, seiner Konsole und einer Musikanlagen. In den Regalen rund um den Fernseher standen verschiedene Blu-Rays und Konsolenspiele, allerdings ziemlich durcheinander. Schon oft hatte er sich vorgenommen, diese zu sortieren, aber bisher hatte er nie die Lust aufbringen können. Seine Möbel waren Großteils alle in einem dunklen Braun gehalten, während einige Einlegeböden in einem Weiß gehalten waren. Seufzend schmiss er seine Taschen auf sein Bett, löste die Krawatte und schmiss diese dazu, ehe er sich bequeme Klamotten aus seinem Schrank fischte. Er wollte raus aus seiner Uniform. Nachdem er sich eine bequeme Jeans und ein schwarzes bequemes Shirt übergezogen hatte ließ er sich rücklinks auf sein Bett fallen und starrte eine Weile an die Decke. Sein Blick wanderte über die Decke, an der Lampe über seinem Bett vorbei hinüber zu seiner Tür, neben welcher ein Netz mit einem Fußball hing. Wieder musste er an den Grundschüler aus der Nachbarschaft denken. Oft spielte er mit den jüngeren Jungs aus dem Viertel zusammen Fußball und trainierte sie ein wenig. Er liebte es mit den Kindern Fußball zu spielen. Es war ein guter Ausgleich für ihn und es brachte ihn wieder runter, wenn er mal nicht gut drauf war. Kurz überlegte er noch, ob er nicht doch noch mal raus gehen sollte oder lieber zu Hause blieb, ehe er sich doch von seinem Bett erhob und sich doch noch mal auf den Weg machte. Die Jungs freuten sich riesig, als er den Bolzplatz betrat und sich zu ihnen gesellte. Gemeinsam spielten sie locker eine Runde Fußball, bis die Sonne sich bereits auf den Weg gen Horizont machte und die Stadt in ein zartes Orange tauchte. Gerade legten sie eine kleine Pause ein und saßen im Gras, als Hiroshi eine ihm bekannte männliche Stimme vernahm, welche ziemlich verzweifelt klang. „Hiro!“, rief sie lang gezogen, ehe der Blonde seinen besten Kumpel um den Hals hängen hatte, „Endlich hab ich dich gefunden.“ „Eh Shuyan? Was machst du hier? Und wieso gefunden?“, fragte Hiroshi erstaunt, doch wurde seine Frage von selbst beantwortet, als er die Kleidung seines Kumpels erkannte. Dieser trug immer noch seine Schuluniform. Die Jacke, welche er selbst bei diesen Temperaturen trug hatte er an den Armen bis zu den Ellenbogen nach oben gekrempelt. Er trug sie offen, weshalb sie den Blick auf eine schwarze Strickjacke mit hellblauen Stellen und großen Knöpfen frei gab, von welcher er allerdings nur mit einem Knopf zugeknöpft hatte. Darunter trug er ein weißes Shirt. An seiner Hüfte baumeln zwei rote Bänder mit weißen kreuzen darauf und seine Schuhe waren ebenso hellblau. Verzweifelt sah er seinen Kumpel an und der Blonde wusste sofort was Sache war: „Hast du dich schon wieder verlaufen?“ Es war nichts Neues, das Shuya sich verlief, denn dieser hatte eine, wie Hiroshi immer sagte, Orientierung wie eine Bockwurst. Wenn er mal einen anderen Weg nahm, als seinen üblichen kam es oft vor, dass er sich verlief und am Ende Hiroshi um Hilfe bat. Häufig fragte er auch ältere Damen, welche ihn meistens für ein Mädchen hielten und ihm noch einmal den Weg erklärten, doch meistens landete er doch wieder ganz woanders. Es war ein Wunder, dass er sich nicht auch auf dem Weg zur Schule verirrte oder im Schulhaus an sich. „Ja.“, jaulte Shuya. „Wie kann das sein? Wir haben uns doch in der U-Bahn getrennt. Du hättest doch nur eine Station weiter fahren müssen.“, meinte der Blonde leicht irritiert. Verlegen kratzte sich Shuya am Hinterkopf: „Ich bin eingenickt und hab die Station verpasst, bin eine später ausgestiegen. Es hat mich den ganzen Nachmittag gekostet hier her zu finden. Ich war auch schon bei dir, als ich's gefunden hatte, aber da hat keiner aufgemacht und an dein Handy bist du auch nicht gegangen.“ Verwundert kramte Hiroshi sein Smartphone aus der Hosentasche, welches ihm verkündete, das er zehn verpasste Anrufe hatte. Alle von Shuya. Er seufzte und packte das Handy wieder weg, ehe er langsam aufstand. „Unglaublich. Du wohnst schon seit vier Jahren hier und verläufst dich immer noch. Na los, Shuyan. Ich bring dich heim.“, sagte er anschließend Freudig sprang Shuya auf: „Yay! Du bist der beste, Buddy!“ Damit verabschiedeten sich die beiden noch einmal von den Grundschülern und sagten Ihnen, dass auch sie nicht mehr so lange weg bleiben sollten, ehe sich die beiden Jungs auf den Weg machten. „Aber mal ne Frage: Warum bist du nicht einfach in die nächste U-Bahn gestiegen und die Station zurück gefahren?“, fragte Hiroshi abschließend. Leicht erschrocken sah Shuya ihn an, schien daraufhin zu überlegen und kratzte sich letzten Endes am Hinterkopf: „Darauf bin ich gar nicht gekommen.“ Mit großen Augen sah Hiroshi seinen besten Kumpel an und fing plötzlich an zu lachen, während er Shuya seinen Arm über die Schulter legte: „Shuyan, du bist echt ne Marke.“ Kapitel 31: XXXI - Hiroshis Freundin ------------------------------------ Donnerstag, 09.Juli 2015 - Nachmittag Es war später Nachmittag, als sich Mirâ mit Akane und Kuraiko in der Bibliothek verabredet hatte, um für die kommenden Prüfungen zu lernen. Hiroshi wollte etwas später dazu kommen, da er noch etwas erledigen musste, während Masaru mit seinen Tätigkeiten als Mitglied des Schülerrates beschäftigt war und deshalb nicht an der Lernrunde teilnahm. Als die drei Mädchen die Bibliothek betraten trafen sie auf Mioshirô, welche über einem Stapel Bücher hing. Eines davon war eine Übersetzungshilfe, neben welchem ihr Handy lag. Mirâ trat an die junge Frau heran und bemerkte, dass auch auf deren Handy ein Übersetzungsprogramm offen war. Vorsichtig tippte sie die Schwarzhaarige an, in der Hoffnung sie nicht zu erschrecken. Doch trotzdem schrak diese leicht auf und blickte zu der Violetthaarigen hinauf. „Oh. Mirâ. Hallo. Du hast mich erschreckt.“, sagte Shio erleichtert. Mirâ fiel auf, dass ihr japanisch wieder um einiges besser geworden war, im Vergleich zum letzten Mal als sie miteinander gesprochen hatten. Sie fand es wirklich erstaunlich, wie schnell Shio diese Sprache lernte, aber wahrscheinlich hatte sie ihre alte Landessprache nie vergessen, weshalb es ihr etwas einfacher fiel. Trotzdem hatte die Violetthaarige deshalb viel Respekt vor ihr. „Lernst du für die Tests?“, fragte Mirâ. Die Schwarzhaarige strich ihren blonden Pony ein Stück hinters Ohr und nickte: „Ja. By the way... Sorry, nebenbei lerne ich noch etwas Japanisch. Ich verstehe einige Aufgabenstellungen nicht wirklich. Deshalb die Übersetzer. Manche Zeichen machen mir noch Probleme.“ Kuraiko stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab und zog eines der Bücher zu sich: „Ach so, diese Aufgaben.“ „Verstehst du die?“, fragte Shio hoffnungsvoll, „Ich hasse mathematische Textaufgaben. Könntest du mir helfen? Please!“ Erstaunt sah Kuraiko die Austauschschülerin an, welche sie mit großen bettelnden violetten Augen anblickte. Man sah ihr sofort an, dass sie es bereute in das Heft geblickt zu haben und dass sie am liebsten das Weite suchen wollte, doch stattdessen rückte sich Akane einen Stuhl an dem Tisch zurecht und setzte sich. „Das ist eine gute Idee. Vielleicht könntest du mir dann in Englisch helfen? Ich bin darin echt schlecht.“, sagte sie anschließend. „Sure.“, sagte Shio nickend, „Ach so. Wir kennen uns noch nicht. Right? Ich bin Mioshirô Hamasaki. Nice to meet you.“ „Ich bin Akane Chiyo. Und die junge Frau die gerade so grimmig guckt ist Kuraiko Fukagawa.“, stellte Akane auch sich und Kuraiko vor, „Freut mich ebenso.“ Seufzend setzte sich Kuraiko und Mirâ nahm ebenfalls neben Shio Platz. Sie musste ein wenig schmunzeln, weil sie selber auch bereits den Gedanken hatte sich zu der Schwarzhaarigen zu gesellen und Akane nun spontan die gleiche Idee hatte. Ihrer Freundin fielen solche Dinge wirklich einfach. Das war ja auch der Grund gewesen, weshalb sie Mirâ damals so einfach ansprechen konnte. Sie mochte ihre Freundin für diese Eigenschaft, so hatte sie immerhin schnell neue Freunde gefunden. Sie war selber erstaunt, wie leicht es ihr fiel so schnell neue Freunde zu finden, auch wenn es vor allem auch durch ihre Aufgabe kam und sie Hilfe hatte. Trotzdem... Die Tür der Bibliothek öffnete sich und Mirâ erkannte Hiroshi, welcher den Raum betrat. Er war in Begleitung einer weiteren Person, welche zwar die Schuluniform der Jungs trug, allerdings sehr weibliche Gesichtszüge hatte. Und dazu auch noch sehr hübsche. Die Person trug die Jacke der Uniform offen und an den Armen nach oben gekrempelt. Unter der Jacke erkannte Mirâ eine schwarze Strickjacke mit Kapuze und blauen Elementen, sowie blauen Knöpfen. An der Hüfte der Person hingen zwei rot-weiße Bänder und um das rechte Handgelenk trug sie zwei schwarze Armbänder. Die blauvioletten Haare der Person, gingen ihr bis auf die Schulter und waren etwas gewellt. Über dem Pony hielten zwei schwarze Gummibänder die Haare davon ab weiter ins Gesicht zu rutschen. Hiroshi und die Person unterhielten sich über irgendetwas, was Mirâ nicht wirklich verstand, und kamen auf die Gruppe zu. „Da sind wir. Entschuldigt, dass es länger gedauert hat.“, grüßte Hiroshi auf seine Art. Auch die anderen drei Mädchen sahen zu dem jungen Mann hinüber. Während Kuraiko aufschrak, was allerdings niemand mitbekam, sahen Akane und Shio erstaunt auf die Person neben Hiroshi. „Sag mal. Wir lernen hier fleißig und du hast nichts Besseres zu tun, als dich mit Mädchen zu verabreden.“, kam es plötzlich von Akane. „Ist das deine... Ähm... Girlfriend?“, fragte Shio, welcher anscheinend gerade nicht das richtige Wort einfiel. Erstaunt sah Hiroshi die Mädchen an, während sich die Person an seinen Arm klammerte: „Hallo. Freut mich euch kennen zu lernen. Hiro-Chan und ich haben eine besondere Beziehung. Hast du ihnen etwa nichts von mir erzählt, Hiro?“ Den letzten Satz hatte die Person leicht beleidigt gesagt. Erneut zuckte Kuraiko zusammen, was niemandem auffiel, während den anderen Mädchen der Mund offen stehen blieb. Hiroshi währenddessen konnte sich nun ein Lachen nicht mehr verkneifen, was nur zu noch mehr Verwirrung führte. Fragend sahen die Mädchen sich kurz gegenseitig an, während sich der junge Mann mittlerweile den Bauch hielt vor Lachen. „Shuyan. DAS war zu übertrieben.“, lachte der Blonde weiter. „Shuyan?“, kam es wie aus einem Mund von Mirâ, Akane und Shio. Kuraiko währenddessen legte ihre Hand an die Stirn und atmete geräuschvoll aus: „Leute, man sieht doch dass das ein Kerl ist.“ „Eh?“, kam es nur erneut, während Hiroshis Lachen lauter wurde, weshalb sie bereits böse Blicke der anderen trafen. Der Violetthaarige grinste daraufhin nur und stellte sich daraufhin als Shuya Nagase und Hiroshis besten Kumpel vor. Der Blonde hatte ihn gefragt, ob er Lust hatte mit in die Bibliothek zu kommen, da er es seinem Kumpel zu Folge mal nötig hatte. Eigentlich hatte er ja keine Lust gehabt, aber nachdem Hiroshi erwähnte, dass Mädchen dabei waren, hatte er sich entschieden mit zu gehen. „und ich muss sagen, dass ich sehr erstaunt bin, woher Hiro so hübsche junge Damen kennt.“, grinste Shuya und blickte zu Kuraiko, „Fuka-Chan, ich wusste gar nicht, das du mit Hiro befreundet bist.“ „Nenn mich nicht Fuka-Chan, du Trottel.“, schimpfte Kuraiko mit hochrotem Kopf. Fragend sah Akane zu ihr: „Ihr kennt euch?“ „Wir gehen in die selbe Klasse.“, murmelte die Schwarzhaarige. Shuya hockte sich neben Kuraiko und legte ihr seinen Arm um die Schulter, welchen sie allerdings wieder wegstieß und woraufhin der Violetthaarige nörgelte, dass sie nicht immer so kühl zu ihm sein soll. Hiroshi währenddessen hatte sich wieder beruhigt und setzte sich neben Akane, welche ihn fragend ansah. Doch noch bevor sie eine Frage stellen konnte, war bereits Shuya wieder bei ihnen und setzte sich neben seinen Kumpel, ehe er die Namen der, wie er sagte, anderen drei hübschen Mädchen erfragte. Daraufhin stellten sich auch Mirâ, Shio und Akane noch einmal richtig vor. Als sich die Violetthaarige vorstellte sah sie Shuya kurz grinsen, doch sie versuchte das zu ignorieren, während Hiroshi, unbemerkt von allen, seinen Kumpel aneckte und ihn böse ansah. Was Mirâ jedoch auffiel, war, dass Shuya ihre beste Freundin ansah, als würde er überlegen woher er sie kannte, als diese sich vorstellte. Naja im Prinzip war es nicht ungewöhnlich, wenn man sich bereits gesehen hatte, immerhin gingen sie alle auf dieselbe Schule und ins gleiche Jahr, trotzdem konnte man sich nicht alle Gesichter merken. Man ging eh an den meisten ohne große Beachtung vorbei. Kurz beobachtete Mirâ den jungen Mann, welcher immer noch zu überlegen schien, dann jedoch leicht den Kopf schüttelte und sich dann wieder mit Hiroshi beschäftigte, welcher bereits einige Hefte auf den Tisch gelegt hatte. Auch Shuya packte anschließend einige Hefte auf den Tisch und die Gruppe begann mit ihrem Selbststudium. Doch es dauerte nicht lange, da lag Shuya bereits mit seinem Kopf auf seinen Heften und schlief. Auch Hiroshi sah nach einer Weile mehr als müde aus und kämpfte mit sich wach zu werden, sodass die Gruppe kurz darauf beschloss erst einmal Schluss zu machen und nach Hause zu gehen. „Ah! Jetzt weiß ich es wieder!“, sagte Shuya plötzlich, als sie ihre Schuhe wechselten, woraufhin Hiroshi, Akane und Mirâ ihn fragend anblickten. Kuraiko und Shio hatten sich bereits von Ihnen verabschiedet, sodass sie nun nur noch zu viert waren. Sie hatten es nicht sonderlich eilig, wie die beiden Mädchen, und ließen sich deshalb noch etwas Zeit, als Shuya plötzlich der Geistesblitz gekommen war. „Was ist dir wieder eingefallen?“, fragte Hiroshi nach. Sein Kumpel zeigte auf Akane: „Woher ich dich kenne! Ich hab die ganze Zeit überlegt, weil mir dein Gesicht so vertraut vorkam. Du hast Hiro damals im ersten Jahr, gleich am ersten Tag angesprochen.“ Akanes Augen wurden immer größer, während man sofort merkte, wie Hiroshi sich verkrampfte. Er wollte seinen Kumpel zum Schweigen bringen, doch da war es bereits zu spät: „Damals hast du ne Abfuhr bekommen. Ich erinner mich noch genau, du...“ Der Blonde hatte sich Shuya geschnappt und ihm den Mund zugehalten: „Halt die Klappe du Idiot!“ „Eh? Eine Abfuhr?“, fragte Mirâ irritiert. „Ach vergiss es.“, sagte Akane plötzlich, deren Stimme sich verändert hatte, „Lass uns gehen Mirâ.“ So drehte sich die Braunhaarige einfach um und verließ den Eingangsbereich, ohne sich von den Jungs zu verabschieden. Etwas irritiert sah Mirâ ihrer Freundin nach, doch verabschiedete sich noch kurz von den Jungs, bevor sie ihrer Freundin folgte. „Was war das denn?“, fragte Shuya irritiert. Hiroshi seufzte und setzte sich in Bewegung: „Musstest du sie daran erinnern? Ich dachte sie hätte das vergessen...“ „Eh?“, kam nur eine weitere Frage, doch Hiroshi seufzte erneut und meinte, dass er Shuya alles auf dem Weg erzählen würde. Daraufhin machten sich die beiden Jungs auf den Heimweg. Derweil saß Mirâ mit ihrer Freundin in der U-Bahn. Besorgt sah sie die Braunhaarige an, welche aus dem Fenster blickte, obwohl es dort nichts zu sehen gab. Ansonsten schwieg sie. So verhielt sie sich bereits, seit Shuya das zu ihr gesagt hatte. Langsam wurde Mirâ neugierig worum es ging. Ob sie Akane fragen sollte? Aber eigentlich ging es sie doch nichts an. Trotzdem. Ihre Freundin sah niedergeschlagen aus und ein bisschen wütend. Plötzlich kam ihr ein Gedanke... „Akane, ähm... Kann es sein, dass du mal in Hiroshi verliebt warst?“, fragte sie vorsichtig, was ihre Freundin aufschrecken und sie böse anschauen ließ. „In den doch nicht!“, kam es prompt und ziemlich laut, weshalb sich einige Leute nach Ihnen umdrehten, doch schnell bemerkte sie, dass sie laut geworden war und entschuldigte sich, „Nein das hat nichts mit verliebt sein zu tun.“ „Darf ich fragen, was damals passiert war?“ Akane lehnte sich zurück und sah an die Decke des Waggons, ehe sie seufzte und dann anfing zu erzählen: „Es war am ersten Tag nach der Einschulung in die Highschool. Hiroshi und ich hatten uns zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre nicht mehr gesehen und Kontakt hatten wir auch nicht mehr. Doch als ich seinen Namen am Aushang der Klassenverteilung sah, hatte ich ein wenig die Hoffnung, dass wir wieder den Kontakt knüpfen können. Immerhin waren wir lange genug befreundet. Ich war echt erschrocken, als ich ihn dann gesehen habe und hatte schon Angst, es sei doch jemand anders. Aber sein Gesicht war das gleiche, deshalb... Aber das ist ne andere Geschichte. Jedenfalls habe ich ihn damals nach der Schule angesprochen. Aber weißt du was er gemacht hat? Er hat mich ignoriert und gemeint er wüsste nicht wer ich bin. Ich war damals so sauer. Im Übrigen war das auch ein Grund, weshalb wir nicht mit einander gesprochen haben, bevor du hier aufgetaucht bist. Ich hatte es schon fast vergessen, aber nun...“ „Oh. Aber vielleicht... Hatte er das damals nicht so gemeint. Vielleicht ist es auch ein Missverständnis.“, meinte Mirâ, da sie sich irgendwie nicht vorstellen konnte, dass Hiroshi jemanden mit Absicht so verletzen würde. Sie kannte ihn zwar noch nicht mal ein halbes Jahr, aber sie wusste mittlerweile, dass der junge Mann ein gutes Herz hatte. Doch Akane machte nur ein abwertendes Geräusch: „Er hat sich nie dafür entschuldigt. Ich wollte es ja auch eigentlich darauf beruhen lassen, aber jetzt wo Nagase das wieder angesprochen hat, kommts wieder hoch. Damals hab ich mir echt Gedanken gemacht, ob ich denn so schlimm bin, dass es peinlich sei mit mir befreundet zu sein. Nach allem was damals war...“ „Damals?“, fragte die Violetthaarige nach, doch ihre Freundin schüttelte nur den Kopf, was wohl hieß, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht darüber sprechen wollte. Deshalb beließ es Mirâ vorerst dabei. Trotzdem spürte sie, wie ihr Handy kurz vibrierte und sie konnte sich denken, dass es sich dabei um ihre Persona App handelte. Daraufhin schwiegen die beiden jungen Frauen, bis Mirâ aussteigen musste und sich verabschiedete. Später am Abend „Akane. Besuch für dich.“, rief Akanes Mutter sie Treppe hinauf. „Hm? Wer kommt denn um diese Zeit zu Besuch?“, murmelte die Braunhaarige, als sie die Treppen hinunter schritt. Es war bereits kurz nach acht und eigentlich wollte sie gerade ein Bad nehmen, als es an der Tür klingelte und ihre Mutter kurz darauf nach ihr rief. Kurz zuvor hatte sie noch einmal mit Mirâ telefoniert und sich dafür entschuldigt, dass sie am Nachmittag dann plötzlich so komisch drauf war. Ihre Freundin hatte es zwar verstanden, aber Akane fühlte sich trotzdem schlecht. Doch nun ging es ihr etwas besser. Zumindest bis sie um die Ecke trat und plötzlich Hiroshi gegenüber stand, welcher nur leicht die Hand zum Gruß hob. „Was machst du denn um diese Zeit hier?“, fragte sie ungewollt ziemlich aggressiv. Hiroshi schien den Ton zu überhören: „Hast du kurz Zeit? Können wir draußen reden?“ Fragend sah Akane ihn an, doch zog sich schnell ein paar Sandalen über, ehe sie ihrer Mutter verkündete, dass sie noch einmal kurz vor sie Tür ging, bevor beide das Haus verließen. „Hättest du nicht auch anrufen können?“, fragte Akane kurz darauf, immer noch leicht aggressiv. „Hättest du abgenommen?“, kam die Gegenfrage, auf welche aber nur Schweigen folgte, womit Hiroshi allerdings anscheinend gerechnet hatte, „Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du mich ignorierst, wenn du auf mich sauer bist. Das hast du damals schon gemacht.“ „Kche. Das klang damals aber ganz anders.“, meinte die junge Frau nun schnippisch. Sie wusste selbst, dass sie sich wie ein kleines Kind aufführte und eigentlich ging es ihr sogar selbst gegen den Strich, aber irgendwie konnte sie nicht anders. Das Hiroshi sie damals so hat fallengelassen, hatte sie sehr verletzt. Und dieser Idiot hatte es nicht mal bemerkt. Hiroshi seufzte: „Genau das meine ich. Hör zu, ich möchte mich für damals entschuldigen. Ich weiß selbst, dass das damals ne echt dumme Aktion von mir war. Ich hätte nicht sagen sollen, dass ich dich nicht kenne. Irgendwie war das damals so ne Kurzschlussreaktion. Ich weiß auch nicht wieso ich das damals gesagt habe.“ Erstaunt sah Akane zu dem jungen Mann, welcher sich an den Metallzaun lehnte, der das Grundstück ihrer Familie umgab. Jetzt kam sie sich erst recht kindisch vor. Während sie den jungen Mann nur angemotzt hatte, wollte er ein ernstes Gespräch mit ihr führen. Sie senkte den Kopf. Nun fühlte sie sich schlecht. „Jetzt schau nicht so. Ich kann verstehen, dass du so reagierst. Mein früheres ich hätte genauso reagiert in deiner Situation, denke ich.“, sagte der Blonde. „Vergleich mich nicht mit deinem früheren ich.“, meckert Akane und seufzte, „Man. Das hat mich damals echt runtergezogen. Dabei hatte ich mich echt gefreut, als ich gelesen habe, dass wir in der gleichen Klasse waren. Ich war zwar etwas überrascht, als ich dich gesehen habe, weil du so anders zu damals aussiehst, trotzdem... Andererseits war ich erleichtert, dass du dich so im Positiven verändert hattest.“ Sie seufzte um die Röte in ihrem Gesicht zu verbergen. Das war ihr nun doch ziemlich peinlich. Wenn Außenstehende die beiden so sehen würden, dann würden sie sie wohl für ein streitendes Pärchen halten. Das ging ja mal gar nicht. Auch Hiroshi schien das gleiche zu denken, denn auch er hatte eine leichte Röte auf den Wangen, doch räusperte sich kurz. „Ich hab mich glaub ich auch noch nie bedankt.“, sagte er mit der Faust immer noch vor dem Mund und den Blick von Akane angewandt, „Für damals. Danke. Du hattest mir echt geholfen.“ „Urgh... Jetzt wirds peinlich. Bitte hör auf.“, sagte die Braunhaarige und klopfte ihrem Kumpel kräftig auf die Schulter, sodass er einige Schritte nach vorn stolperte. Dann grinste sie ihn an: „Belassen wir es dabei. Ich bin froh, dass du dich entschieden hast dich zu entschuldigen und ich nehme diese auch entgegen und verzeihe dir. Es wäre ja auch doof, wenn wir uns bei unserer derzeitigen Position streiten würden. Oder?“ Der Blonde lächelte leicht, da Akane wieder die Alte zu sein schien: „Ja, da magst du recht haben. Wir müssen Mirâ unterstützen, da wäre Streit nicht gut.“ Er streckte sich: „Na gut. Dann mach ich mich erst mal wieder heim, bevor der Hausdrachen anruft und fragt wo ich bleibe. Entschuldige die Störung.“ „Ja, alles klar. Komm gut heim. Bis morgen dann.“, verabschiedete sich die junge Frau, während Hiroshi noch einmal winkte und dann seiner Wege ging. Erleichtert sah sie ihrem Kumpel nach. Irgendwie war sie froh über diese Entwicklung und auch, dass sie sich mit Hiroshi mal in Ruhe aussprechen konnte. Als sie den Blonden aus dem Blickfeld verloren hatte, streckte auch sie sich noch einmal, bevor sie wieder zurück ins Haus ging. Kapitel 32: XXXII - Zwischen zwei Meinungen ------------------------------------------- Samstag, 11.Juli 2015 - Dungeon Angespannt schaute die Gruppe auf den Eingang von Yasuos Dungeon. An diesem Abend wollten sie die zweite Etappe bis zum Eingang des letzten Raumes wagen, doch ein wenig Unbehagen überkam sie. Der erste Teil des Labyrinths war zwar sehr einfach gewesen, doch der Zwischenboss hatte es in sich gehabt. Was wenn sie wieder so etwas erwartete? Es war zwar einerseits gut, dass die Shadows, welche sie wohl erwarten würden, recht einfach waren, doch leider konnten sich dadurch ihre Fähigkeiten nur schwer entwickeln. Wieder eine Parallele die Akane von den RPGs gezogen hatte, die sich allerdings auch nicht verleugnen ließ. Ihre Personas entwickelten sich nur weiter, wenn sie gegen starke Gegner kämpften. Schwache Gegner brachten nicht viel. Und sie mussten stärker werden, denn auch die Endgegner wurden immer stärker. Am liebsten wäre es Mirâ gewesen, wenn sie die Personen hätten retten können, ohne dass sich deren Shadow manifestierte. Doch mittlerweile war ihr klargeworden, dass diese Hoffnung immer geringer wurde. Zumal aus den Shadows die Personas des jeweiligen Opfers wurden. Ihr ging es gegen den Strich, dass es so laufen musste und die gefangenen Personen so gequält wurden und sie wollte so schnell wie möglich herausfinden, wer oder was hinter alledem steckte. Doch sie wusste, dass sie noch am Anfang waren und einiges vor sich hatten. Sie und ihre Freunde hatten bereits einige Ermittlungen angestellt, bei welchen sie zusammentrugen, was alle Opfer gemeinsam hatten. Der eindeutigste Punkt war bisher, dass alle auf dieselbe Schule gingen und sie alle ungefähr im gleichen Alter waren. Doch das war bisher schon alles. Offiziell jedenfalls, denn Mirâ hatte noch einen Gedanken, welchen sie nicht mit ihren Freunden geteilt hatte: Alle hatten bisher mehr oder weniger mit ihr zu tun, wenn auch nicht extrem aktiv. Ob das nun Zufall war oder nicht, es machte ihr Sorgen. Sie hatte zwar bereits mit ihren Freunden darüber gesprochen, immerhin kam Akane auf diese Idee, aber trotzdem machte ihr dieser Gedanke Angst. Darüber wollte sie eigentlich in diesem Moment nicht nachdenken, doch... "Wollen wir los?", holte sie plötzlich Hiroshis Stimme aus ihren Gedanken. Leicht erschrocken sah sie zu ihrem Kumpel hinauf, welcher sich neben sie gestellt hatte. Erleichterung machte sich in ihr breit und sie schüttelte ihre Gedanken erst einmal von sich. Nun war nicht die Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Mit einem tatkräftigen Lächeln nickte sie ihrem Kumpel zu und drehte sich noch einmal zu ihren anderen Freunden um, welche ebenfalls nickten. Daraufhin trat die Gruppe durch das Tor und landete auf der Lichtung, wo sie beim letzten Mal gegen den Zwischenboss gekämpft hatten. Erstaunt blickte sich Kuraiko um: "Wow. Ich dachte wir landen wieder am Anfang und müssten uns wieder durchkämpfen." "Das dachten wir am Anfang auch, aber schon beim ersten Dungeon mussten wir feststellen, dass wir bei der Rückkehr beim Zwischenboss landen.", erklärte Mika ruhig. "Das ist der Grund, weshalb wir versuchen wollen zumindest immer bis zum Zwischenboss zu gelangen.", meinte Akane dazu und grinste Kuraiko an. Diese nickte verständnisvoll. Sie konnte es verstehen, vor allem nachdem sie diesen Boss mitbekommen hatte. Außerdem hatten ihr ihre neuen Freunde erklärt, dass sie immer nur bis zur nächsten Neumondnacht Zeit hatten zum Opfer zu gelangen um denjenigen zu retten. Was geschah, wenn sie dies nicht schafften, wusste die Gruppe nicht, allerdings konnte es nichts Gutes sein, da waren sie sich sicher. Gemeinsam gingen sie auf das Tor ihnen gegenüber zu und drückten es gemeinsam auf. Dahinter erwartete sie ein ähnliches Bild wie bereits am Anfang des Dungeons, als sie auf einen Waldweg traten. Dieses Mal jedoch teilte sich vor ihnen der Weg bereits in drei in drei weitere, das war anfangs nicht so gewesen. Angestrengt blickte Mirâ in alle drei Richtungen, doch viel erkennen konnte sie nicht, da der einem Wald ähnelnde Dungeon dafür sorgte, dass man nicht einschätzen konnte, ob der Weg, welchen sie sahen echt war oder nur eine Täuschung. "In welche Richtung wollen wir gehen?", fragte Masaru vorsichtig. "Gute Frage.", meinte Mirâ, doch setzte sich langsam in Bewegung und betrat den Gang rechts von ihnen, "Aber wir haben eh keine andere Wahl als alle Wege abzusuchen, bis wir den richtigen finden. Arbeiten wir uns also systematisch von rechts nach links voran." Daraufhin betraten sie den ersten Gang, welcher sie relativ weit in das Labyrinth brachte. Auch dieser gabelte sich irgendwann, doch diese Gabelungen führten sie wie bereits am Anfang nur in irgendwelche Gassen. Dafür ließen sich mehr Shadows blicken, welche auch nicht sofort wegrannten. Sie waren sogar etwas stärker, als die Shadows im ersten Teil des Dungeons, allerdings nicht wirklich der Rede wert. Trotzdem konnte die Gruppe ihre Personas etwas aufleveln. Nach einer Weile gelangten sie an eine weitere Sackgasse, doch zum Erstaunen der Sechs befand sich dort eine Truhe. Der erste Teil des Dungeons hatte keine Schätze beherbergt, weshalb die Gruppe nicht einmal mehr damit gerechnet hatte hier etwas zu finden. Umso erstaunten blickten sie auf die vor ihnen stehende Truhe, welche ein wenig an eine Schatztruhe aus alten Piratengeschichten erinnerte "Lasst sie uns öffnen und sehen was drin ist.", sagte Akane plötzlich erwartungsvoll. Ihre Augen glänzten richtig vor Aufregung. Anscheinend hoffte sie etwas Wertvolles zu entdecken. Irgendwie verständlich, hatten sie doch im ersten Teil nichts dergleichen gefunden. Eine stärkere Waffe, neue Pfeile oder Heilmittel konnte die Gruppe immer gebrauchen. Doch hatten sie auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, als plötzlich Shadows aus solchen Truhen gekrochen waren. An sich wäre es kein Problem gewesen, doch meistens waren sie stärker als die Shadows, welche sich sonst in den Dungeons aufhielten. Es war also eine 50/50-Chance etwas Gutes zu finden oder in eine Falle zu tappen. Sollten Sie dieses Risiko eingehen? Sie hatten immerhin noch einen langen Weg vor sich. Doch noch bevor Mirâ diesen Gedanken auch nur abschließen konnte hatte Akane bereits die Truhe geöffnet und starrte nun etwas irritiert hinein. Sich fragend, was ihre beste Freundin so irritierte, trat die Violetthaarige ebenfalls an die Truhe heran und blickte hinein. Dort fand sie einen kleinen Zettel wieder, welcher so aussah als sei er achtlos von einem größeren Blatt Papier abgerissen worden. Mirâ nahm es hinaus und sah sich die beschriftete Seite an. Dort standen in fein säuberlich geschriebenen Schriftzeichen drei abgehackte Sätze: "...Zu uns nehmen..." "...Ihr müsst zusehen..." "...Formular zugesandt..." Fragend blickte die Gruppe auf diese drei "Sätze". Was hatte das zu bedeuten? Und wieso fanden sie in dieser Welt so einen Zettel? Es wurde immer merkwürdiger in dieser unwirklichen Welt. Jedes Mal erlebten sie etwas Neues, doch das brachte sie auch nicht näher an die Wahrheit. Was würde sie wohl noch erwarten? Seufzend steckte Mirâ den Schnipsel in ihre Tasche. Es war wohl sinnvoll ihn erst einmal aufzuheben. Umsonst war er mit Sicherheit nicht dort. Doch aktuell konnten sie nichts damit anfangen und Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen hatten sie auch nicht. Ein Blick zu ihren Freunden sagte ihr, dass diese wohl ähnlich dachten und so machte sich die Gruppe wieder auf den Rückweg, bis sie wieder am Anfang des zweiten Teils des Dungeons waren. Daraufhin nahmen sie den mittleren Gang. Doch es war nicht viel anders als auf ihrem Weg zuvor. Wieder kamen ihnen nur einige Shadows entgegen, welche allerdings nicht wirklich stark waren. Die meisten machten sich sogar wieder aus dem Staub. "Seht mal, eine weitere Truhe!", rief Akane, als die sie das Ende des Ganges erreicht hatten. Auch dieser Weg erwies sich also als Sackgasse. Neugierig besah sich Akane die Truhe von allen Seiten und schien zu überlegen, ob sie diese öffnen sollte. Ein ungutes Gefühl kam in Mirâ auf und sie war kurz davor ihre Freundin vom Öffnen abzuhalten, doch diese war schneller. Mit einem knarksenden Geräusch öffnete sich die hölzerne Kiste und einen Augenblick später fiel Akane mit einem Aufschrei auf ihren Hintern. Kurz darauf stand zwischen der Gruppe der Shadow, welcher wie eine Hand aussah. Doch dieser war aus Gold. Freudig vergnügt tänzelte er hin und her und schien die Situation zu erfassen. Augenblicklich begaben sich die fünf in Angriffsposition, doch anstatt sie anzugreifen sprang der Shadow kurz auf und suchte so schnell wie möglich das Weite. "Eh?", erstaunt sah die Gruppe auf den Fleck, an welchem der Shadow einen Moment zuvor noch gestanden hatte. Was sollte das denn? Sie hatten bereits einige Shadows gesehen, welche so schnell wie möglich das Weite gesucht hatten, aber noch nie einen, der aus einer Truhe sprang und sich dann verdrückte. Und einen Goldenen hatten sie auch noch nie gesehen. Fragend blickte Mirâ zu Mika, welche kurz zu überlegen schien. "Es könnte ein seltener Shadow sein. Ich meine wir haben so einen noch nie gesehen, also existiert er schon mal nicht so häufig. Vielleicht verliert er sogar seltene Dinge, wenn man ihn besiegt.", schlussfolgerte sie. Das klang logisch, doch wie sollte man ihn besiegen, wenn er gleich das wieder verschwand. Aber vielleicht war er deshalb auch so selten, weil er es einem schwer machte ihn zu finden und dann gegen ihn zu kämpfen. Akane grinste plötzlich. Anscheinend war ihre Neugier geweckt, doch genau das sollte sich später noch als Problem entpuppen. Etwas später... Kuraikos Sense sauste zu Boden und schickte den letzten Shadow ins Jenseits. "Noch einmal, Akane! Öffne nicht ständig alle Truhen!", mahnte sie genervt. "Ehehehe. Entschuldige.", lachte Akane verlegen. Die Schwarzhaarige seufzte, da sie bezweifelte, dass Akane sich daran halten würde. Sie wusste was die Braunhaarige antrieb: Diese wollte sicher den Rest des Briefes finden oder noch einmal diesen seltenen Shadow. Alle waren sich sicher, dass es noch mehr Schnipsel geben musste. Umsonst war der eine nicht dort gewesen. Ebenso war allen klar, dass sich der goldene Shadow wohl irgendwo verstecken musste. Doch leider ging die Braunhaarige etwas zu sorglos damit um, denn wie bereits bemerkt waren die meisten Kisten voller Shadows, allerdings nicht mit dem Goldenen. Und sie wurden immer stärker. Doch trotzdem stürmte Akane jedes Mal vor, was Kuraiko so langsam auf die Nerven ging. "Andererseits werden wir nicht wissen wo der Rest drin ist, wenn wir die Truhen nicht öffnen.", meinte Hiroshi, "Was heißt, dass wir so oder so alle Kisten öffnen müssen." Die Schwarzhaarige schnaufte leicht verächtlich, doch sagte nichts weiter dazu, was Hiroshi ein leichtes Grinsen auf das Gesicht zeichnete. Dieses Verhalten von Kuraiko war typisch für sie, wenn sie wusste, dass ihr Gegenüber Recht hatte und es ihr gegen den Strich ging. Der Blonde genoss diese Momente besonders dann, wenn er derjenige war, welcher sie zu dieser Angewohnheit brachte. "Könnt ihr eure Unstimmigkeiten bitte auf die reale Welt beschränken?", fragte Masaru, welchem das Verhalten von Kuraiko und Hiroshi aufgefallen war, "Wir haben gerade wirklich andere Probleme." "Senpai hat recht. Bitte streitet euch nicht. Kuraiko, ich weiß auch, dass es nervig ist, jedes Mal gegen die Shadows in den Truhen zu kämpfen, andererseits hat Hiroshi-Kun auch recht, dass wir alle Truhen öffnen müssen. Ob wir wollen oder nicht.", meinte Mirâ nun auch ernst, bemerkte jedoch den siegessicheren Blick Hiroshis, "Und Hiroshi-Kun, dir gibt das jedoch nicht das Recht die Situation auszunutzen, um Kuraiko auf die Palme zu bringen." Der Angesprochene zuckte kurz zusammen und kratze sich dann verlegen am Hinterkopf, während er sich entschuldigte, was wiederum Kuraiko ein Grinsen aufs Gesicht zeichnete. Mirâ unterband dies mit einem kurzen Blick zu der Schwarzhaarigen, dann atmete sie kurz durch. Das war das erste Mal, dass sie so durchgegriffen hatte. Es tat ihr leid, doch Unstimmigkeiten würden sie nur in ihrer Aufgabe behindern. Außerdem nervte sie das ständige Gezanke ihrer Freunde auch. Andererseits musste sie, als "Anführerin", wohl wirklich öfters mal ernst durchgreifen. Das wusste Mirâ, aber sie fühlte sich in der Rolle, als wichtigste Person überhaupt nicht wohl. Wenn die Violetthaarige gekonnt hätte, hätte sie diese Position sofort abgegeben. Mirâ überlegte kurz, eigentlich hätte sie auf das alles verzichten können, wenn sie sich hätte entscheiden können. Also auf diese ganzen Kämpfe. Auf ihre Freunde wollte sie unter keinen Umständen verzichten, doch vielleicht hätte sie diese ja nie kennengelernt, wenn sie nicht in dieser Situation wären. Mirâ fiel auf, dass ihre Gedanken wieder einmal begannen abzuschweifen, woraufhin sie den Kopf schüttelte. Leider tat die Violetthaarige dieses nicht nur in Gedanken. "Alles ok Mirâ?", fragte Mika besorgt. Erschrocken drehte sich die Violetthaarige zu dem kleinen Mädchen und bemerkte dann ihren Fehler, woraufhin sie abwinkte: "Nein, alles ok. Ich war nur mir den Gedanken kurz abgeschweift." "Und das sollte ich mir endlich mal abgewöhnen.", fügte sie in Gedanken noch hinzu. Dann blickte sie zu ihren Freunden: "Können wir nun weiter, OHNE dass wir uns gegenseitig das Leben schwer machen?" Ein gemeinsames Nicken von allen war zu sehen, woraufhin Mirâ die Sackgasse in welcher sie aktuell feststeckten wieder verließ. Ihre Freunde folgten ihr, doch Akane holte schnell zu ihr auf. "Alles in Ordnung? Tut mir leid. Wegen mir gab es diese Diskussion.", man merkte sofort, das Akane sich an der Situation die Schuld gab. Mirâ jedoch schüttelte nur den Kopf und lächelte: "Nein schon gut. Es ist nicht deine Schuld und mit mir ist auch alles in Ordnung. Ich musste mir nur gerade etwas Luft machen und in dem Moment kam diese Situation wohl einfach nur gelegen. Wenn auch irgendwie ungelegen. Man kann es sehen wie man es will." "Ich kann verstehen, dass dir alles gerade wieder über den Kopf wächst. Wie gesagt, wenn du Hilfe brauchst...", begann die Braunhaarige, doch Mirâ unterbrach sie. "Das ist wirklich lieb Akane und ich weiß das wirklich sehr zu schätzen, aber es ist in Ordnung. Ich komme aber gerne auf das Angebot zurück." Besorgt sah Akane sie an, doch sagte nichts weiter dazu, sondern lief schweigend neben der ihrer besten Freundin her. Sie wusste, dass es für Mirâ am Schwersten war und tief in ihrem Inneren war ihr bewusst, dass diese die wohl schwerste Aufgabe von Ihnen hatte. Wahrscheinlich war es auch genau das, was Mirâ beschäftigte. Sie wünschte sich nur, dass sie ihrer besten Freundin bei diesem Problem mehr helfen konnte, doch sie wusste nicht wie. "Mach dir darüber keine Gedanken Mirâ.", kam es plötzlich von Mika, welche zu den beiden Mädchen aufgeholt hatte, "Es ist dein gutes Recht diese Streitereien zu unterbrechen. Sie sind hier nur hinderlich. Und ich glaube nicht, dass die Beiden es dir übel nehmen." Die Kleine ließ ihren Blick kurz über ihre Schulter zu den beiden Streithähnen schweifen, welche mit Masaru über irgendetwas zu diskutieren schienen. Auch Mirâ sah noch einmal kurz zurück. Es schien wirklich alles in Ordnung zu sein. Spätestens als Hiroshi kurz zu ihr sah und lächelte waren ihre Sorgen diesbezüglich wieder etwas verschwunden. So setzte die Gruppe ihren Weg fort. Es dauerte auch nicht allzu lange als sie über die nächste Truhe stießen. Dieses Mal war es Mirâ, welche diese vorsichtig öffnete. Bereits darauf gefasst, dass erneut ein Shadow heraus springen könnte, machten sich ihre Freunde alle kampfbereit. Doch als sich der Deckel hob geschah nichts. Vorsichtig schaute Mirâ hinein und holte daraufhin zwei weitere Schnipsel heraus. Sofort versammelten sich alle um sie herum und starrten auf die kleinen Zettel. Der eine Zettel schien der Anfang des Briefes zu sein, denn dort stand geschrieben "Liebe Mutter, wie bereits besprochen können wir..." stand. Auch ein Name schien dort zu stehen, doch er stand genau an der Stelle, an welcher das Papier zerrissen war. Jedoch schien jeder in der Gruppe den gleichen Gedanken zu haben. Es konnte sich dabei nur um Yasuos Namen handeln. Anders konnten sie es sich nicht erklären. "... wo ihr den Jungen unterbringen könnt. Seine Art...", stand auf dem zweiten Zettel. Mirâ wurde blass, als sie dies las. Mit zittrigen Händen holte sie den ersten Zettel hervor und hockte sich auf den Boden um die Teile zusammenzufügen. Und die ersten Sätze ergaben wirklich einen Sinn. "Liebe Mutter, Wie bereits besprochen können wir (...) nicht zu uns nehmen. Ihr müsst zusehen wo ihr den Jungen unterbringen könnt. Seine Art... ... Formular zugesandt..." Die Gruppe sah sich an. Ihnen allen war anzusehen, was sie dachten, doch glauben konnten sie es nicht wirklich. Der Anfang dieses Briefes las sich so, als wurde Yasuo von seinen Eltern abgeschoben. Es war nicht klar, ob es wirklich ein Brief seiner Eltern war, doch es war das Naheliegendste. Wenn dem so war, konnten sich alle denken, wieso er sauer geworden war, als er den Brief gelesen hatte. Doch welche Eltern waren so grausam ihr Kind bei seinen Großeltern zu lassen und es nicht mehr zu sich nehmen zu wollen? Das war grausam. Mirâ ballte ihre, sie am Boden abstützenden Hände zu Fäusten und hatte Mühe ihre Tränen zu unterdrücken. Dieser Brief machte sie traurig und wütend gleichermaßen und am liebsten hätte sie ihn in noch kleinere Stücke zerrissen und in alle Winde zerstreut. Doch er war noch nicht komplett und vielleicht würden die noch fehlenden Teile dem Brief einen ganz anderen Sinn verpassen. Wollte sie das jedoch wirklich herausfinden? Am Ende würde es nur noch schlimmer werden. Sie brauchte nicht einmal aufsehen, um zu bemerken, dass es ihren Freunden genauso ging. Betroffenes Schweigen breitete sich aus. Was sollten sie jetzt machen? Es stand außer Frage, dass sie weiter gehen mussten, immerhin mussten sie Yasuo hier rausholen. Das war das oberste Ziel. Doch sollten sie weiterhin den Rest von dem Brief suchen oder sollten Sie es lieber sein lassen? "Was machen wir nun?", fragte Mirâ. "Du meinst ob wir weiter nach dem restlichen Brief suchen sollen?", kam die Gegenfrage von Masaru, worauf Mirâ nur nickte, "Gute Frage." Erneut wurde es still in der Gruppe, bis sich Akane energisch einmischte: "Ich denke, keiner von uns möchte den weiteren Inhalt des Briefes lesen. Trotzdem sollten wir die Teile vielleicht suchen." "Du hast selber gesagt, dass keiner von uns den Rest wissen will. Also warum sollten wir weiter danach suchen?", meinte Kuraiko kalt. "Naja. Was wenn er der Schlüssel zum Zugang zu Esuno-Senpais Raum ist?", meinte die Braunhaarige etwas kleinlaut. Kuraiko fasste sich an den Kopf: "Ich weiß worauf du hinaus willst, aber hör endlich auf das hier mit einem dummen Spiel zu vergleichen. Das hier ist ernst und kein Spiel!" "Glaubst du das wüsste ich nicht? Du weißt gar nicht wie oft wir schon verletzt wurden, bis wir hier angelangt waren. Also stell mich nicht so hin, als würde ich den Ernst der Lage nicht erkennen.", nun wurde Akane laut. Besorgt beobachtete Mirâ die beiden jungen Frauen und bereute es bereits die Frage überhaupt gestellt zu haben. Dabei war sie froh gewesen den letzten Streit gerade so verhindert zu haben. Sie drückte ihre Fäuste weiter zusammen, sodass sich ihre Nägel bereits in die Haut bohrten. Am liebsten wäre sie dazwischen gegangen, doch sie wusste nicht was sie sagen sollte, geschweige denn, wie sie beide beruhigen konnte, ohne dass sich eine angegriffen gefühlt hätte. Sie war verzweifelt. Dabei wollte sie doch keinen Streit in der Gruppe. In diesem Moment jedoch fühlte sie sich einfach machtlos, sodass sie bereits merkte, wie ihr langsam die Tränen in die Augen stiegen. "Schluss jetzt!", brachte Masarus ernste Stimme die beiden Frauen zum Schweigen. Auch Mirâ blickte erschrocken auf und erkannte, wie die Beiden Masaru ebenfalls irritiert ansahen. "Ihr verhaltet euch wie kleine Mädchen und das können wir hier nicht gebrauchen.", meckere er, "Ich kann euch beide verstehen. Genau wie Kuraiko habe auch ich keine Lust mehr, nach dem Brief zu suchen, aber ich verstehe auch, was Akane sagen will. Klar ist es schwachsinnig das hier mit einem Spiel zu vergleichen, aber im Grunde hat Akane ja recht. Und dieser Dungeon hat uns ja schon einmal überrascht. Wer weiß was uns am Ende noch erwarten wird. Aber auch ich denke nicht, dass der Brief wichtig zum Öffnen der Tür ist. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir vorrangig den Zugang suchen. Sollten wir unterwegs jedoch den Rest des Briefes finden, wäre das ja noch eine Option. Ok?" Es wurde still in der Runde und die beiden Mädchen schienen kurz zu überlegen, dann nickten sie. Zwar sah Akane nicht allzu begeistert aus, doch gab sie sich erst einmal damit zufrieden, auch wenn sie eine dumme Vorahnung hatte. Sie hoffte, dass ihr Gefühl sie trog. Erleichtert atmete Mirâ auf und ihr wurde klar, dass Masaru wahrscheinlich mehr zum Anführer taugen würde, als sie. Doch sie war mehr oder weniger die Anführerin und eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen diesen Streit zu beenden, so wie sie es bereits kurz zuvor getan hatte. Sie senkte den Blick, doch spürte plötzlich eine warme Hand an ihrer, was sie wieder aufblicken und auf Mika schauen sah. "Mach dir nichts draus Mirâ. Heute war es stressig und wir sind alle fertig. Das beruhigt sich wieder.", meinte das kleine Mädchen, welches teilweise viel erwachsener wirkte als sie selbst. Die Violetthaarige lächelte leicht und nickte: "Danke Mika. Du hast Recht." Dann sah sie ernst zu ihren Freunden: "Da sich das nun geklärt hat sollten wir weiter gehen." Ihre Freunde nickten und so machten sie sich wieder auf den Weg, um endlich die Tür zu Yasuos Raum zu finden. Und tatsächlich dauerte es auch nicht lange ehe sie an eine Gabelung kamen. Als Mirâ ihren Blick nach links wandte erkannte sie ein kleines blaues Licht, welches freudig seine Kreise zog. Es war der kleine Schmetterling, der sie wieder zurück an den Anfang brachte. Dort war also das Ende des Dungeons und die Tür zu Yasuo, welche sie aber erst zum Neumond beziehungsweise Vollmond in dieser Welt öffnen konnten. Sie wandte ihren Blick nach rechts und erkannte ein Stück weiter eine weitere Truhe. Auch ihre Freunde schienen die Truhe gesehen zu haben, denn neben sich merkte sie, wie sich Akanes Körper anspannte. Mirâ wusste, dass ihre Freundin am liebsten sofort hingerannt wäre und die Truhe geöffnet hatte, sich jedoch stark zurücknahm, um keinen weiteren Streit zu provozieren. "So Mirâ. Als unsere Anführerin solltest du jetzt entscheiden, was wir machen.", kam es von Kuraiko, "Gehen wir zur Tür oder öffnen wir die Truhe. Wenn ich mich recht erinnere kommen wir mithilfe des Schmetterlings wieder zurück, was von Vorteil wäre, da wir alle müde sind. Die Truhe ist aber auch nah und in ihr könnte der Rest des Briefes stecken. Der könnte der Zugang durch die Tür sein oder auch nicht. Allerdings könnte die Truhe auch einen starken Shadow enthalten." Die Violetthaarige blickte Kuraiko ernst an, wandte dann den Blick an die Jungs und Mika und blieb letzten Endes an Akane hängen, welche den Blick gesenkt hielt. Anscheinend wollte sie Mirâ nicht auch noch unter Druck setzen, indem sie ihr zeigte wie sehr sie doch die Truhe öffnen wollte. Sie beobachtete Akane noch eine Weile und wandte sich dann wieder an die anderen. "Lasst uns diese eine Truhe noch öffnen. Ich übernehme die Verantwortung.", entschloss sie dann und bog rechts in den Gang ein, ohne auf eine weitere Antwort zu warten. Schweigend und mit verschränkten Armen folgte Kuraiko der Violetthaarigen. Auch die Jungs und Mika kamen ihr nach, nur Akane schien etwas irritiert. Kurz blieb sie einfach nur stehen und sah ihren Freunden nach. Erst als Hiroshi anhielt und mit fragendem Blick zu ihr sah, setzte sie sich langsam in Bewegung. Sie konnte nicht glauben, dass Mirâ sich in dieser Situation, die eh schon extrem angespannt war, für sie entschieden hatte. Es machte sie glücklich, doch machte sich auch ein schlechtes Gewissen breit. Sie wollte unbedingt wissen, was es mit dem Brief auf sich hatte und ob er wirklich so schlimm war, wie sie sich das vorstellten oder nur ein Missverständnis. Sie wusste selber nicht genau, wieso sie sich solche Gedanken darüber machte und weshalb sie so darauf beharrte, aber das war ihr in diesem Moment einfach egal. Sie kam gerade rechtzeitig bei der Gruppe an, als Mirâ die Truhe öffnete und kurz darauf ein Stück zurückwich, als schwarzer Nebel aus der Truhe trat und sich daraus ein Shadow entwickelte. Er sah aus wie ein Samurai, dessen Rüstung dunkelrot mit goldenen Elementen war. Sein Gesicht jedoch war wieder die typische Maske, welche die Shadows alle trugen. Für den Kampf bereit stehend, hielt er eines der Schwerter an seiner Hüfte am Griff, dazu bereit das Katana im richtigen Moment zu ziehen. In seiner anderen Hand, zwischen Handfläche und Schwertscheide eingeklemmt hielt er etwas weißes. Es war nicht sonderlich groß, doch es fiel durch die dunkle Farbe seiner Rüstung auf und die Gruppe wusste in diesem Moment genau was es war: Der Rest des Briefes. Doch ehe einer der Gruppe sich auch nur rühren konnte um einen Angriff zu starten, hatte er Shadow seinen Vorteil genutzt und griff zuerst an. Er schnellte nach vorn, genau zwischen die Gruppe, was sie auseinander trieb und zog sein Schwert. Dann hörte man wie mehrere Schnitte durch die Luft wirbelte, welche kurz darauf alle in der Gruppe trafen und sie teilweise zu Boden rissen. Nur Akane hatte es irgendwie geschafft dem Angriff auszuweichen, doch sah dadurch etwas, was sie ins Stocken brachte. Durch den Angriff hatte sich der Teil des Briefes aus der Hand des Shadows gelöst und war mitten in den Angriff geraten. In kleinen Schnipsel rieselt er langsam zu Boden und verteilte sich beim ersten Windstoß in alle Richtungen. Plötzlich stieg Wut in ihr auf. Sie wusste nicht genau weshalb, doch sie war der Meinung, dass es daran lag, dass Mirâ sich extra für sich eingesetzt hatte diese Truhe wegen dieses Stückchens zu öffnen. Und nun war es umsonst gewesen. Sie spürte eine starke Kraft in sich aufsteigen und griff nach ihrem Handy. Auf dem Display leuchtete eine Angriffsoption auf, deren Name ihr nichts sagte, doch das war ihr in diesem Moment egal und sie wählte die Option "Arm Chopper" aus. Wadjet erschien und griff den Shadow an, welcher genau getroffen wurde und zurück taumelte. Dann wurde es kurz still und Akane wartete auf den Angriff ihres Gegners, doch dieser rührte sich eine ganze Weile nicht, ehe er sich auf der Achse umdrehte und in dunklem Nebel verschwand. Erstaunt sah Akane auf das leere Feld. Was war das gerade? Sie blickte auf die Anzeige ihres Handys, wo die Attacke noch immer stand und dazu eine kleine Erklärung: "Mittelstarker Angriff auf einen Gegner mit der Chance auf Angst." Dass diese Funktion mit den Erklärungen neu war interessierte sie in diesem Moment herzlich wenig. Die junge Frau stand einfach nur da und fing plötzlich an zu lachen, was allerdings kurz darauf in ein schluchzen über ging und sie auf die Knie fallen ließ. Kurz darauf tropften Tränen auf den Boden. Vorsichtig kamen ihre Freunde auf sie zu und Mirâ hockte sich, eine Hand auf ihren Rücken legend, zu ihr herunter. "Mirâ, es tut mir so leid. Wegen mir sind wir noch einmal zu dieser Truhe gegangen und ihr wurdet noch einmal verletzt. Und das war alles umsonst. Der Rest des Briefes... Der Shadow hat ihn zerstört.", schluchzte die Braunhaarige unter Tränen, "Dabei gab es wegen mir schon Streit. Es tut mir so leid." Die Violetthaarige strich ihr beruhigen über den Rücken: "Schon gut Akane. Du brauchst dich für nichts entschuldigen. Es war meine Entscheidung und ich übernehme die Verantwortung." "Aber...", begann Akane, doch wurde von Hiroshi unterbrochen. "Es ist in Ordnung Akane. Lass es gut sein.", sagte er ruhig, "Wir hätten gegen Mirâs Entscheidung protestieren sollen, wenn wir gewollt hätten. Keiner hat was gesagt, auch Kuraiko nicht, also waren wir alle damit einverstanden die Truhe zu öffnen. Deshalb brauchst du dir darüber keine Gedanken machen. Hab ich recht, Kuraiko?" Er drehte sich zu der Schwarzhaarigen um, welche wieder die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Kurz schwieg sie, doch seufzte dann: "Hiroshi hat Recht. Es ist in Ordnung. Also mach dir darüber keinen Kopf. Auch wegen vorhin nicht." Akane sah irritiert zu der Schwarzhaarigen hinüber, dann wanderte ihr Blick zu Masaru, welcher nur verständnisvoll lächelte. Auch Mika lächelte nur, als Akane zu ihr sah. Ihr Blick ging zu Hiroshi, welcher ihr zur anderen Seite hockte und eine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte, und glitt dann auf die andere Seite zu Mirâ, welche sie immer noch freundlich anlächelte. Ihre Tränen begannen zu versiegen und sie zwang sich ein vorsichtiges Lächeln auf, ehe ihr von Mirâ und Hiroshi wieder auf die Beine geholfen wurde. Noch einmal blickte sie kurz zu der Truhe, welche offen in dem Gang stand, bevor sie, von ihren Freunden begleitet, zur Tür von Yasuos Raum ging und sich dort von dem Schmetterling wieder zurück zum Anfang bringen ließen. Kapitel 33: XXXIII - Akanes Sorgen ---------------------------------- Dienstag, 14.Juni 2015 Mit einem Warnton öffneten sich die Türen der U-Bahn, welche passgenau an den dafür vorgesehenen Glastüren des Bahnsteiges gehalten hatte, die die Leute davon abhalten sollten, zu nah an das Gleis heran zu treten. Einige Menschen drängten sich an den Massen vor ihnen vorbei hinaus auf den Bahnsteig und gingen ihrer Wege. So auch Mirâ, welche an diesem Morgen alleine unterwegs war. Noch bevor sie überhaupt aufgestanden war, hatte ihr Akane bereits eine Nachricht geschickt, dass sie nicht auf sie warten bräuchte, da die Braunhaarige noch etwas erledigen musste. Zwar war Mirâ etwas irritiert, was ihre beste Freundin so früh am Morgen schon zu erledigen hatte, doch dachte sie, dass deren Eltern sie vielleicht noch für etwas brauchten. Also machte sie sich darüber auch keine weiteren Gedanken. So hatte sie sich nach dem Frühstück ihre Kopfhörer in die Ohren gesteckt und war alleine zur Schule gefahren. Leise schallte aus eben diesen in jenem Moment das Lied "Kirifuda" von cinema staff, als sie die U-Bahnstation über die Treppe verließ und schnurstracks auf das geöffnete Schultor zulief, durch welches bereits einige Schüler strömten. Am Tor sah sie bereits ihren Kumpel Hiroshi, welcher sich, mit vor der Brust verschränkten Armen, an den steinernen Pfeiler des Schultores gelehnt hatte. Er hatte den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen, weshalb man hätte denken können dass er schlief. Doch als Mirâ neben ihn trat und ihre Kopfhörer herauszog, hörte sie von seiner Seite aus auch leise Musik. Sie war allerdings etwas härter, als das was Mirâ normalerweise hörte, deshalb schätzte sie die Musik mindestens auf Rockmusik. Dazu klang sie eher westlich, als japanisch. Jedenfalls hörte Mirâ leise etwas englische Sprache. Vorsichtig tippte sie ihren Kumpel an und bereute es im nächsten Moment schon fast, als dieser total erschrocken aufsah und sich irritiert umblickte, bis er Mirâ erfasst hatte. Diese hatte erschrocken ihre Hand zurückgezogen und sah ihren Kumpel genauso erschrocken an. "Entschuldige. Hab ich dich erschreckt? Das war nicht meine Absicht.", entschuldigte sich die Violetthaarige mit einem freundlichen Lächeln, "Guten Morgen." "Guten Morgen.", begrüßte der Blonde sie, während auch er seine schwarzen Kopfhörer aus den Ohren zog und sie sorgsam um seinen schwarzen MP3-Player wickelte, "Nicht schlimm. Ich war in Gedanken, hab dich deshalb nicht kommen sehen. Also alles gut." Erneut sah er nach rechts und links: "Wo ist Akane? Ihr kommt doch sonst immer zusammen." Mirâ zuckte mit den Schultern: "Sie schrieb mir heute Morgen, dass sie noch etwas zu erledigen hatte. Ich bräuchte nicht auf sie zu warten. Deshalb bin ich ohne sie los." Hiroshi legte den Kopf schief. Sein Blick verriet, dass auch er keine Ahnung hatte, was die Braunhaarige um diese Zeit schon Wichtiges zu erledigen hatte. Er grübelte kurz weiter, doch schien dann zu dem Schluss zu kommen, dass es keinen Sinn machte, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn kurz darauf schlug er vor, das Schulgelände zu betreten und die Schuhe zu wechseln. Mirâ stimmte dem zu und so machten sich die Beiden auf den Weg über den Hof hinüber zum Haupteingang ihrer Schule. Nachdem sie ihre Schuhe gewechselt hatten, gingen sie hinauf zu ihrer Klassenstufe und betraten wenige Minuten später den Raum. Erstaunt blieb Mirâ stehen, weshalb Hiroshi fast in sie hineingerannt wäre. Total perplex schaute er über Mirâs Schulter hinweg in dsd Zimmer und versuchte zu erfassen, was die junge Frau so abrupt stoppen ließ. Es dauerte auch nicht lange und er hatte die Ursache entdeckt. An ihrem üblichen Platz saß oder besser lag Akane halb auf ihrem Tisch und schien zu dösen. Kurz sahen sich die Beiden fragend an, doch betraten dann das Zimmer und gingen auf Akane zu. Vorsichtig tippte Mirâ die Braunhaarige an, was sie erschrocken aufblicken ließ. "Was ist passiert?", fragte sie total perplex und schien für einen kurzen Moment nicht zu wissen, wo sie war. Doch nach einer kurzen Weile nahm sie ihre Umgebung wieder für voll und sah neben sich, wo Mirâ sie besorgt ansah. Hiroshi stand neben ihr, seine Schultasche unter den Arm geklemmt und blickte fragend zu ihr hinunter. "Urgh... Ich bin eingeschlafen...", nuschelte Akane plötzlich leise zu sich. "Warum schläfst du denn hier in der Schule?", fragte er anschließend, "Ich dachte du hast noch etwas Wichtiges zu erledigen?" Fragend sah die Braunhaarige ihn wieder an, doch wusste dann sofort, dass Mirâ ihn von ihrer Nachricht erzählt haben musste. Sie rieb sich die Augen und dann über ihre Nasenwurzel: "Ja hatte ich auch. Und als ich fertig war, bin ich gleich hergekommen. Das war vor einer dreiviertel Stunde. Dann muss ich eingeschlafen sein..." "Darf ich fragen, was du zu erledige hattest?", fragte Mirâ, während sie ihre Schultasche an den dafür vorgesehenen Haken hängte. Doch Akane winkte nur ab und meinte, dass es im Prinzip nicht so extrem wichtig war, die Violetthaarige sich aber darauf einstellen müsste eine Zeit lang alleine zur Schule zu gehen. "Ach und ich kann heute nicht mit dir heim. Tut mir leid.", fügte sie noch hinzu. Erneut sahen sich Mirâ und Hiroshi fragend an. Warum machte Akane so ein Geheimnis um das, was sie vor und nach der Schule trieb. Ein Nebenjob, den sie verheimlichen wollte, konnte es nicht sein, denn ihre Schule erlaubte Schülerjobs, so lange sie sich nicht auf die Noten auswirkten. Deshalb machte es keinen Sinn, so etwas zu verheimlichen. Außer es war ein Job, der nicht für Schüler geeignet war, doch soweit würde Akane nicht gehen. Was konnte es also sein? Auch der Blonde schien sich keinen Reim drauf bilden zu können und Akane schwieg sich dazu aus. Auch in der Pause, welche sie dieses Mal nur zu Dritt verbrachten, sagte die junge Frau nicht mehr als sie musste. Das meiste mussten ihre Freunde ihr aus der Nase ziehen. Erst dachte Mirâ die Braunhaarige sei immer noch sauer wegen der Sache im Dungeon, doch als sie diese darauf ansprach, meinte Akane nur, dass sie mit Kuraiko alles geklärt und ihr Verhalten nichts mit dem Dungeon zu tun habe. Auch meinte sie, dass sich Mirâ keine Gedanken darüber machen sollte und das alles in Ordnung sei. Doch das änderte nichts daran, dass alle fanden, dass sich die Braunhaarige merkwürdig verhielt. Zum dritten Mal an diesem Tag warfen sich Hiroshi und die Violetthaarige fragende Blicke zu. Die Fragezeichen über ihren Köpfen wurden immer größer, die Lösung jedoch schien zu weit weg, als dass sie sie nicht greifen konnten. Mirâ spürte ein Tippen auf ihrer Schulter und wurde leicht rot, als sie sah wie Hiroshi ihrem Gesicht immer näherkam. Kurz vor ihrem Ohr hielt er an und nahm die Hand vor den Mund, sodass nur Mirâ hören konnte was er sagte. "Lass uns heute Nachmittag sehen, was sie so Wichtiges vorhat. Dann finden wir vielleicht auch raus, weshalb sie so komisch ist.", meinte er mit einem Seitenblick zu seiner Sandkastenfreundin. Die Violetthaarige schien kurz erschrocken und wollte protestieren, immerhin ging es hier um Akanes Privatleben. Doch Hiroshi schien zu ahnen, was sie sagen wollte und zog nur alles wissend seine linke Augenbraue nach oben, was ihr sagen sollte, dass sie ihm ebenso nachspioniert hatte. Sofort stieg Mirâ wieder die Röte ins Gesicht, als sie an den Tag dachte. Sie schluckte kurz und stimmte dann leise mit einem Nicken zu. So war also entschlossen, dass beide Akane nach dem Unterricht folgen würden. So ganz wohl war der jungen Frau diese Aktion nicht, doch auch sie musste zugeben, dass sie dem merkwürdigen Verhalten ihrer Freundin auf den Grund gehen wollte. Da blieb in diesem Moment nur dieser Weg, denn verraten würde die Braunhaarige es wahrscheinlich nicht. Der Unterricht ging schleppend vorbei und in jeder Pause sprach Akane sehr wenig. Selbst Kuraiko fiel das komische Verhalten auf, doch konnte auch sie sich keinen Reim darauf bilden. Jedoch lehnte sie sofort ab, als Hiroshi davon erzählte, dass sie Akane am Nachmittag folgen wollten. Es ginge sie nichts an und die Braunhaarige würde schon ihre Gründe haben, hatte die Schwarzhaarige nur gemeint, bevor sie in ihrer Klasse verschwand. Masaru meinte auf Hiroshis Frage hin nur, dass er einen wichtigen Termin hätte und deshalb keine Zeit habe, um sich um so etwas zu kümmern. Aber auch er meinte, dass Akane schon ihre Gründe haben würde und die Beiden sich das lieber aus dem Kopf schlagen sollten. Doch der Blonde ließ sich von seinen Plänen nicht abhalten und Mirâ steckte leider mit drin, sodass sie also am Nachmittag nach dem Unterricht die Verfolgung von Akane aufnahmen, immer darauf bedacht nicht von ihr entdeckt zu werden. Der Weg war etwas länger und führte sie durch einige Viertel der Stadt, doch Mirâ hatte das Gefühl diesen Weg bereits zu kennen. Irgendwie war ihr so, als sei sie diesen Weg schon einmal mit ihren Freunden gegangen, doch fiel ihr in diesem Moment beim besten Willen nicht ein, wann das gewesen sein konnte. Erst als Akane um eine Ecke verschwand, fiel es der Violetthaarigen wie Schuppen von den Augen: Dieser Weg war der Weg zu Yasuos Haus. Auch Hiroshi schien langsam zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, denn sein Blick verriet Ratlosigkeit. Was wollte Akane denn bei Yasuo? Oder kannte sie hier aus der Straße noch jemand anderen und es war einfach nur Zufall? Neugierig schauten die beiden um die Ecke und sahen die Braunhaarige vor dem Haus von Yasuo stehen. Sie schien auf etwas zu warten. Immer mehr Fragezeichen türmten sich über Mirâ und Hiroshi auf, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnten, was ihre Freundin hier machte. Plötzlich hörten sie das Geräusch einer sich öffnenden Tür und kurz darauf sahen sie einen aufgeweckten beigefarbenen Hund auf Akane zustürzen. Wäre nicht das Gartentor zwischen ihnen gewesen, hätte er die junge Frau wohl sofort umgerannt. So aber rannte er ungeduldig vor dem Tor hin und her, während er freudig mit dem Schwanz wedelte. "Bejû sitz!", kam es streng aus der immer noch geöffneten Haustür und sofort saß der Hund kerzengerade, während er zu Yasuos Großmutter blickte, welche soeben aus den Haus trat und auf Akane zuging, "Vielen Dank, dass du dich so rührend um Bejû kümmerst. Er ist seither wieder viel aufgeweckter und er freut sich immer riesig dich zu sehen." "Nein, Sie brauchen mir dafür nicht zu danken. Ich liebe Tiere und Bejû ist so ein guter Junge. Außerdem habe ich das Gefühl, dass er traurig ist und etwas Abwechslung ihn auf andere Gedanken bringt.", antwortete die Braunhaarige, während Yasuos Großmutter die Leine an Bejûs Halsband befestigte. Danach übergab sie die Leine über das Tor an die junge Frau und öffnete das Tor. Sofort stürmte Bejû heraus und rannte freudig um Akane herum, weshalb sie sich beinahe in der Leine verheddert hätte. Doch nach einem kurzen "Sitz!" von Akane saß er wieder gerade, sodass sich die junge Frau zuerst aus der Leine befreien und ihm danach über den Kopf streicheln konnte. Nachdem sie sich noch einmal höflich von der alten Dame verabschiedet hatte, machte sie sich mit Bejû auf den Weg in Richtung Fluss. "Das ist also das Geheimnis. Sie führt Esunos Hund aus.", murmelte Mirâ. "Das ist irgendwie typisch für sie. Sie ist einfach extrem tierlieb. Aber warum macht sie daraus so ein Geheimnis?", fragte Hiroshi und beobachtete, wie Akane um die nächste Ecke bog, "Los weiter!" "Eh?", kam es erschrocken von Mirâ, "Aber wir haben doch rausgefunden, was sie macht." "Aber noch nicht, weshalb sie so einen Tumult darum macht. Los komm!", und schon war der Blonde weiter vorgestürmt. Die Violetthaarige seufzte. Sie war sich sicher das Akane sauer sein wird, wenn sie herausbekam, dass die beiden ihr folgten. Deshalb hätte Mirâ am liebsten hier abgebrochen, aber Hiroshi alleine lassen wollte sie auch nicht. Noch einmal seufzte sie, bevor sie ihrem Kumpel nun auch folgte. Kurz darauf hatten die Beiden Akane bereits eingeholt, welche soeben die Grünfläche entlang des Flusses betrat. Noch einmal gab sie Bejû den Befehl sitzen zu bleiben, während sie seine Leine löste und in ihrer Tasche nach etwas kramte. Neugierig blickte der Hund zu der jungen Frau auf und wartete darauf, dass sie fand wonach sie suchte. Als sie kurz darauf die Hand aus der Tasche nahm begann der beige Hund auf und ab zu springen und ungeduldig auf etwas zu warten. Akane hob den Arm, holte aus und warf einen kleinen Ball. Sofort stürmte Bejû hinter dem kleinen Ball her und versuchte ihn zu fangen. Eher selten gelang es ihm, aber jedes Mal wenn er ihn vom Boden aufsammelte brachte er ihn der Braunhaarigen zurück, welche ihm dafür ein Leckerli zusteckte. Einige Male versuchte Akane den Hund sogar zu täuschen, indem sie nur vorgab den Ball zu schmeißen und ihn daraufhin hinter ihrem Rücken zu verstecken. Zwei Mal fiel Bejû auf den Trick rein, beim dritten Mal blieb er eiskalt sitzen und sah die junge Frau erwartungsvoll an. Diese lachte daraufhin nur und strich dem treuen Tier über den Kopf, während sie ihn lobte wie schlau er doch sei. Nach einer Weile jedoch setzte sie sich ins Gras und beobachtete einfach nur, wie Bejû seinen Bewegungsdrang auslebte, ehe er sich ebenfalls neben sie setzte. Geistesabwesend strich Akane ihm über den Kopf und blickte auf den Fluss hinaus: "Tut mir leid, Bejû. Das hier ist das Einzige, was ich aktuell für dich tun kann. Ich wünschte ich könnte dir dein Herrchen jetzt sofort zurückbringen. Du vermisst ihn sehr. Was?" Bejû sah kurz auf und legte dann seinen Kopf auf Akanes Schoß. Diese sprach weiter: "Ich wünschte ich könnte mehr für ihn tun. Aber letztens im Dungeon... Da hab ich mich so schrecklich verhalten. So selbstsüchtig. Ich habe zwar vorgegeben den Brief finden zu wollen, um Esuno-Senpai zu helfen, aber in Wirklichkeit wollte ich wohl nur meine eigene Neugier befriedigen. Und dabei habe ich die Anderen sinnloserweise in irgendwelche Kämpfe verwickelt und dadurch einen Streit entfacht. Und letzten Endes hat es nichts gebracht. Den letzten Teil des Briefes hat ein Shadow zerstört." Erneut sah Bejû auf und blickte die Braunhaarige mit treuen Augen an. Diese lächelte kurz und umarmte den Hund: "Ach. Du verstehst wahrscheinlich gar nicht wovon ich spreche, aber es tut gut jemandem sein Herz auszuschütten. Ich traue mich nur nicht das gegenüber den anderen zu sagen. Ich wünschte es wäre alles immer so einfach, wie wenn man mit Tieren spricht." Das treue Tier jaulte kurz und leckte Akane übers Gesicht, welche daraufhin kicherte: "Das kitzelt. Aber jetzt geht's mir besser. Danke Bejû." Mirâ und Hiroshi schwiegen, während sie das ganze Gespräch mehr oder weniger mitverfolgt hatten. Deshalb verhielt sich Akane also plötzlich so ruhig, weil sie sich Vorwürfe machte. Ein wenig traurig war Mirâ ja schon, dass Akane nicht direkt auf sie zugekommen war und auch das schlechte Gewissen machte sich breit, weil sie es auf diese Weise erfahren hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl ihre Freundin ein wenig besser verstehen zu können. Sie spürte ihr Handy vibrieren und sie brauchte nicht nachsehen um zu wissen, worum es sich dabei handelte. Es war erstaunlich, dass es sogar möglich war auf diese Weise den Social Link voranzutreiben. Sie wurde immer aufs Neue überrascht. Neben sich spürte sie, wie Hiroshi, welcher bis eben noch neben ihr hockte, sich erhob, woraufhin sie aufblickte. Der junge Mann schaute noch eine Weile in Akanes Richtung, ehe er sich umdrehte und die Stelle verließ, an welcher sich beide versteckt hatten. Irritiert sah Mirâ ihm nach, woraufhin er stehen blieb und sich lächelnd zu ihr umdrehte: "Lass uns gehen." Fragend sah die Violetthaarige ihn an, doch lächelte dann und stand auf. Danach folgte sie ihrem Kumpel. Anscheinend hatte nun auch Hiroshi ein schlechtes Gewissen gehabt, dass er Akane belauscht hatte, doch überspielte er dies. Verlegen kratzte er sich kurz darauf an der Wange: "Sag mal, hast du Hunger? Wollen wir vielleicht noch was Kleines essen gehen? Ich lade dich auch ein." "Gern.", antwortete Mirâ lächelnd, worauf der Blonde zu strahlen anfing, "Aber du brauchst mich nicht einladen. Trotzdem danke." Das Strahlen verschwand für kurze Zeit, doch kam kurz darauf zurück. Hiroshi nickte. Er hätte zwar wirklich nichts dagegen gehabt Mirâ einzuladen, aber zwingen wollte er sie auch nicht. Trotzdem freute er sich mit ihr etwas essen gehen zu können. So machten sich die Beiden auf den Weg zurück in die Innenstadt und ließen Akane mit Bejû und ihren Gedanken alleine. Kapitel 34: XXXIV - Überkochende Gefühle ---------------------------------------- Mittwoch, 15.Juli 2015 „Akane es tut mir wirklich unendlich leid. Bitte sei nicht mehr böse.“, entschuldigte sich Mirâ, als sie gemeinsam mit Kuraiko und einer überaus wütend wirkenden Akane das Dach betragt. Auf dem Weg zu Kuraikos Klasse, wo sie die Schwarzhaarige abgeholt hatten, hatte Akane Mirâ auf ihr Verhalten vom Vortag angesprochen. Es war ihr ganz und gar nicht Recht, dass ihre beiden Freunde ihr an dem Tag einfach so gefolgt waren und sie ausspioniert hatten. So etwas gehörte sich einfach nicht und auch wenn Akane nicht immer viel Wert auf Knigge legte, war es ihr bei ihrem Privatleben sehr wichtig. Jemandem einfach nachzuspionieren ging für sie gar nicht und deshalb war es kaum verwunderlich, dass sie sauer war. Und natürlich hatte sie die Beiden gesehen, als sie am Abend am Fluss saß und sich um Bejû gekümmert hatte. Zwar waren ihr die Beiden erst aufgefallen, als sie gegangen waren, doch sie konnte sich genau denken, was sie dort zu suchen hatten. Am liebsten hätte die ihre Freundin noch am selben Abend darauf angesprochen, doch sie hatte sich zurückgehalten und sie an diesem Tag direkt darauf angesprochen. Auch um ihr gleich zu sagen, dass sie so etwas nicht mochte. Sie wollte sich nicht mit ihrer besten Freundin streiten, aber es gab auch Grenzen und diese hatte sie gestern überschritten. „Was ist passiert?“, fragte Hiroshi irritiert, als die Mädchen sich zu ihnen gesellten. Er und Shuya, welchen er gefragt hatte, ob dieser nicht Lust hätte mit ihm und den Mädchen zusammen zu Essen, hatten sich noch vor den Mädchen auf das Dach begeben und waren dort auf Masaru gestoßen, welcher bereits auf alle gewartet hatte. Es war schon selten, dass er mit allen gemeinsam die Pause verbrachte, da ihn seine Arbeit im Schülerrat ziemlich in Anspruch nahm, doch wenn er die Gelegenheit hatte nahm er diese wahr, wenn er sich nicht dazu entschloss gemeinsam mit Dai zu Essen. Nun sahen die drei Jungs die drei Mädchen irritiert an. Es war selten, dass sie sich stritten. Vor allem zwischen Akane und Mirâ gab es noch nie Streit, deshalb war es vor allem für Hiroshi und Masaru erstaunlich. Mit einem Ruck setzte sich Akane auf die niedrige Mauer und strafte den Blonden mit einem bösen, fast tödlichen, Blick. Dieser zuckte Augenblicklich zusammen und schien nun auch den Grund für die Laune der Braunhaarigen zu wissen, weshalb er seinen Kopf zwischen den Schultern vergrub. „DAS solltest DU am besten wissen!“, schnauzte die Braunhaarige ihn an, „Wahrscheinlich müsste ich auf DICH noch wütender sein, als auf Mirâ! Ich bin mir nämlich zu hundert Prozent sicher, dass es DEINE hirnlose Idee war und du Mirâ nur mitgeschleift hast!“ „A-aber Akane. Bitte beruhige dich doch. J-ja es war Hiroshis Idee, a-aber ich hätte ihn davon abhalten sollen. Das war nicht richtig, ich weiß. Bitte sei nicht mehr böse. Wir haben uns doch nur Sorgen gemacht.“, entschuldigte sich Mirâ erneut und bestätigte damit unabsichtlich Akanes Vermutung, was Hiroshi immer weiter in sich zusammensinken ließ. Ihr böser Blick schwenkte wieder zu der Violetthaarigen: „Dir mag ich vielleicht noch glauben, dass du dir Sorgen gemacht hast. Aber ER…“ Sie zeigte auf Hiroshi, welcher noch einmal zusammenzuckte, und sprach weiter: „ER hat das nur aus Neugier gemacht. Nicht aus Sorge! Oder irre ich mich da, Hiroshi?“ Der Angesprochene zuckte erneut zusammen und ließ den Blick gesenkt, ehe er vorsichtig nickte: „Tu-tut mir leid, Akane. A-aber ich dachte, du hättest uns nicht gesehen.“ Die Braunhaarige unterdrückte ein Schreien und meckerte dann weiter: „Nicht gesehen? Du warst noch nie gut im Verstecken. Vergessen? Ich hab dich immer gefunden und auch dieses Mal habe ich dich gesehen! Noch schlimmer für mich ist, dass du Mirâ da mit reingezogen hast! Und ich denke mal, das bisschen Anstand haben dir deine Eltern noch beigebracht, dass du wissen müsstest, dass man so was nicht macht. Oder? Kapierst du das, du Hohlbirne?“ Akane war wirklich sauer. So sauer hatte Mirâ ihre beste Freundin noch nie erlebt und das machte ihr ganz schön zu schaffen. Sie wollte nicht, dass wegen so einer Dummheit ein Streit zwischen ihnen entbrannte. Ihr war in diesem Moment wirklich zum Heulen zu Mute und nur mit viel Kraft konnte sie gerade so ihre Tränen unterdrücken. Noch nie hatte sie eine so gute Freundin wie Akane gehabt und deshalb hatte sie besonders viel Angst, dass diese Freundschaft wegen so etwas zerbrechen könnte. Auch Masaru schien nun zu ahnen worum es ging. Ein fragender Blick zu Kuraiko, welche nur den Kopf schüttelte, bestätigte diese Theorie. So etwas hatte er bereits geahnt, deshalb hatte er Mirâ und Hiroshi am gestrigen Tag empfohlen sich das ganze Unterfangen aus dem Kopf zu schlagen. Nun hatten sie den Salat. Am liebsten hätte er den Beiden gesagt, dass er es ihnen ja gesagt habe und sie auf ihn hätten hören sollen, doch er ließ es. Das würde nur noch mehr Salz in die Wunde streuen und das wollte er nicht. Er seufzte und rieb sich die Nasenwurzel, während er überlegte, wie sie diesen Streit deeskalieren konnten. Shuya, welcher bisher nur teilnahmslos daneben saß und nicht wusste was gerade passierte, sah zwischen Akane und Hiroshi fragend hin und her, ehe er sich an Hiroshi wandte: „Was hast du verbrochen, Hiro? Muss ja schlimm gewesen sein, wenn Chiyo so sauer ist.“ Hiroshi schwieg und ließ den Kopf gesenkt, während er sich überlegte, wie er das wieder geradebiegen konnte. Währenddessen tippte ihn Shuya mehrmals an, doch das ignorierte er gekonnt. „Hey, Erde an Hiro.“, nervte der Violetthaarige neugierig weiter, „Red mit mir.“ „Was machst du eigentlich hier, Nagase?“, fragte Kuraiko, als selbst ihr seine Neugier auf die Nerven ging. Leicht beleidigt sah Shuya sie an und meinte, dass Hiroshi ihn gefragt habe, ob er nicht Lust habe mit ihm und den Mädchen Pause zu machen und dass er sich riesig gefreut hätte, mir ihr, Fuka-Chan, gemeinsam zu Essen. Dabei hätte er aber nicht gewusst, dass er mitten in einen Streit geraten würde, von welchem er immer noch nicht wisse worum es eigentlich ging. „Aber es wäre schön, wenn das geklärt werden könnte. Streit ist echt nicht toll.“, meinte Shuya und blickte zu Akane, „Chiyo sag, was hat er gemacht?“ „Sag mal merkst du eigentlich, dass dich das nichts angeht?“, fragte Kuraiko genervt. „Mag sein.“, plötzlich wurde der Violetthaarige ernst, was Mirâ erstaunt aufblicken ließ, da sie Shuya bisher nur sehr aufgeweckt kannte, „Aber ein Streit unter Freunden ist nicht schön und vor allem nicht, wenn das geklärt werden kann. Und Hiro hat mir erzählt, dass er Chiyo schon lange kennt, deshalb wäre es schade, wenn sie sich, wo sie sich endlich wieder vertragen, gleich wieder zerstreiten würden. Wisst ihr was ich meine? Also… was ist passiert?“ „Dein Kumpel hat mir gestern nachspioniert, weil er unbedingt wissen wollte, was ich nach der Schule treibe.“, sagte Akane wütend. „Weil du so ein Geheimnis draus gemacht hast.“, konterte nun Hiroshi, was aber von dem Blick der Braunhaarigen gleich wieder im Keim erstickt wurde. Shuya stöhnte auf und fasste sich an die Stirn: „Wirklich?“ Dann lachte er plötzlich und schlug dem Blonden freundschaftlich auf die Schulter: „Und du hast dich sogar noch erwischen lassen? Idiot. Trotzdem hat sie Recht, das war nicht in Ordnung.“ „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“, fragte Hiroshi niedergeschlagen. Sein Kumpel wurde wieder ernst: „Auf keiner. Ich gebe zu, was Hiro gemacht hat, war nicht richtig. Aber deshalb gleich so auszurasten, ist auch nicht in Ordnung. Es wäre besser, wenn ihr lieber normal darüber reden würdet. Wenn du Hiroshi in Ruhe sagen würdest, dass es nicht richtig war und er sich wirklich aufrichtig bei dir entschuldigt, so wie es Shingetsu bereits mehrfach getan hat, dann sollte es doch in Ordnung sein. Oder haben die Beiden irgendetwas gesehen oder gehört, was so peinlich war, dass es niemand wissen darf oder dich in Schwierigkeiten bringen würde, wenn es herauskommen würde?“ Mit großen Augen sah Akane Hiroshis Kumpel an. Kuraiko tat es ihr nach. Sie kannte Shuya immer nur als dauergrinsende Nervensäge, welche fröhlich in den Tag hineinlebte und sich von den Mädchen feiern ließ. Dass er auch so ernst sein und einer streitenden Meute so den Wind aus den Segeln nehmen konnte, hätte sie nie gedacht. „D-das nicht, aber…“, begann Akane, doch wusste anscheinend nicht, wie sie weitersprechen sollte. Dafür redete der Violetthaarige weiter: „Und hast du dir vielleicht Mal darüber Gedanken gemacht, das Hiro sich vielleicht wirklich Sorgen um dich gemacht haben könnte. Ich möchte nichts schönreden. Was er getan hat, war nicht in Ordnung, aber ihm gleich zu unterstellen, dass es nur Neugier war, ist etwas übertrieben. Meinst du nicht?“ „J-ja mag sein.“, nun schien sich die Braunhaarige wieder zu beruhigen, „Trotzdem… es war nicht in Ordnung. Es ist doch nur verständlich, dass ich sauer bin.“ „Da hast du Recht.“, stimmte ihr Shuya zu, „Trotzdem. Ihr seid Freunde. Es ist besser so etwas zu besprechen und nicht sofort los zu plauzen. Ihr habt euch erst wieder vertragen und darüber solltet ihr wirklich froh sein. Normalerweise lässt sich eine einmal zerbrochene Freundschaft nicht so einfach wieder kitten. Wenn das Verhältnis einmal hinüber ist, ist es schwer das wieder aufzubauen. Ihr habt es einmal geschafft, darüber solltet ihr euch freuen. Ein zweites Mal wird es mit Sicherheit nicht funktionieren, also vertragt euch lieber wieder.“ „Du hast Recht.“, Hiroshi stand plötzlich auf und verbeugte sich ganz höflich vor seiner langjährigen Freundin, „Akane, es tut mir wirklich leid. Was ich getan habe war nicht richtig und ich werde es nie wieder tun. Also bitte sei nicht mehr böse.“ Die Angesprochene schwieg eine Weile, ehe sie seufzte: „Schon gut. Ich verzeih dir und Mirâ. Es war dumm, was ihr gemacht habt und ich möchte auch, dass so etwas nie wieder vorkommt. Trotzdem hätte ich nicht gleich so ausrasten müssen. Mir tut es also auch leid.“ Der Blonde sah auf und man merkte sofort wie ihm ein schwerer Stein vom Herzen fiel. Auch Mirâ atmete erleichtert auf. Zum Glück konnte diese Sache geklärt werden, auch wenn sie niemals gedacht hätte, dass ein Außenstehender ihnen dabei helfen würde. Sie sah hinüber zu Shuya, welcher mittlerweile wieder sein Grinsen aufgesetzt hatte und Hiroshi aufmunternd auf die Schultern klopfte. Sie war erstaunt, wie er von einer Sekunde auf die nächste von seiner sehr lockeren Art so ernst werden konnte und kurz darauf wieder zurück wechselte. So jemanden hatte sie noch nie getroffen. Innerlich musste sie grinsen. Sie hatte nicht nur von sich aus viele interessante Leute kennengelernt, sondern auch viele über ihre Freunde. Das war eine äußerst interessante Erfahrung und machte sie irgendwie glücklich. „So, dadas jetzt geklärt ist, bin ich neugierig. Was genau ist denn diese Sache, um die so ein Geheimnis gemacht wurde?“, fragte Shuya plötzlich. Mit großen Augen sahen alle nun zu dem jungen Mann, welcher plötzlich von Hiroshi ein auf den Hinterkopf gescheuert bekam: „Spinnst du? Wir hatten das Thema doch gerade erst durch!“ Der Violetthaarige rieb sich den Hinterkopf und meinte, da es nun geklärt und wohl nicht so geheim wäre, dass er es doch erfahren könnte, aber entschuldigte sich im gleichen Moment auch wieder. Doch Akane seufzte nur und erzählte, was sie seit einigen Tagen nach der Schule so machte: Mit Yasuos Hund spazieren gehen. Sie erklärte auch, dass sie es niemanden sagen wollte, weil sie meinte, dass es doch merkwürdig sei, wenn man sich um einen fremden Hund kümmere, ihr Bejû aber leidtäte, weshalb sie sich dazu entschlossen hatte. Shuya überlegte kurz, wer eigentlich Esuno-Senpai war, ehe ihm Hiroshi erklärte, dass er ein Schüler aus Masarus Klasse sei, welcher aktuell nicht zur Schule kommen konnte. Der Braunhaarigen jedoch war es peinlich, sodass sie ihren Blick gesenkt hielt. Sie fand es ja selber komisch und wusste eigentlich auch nicht, wieso sie auf diese dumme Idee gekommen war, aber sie bereute es nicht. „Das finde ich echt cool von dir.“, sagte plötzlich der neugierige junge Mann, woraufhin ihn alle fragend ansahen, „Du musst wirklich ein großes Herz für Tiere haben, wenn du dich selbstlos um einen Hund von einem fremden Schüler kümmerst. Das ist toll.“ Das Gesicht der Braunhaarigen machte derweil einer überreifen Tomate Konkurrenz, doch trotzdem bedankte sie sich etwas zurückhaltend bei dem jungen Mann, welcher sie nur angrinste, dann das Thema wechselte und versuchte mit Kuraiko zu flirten. Diese jedoch ging nicht auf seine Sticheleien ein und versuchte, mit hochrotem Kopf, den Violetthaarigen von sich zu schieben. Denn dieser hatte mal wieder versucht sie zu umarmen. Die Gruppe beobachtete die Beiden eine Weile, ehe sich Masaru nun an Akane wandte: „Das ist wirklich bemerkenswert von dir. Aber warum? Gibt es einen Grund, weshalb du dich so sehr um Bejû sorgst?“ „Nein. Keine Ahnung. Ich fühle mich irgendwie verantwortlich. Fragt mich bitte nicht warum. Ich weiß es doch selber nicht.“, antwortete die Braunhaarige leicht verzweifelt. „Kann es sein, dass du dir wegen dem einen Abend im Dungeon Gedanken machst? Das brauchst du nicht. Wirklich.“, meinte Masaru, „Wir werden Esuno schon irgendwie da rausholen.“ Akane nickte, doch entgegnete nichts weiter dazu, was wohl hieß, dass dieses Gespräch hier für sie endete und sie nichts weiter dazu sagen würde. Der Schwarzhaarige respektierte dies und fragte auch nicht weiter nach. Stattdessen nahm er einen Schluck aus seiner Wasserflasche und blickte zu Kuraiko und Shuya hinüber, welche immer noch mehr oder weniger aneinanderklebten. Plötzlich flog die Tür zum Dach erneut auf und eine grelle, nervige Stimme rief nach Hiroshi, welcher unwillkürlich zusammenzuckte, während man sofort erkannte, dass es ihm eiskalt den Rücken runter lief. Auch Kuraiko und Shuya stoppten bei dem, was sie gerade taten und sahen erschrocken zur Tür des Daches. Dort stand Matsurika im Rahmen und winkte der Gruppe, oder besser Hiroshi, freudig zu. Dieser versuchte sich krampfhaft nicht umzudrehen und sah eher so aus, als hoffe er nur in einem bösen Traum zu sein und jeden Augenblick aufzuwachen. Doch leider wurde ihm dieser Gefallen nicht getan, stattdessen setzte sich die junge Frau in Bewegung und lief ohne Umwege auf ihn zu. Dabei gab sie den Blick auf eine kleine zierliche Person frei, welche hinter ihr gestanden haben musste. Etwas schüchtern drückte sie ihre Lunchbox an ihre Brust und schien nicht genau zu wissen, was sie nun tun sollte. Es war Megumi, welche dem dunkelhaarigen Mädchen nachsah und zu überlegen schien, ob sie nun auch das Dach betreten sollte oder nicht. Es schien, als wäre sie gemeinsam mit Matsurika auf das Dach gekommen, doch diese nahm keine weitere Kenntnis von der kleinen Schülerin, sondern hing mittlerweile an Hiroshis Arm, welcher versuchte sie irgendwie wieder loszuwerden und meinte, er könne nicht essen, wenn sie so an ihm hing. Auch den Anderen fiel die Kleine nicht auf, da sie damit beschäftigt waren ihrem Kumpel irgendwie zu helfen und freundlich auf Matsurika einzureden. Shuya und Kuraiko jedoch hatten die Kleine bemerkt und waren umso erstaunter, als diese sich auf dem Absatz umdrehte und wieder zurück ins Schulhaus ging. Fragend tauschten sie kurze Blicke aus, ehe Shuya von der Schwarzhaarigen abließ und sich der Gruppe zuwandte. „Watanabe, so heißt du doch. Oder? Sag mal. War das deine Freundin, die da hinter dir in der Tür stand?“, fragte Shuya direkt, „Sie ist nämlich gerade geflüchtet.“ Kuraiko sagte nichts dazu. Warum auch immer Megumi getürmt war, es ging sie im Prinzip nichts an und so richtig interessieren tat sie es auch nicht. Die Kleine war ihr schon öfters über den Weg gelaufen, doch ihre extrem zurückhaltende und fast schon ängstliche Art ging ihr auf die Nerven, weshalb es ihr eigentlich egal war, was mit ihr war. Anders stand das mit Shuya. Dieser schien sich anscheinend sehr dafür zu interessieren, was mit der Kleinen passierte und wieso sie abgehauen war. Matsurika sah auf und blickte Richtung Tür, bevor sie mit den Schultern zückte: „Wer weiß was sie schon wieder hat. Sie flüchtet öfters mal. Ich glaube sie hat Angst vor Menschenmassen.“ „Solltest du ihr dann nicht nach? Sie ist immerhin deine Freundin.“, in der Stimme des Violetthaarigen spiegelte mittlerweile leichte Wut. „Was geht’s dich an? Vielleicht ist sie auch nur mal aufs Klo gerannt. Ich kann ihr doch nicht ständig hinterherrennen.“, motzte Matsurika ihn an. „Aber vielleicht ist es was Ernstes.“, meinte Shuya ernst, doch Matsurika schüttelte den Kopf und meinte, dass die Kleine so viel Angst vor anderen hatte, dass es schon fast krankhaft sei und sie sie ja schlecht zwingen kann sich unter Menschen zu begeben. „Es ist aber komisch, dass sie vor uns flüchtet.“, mischte sich plötzlich Kuraiko ein, weshalb alle sie fragend ansahen, „Es war Yoshiko, die dort in der Tür stand. Sie hat doch schon mit uns gemeinsam gegessen, also kennt sie uns doch.“ Irritiert sah Mirâ ihre Freundin an. Megumi war vor ihnen getürmt? Irgendwie machte ihr das Sorgen und sie überlegte, die Kleine zu suchen und sie zu fragen, warum sie vor ihnen geflüchtet war. Doch in diesem Moment hörte die Gruppe bereits den ersten Gong, welcher das Ende der Pause einläutete. Nun war es also zu spät nach Megumi zu suchen. Sie wollte mit der Kleinen reden, doch die nächste Gelegenheit würde wohl erst am nächsten Tag sein. Nach der Schule hatte sie keine Zeit, weil sie zum Kyûdo musste und danach würde Megumi wahrscheinlich schon weg sein. „Aber vielleicht finde ich sie danach noch am Fluss.“, ging ihr durch den Kopf und sie entschloss sich nach dem Kurs zu Fuß nach Hause zu gehen, um noch einmal kurz am Fluss vorbeizuschauen. Vielleicht hatte sie Glück, fand Megumi dort und konnte mit ihr reden. Es musste ja einen Grund geben weshalb sie gegangen war, anstatt zu ihnen zu kommen. Vielleicht ging es ihr plötzlich nicht gut oder sie hatte etwas vergessen. Egal wie, aber sie wollte das mit der Kleinen klären. „Mirâ kommst du?“, rief Akane ihr zu, worauf die Violetthaarige aufblickte und ihre Freunde bereits an der Tür zum Treppenhaus sah. Schnell stand sie auf und folgte ihren Freunden, welche sich gemeinsam auf den Weg zu ihren Klassenräumen begaben. Den ganzen Weg über versuchte Hiroshi sein Anhängsel los zu werden, was ihm aber leider erst im Stockwerk der zweiten Jahrgangsstufe gelang, da Matsurika dort noch weiter hinunter musste. Diese ließ nur wiederwillig los, doch verschwand dann auf der Treppe zum unteren Stockwerk. Erleichtert atmete der Blonde auf und versuchte sein nun völlig zerknittertes Hemd zu richten. Shuya verabschiedete sich mit einem kurzen Klaps auf seine Schulter, bevor er mit Kuraiko in seinem Klassenzimmer verschwand. Auch Mirâ und ihre beiden Freunde betraten nun ihren Raum, gerade noch rechtzeitig bevor ihr Lehrer für Mathematik diesen durch die zweite Tür betrat und den Unterricht begann. Auch am Nachmittag bei ihrem Kyûdo Kurs beschäftigten Mirâ die Gedanken wegen Megumi. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf bilden, weshalb die Kleine sich nicht mit zu ihnen gesellen wollte. Ob es an Matsurika lag? Doch die Beiden schienen befreundet zu sein, weshalb also sollte sie einfach gehen? Es wollte nicht in den Kopf der Violetthaarigen. Leider übten sich diese Gedanken schlecht auf ihre Leistungen an diesem Tag aus, denn oft genug schoss sie ihre Pfeile neben die Zielscheibe, was leider auch ihrem Coach nicht unbemerkt blieb, weshalb er ihr nicht nur einmal zurief, dass sie sich konzentrieren sollte. Sie seufzte und hätte es für diesen Tag lieber sein lassen, doch so einfach gehen durfte sie nicht. Auch hatte sie dieses Mal niemanden zum Reden, da Amy wegen einigen formellen Dingen unterwegs war. Auch Dai hatte sich heute noch nicht blicken lassen. Wahrscheinlich hatte er auch andere Aufgaben zu erledigen. Jedenfalls schien der Coach drüber im Bilde zu sein, denn er meckerte nicht darüber, dass der ältere Schüler nicht anwesend war. Mirâ war mehr als froh, als die Schulglocke endlich das Ende des Unterrichts ankündigte. Gemeinsam räumten sie und die Klubmitglieder alles zusammen und gingen sich dann umziehen, bevor sie alle das Gelände verließen. Seufzend wechselte Mirâ ihre Schuhe und wollte sich gerade auf den Weg zum Fluss machen, als sie eine ihr bekannte Stimme hörte: „So ein schweres Seufzen. Did something happened?“ Fragend drehte sich die Violetthaarige um und erblickte Shio, welche sie mit einem „Hello“ und einer gehobenen Hand begrüßte. Auch Mirâ begrüßte die Schwarzhaarige freundlich und wollte wissen, was diese denn um diese Zeit noch in der Schule trieb. Ob sie wieder gelernt hätte. Doch Shio schüttelte den Kopf und meinte, dass sie sich beim IT-Klub angemeldet hätte und gerade von dort kam, ehe sie der Violetthaarigen vorschlug doch ein Stück gemeinsam zu gehen. Freundlich stimmte Mirâ zu und so machten sich die beiden jungen Frauen auf den Weg. „Du interessierst dich also für IT?“, fragte Mirâ vorsichtig. Sie selbst konnte nicht viel mit Technik anfangen. Dass sie wusste wie ihr Smartphone und ihr Laptop funktionierten reichte ihr. Doch mehr als mit diesen Dingen arbeiten konnte sie nicht. Shio nickte: „Yes. Ich möchte später mal so etwas studieren. Aber ich arbeite allgemein sehr gerne am Computer.“ Mirâ musste erneut feststellen, dass sich Shios Japanisch erneut verbessert hatte. Sie sprach kaum noch Englisch und man bemerkte auch kaum noch den englischen Dialekt. Dieses Mädchen war wirklich erstaunlich. „But say, warum das schwere Seufzen vorher?“, fragte die Schwarzhaarige plötzlich. Fragend sah die Angesprochene sie an und schien kurz zu überlegen, dann erzählte sie ihrer Begleiterin was sie beschäftigte. Dass ihr das Verhalten von Megumi sorgen machte und sie sich keinen Reim darauf bilden konnte. Shio überlegte kurz und erzählte, dass sie einmal in Amerika etwas Ähnliches erlebt hatte, nur, dass die Person damals nicht die Flucht ergriffen hatte, sondern zum Angriff übergegangen war. Damals hatte sich ein Mädchen an ihre Clique gehangen. Es fing urplötzlich an und endete aber auch so plötzlich wieder. Doch dieses Mädchen, welches sich an ihre Fersen geheftet hatte, hatte eine beste Freundin gehabt. Jedenfalls dachte diese Freundin sie sei die beste Freundin gewesen, doch nachdem sich das Mädchen an die Clique von Shio gehangen hatte, gab es mächtigen Streit. Die Freundin des Mädchens kam urplötzlich auf die Gruppe zu und meinte, was sie sich einbildeten ihr ihre Freundin wegzunehmen. Zu dem Zeitpunkt konnte sich Shio nicht vorstellen, warum sie sich so aufregte, immerhin hatten sie das Mädchen nicht eingeladen ständig mit ihnen abzuhängen. Sie hatte es ja von sich aus gemacht. Später hatten sich die beiden Mädchen so stark zerstritten, dass sie sich sogar gegenseitig das Leben schwergemacht hatten und auch Shio und ihre Freunde waren dann zwischen die Fronten geraten. „Irgendwann hatte sich alles wieder beruhigt. Das Mädchen hatte neue Leute gefunden, an die sie sich hängen konnte und ließ uns dann in Ruhe. Dadurch hatten wir dann auch Ruhe vor ihrer Exfreundin, aber die Beiden haben sich glaube ich nie wieder vertragen.“, erzählte die Schwarzhaarige zu Ende, „That was crazy. Really. But, ich denke, dass die Kleine eher die Flucht ergriffen hat, weil sie nicht auf Angriff gebürstet ist. Sie scheint eher zurückhaltend zu sein.“ Mirâ überlegte. Es klang plausibel, aber der Unterschied zwischen der aktuellen Situation und Shios Erzählung war, dass Megumi ja auch mit ihr befreundet war. Deshalb machte es erst Recht keinen Sinn. Trotzdem fühlte sie sich etwas erleichterter, auch wenn Shios Erzählung ihr nicht weiterhelfen konnte. Aber sie sollte das mit der Kleinen besprechen. Natürlich hoffte sie nicht, dass es deshalb war, doch sie wollte sichergehen. Nach einer Weile musste sich Shio von ihr verabschieden und in eine andere Richtung, weshalb Mirâ ihren Weg alleine fortsetzte. Doch als sie an den Fluss kam, fand sie Megumi dort leider nicht vor. Also musste das Gespräch doch bin zum nächsten Tag warten. Das machte sie doch etwas traurig, aber was sollte sie machen? Seufzend machte sie sich auf den Weg zur nächsten U-Bahnstation. Den Rest des Weges wollte sie dann doch nicht mehr laufen und entschloss so den Zug zu nehmen. Sie wollte nun einfach nur noch nach Hause. Dort angekommen ließ sie sich erst einmal erschöpft auf ihren Futon fallen. Es dämmerte bereits und die letzten Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster an die gegenüberliegende Wand. Eine leichte Müdigkeit überkam die junge Frau und fast wäre sie auch eingeschlafen, wenn sie nicht plötzlich eine ihr bekannte kindliche Stimme gehört hätte, welche ihren Namen rief. Als sie sich aufrichtete erkannte sie Mika in ihrem Spiegel, welche sie freundlich anlächelte. „Hallo Mika. Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte die Violetthaarige sofort. Die Kleine nickte und erzählte, dass sie den Dungeon von Yasuo noch eine Weile beobachtet hätte und sie allmählich eine starke Präsenz spürte, je näher der Vollmond in ihrer Welt rückte. Etwas erschrocken blickte Mirâ auf ihren Kalender und musste feststellen, dass bereits am nächsten Tag der nächste Neumond war. Dies war gleichbedeutend mit dem Vollmond in der Spiegelwelt. Das bedeutete sie mussten morgen wieder in die Spiegelwelt und Yasuo dort herausholen. Wie konnte sie das nur vergessen? „Verdammt. Ich habe vergessen, dass es morgen schon so weit ist.“, meinte die Violetthaarige panisch, doch Mika beruhigte sie wieder, indem sie ihr sagte, dass die Anderen bereits informiert waren. Fragend blickte Mirâ ihre kleine Freundin im Spiegel an, welche nur lächelte und weitersprach: „Es hat mich zwar etwas Zeit gekostet, vor allem bei Akane und Hiroshi, aber ich habe sie gefunden und allen Bescheid gegeben. Hiroshi war zwar ziemlich erschrocken, als ich plötzlich in seinem Spiegel erschienen bin, aber ja. Sah witzig aus, als er rücklinks über sein Bett gefallen war.“ Das blauhaarige Mädchen kicherte kurz und auch Mirâ konnte sich bei dem Gedanken ein kurzes Lachen nicht verkneifen. Nun war sie aber doch etwas beruhigter und beschloss, ihre Freunde nach dem Abendessen noch einmal anzuschreiben um alles Weitere für den morgigen Abend zu besprechen. Es galt Yasuo zu befreien, koste es was es wolle. „Und wie war dein Tag heute?“, fragte Mika plötzlich und schien das Thema wechseln zu wollen. „Naja, wie man es nimmt.“, begann Mirâ seufzend und begann sich ihrer Uniform zu entledigen. Währenddessen erzählte sie Mika genau das Gleiche, was sie Shio am Nachmittag erzählt hatte. Auch erzählte sie der Kleinen wer Megumi überhaupt war und dass sie sein sehr schüchternes und zurückhaltendes Mädchen war, welches gern zeichnete. Dabei erwähnte sie auch, dass ihr in ihrer Klasse leider oft übel mitgespielt wurde und sie deshalb meistens alleine war. „Das klingt ja wirklich ernst. Aber vielleicht klärt sich ja alles, wenn du morgen mit ihr redest.“, meinte Mika. „Ja das hoffe ich.“, sagte Mirâ etwas niedergeschlagen. Mika lächelte und am liebsten hätte sie der Violetthaarigen aufmunternd kurz auf die Schulter geklopft, doch das ging leider nicht, also legte sie nur ihre Hand gegen den Spiegel: „Mach dir keinen Kopf, Mirâ. Das klärt sich sicher und bestimmt war es nichts Schlimmes. Vielleicht ging es ihr wirklich nicht gut und sie ist zurück in die Klasse gegangen oder so. Das wird schon.“ „Danke, dass du mich aufmuntern willst Mika. Das ist lieb von dir.“, lächelte Mirâ. Kurz darauf wurde ihre Aufmerksamkeit auf ihr Handy gerichtet, als dieses einen Signalton von sich gab. Doch noch ehe die Violetthaarige auf das rote Smartphone schauen konnte, wurde sie bereits zum Abendessen gerufen. So verabschiedete sich die junge Frau vorerst von Mika und verließ das Zimmer. Diese winkte der Älteren lächelnd nach, bevor ihr Lächeln erstarb und sie sich an den Kopf fasste. Wieder diese Kopfschmerzen, doch sie wusste nicht woher sie kamen. Vorsichtig ließ sie sich in dem dunklen Zimmer auf den Futon sinken und hielt den Kopf gesenkt, ihre flache kalte Hand an die Stirn gelegt. Was war das nur? Vorsichtig sah sie auf und erschrak wieder, denn das Zimmer in welchem sie saß, sah plötzlich ganz anders aus. Es war hell erleuchtet und überall auf dem Fußboden lagen Unmengen von Spielsachen verteilt. Inmitten dieser Spielsachen sah sie plötzlich ein kleines Mädchen sitzen. Sie hatte schulterlange dunkelblaue glatte Haare und spielte mit einer Puppe. Vorsichtig kämmte sie der blonden Puppe die Haare und sah sich kurz darauf um. Als die Kleine ihren Blick gen Mika richtete, setzte bei dieser kurz die Atmung aus. Tiefrote große Augen sahen in ihre Richtung, doch schienen sie nicht zu erfassen. Sie schienen etwas zu suchen und dieses auch kurz darauf gefunden zu haben. Vorsichtig stand das kleine Mädchen auf, legte ihre Puppe ab und kam in Mikas Richtung gelaufen. Kurz vor ihr blieb sie stehen und hob etwas auf. Ein kleines Kleidchen. Anscheinend wollte sie ihre Puppe neu anziehen. Plötzlich öffnete sich die Tür und das kleine Mädchen drehte sich ruckartig um, ließ dabei sogar das Kleidchen fallen. In der Tür stand ein junger Mann mit violettem glatten Haar und freundlichen roten Augen, welcher sich zu dem Mädchen runterhockte. Sofort lief die Kleine auf ihn zu und rief ihn freudig Papa, ehe sie sich in seine Arme warf. Der junge Mann lächelte und strich dem Mädchen sanft über den Kopf: „Warst du auch schön brav, Mika?“ Als der Name fiel schrak Mika auf und plötzlich saß sie wieder in dem dunklen Zimmer, welches nur die gespiegelte Version von Mirâs Zimmer war. Sie sah sich um und es kam ihr so vor, als würde ihr Name noch nachschallen. Als ihr Blick wieder auf den dunklen Spiegel fiel, über welchen sie sich immer mit Mirâ unterhielt, ließ sie sich auf den Futon fallen und rollte sich wie ein Embryo zusammen. Ihr Kopf schmerzte immer noch und die Gedanken an das, was sie eben gesehen hatte machten es nicht gerade besser. Was waren das nur für Bilder? Und wieso tauchten sie immer so plötzlich auf? Sie kamen ja nicht nach jedem Gespräch mit Mirâ, aber sie kamen immer häufiger und das machte ihr Angst. Waren es Erinnerungen? Oder nur Bilder die sie verwirren sollten? Sie wusste es nicht. Schluchzend rollte sie sich immer mehr zusammen und war kurz darauf eingeschlafen. Kapitel 35: XXXV - Gleichgütligkeit ----------------------------------- Donnerstag, 16.Juli 2015 - Neumond Vorsichtig blickte Mirâ in das Klassenzimmer der 1-2 und sah sich um. Sie sah einige Schülerinnen, aber nicht diejenige, welche sie erhofft hatte hier anzutreffen. Ihr Plan war eigentlich sich kurz mit Megumi zu unterhalten. Sie wollte wissen, weshalb diese am Vortag vor ihr und ihren Freunden geflüchtet war. Die junge Frau konnte sich einfach keinen Reim daraus machen, weshalb die jüngere Schülerin nicht mit zu ihnen gekommen war. Immerhin kannten sie sich doch mittlerweile. Deshalb kam für sie nur in den Sinn, dass es der Jüngeren nicht gut ging. Sie wollte Megumi deshalb auch fragen, ob alles in Ordnung sei. Aber da war noch etwas, was sie beschäftigte. Als sie am späten Abend noch einmal auf ihre Persona-App und die Social Links geschaut hatte, war ihr etwas Merkwürdiges aufgefallen. So war die Arcana von Megumi, die Mäßigkeit, plötzlich grau unterlegt. Zwar konnte sie die Karte noch anwählen, doch sobald sich die Seite geöffnet hatte, erkannte man nur die Rückseite der Karte mit der geteilten Maske darauf und der Balken darunter war ebenso grau unterlegt. Alle anderen Arcanas waren noch normal, nur die von Megumi nicht und das machte ihr Sorgen. Sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte und wollte es herausfinden. Doch bisher hatte sie die Kleine noch nicht gefunden. In der ersten Pause hatte sie bereits ihr Glück versucht, doch auch da war Megumi wie vom Erdboden verschlungen. Deshalb hatte sie es in der Mittagspause in deren Klasse versuchen wollen, doch auch hier war sie nicht. "Ah Senpai. Was suchst du hier?", fragte plötzlich eine junge männliche Stimme, was Mirâ aufschrecken und sich umdrehen ließ. Ihr Blick fiel auf einen ziemlich klein geratenen Jungen mit rotbraunem Haar und Sommersprossen. Soweit sie sich erinnern konnte war sein Name Arabai. Vor einiger Zeit hatten ihre Freunde und sie ihm mal aus der Patsche geholfen, auch wenn er damals keine Hilfe von ihnen haben wollte. Auch dieses Mal war sein Gesicht wieder geprägt von leichten Prellungen und Pflastern, was nur bedeuten konnte, dass er sich geprügelt und verloren hatte. Mit fragenden rehbraunen Augen sah er zu Mirâ auf, welche nun bemerkte, dass sie gar nicht auf seine Frage geantwortet hatte. "Ähm ja... ich suche nach Megumi-Chan. Hast du sie gesehen?", stellte sie sogleich eine Gegenfrage. "Megumi? Ach du meinst Yoshiko. Oder? Die ist vorhin mit Watanabe irgendwohin verschwunden. Aber keine Ahnung wohin.", antwortete Arabai. "Oh. Ach so. Trotzdem danke.", bedankte sich Mirâ und wandte sich zum Gehen. Sie hatte Megumi also erneut verpasst. Oder war diese wieder vor ihr geflohen? Aber wenn sie mit Matsurika zusammen war, dann sicher nicht. Es blieb ihr keine andere Wahl, als abzuwarten und auf den Moment zu hoffen, in dem sie Megumi abpassen konnte. Sie hoffte nur, dass dieser Moment nicht allzu spät kam, denn sie wollte unbedingt wissen was mit der Kleinen los war. Als die Violetthaarige am Nachmittag nach dem Unterricht ihre Schuhe wechselte, war ihr Resümee des Tages eher gemischt. Zwar konnte sie sich mit ihren Freunden über den Ablauf des heutigen Abends absprechen, doch die Schülerin aus der 1-2 hatte sie nicht gefunden. Dazu kam, dass sie nach der Mittagspause weniger Zeit hatte sich um diese Suche zu kümmern, denn dann waren die Pausen nur noch so lang, dass man den Raum hätte wechseln oder mal schnell auf die Toilette gehen können. Kaum genug Zeit, um nach jemandem zu suchen, der anscheinend nicht gefunden werden wollte. Die junge Frau seufzte und lehnte ihren Kopf gegen den riesigen Schrank, in welchem die Schuhe der Schüler aufbewahrt wurden. Eigentlich wollte sie nun nur noch nach Hause und danach nicht mehr das Haus verlassen, doch sie wusste genau, dass ihr am späten Abend noch ein langer Kampf bevorstand. "Es ist wohl besser, wenn ich mich noch etwas ausruhe.", ging ihr durch den Kopf, als sie sich vorsichtig vom Schrank abstieß und zum Gehen wandte. Gerade als sie sich in Richtung Ausgang gedreht hatte bemerkte sie eine Person, welche in Richtung des Schultors lief. Durch ihre kleine Gestallt fiel sie eigentlich kaum auf, aber Mirâ hatte sie trotzdem bemerkt. Es war die kleine Megumi. Schnell schnappte sich Mirâ ihre auf dem Boden stehende Tasche und wollte der Kleinen nachrennen, als sie plötzlich von rechts am Arm gepackt und ein Stück zur Seite gezogen wurde. Erschrocken sah sie auf die Person, welche sie am Laufen hinderte und erkannte Matsurika, die an ihrem Arm hing. "Hallo Senpai. Entschuldige, dass ich dich so plötzlich überfalle, aber ich habe da eine Bitte und ein paar Fragen an dich.", meinte die Schwarzhaarige nur und lächelte lieb. Mirâ wollte protestieren und sich losreißen, um Megumi zu folgen, doch als sie kurz in Richtung des Schultors blickte war das Mädchen nicht mehr zu sehen. Enttäuscht seufzte sie leicht und wandte sich dann wieder der Person an ihrem Arm zu. "Hab ich dich gestört?", fragte diese plötzlich mit einem entschuldigenden Unterton. "N-Nein, hast du nicht.", log die Ältere freundlich, "Also, wie kann ich dir helfen?" Keine Zehn Minuten später saßen die beiden jungen Frauen auf einer der Bänke auf dem Schulgelände. Matsurika hatte gemeint, sie wolle nicht im Gebäude sondern ganz in Ruhe mit ihr darüber sprechen, weshalb sie sich nach draußen begeben hatten. "Sag Senpai. Wie stehst du eigentlich zu Makoto-Senpai?", fragte die Schwarzhaarige unvermittelt, was Mirâ nur ein kurzes "eh?" entlockte, "Weißt du, ich finde Makoto-Senpai wirklich süß und naja..." Mit großen Augen sah Mirâ die Jüngere an. Jetzt verstand sie auch die Frage, obwohl es ja eigentlich offensichtlich war, was sie meinte. So oft wie die Schwarzhaarige an Hiroshi hing, war ja eigentlich klar, dass sie in ihn verliebt war. Die Violetthaarige bezweifelte jedoch, dass ihr Kumpel für die jüngere Schülerin das Gleiche empfand, aber das traute sie sich nicht zu sagen. So offen konnte sie nicht mit anderen Menschen reden. Ein wenig beneidete sie solche Menschen, zu denen auch Matsurika gehörte, dafür, dass sie offen jedem ihre Meinung sagen konnten, allerdings bestand dadurch aber auch die Gefahr, andere zu verletzen. Das wollte die Violetthaarige auf keinen Fall. Deshalb schwieg sie lieber. "Deshalb frage ich dich, wie du zu ihm stehst. Immerhin versteht ihr euch richtig gut.", meinte die Schwarzhaarige plötzlich. "Naja. Eigentlich kenne ich Hiroshi gerade mal ein paar Monate, aber wir sind schon ziemlich gut befreundet.", erklärte die Ältere ruhig, "Aber Akane versteht sich doch genauso gut mit Hiroshi." "Ja, aber da merkt man, dass sie eher wie Bruder und Schwester sind. Aber ich hab irgendwie das Gefühl, dass Makoto-Senpai nur Augen für dich hat." "Eh?", kam es erneut von Mirâ, während sie rot anlief. Hiroshi soll in sie verliebt sein? Nie im Leben! Es war nicht so, dass sie es schlimm finden würde, aber vorstellen konnte sie es sich nicht. Zumal sie für den Blonden nicht das Gleiche empfand. Er war für sie ein guter Freund, nicht mehr und nicht weniger. Sie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass er etwas für sie empfinden könnte. In ihrer aktuellen Lage wäre so etwas eh schwierig. Sie mussten zusammenarbeiten und da würden solche Gefühle mit Sicherheit nur hinderlich sein. Das war ja auch der Grund, weshalb sie Masaru bisher noch nichts von ihren Gefühlen erzählt hatte. Trotzdem... Schnell schüttelte sie den Kopf. Das konnte nicht sein. Er war ihr Kumpel. Punkt. Bevor ihre Gedanken wieder die Oberhand erhielten wandte sie sich wieder an Matsurika: "Ach quatsch. Wir sind Freunde. Nur Freunde." "Wirklich?", es klang schon fast flehend, weshalb Mirâ etwas erstaunt nickte und die dunkelbraunen Augen der Schwarzhaarigen plötzlich zu leuchten anfingen, "Das heißt er ist aktuell nicht vergeben und ich hätte eine Chance?" "Ähm naja...", begann Mirâ, doch Matsurika hörte ihr bereits nicht mehr zu, weshalb es keinen Sinn mehr machte etwas zu sagen. Stattdessen seufzte sie nur. Eigentlich sollte sie der Schwarzhaarigen sagen, dass sie sich nicht zu viele Hoffnungen machen sollte. Aber wer war sie, dass sie sich herausnehmen konnte darüber zu entscheiden? Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Matsurika der Typ Mädchen war, den Hiroshi mochte, aber richtig wissen konnte sie es auch nicht. Sie senkte kurz den Blick und musste wieder an das denken, was die junge Frau ihr kurz zuvor erzählt hatte. Ob Hiroshi wirklich so über sie dachte? Wenn sie so darüber nachdachte, dann gab es schon einige Situationen, die ihr, in diesem Licht betrachtet, etwas komisch vorkamen. Zum Beispiel als er wissen wollte, worüber sie mit Masaru gesprochen hatte oder als er sie gefragt hatte, ob sie mal zusammen weggehen wollten. Auch manche Reaktion von dem Blonden, wenn sie über Masaru geredet hatte, sah sie in diesem Moment in einem anderen Licht. Waren das wirklich Anzeichen dafür, dass er in sie verliebt war? Sie konnte sich das aber irgendwie nicht vorstellen. Er war nett zu ihr und das von Anfang an, aber das hatte doch nicht gleich etwas zu bedeuten. Oder doch? In solchen Dingen hatte Mirâ keine wirklichen Erfahrungen. Es gab noch keine Situation in ihrem bisherigen Leben, in der ein Junge in sie verliebt war. Jedenfalls hatte ihr noch nie jemand seine Liebe gestanden oder sie anders behandelt. Ganz davon abgesehen, dass sie sich die letzten Jahre immer abgekapselt hatte. Aber wenn das stimmte, wie sollte sie sich Hiroshi gegenüber verhalten? NEIN! Mirâ kniff die Augen zusammen und schüttelte heftig den Kopf, bevor sie erst einmal richtig durchatmete und diesen Gedanken wieder von sich schüttelte. Sie konnte nicht glauben, dass es so war. Oder besser, sie wollte es nicht glauben. Sie wollte daran glauben, dass der Blonde nur ihr Kumpel war. Mit dieser Konstellation war sie sehr zufrieden und sie konnte sich vorstellen, dass es Hiroshi genauso ging. PUNKT! AUS! Ein Finger, welcher auf ihre Schulter tippte holte sie wieder in die Realität zurück und sie sah in die tiefbraunen Augen von Matsurika, welche sie fragend und leicht besorgt ansah. Auch Mirâ sah sie kurz fragend an, doch lächelte dann, was auch die Schwarzhaarige dazu verleitete zu lächeln. Anscheinend war für sie so alles wieder in Ordnung. "Vielen Dank Senpai. Jetzt geht es mir besser.", meinte sie anschließend und machte eine allesentschlossene Pose, "Ich werde mein Bestes geben." "Ich bin du... du bist ich...", erklang plötzlich eine ihr bekannte Stimme, welche sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehört hatte und ihr verriet, dass sie anscheinend wieder einen Social Link gebildet hatte. "Äh j-ja. Viel Erfolg.", stotterte die Ältere, bevor sich Matsurika von ihr verabschiedete und ihrer Wege ging. Mirâ sah ihr kurz nach und machte sich dann ebenfalls auf den Heimweg. Sie musste sich noch auf den bevorstehenden Kampf vorbereiten. Davor wollte sie noch etwas essen, sich etwas ausruhen und mit Mika das weitere Vorgehen besprechen. An diesem Abend stand viel an. Heute mussten sie Yasuo aus den Fängen des Shadows befreien. Sie hoffte, dass alles gut gehen würde, aber irgendwie hatte sie ein merkwürdiges Gefühl. Allerdings konnte Mirâ nicht sagen, woher es kam. Sie hoffte nur, dass es nichts mit dem Dungeon zu tun hatte. Am späten Abend Gemeinsam betrat die Gruppe die Spiegelwelt, in welcher Mika bereits mit ihren Waffen auf sie wartete. Das ungute Gefühl, welches Mirâ die ganze Zeit begleitet hatte war immer noch nicht verschwunden, doch sie ignorierte es erst einmal. Was anderes blieb ihr in diesem Moment auch gar nicht übrig. Als alle ihre Waffen entgegengenommen und angelegt hatten, machten sich die Sechs auf den Weg zu Yasuos Dungeon. Der riesige rote Vollmond ließ das gesamte Areal in einem unheimlichen Rot erstrahlen. Es war immer wieder gespenstisch, wenn dieser bedrohliche Mond über ihnen schwebte. Auch Kuraiko musste dies feststellen. Eigentlich mochte sie ja gespenstische Dinge, aber dieser Mond machte sogar ihr Angst. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in welcher sie immer wieder aufpassen mussten nicht von Shadows angegriffen zu werden, welche hier ab und zu herumschlichen, erreichten sie den Eingang zu dem Dungeon. Auch dieser wirkte in diesem roten Licht unheilvoller, doch es half alles nichts. Sie mussten hinein, ob sie wollten oder nicht. "Diese Welt ist echt unheimlich. Ich werde mich wohl nie dran gewöhnen.", sprach Hiroshi aus, was alle anderen dachten. Als Mirâ zu dem Blonden sah, musste sie wieder an das Gespräch mit Matsurika denken. Zwar versuchte sie diesen Gedanken wieder beiseite zu schieben, aber er wollte einfach nicht verschwinden. Dabei merkte sie nicht wie sie Hiroshi anstarrte. Dieser merkte es allerdings schon und fragte ob alles in Ordnung sei. Sofort war die Violetthaarige wieder im Hier und Jetzt. Mit einem Lächeln entschuldigte sie sich und meinte, dass sie kurz in Gedanken versunken war. Mit einem "ah ja" tat ihr Kumpel dies vorerst ab und daraufhin begab sich die Gruppe durch das Tor in den Dungeon, wo sie wie vermutet genau vor der Tür zu Yasuos Raum landeten. Mirâ berührte die verzierte Tür, woraufhin ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Das ungute Gefühl in ihrer Magengegend nahm wieder zu. Irgendwas schien nicht zu stimmen und es schien mit diesem Raum zusammenzuhängen. Sie hoffte sehr, dass sie den Shadow bezwingen konnten. Kurz blickte sie über ihre Schulter zu ihren Freunden, welche nur siegessicher grinsten, ehe sie das Tor aufschob. Ein kalter Lufthauch trat aus dem Raum und ließ Staub aufwirbeln, weshalb sich die Gruppe einen Arm vor den Mund legen musste, um diesen nicht einzuatmen. Als sich der Staub legte, gab er den Blick auf eine Lichtung frei. Sie sah ähnlich aus, wie die, wo sie gegen den Zwischenboss gekämpft hatte, jedoch war sie in ein tiefes Rot getaucht. Die Gruppe trat ein und erkannte in der Mitte des Raumes zwei Gestalten. Die eine saß kauernd auf dem Boden, während die andere erhaben und aufrecht über dem Boden schwebte. Die auf dem Boden sitzende Person stellte sich schnell als Yasuo heraus. Er hatte die Knie an seinen Körper gezogen, seine Arme darumgelegt und seinen Kopf auf die Knie gelegt, sodass er die Gruppe nicht einmal mitbekam, als diese eintrat. Etwas erleichtert atmete Mirâ auf. Wenigstens schien es ihm bis hier hin gut zu gehen, doch etwas anderes beunruhigte sie. Ihr Blick wanderte zu der anderen Gestalt, welche vor ihnen über dem Boden schwebte. Es war ein großer Mann mit dunkler Haut, welche leicht grünlich schimmerte. Um seinen Körper schlang sich ein Gewand, was wohl einmal weiß gewesen sein musste, doch nun aussah, als sei es noch nie gewaschen worden. Vor seinem Körper hielt er mit beiden Händen, welche in Handschellen gelegt waren, ein riesiges steinernes Ankh, was von seinen Schultern bis zu seinen Knöcheln reichte. Dieses jedoch sah aus, als würde es jeden Augenblick zerbrechen. Auf seinem Kopf trug er eine Haube, dessen Spitze die Form eines Ganskopfes hatte. Vor seinem Gesicht war eine Maske, doch durch die Öffnungen konnte man seine stechend gelben Augen sehen, welche die Gruppe zu fixieren schienen. Doch etwas Anderes ließ die Sechs erschauern, denn um den Shadow herum war eine Aura zu sehen. Eine bedrohliche dunkle Aura, welche sich in einem dunklen Violett wiederspiegelte. Es sah unheimlich aus und jeder ahnte, dass sie es hier wohl mit einem sehr starken Gegner zu tun hatten. "Ihr ungläubigen, was stört ihr meine Ruhe?", schallte es plötzlich durch den Raum, "Verschwindet. Dieses Kind hat sich entschieden diese Welt nicht mehr zu verlassen." Erschrocken sah die Gruppe zu dem riesigen Shadow empor. Was hatte er gerade gesagt? Yasuo hatte sich entschieden in dieser Welt zu bleiben? "Das glaubst du doch wohl selber nicht.", rief Akane plötzlich. "So ist es aber.", schallte es erneut. "Du willst ihn nur töten. Aber das lassen wir nicht zu.", ein blaues Licht umgab Akane, woraufhin Wadjet erschien und den Shadow sofort mit einem kräftigen Tritt angriff. Dieser jedoch schien unbeeindruckt, hob nur das riesige Ankh und stoppte somit den Angriff der rothaarigen Persona, welche zurückgeschleudert wurde, aber über Akane wieder zum Halten kam. Erschrocken sah Mirâ zu ihrer besten Freundin. Dass sie heißblütig war wusste sie, aber dass sie einen so unüberlegten Angriff startete hätte sie ihr gar nicht zugetraut. In diesem Moment konnte sie nur froh sein, dass Wadjet nur zurückgedrängt wurde. Mirâ kam in den Sinn, was sie zwei Tage zuvor bei ihrer Freundin beobachtet hatte und ihr wurde klar, weshalb Akane so überstürzt handelte. "Akane, keine überstürzten Handlungen.", mahnte sie ihre Freundin. Diese sah kurz zu ihr und senkte leicht den Blick: "Tut mir leid." "Ihr dummen Kinder.", schallte es erneut, woraufhin der Shadow in einem dunklen Violett aufleuchtete. Einen Moment später zuckten Blitze durch den Raum. Sie waren stärker, als die, welche sie beim letzten Shadow abbekommen hatten und regneten mit lautem Donner auf sie hernieder. Die Gruppe wurde zu Boden gerissen, nur Hiroshi konnte sich gerade so noch auf den Beinen halten. Das seine Persona ebenfalls Zio nutze, war ihm bisher immer ein Vorteil gewesen. Doch die anderen lagen am Boden und brauchten auch eine ganze Weile, bis sie es schafften wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Allein Masaru brauchte noch etwas länger und war in diesem Moment außer Gefecht gesetzt. "Das habt ihr nun davon, ihr Ungläubigen.", sagte der Shadow. "Als ob wir uns so leicht besiegen lassen würden. Komm Aton!", rief Hiroshi und ließ seine Persona erscheinen. Sofort hob diese die Hand und richtete sie auf den Shadow, bevor sie mehrere Feuerbälle auf ihn abfeuerte. Allerdings prallten auch diese nur ab und flogen in alle Richtungen, nachdem der Shadow das riesige Ankh gehoben hatte. Als nächstes versuchte Kuraiko ihr Glück und ließ ihre Persona Kadesh mit deren Peitsche angreifen. Doch diese wickelte sich nur um das riesige Ankh und ließ sich nicht mehr lösen. Als der Shadow es mit Schwung hob, wurde Kadesh weggeschleudert und verschwand, nachdem sie gegen eine der Wände stieß. "Urgh...", kam es von Kuraiko, welche auf die Knie ging. "Alles ok?", fragte Mirâ nach, doch die Schwarzhaarige meinte nur, dass sie sich keine Sorgen um sie machen, sondern sich um den Shadow kümmern sollte. Mit besorgtem Blick sah Mirâ zu ihrer Freundin, doch schnappte sich dann ihr Handy. Auf der Persona App wählte sie Narasimha aus, welcher in blaues Licht getaucht erschien und sofort zum Angriff überging. Er hob sein Schwert und griff den Shadow zwei Mal an, doch wieder zeigte es keine Wirkung, sondern die Persona wurde nur zurückgedrängt. "Was ist das für ein Shadow? Keiner unserer Angriffe geht durch.", geschockt blickte Akane auf den Shadow hinauf. Wie sollten sie den besiegen, wenn keiner ihrer Angriffe Wirkung zeigte? Es gäbe zwar noch den Versuch ihn mit Garu anzugreifen, doch Masaru war zu diesem Zeitpunkt immer noch außer Gefecht gesetzt. Mika kümmerte sich mittlerweile um ihn und versuchte ihn wieder zu wecken, doch bisher hatte sie wenig Erfolg. Keiner der Anderen hatte bisher diesen Angriff gelernt und auch keine von Mirâs Personas, welche sie aktuell besaß hatten diese Fähigkeit. Mussten sie nur tatenlos zusehen? Wütend schlug Akane auf den Boden: "Was ist nur los hier? Wieso geht keiner der Angriffe durch?" "Merkt ihr es nun, ihr Ungläubigen? Dieser Junge hat entschieden diese Welt nicht mehr zu verlassen. Seine verletzte Seele hat sich entschieden.", rief der Shadow und hob sein Ankh erneut. Plötzlich trafen die Gruppe mehrere Tritte und sie wurde auseinander gerissen, nur Mika und Masaru, welcher noch auf dem Boden lag, blieben verschont. So langsam kam er auch wieder zu sich, doch es würde noch eine Weile dauern, bis er wieder vollständig da war. Unter Schmerzen richtete sie Akane wieder auf und sah zu ihren Freunden, welche nun alle verteilt im Raum auf dem Boden lagen. Irgendwas lief hier mächtig schief. Was war nur mit diesem Shadow los? Und wieso sagte er, dass Yasuo sich entschieden hatte hierzubleiben? Das konnte und wollte sie nicht glauben. „Was wollt ihr hier?“, hörte sie plötzlich, was die Braunhaarige aufblicken und in Richtung Yasuo blicken ließ, „Wieso seid ihr hier? Verschwindet. Lasst mich hier allein.“ Seine Stimme klang kraftlos. Fast so, als hätte er sich bereits komplett aufgegeben. Doch wieso war der Shadow dann so stark? In den letzten Fällen wurden sie stärker, je mehr derjenige der Meinung war, dass sein Shadow niemals er selbst sein konnte. Doch Yasuo hatte nichts dergleichen in ihrer Gegenwart gesagt. Oder hatte er es vorher schon gesagt und der Shadow hatte daraufhin seine Kraft absorbiert? Passierte das, wenn man seinen Shadow vollkommen ablehnte? Sie hatten es bisher ja immer geschafft die „Opfer“ zu retten und den Shadow zu besiegen, deshalb war diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen. „Ihr habt es gehört, ihr Ungläubigen. Verschwindet von hier.“, rief der Shadow, was Akane aus ihren Gedanken schrecken ließ. „Wieso?“, fragte sie an Yasuo gerichtet, „Warum möchtest du hierbleiben und dich verkriechen? Merkst du nicht, was gerade um dich herum passiert? Dieser Shadow wird dich töten, wenn du hierbleibst.“ Der Blauhaarige schrak kurz auf und hob leicht den Blick, sodass Akane seine Augen sehen konnte. Sie waren vollkommen leer. Nichts spiegelte sich darin. Es schien, als hätte Yasuo sich wirklich bereits aufgegeben. Neben Akane bewegte sich etwas und sie bemerkte, wie sich Masaru langsam aufrichtete: „Akane hat Recht. Wenn du hier bleibst wird er dich töten. Deshalb sind wir hier. Wir wollen dir helfen Esuno.“ Yasuo senkte wieder das Gesicht auf die Knie: „Dann ist es halt so.“ Die Braunhaarige schrak auf. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Gefrustet ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Wie konnte jemand nur so mit seinem Leben abgeschlossen haben? Das wollte nicht in ihren Kopf und sie war verzweifelt, weil sie nicht wusste, wie sie ihm hätten helfen oder ihn hätte umstimmen können. Sie senkte den Blick und musste an Bejû denken, welcher immer noch verzweifelt auf sein Herrchen wartete. „Das glaube ich nicht.“, hörte sie von ihrer anderen Seite. Es war Hiroshi, welcher ebenfalls langsam wieder aufstand. Erschöpft kniete er auf einem Knie und stützte sich mit einem Arm am Boden ab. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick wieder in sich zusammensacken, doch er hielt sich aufrecht. „Du kannst mir doch nicht sagen, dass du dein Leben einfach so wegwerfen willst.“, sprach er schwach weiter, „Es gibt immer Dinge im Leben, die einem nicht passen und die einen verletzen. Aber sein Leben deshalb wegzuwerfen ist dumm. Es gibt genügend Dinge, die das wieder wettmachen.“ „Schweigt!“, rief der Shadow erneut. „Nein! Du… du hältst jetzt den Mund.“, langsam setzte sich auch Mirâ wieder auf, „Du hast ihm diese Dinge doch sicher eingeredet, um leichtes Spiel zu haben. Hab ich Recht? Das werden wir aber nicht zulassen. Wir werden Esuno-Senpai hier herausholen.“ Ihr Gegner schien kurz irritiert, doch sprach dann weiter: „Denkt was ihr wollt. Diese Junge hat selber entschieden zu verschwinden.“ „Du denkst doch nicht wirklich, dass wir dir das glauben.“, meinte nun auch Kuraiko, welche sich an ihrer Sense langsam hinaufzog, während sie diese am Boden abstellte. „Dann fragt ihn selbst.“ „Stimmt das, Esuno-Senpai?“, rief Akane leicht verzweifelt. Ein kurzes Nicken des jungen Mann war zu erkennen: „Es spielt keine Rolle, ob ich da bin oder nicht. Ich mache anderen nur Mühe. Wenn ich verschwinde, wird es für viele einfacher. Ich würde eh nicht vermisst werden.“ „Wie bitte?“, Wut stieg in der Braunhaarigen auf und neue Kraft durchströmte sie, was ihr half sich aufzurichten. Nun ging er ihrer Meinung nach endgültig zu weit. Von ihrer Wut geleitet ging sie auf den älteren Schüler zu, den Shadow vollkommen ignorierend. Sie war wütend. Sehr wütend und langsam ging ihr das Getue von Yasuo tierisch auf den Zeiger. Sie wollte ihrer Verzweiflung keine weitere Chance geben sich weiter breitzumachen, sondern etwas dagegen unternehmen und das ging nur auf eine einzige Weise. Irritiert konnte die restliche Gruppe nur zusehen und schrak auf, als Akane den Blauhaarigen plötzlich am Kragen packte und nach oben zog. Dass sie dank ihrem Judotraining kräftig war, wussten sie, doch dass sie es schaffte einen erwachsenen jungen Mann auf die Beine zu ziehen, hätten sie nicht gedacht. Auch Yasuo schien erstaunt über diese Aktion und sah sie mit seinen leeren Augen erschrocken an. „Jetzt reicht es aber mit deinem Selbstmitleid. Denkst du etwa du bist der Einzige auf der Welt, der Schlimmes erlebt hat? Denkst du wirklich, du bist der Einzige der meint die Welt sei gegen ihn? Dann sieh dich mal in der Welt da draußen um. Es gibt genügend andere Leute, die genauso schlimme Dinge wie du erlebt haben. Also tu nicht so, als seist du der Einzige!“, schrie sie den Älteren an, „Und noch was! Wie kommst du darauf, dass du anderen zur Last fallen würdest oder dich niemand vermissen würde? Wenn du so denkst, dann trittst du diejenigen mit Füßen, die dich lieben und krank vor Sorge um dich sind. Denkst du auch mal an deine Großeltern, die dich überall gesucht haben? Sie machen sich Sorgen, dass dir etwas passiert sein könnte. Oder denk an Bejû, welcher verzweifelt zu Hause darauf wartet, dass du wiederkommst kommst.“ Yasuo schrak auf, als er von seinen Großeltern hörte, doch seine Augen klarten erst auf, als er hörte das Bejû auf ihn wartete. Es schien, dass er nun wieder in die Realität zurückgekehrt sei und darüber nachdenken konnte, was er gesagt hatte. Einige Tränen stiegen ihm in die Augen, weshalb Akane ihren Griff lockerte und den älteren Schüler wieder herunterlies. Dieser blieb einige Zeit mit gesenktem Kopf auf dem Boden sitzen und schien nun zu realisieren, dass er dummes Zeug gequatscht hatte. „Deine Großeltern haben erzählt, dass Bejû nicht mehr von deiner Zimmertür weichen wollte, nachdem du plötzlich weg warst. Ich war mit ihm unterwegs, damit er auf andere Gedanken kommt, aber ich habe bemerkt, dass er dich vermisst.“, meinte die Braunhaarige nun in einem ruhigen Ton, „Deshalb ist es wichtig, dass du wieder nach Hause kommst.“ „SCHWEIG DU UNGLÄUBIGE!“, schrie der Shadow nun umso lauter. Er löste eine Hand von seinem Ankh und holte mit diesem aus, nur um Akane kurz darauf von Yasuo wegzustoßen. Diese war so überrascht von dessen Angriff gewesen, dass sie nicht einmal den Versuch unternehmen konnte auszuweichen. Stattdessen flog sie nun in Richtung der Raumwände und wäre auch beinahe dagegen geflogen, wenn sie nich von jemandem aufgefangen worden wäre. Sie blickte auf und erkannte Hiroshis Persona Aton, welcher sie langsam wieder gen Boden transportierte und dort absetzte, bevor er wieder verschwand. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte merkte sie jedoch, wie ihre Beine nachließen und sie fiel wieder auf ihren Hintern. Trotzdem bedankte, sie sich bei ihrem Kumpel, welcher sie nur anmeckerte, dass sie solche dummen Aktionen gefälligst sein lassen sollte. Mit einem gequälten Lächeln stimmte Akane ihm zu und entschuldigte sich auch gleich wieder bei ihren Freunden. Das war wirklich eine dumme Aktion gewesen, doch sie hatte etwas bewirkt, denn Yasuo stand plötzlich auf und sah zu seinem Shadow empor. „Es reicht. Sie haben Recht. Ich sollte mich nicht wie ein kleiner Junge verkriechen und bocken, nur weil mir etwas nicht passt. Es war dumm von mir, dass ich mich so hab gehenlassen.“, meinte er ruhig. Doch der Shadow schien damit überhaupt nicht einverstanden: „Du dummer Junge. Du wurdest verstoßen. Hast du das vergessen? Keiner will dich bei sich haben! Keiner würde dich vermissen!“ Ein wehleidiges Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Blauhaarigen und er senkte erneut den Blick, bevor er sich mit der Hand durch die gefärbten Haare ging: „Ja mag sein, dass ich verstoßen wurde, aber ich wurde von lieben Menschen aufgenommen. Ich weiß, dass ich schwierig bin und viel Arbeit mache, aber ich weiß auch, dass meine Großeltern mich bereitwillig und selbstlos bei sich aufgenommen haben. Und ich weiß, dass sie mich lieben. Ich sollte diese Liebe nicht mit Füßen treten.“ „Nein! Das stimmt nicht. Sie tun es nur, weil sie es müssen.“, rief der Shadow schon fast verzweifelt. Ein lautes Knacken war zu hören, was die Gruppe aufblicken und auf das riesige Ankh schauen ließ, doch auf den ersten Blick fiel nichts Ungewöhnliches auf. Plötzlich war jedoch ein weiteres Knacken zu hören und die Ursache war schnell bekannt. Das riesige Ankh bekam Risse und begann zu zerfallen. Als Mirâ dies auffiel sah sie ihre Chance und rief Hemsut auf das Feld. Sie wählte die Option „Single Shot“, woraufhin ihre Persona einen der Pfeile auf ihrer goldenen Platte entnahm. Ein Bogen erschien in ihrer linken Hand, in welchem sie den Pfeil einspannte und danach auf die Risse im Ankh zielte. Dann ließ sie los und der Pfeil schoss durch die Luft, nur um kurz darauf genau zwischen den Rissen zu landen und diese weiter auseinanderzutreiben. „NEIN!“, rief der Shadow, als sich das riesige Ankh in seinen Händen auflöste. Nun sah auch Masaru seine Chance und rief Harachte herbei, welchen er mit Garu angreifen ließ. Grüne Flügel erschienen am Rücken seiner Persona, mit welchen er weit ausholte. Sie wirkten größer und schöner, als die, die sonst erschienen, wenn er Garu nutzte und als die Persona den Angriff losließ wirbelte ein Gewaltiger Sturm um den Gegner, welcher qualvoll aufschrie und danach in sich zusammensackte. Die violette Aura um den Shadow wich langsam einem sanften Weiß und er wirkte nun wesentlich kleiner, als noch einige Momente zuvor. Yasuo trat auf ihn zu: „Ich weiß was du meintest und auch, was deine Gründe waren. Nachdem ich den Brief gelesen habe, dachte ich, dass ich auch meinen Großeltern zur Last fallen würde. Deshalb wollte ich verschwinden… ihnen diese Last abnehmen. Ich habe gar nicht an ihre Gefühle gedacht. Ich hatte nicht daran gedacht, dass ich ihnen damit Sorgen mache. Dir ging es genauso.“ Er hockte sich hinunter und legte seine Hand auf die Schulter des Wesens: „Du bist halt ich und ich bin du. Hab ich Recht?“ Der Shadow nickte und ein leichtes Lächeln bildete sich auf dessen Gesicht, bevor er sich in Licht auflöste, welches nach oben stieg. In diesem erschien nun eine männliche Person. Seine Haut war immer noch dunkel und schimmerte grün, doch seine Aura war eine ganz andere. Um seine Hüfte schlang sich ein weißer Leinenrock, über welchem schräg noch ein gelbes Tuch gespannt war, sodass man den Leinenrock nur halb erkannte. Sein Gesicht zierte eine halbe Maske, weshalb man auf der freien Gesichtshälfte ein freundliches orangenes Auge erkennen konnte. Seine langen schwarzen Haare wehten um seinen Körper und auf dem Kopf trug er immer noch die Kappe mit dem Gänsekopf. Um seine Oberarme schmiegten sich zwei silberne Reife, welche über den Rücken mit einer Gliederkette in der Mitte mit der silbernen Halskrause verbunden waren. In seiner rechten Hand hielt er einen großen Stab und in der Linken ein kleines Ankh. Er sah mit einem Lächeln auf die Gruppe und verwandelte sich dann in eine blauschimmernde Karte, welche auf Yasuo hinunterrieselte und sich auflöste, als sie ihn berührte. Der junge Mann drehte sich zu den Anderen um, welche erleichtert waren, dass der Kampf endlich vorbei war. "Vielen Dank euch allen. Und verzeiht mir, dass ihr in das hier hineingezogen wurdet.", sagte Yasuo plötzlich. "Wohl eher andersherum.", Mirâ ging mit wackeligen Beinen auf den älteren Schüler zu, welcher sie fragend ansah, "Du wurdest eher hineingezogen. Wir müssten uns entschuldigen. Wir werden dir alles erklären, aber vorher sollten wir von hier verschwinden." Der Blauhaarige nickte zustimmend. Sie alle sahen sehr ramponiert aus, weshalb er verstehen konnte, dass sie so schnell wie möglich weg von hier wollten. Nach und nach rappelten sich alle wieder auf und wollten zum Ausgang des Raumes gehen, nur Akane blieb sitzen. Fragend drehte sich Hiroshi um: "Was ist los? Los beeil dich." "Ich würde ja, aber...", begann die Braunhaarige und versuchte aufzustehen, "Aber ich kann nicht. Meine Beine wollen nicht..." Erstaunt sah die Gruppe zu der Braunhaarigen, welche auf dem Boden saß und versuchte sich zu erheben. Doch egal was sie versuchte, sie sackte immer wieder auf den Boden zurück, so als wollten ihre Beine ihr nicht den Gefallen tun und sie tragen. Anscheinend war die Anstrengung und der Adrenalinstoß, den sie in diesem Kampf bekommen hatte, so groß, dass ihr nun die Kraft für alles andere fehlte. Mirâ ging auf ihre Freundin zu und wollte ihr helfen, doch auch sie war zu schwach die Braunhaarige auf die Beine zu ziehen. Ratlos stand die Gruppe nun da und wusste nicht so genau, was sie eigentlich tun sollte. Selbst Masaru und Hiroshi waren zu schwach die junge Frau nun noch zu tragen, aber irgendwie mussten sie aus dieser Welt zurück. Doch wie? Yasuo drängelte sich plötzlich an allen vorbei und hockte sich, mit dem Rücken zu ihr, zu der jungen Frau herunter. Fragend sah Akane auf den doch recht breiten Rücken des jungen Mannes vor sich. Dieser wandte seinen Blick zu der Braunhaarigen: "Was ist? Du willst doch sicher auch von hier weg? Also halt dich fest." Zögerlich legte Akane ihre Arme um Yasuos Hals, welcher sie mit einem gekonnten Ruck anhob und auf dem Rücken trug. Irritierte Blicke trafen den jungen Mann, doch dieser ignorierte sie gekonnt und ging an der Gruppe vorbei Richtung Ausgang, so als wüsste er genau welchen Weg er nehmen musste. Die restlichen fünf sahen sich kurz fragend an, doch folgten Yasuo und Akane schließlich. Deren Gesicht glich mittlerweile einer überreifen Tomate, doch das bemerkte niemand, während sie den Dungeon und die Spiegelwelt verließen. Kapitel 36: XXXVI - Neue Bekanntschaften ---------------------------------------- Freitag, 17.Juli 2015 Gähnend betrat Mirâ die U-Bahn, welche sie zu ihrer Highschool fahren sollte. Vorsichtig schob sie sich an den Menschen vorbei, die sich an der Tür drängelten, ehe sie sich zu dem Platz fand, wo sie und Akane sich jeden Morgen trafen. Auch an diesem Morgen saß die Braunhaarige an ihrem bekannten Platz, jedoch schien sie dieses Mal keine Kenntnis von Mirâ zu nehmen. Auch als die Violetthaarige näher heran trat, reagierte ihre Freundin nicht, sondern starrte nur aus dem Fenster auf die kahle Wand der U-Bahnstation. Die Bahn fuhr an und Mirâ griff schnell nach oben an einen der Griffhaken, damit sie nicht gegen einen der anderen Passagiere flog. Dann tippte sie ihre Freundin vorsichtig an, welche aufschrak, sie aber auch endlich anschaute. „Oh. Guten Morgen Mirâ. Bist du schon lange hier?“, fragte sie leicht irritiert. Die Angesprochene zeigte auf den überfüllten Eingangsbereich der Bahn: „Ich bin gerade dazu gestiegen. Ist alles in Ordnung?“ Akane nickte: „Ja, ich bin nur müde. Das gestern war echt hart und hat mich ganz schön mitgenommen. Ich konnte gar nicht wirklich einschlafen.“ „Kann ich verstehen.“, murmelte Mirâ, „Deinen Beinen geht es auch wieder besser?“ Ihre Freundin nickte und lehnte ihre Stirn gegen das kalte Fenster der Bahn, während sie murmelte, wie peinlich ihr das am vergangenen Abend doch war. Untermalt wurde diese Aussage noch mit einem leichten Rotschimmer, welcher sich auf den Wangen der Braunhaarigen bildete. Mirâ lächelte leicht. Sie konnte ihre Freundin verstehen. Auch ihr war es damals peinlich gewesen, als Hiroshi sie getragen hatte. Für Akane jedoch war es wohl noch schlimmer, da sie sonst immer eine starke Persönlichkeit war und auch ihr Körper sonst großer Belastung standhielt. Dass sie in diesem Moment Schwäche zeigte, war ihr sehr unangenehm und das konnte Mirâ nachvollziehen. Nach der Eroberung des Dungeons hatte Yasuo die Braunhaarige selbstlos getragen, bis diese wieder der Meinung war selber laufen zu können. Auf dem Weg hinaus hatte Mirâ eher beiläufig mitbekommen, wie Akane den jungen Mann gefragt hatte, wieso er dies für sie tat, immerhin war die junge Frau der Meinung, dass er sicher auch erschöpft war. Doch der Blauhaarige hatte nur kurz geschwiegen und dann gemeint, dass sie sich darüber keine Gedanken machen brauche, immerhin waren sie gekommen um ihn zu retten. Außerdem hatte sie ihn wieder zur Vernunft gebracht, da sei dies das Geringste, was er tun konnte. Danach war wieder Schweigen ausgebrochen. Die Violetthaarige war sicher, dass Akane dachte, dass niemand ihr Gespräch mitbekommen hatte, deshalb sprach sie ihre Freundin auch nicht darauf an. Ein Seufzen holte sie aus den Gedanken und ließ sie zu ihrer Freundin blicken, welche wieder hinaus auf die vorbeihuschenden Wände blickte und schwieg. Mirâ war sich nicht sicher, ob wirklich alles in Ordnung war, doch ihre Freundin würde ihr auf die Frage wahrscheinlich eh nur sagen, dass alles gut sei. Deshalb beließ sie es erst einmal dabei. Sobald Akane darüber sprechen wollte, würde sie das wohl auch machen, da war sich die junge Frau sicher. Als sich die kleine Gruppe zur Mittagspause auf dem Dach verabredete schien alles wieder normal. Freudig stürzte sich Akane auf ihre, von ihrer Mutter liebevoll gefüllte, Lunchbox und beschwerte sich darüber, wie grässlich langweilig doch der Matheunterricht war, woraufhin wieder eine kleine Diskussion zwischen ihr und Hiroshi entstand, dass es doch nicht so schwer war. Dieses Verhalten beruhigte Mirâ, denn es verriet, dass wirklich alles in Ordnung war. Nachdem beide ihre Diskussion beendet hatten, kam Hiroshi auf das Thema Yasuo zu sprechen und fragte Masaru nach dessen Befinden, immerhin hatte dieser ihn am Abend nach Hause begleitet. Der Schwarzhaarige erklärte kurz, dass Yasuo recht fit wirkte, die restlichen Tage bis zum Wochenende allerdings trotzdem noch zu Hause blieb. Das war dem Blauhaarigen laut Masaru wohl nur allzurecht, immerhin war er ein notorischer Schulschwänzer. Außerdem erzählte der Ältere, dass sein Klassenkamerad bisher keine Fragen darüber gestellt hatte, was überhaupt passiert war. Er schien es einfach so hinzunehmen. Trotzdem hatte der Schwarzhaarige ihm seine Handynummer gegeben, falls dieser doch noch Fragen habe. Dem zu hatte er dem Blauhaarigen gesagt, dass er sich darauf einstellen sollte, dass die Gruppe definitiv noch einmal mit ihm sprechen wollte. "Er hat es so hingenommen.", beendete Masaru seine Erzählung. "Die Frage ist, wann wir es schaffen mit ihm zu sprechen.", sagte plötzlich Kuraiko, woraufhin sie fragende Blicke trafen. Anscheinend konnte sich in diesem Moment niemand vorstellen, wieso sie es nicht schaffen sollten mit Yasuo darüber sprechen zu können. Die Schwarzhaarige seufzte: "Vergessen? Nächste Woche sind Trimesterprüfungen." Noch ehe sie erwähnen konnte, dass danach die Sommerferien begannen, hörte sie ein synchrones genervtes Stöhnen aus Richtung Akane und Hiroshi: "Musstest du uns daran erinnern?" Eine weitere männliche Stimme hatte sich in diesem Moment zu ihnen gesellt und den gleichen Satz zeitgleich mit ihnen gesagt, was die Beiden erschrocken zwischen sich blicken ließ. Dort hockte Shuya, welcher grinsend die Hand hob und die Gruppe mit einem "Yo" begrüßte. Kuraiko stöhnte auf: "Nicht diese Nervensäge." Nörgelnd erhob sich Shuya und fragte die Schwarzhaarige, warum sie sich immer über ihn beschwerte. Doch sein Tonfall klang nicht so, als würde er ihr böse sein, sondern eher, als würde er wieder mit ihr flirten. Die junge Frau sprang allerdings nicht auf seine Flirtversuche an und fragte nur genervt, was er überhaupt hier zu suchen hatte. Der Violetthaarige schaute in den Himmel und erklärte dann, dass er eigentlich mit einigen Jungs aus dem Klub Fußball spielen wollte, diese aber plötzlich anderen Mist im Kopf hatten. Da er keine Lust hatte daran teilzunehmen, dachte er, er könne mit der Gruppe zusammen die Pause verbringen, immerhin war Hiroshi auch sein Kumpel und in letzter Zeit hatten sie diesen Luxus nur noch selten genossen. "Wie lange bist du schon hier?", fragte der Blonde plötzlich panischer, als er es wohl eigentlich wollte. Auch Mirâ fiel ein, dass sie kurz zuvor noch mehr oder weniger über die Spiegelwelt geredet hatten und dieses Gespräch eigentlich nicht für andere Ohren bestimmt war. Also auch nicht für Shuya. Hiroshis Reaktion war also vollkommen verständlich, doch Shuya sah ihn nur fragend an, überlegte dann kurz und meinte, dass er gerade dazu kam, als Kuraiko erzählte, dass in der nächsten Woche die Trimesterprüfungen waren. Die gesamte Gruppe atmete erleichtert auf, was Shuya nur noch irritierter schauen ließ. Fragend sah er zu Hiroshi: "Hab ich gestört?" Der Blonde schüttelte den Kopf und meinte, dass es ok sei und er sich darüber keine Gedanken machen sollte. Sein Kumpel legte den Kopf schief, beließ es aber vorerst dabei und setzte sich zwischen Akane und Hiroshi. "Sagt mal. Nächste Woche nach den Prüfungen beginnen die Sommerferien. Habt ihr vielleicht Lust auf das Tsukinoyo zu gehen?", fragte er plötzlich. "Das Tsukinoyo?", fragte Mirâ irritiert. Ein vertrautes Gefühl überkam die Violetthaarige, so als hätte sie diesen Begriff schon einmal gehört. Vielleicht hatte sie mal darüber gelesen, doch das Gefühl, welches sie überkam, war eher wie ein Déjà-vu. Hatte sie es einmal als Kind gehört? Aber wo? In allen Städten, in denen sie vorher war, hatte sie diesen Begriff nie gehört. Sie versuchte sich zu erinnern, aber es war, als wäre diese Erinnerung nie existent gewesen oder zu weit weg, um sie zu greifen. Leichte Kopfschmerzen überkamen die junge Frau, welche jedoch schnell wieder verschwanden, als sie versuchte nicht mehr daran zu denken. Wahrscheinlich hatte sie einen ähnlichen Begriff schon einmal gehört und assoziierte diesen nun mit dem Wort, deshalb fragte sie ihre Freunde, was das Tsukinoyo denn überhaupt sei. Masaru erklärte daraufhin, dass es sich dabei ursprünglich um einen traditionellen Tag in der Stadt handelte. Immer am ersten Vollmondabend im August strömten die Menschen in die Tempel, um für ihr Glück zu beten. Ungefähr so, wie zu Neujahr. Doch mittlerweile war daraus ein großes Volksfest geworden, welches mehrere Tage ging. Das Beten war mittlerweile eher nebensächlich geworden. Selbst sein Vater, so meinte der Schwarzhaarige, würde das Fest vor allem nutzen, um Werbung für den Tempel und das Kendo-Dojô zu machen. Dies sei auch der Grund, weshalb er nicht mit zu dem Fest gehen konnte, denn an diesen Tagen musste er immer im Tempel und im Dojô aushelfen. "Hu?", kam es langgezogen von Shuya, "Ich wusste gar nicht, dass deiner Familie ein Tempel gehört, Senpai." Masaru lächelte leicht und meinte, dass er dies ja auch nicht an die große Glocke hänge, sodass es nicht verwunderlich war. Trotzdem tue es ihm leid, dass er für das Fest absagen müsse. Akane jedoch war begeistert von der Idee, auf das Fest zu gehen, auch wenn sie sich ärgerte, dass sie nicht selbst auf die Idee gekommen war, und auch Hiroshi stimmte dem Vorhaben zu. Obwohl Kuraiko klang, als würde sie das Fest nicht interessieren, meinte sie, dass sie versuchen wolle sich für den Tag Zeit zu nehmen, um mitzukommen, was Shuya ein Strahlen auf das Gesicht zauberte. Er unternahm einen weiteren Versuch die Schwarzhaarige zu umarmen, doch bekam nur leicht ihren Ellenbogen in den Magen, weshalb er, sich den Bauch haltend, in die Knie ging. Auch Mirâ war von dieser Idee begeistert und so entschloss sich die Gruppe gemeinsam auf das Fest zu gehen. Sich streckend verließ Mirâ nach dem Unterricht den Eingangsbereich der Schule und wollte sich auf den Heimweg machen. Akane hatte sich wieder einmal vorzeitig verabschiedet, nachdem sie einen Anruf ihrer Mutter erhalten hatte und auch ihre anderen Freunde waren bereits nicht mehr vor Ort, weshalb die Violetthaarige ihren Heimweg wieder alleine antreten musste. Nach ihrem Musikplayer suchend kramte sie in ihrer Schultasche und merkte dabei nicht, wie jemand an ihr vorbeischlich. Erst als sie den gesuchten Gegenstand gefunden hatte und triumphierend aus der Tasche zog, sah sie auf und konnte gerade noch erkennen, wie Megumi aus dem Tor hinaus nach links um die Ecke bog. Ihr einfallend, dass sie mit der Kleinen noch einmal reden wollte, nahm sie ihre Beine in die Hand und folgte der jüngeren Schülerin. Aufgrund ihrer doch längeren Beine konnte die Violetthaarige den Abstand zu Megumi doch relativ schnell aufholen. Immer wieder rief sie nach der Kleinen, doch diese schien nicht reagieren zu wollen und stoppte erst, als Mirâ sie erreicht und vorsichtig am Arm gepackt hatte. Erschrocken drehte sich die Braunhaarige um und sah zu der älteren Schülerin auf. „Ist alles in Ordnung Megumi-Chan? Wieso rennst du denn vor mir weg?“, fragte diese irritiert, „Ist etwas passiert?“ „I-Ich renne doch nicht weg.“, meinte die Kleine stotternd, „I-ich ha-hab dich nur nicht gehört. E-Es ist alles in Ordnung. I-Ich hab es etwas eilig. Entschuldige mich, Senpai.“ Damit hatte sich die Kleine aus dem leichten Griff der Violetthaarigen befreit und war davon gelaufen. Total perplex sah Mirâ ihr nach. So richtig glauben, dass alles in Ordnung war, konnte sie nicht. Hatte sie Probleme? Oder hatte Mirâ der Kleinen unbewusst Unrecht getan, dass sie sauer war? So richtig wusste die junge Frau keinen Rat darauf. Vielleicht hatte es Megumi ja wirklich nur eilig. Die Prüfungen standen immerhin an. Wahrscheinlich wollte sie schnell nach Hause und lernen. So richtig beruhigen konnte Mirâ dieser Gedanke nicht, aber sie konnte sich ansonsten vorerst keinen anderen Grund vorstellen, weshalb die Kleine so schnell weg wollte. Die junge Frau seufzte und machte auf dem Absatz kehrt, um sich auf den Weg zur U-Bahn zu begeben, als sie plötzlich etwas Schweres an ihrem Arm spürte. Erschrocken blickte sie an diesen und erkannte Matsurika, welche sie breit lächelnd ansah. „Hallo Senpai!“, grüßte sie freundlich. "Ha-Hallo Watanabe.", grüßte auch Mirâ, "Uhm... gehst du nicht mit Megumi-Chan nach Hause?" "Megumi?", mit fragendem Blick ließ die Schwarzhaarige von Mirâs Arm ab, "Sie meinte vorhin zu mir, dass sie ganz schnell nach Hause müsse und wir deshalb nicht zusammen gehen können. Deshalb dachte ich, sie sei schon weg." "Aber sie ist doch gerade erst an mir vorbei...", kurz zeigte die Ältere in die Richtung, in welche Megumi verschwunden war, "Weißt du was mit ihr los ist? Ich mache mir irgendwie Sorgen um sie, aber sie geht mir seit einiger Zeit aus dem Weg." Matsurika blickte kurz in die Richtung, in welche Mirâ gezeigt hatte, doch wandte sich dann wieder der Violetthaarigen zu und meinte, das Megumi manchmal solche Angewohnheiten hatte. Sie konnte ihre Gefühle nicht gut in Worte fassen und wenn sie etwas beschäftigte, dann zog sie sich gerne zurück und versuchte dem ganzen Problem aus dem Weg zu gehen. Die jüngere Schülerin erklärte, dass sie schon oft versucht habe der Kleinen diese Angewohnheit abzugewöhnen, Megumi aber nicht aus sich heraus kam. "Hat Megumi aktuell irgendwelche Probleme, die sie beschäftigen?", fragte Mirâ gerade heraus, woraufhin die Jüngere kurz zu überlegen schien, dann aber den Kopf schüttelte, "Wird sie vielleicht wieder gemobbt?" "Megumi wird gemobbt?", kam eine Gegenfrage, was die Violetthaarige erstaunt aufschauen ließ, "Naja... Wir sind ja in unterschiedlichen Klassen, deshalb bekomme ich nicht so mit, was in ihrer Klasse so abgeht. Sie redet mit mir auch nicht darüber. Aber das würde erklären, weshalb ihre Zeichenblöcke immer so kaputt aussehen." Ein besorgter Blick umspielte Matsurikas Gesicht und sie sah noch einmal in die Richtung, in die Megumi vor geraumer Zeit verschwunden war. Mirâ beobachtete sie kurz und hatte das Gefühl, dass sich die Schwarzhaarige dieses Mal ernsthafte Gedanken um Megumi machte. "Ich werde versuchen morgen mit ihr darüber zu reden. Vielleicht kann ich was in Erfahrung bringen.", meinte die Jüngere mit einem leichten Lächeln. Zustimmend nickte die Violetthaarige und hoffte, dass sich damit auch das Problem zwischen ihr und Megumi klären würde. In ihrer Jackentasche spürte sie wie ihr Handy vibrierte, doch sie brauchte nicht nachsehen, um zu wissen, was es zu bedeuten hatte. "Da fällt mir ein. Wolltest du vorhin etwas Bestimmtes von mir, Watanabe?", fragte sie anschließend, als ihr wieder einfiel, dass sie von Matsurika mehr oder weniger überrascht wurde. Diese sah sie erst fragend an, doch begann dann zu Grinsen und hing sich wieder an ihren Arm. Irgendwie hatte Mirâ das Gefühl, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte, doch trotzdem begleitete sie die Schwarzhaarige auf deren Bitte hin ein Stück. Samstag, 18.Juli 2015 - Abend "Beehren Sie uns bald wieder.", verabschiedete sich Mirâ von dem Gast, welcher soeben die Karaokebar verließ. Argwöhnisch sah sie ihm nach. Es war Kyo, der streitsüchtige Stammgast, welcher von Shuichi immer aufs Korn genommen wurde. Er hatte der Bar wieder einen seiner üblichen Besuche abgestattet, dieses Mal allerdings viel früher als sonst. Meistens kam er erst kurz bevor Mirâ Feierabend machte. Auch an diesem Abend hatte er sich wie üblich verhalten und Mirâ war froh, dass sie ihn dieses Mal nicht bedienen musste. Sie hatte mitbekommen, wie er wieder einige ihrer Kolleginnen angegangen oder angebaggert hatte, diese allerdings kamen mit seinen Launen mittlerweile ziemlich gut aus. Außerdem meinten sie, dass er gutes Trinkgeld zahlte und sie sich das nur deshalb gefallen ließen. Mirâ wusste nicht, ob sie sich so etwas nur deshalb gefallen lassen würde. Dafür hasste sie Kyo viel zu sehr. Sie war froh, wenn sie ihm aus dem Weg gehen konnte. Seufzend betrat sie die Kabine, die Kyo wie immer gebucht hatte und rümpfte die Nase über das immsene Chaos, welches er mal wieder hinterlassen hatte. Es war immer das Gleiche. Dieses Mal hatte jedoch sie den Joker gezogen und war für die Reinigung und Herrichtung des Raumes auserkoren worden. Ihr Lichtblick in diesem Moment war, dass sie danach nach Hause gehen konnte, deshalb wollte sie sich besonders anstrengen und sich beeilen. Also nahm sie all ihre Motivation zusammen und machte sich an die Arbeit. Es dauerte eine Weile, doch dann hatte die junge Frau es fast geschafft, als ihr eine dunkelblaue große Mappe auffiel, welche an der dunkelgrünen Sitzecke der Kabine lehnte. Fragend griff Mirâ danach und musterte das Fundstück. Es handelte sich um eine große Ledermappe mit verstärkten Ecken und einem straffen schwarzen Gummiband, welches die Mappe daran hinderte unverhofft aufzugehen. Auf der Vorderseite des Umschlags stand in einem weißen Feld in sauberer Schrift "Kyo Yashiru". Irritiert betrachtete die Violetthaarige die Mappe und fragte sich, was Kyo wohl mit so einer hier wollte. Neugier packte sie und auch wenn sie wusste, dass es sich nicht gehörte, zog die das Gummiband zur Seite und öffnete die Mappe, welche mehrere Blätter zum Vorschein brachte. Auf diesen waren verschiedene Skizzen von Kleidern, Mänteln, Hosen und sonstigen Kleidungsstücken zu sehen, welche mit Notizen versehen waren. Mirâ legte den Kopf schief und betrachtete die Skizzen eine nach der Anderen. Ob Kyo sie gezeichnet hatte? Wenn dem so war fragte sich Mirâ ernsthaft, was er beruflich machte. Als sie eine weitere Skizze umblätterte gab diese den Blick auf ein Bild frei, welches anders war als die Anderen. Es zeigte das skizzierte Gesicht eines jungen Mädchens. Sie hatte schulterlange Haare, welche am Ende in Locken fielen und große strahlende Augen. Da es allerdings nur eine Skizze war, konnte Mirâ nicht erkennen, welche Haar- oder Augenfarbe sie hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, als hätte sie das Gesicht schon einmal gesehen. Doch das konnte eigentlich nicht sein. Oder? Die Violetthaarige überlegte, woher sie das Gesicht kannte, doch konnte es in diesem Moment nirgendswo einordnen. Aber sie war sich sicher, dass sie es schon einmal gesehen hatte. Auch nach mehrmaligen Überlegen kam sie auf keinen grünen Zweig und gab es erst einmal auf. Seufzend schloss sie die Mappe wieder und legte das Gummiband wieder darum. "Warum so ein schweres Seufzen?", hörte sie plötzlich eine männliche Stimme, welche sie erschrocken aufblicken ließ. In der Tür erkannte sie Shuichi, welcher sie fragte, ob alles in Ordnung sei: "Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du so lange weg warst. Hm? Was hast du denn da?" Der junge Mann zeigte auf die Mappe in Mirâs Händen, welche darauf erklärte, dass es sich dabei wohl um Kyos Skizzenmappe handeln musste, die sie beim Aufräumen gefunden hatte. Shuichi lachte und meinte daraufhin, dass Kyo wohl auch seinen Kopf vergessen würde, wenn dieser nicht angewachsen war. Fragend sah die Violetthaarige ihren Kollegen an: "Du scheinst gar nicht überrascht darüber." "Worüber? Dass er seine Mappe vergessen hat oder dass er eine Skizzenmappe hat?", fragte der Braunhaarige, während er sich neben die junge Frau auf der Sitzecke niederließ. "Uhm... beides.", kam die Antwort knapp. Daraufhin erklärte Shuichi, dass er Kyo nicht nur als Stammgast kannte, sondern dass beide auch auf die Gleiche Uni gingen. Allerdings war Kyo erst im zweiten Studienjahr und studierte nicht direkt Kunst, sondern Modedesign. Mit großen Augen sah Mirâ zu ihrem Kollegen, welcher sie nur angrinste und meinte, dass sie nicht so überrascht gucken sollte. Immerhin war es heutzutage nicht mehr unnormal, dass es auch männliche Modedesigner gab und Kyo sei in diesem Fach echt unschlagbar. "Ich habe bis heute nicht rausgefunden, weshalb er Modedesign studiert, aber ich weiß, dass es seine Leidenschaft ist.", erklärte der Braunhaarige mit einem Lächeln. Mirâ nickte und hatte das Gefühl Kyo, welchen sie eigentlich nicht sonderlich gut leiden konnte, etwas besser verstehen zu können. Aus ihrer Rocktasche ertönte ein ihr bekanntes Geräusch, welches eindeutig von der Persona App kam, doch das ignoriere sie. Stattdessen hielt sie Shuichi die Mappe hin und bat ihn diese dem Blauhaarigen bei Gelegenheit zurückzugeben. Ihr Kollege nahm die Mappe entgegen und meinte, dass er es sinnvoller fände, wenn Mirâ ihm diese selber zurückgeben würde, doch erwähnte im selben Atemzug, dass er selber den Blauhaarigen wohl eher sehen würde, als sie. Danach stand er auf und begab sich wieder zurück zur Tür, während er zu der Violetthaarigen meinte, dass sie noch alles fertig machen sollte und dann Feierabend machen konnte. Mirâ nickte zustimmend, woraufhin Shuichi sie kurz anlächelte und dann den Raum verließ, während sie selbst ihre Arbeit beendete. Keine fünf Minuten später verließ sie ebenfalls den nun aufgeräumten Raum und streckte sich noch mal. Endlich hatte sie Feierabend. Sie wollte nun nur noch nach Hause und wollte sich in Richtung Umkleide in Bewegung setzen, als eine zierliche Gestalt, in weiten Klamotten und einer Cappy, eilig an ihr vorbeigelaufen kam und sie anrempelte. Dabei fiel etwas zu Boden, was Mirâs Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war ein zart rosanes Smartphone, an welchem verschiedene niedliche Anhänger hingen. Die junge Frau wollte danach greifen, doch im selben Moment griff die Gestalt ihr gegenüber danach und entschuldigte sich mit zarter Stimme dafür sie angerempelt zu haben. Erschrocken sah diese auf, als sich die Hände der Beiden kurz berührten und Mirâ erkannte unter der tief ins Gesicht gezogenen Cap zwei goldgelbe Augen, die sie überrascht ansahen. Die Violetthaarige kannte das Gesicht, welches sie dort ansah, und ihr blieb fast die Spucke weg, weshalb sie erstarrt das Handy, welches sie gerade gegriffen hatte wieder fallen ließ. Vor ihr hockte Akisu, das bekannte Idol, dessen Musik sie selbst am liebsten hörte. Akisu schien zu bemerken, dass Mirâ sie erkannt hatte und lächelte nur leicht, während sie ihren Zeigefinger vor ihren Mund legte, als Zeichen, dass die junge Frau es für sich behalten sollte. Danach griff das Idol nach ihrem rosanem Handy und ging, während die Violetthaarige ihr noch eine Weile erstarrt hinterher sah. Als sie sich eine halbe Stunde später auf den Heimweg machte, hatte sie entschlossen doch noch einmal kurz dem Konbini einen Besuch abzustatten und sich noch ein Sandwitch zu kaufen. Die späten Schichten in der Bar machten sie immer ziemlich hungrig. Zumindest, wenn sie nach der ganzen Arbeit nach Hause ging. Dann wollte sie auch nicht mehr ihre Mutter damit belästigen und um sich selbst etwas zu machen, war sie dann doch zu faul. Das gab sie auch ohne Umschweife zu. Der Konbini war in diesem Moment wirklich die einfachste Variante und sie nutzte diese Möglichkeit gerne, Geld hatte sie ja genug. Glücklich und mit einem Sandwich in der Hand wollte sie den Laden einige Minuten später wieder verlassen, als ihr an der Tür der Weg versperrt wurde. Erschrocken sah sie auf und erkannte die Schlägertypen, in welche sie vor einiger Zeit vor der Karaokebar gerannt war und vor denen sie von Shuichi gerettet wurde. Dieses Mal allerdings war kein Shuichi in der Nähe, der ihr hätte helfen können. "Hey, dich kenn ich doch.", sagte plötzlich einer der drei Männer, "Du bist doch die Kleine, die mir damals meine Jacke versaut hat." Die Violetthaarige zuckte zusammen und wollte mit gesenktem Kopf an den Dreien vorbei, doch diese versperrten ihr den Weg und ließen sie nicht vorbei. Was sollte sie nur machen? "Hey sag was! Dieses Mal kommst du nicht so einfach davon.", drohte ein weiterer, was Mirâ erneut zusammenzucken ließ. Wieso musste sie auch jetzt auf die drei stoßen? Sie hatte eigentlich gehofft sie nie wieder zu sehen. Eine Hand griff nach ihrer Schulter, doch löste ihren Griff kurz darauf wieder. "Macht es euch Spaß kleine Mädchen zu ärgern?", fragte eine tiefe männliche Stimme. Erschrocken sah Mirâ auf und erkannte hinter sich den jungen Mann, welcher sie vor einiger Zeit davor bewahrt hatte von einem Auto überfahren zu werden. Er hatte nach dem Handgelenk des einen Typen gegriffen und hielt ihn somit davon ab, nach der jungen Frau zu greifen. Wie bereits damals, als Shuichi sie gerettet hatte, wollten die Typen erneut aufmucken, doch der junge Mann blieb ruhig, wandte sich nur an den Verkäufer an der Kasse, welcher das Geschehen beobachtete, und meinte nur, dass dieser die Polizei verständigen sollte. Noch ehe der Verkäufer nach dem Telefon greifen konnte hatten die Typen daraufhin den Konbini wieder verlassen und waren verschwunden. Erleichtert atmete Mirâ auf und riskierte einen kurzen Blick neben sich, wo sich der junge Mann an ihr vorbeischob und auf ein Motorad zuging. Die junge Frau folgte ihm ein Stück: "Vi-Vielen Dank für die erneute Hilfe." Irritiert sah der Mann sie an, doch schien sie dann wieder zu erkennen: "Ach du bist das. Du scheinst das Unglück ja echt anzuziehen. Kanntest du diese Typen?" "Eher flüchtig.", meinte Mirâ nur trocken und der junge Mann schien zu verstehen, was sie damit sagen wollte. "Du solltest wirklich besser auf dich aufpassen.", meinte er dann jedoch. Die Violetthaarige senkte den Blick und seufzte: "Das sollte ich wirklich. Trotzdem vielen Dank, ähm." Mit einem Seitenblick musterte der Schwarzhaarige die junge Frau: "Alec." Irritiert darüber, gleich seinen Vornamen zu erfahren, sah Mirâ ihn fragend an, doch lächelte dann: "Alec. Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Freut mich." "Mirâ also. Du solltest dann nach Hause gehen. Eine junge Frau sollte so spät nicht mehr unterwegs sein. Du siehst ja wozu das führt.", meinte Alec und startete sein Motorrad, "Soll ich dich fahren?" Mirâ lächelte und lehnte dankend ab, immerhin war es nicht mehr weit bis zur U-Bahn und mit dieser musste sie auch nicht so extrem weit fahren. Außerdem war sie dann doch vorsichtig genug nicht auf ein fremdes Motorrad zu steigen, zumal sie eh Angst davor hatte. Mit einem "Alles klar" wünschte er der jungen Frau einen sicheren Heimweg, bevor er mit dem Fahrzeug davon fuhr. Mirâ sah ihm kurz nach und hörte in ihren Ohren eine bekannte Stimme, welche mit "Ich bin du, du bist ich" sagte, dass sie erneut einen neuen Social Link geformt hatte. Welcher, würde sich zeigen sobald sie zu Hause war. Vorher würde sie nicht mehr auf ihr Handy schauen. In der Hoffnung die Schlägertypen nicht wieder zu sehen machte sich die junge Frau auf den Weg zur U-Bahn, um nun endlich den restlichen Heimweg anzutreten. Kapitel 37: XXXVII - Unter Tierfreunden --------------------------------------- Sonntag, 19.Juli 2015 Ein plötzlich einsetzendes stetiges und ziemlich nerviges Piepen durchdrang die Stille und ließ Akane aus ihrem Schlaf aufschrecken. Irritiert saß sie in ihrem Bett und sah sich um, bis sie die Quelle des nervigen Geräusches feststellen konnte und ihren Wecker, welcher 6 Uhr anzeigte, mit einem bösen Murren ausschaltete. Sie musste wohl vergessen haben ihn am Abend auszuschalten. Das ärgerte sie. Mit Schwung schlug sie wieder die Decke über sich und legte sich mit dem Gesicht zur Wand noch einmal hin, in der Hoffnung an ihrem freien Sonntag noch etwas schlafen zu können. Wieder drang Stille in den Raum, während die Braunhaarige versuchte wieder einzuschlafen. Einige Minuten blieb sie so liegen, drehte sich dann auf den Rücken und versuchte es erneut, ehe sie sich wieder umdrehte und nun mit dem Gesicht in Richtung Zimmermitte lag. Die Augen behielt sie dabei weiterhin geschlossen, doch ein erneuter Schlaf wollte nicht eintreten. Genervt öffnete sie ihre Augen wieder und blickte plötzlich in zwei große braune Katzenaugen, welche sie schief ansahen. Leicht erschrocken wich Akane zurück, ehe sie realisierte, dass es sich dabei nur um ihre Katze Kuro handelte, welche vor ihrem Bett auf dem Teppich saß. Die Braunhaarige setzte sich auf und streckte sich: "Kuro, wie bist du hier reingekommen?" Eigentlich machte sie in der Nacht immer ihre Zimmertür zu, sodass ihre Katzen, welche ihre Körbchen alle im Wohnzimmer hatten, nicht hinein konnten. Bisher hatten sie es auch nicht geschafft ihre Tür aufzubekommen. Am Tag hatte die Braunhaarige nichts dagegen, wenn die kleinen neugierigen Kätzchen ihr Zimmer durchstreiften, aber Nachts konnten die Drei richtige Nervensägen sein, die sie nur vom Schlafen abhielten. Akane sah zu ihrer Zimmertür, welche jedoch geschlossen war. Wie war Kuro also in ihr Zimmer gelang? Ihr Blick richtete sich auf ihre Balkontür, welche einen Spalt weit offen war. Im Sommer schlief sie immer mit offener Tür, weshalb es nicht ungewöhnlich war, dass diese offen stand. Die junge Frau schlug die Bettdecke zur Seite und schritt auf den Balkon zu. Kuro sah zu ihr auf und tapste im nächsten Moment hinter ihr her, während sie auf den Balkon ging. Dieser ging links an ihrem Zimmer entlang und bog dann an der Hauswand nach links ab. Die Braunhaarige folgte dem Weg um das Haus herum und kam schließlich an eine weitere offene Balkontür. Vorsichtig sah sie in den Raum, welcher sich als ein geräumiges Schlafzimmer entpuppte. Zu ihrer Linken stand ein großes Ehebett und zu ihrer Rechten ein großer Kleiderschrank, vor welchem eine Frau mit braunem Haar stand und Wäsche sortierte. Sie schien Akane gar nicht zu bemerken. Erst als diese die Gardienen etwas zur Seite schob und diese dabei über die Gardinenstange rutschten, sah ihre Mutter in ihre Richtung. "Nanu? Du bist ja schon wach, Akane.", sagte sie erstaunt. "Uhm ja. Ich hab vergessen meinen Wecker auszumachen.", meinte Akane. Ihre Mutter lachte: "Oh je. Stressige Woche, was? Da kann man so etwas schon mal vergessen. Und wieso kommst du über den Balkon rein?" "Ach. Ich wollte schauen, wie Kuro es geschafft hat in mein Zimmer zu kommen.", meinte die junge Frau. "Kuro?", fragte ihre Mutter und blickte zu Akanes Beinen, um welche die schwarze Katze herumschlich, bevor sie an die Katze gerichtet meckerte, dass sie sich schon gewundert hatte wo diese war. Daraufhin erklärte sie, dass ihr Kuro wohl gefolgt sein musste, bevor sie sich über den Balkon in Akanes Zimmer begeben hatte. "Das konnte ich mir schon denken, immerhin war meine Zimmertür zu. Ich hab mich nur kurz gewundert.", meinte Akane und hob die schwarze Katze auf ihren Arm, bevor sie ihr ein paar Streicheleinheiten verpasste. Kuro ließ sich die Streicheleinheiten gefallen und schnurrte vergnügt vor sich hin. Akanes Mutter beobachtete ihre Tochter und die Katze kurz, bevor sie die letzten Sachen in den Schrank packte und dann meinte, dass sie nun wohl das Frühstück vorbereiten könne. Darauf sagte sie zu Akane, dass diese sich in der Zeit umziehen könnte, dieses Mal aber lieber durch das Haus gehen sollte, anstatt über den Balkon. Die Braunhaarige lachte verlegen und folgte ihrer Mutter dann aus dem Schlafzimmer in den Flur, bevor sie wieder in ihrem eigenen Zimmer verschwand. Kuro setzte sie im Flur wieder auf den Boden, als dieser sich nun doch wehrte und daraufhin Akanes Mutter in den unteren Stock folgte. Wenige Minuten später betrat Akane die Küche, wo ihre Eltern bereits am Tisch saßen. Ihr Vater sah kurz von seiner Zeitung auf und wünschte der jungen Frau einen guten Morgen, ehe er sich wieder seiner Lektüre widmete. Akane erwiderte den Gruß und setzte sich auf ihren angestammten Platz links neben ihrem Vater, ehe sie nach einem Toast griff, welches in der Mitte in einem Brotkorb lag. So verbrachte sie das Frühstück mit ihren Eltern, während Kuro, Tako und Ame um ihre Beine herum schlichen und Aufmerksamkeit forderten. Nachdem sie ihr Frühstück zu sich genommen und den drei Katzen ihre ihnen zustehende Aufmerksamkeit gegeben hatte, machte sie sich auf den Weg in Richtung der Tierpraxis, welche direkt an das Haus grenzte. Sie nutzte die Verbindungstür zwischen Haus und Praxis und trat in den geräumigen Wartebereich ein. Tako, welche ihr bis hierhin gefolgt war, blieb genau an der Türschwelle sitzen und schaute sie mit großen Augen an, ehe sie auf dem Absatz kehrt machte und zurück zu ihren beiden Kameraden lief. Lächelnd sah Akane der braunen Katze nach und musste erneut feststellen wie intelligent Katzen doch waren. Anfangs waren die drei Streuner der jungen Frau und ihren Eltern immer in die Praxis gefolgt, weshalb sie diese immer wieder zurück ins Haus bringen mussten. Irgendwann hatten sie verstanden, dass die Türschwelle die Grenze war, die sie nicht überschreiten sollten und hielten sich auch daran nicht mehr in die Praxis zu rennen. Die Braunhaarige schloss hinter sich die Tür und ging weiter durch die Praxis hindurch zu einem Durchgang, an welchem "Quarantänebereich" stand. Sie griff nach dem Schlüsselbund in ihrer Hosentasche und schloss auf. Dann trat in einen länglichen Gang, in welchem zu beiden Seiten jeweils drei Räume abgingen. Durch große Glasfenster konnte man in die Räume hineinschauen. Zielstrebig ging sie auf die letzte Tür zu ihrer Rechten zu und blieb vor dem Fenster stehen. Irritiert lehnte sie ihre Stirn an die kalte Scheibe, um besser in den Raum zu schauen, doch sie konnte nicht erblicken, was sie suchte. Also nahm sie erneut den Bund aus ihrer Tasche und suchte den passenden Schlüssel für den Raum. Vorsichtig öffnete sie die weiße Tür und trat ein, doch konnte immer noch nicht finden was sie suchte. Sie ging in die Hocke, um unter einem Tisch nachzusehen, doch auch dort fand sie nicht das Gewünschte. Plötzlich hörte sie ein grässliches Fauchen und etwas kam auf sie zugesprungen. Gerade noch so wich die Braunhaarige zurück, doch verhinderte das nicht, dass sie von etwas Scharfem am Bein getroffen wurde. "Au.", sie wich noch ein paar Schritte mehr zurück und konnte nun die Ursache des Übels erkennen. Vor ihr hockte eine kleine Katze mit grauem Fell, welche dieses sträubte, einen Katzenbuckel machte und fauchte. Um ihre linke Vorderpfote war ein dünner Verband gewickelt und ihr rechtes Ohr war leicht geteilt. Es war die kleine Katze, welche sie vor einiger Zeit gerettet hatte. Ihre Eltern hatten ihr so gut es ging geholfen und sie wieder aufgepäppelt. Trotzdem verbrachte sie die Zeit immer noch in diesem Raum, allerdings nicht, weil sie noch nicht fit genug, sondern sehr wild war. Jedes Mal, wenn man versuchte ihr näherzukommen griff sie an, so wie einen Moment zuvor auch Akane. Diese versuchte die Katze an sie zu gewöhnen, doch bisher war dies von eher wenig Erfolg gekrönt. Seufzend ließ sich die junge Frau auf den Boden nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, während sie die kleinen Kratzer an ihrem Bein betrachtete. "Oh je. Was haben sie dir nur angetan, dass du so verängstigt bist?", fragte sie die Katze vor sich anschließend. Diese machte immer noch einen Buckel und fauchte sie an, doch rührte sich nicht vom Fleck. Auch Akane machte keine weiteren ruckartigen Bewegungen, sondern blieb einfach ruhig sitzen und beobachtete die Kleine, während sie auf sie einredete. "Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich will dir nur helfen. Leider verstehst du mich nicht. Ich frage mich wirklich wer dir das angetan hat.", murmelte sie leise vor sich hin. Es dauerte eine Weile, doch dann entkrampfte sich die kleine Katze endlich. Sie legte ihr Fell wieder an und setzte sich vorsichtig auf den Boden, ohne auch nur die großen blauen Augen von der Braunhaarigen zu nehmen. Auch in dieser Position blieb sie einige Minuten sitzen, ehe sie sich doch traute langsam auf Akane zuzugehen. Diese bewegte sich keinen Millimeter und beobachtete das Kätzchen ganz ruhig, welches mittlerweile ihr Bein erreicht hatte und an der Wunde schnüffelte, die sie der Braunhaarigen zugefügt hatte. Bei jedem Geräusch, welches erklangt, und war es auch noch so leise, zuckte die kleine Katze zusammen, doch ließ sich ansonsten nicht weiter daran beirren die Wunde zu begutachten. Weiter als bis zu Akanes Bein traute sie sich allerdings nicht. So saß die Braunhaarige eine ganze Weile still auf dem Boden und beobachtete das graue Fellknäul. Erst als ein leises Klopfen zu hören war machte sich die Kleine wieder aus dem Staub hinüber zum Kratzbaum, welcher auf der anderen Seite stand, um sich darin verstecken zu können. Leicht erschrocken sah die junge Frau auf und erkannte ihren Vater, welche von dem Gang aus in den Raum hineinschaute. Vorsichtig erhob sich Akane und schaute noch einmal zu der Katze, welche verängstigt aus dem Gehäuse des Kratzbaumes schielte, bevor sie den Raum verließ. "Du kannst es nicht lassen, was?", meinte ihr Vater mit dem Blick auf die Kratzer auf ihrem Bein gerichtet. "Du kennst mich.", kam es nur seufzend von der Angesprochenen, "Außerdem ist es nur ein Kratzer. Die Kleine hatte halt Angst, da ist es selbstverständlich, dass sie sich wehrt. Ich hatte sie ja fast so weit. Sie kam schon näher ran, als letztes Mal." Ihr Vater seufzte, doch lächelte sie an: "Ja so kenn ich dich. Du bist eben absolut Tiervernarrt. Das hast du von deiner Mutter. Was hast du eigentlich mit der Kleinen vor, wenn es ihr wieder besser geht?" Mit einem allessagenden Blick sah Akane ihren Vater an, welcher sich ein Lachen nicht verkneifen konnte und meinte, dass er sich so was hätte denken können. "Hauptsache sie versteht sich mit Kuro, Tako und Ame. Nicht das es da Probleme gibt.", sagte ihr Vater abschließend. Die Braunhaarige ging an ihm vorbei und meinte, dass sie sich schon darum kümmern würde. Dann verabschiedete sie sich von ihrem Vater und verließ die Praxis, um sich etwas die Beine zu vertreten. Nachdem sie das Gebäude verlassen hatte sah sie auf ihr Smartphone und überlegte, ob sie Mirâ anrufen sollte. Es war mittlerweile später Vormittag. Ihre Freundin sollte also auch wach sein. Doch dann steckte sie ihr Handy wieder weg, als sie sich erinnerte, dass am Dienstag die Prüfungen begannen und Mirâ mit Sicherheit lernen würde. Sie seufzte. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn auch sie ihre freien Tage lieber zum Lernen nutzen würde. Da am morgigen Tag ein Feiertag, der Tag des Meeres, war, konnte sie auch diesen Tag noch nutzen. "Urgh. Ich hab eigentlich überhaupt keine Lust zu lernen.", nuschelte die Braunhaarige vor sich hin, "Aber es nützt ja nichts." Doch anstatt zurück ins Haus zu gehen lief sie einfach in Richtung Stadt los. Ein gewisses Ziel hatte sie nicht, doch nach einer Weile erreichte sie den Fluss und blieb oben auf dem Damm, auf welchem auch die Hauptstraße verlief, stehen. Als sie hinunter zum Fluss sah, welcher zu beiden Seiten von einer grünen Wiese eingekesselt war, erkannte sie mehrere Kinder, welche auf einem dafür vorgesehenen Platz Fußball spielten. Etwas weiter weg von dem Platz erkannte sie ein Pärchen, welches es sich mit einer Decke auf der Wiese bequem gemacht hatte. Auch Angler waren an diesem Tag unterwegs und versuchten ihr Glück. Doch am meisten fiel der Braunhaarigen der helle große Hund auf, welcher fröhlich über die Wiese sprang und ab und an zu einer Person rannte, welche auf dem Hügel saß und den Hund beobachtete. Die dunkelblauen Haare mit dem schwarzen Ansatz kannte Akane, weshalb sie sich entschloss auf diese Person zuzugehen. "Hallo Senpai. Geht es dir wieder besser?", fragte sie, als sie die Person erreicht hatte, worauf diese sich zu ihr umdrehte und sie fragend ansah. "Ach. Du bist es. Chiyo, richtig?", entgegnete ihr Yasuo ruhig, schon fast gelangweilt, "Ja es ist alles in Ordnung. Danke der Nachfrage. Und bei dir?" Fragend sah die Braunhaarige ihn kurz an und lächelte dann: "Ja. Alles in Ordnung. Uhm... Danke noch mal für damals." Wieder stieg ihr eine leichte Röte ins Gesicht, weshalb sie in Richtung Fluss sah, in der Hoffnung Yasuo würde es nicht mitbekommen. Dieser wandte seinen Blick ebenfalls von der jungen Frau ab und sah zu Bejû, welcher immer noch vergnügt über die Wiese tollte. "Kein Problem. Ihr habt mich da immerhin rausgeholt.", meinte der Blauhaarige nach kurzem Schweigen, "Im Übrigen: Danke, dass du dich um Bejû gekümmert hast." Erneut sah Akane zu dem jungen Mann, welcher ihr erklärte, dass seine Großmutter ihm auch noch Mal bestätigt hatte, dass sie sich um Bejû gekümmert hatte, während er weg war. Sie hatte ihm auch erzählt, dass der beige Hund nach seinem Verschwinden ziemlich lethargisch war und sich die ganze Zeit vor seinem Zimmer aufgehalten habe. "Großmutter meinte auch, dass er wieder fröhlicher war, als du dich um ihn gekümmert hast. Deshalb danke.", beendete Yasuo seine Ausführung. In diesem Moment schien auch Bejû bemerkt zu haben, das Akane bei seinem Herrchen stand und kam auf die Beiden zugerannt. Völlig überschwänglich sprang der große Hund die Braunhaarige an, was sie beinahe von den Beinen geworfen hätte. Gerade so konnte sie sich noch halten, indem sie instinktiv einen Schritt zurückging, sodass Bejû nun vor ihr stand und sie hechelnd und mit dem Schwanz wackelnd ansah. Die junge Frau lachte und brachte Bejû mit einem "Sitz" dazu sich zu setzen, bevor sie ihm freudig über den Kopf strich und meinte, was für ein guter Junge er doch sei und dass sie sich auch freue ihn zu sehen. Yasuo beobachtete die Beiden eine Weile, ehe er leicht lächelte: "Kaum zu glauben, dass Bejû so auf dich hört und sich freut dich zu sehen. Eigentlich ist er Fremden gegenüber sehr aufmüpfig." "Naja, wir sind ja keine Fremden mehr. Nicht wahr Bejû?", Akane setzte sich auf die Wiese, während sie Bejû weiter streichelte, welcher ihr kurz übers Gesicht schleckte, "Haha. Das kitzelt." Der Blauhaarige stimmte dem zu, erklärte aber trotzdem, dass es bei Bejû eigentlich sehr lange dauerte, bis er anderen gegenüber auftaute. Befehle nahm er eigentlich nur von ihm und seiner Großmutter entgegen. Auf seinen Großvater würde der Hund gar nicht hören. Dieser musste sogar aufpassen nicht gebissen zu werden und das obwohl Bejû bereits seit vielen Jahren bei ihnen lebte. Die beiden wurden einfach nicht warm miteinander. Auch Nachbarn, die sie bereits viele Jahre kannten, bellte er meistens nur an. Warum Bejû so drauf war, wusste Yasuo allerdings auch nicht, aber hergeben wollte er ihn auch nicht. Deshalb jedoch fand der Blauhaarige es so komisch, dass sein Hund mit jemandem warm wurde, den er erst ein paar Tage kannte. Allerdings freute ihn das auch. Mit großen Augen sah Akane den jungen Mann an und wieder lief sie rot an, weshalb sie den Blick senkte, woraufhin Bejû ihr erneut darüber leckte und sie dann wieder in freudiger Erwartung ansah. Die Braunhaarige wusste nicht, was sie darauf sagen sollte und schwieg stattdessen. Irgendwie war ihr das peinlich. Sie spürte regelrecht wie ihr Gesicht bis zu den Ohren glühte. Ihr war mittlerweile auch klar, dass diese Röte nun nicht mehr zu übersehen war. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Was war nur mit ihr los? "Was hast du denn dort gemacht?", kam plötzlich eine Frage, welche sie aufschrecken und wieder zu Yasuo blicken ließ. Dieser zeigte auf die Kratzer an ihrem Bein. Reflexartig verdeckte sie die Kratzer mit ihrer Hand und erklärte, dass ihre Eltern eine Tierpraxis hatten und was am Morgen passiert war, als sie die kleine Patientin besucht hatte. "Aber die Kratzer sind nicht schlimm. Ich bin es gewohnt, immerhin werde ich irgendwie ständig von meinen Katzen gekratzt, wenn sie spielwütig sind.", lachte sie, "Ich habe nämlich schon drei Katzen, musst du wissen. Alles Notrettungen, genau wie die kleine Katze, um die sich meine Eltern gerade kümmern." Die junge Frau wusste nicht genau warum sie dem Blauhaarigen das alles erzählte. Es sprudelte einfach aus ihr heraus und der junge Mann hörte schweigend zu. Dann meinte dieser zu wissen, weshalb Bejû auf die junge Frau so ruhig reagierte. Er war der Meinung, dass Akane so eine Art an sich hatte, die auf Tiere eine anziehende Wirkung hatte. Die Braunhaarige lachte darauf nur und meinte, dass sie es dann komisch fand, dass die kleine Katze sie gekratzt hatte, aber sie das so noch nie gesehen hätte. "Aber ich liebe Tiere und ich möchte später mal einen Beruf ausführen, wo ich mit Tieren zusammenarbeiten kann. Es hat auch riesigen Spaß gemacht mit Bejû Gassi zu gehen. Da wir Katzen haben, können wir keinen Hund halten. Außerdem würden das meine Eltern zeitlich gar nicht schaffen. Es war also eine willkommene Abwechslung für mich.", meinte sie anschließend. "Ich verstehe. Also... wenn du mal wieder Lust bekommst mit Bejû Gassi zu gehen, dann... komm doch einfach mal vorbei. Bejû freut sich ganz sicher. Er ist ja jetzt noch ganz aus dem Häuschen, dass du hier bist.", bot Yauso ihr plötzlich an, woraufhin ihn Akane erneut mit großen fragenden Augen ansah. Der Blauhaarige jedoch sah wieder in Richtung Fluss und schien gar nicht mitzubekommen, dass die Braunhaarige ihn ansah. Kurz legte sich Schweigen zwischen die Beiden, ehe Akane mit hochrotem Gesicht und einem leisen "gerne" nickend und lächelnd zustimmte. Am Abend hing die Braunhaarige über ihren Büchern und kaute auf ihrem Bleistift herum, doch hatte bisher nichts wirklich lernen können. Sie hatte den Nachmittag noch zusammen mit Yasuo und Bejû am Fluss verbracht und mit dem beigen Hund herumgetollt. Dabei hatte sie vollkommen die Zeit vergessen. Erst als ihre Mutter sie anrief, wo sie denn die ganze Zeit sei, war ihr in den Sinn gekommen, dass sie langsam nach Hause musste. So hatte sie sich dann von dem Älteren verabschiedet und war nach Hause gegangen. Nun saß sie hier und seufzte zum gefühlten hundertsten Mal. Sie blickte in ihr Mathebuch, auf die ganzen Formeln und Rechenwege, doch sie nahm sie nicht wirklich wahr. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Yasuo hatte ihr angeboten, dass sie mit Bejû Gassi gehen konnte, wenn sie das wollte. Das machte sie irgendwie glücklich. Aber konnte sie dann einfach jeden Tag hingehen? Oder sollte sie sich vorher ankündigen? Aber wie, ohne Telefonnummer? Sie raufte sich die Haare, als ihr anfiel, dass sie gleich nach der Handynummer des Blauhaarigen hätte fragen sollen. Erneut seufzend legte sie ihren Kopf auf ihre auf dem Tisch verschränkten Arme. Was war nur los mit ihr? So unkonzentriert kannte sie sich gar nicht und gerade jetzt war es wichtig für sie zu lernen. Aber egal was sie versuchte, sie konnte sich einfach nicht darauf konzentrieren. Sie schloss die Augen, versuchte so etwas herunterzukommen und döste leicht weg, doch schreckte wieder auf, als ihr Handy plötzlich neben ihr laut vibrierte. Erschrocken schaltete sie das Display ein und sah in der Anzeige, dass es sich um eine Nachricht von Mirâ handelte, welche sie öffnete. 'Naaaaa. :) Wie kommst du mit dem lernen voran?', war die Frage. 'Nicht gut. D: Komme überhaupt nicht voran. Kann mich nicht konzentrieren. -_-', antwortete sie ihrer Freundin, welche daraufhin nur fragte, was los sei. Akane überlegte kurz, ob sie Mirâ davon erzählen sollte, doch schrieb dann kurz und bündig, was ihr an diesem Tag wiederfahren war. Danach dauerte es eine gefühlte Ewigkeit bis ihre Freundin antwortete. 'Ah ja? *g*', kam die ziemlich kurze Frage, was Akane stutzen ließ und dieses auch an Mirâ schrieb. Diese antwortete daraufhin nur, dass sie sich am nächsten Tag noch einmal zum Lernen treffen sollten und dass sie dann alles ganz genau wissen wollte. So wirklich half das der Braunhaarigen auch nicht weiter. Was meinte sie damit? Trotz vielen Fragezeichen über dem Kopf, stimmte Akane zu und so verabredeten sich die beiden Mädchen für den nächsten Tag zum Lernen bei Mirâ. Nachdem das Gespräch beendet war, schaute die junge Frau noch eine Weile auf das ausgeschaltete Display, ehe sie das Handy beiseitelegte und sich von ihrem Schreibtisch erhob. Sie streckte sich einmal richtig und beschloss, dass es keinen weiteren Sinn machen würde weiter zu lernen, immerhin konnte sie sich eh nicht konzentrieren. Stattdessen sammelte sie ihre Sachen zusammen. Sie entschloss sich dazu erst einmal baden zu gehen und danach weiterzusehen. So verließ sie ihr Zimmer, um den Tag mit einem schönen heißen Bad ausklingen zu lassen und so vielleicht wieder auf andere Gedanken zu kommen. Kapitel 38: XXXVIII - Geheimnisse --------------------------------- Montag, 20.Juli 2015 – Tag des Meeres / Feiertag „Hier habt ihr etwas zu trinken, Kinder.“, sagte Akanes Mutter freundlich, während sie sechs Gläser und eine Karaffe Eistee auf einen kleinen Tisch stellte. „Vielen Dank, Chiyo-San. Das ist sehr freundlich von Ihnen.“, bedankte sich Masaru höflich, woraufhin die braunhaarige Frau mit einem Lächeln wieder im Haus verschwand und die Gruppe auf der Terrasse alleine ließ. Akane blickte über den großen Gartentisch, auf welchem verschiedene Hefte und Bücher ausgebreitet waren, und fragte in die Runde, wie es eigentlich dazu kam, dass sie nun so viele waren. Neben ihr saß Mirâ und neben dieser, am Tischende, hatte Masaru Platz genommen. Mirâ gegenüber saß Kuraiko, welche konzentriert in ihr Buch blickte und darauf bestanden hatte, dass Hiroshi den Platz neben ihr besetzte. Der Grund dafür befand sich neben Akane, am anderen Tischende: Shuya, welcher bereits über seinen Heften eingeschlafen war und leise vor sich hin säuselte. Gemeinsam hatte sich die Gruppe an diesem Tag bei Akane getroffen, um für die kommenden Prüfungen zu lernen. Die Braunhaarige seufzte, denn eigentlich war sie nur mit Mirâ verabredet gewesen. Diese hatte sie jedoch etwas später am Abend noch einmal angeschrieben, ob es ein Problem wäre, wenn auch die Anderen kommen würden. Da Akane ihrer besten Freundin recht selten etwas abschlagen konnte, hatte sie zugestimmt. Und nun saßen sie hier gemeinsam auf der überdachten Terrasse von Akanes Elternhaus. „Tut mir leid, Akane. Das kam so plötzlich.“, entschuldigte sich Mirâ noch einmal bei ihrer besten Freundin, doch diese schüttelte nur den Kopf, als Zeichen, dass es okay sei. Genügend Platz hatten sie hier immerhin und ihre Eltern würden sich auch nicht gestört fühlen. „Aber warum muss er dabei sein?“, fragte Kuraiko etwas abwertend, während sie, ohne von ihrem Buch aufzuschauen, auf Shuya zeigte, welcher weiter den Schlaf der Gerechten schlief. Hiroshi kratzte sich am Hinterkopf und entschuldigte sich sogleich: „Ich hab ihm erzählt, dass wir gemeinsam lernen wollen. Er muss geahnt haben, dass du dabei bist, deshalb wollte er unbedingt mit.“ Die Schwarzhaarige seufzte genervt, doch beließ es erst einmal dabei und las weiter in ihrem Englischbuch: „Naja… in diesem Zustand nervt er wenigstens keinen.“ „Auch wieder wahr.“, lachte der Blonde, doch sah dann etwas besorgt zu seinem besten Kumpel. Eigentlich hatte er ja gehofft, dass Shuya es dieses Mal schaffen würde sich etwas aufs Lernen zu konzentrieren. Aber der Violetthaarige war bereits nach einer guten halben Stunde eingeschlafen. Hiroshi seufzte. Wenn er so weiter machen würde, würde er wohl irgendwann gewaltig durch die Prüfungen rasseln. Bisher hatte er immer ziemlich viel Glück gehabt, was seine Ergebnisse anging. Aber wie lange würde das wohl noch gut gehen? Erneut seufzte der Blonde leise und blickte wieder auf sein Geschichtsbuch. Er musste dieses Mal ein besseres Ergebnis in den Prüfungen schaffen, sonst würde ihn seine Mutter wohl vor die Tür setzen. An die letzte Auseinandersetzung wegen der Prüfungen wollte er gar nicht mehr denken, da hatte sie ihm wirklich die Hölle heiß gemacht. Wenn es nicht so nervig wäre, würde er sich wahrscheinlich nicht einmal Gedanken darüber machen, aber das Gemecker war einfach unerträglich. „Senpai, ich hoffe es war okay für dich und wir stören dich nicht.“, wandte sich Mirâ an Masaru, welcher sie daraufhin kurz mit einem fragenden Blick bedachte. Er schien kurz zu überlegen, was Mirâ meinte, doch lächelte dann: „Nein alles gut. Ehrlich gesagt finde ich es schön in solch einer Runde zu lernen. Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“ „Ich hätte gedacht, dass du dich mit Kazuma-Senpai zusammensetzt und lernst.“, murmelte Kuraiko beiläufig. Der Schwarzhaarige lachte: „Ja das haben wir früher auch oft gemacht. Meistens gehen wir in die Bibliothek oder so. Bei mir im Tempel ist es zu lauft zum Lernen und auch bei Dai hat man kaum Ruhe. Eigentlich wollte er auch heute lernen, aber er schrieb mir gestern Mittag, dass er nun doch etwas anderes vorhat. Da kam mir die Einladung von euch ganz gelegen.“ Fragend blickte Mirâ ihren Senpai an: „Kann es sein, dass Kazuma-Senpai mit Iwato-Senpai unterwegs ist?“ „Mit Hime? Wie kommst du darauf?“, kam die Gegenfrage. Sofort senkte die Violetthaarige den Blick und schüttelte den Kopf, meinte aber, dass sie so ein Gefühl hatte. Masaru sah sie noch kurz fragend an und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück, ehe er sagte, dass ihm auch aufgefallen war, dass sich beide in letzter Zeit ziemlich gut verstanden und es gut möglich sein könnte. Jedoch meinte der Schwarzhaarige auch, dass Dai nicht genauer ins Detail gegangen sei und er selber auch nicht so neugierig war, dass er da genauer nachgefragt hatte. „Aber wenn das mit den Beiden was werden würde, würde es mich für Dai freuen.“, grinste Masaru daraufhin und schien damit darauf andeuten zu wollen, dass auch ihm Dais Zuneigung für Amy nicht entgangen war. „Apropos Senpai.“, kam es plötzlich verschlafen vom anderen Tischende, woraufhin alle Blicke auf Shuya gerichtet waren, welcher sich seine Augen rieb und kurz streckte, „Was ist eigentlich an dem Gerücht dran, dass ein Schüler aus eurer Klasse schon ewig fehlt? Ich habe gehört er soll verschwunden sein.“ Mit großen Augen sah die Gruppe den Violetthaarigen an, welcher erwartungsvoll zu Masaru blickte. „Da fällt mir ein. Du hattest doch auch mal eine Zeit lang gefehlt… und…“, sein Blick wanderte zu Kuraiko, „Du hattest doch auch vor zwei Monaten ewig gefehlt, Fuka-Chan.“ „Was heißt hier ewig? So lange war das doch gar nicht. Ich war halt krank.“, meinte Kuraiko genervt. „Solange? Senpai, willst du mir auch weißmachen, dass du krank warst? Verarscht mich nicht.“, sagte Shuya und kniff seine Augen etwas zusammen, „Im Fußballklub wurde viel geredet. Und damals hieß es, dass ihr verschwunden seid. Genau, wie der Schüler aus deiner Klasse aktuell, Senpai. Und jedes Mal, nachdem ihr wieder aufgetaucht seid, wurde eure Gruppe größer. Ist ja schwer zu übersehen. Also was geht da bei euch ab?“ Die Gesichtsfarbe aller Anwesenden nahm urplötzlich die Farbe der weißen Hauswand an, als ihnen klar wurde, das Shuya ihnen auf die Schliche kam. Hatten sie sich so auffällig verhalten? Naja, es war wirklich nicht zu übersehen, dass sie plötzlich alle aufeinanderhingen. Hätten sie sich in der Beziehung anders verhalten sollen? Wie sollten sie das Shuya erklären? Sie konnten ihm doch schlecht von der Welt im Spiegel erzählen. „W-Wie kommst du darauf, dass etwas bei uns abgeht, Shuyan?“, fragte Hiroshi nervöser, als er eigentlich wollte. Ein durchdringender ernster Blick von seinem Kumpel traf ihn, woraufhin er etwas zusammenzuckte: „Versuch mich nicht aufs Kreuz zu legen, Hiroshi. Selbst ein Blinder würde merken, dass ihr irgendein Geheimnis habt, was euch zusammenschweißt. Und es muss etwas mit dem plötzlichen Verschwinden der Schüler zu tun haben.“ Wieder sah er in die Runde, welche kurz vor sich hin schwieg. „Du interpretierst da etwas hinein, was gar nicht existent ist.“, meinte plötzlich Akane, woraufhin alle Blicke auf sie gerichtet waren, „Ehrlich gesagt ist es vor allem Mirâ, die uns alle verbindet, musst du wissen. Sie hilft Kuraiko ab und zu im Botanik Klub aus, weshalb sich die beiden angefreundet haben. Dadurch konnten wir Kuraiko besser kennenlernen. Und Masaru hat sie über Kazuma-Senpai kennengelernt, immerhin sind die Beiden gut befreundet. Mirâ hat halt eine Art an sich, die es einem fast unmöglich macht sich nicht mit ihr zu verstehen. Du bist doch auch über Hiroshi in unsere Gruppe gekommen und müsstest das mitbekommen haben. Oder etwa nicht? Dass Kuraiko und Senpai eine Weile gefehlt haben war purer Zufall. Außerdem solltest du nicht so viel auf Gerüchte geben. Du weißt ja, es gab ja auch schon die Gerüchte um das Spiegelspiel. Das wird dir doch etwas sagen, oder? Seit einiger Zeit hört man kaum noch etwas davon. Also war es nur ein Gerücht. Das Gleiche gilt für die Gerüchte um die verschwundenen Schüler. Und um dich zu beruhigen, der Schüler aus Senpais Klasse war auch nur krank. Ich weiß es, weil ich mich einige Zeit um seinen Hund gekümmert habe, weil er es aus gesundheitlichen Gründen nicht konnte.“ Der Gruppe blieb fast der Mund offen stehen, als sie der Erklärung der Braunhaarigen folgten und mussten sich zurückhalten, nicht allzu erstaunt zu wirken. Sie hatte auf die Schnelle eine plausible Erklärung für ihr zusammenraufen gefunden und somit ihren Kopf aus der Schlinge gezogen, sofern Shuya der Erklärung Glauben schenkte. Dieser sah die Braunhaarige mit einem misstrauischen Blick an, welche diesem aber standhielt, woraufhin der junge Mann die Hände hob und sich zurück lehnte. „Gut ihr habt gewonnen. Ich will euch das mal glauben, immerhin hat Shingetsu-Chan in der Tat eine solche Aura um sich.“, sagte er daraufhin ergeben und stand auf, um sich ein Glas Eistee einzugießen, „Wollt ihr auch?“ Ein synchrones Nicken der Gruppe folgte, woraufhin Shuya den Eistee auf die Gläser verteilte und diese dann an die Anderen weiterreichte. Nach der kurzen Pause und einem weiteren Gespräch, wo es allerdings dieses Mal wieder um Shuyas Flirtereien ging, setzte sich die Gruppe wieder ans Lernen. Auch der Violetthaarige beteiligte sich nun an der Lernrunde und die Sache mit der Spiegelwelt schien wieder vergessen. Am späten Nachmittag verabschiedete sich die Gruppe voneinander und jeder Einzelne machte sich auf den Heimweg. Nur Hiroshi und Shuya gingen gemeinsam nach Hause, da sie erstens den gleichen Weg hatten und der Blonde zweitens Angst hatte, dass sich sein bester Kumpel wieder verlaufen würde. Der gemeinsame Heimweg war an sich wie immer. Shuya machte seine üblichen Witze und Hiroshi ging darauf ein, doch kaum hatten sie die Kreuzung erreicht, wo sich beide trennen wollten, schlug die Stimmung des Violetthaarigen um. Ernst legte er seinem Kumpel die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an: „Hör mal Hiro. Jetzt sei ehrlich mit mir. Was geht da bei euch ab?“ „Was meinst du?“, Hiroshis Nervosität kehrte schlagartig zurück, da er ahnte, was sein Kumpel meinte. „Du weißt was ich meine.“, Shuya ließ seinen Kumpel wieder los und blickte in den sich langsam orangefärbenden Himmel, „Auch wenn Chiyo eine plausible Erklärung abgeliefert hat, wo auch immer sie die her hatte, entspricht es nur zum Teil der Wahrheit. Oder? Also was treibt ihr? Und was hat es mit den verschwundenen Schülern auf sich?“ Sein Blick wanderte zurück zu dem Blonden, welcher ihn allerdings nur anschwieg, woraufhin er seufzte: „Ich versteh schon. Du scheinst mir wohl doch nicht so zu vertrauen. Naja… wie du meinst.“ Der Violetthaarige wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Hiroshi nun doch das Wort ergriff: „Warte. Es… es tut mir leid, Shuyan. Aber… ich kann dir das einfach nicht erzählen. Noch nicht jedenfalls, weil wir es selber noch nicht wirklich verstehen. Deshalb…“ Shuya blieb stehen und sah seinen Kumpel aufmerksam an. Dieser hatte den Blick leicht gesenkt und seine rechte Hand um den Träger seines Rucksacks verkrampft. Man sah ihm an, dass er mit sich kämpfen musste Shuya nicht einfach alles zu erzählen. Dieser seufzte plötzlich: „Schon gut. Ich versteh schon. Scheint eine ziemlich große Sache zu sein, an der ihr da dranhängt. Tut mir leid, wenn ich dich unter Druck gesetzt habe. Aber ich habe eine Bitte…“ Fragend blickte Hiroshi wieder auf und sah wie Shuya auf ihn zukam und ihm seine Hand auf die Schulter legte, bevor er ihn mit einem ersten Blick ansah: „Passt bitte auf euch auf!“ Die blauen Augen des Blonden weiteten sich kurz, ehe er seinen Kumpel angrinste und nickte. Auch dieser grinste nun wieder und ließ Hiroshi wieder los. „Solltet ihr doch irgendwie Hilfe brauchen, dann denk bitte dran, dass ich sofort zur Stelle bin. Okay?“, daraufhin streckte sich der Violetthaarige kurz und entfernte sich von seinem Kumpel, „Ich mach mich dann nach Hause. Mach‘s gut, Hiro.“ „Ja mach’s gut. Und verlauf dich nicht wieder.“, rief Hiroshi Shuya noch nach. Dieser winkte nur kurz und meinte lachend, dass er dann einfach ihn anrufen würde, immerhin würde er ihn immer wieder retten. Damit war er kurz darauf, um die nächste Ecke verschwunden. Hiroshi sah ihm kurz nach und murmelte eine kurze Entschuldigung. Gerne hätte er Shuya alles erzählt, immerhin wusste er, dass man dem Violetthaarigen vertrauen konnte. Es war auch nicht die Angst, dass Shuya ihn für völlig verrückt halten würde, sondern, dass dieser sich selber in Gefahr bringen würde, um ihnen zu helfen. Er kannte seinen besten Kumpel nur zu gut und wusste genau, dass dieser solch eine Dummheit begehen würde. Mit diesem Gedanken und einem Seufzen machte er sich nun auch auf den Heimweg. Später Abend Mirâs Smartphone vibrierte, woraufhin sie von ihrem Buch aufsah. Sie hatte sich noch vorgenommen etwas zu lernen und kam bis zu diesem Zeitpunkt auch ziemlich gut voran. Doch nun interessierte sie doch, welche Nachricht da eben eingegangen war. So nahm sie ihr rotes Handy von der Tischplatte und endsperrte das Display, nur um festzustellen, dass es eine Nachricht in ihrem Gruppenchat war. Schnell öffnete sie diese und las die Nachricht, welche Hiroshi geschrieben hatte: ‚Shuya hat auf dem Heimweg noch einmal nachgehakt. Er hat Akane dann wohl doch nicht ganz geglaubt. Ich habe nichts Wichtiges verraten, nur so viel, dass ich ihm vorerst nichts dazu sagen kann. Er wird wohl erst einmal Ruhe geben. Trotzdem sollten wir aufpassen. Ich will ihn da auch nicht mit reinziehen. Gute Nacht.‘ Leicht schockiert sah Mirâ auf die Nachricht vor sich und musste feststellen, dass sich Shuya nicht so leicht an der Nase herum führen ließ wie die Meisten. Sie konnte auch Hiroshis Standpunkt verstehen, immerhin ging es um seinen besten Kumpel. Nach den Prüfungen sollten sie sich wohl noch einmal in Ruhe darüber unterhalten und überlegen, wie sie verhindern konnten noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mit diesem Gedanken legte Mirâ ihr Handy wieder beiseite und richtete den Blick auf den langsam wieder zunehmenden Mond, während sie ihren Gedanken nachhing. Kapitel 39: XXXIX - Die Ferien beginnen --------------------------------------- Dienstag, 21.Juli 2015 - Samstag, 25.Juli 2015 - Examen Montag, 27.Juli 2015 "Every Day ist great at your Junes!", schallte es zum wiederholten Male über den Food Court. Genervt stöhnte Kuraiko auf: „Wenn ich diesen Slogan noch einmal höre lauf ich Amok.“ Erschrocken sah Mirâ zu ihrer Freundin, da sie mit diesem Ausspruch nicht gerechnet hatte, doch versuchte sogleich die Schwarzhaarige zu beruhigen: „Bitte beruhig dich, Kuraiko. Er wird sicher gleich kommen.“ Es war ein warmer Sommertag, an dem sich die Gruppe um Mirâ auf dem Food Court des, in Kagaminomachi ansässigen, Junes getroffen hatte. Die Prüfungen waren vorbei und die Sommerferien hatten begonnen, sodass sich die Gruppe vorerst nicht mehr um Dinge wie Lernen kümmern musste. Zur großen Freude einiger ihrer Freunde. Doch hatten sie sich dieses Mal nicht ohne Grund verabredet. Am letzten Tag der Prüfungen hatte Yasuo Masaru vor dem Heimweg abgefangen und darum gebeten mit der Gruppe sprechen zu können, da es ihn nun doch etwas interessierte, was in dieser komischen Welt eigentlich geschehen war. Der junge Mann hatte selber Tag und Uhrzeit genannt, da es ihm wohl zu umständlich war sich nach anderen zu richten, sodass Masaru alles an die Gruppe weiterleiten musste. So saßen sie nun alle dort und warteten, doch von der Hauptperson fehlte bisher jede Spur. Mirâ riskierte einen kurzen Blick auf die große Uhr, welche in der Mitte des Food Courts stand und musste feststellen, dass es bereits nach 12 Uhr war. „Wie soll ich mich beruhigen?“, schimpfte ihre schwarzhaarige Freundin plötzlich, „Wir waren 11 Uhr hier verabredet, aber von Esuno ist noch nichts zu sehen. Als hätte ich nichts Wichtigeres vor, als auf ihn zu warten.“ „Sich darüber aufzuregen bringt aber auch nichts.“, nuschelte Hiroshi, welcher halb auf dem Tisch lag und auf seinem Strohhalm herum kaute. Kuraiko strafte den Blonden daraufhin mit einem finsteren Blick, doch dieser schien das völlig zu ignorieren und streckte sich lieber, sodass er an eine sich streckende Katze erinnerte. Danach gähnte er und meinte, dass sie lieber froh sein sollte, dass sie endlich Ferien hätten und an diesem Tag auch noch schönster Sonnenschein war. Immerhin begann nun langsam die Regenzeit und sie hätten genauso gut in strömenden Regen geraten können. Stattdessen hatten sie wunderschönes Wetter und sollten dieses genießen. „Zur Not können wir ja auch noch ins Freibad gehen, wenn Esuno nicht auftaucht.“, meinte er anschließend grinsend. Genervt stöhnte die Schwarzhaarige erneut: „Deine Gelassenheit will ich mal haben. Wenn du die mal lieber während der Prüfungen gehabt hättest.“ Abrupt schliefen Hiroshi die Gesichtszüge ein, da er genau wusste worauf die Schwarzhaarige hinaus wollte. Die Prüfungen waren mal wieder eine einzige Katastrophe gewesen, das wusste er. Er hatte zwar auch seine guten Fächer gehabt, wo er keine Probleme beim Beantworten der Fragen hatte, aber leider waren auch wieder viele dabei, die ihm Probleme bereitet hatten. Und leider wurden die Prüfungen nicht Einzeln gezählt sondern immer zusammen. Sofort ließ der Blonde seinen Blick sinken und legte seinen Kopf auf seine ausgestreckten Arme. Ein triumphierender Ausdruck umspielte Kuraikos Gesicht, da sie wusste, dass sie gewonnen hatte. Mirâ seufzte auf diese übliche Diskussion nur, während ihr Blick zu Masaru wanderte, der nur ungläubig den Kopf schüttelte und sich bei der Violetthaarigen dafür entschuldigte, dass er sich nicht Yasuos Nummer hat geben lassen. Immerhin hätte er seinen Klassenkameraden so nun kontaktieren können und sie hätten nicht so auf dem Trockenen gesessen. Doch Mirâ lächelte nur freundlich und schüttelte den Kopf, als Zeichen dafür, dass es in Ordnung sei. „Lass den Kopf nicht hängen, Hiroshi. Bei mir waren die Prüfungen auch nicht sonderlich gut.“, mischte sich nun Akane in die Diskussion von Kuraiko und Hiroshi ein, während sie ihrem Kumpel beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. „Sehr beruhigend…“, nuschelte dieser allerdings nur. „Wie wäre es, wenn ihr euch besser vorbereitet?“, fragte Kuraiko nun. Dies ließ Hiroshi wieder aufblicken: „Wie soll man sich auf etwas vorbereiten, was man so oder so nicht versteht?“ Akane nickte zustimmend, was der Schwarzhaarigen nur ein weiteres Seufzen entlockte. Jedoch sprang sie wütend auf, als sie erneut den Slogan von Junes hörte. „Mir reicht es jetzt. Ich hab keine Lust mehr. Ich gehe jetzt.“, meckerte sie und drehte sich mit einem Ruck um. Mirâ wollte gerade nach dem Arm ihrer Freundin greifen, doch noch ehe sie überhaupt einen Schritt gegangen war blieb diese abrupt stehen und blickte auf einen jungen Mann vor sich. Diese trug eine dunkle schwarze Hose und ein Khakifarbenes Shirt. Seine dunkelblauen Haare mit dem schwarzen Ansatz standen ihm zu allen Seiten ab, als wäre er erst vor kurzem aufgestanden. Seine Augen schienen diese Tatsache unterstreichen zu wollen. Müde blickte er auf die Gruppe und die stehende Kuraiko und hob nur mit einem „yo“ die Hand. „Was heißt hier „yo“? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“, schimpfte Kuraiko sauer. Der Ältere kratzte sich im Nacken und nickte: „Ja. Tut mir leid, hab verschlafen. Hab vergessen den Wecker zu stellen.“ Total perplex sah die Gruppe ihn an und wusste nicht so genau, was sie sagen sollte. Jedem war ins Gesicht geschrieben, dass er überlegte wie lange der junge Mann eigentlich schlief, doch niemand traute sich diese Frage auszusprechen. Masaru fand jedoch zu Erst seine Stimme wieder: „Warum hast du dann nicht angerufen? Du hast meine Nummer doch.“ Ein fragender Blick traf den Schwarzhaarigen. Es dauerte eine Weile, bis der Blauhaarige zu verstehen schien, was Masaru von ihm wollte. Doch dann schien es endlich klick zu machen. „Ach so ja… das hab ich auch vergessen.“, murmelte Yasuo dann beiläufig. Dem Gesicht des Schwarzhaarigen war anzusehen, dass er in diesem Moment nicht wusste was er sagen sollte. Stattdessen legte er eine Hand an seine Stirn und schüttelte den Kopf. Auch Kuraiko legte genervt stöhnend die Hand an die Stirn. Sie machte keinen Hehl daraus, dass ihr diese Art tierisch auf den Nerv ging. Mirâ machte sich nun auch langsam ihre Gedanken. Wäre es klug jemanden mitzunehmen, der sich so verhielt wie Yasuo? Würden sie ihn damit nicht mehr in Gefahr bringen? Oder sich selbst? Ihre Sorge lag vor allem darin, dass sie Angst hatte, das Yasuo zu spät kommen würde, wenn sie sich in die Spiegelwelt begeben würden. Es würde ihre ganze Organisation durcheinanderbringen. Andererseits brauchten sie jede Hilfe, die sie kriegen konnten. „Senpai, setz dich doch. Dann können wir reden. Du hast sicher einige Fragen.“, mischte sich plötzlich Akane ein und löste alle aus ihrer eintretenden Stille. Yasuo sah auf und nickte. Auch Kuraiko setzte sich wieder an ihren ehemaligen Platz, obwohl ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie am liebsten nach Hause gegangen wäre. Mürrisch verschränkte sie die Arme vor der Brust und beobachtete, wie sich Yasuo einen freien Stuhl von einem anderen Tisch nahm und zwischen Masaru und Akane Platz nahm. Nun wartete die Gruppe gespannt auf die ersten Fragen des Älteren, doch dieser schwieg noch eine ganze Weile und schien erst einmal überlegen zu müssen, was er überhaupt fragen wollte. „Also Senpai.“, murmelte Kuraiko daraufhin genervt, „Was möchtest du wissen?“ Yasuos Blick glitt kurz irritiert zu der Schwarzhaarigen, als würde er nicht verstehen warum sie so genervt reagierte. Doch kurz darauf wurde sein Blick wieder müde und er erklärte in einem recht monotonen Ton, was er alles in Erfahrung bringen wollte. Wie sich alle bereits gedacht hatten, handelte es sich dabei natürlich um die Fragen der Spiegelwelt. So erklärte die Gruppe dem jungen Mann alles so weit, wie sie es bisher selber verstanden. „Und dieses riesige Wesen, was uns angegriffen hat, war dein Shadow, Senpai.“, erklärte Hiroshi, „Nachdem du ihn akzeptiert hattest wurde er zu deiner Persona.“ „Und Personas sind das einzig Wirksame gegen diese Shadows?“, hakte Yasuo nach und legte, nach einem Nicken der Gruppe, seine Finger ans Kinn und schien zu überlegen, „Eine innere Kraft, die greifbar wird, wenn man sie akzeptiert. Eine Welt, die eine exakte Spiegelung unserer Stadt ist und ein Mädchen, was dort gefangen ist. Wirklich interessant.“ Erstaunt sah die Gruppe Yasuo nun an. Zum ersten Mal, seit er zu der Gruppe gestoßen war, wirkte er mehr als interessiert und auch richtig wach. Vor allem Masaru wirkte irritiert, immerhin kannte er Yasuo nur desinteressiert und dauermüde. In allen keimte die Hoffnung auf, dass ihn das alles dazu bringen würde ernsthaft an die Sache ran zu gehen und sich ihnen anzuschließen. Doch wurde diese kurz darauf für einen Moment wieder zerstört, als Mirâ fragte, ob er sich ihnen anschließen und ihnen helfen würde. „Eigentlich ist mir das alles zu umständlich.“, meinte der Blauhaarige daraufhin nur wieder in seinem üblichen monotonen Ton, was der Gruppe bereits die Hoffnung wieder nahm, „Aber ich habe das Gefühl ihr könnt Hilfe gebrauchen. Mich würde auch interessieren, wieso das alles passiert. Also bin ich dabei.“ Ein Strahlen legte sich auf die Gesichter der Gruppe und ließ sie sich gegenseitig anlächeln, ehe Mirâ wieder das Wort ergriff: „Das freut uns, Senpai. Vielen Dank für deine Hilfe.“ „Kein Problem.“, entgegnete der junge Mann daraufhin nur mit einem leichten Lächeln. Ein vibrieren lenkte Mirâs Aufmerksamkeit auf ihr Handy. Natürlich war es wieder die Persona App, doch es war nicht diese, welche die junge Frau öffnete. Als sie auf ihr Display geschaut hatte, um nach der App zu schauen, war kurz darauf eine Nachricht ihrer Mutter eingegangen. Schnell hatte sie diese geöffnet und gelesen, ehe sie sich plötzlich erhob, was ihre Freunde aufblicken ließ. „Tut mir leid, Leute. Aber ich muss so schnell es geht nach Hause. Meine Mutter muss weg und ich soll auf Junko aufpassen.“, entschuldigte sich die Violetthaarige. „Was? Schade. Ich dachte wir können noch zusammen etwas unternehmen.“, murmelte Akane, woraufhin sich Mirâ erneut entschuldigte. Die junge Frau wollte sich gerade verabschieden und sich auf den Weg machen, als Hiroshi einen Vorschlag in die Runde warf: „Sollen wir mitkommen? Wir haben Junko-Chan lange nicht gesehen. Wir können ja gemeinsam auf sie aufpassen und mit ihr spielen.“ Etwas irritiert sah Mirâ ihren Kumpel an, doch ehe sie etwas sagen konnte stimmte Akane dem Vorschlag freudig zu und blickte die anderen erwartungsvoll an. „Tut mir leid, ich muss passen. Das Tsukinoyo steht an, deshalb muss ich heute noch im Tempel aushelfen.“, meinte Masaru daraufhin nur mit erhobener Hand und einem entschuldigenden Lächeln. Auch Yasuo lehnte ab, da er meinte, dass er Mirâs Schwester noch nicht kannte und sie wohl eher erschreckt sein würde, wenn plötzlich ein Fremder vor ihr stand. Außerdem musste er noch mit Bejû raus, welcher bereits auf ihn wartete. Akane wirkte darauf etwas enttäuscht, doch verstand sie die Beweggründe der älteren Schüler, woraufhin sie nun auch Kuraiko erwartungsvoll ansah. Diese sah der Braunhaarigen eine kurze Weile in die grünen Augen, doch brach den Augenkontrakt dann ab, indem sie ihre violetten Augen schloss. Sie hob ebenfalls die Hand und erklärte, dass sie bereits sagte, dass sie noch etwas zu erledigen hatte und deshalb auch nicht mitkommen würde. Beleidigt blähte Akane leicht die Backen auf, doch beruhigte sich wieder als Hiroshi ihr seine Hand auf die Schulter legte und meinte, dass es so ganz okay wäre. „Überleg doch mal. Wir können doch nicht alle Mirâs Haus stürmen. Junko-Chan wäre sicher auch erschrocken über so einen Andrang. Und uns beide kennt sie von unserer Gruppe am Besten.“, erklärte er mit einem Lächeln. Die Braunhaarige seufzte: „Auch wieder wahr. Entschuldige Mirâ. Ist das überhaupt okay für dich.“ Fragend sah die Violetthaarige ihre Freundin an und lächelte dann: „Sicher. Junko freut sich bestimmt euch wieder zu sehen. Sie fragt eh schon die ganze Zeit, wann wir wieder was zusammen unternehmen.“ Auf Akanes Gesicht kehrte nun auch ein Lächeln zurück und so trennte sich die Gruppe vorerst voneinander. Gemeinsam mit Akane und Hiroshi verließ Mirâ wenige Minuten später Junes. In ein Gespräch mit ihren Freunden vertieft, merkte sie nicht, wie ihr jemand entgegen kam. Erst als diese Person an ihr vorbei lief und sie dabei leicht an der Schulter traf, blickte sie hinter sich. Auch die Person hatte sich leicht zu ihr umgedreht. Es war ein groß gewachsener Mann mit nussbraunen nackenlangen Haaren. Sein dunkelroter Anzug mit der schwarzen Krawatte fiel sofort ins Auge und Mirâ überkam das Gefühl diese Person schon einmal gesehen zu haben. Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht und sofort lief die junge Frau kreidebleich an, als ihr die dunkle Sonnenbrille auffiel. Es war der Polizist, welcher sich anscheinend mit den Vermisstenfällen an ihrer Schule beschäftigte. Was hatte er hier zu suchen? Hatte er sie beschattet? Hatte er gesehen, dass sie sich erneut mit einem wieder aufgetauchten Opfer getroffen hatten? Würden sie nun auffliegen? Auch ihren Freunden war der Mann nun aufgefallen, woraufhin auch sie wie gebannt stehenblieben. „Entschuldige bitte.“, hörte sie plötzlich seine tiefe Stimme, welche sie wieder in die Realität zurück holte. „Äh… ähm… n-nein schon gut, i-ich habe auch nicht aufgepasst.“, murmelte die junge Frau nervös. „Ihr seid doch…“, erst jetzt schien dem Mann Mirâs Gesicht und ihre Freunde aufzufallen, woraufhin er seine Sonnenbrille abnahm und die kleine Gruppe mit seinen ebenso nussbraunen Augen ansah, „Ich habe euch doch letztens gesehen.“ Sofort schraken die Drei auf. Der Braunhaarige steckte seine Sonnenbrille in die obere Tasche seines Jacketts, ohne die Augen von den Dreien zu lassen. Kurz darauf zog er etwas aus seiner Hosentasche. Es war ein kleines Ledermäppchen, welches an einer Kette mit seiner Hose verbunden war. Dieses klappte er auf und das Zeichen der japanischen Polizei war zu erkennen, sowie ein Ausweis, auf welchem der Name „Tatsuya Suou“ stand. „Mein Name ist Tatsuya Suou. Ich bin leitender Ermittler in mehreren Vermisstenfällen, welche sich an der Jûgoya High abspielten. Ihr drei geht doch auf diese Schule. Oder?“, stellte sich der Mann mit Namen Tatsuya kurz vor, „Könntet ihr mir kurz ein paar Fragen beantworten?“ Die Anspannung in den Dreien nahm zu, doch trotzdem nickten sie synchron. Am liebsten hätte Mirâ gesagt, dass sie schnell weg müssten, was nicht einmal gelogen wäre, doch so würden sie noch verdächtiger wirken. Doch egal wie, sie war sich sicher, dass sie nun auffliegen würden. Sofort packte Tatsuya das Mäppchen wieder zurück in seine Hosentasche, bevor er einen kleinen Notizblock herauszog: „Erst mal würde mich interessieren, was ihr das letzte Mal an diesem Ort zu suchen hattet und wieso ihr geflüchtet seid, als ich euch angesprochen habe.“ „N-Naja… a-also…“, begann Mirâ, doch wusste sie nicht wie sie anfangen sollte. „W-Wir wollten nach einem Schulfreund sehen, der nicht in der Schule erschienen war. Wir dachten er sei krank, aber als wir die ganzen Polizisten gesehen haben, waren wir ziemlich erschrocken.“, erklärte Hiroshi plötzlich. „Genau, genau.“, stimmte Akane zu und erklärte, dass sie vor ihm geflohen waren, weil sie sich so extrem erschreckt hatten. Tatsuya hörte kurz zu, doch notierten sich dann ihre Aussagen, bevor er fragte, woher die drei Kuraiko und Masaru kannten. Er meinte kurz, dass ihnen sicher nicht entgangen war, dass auch diese Beiden verschwunden waren und er deshalb gerne wissen wolle in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Nun ergriff Mirâ das Wort und erklärte immer noch etwas nervös, dass sie sich aus der Schule kannten und sie deshalb recht gut befreundet waren. Auch erklärte sie, dass sie sehr wohl mitbekommen hatten, dass ihre Freunde nicht an der Schule waren, sie jedoch sehr erstaunt waren, dass sie verschwunden gewesen sein sollten, da ihnen damals nur gesagt wurde, sie seien krank. Auch dieses Mal hörte der Braunhaarige ruhig zu und notierte nebenbei alles auf seinem Block. „Hei-heißt das, dass Esuno-Senpai auch verschwunden war?“, fragte Mirâ nun nach, in der Hoffnung es würde so rüber kommen, als hätten sie wirklich nichts von dem Verschwinden der Schüler gewusst. „Nun, dass ist eigentlich eine Sache der Ermittlungen, aber da ich euch das indirekt schon erzählt habe: Ja. Er war verschwunden, doch tauchte nach zwei Wochen plötzlich wieder auf. Genau wie die anderen beiden Schüler. Merkwürdig nicht wahr?“, erklärte der Ermittler, „Ihr seid also ganz sicher, dass ihr nichts von dem Verschwinden der Schüler… eurer Freunde wusstet?“ Die drei schüttelten synchron den Kopf, was den Braunhaarigen leicht seufzen ließ: „Alles klar. Dürfte ihr mir eure Namen notieren?“ „Haben wir eine andere Wahl?“, fragte Hiroshi, woraufhin ihn ein allessagender Blick traf, „Sag ich doch. Hiroshi Makoto.“ „Akane Chiyo.“ „Mirâ Shingetsu.“, nannte auch Mirâ ihren Namen, welchen der Polizist notierte, bevor er den Block wegpackte und einige Visitenkarten heraus nahm und sie den Dreien überreichte. „Sollte euch zu diesem Fall noch etwas einfallen, gebt mir bitte Bescheid. Meine Nummer steht auf der Rückseite. Dann möchte ich euch nicht weiter aufhalten. Vielen Dank für eure Kooperation.“, mit diesen Worten setzte der Mann wieder seine Sonnenbrille auf und verabschiedete sich. Noch immer die Visitenkarten in der Hand haltend sah sie kleine Gruppe dem Ermittler nach und kurz war sich Mirâ wieder sicher einen blauen Schmetterling um ihn herum fliegen zu sehen. Doch in diesem Moment quälte sie weniger die Frage, was der Schmetterling eigentlich zu bedeuten hatte, als die Angst, dass sie irgendwann auffliegen würden. Dienstag, 28.Juli 2015 Etwas nervös blickte sich Mirâ an der S-Bahnstation um und hielt nach Kuraiko Ausschau. Diese hatte ihr am Abend zuvor eine Nachricht geschickt, ob sie Zeit hätte ihr heute zu helfen. Naja wenn Mirâ genau darüber nachdachte, handelte es sich dabei nicht einmal um eine Frage, sondern eher um eine Aufforderung. So hatte die Schwarzhaarige die junge Frau gegen Mittag zur S-Bahnstation beordert, an welcher sie auch aussteigen musste, wenn sie zur Schule musste. Was genau Kuraiko von ihr wollte, wusste sie allerdings nicht. Sie sollte sich nur ein paar bequeme Klamotten anziehen, die auch dreckig werden durften. Zwar hatte Mirâ diese Nachricht irritiert, doch trotzdem war sie ihr gefolgt. Doch Kuraiko war noch nicht aufgetaucht. Kurz musste sie daran denken, dass sie einen Tag zuvor noch einen Aufstand gemacht hatte, weil Yasuo zu spät kam. Aber so war die junge Frau wohl einfach. Es war ihre Art. Mit ihren Gedanken an das Treffen ihrer Freunde am vorangegangenen Tag, musste sie auch sogleich wieder an das Treffen mit dem Polizisten Tatsuya Suou denken und lief sofort wieder kreidebleich an. Zwar hatten sie nichts über die Spiegelwelt und die Personas erzählt und waren deshalb nicht aufgeflogen, doch trotzdem hatte die junge Frau das Gefühl, der Ermittler hätte sie durchschaut. Irgendwas an ihm machte ihr tierische Angst, doch sie wusste nicht was. Ob es sein durchdringender Blick war? Sie hatte das Gefühl gehabt, seine Augen würden in ihren Kopf hineinsehen und so alle Geheimnisse ans Licht bringen können. Vielleicht war sie einfach nur paranoid, weil sie Angst hatte, dass ihr Geheimnis irgendwann auffliegen würde und sie sich erklären müssten, doch auch Masaru und Kuraiko hatten dieses Gefühl in seiner Gegenwart. Sie hatte am Abend noch einmal über ihren Gruppenchat, welchem nun auch Yasuo angehörte, alle darüber informiert. Kurz hatte die Gruppe sich darüber unterhalten und sogar der Blauhaarige hatte sich an diesem Gespräch beteiligt. Auch er hatte erzählt, dass er befragt wurde, was nur verständlich war, immerhin hatte Tatsuya erklärt das er leitender Ermittler in diesem Fall sei. Das ganze machte der jungen Frau Sorgen. Wie sollten sie das alles auch erklären? Die Polizei würde sie doch für verrückt abstempeln. Außer der App hatten sie ja auch keinen Beweis und diese bewies noch lange nicht das, was sie wirklich erlebten. Sie würden also weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen und alles geheim halten müssen. „Alles okay bei dir? Du siehst so blass aus.“, hörte sie plötzlich Kuraikos Stimme, welche sie aufschrecken und die junge Frau anschauen ließ. Diese sah sie fragend an und kurz war sich Mirâ sicher etwas Sorge in ihrem Blick erkannt zu haben, welche aber kurz darauf wieder unter ihrem typischen kühlen Blick verschwunden war. Die Violetthaarige nickte nur und meinte, dass alles okay sei, doch erklärte sie der Schwarzhaarigen dann, dass sie noch einmal über die Begegnung mit dem Polizisten nachgedacht hatte und ihr deshalb wieder etwas unwohl wurde. „Der Typ ist schon ein echtes Problem, aber ich denke, wenn wir uns deshalb alle verrückt machen, fallen wir erst recht auf. Meinst du nicht?“, versuchte Kuraiko ihre Freundin etwas zu beruhigen, „Ich denke er wird sich erst einmal mit eurer Aussage zufrieden gegeben haben. Alles Weitere wird sich wohl zeigen.“ „Ich denke du hast recht. Danke.“, nickte Mirâ kurz, woraufhin die Schwarzhaarige dies jedoch nur abwinkte und sich in Richtung Ausgang in Bewegung setzte. Auf die Frage hin, was die junge Frau heute mit Mirâ vorhatte, meinte diese jedoch nur, dass sie es schon sehen würde und sie einfach ihre Hilfe gebrauchen könnte. Alles Weitere würde sie ihr aber noch rechtzeitig erklären. Daraufhin liefen beide Frauen schweigend nebeneinander her. Ihr weg führte sie den üblichen Schulweg entlang und am Schultor vorbei, welches sie aber schnell hinter sich ließen. Einige Minuten später erreichten sie eine kleine Ladenstraße, welche keine zehn Minuten von der Schule entfernt lag. Sie war nicht sehr lang und hatte nur wenige Geschäfte, doch sah durch die kleine Allee von Bäumen sehr einladend aus. Kuraiko schritt schnurstracks durch die kleine Straße hindurch, welche sie an mehreren kleinen Geschäften, wie einer Bäckerei, einem Café, einem kleinen Buchladen, einem kleinen Konbini und einer Apotheke vorbei führte. Vor einem Blumenladen, welcher einladend mehrere Gestecke vor der Tür liegen hatte, blieb die Schwarzhaarige stehen. Fragend sah Mirâ auf das rosane Schild, auf welchem in lateinischen schön geschwungenen Buchstaben „Sakura“ stand, ehe sie beobachtete wie ihre Freundin den kleinen Laden betrat. „Irasshaimse.“, wurden sie sogleich von der jungen Frau am Tresen begrüßt, welche gerade dabei war ein Gesteck zu erstellen. „Konnichiwa, Sanae-San.“, grüßte auch Kuraiko. „Ah Fukagawa-Chan. Schön dich zu sehen.“, sofort ließ Sanae von ihrem Gesteck ab und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, „Es geht sicher um die Sache, um die du mich gebeten hast.“ Kuraiko nickte: „Ja. Hast du so viele Pflanzen bekommen?“ „Sicher, aber bekommst du das denn alles getragen?“, kam die Frage, während die junge Frau im hinteren Zimmer verschwand. Der Blick der Schwarzhaarigen glitt kurz hinüber zu Mirâ, welche nur leicht zusammenzuckte: „Ja ich habe mir Unterstützung mitgebracht. Zu Zweit sollten wir das hinbekommen.“ „Sicher?“, kurz darauf kam Sanae mit vier übereinander gestapelten Kartons zurück, „Ich habe sie für dich erst einmal in passende Kartons gepackt, damit du sie besser transportieren kannst, jedoch solltest du trotzdem vorsichtig damit sein. Auf ein kurzes Stück lassen sie sich gut tragen, aber sie werden schwer.“ Mit einem leichten Schnaufen, setzte die junge Frau die Kartons ab, woraufhin die Schwarzhaarige kurz den Inhalt kontrollierte und meinte, dass es die zehn Minuten bis zur Schule schon gehen würde. Sie klappte den Karton wieder zu und zückte ihr Portmonee, bevor sie mit Sanae einen Preis ausmachte und bezahlte. Danach zitierte sie Mirâ, welche bis dato nur dumm daneben gestanden hatte zu sich und reichte ihr zwei der Kartons, ehe sie selber zwei nahm. Nach einer kurzen Verabschiedung von Sanae machten sich die Beiden auf den Weg zurück zur Schule. Dieses Mal kam der Violetthaarigen der Weg wesentlich länger vor, was wohl vor allem daran lag, dass die Kartons auf Dauer wirklich schwerer wurden. Um sich etwas abzulenken stellte sie Kuraiko einige Frage bezüglich der Pflanzen. „Die sind für den Schulhof. Im Sommer muss ich mich immer mal wieder um neue Pflanzen kümmern. Das Geld bekomme ich später wieder zurück. Eigentlich müssten mir die Anderen aus dem Klub helfen, aber wie du dir sicher vorstellen kannst haben sie alle etwas Wichtigeres vor. Du warst die Erste die ich darum bitten konnte mir zu helfen.“, erklärte die Schwarzhaarige ruhig. Mirâ erinnerte sich daran, dass es weniger eine Bitte, als eine Aufforderung war, weshalb sie nun hier war, doch erwähnte dies nicht weiter: „Ich verstehe. Und wie kommen wir in die Schule? Das Tor ist doch bis zwei Wochen vor Schulbeginn abgesperrt.“ Ein amüsiertes Lächeln traf die Violetthaarige: „Dummerchen. Mit einem Schlüssel natürlich. Da der Botanik-Klub für die Bepflanzung zuständig ist, habe ich als Klubchefin natürlich einen Ersatzschlüssel bekommen. Ich muss ja auch während der Sommerferien mehrmals herkommen um die Blumen zu gießen. Die anderen machens ja nicht.“ „Kannst du nichts dagegen machen?“, kam eine weitere Frage. „Ich glaube ich hatte dir schon einmal erklärte, dass ich den Klub schließen müsste, wenn ich nicht genügend Mitglieder hätte. Deshalb sage ich nichts dagegen.“, kam die Antwort nun wieder recht kühl, woraufhin Mirâ merkte, dass dieses Thema wohl ein rotes Tuch für die Schwarzhaarige war. Die Violetthaarige nickte verständnisvoll. Sie konnte das wirklich nachvollziehen. Was ihr jedoch nicht in den Kopf wollte war, weshalb Leute sich in einen Klub anmeldeten, in welchem sie eh nie aufkreuzten. „Das machen sie, damit sie sagen können, einen Kurs zu belegen oder eine Ausrede haben, damit sie nach der Schule noch irgendwo abhängen können anstatt nachhause zu gehen.“, erklärte ihre Freundin plötzlich, als hätte sie die Gedanken der Violetthaarigen gelesen. Als beide das Hintertor der Schule erreicht hatten, stellten sie ihre Kartons kurz ab und streckten ihre Rücken durch. Die Pflanzen wurden nun wirklich schwer, aber weit hatten sie es zum Glück nicht mehr. Ruhig kramte Kuraiko einen Schlüsselbund aus ihrer Hosentasche und zog mit einem gekonnten Griff den passenden Schlüssel hervor, mit welchem sie das Tor aufschloss und die Beiden eintreten konnten. Hinter sich schloss sie das Tor wieder ab und beide machten sich auf den Weg zum Schulhof, wo ihr Kuraiko erst einmal erklärte, was sie als nächstes machen würden. So wollte die Schwarzhaarige zu aller Erst das Unkraut aus den Beeten entfernen, welches schon wieder angefangen hatte zu wachsen, und danach die Pflanzen austauschen, welche die ersten Hitzewellen oder den extremen Starkregen in den letzten Tagen nicht überlebt hatten. Nachdem Kuraiko aus einem Schuppen an einer versteckten Stelle des Hofes Handschuhe, Schaufeln und Schürzen geholt hatte, machten sich die beiden jungen Frauen an die Arbeit. Es war anstrengend, doch als sich der Himmel schon langsam orange färbte, hatten sie so gut wie alles geschafft. Erschöpft schloss Kuraiko den Schuppen ab und die Beiden konnten sich auf den Weg zum Hintertor der Schule machen. „Vielen Dank noch mal für deine Hilfe.“, bedankte sich die Schwarzhaarige bei Mirâ, als sie durch das Tor hindurch waren und es abgeschlossen hatten. Irritiert sah die Violetthaarige ihre Freundin an, da sie nicht mit einem höflichen Dank gerechnet hatte. Viel mehr hatte sie gedacht, dass Kuraiko es als hingenommen sieht. Doch dieser Dank machte sie glücklich und sie lächelte ihre Freundin freundlich an. „Schon okay. Es war anstrengend, aber es hat auch Spaß gemacht.“, erklärte Mirâ froh, „Weißt du was? Ich habe mir überlegt mich nach den Sommerferien noch nachträglich in deinen Klub eintragen zu lassen. Dann kann ich dir auch offiziell helfen.“ Erstaunt sah Kuraiko sie an: „Bist du dir sicher?“ „Ja. Solange wir es hinbekommen, dass sich die Klubtreffen nicht mit dem Kyûdo-Klub überschneiden, sollte das kein Problem sein.“, lachte die Violetthaarige. „Na du hast Vorstellungen.“, schnaufte ihre Freundin plötzlich, doch lächelte dann, „Aber das sollten hin hinbekommen. Ich denke den Lehrern ist es gleich, ob wir uns nun Montag oder Dienstag treffen. Hauptsache die Pflanzen werden gepflegt. Das… ist wirklich nett von dir. D-Danke.“ Den letzten Satz hatte die junge Frau nur genuschelt, doch Mirâ hatte es trotzdem verstanden, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Das Vibrieren und den typischen Ton ihres Handys ignorierte sie, da sie wusste, dass es sich um die App handelte und sie später nachschauen konnte. Stattdessen blickte sie lächelnd in den Himmel und schlug vor gemeinsam etwas essen zu gehen. Erneut traf sie ein erstaunter Blick der Schwarzhaarigen, welcher allerdings kurz darauf in ein Grinsen überging. „Dann hoffe ich du magst es scharf. Ich kenne da nämlich ein leckeres kleines Restaurant. Lass uns dorthin gehen.“, daraufhin griff Kuraiko Mirâ am Handgelenk und zog sie mit sich mit. Anfangs war die Violetthaarige noch etwas erschrocken, doch lachte daraufhin und ließ sich von ihrer Freundin zu besagtem Restaurant führen. Kapitel 40: XL - Sommer, Sonne, Strand & Spaß --------------------------------------------- Donnerstag, 30.Juli 2015 Es war noch früher Morgen, doch die Sonne brannte bereits erbarmungslos auf den Planeten. Die Hand vor die Augen haltend, blickte Mirâ auf den blauen Himmel, an welchem nicht eine einzige Wolke zu sehen war. Dieser Tag versprach schön zu werden, nachdem es den kompletten gestrigen Tag wie aus Eimern geschüttet hatte. Mit einem Lächeln und dem Gedanken, welch Glück sie doch heute zu haben scheinen, richtete sie noch einmal ihre Tasche auf ihrer Schulter, bevor sie sich zurück zur Eingangstür drehte. „Junko, bist du so weit? Wir müssen los!“, rief sie ihre kleine Schwester zu, welche einen Augenblick darauf auch schon mit einem gekonnten Sprung aus dem Haus kam und die Violetthaarige mit einem breiten Lächeln ansah. „Vergiss deinen Hut nicht, mein Schatz.“, kam es einen Moment später von der Mutter der Beiden, welche ihrer jüngsten Tochter einen weißen Hut auf den Kopf setzte, „Du musst bei diesen Temperaturen aufpassen.“ „Ja Mama.“, sagte die Kleine und zog ihren Rucksack enger an den Rücken, bevor sie zu ihrer älteren Schwester lief. „Bitte passt gut auf euch auf ihr beiden.“, bat Haruka besorgt, woraufhin Mirâ nickte und die Hand ihrer kleinen Schwester griff, „Und viel Spaß am Strand.“ „Danke Mama. Bis heute Abend.“, verabschiedete sich die junge Frau von ihrer Mutter und lief langsam los, während Junko noch einmal winkte. Freudig lief die Kleine neben Mirâ her und schien sich bereits auf diesen Tag zu freuen. Die Gruppe hatte heute entschlossen gemeinsam ans Meer zu fahren und Junko mitzunehmen. Es hatte Mirâ einige Überredungskünste gekostet ihre Mutter zu überzeugen, ihre kleine Schwester mitnehmen zu dürfen. Sie konnte es verstehen. Ihre Mutter machte sich immerhin nur Sorgen, doch das Meer war nicht so extrem weit entfernt und sie waren ja auch als Gruppe dort, sodass sie alle auf Junko aufpassen konnten. Trotzdem wollte Haruka anfangs nicht einwilligen. Erst als auch Junko verkündete, dass sie ans Meer fahren wolle, gab sich ihre Mutter geschlagen. Unter der Voraussetzung, dass Mirâ Junko keine Minute aus den Augen ließe. Die Violetthaarige wusste, dass es schier unmöglich war, ihre kleine Schwester Rund um die Uhr zu beobachten, trotzdem stimmte sie dem zu. Irgendwie würde sie das schon hinbekommen. Junko wiederum konnte es nicht erwarten endlich zum Meer zu kommen. Während der Fahrt in der U-Bahn, welche die Beiden zum Bahnhof bringen sollte, wo sich die Gruppe treffen wollte, hibbelte sie ständig hin und her und fragte Mirâ, wann sie endlich da seien. Erst als die Violetthaarige die Kleine ermahnte, sich doch endlich zu benehmen, da sie sie sonst wieder nachhause bringen würde, hielt die Blauhaarige still, wenn auch leicht beleidigt. Am Bahnhof warteten bereits die Anderen der Gruppe. „Ohayou!“, grüßte Akane fröhlich, „Na ausgeschlafen?“ „Du scheinst jedenfalls ausgeschlafen zu sein.“, lachte Mirâ, woraufhin ihre Freundin nur leicht die Zunge raus streckte und sich dann Junko zuwandte und diese begrüßte. „Guten Morgen, Junko-Chan. Freust du dich schon?“, fragte sie freundlich. „Ja. Ich war noch nie am Meer.“, freute sich Junko mit einem breiten Lächeln. „Na dann wird es ja Zeit.“, lachte nun auch Hiroshi und blickte sich um, „Aber es fehlt noch einer… Akane, hattest du nicht Esuno-Senpai eingeladen?“ Die Braunhaarige nickte und sah sich um, bevor sie besorgt auf die Uhr schaute. Um ans Meer zu gelangen musste man aus der Stadt hinausfahren. Mit dem Zug dauerte das ungefähr eine Stunde und genau dieser Zug würde in 20 Minuten fahren. Besorgt sah sich Akane nun auch um und zückte ihr Handy, um Yasuo anzurufen, wo er denn blieb. Auch Mirâ sah durch die große Empfangshalle des Bahnhofs, doch konnte sie den großen jungen Mann auch nicht erspähen. Ihr Blick ging zurück zur Gruppe, wo Kuraiko sich gerade wieder darüber echauffierte, dass sie diese Unpünktlichkeit hasste. Masaru war an diesem Tag nicht vertreten. Da er seinen Eltern noch bei den Vorbereitungen für das Tsukinoyo, welches am nächsten Tag stattfand, helfen musste, konnte er sich keinen freien Tag nehmen. Trotzdem hatte er der Gruppe einen schönen Tag gewünscht. Ein Klingeln in ihrer unmittelbaren Nähe ließ die Gruppe aufschrecken und sich umdrehen, woraufhin sie auf Yasuo blickten, welcher gerade sein Handy in die Hand genommen hatte. Müde und etwas irritiert, wieso sie ihn anriefen, blickte er in die Runde und begrüßte alle mit seinem typischen „yo“. „Senpai, das war aber wirklich knapp!“, meckerte Kuraiko. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“, mischte sich Akane ein, bevor die Schwarzhaarige ausfallend werden konnte. Der Blauhaarige kratzte sich am Hinterkopf: „Tut mir leid. Hab meine U-Bahn verpasst, weil ich mich von Bejû hab ablenken lassen. Dabei hab ich die Zeit vergessen.“ Die Schwarzhaarige seufzte wieder einmal genervt auf. Mit diesem Typen würde sie wohl niemals klar kommen. Noch ehe aus dem Ganzen eine Diskussion entfachen konnte, mischte sich Hiroshi ein und meinte, dass sie sich langsam Mal auf den Weg zum Bahnsteig machen sollten, da ihnen sonst der Zug wirklich noch vor der Nase wegfahren würde. Ohne weitere Worte lief die Gruppe daraufhin los, immer darauf bedacht Junko nicht zu verlieren und saß einige Minuten später schon im Zug, welcher sie zum Strand bringen würde. "Wah.", rief Junko erstaunt aus und lief an den Rand der Mauer, welche die Straße vom Strand trennte, "Onee-Chan sieh nur. Schau mal wie groß das ist. So viel Wasser." Mirâ lachte und trat an ihre Schwester heran: "Ja, ich sehe es Junko. Aber bleib bitte in meiner Nähe. Ja?" Die Kleine nickte und sah weiter begeistert auf das Meer hinaus. Mirâ war sich nicht ganz sicher, ob ihre Schwester ihre Bitte registriert hatte, jedoch hoffte sie es. Noch einen kurzen Moment ließ die Gruppe das Bild des in der Sonne glitzernden Meeres auf sich wirken, ehe sie sich auf den Weg hinunter zum Strand machten. Obwohl es noch recht früh am Tag war, war der Strand schon gut besucht, sodass die Gruppe es doch schon etwas schwerer hatte einen guten Platz zu finden. Sie liefen alles einmal von oben nach unten ab und fanden schließlich doch noch eine Ecke wo sie alle Platz hatten. Nachdem alle ihre Decken ausgebreitet hatten, meldeten sich die Mädchen kurz ab, um sich umzuziehen, während die beiden Jungs auf alles aufpassen sollten. Sie hatten ihre Badehosen bereits unter ihren normalen Klamotten gehabt, sodass sie es am einfachsten von allen hatten. Viel zu sagen hatten sich die Beiden in dieser Zeit nicht. Akane hatte Hiroshi bereits gesagt, das Yasuo nicht sehr gesprächig war, was ihm allerdings auch bereits bei dem Gespräch am Montag aufgefallen war. So lange er kein Thema wusste, was den Blauhaarigen wirklich interessierte, würde dieser ihm wahrscheinlich eh nur einsilbig antworten und darauf hatte der Blonde aktuell keine Lust. Er war ganz froh, als er die Mädels bereits wieder auf sich zukommen hörte. Als er jedoch seinen Blick zur Seite wandte, blieb ihm fast das Herz stehen. Es lag allerdings nicht an Akane, welche einen sportlichen Bikini in grün trug, der aus einer Art Sport-BH und einer Hotpants bestand, und auch nicht an Kuraikos schwarzen Zweiteiler, welcher an den Rändern einige violette Rüschen hatte. Es war Mirâ, welche ihm die Sprache verschlug. Diese hatte ihre violetten Haare zu einem Dutt gebunden und trug einen doch recht knappen Bikini, welcher in den Farben hellblau und schwarz gehalten war. Der BH, welcher doch recht tiefe Einblicke zuließ war hinter dem Hals zusammengeknotet und an den Trägern mit jeweils einem hellblauen Stein besetzt. Und auch an den dünnen seitlichen Bändchen des Höschens sah Hiroshi diese kleinen Steine glitzern. Der Blonde musste schwer schlucken. Sofort wandte er den Blick wieder ab und legte sich sein um den Hals gelegtes Handtuch auf den Kopf, um sein knallig rotes Gesicht zu verstecken. Er hatte wirklich mit sich zu kämpfen kein Nasenbluten zu bekommen oder schlimmer. In diesem Moment verfluchte er wirklich seine Gefühle, welche er für die Violetthaarige empfand. Hiroshi zwang sich dazu sich zu beruhigen, aber das stellte sich als extrem schwer heraus. "Hiro-niichan, ist alles okay? Du bist so rot.", fragte plötzlich Junko, welche sich genau vor Hiroshi gehockt hatte und ihn mit großen roten Augen ansah. Sofort schrak der Angesprochene zurück: "N-nein a-alles okay. E-Es ist nur ziemlich warm. Alles gut, Junko-Chan." Die Kleine legte ihren Kopf schief, doch schien diese Ausrede so hinzunehmen. "He.", kam es langezogen und schelmisch von Akane, welche die Blicke ihres Kumpels auf Mirâ genau gesehen hatte. Vorsichtig stieß sie ihn an, woraufhin sie mit einem bösen Blick des Blonden gestraft wurde, welchen Akane allerdings nur mit einem Grinsen abtat und sich dann von ihm abwandte. Sie ging auf Yasuo zu, welcher mittlerweile im Sitzen eingeschlafen war. Vorsichtig stieß sie den Blauhaarigen an und mahnte ihn besorgt, dass er sich einen Sonnenstich holen würde, wenn er so in der Sonne schläft. Müde rieb sich der junge Mann die Augen und murmelte, dass ihn die Sonne immer so müde machte. "Dann lass uns ins Wasser gehen, dann kannst du dich abkühlen.", schlug die Braunhaarige vor und sah zu Hiroshi, "Das hilft sicher auch dir." Ein weiterer böser Blick traf Akane, was sie auch dieses Mal nur mit einem Lachen abtat und dann in Richtung Meer rannte. Yasuo gähnte noch einmal kurz und stand dann auf, ehe er der Jüngeren zum Meer folgte. Auch Junko wollte sich sogleich ihren Schwimmring greifen und losstürmen, doch Mirâ hielt sie zurück und mahnte sie, sich vorher einzucremen und die Sonnenmilch noch einwirken zu lassen. Mürrisch protestierte die Kleine und blähte beleidigt die Wangen auf. Sie wollte sofort ins Wasser, doch ihre ältere Schwester ließ nicht locker. Auch nicht als Junko anfing laut zu werden und herumzuschreien. Sofort hatte Mirâ den Arm der Kleinen gegriffen und sie böse angeschaut: "Schluss jetzt! Du weißt unter welchen Voraussetzungen Mama dich hat mitkommen lassen. Und wenn du nicht auf mich hörst, dann packen wir hier wieder alles zusammen und gehen nach Hause. Dann war es das mit dem Meer. Verstanden?" Erschrocken sah die Blauhaarige ihre ältere Schwester an und kurz darauf bildeten sich Tränen in ihren großen Augen, doch Mirâ ließ sich davon nicht erweichen. Immer noch sah sie ihre Schwester mit dem ernsten Blick an, woraufhin die Kleine nun doch nickte und sich leicht bockend vor Mirâ setzte. Diese begann gleich Sonnenmilch auf den Schultern ihrer Schwester zu verteilen und reichte der kleinen die Flasche, damit sie sich selbst Arme, Brust, Beine und Gesicht eincremen konnte. Wiederwillig folgte Junko den Anweisungen ihrer Schwester, doch der bockende Ausdruck aus ihrem Gesicht wollte nicht weichen. Hiroshi hatte die beiden Mädchen eine Weile beobachtet und hockte sich dann zu Junko hinunter: "Nun schau nicht so, Kleines. Deine Schwester meint es doch nur gut und du wirst ihr dankbar sein, wenn du dir nicht die Schultern verbrennst. Das tut nämlich tierisch weh. Und so lange wie die Creme einwirkt bleib ich hier und spiele mit dir. Was meinst du? Wollen wir eine Sandburg bauen?" Sofort begannen die roten Augen der Grundschülerin zu leuchten und der bockige Blick aus ihrem Gesicht verschwand. Heftig nickte sie mit dem Kopf und sah ihre ältere Schwester bittend an. Diese seufzte, griff nach Junkos Hut und setzte diesen der Kleinen auf den Kopf, ehe sie mit einem Lächeln nickte. Sofort begann die Kleine wieder zu strahlen, sprang auf, schnappte sich ihr Strandspielzeug und rannte vor zu der Stelle am Strand, wo der Sand noch feucht war. Mirâ sah ihr kurz nach und bedankte sich dann bei ihrem Kumpel, welcher nur lächelte und dem kleinen Mädchen dann folgte. Dem Blonden kam das ganz gelegen, immerhin konnte er sich so von Mirâ und ihrem, wie er fand, absolut scharfen Bikini, ablenken. Außerdem machte es ihm Spaß mit der Kleinen zu spielen. Er selbst hatte ja keine kleinen Geschwister, aber er mochte es Zeit mit Kindern zu verbringen. Das war ja auch der Grund, warum er den Grundschülern aus seinem Viertel das Fußballspielen beibrachte. Endlich hatte er die Stelle erreicht, welche Junko auserkoren hatte, um die Sandburg zu bauen, woraufhin er sich zu der kleinen herunterkniete und sofort anfing mit ihr zu bauen. Mirâ beobachtete die Beiden von ihrem Platz aus, während auch sie ihren Körper mit Sonnenmilch einrieb. Kuraiko hatte sich mit einer Sonnenbrille auf den Augen neben sie auf die Decke gelegt, allerdings so, dass auch sie zum Meer hinunter sehen konnte. Ihren Kopf hatte sie auf ihren linken Arm gestützt und beobachtete so ebenfalls Hiroshi und Junko, welche schon die ersten Türme aufgehäuft hatten und nun dabei waren weitere Eimer mit Sand zu füllen, um daraus einen großen Wachturm zu bauen. So sah es jedenfalls aus, nachdem sie den Eimer umgestülpt hatten. Vorsichtig klopfte Hiroshi den Sand am Rand des Turmes fest, damit dieser nicht wieder in sich zusammenfiel, während Junko den Eimer erneut mit Sand füllte. Man sah ihr an, dass sie großen Spaß hatte und der Streit mit ihrer Schwester schon wieder vergessen schien. "Hiroshi scheint gut mit Kindern umgehen zu können.", meinte Kuraiko, während sie sich nun doch zurücklegte. Fragend sah Mirâ zu ihrer Freundin und nickte: "Ja. Junko freut sich auch immer sehr, wenn er mal bei uns zu Besuch ist. Sie hat bei uns zu Hause ja keine männliche Bezugsperson. Vielleicht liegt es daran." "Das kann sein.", murmelte die Schwarzhaarige, "Hast du eigentlich mal wieder mit Mika gesprochen? Tut sich was da drüben?" Die Violetthaarige schüttelte den Kopf: "Aktuell ist Mika wieder irgendwo in der Spiegelwelt unterwegs. Ich erreiche sie kaum noch. Das macht mir Sorgen. Immer wenn wir ein längeres Gespräch geführt haben, scheint sie mich danach zu meiden. Ich weiß aber nicht warum." "Hm...", durch ihre dunklen Gläser hindurch betrachtete Kuraiko ihre Freundin kurz, doch da ihr nichts weiter dazu einfiel schwieg sie. Mirâ schien dies zu begrüßen, denn auch sie sagte nichts mehr dazu, sondern beobachtete weiter ihre kleine Schwester, welche Hiroshi mittlerweile unter einem Sandberg begraben hatte. Lachend lief sie um den Blonden drum herum, welcher versuchte sich wieder aus dem Sand zu befreien. Die Violetthaarige seufzte, griff nach Junkos Schwimmreifen und stand auf, woraufhin Kuraiko nur meinte, dass sie hier die Stellung halten würde. Nach einem kurzen Nicken setzte sich Mirâ in Bewegung und ging auf Hiroshi und Junko zu. "Junko-Chan ich gebe auf!", flehte der Blonde das kleine Mädchen an, welches immer noch fröhlich um ihn herumtanzte. Sie hatten bis vor wenigen Minuten noch gemeinsam eine Sandburg gebaut, als der Blonde in eine Kuhle gefallen war. Sofort hatte Junko ihre Chance genutzt und sich auf den jungen Mann gestürzt und angefangen ihn einzubuddeln. Es dauerte auch nicht lang eh Hiroshi unter einer doch recht dicken Sandschicht vergraben war. Er war erstaunt, wie schnell die Kleine in dieser Sache war, doch nun konnte er sich leider kaum noch bewegen. Er bekam nicht einmal seine Hand richtig frei. Da Junko vor allem feuchten Sand benutzt hatte, welcher sich nun wirklich überall verteilte und langsam hart wurde, war es umso schwerer sich zu bewegen. Aus diesem Grund hatte er auch sprichwörtlich die weiße Fahne gehisst, in der Hoffnung, das kleine Mädchen würde ihn auch wieder ausgraben. Doch da hatte er weit gefehlt, den Junko fand es weitaus lustiger den jungen Mann in dieser Lage zu sehen. Er seufzte und spürte plötzlich einen Schatten über sich, woraufhin er seine Augen öffnete und erneut fast einen Herzstillstand hatte, als er Mirâ erblickte, welche über ihm beugte und ihn besorgt ansah. Dass er dadurch einen extrem guten Blick auf ihre Brüste hatte, schien der Violetthaarigen in diesem Moment nicht einmal klar zu sein. Dem Blonden jedoch war das nur allzu gut bewusst und er konnte auch nichts dagegen tun, dass seine Augen genau in diese Richtung wanderten. Schnell wandte er den Blick wieder ab, bevor diese Situation noch peinlicher für ihn wurde, wodurch er nicht einmal bemerkte, wie Mirâ sich hinunter kniete und anfing den Sand um ihn herum wegzuschaufeln. Als ihre kleine Schwester protestieren wollte, stülpte Mirâ dieser nur deren Schwimmreifen über den Kopf und versprach ihr endlich ins Wasser zu gehen, wenn sie mithelfen würde Hiroshi aus dem Haufen zu holen. Damit hatte die junge Frau ihre Schwester am Haken und gemeinsam buddelten sie den Blonden wieder aus dem Sand heraus. Dieser bekam das erst so richtig mit, als er merkte, wie das Gewicht auf seinem Körper weniger wurde. Kaum war das Gewicht auf seinem Körper so weit gesunken, dass er sich wieder frei bewegen konnte, hatte sich der Blonde auch schon aus dem restlichen Sand befreit. Sofort sah er Junko kurz mit einem düsteren Blick an, woraufhin diese mit einem Quieken aufsprang und, den Schwimmreifen fest an sich drückend, Richtung Meer rannte, dabei aber nicht umher kam zu lachen. Der Blonde folgte der Kleinen bis zum Wasser und bekam sie dort endlich zu fassen, woraufhin sofort eine Wasserschlacht zwischen den Beiden entfachte. Auch Mirâ folgte den Beiden ins Wasser und beteiligte sich an dieser Schlacht, allerdings auf der Seite ihrer kleinen Schwester. Sich beschwerend, dass dies unfair sei, machte sich der junge Mann sofort aus dem Staub, doch die Beiden Mädchen waren hartnäckig und folgten ihm. Auch wenn er versuchte sich zu wehren, so hatte der Blonde keine wirkliche Chance gegen die Beiden. Etwas später lag Hiroshi alle viere von sich gestreckt auf seiner Decke und atmete etwas durch. Irgendwann hatten die Beiden von ihm abgelassen und so konnte er sich unbemerkt aus dem Wasser stehlen, aber nun war er fix und alle und wäre am liebsten sofort eingeschlafen. Doch er wusste, würde er nun einschlafen, würde er sich ganz mächtig verbrennen. Da die Gruppe nur mit dem Zug anreisen konnte, war es für sie schier unmöglich einen Sonnenschirm mitzunehmen und sich einen Ausleihen kam auch nicht in Frage, da sie einfach auch viel zu teuer angeboten wurde. "Alles klar bei dir?", mit einem Ruck saß Akane neben ihrem Kumpel, "Die Beiden haben dich ja echt fertig gemacht." "Urgh... ich hatte keine Chance.", murmelte der Blonde nur müde. "Aber anscheinend hat dich im Wasser Mirâs Aufzug nicht gestört. Was?", kam es nur grinsend von der Braunhaarigen, woraufhin ihr Kumpel nur wieder knallig rot anlief und den Blick abwandte, "Das braucht dir nicht peinlich zu sein. Mir gegenüber jedenfalls nicht. Aber vielleicht wäre es langsam nicht schlecht, wenn du mit Mirâ über deine Gefühle sprechen würdest..." "Nie im Leben. Das habe ich dir schon einmal gesagt.", murmelte Hiroshi, während er seinen Arm über seine Augen legte, "Erstens steht Mirâ auf Shin und zweitens würde es nur Probleme geben. Wir können uns aktuell einfach keine Unruhe in der Gruppe leisten und ich will auch keine Unruhe rein bringen. Es ist besser so." Akane sah den Blonden ernst an und seufzte dann. Er war sauer, das merkte die Braunhaarige. Das er Masaru bei seinem Nachnamen nannte, war ein Beweis dafür. Immer wenn Beide eines dieser Gespräche führten und Hiroshi dabei bewusst wurde, wie hoffnungslos seine Liebe zu Mirâ doch war, dann nannte er den älteren Schüler bei seinem Nachnamen. Akane hatte dabei mittlerweile aufgegeben ihm gut zuzureden. Immerhin konnte er nicht sicher sein, das Masaru das Gleiche für Mirâ empfand. Und trotzdem machte sich der Blonde dabei immer ziemlich runter, selbst wenn die junge Frau ihm dabei versuchte zu erklären, dass es gar nicht so war. Sie selbst würde sich zwar nie in Hiroshi verlieben können, da sie ihn einfach schon viel zu lange kannte - auch die Seiten, die Mirâ und die Anderen nicht kannten -, aber sie hatte schon bemerkt, das er attraktiver zu seiner Zeit in der Mittelstufe geworden war. Durch seine gefärbten Haare und sein oft liederliches Auftreten, hielten ihn zwar viele für einen Rowdy, aber er hatte sicher einige Verehrerinnen, da war sich die Braunhaarige sicher. Und damit meinte sie nicht einmal Matsurika. Wieso sich Hiroshi also so runterputzte wusste sie nicht genau, aber sie hatte eine Ahnung. Immerhin kannte sie ihn schon, als er eben noch nicht so war wie jetzt. Erneut seufzte sie: "Putz dich nicht immer so runter. Das hätte dein früheres Ich gemacht. Aber das hast du doch gar nicht mehr nötig. Leg mal mehr von deinem Selbstvertrauen an den Tag." Damit war die Brünette aufgestanden und gegangen. Hiroshi sah ihr kurz nach und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Es stimmte schon, dass er nun anders war als damals, aber trotzdem war er immer noch der Junge von damals, mit den gleichen Ängsten. Nur mittlerweile wusste er sie zu überspielen. Wieder legte er seinen Arm über die Augen und hing weiter seinen Gedanken nach. Beinahe wäre er sogar eingeschlafen, hätte er nicht einen Schatten über sich bemerkt. Kaum hatte er seinen Arm von den Augen genommen, strahlten ihn bereits zwei große rote Augen an. Leicht erschrocken wich er etwas zurück, ehe er bemerkte, dass es sich dabei um Junko handelte. Diese sah ihn kurz fragend an und hielt ihm dann mit einem breiten Lächeln ein Stück einer Wassermelone hin. Etwas irritiert blickte er auf die rosarote Frucht und schien unschlüssig, was er nun damit machen sollte. Ein Blick zu den Mädchen und Yasuo verriet, dass alle ein Stück der Wassermelone bekommen hatten. So nahm der Blond dem kleinen Mädchen die ihm angebotene Frucht entgegen und biss genüsslich hinein. Erst später erfuhr der Blonde, dass sich Mirâ von ihrer Schwester hatte überreden lassen die Melone zu kaufen. Daraufhin hatte er der Violetthaarigen zwar angeboten einen Teil der Melone zu bezahlen, immerhin war diese Frucht in Japan alles andere als günstig, doch seine Freundin lehnte dankend ab und meinte, dass sie dies bei einer anderen Gelegenheit begleichen würden. "Versuch es erst gar nicht, Hiroshi.", murmelte Kuraiko, während auch sie sich das Stück Melone schmecken ließ, "Wir haben es bereits versucht, aber Mirâ lässt sich davon nicht rumkriegen." "Ich verstehe...", kam es nur von dem Blonden. Auf den Ausruf Junkos, dass sie halt die beste große Schwester der Welt hatte, seufzte Mirâ jedoch nur. Sie konnte der Kleinen einfach nichts ausschlagen, wenn diese sie bat etwas zu kaufen. Auch auf ihr Drängen hin, doch am nächsten Tag mit auf das Tsukinoyo gehen zu dürfen hatte Mirâ sich breitschlagen lassen. Aber auch da hatte es sie Überredungskunst gekostet ihrer Mutter eine Erlaubnis zu entlocken. Sogar noch mehr, als für den Ausflug ans Meer. Wenn sie im Nachhinein so darüber nachdachte fand sie die Reaktion ihrer Mutter sogar extrem übertrieben. Als die Violetthaarige sie auf das Tsukinoyo angesprochen hatte, war Haruka kreidebleich angelaufen und hatte sofort geschimpft, dass sie nicht wollte, dass Junko auf das Fest ging. Sie meinte sogar, dass sie es am liebsten sogar Mirâ verbieten würde, diese jedoch mittlerweile zu alt war, um ihr solche Dinge zu verbieten. Die junge Frau fand diese Reaktion schon recht übertrieben und hatte versucht herauszufinden, warum ihre Mutter so überreagierte. Doch egal was sie versucht hatte, Haruka hatte nur mit den Worten "Darum" und "Deshalb", sowie "Weil es eben so ist" geantwortet. Erst auf längeres Zureden hatte sich ihre Mutter überreden lassen. So wurde abgemacht, dass Mirâ Junko über den Tag mit auf das Fest nehmen durfte und Haruka sie gegen Abend abholen würde. Doch auch dieses Mal musste die Violetthaarige versprechen ihre Schwester im Auge zu behalten und Junko musste versprechen die ganze Zeit in Mirâs Nähe zu bleiben. Es würde schwierig werden, doch wollte sich die junge Frau daran halten. Trotzdem fand sie das Verhalten ihrer Mutter übertrieben und hatte im ersten Moment überlegt ihren Vater anzurufen und nachzufragen, warum Haruka so überreagierte. Diesen Gedanken hatte Mirâ allerdings wieder verworfen. Das Verhältnis ihrer Eltern war so schon nicht sehr gut, so etwas konnte die Situation nur eskalieren lassen. Das wollte die junge Frau nicht. Ein Tippen an ihrer Schulter ließ die Violetthaarige aufblicken und genau in die roten großen Augen ihrer Schwester sehen. Diese sah sie besorgt an und fragte ob alles in Ordnung sei, da sie nicht sofort reagiert hatte. Mirâ lächelte und strich ihrer kleinen Schwester über den Kopf, bevor sie ihr antwortete, dass alles okay sei. "Wie sieht es aus Junko. Wollen wir noch mal ins Wasser?", fragte die junge Frau und stand auf. Sofort strahlten die roten Augen der Kleinen wieder vor Freude. Es dauerte keinen Wimpernschlag, da war auch das kleine Mädchen aufgesprungen, hatte ihren Schwimmreifen geschnappt und war vorgerannt. Mirâ seufzte und wollte ihr wieder nachrufen, dass sie doch in ihrer Nähe bleiben sollte, doch ließ es. Junko würde eh nicht hören und gerade war es auch nicht mehr so voll, sodass sie die Kleine auch nicht so schnell verlieren konnte. Auch Mirâs Freunde erhoben sich und Akane hielt einen bunten Wasserball in die Höhe, mit dem Vorschlag, dass sie ja gemeinsam damit im Wasser spielen konnten, ehe sie der Grundschülerin ins Wasser folgten. Am späten Nachmittag machte sich die Gruppe wieder auf den Heimweg. Freudig verkündete Junko, dass sie riesigen Spaß gehabt hatte und sie gerne noch einmal ans Meer fahren würde. Doch hatte sie dieser Ausflug so geschafft, dass sie einschlief, kaum dass die Gruppe im Zug Platz genommen hatte. Sie war sogar so tief eingeschlafen, dass Mirâ sie an ihrer Station in Kagaminomachi nicht einmal zu wecken vermochte. Zwar wurde Junko kurz wach und rieb sich die Augen, doch schlief kurz darauf gleich wieder ein. Ratlos saß Mirâ nun da und überlegte, wie sie ihre kleine Schwester so nun nach Hause bekam. Sie tragen kam für die junge Frau nicht in Frage zumal sie ja auch noch die Taschen mit dem Badezeug tragen musste. Und wecken ließ sich die Kleine nicht. "Ich trage sie.", bot Hiroshi plötzlich an, was die Violetthaarige erstaunt aufschauen ließ, "Ich nehm sie huckepack und bringe euch nach Hause." "Das ist doch aber ein Umweg für dich.", wollte Mirâ den jungen Mann abhalten, doch dieser lächelte nur und meinte, dass es ihm nichts ausmachen würde. Etwas betroffen senkte Mirâ den Blick: "Danke." Eine ganze Weile später waren Mirâ und Hiroshi auf dem Weg zu Mirâs Haus. Junko schlief immer noch auf Hiroshis Rücken und schien sich dort nur allzu wohl zu fühlen. Ihre kleinen Hände hatte sie irgendwann fest in sein Shirt gegraben und sie hatte leise vor sich hin genuschelt. Als dem Blonden dies aufgefallen war musste er unweigerlich etwas lachen. Er fand die Kleine einfach nur süß. Nebenbei unterhielten sich die beiden Oberschüler über den schönen Tag am Strand und darüber, wie sie am nächsten Tag wegen des Tsukinoyos vorgehen würden. So wollten sie sich alle wieder gemeinsam am Hauptbahnhof Kagaminomachi treffen und dann gemeinsam zum Fest laufen. Leider hatte nun auch noch Kuraiko kurzfristig absagen müssen, da ihre Eltern während des Festes nun doch mehr Hilfe in der Bäckerei brauchten. Gerade Shuya würde dies nicht gefallen, aber auch Mirâ fand es schade. Allerdings hatten sie sich vorgenommen, kurz in der Bäckerei vorbeizuschauen. Auch dem Tempel von Masaraus Familie wollten sie einen Besuch abstatten, so war es jedenfalls geplant. "Ich freu mich schon riesig auf Morgen.", lachte Mirâ, als sie an den morgigen Tag denken musste, "Bin schon sehr gespannt, wie das Fest so ist. Ob ich einen Yukata anziehen soll?" Erstaunt sah Hiroshi die junge Frau an. Einen Yukata? Irgendwie kam er nicht drumherum sich vorzustellen, wie Mirâ in einem Sommerkimono aussah und lief plötzlich rot an. Sofort drehte er den Kopf weg, damit die junge Frau es nicht bemerkte, doch die war noch immer mit ihren Gedanken beschäftigt und hätte es so oder so nicht mitbekommen. "Ich denke ich sollte Akane fragen, ob sie auch einen anzieht. Das sieht sicher komisch aus, wenn nur ich einen Yukata anziehe.", überlegte Mirâ weiter. Am liebsten hätte der Blonde seiner Freundin sofort gesagt, dass er sie gern in einem Yukata sehen würde, doch wieder einmal traute er sich nicht. Wie würde das auch rüberkommen? Allerdings fiel ihm dabei ein, dass er die junge Frau noch etwas fragen wollte. "Du hör mal Mirâ.", begann er, woraufhin ihn die junge Frau mit großen fragenden Augen ansah, "A-also, Akane meinte du hörst gern die Musik von Akisu u-und morgen Abend ist im Kagamine Park ein kleines Konzert, wo Akisu auftritt. Hättest du Lust mit mir dorthin zu gehen? Ich hab zwei Karten und ja..." "Akisu gibt ein Konzert?", kam sofort die Frage, allerdings schien der Violetthaarigen dann etwas anderes mehr aufzufallen, "Du hörst auch die Musik von Akisu? Hätte ich jetzt nicht gedacht." Sofort schrak der Blonde etwas zurück und richtete seinen Blick stur auf die Straße vor sich: "N-nein so ist das nicht. Eigentlich ist das nicht so meine Musik, aber mein Vater hat von einem ehemaligen Klienten zwei Karten bekommen und sie mir gegeben. Ich wollte sie Akane geben, damit ihr beide hin gehen könnt, aber sie meinte Akisus Musik interessiert sie nicht. Shuyan brauch ich auch nicht fragen, der würde mich wohl auslachen, und Kuraiko... der sehe ich an, dass sie diese Art Musik nicht gerne hört. Aber bei dir wusste ich durch Akane dass du ihre Musik magst. Deshalb hab ich dich gefragt, aber wenn du nicht möchtest dann ist das auch okay." Er blickte wieder zu seiner Begleitung neben sich und sah plötzlich in zwei rote Augen, welche ihn förmlich anstrahlten und ihm verrieten, dass Mirâ sehr gern auf das Konzert wollte. "Ich würde mich freuen, wenn du mich mitnehmen würdest.", kam es total überschwänglich, "Zu ihrem letzten Konzert wollte ich auch gehen, aber damals waren wir wieder im Umzugsstress, weshalb ich nicht gehen konnte. Außerdem waren die Karten damals echt teuer. Aber ist das echt in Ordnung für dich? Ich meine, weil du ihre Musik nicht so magst." "Ist schon okay. Einmal kann man es sich ja anhören. Meinst du nicht? Es wird mich nicht gleich umbringen.", lachte Hiroshi, woraufhin Mirâ mit einfiel. "Na ihr scheint ja Spaß zu haben.", hörten die Beiden plötzlich neben sich. Als sich die beiden umdrehten erkannten sie Mirâs Mutter Haruka, welche in der Tür stand und sie mit einem Lächeln ansah. "Hallo Hiroshi. Lange nicht gesehen.", grüßte sie den blonden jungen Mann, "Wie ich sehe wurdest du als Träger für Junko missbraucht." "Guten Tag, Shingetsu-San. Ist schon in Ordnung. Junko war im Zug eingeschlafen und nicht wach zu bekommen. Deshalb habe ich mich angeboten sie zu tragen.", erklärte der Blonde mit einem Lächeln. Haruka seufzte und nickte verständlich. Sie hatte sich so etwas Ähnliches bereits gedacht, immerhin kannte sie ihre jüngste Tochter gut genug. Die Blauhaarige trat zur Seite und bat die beiden Oberschüler herein, wobei sie Hiroshi bat Junko auf das Sofa ins Wohnzimmer zu legen. Dieser tat wie geheißen und wollte sich danach eigentlich gleich wieder auf den Weg machen, als er mitbekam wie Mirâ ihre Mutter fragte wann diese Junko am nächsten Tag abholen wollte. "Ich dachte so gegen 18 Uhr am Tempel.", erklärte ihre Mutter, "Dort finden wir uns am schnellsten, denke ich." Fragend blickte Mirâ zu ihrem Kumpel und fragte, wann das Konzert startete und ob sie es zeitlich schaffen würden. "Moment. Was für ein Konzert?", mit ernstem Blick sah Haruka die beiden Freunde an. "Ähm... Naja... am Abend soll im Kagamine Park ein kleines Konzert von Akisu stattfinden. Hiroshi-Kun hat von seinem Vater zwei Tickets bekommen und mich gefragt, ob ich mitkomme. Ich darf doch. Oder Mama?", die junge Frau schlug bittend die Handflächen aneinander und verneigte sich leicht vor ihrer Mutter. Diese sah sie ernst an. Eigentlich wollte sie ihre Tochter so spät abends nicht mehr alleine draußen wissen. Immerhin würde dieses Konzert bis in die Nacht gehen. Andererseits war sie ja nicht alleine, da Hiroshi bei ihr war. Doch würde das reichen? Ihr Blick lastete immer noch auf ihrer Tochter, welche mittlerweile mit einem Auge nach ihr schielte, allerdings immer noch die bittende Stellung innehatte. Dann seufzte Haruka: "Alles klar. Du darfst hingehen." "Wirklich?", glücklich sprang die Violetthaarige auf und umarmte ihre Mutter freudig, "Vielen Dank, Mama!" "Ich verspreche, sie auch nach dem Konzert nach Hause zu begleiten.", versprach Hiroshi sofort, worauf die Blauhaarige sich mit einem Nicken bedankte. "Na gut. Dann werde ich mal das Abendessen vorbereiten.", vorsichtig befreite sich Haruka aus Mirâs Umarmung und machte sich auf den Weg in die Küche, "Möchtest du mitessen Hiroshi?" "Danke für das Angebot, aber ich muss leider ablehnen. Ich muss langsam nach Hause, sonst bekomme ich Ärger vom Hausdr... von meiner Mutter. Sie ist sehr streng bei so was." "Oh schade. Dann komm gut Heim.", lächelte Mirâs Mutter. Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Hiroshi noch einmal von Haruka und wurde dann von Mirâ hinausbegleitet, welche sich noch einmal für seine Hilfe bedankte und sich danach auch verabschiedete. Nachdem Hiroshi noch einmal zurück gewunken hatte, machte er sich auf den Weg nach Hause, froh darüber Mirâ wegen des Konzertes gefragt zu haben. Kapitel 41: XLI - Das Tsukinoyo beginnt --------------------------------------- Freitag, 31.Juli 2015 Die Hand ihrer kleinen Schwester haltend, drängte sich Mirâ durch die Menschenmassen, welche sich auf dem Bahnsteig der U-Bahnstation des Hauptbahnhofes tummelten. Ihr dicht auf den Fersen war Akane, welche ein Stück hinter Junko lief, damit diese nicht von den Menschen um sich herum weggedrängt wurde. Krampfhaft hielt sich die Kleine an ihrer Schwester fest und hoffte, dass sie bald einen Platz fanden, an dem sie etwas durchatmen konnten. Dieser Wunsch wurde allerdings erst außerhalb des Bahnhofsgebäudes erfüllt, denn dort verliefen sich die ganzen Menschenmassen so langsam. Erst einmal durchatmend standen die beiden jungen Frauen und die Grundschülerin an einer Laterne und blickten zurück auf die ganzen Leute, welche alle das Tsukinoyo besuchen wollten. So viele Menschen auf einem Haufen hatte Mirâ noch nie gesehen. In den Kleinstädten, in welchen sie vorher gelebt hatte, gab es zwar auch solche Volksfeste, allerdings waren dort nie so viele Menschen. Oder es war ihr nie aufgefallen, weil es nicht so viele auf einen Haufen waren. So genau konnte Mirâ das gar nicht sagen, aber sie war wirklich leicht überfordert und hoffte, dass es auf dem Festgelände nicht ein solches Gedränge geben würde. Sonst wäre es auch für sie unmöglich auf Junko aufzupassen. "Ganz schön viele Menschen. Was?", sprach eine bekannte männliche Stimme, was die drei Mädchen aufblicken ließ. Vor ihnen standen Hiroshi und Shuya, welche zur Begrüßung die Hand hoben. "Ja. Ich war ganz schön erschrocken.", erklärte Mirâ, den Blick wieder auf die ganzen Menschen gerichtet. "Das ist ja auch der einzige Tag an dem mal mehr Touristen als üblich in unsere Stadt kommen. Aber keine Sorge, da das Fest in der ganzen Innenstadt gefeiert wird, verläuft sich das ganz gut.", meinte Shuya, welcher seine Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte. Sein Blick fiel auf Junko, die Hiroshi stürmisch mit einer Umarmung begrüßte, welcher sie auf seinen Arm hob: "Und wer ist diese kleine Lady? Deine heimliche Freundin, Hiro?" Mit großen Augen sah Junko den Violetthaarigen an. Danach ging ihr Blick zu Mirâ, welche mit einem Lächeln nickte, dann zu Hiroshi und dann wieder zurück zu Shuya. "Ich bin Junko Shingetsu.", sagte die Kleine schließlich schüchtern, während sie sich etwas ängstlich an Hiroshi klammerte. Der andere Junge lächelte freundlich und nahm vorsichtig die kleine Hand der Grundschülerin: "Junko-Chan also. Ich bin Shuya Nagase, du kannst mich aber Shuyan nennen, wenn du möchtest. Es freut mich sehr dich kennenzulernen." Mit einem immer noch breiten Lächeln verbeugte sich der junge Mann kurz und gab dem kleinen Mädchen einen Handkuss. Sofort wurde sie leicht rot und sah den Violetthaarigen irritiert an, welcher ihre Hand nun langsam wieder losließ. Mit seiner freien Hand verpasste Hiroshi seinem Kumpel einen Klapps auf den Hinterkopf und mahnte ihn, nicht ständig so zu übertreiben. Der Angesprochene grinste dabei nur breit, bevor er sich umdrehte und wieder seine Arme hinter dem Kopf verschränkte. "Aber was sehen meine Augen. Keine Yukatas? Zu einem Sommerfest gehören doch Sommerkimonos.", sprach der junge Mann dann grinsend. Mirâ und Akane sahen sich kurz an, ehe die Braunhaarige erklärte, dass es sich in Yukatas einfach blöder laufen ließ und sie deshalb keinen angezogen hatte. Auch Mirâ hatte nun doch bewusst keinen Yukata angezogen, da sie daran denken musste, dass die am Abend mit Hiroshi auf das Konzert gehen wollte und dort ein Yukata wohl nur hinderlich wäre. Als Shuya hörte, dass Mirâ gemeinsam mit Hiroshi auf das Konzert ging, grinste er seinen besten Kumpel erneut breit an. Dieser hatte Junko nun heruntergelassen und legte einen Arm um Shuyas Schulter, ehe er ihn erneut ernst mahnte, dass sein zu lassen. Doch der Violetthaarige musste darauf nur lachen. "Na bei euch geht es ja schon stürmisch zu.", kam es von einer weiteren männlichen Stimme, welche aber sehr müde klang. Sofort waren alle Blicke auf Yasuo gerichtet, welcher alle wie immer mit einem "Yo" begrüßte. Auch zu diesem Ausflug hatte Akane den Blauhaarigen eingeladen. Sie wollte nicht, dass Yasuo ausgegrenzt wurde und auch nicht, dass dieser sich selbst ausgrenzen würde. Das Zweite traf wohl am ehesten zu, deshalb setzen sie alles daran den Blauhaarigen immer mal wieder einzuladen. Bisher hatte er eigentlich immer eingewilligt, auch wenn es meistens danach aussah, als hätte er keine wirkliche Lust dazu. Auch heute sah er nicht so aus, als hätte er große Lust auf das Fest zu gehen. Trotzdem war er hier und das freute die Braunhaarige. "Scheint so als wären wir vollzählig.", meinte Hiroshi, "Dann können wir ja los." "Moment! Wo ist Fuka-Chan?", hektisch sah Shuya sich um, "Sie wollte doch auch mitkommen." Genervt stöhnte der Blonde auf und legte sich zwei Finger an den Nasenrücken: "Das hatte ich ganz vergessen..." "Was?" "Dir zu sagen, das Kuraiko nicht kommen kann.", murmelte Hiroshi vor sich hin. "Wie bitte? Wie konntest du das vergessen? Wieso kann sie nicht?", theatralisch hängte sich der Violetthaarige an seinen Kumpel, was diesen nur seufzen ließ. Shuya tat so, als würde es um Leben und Tod gehen, dabei war es nur sein Schwarm, der nicht kommen konnte. Der Violetthaarige konnte wirklich manchmal übertreiben. In ruhigem Ton erklärte der Blonde seinem Kumpel, weshalb Kuraiko nun doch nicht dabei sein konnte und dass sie aber vor hatten in der Bäckerei vorbeizuschauen. So wirklich aufmuntern konnte dies den Violetthaarigen allerdings nicht und er wollte schon geknickt wieder nach Hause gehen, als er von Hiroshi an der Kaputze gefasst und mit den Worten "du kommt mit", hinterhergezogen wurde. Damit machte sich die Gruppe auf den Weg in die Innenstadt. Schon als sie den Bahnhofsvorplatz verließen und in die erste Straße einbogen, sahen sie die ersten Straßenabsperrungen und Buden stehen. Von einigen der Buden roch es angenehm nach verschiedensten Leckereien. Andere Stände verkauften Spielsachen, Masken oder weitere traditionelle Dinge und einige Stände warben mit speziellen Getränken aus der Region, welche es angeblich nur hier zu kaufen gab. Mirâ lief mit Hiroshi vorne weg, während Junko zwischen den Beiden lief. Sie hatte mittlerweile sowohl die Hand ihrer Schwester, als auch die Hand des Blonden gegriffen, doch diese Beiden waren so von den Ständen um sie herum abgelenkt, dass sie das gar nicht bemerkten. Akane, Shuya und Yasuo, welche hinter den dreien liefen jedoch, hatten es sehr wohl mitbekommen. Während den Blauhaarigen diese Szene allerdings eher weniger zu interessieren schien, grinsten Shuya und Akane vor sich hin. "Ihr seht aus wie eine kleine Familie. Wisst ihr das?", konnte es sich der Violetthaarige am Ende dann doch nicht verkneifen. Irritiert sahen Hiroshi und Mirâ hinter sich zu ihren Freunden, ehe sie zu begreifen schienen was Shuya damit gemeint hatte. Ein Blick zwischen sich verriet ihnen was gemeint war, als sie Junko breit lächelnd und ihrer beiden Hände haltend zwischen ihnen stehen sahen. Total perplex über diese Situation liefen beide tiefrot an, trauten sich jedoch nicht einfach Junkos Hand loszulassen. Diese schien immerhin nicht einmal zu verstehen, wie die aktuelle Situation rüberkam und weshalb den beiden Älteren dies peinlich sein könnte. Wenn dies ein Comic gewesen wäre, hätte man über den Köpfen der beiden Oberschüler wohl eine kleine Wolke verdampfen sehen. Nun konnte Shuya nicht mehr an sich halten und fing an zu lachen. Er fand diese Szene einfach nur zu genial. Junko jedoch sah nun doch etwas irritiert aus. Sie wusste nicht, weshalb ihre Schwester und Hiroshi so betreten aussahen und weshalb Shuya so lauthals lachte. Allerdings dachte sie auch nicht daran die Hände der Beiden loszulassen, was die Situation nicht unbedingt einfacher machte. Jedoch ließ Hiroshi nun endlich die kleine Hand der Grundschülerin los, allerdings nur, um auf Shuya loszugehen und diesem erneut einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben. "Lass das.", meckerte der Blonde. "Gomen.", lachte Shuya immer noch und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, "Aber es sah wirklich niedlich aus. Ihr wärt wirklich ein hübsches Paar." Den letzten Satz hatte er mit einem Zwinkern und so leise gesagt, dass Mirâ es nicht mitbekommen konnte. Dabei hatte er seinem Kumpel den Arm um die Schulter gelegt. Dieser hatte die Augen geschlossen und befreite sich wieder aus dem Griff des Violetthaarigen, bevor er diesem noch einmal klarmachte, dass er sich da keine Hoffnungen machen brauchte. Geschlagen seufzte Shuya, während sein Blick zu Akane ging, die aber nur den Kopf schüttelte. Fragend blickte Junko zwischen den Oberschülern hin und her und schien immer noch nicht ganz zu verstehen, was denn überhaupt los war. Irgendwie benahmen sich alle ihrer Meinung nach komisch. Am liebsten wäre sie weitergegangen, aber sie traute sich dieses Mal nicht danach zu fragen. Sie hatte ihrer Mutter versprechen müssen auf Mirâ zu hören und wenn sie sich daran erinnerte, wie böse ihre Schwester am Vortag geworden war, als sie gequengelt hatte endlich ins Wasser zu dürfen, dann wollte sie das nicht noch einmal erleben. Selten wurde Mirâ wirklich böse, doch da hatte wohl Junko einmal den Bogen überspannt. Deshalb wollte sie nicht wieder nörgeln, auch wenn sie das Herumstehen langweilte. "Lasst uns weitergehen. Junko scheint sich zu langweilen. Solche Gespräche solltet ihr ein anderes Mal fortsetzen.", meinte nun Yasuo, welcher dem Gespräch kurz gefolgt war und dann aber abgeschaltet hatte. Er setzte sich in Bewegung und ging voraus. Kurz sah die Gruppe ihm nach, doch folgte ihm dann, bevor sie ihn noch aus den Augen verloren. Dieses Mal lief jedoch Akane neben Mirâ und Junko her, während sich Hiroshi zu Shuya hatte zurückfallen lassen. Der Violetthaarige piesackte seinen Kumpel weiterhin immer mal wieder mit dummen Sprüchen, was der Blonde über sich ergehen ließ, denn er wusste, dass Shuya sowieso erst aufhören würde, wenn er keine Lust mehr hatte. Nach einer Weile erreichte die Gruppe die große Einkaufsstraße, in welcher auch die Bäckerei von Kuraikos Eltern lag. Die Straße war noch wesentlich schöner gestaltet, als die kleinen Gassen, durch welche sie vorher gelaufen waren. Zwischen den einzelnen Laternen waren verschiedene Lampions aufgehängt, welche in einem sanften Orange leuchteten. Zwischen den Lamions hingen verschiedenfarbige Bänder, welche leicht im Wind wehten. Auch die einzelnen Läden hatten ihre Eingänge festlich geschmückt. In der Mitte der breiten Einkaufsstraße, in welcher normalerweise immer die Autos fuhren, waren ebenfalls verschiedene Stände aufgebaut. Auch hier wurden leckere Speisen und Getränke angeboten und es gab sogar einen Stand an dem man Goldfische angeln konnte. Kaum hatten Junkos Augen genau diesen Stand erfasst, zog sie bereits an Mirâs kurzer Hose, was die Violetthaarige zu ihr hinunterschauen ließ. Mit bettelnden großen Augen blickte Junko ihre Schwester an, woraufhin diese nur seufzte und ihr Portmonee heraus kramte, um zu schauen, wie viel Geld sie eigentlich mit hatte. Sie war sich sicher, dass sie auf dem Konzert später auch noch etwas brauchte, also durfte sie nicht allzu viel ausgeben, auch nicht für Junko. Doch es würde schwierig werden, diesen großen Augen zu wiederstehen. "Na gut. Aber nur ein Versuch. Okay?", sagte die anschließend, was Junko freudig nicken und zu dem Stand laufen ließ. Die Oberschüler folgten der Kleinen und Mirâ bezahlte für Junkos Versuch einen Goldfisch zu fangen. Mit einem Papiersieb und einer kleinen Schüssel bewaffnet hockte sich die Blauhaarige vor das Becken und suchte sich einen passenden Goldfisch aus. Nachdem sie den richtigen gefunden hatte konzentrierte sie sich und versuchte ihr Glück. Leider riss das dünne Papier, sobald es in Berührung mit dem Fisch kam und dieser konnte wieder zurück ins Becken springen. Enttäuscht schaute die Kleine auf den glücklich vor sich hinschwimmenden Fisch. Kleine Tränen sammelten sich in ihren Augen und Mirâ ahnte bereits, dass ihre kleine Schwester wohl gleich mächtigen Terror machen würde, obwohl sie versprochen hatte sich zu benehmen. Doch noch bevor die Kleine auch nur anfangen konnte zu weinen, hatte bereits Shuya sein Geld gezückt und sich neben Junko gehockt, bevor er es ebenfalls versuchte. Doch auch bei ihm riss das Papier, sodass der Fisch wieder ins Wasser sprang und ihn vollspritzte. Dadurch wich er etwas zurück und fiel auf seinen Hintern, was Junko wiederum zum Lachen brachte. Auch Hiroshi und Akane versuchten nun ihr Glück, wurden aber auch mit wenig Erfolg gekrönt, als sich ihre Fische wieder ins Wasser verabschiedeten. Fluchend schaute Akane auf ihr gerissenes Papier und merkte plötzlich, wie sich eine große Person neben sie hockte. Als sie ihren Blick darauf richtete, erkannte sie Yasuo, welcher nun auch einen Versuch wagte. Ganz ruhig saß er vor dem Becken und wartete ab, während Junko und Akane ihn ganz angestrengt ansahen. Es war nur ein kurzer Augenblick, doch dann war einer der Goldfische in dem Schälchen gelandet. "Wah!", strahlte Junko und klatschte in die Hände, "Du hast einen gefangen. Wie hast du das gemacht?" "Hm... man muss nur vorsichtig und schnell genug sein, aber so genau kann ich dir das nicht erklären.", meinte Yasuo darauf nur und kratzte sich am Nacken. "Das war cool.", freute sich die Grundschülerin, was dem Blauhaarigen ein leichtes Lächeln entlockte. "Hey, du kannst ja auch lächeln.", bemerkte Akane mit einem zwinkern, "Das solltest du öfters tun." Irritiert sah Yasuo sie an, doch drehte dann verlegen den Kopf zur Seite, was die Braunhaarige kichern ließ. Dann stand er jedoch einfach auf und nahm den Fisch, welchen der Händler in eine kleine Plastiktüte mit Wasser und kleinen Löchern oberhalb gepackt hatte, entgegen, reichte diesen jedoch an Junko weiter. Diese sah ihn erst mit großen Augen an und schien nicht ganz zu verstehen, was Yasuo von ihr wollte, doch dann nahm sie den Fisch entgegen und sah ihn mit großen Augen an. Erst als Mirâ sie ermahnte sich zu bedanken, verbeugte sich die Kleine vorsichtig, immer darauf bedacht, den Fisch nicht zu sehr zu schütteln, und bedankte sich. Auch Mirâ bedankte sich noch einmal bei Yasuo und ihren anderen Freunden, welche jedoch nur lächelten und es damit abtaten, dass sie ja am Vortag die Melone bezahlt hatte. Mit einer glücklichen Junko an ihrer Seite machte sich die Gruppe damit weiter auf ihrem Weg über das Fest. Wenige Minuten später betraten sie die gut duftende Bäckerei "Fukagawa". Vor dem Tresen tummelten sich ein paar vereinzelte Leute, doch richtig voll war es im Moment nicht, also ging die Gruppe davon aus, dass sie einen günstigen Moment abgepasst hatten. Die Schwarzhaarige bediente gerade noch einen letzten Kunden, als ihr ihre Freunde erst einmal auffielen. Ihr Gesicht verzog sich allerdings in dem Moment, wo ihr Blick Shuya traf. Warum musste er auch hier sein? Noch ehe sie den Gedanken weiterdenken konnte, dass es wohl peinlich werden würde, wenn er ihren Spitznamen laut herumschrie geschah dies auch schon. "Fuka-Chan, endlich kann ich dich sehen.", sagte er breit grinsend. "Sind das Freunde von dir Raiko?", fragte die ältere Dame, welche neben der Schwarzhaarigen stand und die Mirâ als deren Mutter erkannte. Auch Kuraikos Mutter schien nun die Violetthaarige wiederzuerkennen und lächelte freundlich, ehe sie ihrer Tochter eine kurze Verschnaufpause zusprach. Diese wäre am liebsten sofort wieder in der Backstube verschwunden, doch da hatte ihre Mutter ihr bereits gesagt, dass sie ihren Freunden doch etwas anbieten sollte. "Setzt euch doch dort drüben in die Sitzecke. Ihr habt gerade einen guten Moment abgepasst, wo es nicht so voll ist.", bot die ältere Dame der Gruppe an, was diese auch dankend annahm und sich in die Sitzecke setzten. Am liebsten hätte Kuraiko ihre Mutter verflucht, doch sie biss sich auf die Zunge. Seit den Ereignissen in der Spiegelwelt überdachte sie lieber solche Wünsche zweimal. Stattdessen sortierte sie einige Gebäckstücke auf mehrere Teller und knirschte nur mit den Zähnen. Sie wurde leicht von ihrer Mutter in die Seite gestupst, was sie genervt aufschauen ließ. "Was?", zischte sie nur. Ihre Mutter lachte jedoch nur: "Sag mal. Dieser junge Mann, der dich Fuka-Chan genannt hat, ist das vielleicht dein Schwarm? Oder dein Freund?" Sofort lief die Schwarzhaarige rot an: "W-Wie kommst du auf so einen Mist? Natürlich nicht! Er ist nur ein nerviges Etwas, was an meinem Rockzipfel hängt." "So? Er hat sich so doll gefreut dich zu sehen.", lächelnd sah die ältere Dame zu der Gruppe hinüber, welche sich über etwas zu unterhalten schien. "Ich sagte doch er hängt nur an meinem Rockzipfel.", murrte Kuraiko und nahm die Teller auf, dann blickte sie zu ihrer Mutter, "Würdest du mir kurz helfen?" Die Angesprochene kicherte nur auf Kuraikos Art und half ihrer Tochter dann die Teller zu ihren Gästen zu tragen: "Hier ihr lieben. Bedient euch. Raiko ich rufe dich, wenn ich deine Hilfe wieder brauche." "Hör auf mich so zu nennen.", fauchte die Schwarzhaarige ihrer Mutter nach, als diese den Tisch wieder verließ. Dann setzte sie sich und sah beleidigt in die Runde: "Was macht ihr hier?" "Wir hatten Sehnsucht nach dir Fuka-Chan. Ich war traurig, als du nicht am Treffpunkt erschienen bist.", wieder wurde Shuya theatralisch, was die junge Frau nur mit ihren violetten Augen rollen ließ. Mirâ jedoch erklärte ihrer Freundin daraufhin, dass sie sich vorgenommen hatten sowohl sie, als auch Masaru bei ihrer Arbeit zu besuchen, wenn diese schon nicht mit zum Fest kommen konnten. Geschlagen seufzte Kuraiko. Sie hätte auf diesen Besuch verzichten können. Ihre Laune hob sich jedoch, als ihr Blick auf Junko fiel, welche sich gierig über den Kuchen hermachte und sie dann breit anlächelte und meinte, dass er super lecker war. Da konnte sich selbst die ernste Schwarzhaarige ein Lächeln nicht verkneifen. Sie strich der kleinen kurz über den Kopf und bedankte sich herzlich, meinte dabei auch gleich, dass sie dies auch weiterleiten würde. "Wenn der Kuchen wirklich so lecker ist sollten wir ihn auch mal probieren, bevor Junko alles alleine futtert.", sagte Shuya fröhlich und ließ sich ein Stück des Gebäcks schmecken, "Das ist wirklich super lecker." Kuraiko wandte den Blick ab, doch Mirâ erkannte den Rotschimmer auf deren Wangen. Auch wenn die Schwarzhaarige es nicht zeigen oder wahrhaben wollte, so freute sie sich doch riesig über den Kommentar des Violetthaarigen. Wahrscheinlich empfand die Schwarzhaarige auch mehr für ihren Klassenkameraden, als sie eigentlich zugeben wollte. Weshalb sie sich ihre Gefühle nicht eingestand wusste Mirâ allerdings nicht, jedoch wollte sie sich dort auch nicht einmischen. Trotzdem würde sie es ihrer Freundin gönnen, immerhin gaben die Beiden ein echt hübsches Pärchen ab, auch wenn Mirâ das niemals offen aussprechen würde. Nachdem sich Kuraiko wieder etwas beruhigt hatte, fragte sie Mirâ und Junko noch etwas über das Tsukinoyo aus. Immerhin waren die Beiden das erste Mal auf diesem Fest. Mit strahlenden Augen erzählte die Blauhaarige was sie bisher alles erlebt hatten und schien einfach nur begeistert von dem ganzen Fest, dabei hatten sie noch nicht einmal alles gesehen. "Da habt ihr noch einiges vor euch. Auf dem großen Platz vor dem Einkaufszentrum gibt es wohl auch einige Fahrgeschäfte. Das haben jedenfalls einige Kunden gesagt.", erklärte Kuraiko dann, "Das ist allerdings relativ neu. Die letzten Jahre war so etwas kaum vorhanden. Und wie ich gehört habe gibt es am Tempel einen Schaukampf im Kendô, wo die Schüler der dort ansässigen Kendôschule gegeneinander antreten. Dort macht sicher auch Masaru-Senpai mit. Außerdem sollen sie einen Trommler eingeladen haben, der auf dem Tempelvorplatz auf einer großen Trommel spielen soll. Das können wohl auch nur ganz wenige Menschen." "Du kennst dich gut aus.", warf Hiroshi ein. Die Schwarzhaarige hob die Hand und wies damit auf den Tresen: "Wenn man den ganzen Tag Kunden bedient, dann erfährt man eine Menge. Sie unterhalten sich ja auch darüber. Leider kann ich vor heute Abend hier nicht weg. Jetzt ist zwar gerade etwas Ruhe eingekehrt, was ganz gut ist, da wir für Nachschub sorgen können, aber heute Vormittag war es echt katastrophal. Der Laden ist fast aus allen Nähten geplatzt und wir sind kaum mit den Bestellungen hinterhergekommen." "Eure Bäckerei ist hier im Viertel ja auch extrem beliebt.", meinte Shuya, während er mit verschränkten Armen in Richtung Decke blickte. "Ja mag sein.", nuschelte die junge Frau und horchte auf, als sie die Klingel der Eingangstür vernahm und mehrere Kunden eintreten sah, "Ich glaube ich muss erst Mal wieder zurück. Es kommen wieder mehr Kunden. Lasst euch den Kuchen schmecken. Und noch viel Spaß beim Fest." Damit war die Schwarzhaarige aufgestanden und zu ihrer Mutter gegangen. Die Gruppe sah ihr kurz nach, bevor sie sich den restlichen Kuchen schmecken ließen. Als alle nach dem Bezahlen nun endlich weitergehen wollte, war Shuya drauf und dran in dem Café zu bleiben, doch Hiroshi hatte ihn erneut am Kragen gepackt und hinter sich hergezogen. So setzte die Gruppe ihren Weg weiter fort. Ihr nächstes Ziel war der große Platz vor dem Einkaufszentrum. Kapitel 42: XLII - Die Gerechtigkeit ------------------------------------ Freitag, 31.Juli 2015 - Nachmittag Mirâ und ihre Freunde waren auf das Tsukinoyo gegangen, einem Volksfest in Kagaminomachi, welches einmal im Jahr zum Vollmond Ende Juli stattfand. Ihre Freunde hatten sie dazu eingeladen mit ihnen gemeinsam auf das Fest zu gehen. Nun hatten sie noch Junko dabei, welche gehört hatte, dass ihre Schwester das Fest besuchte. Nach starkem Protest ihrer Mutter durfte die Kleine nun doch mitgehen, unter der Bedingung auf ihre Schwester zu hören und in ihrer Nähe zu bleiben. So hatte die Gruppe zuerst die große Einkaufsstraße besucht und dort erst einmal versucht für Junko einen Goldfisch zu fangen, was allerdings nur Yasuo gelang. Danach waren sie in der Bäckerei von Kuraikos Eltern eingekehrt, um die Schwarzhaarige zu besuchen, welche aufgrund der Arbeit nicht mitkommen konnte. Zwar schien diese anfangs nicht sehr begeistert darüber, dass ihre Freunde aufgetaucht waren, doch letzten Endes hatte sie sich mit Sicherheit auch darüber gefreut. Auch wenn sie es nicht gezeigt hatte. Nach der kleinen Stärkung hatte sich die Gruppe wieder auf den Weg gemacht. Nun war ihr nächstes Ziel der große Platz vor dem Einkaufszentrum. Auf dem Weg dorthin wurden sie immer wieder aufgehalten, denn jeder hatte das Bedürfnis hier und dort an den Ständen zu schauen, was es alles zu kaufen gab. Doch zum Schluss erreichten sie den geschmückten Platz. Rundherum waren auch hier Lampions aufgehängt, doch dieses Mal leuchteten sie in verschiedensten Farben. Wenn es schon dunkel gewesen wäre, so konnte sich Mirâ vorstellen, würde es aussehen wie ein riesiger Regenbogen. Ihre Schwester schien den gleichen Gedanken zu haben, als sie erstaunt über die leuchtenden Farben blickte. Lächelnd betrachtete die Violetthaarige kurz ihre sich freuende Schwester, ehe sie den Blick wieder auf den Platz richtete. Doch plötzlich schien das Bild vor ihren Augen kurz zu verschwimmen. Erschrocken wich sie etwas zurück, als sie auf der Stelle, wo nun das Einkaufszentrum stand, ein altes zerfallenes traditionell japanisches Haus erblickte, welches von einigen hohen Bäumen umrundet war. Der Platz rundherum war immer noch bunt geschmückt, doch das alte Haus lag in einem tiefen Schatten. Ein kalter Schauer lief der Violetthaarigen über den Rücken. Dieses Bild... es kam ihr bekannt vor und sie spürte eine starke Gefahr davon ausgehen. Was war das nur? Ein stechender Schmerz zog durch ihren Kopf und ließ sie auf die Knie gehen, während ihr kalter Schweiß über die Stirn lief. "Mirâ! Alles in Ordnung?", fragte sie eine männliche Stimme und holte sie wieder in die Realität zurück. Erschocken sah die junge Frau auf und blickte in die blauen Augen ihren Kumpels, welcher sie besorgt ansah. Als sie sich umschaute bemerkte sie auch ihre anderen Freunde und ihre Schwester, welche besorgt um sie herumstanden, während sie zusammengekauert auf dem Boden hockte. Irritiert blickte sie wieder zum Platz zurück, doch er sah genauso aus wie immer. Das Einkaufszentrum in der Mitte mit der verspiegelten Fassade war bunt geschmückt und auch der Platz drum herum mit den ganzen Ständen glänzte in verschiedenen Farben. Was war das gerade eben? Eine Vision? Eine Erinnerung? Doch woran? Mirâ lebte doch zum ersten Mal in dieser Stadt. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie vielleicht in einer anderen Stadt schon einmal ein solches Bild gesehen hatte, doch egal wie sehr sie es versuchte, sie erinnerte sich nicht. Wieder ging ein leichter Stich durch ihren Kopf, welcher sie zusammenzucken ließ. Zwei Hände griffen nach ihrer Schulter und rüttelten sie leicht, was sie wieder zu Hiroshi blicken ließ. "Was ist los? Geht es dir nicht gut? Du bist so blass.", Akanes grüne Augen sahen sie besorgt an, "Ist dir schlecht?" Nun schien die junge Frau langsam wieder richtig in die Realität zurückzukehren und überlegte, ob sie ihren Freunden erzählen sollte, was sie eben gesehen hatte. Doch letzten Endes entschied sie sich dagegen und lächelte ihre Freunde an. "J-ja es ist alles gut. Mir war kurz etwas schwindelig, aber es geht wieder.", versuchte sie die Gruppe zu beruhigen und stand langsam auf, was sie allerdings auch kurz schwanken ließ. Wieder war Hiroshi zur Stelle und stützte sie vorsichtig, bevor er meinte, dass sie sich kurz setzen sollte. Behutsam führte der junge Mann die Violetthaarige zu einer freien Bank, während Yasuo und Akane losgegangen waren, um etwas zu trinken zu holen. Als sich Mirâ gesetzt hatte, lehnte sich ihre kleine Schwester an ihre Knie und sah die mit großen besorgten Augen an. "Onee-Chan, ist alles okay?", fragte sie vorsichtig. Mirâ nickte lächelnd und strich der Kleinen über den Kopf: "Ja, alles gut. Mir geht es gleich wieder besser. Keine Sorge." "Du warst wirklich richtig blass. Ist wirklich alles in Ordnung, Shingetsu?", fragte Shuya, woraufhin die junge Frau jedoch wieder nur lächelnd nickte. Noch einmal musste sie an das Gefühl denken, welches sie überkam, als sie das Bild gesehen hatte und noch einmal überlegte sie, ihren Freunden davon zu berichten. Doch was hatte es für einen Sinn? Ihre Freunde würden sicher nicht wissen, was sie dort gesehen hatte. Deshalb verwarf sie den Gedanken wieder und versuchte nicht mehr daran zu denken. Wahrscheinlich war es eh nur Einbildung, auch wenn ihr das Gefühl, welches sie verspürt hatte, etwas Sorgen machte. Gedanklich schüttelte sie den Kopf. Davon sollte sie sich nicht den schönen Abend verderben lassen. Vor allem wollte sie ihrer Schwester diesen Tag nicht verderben. Zudem freute sie sich schon auf das Konzert am Abend. Ein fieses Lachen ließ die Gruppe aufhorchen und in Richtung eines kleines Parks schauen, welcher an den großen Platz grenzte. Die Gruppe erkannte vier Personen, welche sich dort aufhielten. Eine der vier Personen mit rotbraunem kurzen Haar saß auf dem Boden, während die anderen um diese herumstanden. Alle vier Personen entpuppten sich als junge Männer, welche wohl in eine Diskussion verwickelt waren. "Arabai! Wir hatten dir doch gesagt, was du uns besorgen sollst. Wieso kommst du mit leeren Händen zurück?", fragte der eine wütend. Die Person auf dem Boden sah zur Seite: "Ich bin doch nicht euer Laufbursche. Wenn ihr etwas haben wollt holt es euch selber." "Wie bitte?", ein weiterer Junge hockte sich zu dem jungen Mann hinunter und packte ihn am Kragen, "Pass auf was du sagst, du Winzling!" Mit einem Ruck ließ er den Braunhaarigen wieder los, sodass er nach hinten fiel und sich mit den Händen abstützte. Nun trat die dritte Person heran und trat der am Boden liegenden Person in den Magen, welche kurz aufschrie und sich dann vor Schmerzen und den Bauch haltend krümmte. Die zweite Person griff erneut nach dem Kragen des auf dem Boden liegenden Jungen und holte aus, während er meinte, dass niemand es wagte so mit ihnen zu sprechen. Sofort zuckte die Person auf dem Boden zusammen, doch noch ehe der ihn festhaltende Junge zuschlagen konnte, wurde dessen Hand von einer anderen Person gepackt. Überrascht sah der junge Mann auf und blickte auf Shuya, welcher den Arm festhielt, und Hiroshi, welcher mit verschränkten Armen und bösen Blick auf den Jungen herunter sah. "An deiner Stelle würde ich das lassen.", sagte der Violetthaarige böse und verstärkte den Griff um den Arm. Mit einem Ruck zog der Junge seinen Arm aus Shuyas Griff und setzte ebenfalls einen finsteren Blick auf: "Was wollt ihr? Mischt euch hier nicht ein." Langsam stand er auf und stellte sich bedrohlich vor die beiden jungen Männer. Seine Freunde ließen sich auch nicht lange bitten und stellten sich dazu. Böse sahen sich die beiden Parteien in die Augen und jeder schien darauf zu warten das einer den Anfang machte, jedoch rührte keiner sich. Doch dann stürmte der erste der drei fremden jungen Männer nach vorn und genau auf Shuya, welcher etwas kleiner war. Dieser duckte sich zur Seite und wich so dem ersten Schlag aus, während er einen Gegenschlag austeilte. Sofort waren auch die anderen Beiden zur Stelle und wollten sich auch auf den Violetthaarigen stürzen, doch da ging Hiroshi dazwischen, woraufhin eine Rangelei zwischen beiden Parteien startete, bei denen auch nicht an Fausthieben gespart wurde. "Hier her, Herr Wachmann!", hörte die Gruppe plötzlich eine weibliche Stimme rufen, "Hier sind sie." Sofort stoppten die fünf Männer ihre Prügelei und keinen Augenblick später waren die Drei, welche vorher noch den jungen Mann bedroht hatten, verschwunden. Einen Moment später kam Mirâ auf die Gruppe zugelaufen, an ihrer Hand hielt sie Junko. "Alles in Ordnung bei euch? Macht doch nicht so einen Mist. Ich hab mir Sorgen gemacht.", schimpfte Mirâ die beiden Jungs aus. "Wo ist der Wachmann?", fragte Shuya, der sich etwas Blut aus dem Mundwinkel wischte. "Es gibt keinen. Das war eine Lüge.", erklärte Mirâ, "Das habe ich nur gerufen, damit die Typen verschwinden." Erstaunt sah Shuya sie an, doch lachte dann. So etwas hatte er der Violetthaarigen gar nicht zugetraut, doch war er froh, dass sie so gehandelt hatte. Wäre wirklich ein Wachmann aufgetaucht, dann wären wohl auch er und Hiroshi bestraft worden und hätte Mirâ nicht so getan als käme einer, dann wäre diese Prügelei wohl eskaliert. Nicht auszudenken, was dann vielleicht noch passiert wäre. Deshalb dankte er der jungen Frau und stand langsam wieder auf. Hiroshi währenddessen ging auf den jungen Mann auf dem Boden zu. Wie sich herausstellte, war es wirklich Arabai aus der Ersten. Dieser hatte ja schon öfters Probleme in der Schule gehabt, jedoch hätte Hiroshi nicht gedacht, dass er sogar außerhalb der Schule solche Probleme haben könnte. "Alles okay bei dir, Ochibi?", fragte er vorsichtig und hielt ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Diese wurde jedoch wieder zur Seite geschlagen: "Nenn mich nicht so. Wieso habt ihr euch eingemischt?" "Na hör mal. Die wollten dich verprügeln.", meinte Hiroshi, "Wenn du sogar keine Ruhe vor denen außerhalb der Schule hast, solltest du dir überlegen mal zur Polizei zu gehen." "Hiro hat recht. Aber auch in der Schule solltest du dir Hilfe holen, wenn sie dich da auch bedrohen. Sollen wir dir da helfen?", fragte Shuya frei heraus, doch Arabai schnaubte nur verächtlich während er aufstand. "Das geht euch nichts an. Das sind meine Freunde, wir hatten nur eine Meinungsverschiedenheit. Lasst uns einfach in Ruhe!", mit diesen Worten wollte der junge Mann gehen. "Echte Freunde verprügeln einen nicht, wenn man mal eine Meinungsverschiedenheit hat. Und sie nutzen einen auch nicht aus. Das solltest du dir durch den Kopf gehen lassen.", sagte Hiroshi, was Arabai kurz innehalten ließ. Doch kaum hatte der Satz geendet wandte sich der Junge zum Gehen und rannte weg. Die kleine Gruppe sah ihm hinterher. Zwei Minuten später saßen die drei Oberschüler gemeinsam mit Junko auf der Bank. Vorsichtig klebte Mirâ den beiden jungen Männern Pflaster auf ihre aufgeschürften Wunden. Zum Glück hatte sie immer welche dabei. Nebenbei wollte Shuya mehr über den Jungen wissen, den sie gerettet hatten. Viel konnten Mirâ und Hiroshi allerdings nicht sagen, außer dass er in seiner Klasse gemobbt wurde und sie ihm schon mehrmals geraten hatten sich Hilfe zu suchen. Allerdings schaltete Arabai dabei immer auf Durchzug und hörte nicht auf sie. Mirâ war es ein Rätsel, weshalb der junge Mann nichts dagegen unternahm und diese Leute auch noch als Freunde bezeichnete. Jemand, der einen ausnutzte und dann verprügelte konnte man doch nicht als Freund bezeichnen. Oder? Auch wenn Mirâ wusste, dass es unter Jungen öfters ruppig zuging, konnte sie sich nicht vorstellen, dass dies der Normalzustand war. Sie gab ihre Gedanken offen kund, woraufhin sie ein Blick Hiroshis traf, den sie nicht zuordnen konnte. In diesem lag etwas Wut, gemischt mit Mitleid und Selbstzweifel. "Menschen die keine Freunde haben oder schwer welche finden, warum auch immer, hängen sich oft an stärkere, in der Hoffnung mit ihnen anbandeln zu können. Meistens werden sie aber von diesen Menschen nur ausgenutzt. Aber um nicht wieder abgewiesen zu werden lassen es über sich ergehen. Und machen diese Leute eben nicht, was von ihnen verlangt wird, dann werden sie ausgegrenzt und fertiggemacht.", murmelte er schließlich, während er den Blick senkte, "In Gruppen fühlen sich die meisten Menschen stark und so ist es ein leichtes für sie andere auszugrenzen und fertigzumachen. Hauptsache sie werden nicht zum Opfer. Da ist die Rolle des Mitläufers wesentlich einfacher. Und dann versuch dich mal gegen eine ganze Klasse zu wehren... das ist schier unmöglich." Fragend sah Mirâ ihren Kumpel an. Was hatte er nur? So hatte sie ihn noch nie erlebt. Aufmunternd legte Shuya seine Hand auf die Schulter seines Kumpels und sah dann ernst zu Mirâ: "Solche Menschen sind das Letzte. Es macht ihnen Freude andere Leiden zu sehen, nur weil sie mit sich selbst nicht im Reinen sind. Damit sie sich besser fühlen machen sie andere runter. Dass sie damit anderen das Leben zerstören interessiert sie dabei nicht einmal. Viele Mobbinopfer kommen mit so etwas nicht klar. Die Meisten nehmen sich das Leben. Deshalb hasse ich Menschen, die anderen das Leben zur Hölle machen." "Kann man denn da nichts machen?", fragte die Violetthaarige vorsichtig. "Nur wenn sich die Opfer helfen lassen. Meistens nützt es einfach nur einen Verbündeten zu finden. Wenn man jemanden hat, der einem beisteht und man anfängt sich zu wehren, dann macht es den Anderen keinen Spaß mehr, wenn sie merken, dass ihr Opfer nicht alles mit sich machen lässt. Das ist aber ein langer steiniger Weg und nur wenige finden Verbündete.", erklärte Shuya, "Das Problem an alledem ist, das Eltern und Lehrer dieses Thema absolut unterschätzen. Sie sagen sich, dass Kinder sich untereinander nun einmal Ärgern. Dadurch gehen sie selten dazwischen und das ist fatal." "Es scheint, als hättest du damit Erfahrung, Nagase-Kun.", meinte Mirâ. Shuya sah kurz, fast unbemerkt, fragend zu Hiroshi, welcher ihn ebenfalls ansah, doch meinte dann nur, dass er das in den Schulen, die er besucht hatte oft genug mitbekommen hatte und dass er oft versuchte, diesen Menschen zu helfen. Den Blick den die beiden Jungs ausgetauscht hatten, hatte die junge Frau gar nicht wirklich mitbekommen, denn sonst wäre ihr aufgefallen, dass der Blond leicht mit dem Kopf geschüttelt hatte. So aber beließ sie es erst einmal dabei und fand es erstaunlich, das Shuya so offen mit diesem Thema umging und den Opfern auch helfen wollte. Deshalb konnte sie auch verstehen, weshalb der Violetthaarige plötzlich aufgesprungen war, als er gesehen hatte, das Arabai in Schwierigkeiten steckte. Der junge Mann hatte wirklich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Kurz beobachtete die junge Frau die beiden Freunde, welche nun von Junko angesprochen wurden, ob denn alles okay sein. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht, strich Shuya der Grundschülerin über den Kopf und auch Hiroshis Gesicht zierte wieder ein Lächeln, als er Junko fröhlich lachen sah. Die ernste Situation von eben schien so gut wie vergessen. Ihr vibrierendes Handy holte Mirâ aus ihren Gedanken und als sie draufschaute und die Persona App öffnete, erkannte sie einen neuen Social Link, welchen sie geformt hatte: Die Gerechigkeit. Erstaunt sah sie erst auf ihr Handy und dann zurück zu Shuya, welcher sich immer noch mit Junko unterhielt. Es war eindeutig, dass dieser Link zu Shuya gehörte, immerhin passte er wie die Faust aufs Auge, allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, ausgerechnet mit ihm einen Social Link zu formen. Immerhin war er eigentlich Hiroshis Kumpel, doch falsch konnte es sicher nicht gewesen sein. Wenn sie so darüber nachdachte zählte der Violetthaarige immerhin mittlerweile auch zu ihren Freunden. Ein Lächeln setzte sich auf ihr Gesicht, als sie daran denken musste wie viele tolle Menschen sie in dieser Stadt kennengelernt hatte. "Entschuldigt bitte, dass ihr warten musstet.", hörten die vier Akane rufen, welche mit Yasuo auf sie zugelaufen kam, "An dem Getränkeautomaten war eine lange Schlange. Wir waren ganz froh überhaupt noch etwas bekommen zu haben. Hier Mirâ." "Danke dir.", bedankte sich die Violetthaarige und nahm die Dose entgegen, welche ihr Akane entgegenhielt. "Sagt mal, was ist denn mit euch passiert?", fragte die Braunhaarige an die beiden jungen Männer gerichtet. Hiroshi öffnete sein Getränkt und nahm einen großen Schluck, ehe er Akane erklärte was ihnen wenige Minuten zuvor geschehen war. Die junge Frau stemmte die Arme an ihre Hüfte und schüttelte ungläubig den Kopf. Es hätte sonst was passieren können, wenn sich beide mitten in der Innenstadt prügeln. Sie konnten froh sein, dass Mirâ so besonnen reagiert hatte. Andererseits verstand sie die Entscheidung der Beiden Arabai zu helfen nur zu gut. Ihr Blick wanderte zu Hiroshi, welcher allerdings wieder mit Junko beschäftigt war, da diese ihre Dose nicht aufbekam und den Blonden um Hilfe gebeten hatte. Akane schüttelte den Kopf, als sie an ihre Mittelschulzeit denken musste. "Das ist lange her.".", dachte sie sich und wandte sich wieder an Mirâ: "Da können die beiden Idioten ja froh sein, dass du so schnell reagiert hast." "Ach naja.", lächelte Mirâ. "Was heißt hier ach naja? Wer weiß was passiert wäre, wenn sich die Beiden weiter geprügelt hätten.", seufzte Akane und schaute kopfschüttelnd zu den beiden jungen Männern. Diese hatten davon gar nichts mitbekommen, sondern beschäftigten sich mit Junko, welche mit strahlenden Augen drüber schwärmte wie cool die Beiden in dem Moment doch waren, als sie Arabai geholfen hatten. Den jungen Männern entlockte dies ein amüsiertes Lachen. Noch einmal strich Hiroshi dem kleinen Mädchen über den Kopf, bevor er sich wieder an die Anderen wandte und meinte, dass sie langsam weiterkonnten, wenn es Mirâ auch wieder besser ging. Immerhin wollten sie noch zum Shinzaro Schrein, um Masaru zu besuchen. Außerdem wollte dort Mirâs Mutter Junko abholen und die Zeit rückte langsam heran. Mirâ nickte und erhob sich. Nachdem die Gruppe ihre Getränke ausgetrunken hatte, machten sich die sechs auf den Weg zum Tempel. Diesen hatten sie nach einer guten viertel Stunde erreicht und stiegen langsam die Treppen hinauf, welche auf das Gelände führte. Auch wenn sie es noch nicht erreicht hatten, so konnten sie sehen, dass es bereits sehr voll war. Immer wieder kamen ihnen Trauben von Menschen entgegen, weshalb sie auf der breiten Treppe zur Seite gehen mussten. Oben angelangt bestätigte sich ihre Vermutung. Das Tempelgelände war voll von Menschenmassen, welche sich Souvenirs kauften oder Ema beschrieben und anhängten. Einige, vor allem die älteren Leute, beteten auch, wie es sich eigentlich zu diesem Fest gehörte. Hier und da kamen ihnen junge Frauen in Miko-Kleidung entgegen, welche den Besuchern Informationen gaben, Ema und Souvenirs verkauften oder halfen, wenn es irgendwo Fragen gab, doch Mirâ glaubte nicht, dass es richtige Mikos waren. Akane bestätigte ihren Verdacht, als sie meinte, dass es viele Schüler gab, die dieses Fest nutzten, um am Tempel auszuhelfen und etwas Geld dazu zu verdienen. Ansonsten war auch das Tempelgelände prachtvoll geschmückt, allerdings eher traditionell und nicht so modern, wie die Innenstadt. Doch das passte perfekt zum Tempel, wie Mirâ fand. Auch Junko fand es in diesem Bereich wunderschön, was man an ihren strahlenden Augen merkte, sie versuchten die ganzen Eindrücke in sich aufzunehmen. "Oh schön das ihr auch herkommt.", hörte die Gruppe, woraufhin sie sich in Richtung Schrein drehten. Aus dieser Richtung kam eine Frau mittleren Alters in einer Miko-Tracht in ihre Richtung. Ihre grau mellierten Haare hatte sie zu einem leichten Zopf zurückgebunden. Mit einem freundlichen Lächeln trat sie an die Gruppe heran und Mirâ erkannte sie, als Masarus Mutter. "Schönen guten Tag.", grüßte Mirâ die Frau freundlich, "Heute haben Sie ja wirklich viel zu tun." "Ja, aber zum Glück gibt es jedes Jahr immer viele nette junge Mädchen, die uns aushelfen. Ihr habt sie sicher schon gesehen.", erklärte Masarus Mutter, woraufhin die Gruppe nickte, "Falls ihr Masaru sucht, der ist hinten im Dôjô. Ihr kommt genau richtig. Er müsste eigentlich gleich wieder mit einem Kampf dran sein." Fragend sah die Gruppe sich an, woraufhin die Frau nur leicht lachte: "Am Shiai, den unser Dôjô heute veranstaltet. Masaru nimmt als Schüler auch daran teil. Wenn ihr wollt könnt ihr gerne zuschauen gehen. Er wird sich sicher freuen." Noch ehe die Gruppe irgendwas sagen konnte, ging Masarus Mutter bereits voraus und meinte, dass sie die Sechs zum Dôjô bringen würde. Der Höflichkeitshalber folgten sie der älteren Frau. Sie wollten ja eh Masaru besuchen. Natürlich war es eine Überraschung zu hören, dass er auch an dem Wettkampf des Dôjôs teilnahm, immerhin hatten sie gedacht, dass er nur im Tempel aushelfen musste. Stören wollte die Gruppe ihn jedoch nicht, vor allem wenn es in einem Wettkampf war. Andererseits wollte Mirâ ihren Senpai schon immer einmal beim Kendô zuschauen, immerhin hatte sie in der Schule bisher noch keine Chance dazu gehabt, da der Kendô-Klub und der Kyudô-Klub immer zu den selben Zeiten stattfanden. Neugierig war sie also schon, doch sie war sich unsicher, ob sich Masaru von ihnen nicht sogar gestört fühlte. Als sie das Dôjô erreichten, fanden sie vor der Terrasse, welche um das Gebäude herumführte, Massen an Schuhen vor. Auch wenn das Gebäude recht groß war, so schien es schon mächtig überfüllt. Trotzdem ging Masarus Mutter unbeirrt weiter auf das Gebäude zu und legte ihre Zori, die japanischen Holzschuhe, ab und betrat die Terrasse, bevor sie leise eine der Holzschiebetüren öffnete und hineinsah. "Ihr habt Glück. Masaru ist gleich dran.", sagte sie leise und mit einem Finger an den Mund gelegt, "Zieht eure Schuhe aus und setzt euch leise mit dazu. Okay?" Ein Nicken der Gruppe bestätigte die Bitte der älteren Dame, welche wieder von der Terrasse herunterkam und dabei ihre Zori wieder überstreifte. "Ich wünsche euch viel Spaß.", mit diesen Worten war die Dame wieder davongegangen. Mirâ und ihre Freunde taten wie geheißen und zogen ihre Schuhe aus, bevor auch sie die Terrasse betraten. Noch bevor die Gruppe in das Dôjô eintrat, mahnte Mirâ ihre kleine Schwester leise zu sein, immerhin befanden sie sich hier bei einem Wettkampf. Nickend hielt sich Junko kurz den Mund zu und gab Mirâ so zu verstehen, dass sie es verstanden hatte. So trat die Gruppe leise in das Gebäude ein und fand sogar noch, in der Nähe der Tür etwas Platz zum Hinsetzen, auch wenn sie dabei ziemlich eng beieinander saßen. Dann beobachteten sie, was als nächstes passierte. Der vorangegangene Kampf war gerade vorbei und die beiden Kontrahenten verbeugten sich gegenseitig voreinander. Ein Akt der Höflichkeit, um dem Gegner seinen Respekt zu zollen. Danach verließen beide den, für den Kampf abgesperrten, Bereich und gaben Platz für ihre Nachfolger. Nun erkannte Mirâ auch Masaru, welcher bereits vor der Absperrung stand und darauf wartete eintreten zu dürfen. Er atmete noch einmal durch und setzte dann seinen Helm auf, bevor er und sein Gegner den "Ring" betraten und sich gegenüberstellten. Nach einer kurzen Verbeugung gab der Schitsrichter das Zeichen dafür, dass sich beide Gegner in Kampfstellung bringen sollen. Auch dies geschah in kürzester Zeit, sodass sich nun beide mit den Schwertern aufeinander gerichtet gegenüberstanden. Dann wurde es still, bis der Schitsrichter seinen Arm sinken ließ, den er bis eben noch gehoben hatte. Und so ging es los. Masarus Gegner ergriff die Initiative und schlug mit dem Bambusschwert auf den Schwarzhaarigen ein, welcher die Schläge jedoch gekonnt parierte, jedoch auch zurückgedrängt wurde. Anfangs sah es so aus, als wäre der junge Mann in Bedrängnis, doch dann fand er eine Lücke, welche er nutzte und seinen Gegner an der Hüfte traf und dabei "Do!" rief. Sofort wich sein Gegner zurück und beide nahmen wieder Stellung ein. Dieses Mal war es Masaru, welcher angriff, doch leider wurde auch er dadurch mit einem Treffer seines Gegners gestraft, woraufhin auch er wieder zurückweichen musste. Nun stand es also eins zu eins in diesem Kampf und so viel Mirâ wusste, musste einer der Beiden nur noch einen Treffer landen um diesen Kampf für sich zu entscheiden. Dieses Mal jedoch ließen es beide etwas ruhiger angehen und warteten erst einmal den nächsten Zug des anderen ab. Keiner wollte einen Fehler machen. Doch auch die Zeit spielte gegen sie, denn wenn sie den Kampf nicht innerhalb von fünf Minuten entschieden, würde es auf ein Unentschieden hinauslaufen und zweieinhalb Minuten waren bereits abgelaufen. Noch eine gefühlte Ewigkeit sahen sich die Beiden jungen Männer gegenseitig an, bis jedoch Masaru zuerst die Geduld verlor und angriff. Dies war sein Fehler, denn sein Gegner nutzte diese Chance und erzielte damit seinen Siegtreffer indem er Masaru auf dem Handschuh traf und dieser dabei das Schwert fallen ließ. Der Schitsrichter erhob erneut den Arm und erklärte diesen Kampf damit als beendet. Etwas schockiert blickte der Schwarzhaarige auf sein am Boden liegendes Bambusschwert. Wie konnte er nur einen so leichtsinnigen Fehler begehen? War er sich zu sicher gewesen? Oder zu ungeduldig? Was hatte ihn geritten so vorschnell zu handeln? Das war immerhin sonst gar nicht seine Art. Erst als der Schitsrichter Masaru mahnte sich an die Etikette zu halten, wachte der junge Mann aus seiner Starre auf und hob sein Schwert auf, bevor er sich seinem Gegner gegenüberstellte und sich verbeugte. Nachdem beide Kendôka den Ring verlassen hatten, klopfte ihm sein Gegner aufmunternd auf die Schulter: "Mach dir nichts draus, Shin. Heute warst du einfach zu voreilig und das habe ich genutzt. War aber ein guter Kampf." "Danke, Senpai.", bedankte sich der Schwarzhaarige bei dem Älteren, welcher mit einem Lächeln dann zurück zu den anderen Schülern des Dôjôs ging. Für Masaru war dieser Wettkampf damit zu Ende. Leider. Gerne hätte er sich noch etwas mehr beweisen wollen, doch dieses Mal hat ihm seine Ungeduld einen Strich durch die Rechnung gemacht. Vorsichtig nahm er seinen Helm ab und sah dabei in die Halle hinein, wodurch sein Blick auf Mirâ und seine anderen Freunde traf. Vorsichtig winkte ihm Mirâ zu, als sie seinen Blick bemerkt hatte. Etwas erstaunt über deren Auftauchen, wandte er sich an seinen Vater und bat ihn bereits gehen zu dürfen. Zwar war sein Vater nicht begeistert darüber, da es unhöflich seinen Kollegen gegenüber war, doch mit dem Argument, dass er noch im Tempel aushelfen und sich deshalb vorher noch duschen und umziehen müsse, gab sich sein Vater doch geschlagen und ließ den jungen Mann gehen. Noch einmal sah er zu der Violetthaarigen, welche seinen Blick auffing, und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie sich draußen treffen würden. Mirâ hatte diese Geste verstanden und es leise an ihre Freunde weitergeleitet. Zwar wollte Junko wieder protestieren, weil sie den Kämpfen weiter zuschauen wollte, doch auf einen bösen Blick von ihrer älteren Schwester hin, war sie sofort still geworden und hatte sich dem gebeugt. So verließ die Gruppe leise das Dôjô und zog draußen ihre Schuhe wieder an. "Ich hätte nicht gedacht, dass ihr vorbeischaut.", meinte plötzlich Masaru, welcher, noch immer in Vollmontur gekleidet auf sie zukam, "Woher wusstest ihr wo ich bin? Oder wart ihr zufällig dort?" "Deine Mutter hat uns zum Dôjô gebracht.", erklärte Mirâ mit einem Lächeln, woraufhin der Schwarzhaarige nur seufzen musste, da er sich so etwas bereits gedacht hatte. Dann lachte er leicht: "Da habt ihr mich nicht gerade in meiner Bestform erlebt. Wenn ich wenigstens gewonnen hätte..." "Ach was. Das war echt cool.", meinte Akane, "Und manchmal hat man halt einen schlechten Tag, also mach dir nichts draus, Senpai." "Da gebe ich Akane Recht.", murmelte Yasuo, "Ich war echt erstaunt dich beim Kendô zu sehen." Irritiert sah Masaru seinen Klassenkameraden an und musste unweigerlich lachen, bevor er erklärte, dass er diesen Sport bereits seit der Grundschule ausführte und Yasuo dies spätestens seitdem wissen müsste, seit sie gemeinsam auf die Oberstufe gingen. Der Blauhaarige kratzte sich am Nacken und schien zu überlegen, ehe er meinte, dass ihn so was normalerweise nicht wirklich interessierte. Erneut lachte der Schwarzhaarige und entgegnete, dass dies typisch für den Blauhaarigen war. "Wie kommt es, dass du mit allen hier bist?", fragte Masaru letzten Endes, da es ihn schon interessierte, wieso Yasuo hier war, den ja so gut wie nichts interessierte. Erneut kratzte sich der Angesprochene am Nacken: "Akane hat mich gefragt. Fand dass das keine schlechte Idee ist." Fragend sah Masaru zu der Braunhaarigen, welche nur lächelte und es dabei beließ. Ein leichtes Grinsen konnte sich der Oberschüler dabei nicht verkneifen, da sich Akane zu verändern schien, seit sie Yasuo kannte. Sie gab sich richtig mühe, um ihn in die Gruppe zu integrieren. Auch als es um seine Rettung ging hatte sie sich voll und ganz reingehängt, was auch zu gefährlichen Situationen geführt hatte. Aber auch Yasuo hatte sich in der kurzen Zeit etwas verändert. Vor seinem Verschwinden hätte er wohl nie etwas mit anderen zusammen unternommen, geschweige denn wäre er mit ihnen auf dieses Volksfest gegangen. Doch nun schien er mehr oder weniger Gefallen daran zu finden. Anscheinend hatte Akane einen positiven Effekt auf den Blauhaarigen. Auch das ließ den Schwarzhaarigen noch einmal leicht grinsen. Etwas zupfte an seinem indigoblauen Hakama und ließ ihn nach unten schauen, wo Junko mit großen roten Augen zu ihm aufah: "Das war echt toll. Du kannst das richtig gut." "Meinst du?", lachte Masaru und strich der Kleinen über den Kopf, "Danke, das ist nett von dir Junko-Chan. Aber sag mal, wo hast du denn den Goldfisch her?" "Den hat Yasuo-kun mir gefangen.", sagte die Kleine mit einem fröhlichen Lächeln. "Ach so?", grinsend sah der Schwarzhaarige zu Yasuo, welcher allerdings nur verlegen zur Seite blickte, "Das ist toll. Und was habt ihr jetzt noch vor?" Letzteres war mehr an die Gruppe, als an Junko gewandt. Doch trotzdem übernahm die Kleine das Antworten, auch wenn sie eher davon erzählte, was sie bisher erlebt hatten, bis zu dem Punkt, wo sie nun hier standen. Erst dann sah sie fragend zu ihrer Schwester, da sie selber nicht wusste, was als nächstes passieren sollte. Daraufhin erklärte die Violetthaarige, dass sie an sich nicht mehr viel Zeit hatten, immerhin würde ihre Mutter Junko bald abholen. Die Kleine zog daraufhin eine Schnute. Sie wollte noch länger auf dem Fest bleiben, gemeinsam mit ihrer Schwester. Diese jedoch erklärte der Kleinen dann, dass sie danach noch mit Hiroshi auf ein Konzert wollte, wo Junko eben nicht mitkommen konnte und sie deshalb mit ihrer Mutter mitgehen musste. So richtig begeistert war ihre Schwester davon allerdings immer noch nicht, doch sie schluckte ihren Ärger herunter, als sie erneut Mirâs bösen Blick sah. Masaru war sofort klar, um welches Konzert es sich dabei handeln musste, woraufhin er Hiroshi mit einem fragenden Blick bedachte, welcher nur mit den Schultern zuckte. Zwar kannte der Schwarzhaarige den Blonden nicht so extrem gut, doch konnte er sich kaum vorstellen, dass Akisus Musik seine Richtung war. Wiederum konnte sich Masaru denken, weshalb sich der Jüngere dies freiwillig antat und musste leicht lachen, ehe er dem Blonden aufmunternd auf die Schulter klopfte. Die Gruppe unterhielt sich noch eine ganze Weile, ehe Masaru meinte, dass er sich langsam duschen und umziehen sollte, um weiter auszuhelfen. Er schlug der Gruppe aber vor, sich im Innenhof des Tempels einzufinden, da dort in einigen Minuten der Trommler auf einer riesigen Trommel spielen würde. Danach hatte er sich von seinen Freunden verabschiedet und war im Wohnhaus verschwunden. Diesen Tipp nahmen die Sechs gerne entgegen und so begaben sie sich in die Mitte des Tempelgeländes, wo ein riesiger Innenhof war. Dieser war von allen Seiten von einem Teil des Tempels umgeben, auch das Dôjô hatte in diese Richtung einen Ausgang, was Mirâ daran erkannte, das kurz bevor der Artist auftrat, die Türen des Gebäudes aufgingen und die Schüler und Zuschauer hinaussahen. Anscheinend wurde extra für dieses Event der Wettkampf kurz unterbrochen. Dann wurde das Licht im Innenhof etwas gedimmt, sodass nur noch die riesige Trommel, welche auf einem Podest in der Mitte des Platzes stand, beleuchtet wurde. Kurz darauf trat ein junger Mann auf die Bühne, welcher traditionelle Schausteller Kleidung trug: Ein kurzärmliges Oberteil, welcher aber wie ein Kimono geschlossen wurde, dazu eine kurze weite Hose und um seinen Kopf war ein bunt geschmücktes Band gebunden. In seinen Händen hielt er zwei breite Stöcke. Dann wurde es ruhig im Hof und kurz darauf begann der junge Mann mit seinem Spiel indem er mit den breiten Stöcken in rhythmischen Abständen auf die Trommel einschlug und damit eine Art Lied spielte. Ruhig lauschte dir Gruppe der Musik und ließ damit den Tag ausklingen. Als das Trommelspiel vorbei war, war die Zeit bereits herangerückt, dass Haruka Junko abholen würde. Treffpunkt war das Tor des Tempels gewesen, wo sich Mirâ und ihre Freunde hinbegaben. Immer noch war Junko leicht beleidigt, dass sie nun nach Hause musste, doch Mirâ versprach, dass sie im Sommer noch viele Gelegenheiten haben würden etwas gemeinsam zu unternehmen. Damit gab sich die Kleine vorerst zufrieden. Am Tor angekommen wartete bereits ihre Mutter, die Arme vor der Brust zusammengeschlagen und mit ernstem Blick. Doch kaum kam Junko auf sie zu gerannt und erzählte ganz stolz, was sie alles erlebt hatte, wurde ihr Gesichtsausdruck weich und freundlich. Anscheinend hatte sie sich Sorgen gemacht, weil sich die Gruppe etwas verspätet hatte, doch Junko hatte sie von ihrem Ärger abgelenkt. Mit einem Lachen strich Haruka ihrer jüngsten Tochter über den Kopf und meinte, dass sie sich darüber freue, dass sich die Kleine so amüsiert hatte. "Ihr müsst dann sicher los.", sagte Haruka plötzlich, "Dann machen wir uns wohl besser auch auf den Heimweg. Oder Junko?" Die Kleine nickte und verabschiedete sich von Mirâ und ihren Freunden, ehe sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter auf den Heimweg machte. Auch Akane, Yasuo und Shuya verabschiedeten sich so langsam von den Beiden. Doch bevor er ging, konnte Shuya sich ein Grinsen und einen erhobenen Daumen in Richtung seines besten Kumpels nicht verkneifen. Hiroshi wusste, was dies zu bedeuten hatte und rief dem Violetthaarigen hinterher, dass dieser lieber heimfahren und darauf achten sollte, sich nicht zu verlaufen. Mit einem Lachen und den Händen in den Taschen schritt er dann von dannen, während sich Mirâ gemeinsam mit ihrem Kumpel auf den Weg zum Kagamine Park machten. Kapitel 43: XLIII - Das Konzert [edited] ---------------------------------------- Freitag, 31.Juli 2015 – Abend Erstaunt versuchte Mirâ die Menschenmassen zu überblicken, welche sich um dem Kagamine Park versammelten. Gemeinsam mit Hiroshi stand sie vor einem abgesperrten Platz, an dessen Ende sie eine Bühne erkennen konnte, während sich um sie herum immer mehr Menschen einfanden. Es war nicht schwer zu erraten, dass sie alle zu Akisu wollten. Die Meisten von ihnen trugen bunte Shirts mit dem Aufdruck des Idols darauf. Einige hatten sogar große Banner dabei. Am Meisten jedoch erstaunte die Violetthaarige die Masse an Männern allen Alters. Sie hätte nicht gedacht, dass auch ältere Männer ein Konzert von Akisu besuchen würden, war sie doch eher für junge Musik bekannt. Ein bisschen Unwohl wurde ihr in diesem Moment doch. Ihr kam der Gedanke, dass sie sicher nicht nur wegen der Musik des Idols hier war. Irgendwie lief es ihr plötzlich eiskalt den Rücken herunter und eine unangenehme Gänsehaut bildete sich auf ihren Oberarmen, woraufhin sie diese instinktiv rieb. Eine warme Hand berührte ihre Schulter und ließ sie kurz aufschrecken und in Hiroshis Gesicht sehen. Dieser hatte ihren Unmut und die Blicke in Richtung der älteren Männer bemerkt und lächelte sie nun freundlich an: „Bereiten dir diese Typen Unbehagen? Bei Konzerten von Idols muss man leider immer mit solchen Perversen rechnen. Aber keine Sorge, ich pass auf dich auf. Okay?“ Ein leichter Rotschimmer bildete sich auf Mirâs Wangen, doch trotzdem nickte sie mit einem leichten Lächeln. „Du scheinst dich mit Konzerten auszukennen.“, murmelte sie anschließend. „Auf den Konzerten, auf die ich normalerweise gehe findet man solche Typen eher selten.“, lachte der Blonde und sah dann noch einmal zu einem der älteren Männer, „Aber ich habe schon einiges gehört.“ Erstaunt sah Mirâ ihren Kumpel an: „Gehst du oft auf Konzerte?“ „Ich war schon auf einigen, sagen wir es mal so. Aber so oft gibt es keine Konzerte, die mich interessieren. Warst du denn schon mal auf einem Konzert?“, kam die Gegenfrage nach seiner ehrlichen Antwort. Die Violetthaarige senkte den Blick und schüttelte den Kopf: „Nein. Ich wollte, aber meine Mutter ließ mich nicht alleine gehen und sie ist zu beschäftigt, als dass sie mich begleiten würde. Außerdem bräuchte sie dann immer eine Betreuung für Junko.“ Erneut lachte ihr Kumpel warm: „Dann ist das ja eine Prämiere für dich. Dann hoffen wir mal, dass das Konzert gut wird.“ Er blickte nach vorn zu den Security-Leuten, welche sich so langsam am Eingang versammelten und ihm dadurch verrieten, dass es gleich losgehen müsste. Als sich die Masse langsam in Bewegung setzte, legte er der jungen Frau vor sich auch noch seine zweite Hand auf die Schulte, um sie nicht zu verlieren. Dabei schob er sie auch gleich etwas mit der Masse mit. Einige Minuten später erreichten sie die Eingangskontrolle, woraufhin der Blonde die Eintrittskarten aus seiner Hosentasche kramte und vorzeigte. Die Security blickte kurz auf die Karten und ließ die Beiden passieren, woraufhin sie zur Taschenkontrolle kamen. Nach kurzem abtasten und einen Blick in Mirâs Handtasche wurden beide durchgelassen und begaben sich vor die Bühne. Hiroshi sah sich um und überlegte, wo sie sich am besten hinstellten. Er bezweifelte, dass es viel Gedrängel geben wird, da es sich „nur“ um ein Idol-Konzert handelte, jedoch war er selber noch nie auf einem solchen Konzert und konnte es nicht zu einhundert Prozent wissen. Außerdem wollte er trotz allem gut sehen können und auch die Violetthaarige sollte einen guten Blick auf die Bühne haben. Jedenfalls wollte er weit weg von den perversen alten Männern stehen, um Mirâ nicht noch mehr zu verunsichern. Diese beobachtete ihren Kumpel und wunderte sich, was dieser eigentlich suchte. Da sie selber noch nie auf einem Konzert war, konnte sie natürlich nicht wissen, dass man nicht überall gleich gut sah und dass man auch aufpassen musste wo man stand, wenn man keine unangenehmen Überraschungen erleben wollte. „Ob wir uns näher an die Bühne stellen sollten?“, murmelte der Blonde plötzlich. „Was meinst du?“, kam plötzlich die Frage von Mirâ, was den Angesprochenen aufschrecken ließ, „Suchst du etwas Bestimmtes?“ Mit großen Augen sah ihr Kumpel sie an, bis ihm einzufallen schien, dass sie noch nie auf einem Konzert war: „Ach so. Entschuldige. Ja, also ich suche einen Platz wo wir gut sehen, wo es aber weniger Gedränge gibt und wo keine Perversen stehen. Ich denke links an der Bühne ist nicht schlecht. Man kann zur Not schnell zur Seite rausgehen, wenn es einem zu viel wird und dort stehen aktuell auch nicht so viele alte Männer. Allerdings steht man genau unter den Boxen. Es ist also lauter.“ Mirâ musste Lachen und erhielt einen erneuten irritierten Blick ihres Kumpels: „Das ist ja fast schon eine Wissenschaft. Aber ich danke dir, dass du dir wegen mir solche Gedanken machst. Deshalb vertrau ich dir einfach mal. Lass uns dorthin gehen.“ Immer noch sah der Blonde die junge Frau irritiert an, ehe er lächelte und sie sich daraufhin an die linke Seite der Bühne stellten. Als Mirâ vor zur Bühne sah musste sie feststellen, dass sie wirklich gut sehen konnte. Jedenfalls so lange, wie sich keine größere Person vor sie stellte. Richtig nah an die Bühne kamen sie eh nicht mehr, da dort bereits schon mehrere Reihen an Menschen standen, welche alle vor ihnen da waren. Trotzdem beobachtete die junge Frau, wie sich einige noch immer dazwischen quetschten, obwohl es dort bereits sehr voll war. Ein kurzes Tippen auf ihre Schulter ließ sie aufblicken. „Ich bin gleich wieder da. Ja? Beweg dich ja nicht weg, sonst find ich dich nicht wieder.“, lachte ihr Kumpel und war kurz darauf zwischen den Menschenmassen verschwunden. Etwas verloren stand die Violetthaarige nun zwischen den ganzen Menschen und wusste nicht so Recht was sie nun machen sollte. Sie hoffte jedenfalls, dass Hiroshi rechtzeitig wieder zurück sein würde und sie auch wiederfand. Wiederum hatte der Blonde ja bereits Konzerterfahrung, also brauchte sie sich darüber wohl eigentlich keine Sorgen machen. Trotzdem wurde es ihr etwas unangenehm so allein zwischen den ganzen Menschenmassen. Um ihr Unwohlsein zu verdrängen beobachtete sie die Menschen um sich und die, welche nach und nach auf das Gelände drängten und dieses füllten. Es waren Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft zu finden, fiel der jungen Frau auf. Zwei Reihen vor ihr standen zwei junge Mädchen, welche wahrscheinlich noch in die Mittelstufe gingen. Einige Meter rechts von ihr erkannte sie einen jungen Mann in einem Anzug, bei dem sie sich fragte, wie man so auf ein Konzert gehen konnte. Aber wahrscheinlich war der junge Mann direkt aus dem Büro hierhergekommen. Als sie sich nach hinten umdrehte, sah sie die ganzen Menschen, welche nach und nach auf das Gelände kamen. Dort erblickte sie auch einige Schüler aus ihrem Kyûdo-Klub und noch einige andere, welche ihr mal auf dem Schulgang entgegenkamen. Auch einen Vater, welcher seine Tochter auf den Schultern hatte, erkannte Mirâ. Akisus Musik war also überall beliebt. Die anfängliche Nervosität wich langsam einer Vorfreude auf das Konzert. Sie hoffe, dass es toll werden würde und sie diese Erfahrung immer in guter Erinnerung haben würde. Etwas Kaltes an ihrer Wange ließ sie aufschrecken. Wieder blickte sie in das Gesicht ihres Kumpels, welcher sie breit angrinste und ihr einen Becher mit einer braunen Flüssigkeit entgegenhielt. Kurz zögerte die junge Frau, ehe ihr Hiroshi den Becher in die Hände drückte. „Entschuldige. Hat etwas gedauert. Ich hoffe du magst Cola. Ich habe irgendwie ohne nachzudenken zwei davon bestellt, ohne dich vorher zu fragen, was du gerne haben möchtest. Tut mir leid.“, entschuldigte sich der Blonde. Murmelnd blickte Mirâ auf ihren Becher: „Is okay. Ich trinke auch Cola. Aber… was bekommst du dafür?“ Der Blonde grinste: „Lass stecken. Geht auf mich.“ „D-Danke.“, nuschelte die junge Frau erneut und trank einen Schluck. Ihr Kumpel grinste nur erneut und trank ebenfalls seine Cola, während auch er sich umblickte und die Menschenmassen betrachtete. Langsam wurde es mächtig voll. Ein kurzer Blick auf sein Smartphone verriet dem Blonden, dass das Konzert bald losgehen würde und er hoffte inständig, dass es zu keinem großen Gedränge kam. Zwar würde er versuchen die Violetthaarige aufzufangen, sollte es dazu kommen, doch man wusste nie, wie schlimm es werden würde. Wenn er daran dachte, dass er Shuya beim letzten Konzert, welches sie gemeinsam besuchten, verloren und ihn erst nach der Vorstellung wiedergefunden hatte, wurde ihm schon etwas anders. Bei seinem Kumpel war es ja kein Problem, aber bei Mirâ lag die Sache anders, zumal sie noch nie auf einem Konzert war. Außerdem hatte er Mirâs Mutter versprochen auf sie aufzupassen. Naja, irgendwie würde das schon klappen. Er musste ja nur aufpassen, dass die Violetthaarige nicht von ihm weggedrängt wurde. Plötzlich wurde das Licht gedimmt und ein Raunen ging durch die Massen. Vor sich merkte Hiroshi, wie sich Mirâ leicht anspannte und gespannt zur Bühne blickte. Auch sein Blick ging in Richtung Bühne, welche bereits mit bunten Lichtern beleuchtet war. Dann wurde es plötzlich dunkel und eine Melodie erschallte durch den Park. Eine sanfte Stimme erklang und begann im Klang der Musik ein Lied anzustimmen. Anfangs klang es wie eine sanfte Ballade, welche kurz unterbrochen wurde, doch dann erklang ein rockiger Rhythmus. Mit einem lauten Knall aus zwei Konfettikanonen, rechts und links der Bühne, wurde das Licht wieder eingeschaltet und gab den Blick auf Akisu frei, die sofort ihr Lied weitersang, welches nun gar nicht mehr an eine Ballade erinnerte. Sie trug ein dunkelblaues bauch- und schulterfreies Oberteil, an dessen Seiten jeweils zwei rosa-gelbe Bänder herunterhingen, welche aufgrund ihres silbernen Aufblitzens im Licht wohl mit Reißverschlüssen bestückt waren. An den kurzen Ärmeln, in gelbem Saum eingerahmt, waren schwarze Schleifen befestigt. Um ihre Hüften trug das Idol einen kurzen, von rosa ins dunkelblau übergehenden, karierten Faltenrock mit schwarz weißen Streifen. Ihre langen dünnen Beine zierten schwarze Overknees, die am Saum goldgelb und mit Sternen bestrückt waren, zu welchen sie ein paar mit Nieten besetzte schwarz-goldene Stiefeletten trug. An ihren Händen trug sie schwarz-goldene kurze fingerlose und mit Nieten besetzte Handschuhe. Ihre blonden Haare hatte sie wie immer zu zwei Zöpfen gebunden und wie immer trug sie an diesen die flügelähnlichen Accessoires, welche in blau und rosa gehalten waren. Kaum war das Licht wieder angegangen und Akisu hatte mit ihrem Lied fortgesetzt, ging ein Ruck durch die Massen, worauf Mirâ von den Menschen vor sich leicht zurückgestoßen wurde. Sofort war ihr Kumpel zur Stelle und stützte sie etwas ab, damit sie nicht umfiel. Etwas irritiert sah sie zu ihm auf, doch lächelte dann dankend, als sie auch sein lächelndes Gesicht erkannte. Sich wieder richtig und mit festem Stand aufrichtend, sah sie wieder nach vorne und ließ sich von der Masse mitreißen, welche ausgelassen zum Rhythmus der Musik mitsprang. Nach dem kurzen Schock, welchen Mirâ aber schnell überwunden zu haben schien, beobachtete Hiroshi die Violetthaarige einen Moment besorgt. Doch kaum hatte sie sich von der Masse mitreißen lassen, kam das Lächeln auf seinem Gesicht wieder und auch er konzentrierte sich auf die Musik, welche aus den Boxen klang und auf das Idol vor sich, welches singend über die Bühne sprang und rannte und damit versuchte sein Publikum noch mehr anzuheizen. Mit einer coolen Pose, bei welcher das junge Mädchen ihren Arm in die Luft streckte und dabei auch ihr Gesicht gen Himmel neigte, beendete sie ihr Lied. Jubel, gepaart mit anheizendem Pfeifen, schallte durch den Park und prasselte auf das Idol ein. Dieses lächelte und blickte auf sein Publikum herunter. „Hallo ihr lieben.“, schallte aus den Boxen, als die Blondine die Menschen vor sich fröhlich begrüßte, „Ich freue mich sehr, dass ihr heute alle so zahlreich zu meinem Konzert erschienen seid. Ich hoffe ihr hattet heute schon viel Spaß auf dem Tsukinoyo.“ Erneuter Jubel schallte durch die Massen und ließ das Mädchen kichern. „Das freut mich sehr. Dann wollen wir den Tag doch gebührend abschließen und ordentlich feiern. Oder?“ Wieder Jubel. Das Mädchen drehte sich zu ihrer Band um, welche auf Podesten hinter ihr stationiert war, und nickte. Dies war für den Drummer das Zeichen. Er klopfte drei Mal mit den Drummsticks aufeinander und gab somit den anderen Mitgliedern der Band das Zeichen, dass es weiterging. Das nächste Lied ertönte. Wieder begann es recht ruhig, doch ging dann wieder in einen rockigen Rhythmus über, woraufhin die junge Frau auf der Bühne aufblühte und das nächste Lied zum Besten gab. Mirâ hatte sich währenddessen vom ersten Schock erholt und sich an das Gedränge gewöhnt. Nun ließ sie sich von der Masse mitreißen und feierte ausgiebig mit. Sie hatte sogar fast Hiroshi vergessen, welcher immer noch hinter ihr stand. Beinahe wäre sie ihm sogar auf die Füße gesprungen. Erst da hatte sie wieder daran denken müssen, dass er auch noch da war. Doch ihr Kumpel lachte nur auf ihre Entschuldigung hin und meinte, dass es okay wäre. Daraufhin genoss sie weiterhin das Konzert. Sie liebte die Lieder Akisus, welche zwar rockig, aber doch nicht zu hart waren und sie musste feststellen, dass die Lieder und Emotionen, welche in der Musik mitschwangen, auf einem Livekonzert viel intensiver waren, als wenn man sich das Konzert am TV ansah oder die Musik nur auf CD hörte. Irgendwie hatte die Violetthaarige sogar das Gefühl, dass die Botschaft, welche in der Musik Akisus mitschwang und die bitte an eine bestimmte Person schien, doch zurückzukommen, viel intensiver, viel dringlicher war. Es schien, als würde die Sängerin mit aller Macht versuchen jemanden zu erreichen. Als sei es ihre letzte Chance dies zu schaffen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, musste Mirâ feststellen und es ergriff ihr Herz sehr. Was konnte diese Botschaft nur zu bedeuten haben? Es musste eine wichtige Person für Akisu sein, welche sie mit ihrer Musik erreichen wollte. Denn anders konnte sie nicht so viele Emotionen hineinlegen. Mit kleinen Unterbrechungen, in denen Akisu einiges über sich erzählte und meinte, dass sie immer wieder froh war, wenn sie hier in ihrer Heimatstadt auftreten durfte, und ihre Outfits tauschte, wurde das Konzert fortgesetzte. Mit einem lauten Knall beendete das Idol ihr letztes Lied und wieder wurde das Licht gedimmt. Mit einer Verbeugung verließ die Blondine die Bühne. Doch kaum war sie außer Sichtweite ertönte im Einklang der Masse, dass sie alle eine Zugabe forderten. Erstaunt sah sich Mirâ um und blickte dann fragend auf Hiroshi, welcher sie angrinste und meinte, dass das Konzert noch nicht vorbei und die Rufe völlig normal waren. Als ein erneutes Raunen durch die Massen ging, schrak die Violetthaarige auf und blickte wieder vor auf die Bühne, wo Akisu wieder in der Mitte stand. Sie hatte sich erneut umgezogen und trug nun ein schwarzes Kleid mit doppelten Spagettiträgern, welches nach unten hin in breite rote Rüschen fiel und mit einer großen weißen Schleife verziert war. Um das Dekolleté waren rote Rüschen angebracht. Ihre Stiefelletten hatte die Blonde gegen ein paar rote Stiefel getauscht, an welchen ebenfalls weiße Schleifen und Bänder angebracht waren. Ihre flügelartigen Accessoires hatte sie auch ausgetauscht, denn nun waren sie rot und liefen zur Spitze hin weiß aus. Eine Melodie klang an, welche von Streichern begleitet war. Dann begann Akisu ihre Ballade. Mirâ kannte dieses Lied. Es hieß „Mehr als Worte“. Es war eines ihrer liebsten Stücke von der Sängerin, auch wenn sie es sehr traurig fand. „Ich habe dir mehr zu sagen, als ich es in hundert Wörtern könnte. Ich glaube, es kann besser beschrieben werden, als in hundert Wörtern." Sanft schallte die Stimme des Idols über die Massen von Menschen, welche plötzlich ganz leise geworden waren. "Obwohl ich dir so nah war, dass ich deine Tränen wegwischen könnte, habe ich dein Leiden nicht bemerkt auch dein Zittern nicht." Mirâ lauschte dem Text, welcher so klang, als würde sich Akisu die Schuld dafür geben, dass die Person, welche sie zu suchen schien, gegangen war. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihr einige Tränen über das Gesicht liefen, als sie das Lied live hörte. Noch viel mehr Emotionen flossen in sie hinein, als wenn sie es nur über ihre Kopfhörer gehört hätte. "Was wirklich wichtig ist, ist flüchtig wie eine kleine Flamme. Ich schütze sie mit meinen zwei Händen, damit sie der Wind nicht stehlen kann.“ * Es schmerzte schon fast. Vielen schien es so zu ergehen, denn die Violetthaarige merkte, dass die meisten Mädchen um sie herum ebenfalls Taschentücher in den Händen hielten. Von einigen hörte sie sogar ein Schluchzen. Es war wirklich ein sehr schönes und emotionales Lied und innerlich hoffte Mirâ, dass es die Person erreichen möge, für welche es geschrieben wurde. Nachdem das Lied geendet hatte war kurze Zeit Stille im Park. Erst nach und nach erklang Jubel. Viele schienen das Lied erst sacken lassen zu müssen. Wieder ließ das Idol den Jubel auf sich wirken, bevor das nächste Lied erklang. Es folgten noch zwei weniger traurige Lieder, ehe Akisu ihr Konzert begleitet von lautem Jubel und sich bei allen bedankend, beendete. Mit einer erneuten Verbeugung verließ die junge Frau die Bühne. Nun war das Konzert also wirklich zu Ende. Eine Hand auf ihrer Schulter ließ die Violetthaarige aufblickten und in das lächelnde Gesicht ihres Kumpels schauen. Auch ihr zauberte dies ein Lächeln auf das Gesicht. Noch kurz warteten die Beiden, bis sich die Massen so langsam auflösten und machten sich dann ebenfalls auf den Heimweg. Währenddessen betrat Akisu ihre Kabine, welche sich in einer Art riesigem Wohnwagen, befand und lehnte sich seufzend gegen die Tür. Wieder hatte sie ein Konzert geschafft. Doch trotzdem war sie nicht ganz glücklich. Sie hatte so sehr gehofft die Person wieder zu sehen, doch egal wo sie geschaut hatte, sie hatte sie nicht erblicken können. Natürlich war es schwierig eine einzige Person zwischen mehreren Tausend zu finden. Aber trotzdem. Ob sie überhaupt zu ihren Konzerten kam? Ob ihre Nachricht denjenigen überhaupt erreichte? Zweifel überkamen sie. Hatte es überhaupt noch einen Sinn weiterzumachen? Natürlich liebte sie es zu Singen und Texte zu schreiben und unter keinen Umständen, wollte sie dies aufgeben. Aber was nützte es, wenn ihre Nachricht nicht bei dieser einen Person ankam. Vielleicht war sie doch nicht so gut darin ihre Gefühle herüber zu bringen… Ein kräftiges Klopfen ließ die Blonde aufschrecken und von der Tür weichen. Keinen Augenblick später betrat eine blonde Frau den Raum und schaltete ohne Vorwarnungen das Licht ein, was den bis eben noch dunklen Raum in ein grelles Licht tauchte. Reflexartig schloss die junge Frau ihre gelbbraunen Augen und hörte wie die Tür hart zugeschlagen wurde. Nachdem sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten erkannte das Idol ihre Mutter, welche sie mit bösen gelbbraunen Augen ansah. „Es reicht jetzt, Akisu!“, schimpfte sie, „Ich habe dir zu Beginn des Konzertes gesagt, du sollst dieses Lied nicht singen.“ Die Blonde senkte den Blick, um ihrer Mutter nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. Ein leichtes Zittern ging durch ihren Körper. Gerne hätte sie ihrer Mutter gesagt, dass es ihr egal war, was sie sagte und sie das Lied trotzdem weiterhin singen würde, doch leider traute sie sich nicht jemandem ihre Meinung zu sagen. Erst Recht nicht ihrer Mutter. Ein Schnaufen ließ sie aufblicken und sie erkannte, dass die Frau vor ihr sich mit verschränkten Armen weggedreht hatte: „Naja. Bald ist sowieso Schluss mit dem Mist. Vergiss nicht dein Versprechen! Wenn deine Tour vorbei ist, hörst du auf damit, beendest deine Schule und beginnst dein Studium! Hast du verstanden?“ Auf die Dringlichkeit ihrer Mutter hin, musste die junge Frau kurz zucken. Wieder wandte sie den Blick ab. Noch einmal, viel dringlicher, fragte die Frau, ob das Idol verstanden hatte, woraufhin dieses nickte. „Gut. Und wehe du hältst dich nicht dran. Zu deinem letzten Konzert im Dezember wirst du dein Karriereende bekannt geben. Und keine Wiederrede!“, damit war die Frau aus dem Raum verschwunden. Schnell stürmte Akisu zur Tür, schloss diese ab und lehnte sich dagegen. Da sie nur zur Hälfte an der Tür lehnte traf sie dabei auch den Lichtschalter und es wurde wieder stockfinster im Raum. Das jedoch interessierte die junge Frau nicht. Verzweifelt rutschte sie an der Tür herunter und zog ihre Knie an sich heran, nachdem sie auf dem Boden saß. Sie wollte nicht aufhören. Nicht so. Sie wollte nicht, dass ihr vorgeschrieben wurde, was sie zu tun hatte und auch nicht, dass ihr gesagt wurde, dass sie aufhören sollte. Doch ihre Schwäche, ihrer Mutter nicht die Meinung sagen zu können, hinderte sie daran. Sie musste doch noch diese eine Person erreichen. Wie sollte sie das nur in so kurzer Zeit schaffen? Wut überkam sie. Wut über ihre eigene Schwäche, über das, was vor einigen Jahren passiert war, darüber, dass sie es nicht verhindert konnte und über ihre Mutter, die an allem schuld war. Sie hasste sie. Und das Schlimmste war, sie hasste sich selbst am Meisten. Ein leises Lachen ließ sie aufschrecken. Irritiert sah sie auf, woraufhin ihr Blick auf ihren großen Wandspiegel fiel. Er stand ihr genau gegenüber und so blickte sie ihr verheultes Ebenbild entgegen. „Willst du dem entfliehen?“, hörte sie eine weibliche Stimme. Sie klang ihrer sehr ähnlich und doch anders, irgendwie verzerrt. Vorsichtig richtete sich die Blondine auf und schritt auf ihren Spiegel zu. Kam diese Stimme von dort? Wie konnte das sein? Aber die Antwort auf die Frage war einfach. Ja! Sie wollte dem allen entfliehen. Traurig blickte sie in den Spiegel. Ihr Spiegelbild sah ihr genau gleich entgegen. Doch kaum hatte die junge Frau den Spiegel berührt, zierte das Gesicht ihres Ebenbilds ein breites und hässliches Grinsen, während deren Augen rot aufleuchteten. Erschrocken wollte Akisu zurückweichen, doch da hatte bereits eine Hand sie gegriffen. Panisch wehrte sich das Idol und klirrend gingen einige Gläser zu Boden, welche auf einem Tisch standen. Doch einen Moment später kehrte Ruhe in den Raum ein. Dieser war nun leer. Freudig lief Mirâ neben Hiroshi her und erzählte aufgeregt, wie sehr ihr das Konzert gefallen hatte. Lachend hörte der Blonde zu und freute sich darüber, dass die Violetthaarige ihr erstes Konzert genossen hatte. „Es war wirklich gut. Und so schlimm war ihre Musik auch nicht.“, lachte er. „Vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast. Auch an deinen Vater einen Dank, für die Tickets.“, bedankte sich die junge Frau noch einmal. „Schon okay. Solange du Spaß hattest. Und ich werde den Dank weiterleiten.“, meinte Hiroshi, hängte dabei aber noch dran, dass dies erst bei Gelegenheit geschehen würde. Lächelnd nickte Mirâ noch einmal und sah dann wieder nach vorn: „Der Tag an sich war wirklich schön. Ich hatte viel Spaß. Das Volksfest ist wirklich toll.“ „Ich muss zugeben, dass es früher weniger aufregend war.“, erklärte ihr Kumpel, „Damals gab es weniger Buden und erst Recht keine Konzerte. Ich war dieses Jahr seit vielen Jahren das erste Mal wieder hier.“ „Warst du als Kind oft hier?“, hakte die Violetthaarige nach. Hiroshi schien kurz zu überlegen: „In der Grundschule oft. Damals immer mit Akane und ihren Eltern. Meine Eltern hatten ja damals, wie auch heute, kaum Zeit. Rin war damals auch oft dabei. Ich erinnere mich auch daran, dass es sogar mal zwei Jahre ausgefallen war. Zumindest gab es da nur die Veranstaltungen im Tempel. Danach war ich nicht mehr auf dem Fest.“ „Wieso das?“, irritiert blickte die junge Frau zu ihrem Kumpel, „Also wieso fiel es aus?“ Wieder überlegte der Blonde. Dieses Mal dauerte es sogar etwas länger und er schien sich echt konzentrieren zu müssen, warum das Fest ausgefallen war. „Ich glaube in einem Jahr war irgendwas passiert. Was genau weiß ich nicht. Die Erwachsenen waren aber alle in heller Aufregung, das weiß ich noch. Danach wurde der Platz, wo das Einkaufszentrum steht, umgebaut und dadurch konnte das Fest wohl nicht stattfinden. Das waren auch die Jahre als das Einkaufszentrum gebaut wurde.“, erklärte er anschließend. „Das Einkaufszentrum stand dort nicht immer?“, ein mulmiges Gefühl breitete sich in Mirâs Körper aus. „Nein. Aber frag mich nicht, was dort früher stand. Ich glaube ein altes Gebäude, aber was das genau war… keine Ahnung. Ich erinnere mich da nur noch düster dran.“, meinte Hiroshi und verschränkte die Arme hinter den Kopf. Ein eiskalter Schauer lief Mirâ den Rücken herunter und plötzlich wurde ihr irgendwie schlecht. Schnell stützte sie sich an der Mauer neben sich ab und hielt ihre Hand vor dem Mund, als sie an die Szene zurückdenken musste, wo sie das alte Gebäude auf dem Platz mit dem Einkaufszentrum gesehen hatte. Erschrocken sah Hiroshi zu der jungen Frau, welche plötzlich kreidebleich anlief, und fragte aufgeregt ob alles in Ordnung war. „Warte ich hol dir schnell was zu trinken!“, kam es hektisch von dem jungen Mann, welcher einige Meter vor sich einen Getränkeautomaten erblickt hatte. Wenn die Erzählung von Hiroshi stimmte, dann hatte Mirâ genau dieses Gebäude gesehen. Doch wie konnte das sein? Diese Stadt war ihr neu. Sie kannte den Platz nur mit dem Einkaufszentrum. Es war also unmöglich, dass sie sich an ein Gebäude erinnern konnte, was vor vielen Jahren abgerissen wurde. Dazu kam wieder das Gefühl, dass dieses Gebäude gefährlich war. Nun konnte die junge Frau nicht mehr an sich halten und übergab sich an der Wand. Ihr war so unendlich schlecht. Was war das nur? Eine warme Hand, welche beruhigend über ihren Rücken strich, und etwas Kaltes an ihrer Stirn ließ sie vorsichtig aufblicken und in die besorgten blauen Augen ihres Kumpels sehen. Langsam verschwand die Übelkeit wieder. Irgendwie beruhigten sie die Augen ihres Kumpels, welche ihr trotz Besorgnis auch Wärme entgegenbrachten. Einmal kurz atmete die junge Frau durch und nahm dann die Dose mit Wasser entgegen, welche Hiroshi ihr reichte. Einen Moment später saßen beide auf einer Bank. Die junge Frau krallte sich regelrecht an ihrer Dose fest und hatte den Blick gesenkt. Die Übelkeit und der Schwindel waren wieder vergangen, trotzdem strich Hiroshi ihr noch immer über den Rücken. Eine Geste, die sie einfach nur beruhigte. Es war ihr aber dennoch unangenehm, dass Hiroshi sie in dieser Situation sehen musste. Mit gesenktem Blick entschuldigte sie sich nun schon zum gefühlten hundertsten Mal bei ihrem Kumpel. Dieser schüttelte den Kopf: „Ist schon okay. Hauptsache dir geht es wieder etwas besser. Anscheinend war das alles wohl doch etwas viel für dich. Nicht das du dir einen Hitzschlag oder Sonnenstich eingefangen hast. Heute war es immerhin ziemlich heiß.“ Mirâ nickte nur auf die Vermutung ihres Kumpels. Sie konnte ihm, aus welchen Gründen auch immer, nicht sagen, weshalb ihr wirklich schlecht geworden war. Wie sollte sie auch erklären, dass sie etwas gesehen hatte, was sie eigentlich nicht kennen dürfte? Sie verstand es ja selber nicht. Also würde sie diese Tatsache erst einmal für sich behalten. Nachdem es der jungen Frau wieder etwas besser ging, machten sich die Beiden wieder auf den Weg. Als sie Mirâs Haus erreicht hatten verabschiedete sich der Blonde von der Violetthaarigen, rang ihr aber vorher noch das Versprechen ab, sich richtig auszuruhen. Mit einem freundlichen, aber doch besorgten Lächeln winkte Hiroshi ihr noch einmal zu und ging dann. Vorsichtig winkend sah sie ihrem Kumpel nach und entschuldigte sich innerlich bei ihm, dass sie nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, bevor sie ins Haus ging. -?- Dunkelheit umgab sie. Alles war schwarz. Aus der Ferne hörte sie jemanden ihren Namen rufen, doch die Stimme war so leise und so verzerrt, dass sie nicht wusste wem sie gehörte. Unter sich fühlte sie eine unangenehme kälte. Lag sie auf dem Boden? Plötzlich durchzog ein tiefer Schmerz ihren Körper. Es war, als würde jemand versuchen ihr alle Gliedmaße abzureißen. Erschrocken öffnete sie die Augen, doch um sie herum war ein grauer Nebel, durch welchen kleine schwarze Flocken flogen. Vor Schmerzen krümmend richtete sie sich auf. Ihr Blick durch den Nebel hindurch war verschwommen, doch sie erkannte, dass jemand vor ihr war. War es ein Mädchen? So ganz genau konnte sie es nicht sagen. Der Nebel und die schwarzen Flocken verhinderten, dass sie Farben und genaue Umrisse erkennen konnte. Sie ging auf die Person vor sich zu und erkannte schemenhaft, dass diese auf dem Boden hockte. Es sah sogar so aus, als würde diese Person vor ihr zurückweichen. Hatte sie Angst? Sie hörte dass die Person ihr etwas zuschrie, doch sie verstand es nicht. Dann hörte sie einen markerschütternden Schrei. Mit einem Ruck saß Mirâ aufrecht in ihrem Futton. Schwer atmend sah sie sich in ihrem dunklen Zimmer um, doch konnte außer den Schemen ihrer Möbel nichts erkennen. Langsam beruhigte sich ihre Atmung wieder. Sie senkte den Kopf und legte ihre Hand an ihre warme Stirn. Die Kälte ihrer Hände tat gut und so langsam beruhigte sie sich wieder. Was war das für ein merkwürdiger Traum? Sie hatte schon des Öfteren Albträume gehabt, doch noch nie so einen. Er fühlte sich so real an. Selbst die Schmerzen. Ihr war, als könnte sie diese immer noch spüren. Sie nahm ihre Hand von der Stirn und betrachtete diese eine ganze Weile. Irgendwas stimmte in letzter Zeit nicht mit ihr. Erst diese Visionen und nun der Albtraum. Hatte dies etwas mit ihrem Schicksal zu tun? Wenn ja, warum sie? Was war so besonders an ihr? Das Adrenalin in ihrem Körper sank und langsam stieg wieder Müdigkeit in ihr auf, also legte sie sich wieder zurück und starrte an die Decke, wobei sie merkte, wie ihr langsam die Augen wieder zufielen. So tauchte sie wieder ins Reich der Träume ein, in der Hoffnung nicht noch einmal einen solchen Albtraum zu erleben. Kapitel 44: XLIV - Unausgesprochene Probleme -------------------------------------------- Samstag, 01.August 2015 Gähnend und sich genüsslich den Bauch kratzend betrat Hiroshi die geräumige Küche. Geradewegs steuerte auf die Arbeitsplatte ihm gegenüber zu, auf welcher sich die Kaffeemaschine befand, von der ein angenehmer Geruch von frisch aufgebrühten Kaffee ausging. Viel zu müde, um auch nur ansatzweise auf seine Umgebung zu achten, bemerkte er dabei nicht einmal die Person, welche rechts von ihm am Tisch saß. Diese von ihrer Zeitung auf, nur um kurz zu schmunzeln, als der junge Mann mit seinen völlig zerzausten blonden Haaren den Raum betrat. Auch bemerkte er nicht, wie ihn diese Person bei seinem weiteren Tun beobachtete, während er sich eine Tasse aus dem Schrank über der Arbeitsplatte heraus nahm und sich daraufhin etwas der braunen Flüssigkeit, die er in diesem Moment so dringen brauchte, eingoss. Dabei verschwendete er anscheinend nicht einmal einen Gedanken daran, wer die Kanne mit Kaffee angesetzt haben könnte. Wie auch? Immerhin funktionierte sein Gehirn noch nicht richtig, wenn er nicht ganz wach war. Die Person am Küchentisch beobachtete den jungen Mann noch eine ganze Weile und verkniff sich dabei jegliches Lachen. Auch versuchte sie keinen Mucks zu machen, war der Anblick der sich ihr bot doch nur allzu lustig. Bei der Person handelte es sich um einen Mann mittleren Alters mit hellbraunem, grau meliertem und akkurat zurückgekämmten Haaren. Sein teuer wirkender Anzug saß ordentlich und seine dunkelblauen Augen fixierten den Blonden jungen Mann, welcher immer noch an der Arbeitsplatte lehnte und einen Schluck der lebensweckenden Flüssigkeit trank. Noch kurz beobachtete er den jungen Mann vor sich, ehe er endlich sein Schweigen brach: "War ein langer Abend. Was?" Erschrocken fuhr Hiroshi herum und ließ dabei fast die Tasse in seiner Hand fallen. Gerade noch so konnte er das Porzellangefäß mitsamt seinem Inhalt festhalten, ehe er total perplex zu seinem Vater blickte, dessen blaue Augen ihn amüsiert fixierten. Nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, schnaubte der Blonde kurz und wandte seinen Blick ab, bevor er sich wieder Richtung Arbeitsplatte drehte und erneut in den Schrank darüber griff, um sich eine Schüssel heraus zu nehmen. Eine Antwort blieb er seinem Vater jedoch schuldig. Er hatte kein Bedürfnis gerade mit ihm zu sprechen. Es verwunderte ihn sowieso, dass er ihn antraf. Als Hiroshi aufgestanden war, hatte er eh nicht damit gerechnet überhaupt einen seiner Eltern anzutreffen, doch am wenigsten seinen Vater. Immerhin war dieser gefühlt mit seiner Arbeit verheiratet und ohnehin selten Zuhause. Sein Vater bemerkte, dass Hiroshi nicht mit ihm sprechen wollte, doch belächelte dies nur. Kurz spiegelte sich allerdings in seinen Augen leichte Traurigkeit, welche aber innerhalb eines Wimpernschlages wieder verschwunden war. Hiroshi hatte dies nicht einmal mitbekommen und wanderte stattdessen weiter durch die Küche zu einem Vorratsschrank, aus welchem er sich eine Packung Müsli fischte und dieses in die von ihm herausgenommene Schüssel füllte. Sein Vater seufzte kurz kaum hörbar und wandte sich wieder seiner Zeitung zu, welche vor ihm lag, doch auf den Artikel konzentrieren konnte er sich nicht. Stattdessen versuchte er noch einmal ein Gespräch mit dem jungen Mann zu starten, ohne jedoch wieder aufzuschauen: "Du warst gestern ziemlich spät zu Hause. Ging das Konzert so lange? Du weißt, dass du dich so spät abends nicht mehr herumtreiben sollst." Der junge Mann, welcher gerade dabei war die Milch aus dem Kühlschrank zu holen, blickte wieder kurz zu seinem Vater, wandte sich dann aber wieder seinem Tun zu und ging mit der Milchpackung zurück zur Arbeitsplatte. Ihm war klar, dass sein Vater mitbekommen hatte, dass er erst spät nach Hause gekommen war. Immerhin hatte der junge Mann das dämmrige Licht aus dem Wohnzimmer gesehen, welches aus dem Arbeitszimmer seines Vaters kam, dass an den Wohnraum angrenzte. Er hatte versucht so leise wie möglich zu sein, als ihm das aufgefallen war, aber anscheinend hatte ihn sein Vater doch bemerkt. "Hab noch meine Begleitung heimgebracht.", murmelte der Blonde genervt, während er die Milch wieder zurück in den Kühlschrank stellte. Erstaunt hob sein Vater den Kopf und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an: "Ein Mädchen?" "Eine gute Freundin...", nuschelte Hiroshi. Noch kurz spürte der Blonde den Blick seines Gegenübers auf sich ruhen, bevor sein Vater sich wieder auf den Artikel vor sich konzentrierte. Dann kehrte Stille ein. Der junge Mann lehnte sich mit seiner Müslischüssel in der Hand gegen die Arbeitsplatte, sodass er in den Raum hineinschauen konnte, und aß langsam sein Frühstück. Er hatte nicht das Bedürfnis sich zu seinem Vater an den Tisch zu setzen und das zeigte er diesem auch offen. Dieser jedoch schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und las weiter konzentriert die Zeitung. Eigentlich wollte Hiroshi das Gespräch damit beenden, immerhin hatte er ja keine wirkliche Lust mit seinem Vater zu sprechen, aber eine Frage brannte ihm seit dem Abend auf der Zunge und in diesem Moment war der Mann vor ihm die einzige Person, die ihm dazu Auskunft geben konnte. Doch noch haderte der junge Mann mit sich, die Frage auszusprechen, aber eine weitere Chance würde er wohl so schnell nicht wieder bekommen. Seine Mutter konnte und wollte er erst recht nicht dazu befragen. "Du sag mal...", begann der Blonde vorsichtig. "Hm?", kam es von seinem Vater zurück, welcher aber den Blick nicht von der Zeitung nahm. "Das Gebäude, was früher mal auf dem Gelände vom Einkaufszentrum stand... erinnerst du dich noch daran, was das war?", stellte der junge Mann nun endlich die Frage. Nun blickte sein Vater auf und sah ihn fragend an. Er stützte sein Kinn auf seinem Arm ab und grinste kurz: "Hey, du bist ja heute richtig gesprächig." Erschrocken verschluckte sich der Blonde an seinem Müsli und musste erst einmal einen Schluck Kaffee trinken und wieder zu Atem kommen, ehe er wohl etwas zu aggressiv kontern konnte: "Lass den Mist und bleib ernst!" Sein Vater konnte sich nun ein Lachen nicht verkneifen. Doch kaum hatte sich der junge Mann wieder beruhigt, überlegte der Braunhaarige. Er musste sogar eine ganze Weile nachdenken, denn auf Anhieb wollte ihm dazu nichts einfallen, bis er jedoch kurz ein Bild vor Augen hatte und ihm wieder einfiel, was an der Stelle des Einkaufszentrums einmal stand: "Dort stand früher ein alter Tempel. Er war aber verlassen und deshalb sehr zerfallen. Ich weiß noch, dass dieser Ort jahrelang ein Dorn im Auge der Stadt war. Es sah ja auch nicht schön aus und gefährlich war es auch. Obwohl es abgesperrt war, haben dort immer wieder Kinder gespielt und sich verletzt. Aber das Grundstück war privat, deshalb durfte der Tempel nicht abgerissen werden." Interessiert hörte Hiroshi seinem Vater zu und so langsam schien auch er sich wieder an das alte Gebäude zu erinnern, welches ihm als Kind immer tierische Angst eingejagt hatte. Auch ihm fiel ein, dass damals einige Kinder aus seiner Grundschule oft dort gespielt hatten. Er hatte sich von dem Gelände aber immer fern gehalten. Um es zu betreten hatte er viel zu viel Angst. Warum war ihm das nur entfallen? "Vor sieben Jahren war dann aber irgendwas passiert, sodass die Stadt das Grundstück enteignen konnte.", erklärte sein Vater abschließend, "Aber frag mich bitte nicht, was damals passiert ist." "Ich verstehe.", nuschelte Hiroshi. "Gibt es einen Grund warum du ausgerechnet danach fragst?", kam eine weitere Frage, woraufhin der Blonde jedoch nur meinte, dass er und seine Begleitung am Abend auf das Thema zu sprechen kamen, "Ach so. Na dann... jetzt weißt du ja Bescheid." Der Braunhaarige faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und erhob sich von seinem Stuhl, ehe er sein Geschirr vom Tisch nahm und dieses in die Spülmaschine packte. Dann richtete er noch einmal seinen Anzug und seine Haare und verließ die Küche. "Ich muss dann los. War schön mal wieder ein normales Gespräch zu führen. Heute Abend wird es wahrscheinlich wieder später, falls deine Mutter fragt. Mach dir einen schönen Tag.", hörte Hiroshi noch, bevor die Wohnungstür ins Schloss fiel. Missmutig starrte Hiroshi noch eine Weile auf die offene Tür, welche in den Flur führte. Er hatte den leichten Seitenhieb seitens seines Vaters bemerkt, wusste dieser doch, dass der Blonde es aktiv vermied mit ihm zu sprechen. Seufzend stieß sich Hiroshi vorsichtig von der Arbeitsplatte ab und setzte sich mit seinem mittlerweile durchgeweichten Müsli und seiner Tasse Kaffee an den Tisch. "Er ist ja selber schuld.", murmelte der Blonde, da ihn diese Anmerkung seines Vaters doch tierisch nervte. Sein Vater war ja wirklich selber schuld, zumindest redete sich der Blonde das ein, immerhin war er nie zu Hause. Hiroshi war sich nicht sicher, ob sein Vater wirklich so viel zu tun hatte oder einfach von seiner Familie und den damit aktuell verbunden Problemen Abstand nahm, jedoch tippte der junge Mann eher auf das Zweite. Jedenfalls hatte er das Gefühl. Wer sonst würde lieber an einem Samstag arbeiten gehen, wenn er kein Schichter war, anstatt seinen verletzten Sohn im Krankenhaus zu besuchen. Seit Rin im Krankenhaus lag, war die Lage noch angespannter, als sie vorher eh schon war und Hiroshi war sich sicher, dass sein Vater davor floh. Immerhin vertiefte er sich seit dem Unfall noch mehr in Arbeit. Doch eigentlich war Hiroshi ja nicht anders. Das wusste er selbst und noch während ihm der Gedanke kam, verging ihm jeglicher Hunger auf sein eh schon matschiges Frühstück. Im Grunde floh er selber auch vor den Problemen. Seinen Eltern ging er systematisch aus dem Weg, denn wenn er sie nicht sehen musste war ihm das nur allzu Recht. Und Rin besuchte er auch nur dann, wenn er damit seinen Eltern aus dem Weg gehen konnte. Er hasste die aktuelle Situation, aber er wusste selbst, dass sich daran nichts ändern würde. Und noch mehr hasste er es zu wissen, wie ähnlich er seinem Vater doch war. Genervt schob er seinen Stuhl zurück, trank noch seinen Rest Kaffee und begab sich dann mit seiner Schüssel zum Mülleimer, um die sich darin befindende Matschepampe zu entsorgen. Nachdem er sein Geschirr fein säuberlich in die Spülmaschine gepackt hatte, streckte er sich und entschied, noch etwas an die frische Luft zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Vielleicht hatte Shuya Zeit und sie konnten noch etwas Kicken oder etwas anderes unternehmen. Vorher wollte er aber Mirâ eine Nachricht schreiben und sie fragen, ob alles in Ordnung war. Er hatte sich schon so einige Gedanken gemacht, nachdem es der jungen Frau am gestrigen Tag zwei Mal plötzlich so schlecht ging. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es etwas mit dem alten Tempel zu tun hatte, nach dem er seinen Vater gefragt hatte. Doch im Prinzip war dies gar nicht möglich. Woher sollte Mirâ auch diesen alten Tempel kennen? Sie war erst vor einigen Monaten in diese Stadt gezogen und konnte so gar nicht von dem Gebäude wissen. Es war merkwürdig und das beschäftigte ihn. Aber wahrscheinlich machte er sich viel zu viele Gedanken darüber. Jedenfalls hoffte er das, denn er hatte das Gefühl, dass am Ende dieser Gedanken etwas Gefährliches lauerte. Sich kurz auf die Wangen klatschend, um wieder in die Realität zu kommen, schüttelte der Blonde den Kopf, ehe er die Küche verließ, um in sein Zimmer zu gehen und endlich die Nachrichten an Mirâ und Shuya zu senden. Ein Summen holte die Violetthaarige aus ihren Träumen und ließ sie verschlafen nach ihrem Smartphone tasten, welches neben ihr auf dem Boden lag und mit jeder eingehenden Nachricht vibrierend über den Belag rutschte. Bereits vor einiger Zeit kamen die ersten Nachrichten an, welche sie versucht hatte zu ignorieren, doch das Vibrieren hörte nicht auf und die junge Frau verfluchte sich dafür ihr Handy nicht komplett auf stumm geschaltet zu haben. Murrend bekam sie das nervige Etwas zu fassen und entsperrte den Display, nur um festzustellen, dass es bereits kurz nach 12 Uhr war. Sie hatte wirklich lange geschlafen und trotzdem war sie noch müde. Gekonnt schob sie ihren Finger über den Touchscreen und öffnete ihr Chatprogramm. Mehrere der Chats zeigten ihr an, dass sie dort Nachrichten erhalten hatte. Zum Einen hatte sie eine Nachricht von Shuichi bekommen, welcher sie fragte, ob sie am Abend eine Schicht übernehmen könnte. Zum Anderen waren auch zwei von Hiroshi eingegangen. Der Blonde hatte sie zuerst gefragt, ob alles in Ordnung sei und geschrieben, dass er sich Sorgen machte, weil es ihr am Abend schlecht ging. Danach folgte jedoch eine weitere Nachricht, in welcher er sich beschwerte, das Akane mal wieder übertrieb und ihm zuvor gekommen sei. Etwas irritiert las Mirâ die Nachricht noch einmal und versuchte zu verstehen, was ihr Kumpel damit meinte. Erst nachdem sie den Chat ihrer Gruppe geöffnet hatte, welcher die meisten Nachrichten enthielt, wusste sie, was der Blonde gemeint hatte. Auch Akane hatte sie nach ihrem Wohlbefinden gefragt, woraufhin Kuraiko und Masaru sofort reagiert hatten und nachfragten, was los sei. Daraufhin hatte Akane schon fast übertrieben erklärt, dass es der Violetthaarigen am Nachmittag nicht gut ging und sie sich deshalb noch mal darüber informieren wollte. Außerdem wollte sie wissen, wie das Konzert war und ob es ihr dabei wieder besser ging. Mirâ seufzte daraufhin und setzte sich auf. Ihre Freundin hatte mal wieder übertrieben, trotzdem freute sie sich darüber, dass sie an sie dachte. Schnell schrieb sie eine Antwort in den Gruppenchat, dass alles in Ordnung sei und sie sich keine Sorgen machen brauchten. Dabei verschwieg sie bewusst, dass es ihr nach dem Konzert noch einmal schlecht ging. Auch den merkwürdigen Traum in der Nacht verschwieg sie bewusst. Sie wollte ihren Freunden nicht noch mehr Sorgen bereiten. Anschließend antwortete sie auch auf Hiroshis Nachricht, in welcher sie sich noch einmal für seine Fürsorge bedankte, sich aber auch gleichzeitig noch einmal dafür entschuldigte, dass der Abend so zu Ende gegangen war. Ganz zum Schluss wandte sie sich der Nachricht von Shuichi zu und fragte nach, wann sie anfangen sollte. Sie hatte an diesem Tag sowieso nichts Wichtiges vor und durch ihre Schwester hatte sie in den letzten Tagen ziemlich viel Geld ausgegeben, weshalb ihr der Nebenjob sogar richtig gelegen kam. Außerdem lenkte es sie davon ab, über diese Vision vom Vortag und den Alptraum nachzudenken, denn immer wenn sie sich daran erinnerte überkam sie erneute Übelkeit. Irgendwie machte ihr das Sorgen. Doch was konnte das sein? Schnell schüttelte die Violetthaarige jedoch den Kopf und erhob sich aus ihrem Futon, um sich daraufhin etwas Bequemes anzuziehen und anschließend hinunter ins Erdgeschoss zu gehen, wo ihre kleine Schwester bereits vor dem Fernseher hockte und ihre Lieblingsserie schaute. Kopfschüttelnd betrat Mirâ die kleine Küche, um sich ein paar Toast und einen Milchkaffee zu machen und erst mal in Ruhe zu frühstücken, bevor sie sich für den Tag fertig machen würde. Später Nachmittag Eilig betrat die Violetthaarige die Karaokebar und klappte ihren roten Regenschirm zusammen, welcher sie auf dem Weg hierher davor bewahrt hatte noch nasser zu werden. "Willkommen. Oh, Mirâ-Chan. Schön das du es einrichten konntest.", begrüßte sie Shuichi freundlich, welcher wie immer am Tresen lehnte. "Hallo Shuichi-San. Kein Problem, das kommt mir sogar gelegen. Außerdem kann man bei dem Regen eh nichts unternehmen.", freundlich lächelnd ging Mirâ an ihrem Kollegen vorbei in Richtung der Umkleiden. Der Braunhaarige lachte: "Anscheinend doch. Immerhin ist hier die Hölle los." Auch Mirâ entlockte dies ebenfalls ein Lachen, bevor sie im hinteren Teil der Karaokebar verschwand, um sich umzuziehen. Während sie sich ihrer Sachen entledigte und in ihre Uniform schlüpfte, kamen einige ihrer Kolleginnen auf sie zu und erklärten ihr, wie froh sie waren, dass sie aushalf. So erfuhr die junge Frau, dass heute so viel los war, dass die Räume im Stundentakt verbucht waren. Sobald ein Raum frei und gereinigt wurde, war er auch schon wieder belegt. Das musste sie selbst auch am eigenen Leib erfahren, als sie ihren Dienst antrat. Es ging alles Schlag auf Schlag und kaum dachte sie mal eine ruhige Minute zu haben, ging es bereits weiter. Auch Shuichi half dieses Mal beim bedienen der Kunden, soweit seine Zeit am Tresen es zuließ. So merkte die junge Frau nicht einmal, wie schnell die Zeit eigentlich verging und dass es bereits Abend war, als sich der Betrieb endlich etwas beruhigte und sie zur Ruhe kam. "Bye.", verabschiedeten sich zwei ihrer Kolleginnen, welche bereits seit den Mittagsstunden hier waren und endlich Feierabend machen konnte. Mirâ winkte ihnen kurz hinterher und wünschte ihnen einen schönen Feierabend, ehe sie sich seufzend an den Tresen in der Lounge lehnte und erst einmal durchschnaufte. "War ein anstrengender Nachmittag. Was?", sagte Shuichi, welcher Mirâ eine kleine Flasche Wasser reichte, "Du warst heute wirklich eine große Hilfe. Vielen Dank dafür." "Wie gesagt, es war kein Problem für mich.", lächelte die junge Frau freundlich, was auch ihrem Gesprächspartner ein Lächeln auf das Gesicht zauberte. Die sich öffnende Eingangstür ließ die Beiden aufblicken und zu den ankommenden Gästen schauen. Sofort verzog sich Mirâs Gesicht, als sie Kyo erkannte, welcher lachend und zwischen zwei Mädchen gehend die Bar betrat. Leicht murrend schob sich die junge Frau vom Tresen ab und schickte einen Dank an den Himmel, als ihr Tablet signalisierte, dass sie eine neue Bestellung bekommen hatte und sie sich somit aus der Affäre ziehen konnte. Noch am Rande bekam sie mit, wie Shuichi seinem Kunden erklärte, dass sein Raum noch für einige Minuten reserviert war, sodass er noch etwas warten musste. Etwas missmutig nahm der Blauhaarige dies zur Kenntnis und setzte sich mit seiner Begleitung auf die Sitzecke, welche sich im Foyer befand. Weiter interessierte sich die junge Frau nicht für das Gespräch und wandte sich stattdessen ihrer Bestellung zu. Als sie einige Minuten später wieder in das Foyer kam, waren Shuichi und Kyo bereits wieder am Diskutieren. Anscheinend fand es der Blauhaarige gar nicht toll, so lange auf seinen Raum warten zu müssen, obwohl er bereits wieder frei war. In aller Seelenruhe erklärte ihm sein Gegenüber, dass er den Raum jede Minute nutzen könnte, dieser aber noch gereinigt werden musste. Zur Beschwichtigung bot er dem jungen Mann vor sich noch ein Getränk an und bat ihn, sich noch einige Minuten zu gedulden. Missmutig drehte sich Kyo somit um und ließ sich wie angeboten noch ein Getränk bringen. Mirâ beobachtete den Blauhaarigen, während sie sich wieder neben Shuichi an den Tresen lehnte. Dieser schien nicht beschwichtigt und murmelte immer wieder etwas von "unerhört" und "eines Stammgastes nicht würdig" und schien sich erst zu beruhigen, als endlich sein gewünschtes Getränk eintraf. Neben sich hörte sie ein erleichtertes Seufzen, welches sie zu ihrem Kollegen blicken ließ, der den jungen Mann lächelnd beobachtete. Auch Mirâ sah wieder zu dem Studenten vor sich, als ihr Blick auf den Bildschirm im Foyer fiel, welcher an der Wand dem Tresen gegenüber angebracht war und auf welchem gerade die aktuellen Nachrichten liefen. Die Sprecherin hatte gerade das nächste Blatt ihrer Stichpunkte in die Hand genommen, als auf dem Bildschirm hinter ihr ein Bild des Idols Akisu zu sehen war. Darunter stand groß und fett "Idol verschwunden". Hastig bat Mirâ sofort ihren Kollegen, den Fernseher etwas lauter zu schalten. Irritiert sah er die Violetthaarige an, doch tat wie geheißen, sodass alle Anwesenden die News hören konnten. "Das Idol Akisu wird vermisst. Wie es von offizieller Seite heißt, verschwand sie in den späten Nachtstunden zwischen 0 und 2 Uhr, nachdem sie ihr Konzert auf dem Tsukinoyo abgeschlossen hatte. Zu aktueller Stunde ist eine Spezialeinheit der Polizei auf der Suche nach der jungen Sängerin. Obwohl noch kein Erpresserschreiben vorliegt, schließt die Polizei eine Entführung nicht aus.", erklärte die Sprecherin in einem doch recht monotonen Ton, "Akisu zählt dieser Tage zu den bekanntesten Idolen Japans. In den letzten zwei Jahren hat sie einen rasanten Aufstieg hingelegt und viele Anhänger gesammelt. Ihr aktuelles Album stieg auf Anhieb auf Platz 1 der Charts ein. Und nun zum aktuellen Wetter..." Der Ton auf dem Fernseher wurde wieder leiser, als der Bericht endete, während sich Stille über die Anwesenden im Raum legte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Mirâs Magen aus und sie hoffte, dass ihre Vermutung nicht stimmte und das Verschwinden des Idols nichts mit der Spiegelwelt zu tun hatte. Ihr Gefühl sagte ihr etwas anderes, immerhin war am vergangenen Tag Vollmond gewesen. Doch sie hatte noch Hoffnungen. Ein Glas fiel zu Boden und ließ alle Anwesenden auf Kyo schauen, welcher wie angewurzelt immer noch auf den Fernseher starrte, wo bereits Werbung lief. Seufzend ging Mirâ auf den jungen Mann zu und wollte sich um das heruntergefallene und zersplitterte Glas und die verursachte Sauerei kümmern, als sie bemerkte wie blass Kyo eigentlich war. "Ya-Yashiru-San ist alles in Ordnung?", fragte sie vorsichtig, doch der Blauhaarige reagierte nicht, sondern starrte weiter mit weit aufgerissenen Augen auf das TV Gerät. "Was ist los?", vorsichtig tippte Shuichi seinen Kommilitonen vorsichtig an, "Hey Kyo! Alles in Ordnung? Kannst du mich hören, Süßer?" Sich verwirrt am Hinterkopf kratzend, sah der Ältere fragend zu Mirâ, welche auch nur mit den Schultern zuckte. Dass der Blauhaarige nicht auf das "Süßer" reagierte war schon merkwürdig und irgendwie machte es die junge Frau nervös. Leichte Sorge machte sich nun in ihr breit, obwohl sie dachte, dass sie so etwas für den jungen Mann niemals empfinden könnte. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit schien der Student seine Bewegungen wiedergefunden zu haben, denn er zuckte kurz, ehe er sich umdrehte und mit einem Schlag die Bar verließ. Völlig irritiert sah Shuichi ihm kurz nach, ehe er ihm ein Stück folgte und hinterherrief, dass er nicht einfach verschwinden solle ohne seine Zeche zu zahlen. Auch Kyos Begleiterinnen schienen über sein plötzliches Verschwinden verwirrt und sprangen erschrocken auf, als der Blauhaarige davonrannte. Meckernd, wie er sich einbildete sie hier einfach sitzen zu lassen, obwohl er sie einladen wollte, zahlten sie ihre eigene Zeche und verschwanden ebenfalls. Mirâ währenddessen stand immer noch an der Stelle, wo bis vor einigen Minuten auch noch Kyo gestanden hatte und sah besorgt zur Eingangstür hinüber. Die junge Frau war sich sicher gehört zu haben, wie Kyo ganz leise "Akki" gesagt hatte, bevor er die Bar fluchtartig verlassen hatte. Es klang wie ein Spitzname für das verschwundene Idol, welchen sie jedoch noch nie gehört hatte. Wieder machte sich das ungute Gefühl in ihr breit und erneut hoffte sie, dass sie sich täuschte. Kapitel 45: XLV - Vor verschlossenen Türen ------------------------------------------ Sonntag, 02.August 2015 - Später Abend Unruhig schaute Mirâ erneut zum Vorplatz des Einkaufszentrums. Nachdem sie am Abend zuvor erfahren hatte, dass Akisu verschwunden war, hatte sie bei ihrer Heimkehr sofort Mika kontaktiert. Zu ihrem Glück war diese dieses Mal anwesend, doch hatte sie schlechte Nachrichten für die Violetthaarige. Noch ehe Mirâ auch nur die Frage stellen konnte, ob die Kleine jemanden gesehen hatte, war diese bereits damit herausgeplatzt, dass wieder jemand Unbekanntes die Spiegelwelt betreten hatte. Jedoch konnte das blauhaarige Mädchen keine Auskunft dazu geben wer es war oder wie er aussah. Sie hatte nur gespürt, wie jemand die Welt betreten hatte und war diesem Gefühl gefolgt, nur um festzustellen, dass sich die Shadows wieder unruhig benahmen und sich zusammenrauften. Dadurch hatte die Kleine allerdings auch schnell den Aufenthaltsort der Person ausfindig machen können. Mehr konnte Mika dann jedoch nicht sagen, denn obwohl die Shadows sie eigentlich ignorierten, so hatte sie sich nicht getraut durch die Massen der Shadows hindurch zu gehen. Auch Mirâ war es zu riskant, weshalb sie die Kleine gebeten hatte alles bis zum nächsten Abend aus der Ferne zu beobachten. Und nun war es so weit. Die Gruppe war kurz davor die Shadowwelt zu betreten und doch konnten sie noch nicht los, denn zwei Personen fehlten: Akane und Yasuo. Dass sich der Ältere verspäten würde, damit hatte die Gruppe eigentlich schon gerechnet, doch niemand hätte gedacht, dass auch die Braunhaarige sich einmal verspäten würde. Sie war immerhin ziemlich zuverlässig. Auch auf Mirâs Anrufe hatte sie bisher nicht reagiert. Wieder schweifte Mirâs Blick zum Vorplatz. Langsam machte sie sich Sorgen und sie hoffte inständig, dass Akane nichts passiert war. "Oh man. Wo bleiben die Beiden denn?", murmelte Kuraiko genervt, während sie auf ihre Armbanduhr schaute, welche bereits nach 22 Uhr anzeigte. Verabredet war die Gruppe bereits vor einer halben Stunde. Hiroshi schnalzte mit der Zunge, während er sein Handy wieder vom Ohr nahm und es in die Hosentasche steckte: "Akane geht einfach nicht an ihr Handy." "Hoffentlich ist ihr unterwegs nichts passiert.", meinte Masaru und sah besorgt zu Mirâ, welche immer noch unruhig Richtung Vorplatz blickte. Schritte ließen die Gruppe nun aufhorchen und auch die Anderen zum Platz schauen. Aus der Ferne erkannten sie zwei Personen, welche auf sie zugelaufen kamen. Erst als sie unter einer der unzähligen Laternen hindurch liefen, erkannte man Akane und Yasuo. Erleichtert atmete Mirâ auf, als sie ihre beste Freundin und den älteren Schüler sah. Schnaufend kamen beide vor der Gruppe zum Stehen. "Entschuldigt bitte.", kam es keuchend von der Braunhaarigen, die sich mit den Händen an ihren Beinen abstützte und so versuchte wieder zu Atem zu kommen. "Wir haben uns Sorgen gemacht.", meckerte Hiroshi sofort und hätte seiner Sandkastenfreundin am liebsten eine Standpauke gehalten, als ihm etwas Interessanteres einfiel, "Sagt mal. Warum kommt ihr überhaupt zusammen? Wart ihr auf einem Date?" Sofort schrak Akane mit feuerrotem Kopf auf: "W-Was? Wie kommst du darauf?" Kuraiko stöhnte: "Ehrlich jetzt? Sag bitte nicht, Hiroshi hat Recht! Ihr wart nicht wirklich auf einem Date, während wir hier auf euch gewartet haben. Oder?" "N-NEIN verdammt!", rief die Braunhaarige hastig aus und drehte sich zu Yasuo, "Sag du doch auch mal was, Senpai!" Der Angesprochene schien teilnahmslos: "Sie hat zu später Stunde bei mir geklingelt und mich aus dem Bett geholt." Sofort trat Stille ein und alle Blicke, ausgenommen Yasuos, waren auf die Braunhaarige gerichtet, welche sich am liebsten das nächste Mäuseloch zum Verkriechen gesucht hätte. Peinlich berührt senkte sie den Kopf, ehe sie mit brennendem Gesicht zum Gegenschlag ausholte: "Erzähl nicht so zweideutige Sachen! Ich hab bei dir geklingelt, weil ich geahnt habe, dass du dich vor der Mission drücken willst! Also habe ich dich abgeholt!". Der Blauhaarige kratzte sich am Hinterkopf und gähnte demonstrativ: "Es war ja auch schon so spät. Hätten wir nicht früher gehen können?" "Das geht nicht!", schimpfte Akane weiter, "Du hast versprochen uns zu helfen!" "Ja schon gut. Trotzdem war es ne doofe Idee. Meine Großmutter hat das vollkommen falsch verstanden.", murmelte der Ältere, "Wird schwer ihr das klar zu machen. Echt umständlich." "Dann sei nicht so unzuverlässig!", entgegnete die Braunhaarige, deren Gesicht mittlerweile einer überreifen Tomate glich. Der Gedanke daran, dass Yasuos Großmutter die Beiden mit einem Lächeln und den Worten "die Jugend von heute" in den Abend entlassen hatte, war ihr extrem unangenehm und peinlich. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, während sie froh war, dass ihre Freunde diese Aktion nicht live miterlebt hatten. Wiederrum verfluchte sie sich dafür, diese Entscheidung getroffen zu haben. Peinlicher ging es nicht mehr. "Hört mal. Ihr solltet dieses Thema ein anderes Mal besprechen.", unterbrach Masaru die Diskussion und zeigte auf die verspiegelte Wand, "Wir sollten aufhören Zeit zu verschwenden und uns lieber auf den Weg machen. Gerade haben wir wirklich wichtigere Probleme, als euer Liebesleben." Wäre die Gruppe in einem Comic gewesen, man hätte gesehen wie über Akanes Kopf eine Dampfwolke explodiert wäre. "Wir sind kein...!", begann sie den Satz, doch stoppte als sie eine Hand auf ihrer Schulter merkte und Hiroshi sah, welcher sie eindringlich ansah. "Lass jetzt gut sein. Masaru-Senpai hat Recht, für so was haben wir keine Zeit.", meinte er ernst. "Aber...", weiter kam sie nicht. Stattdessen ließ sie kurz den Kopf hängen und seufzte. Ihr würde in dem Moment sowieso keiner zuhören und Yasuo hielt sich gekonnt aus der Situation heraus, obwohl es ihn ebenfalls betraf. Das konnten sie später immer noch klären. Mit leichtem Schwung klatschte sie sich kurz auf die Wangen, ehe sie ihre beste Freundin ansah und ihr somit klarmachte, dass sie bereit war die Spiegelwelt zu betreten. Die Violetthaarige nickte und berührte die verspiegelte Wand des Gebäudes, woraufhin ihre Hand in dieser verschwand. Noch einmal sah sie zu ihren Freunden zurück und betrat dann mit Schwung die mysteriöse Welt hinter dem Spiegel. Auf der anderen Seite wartete bereits Mika, welche allen ihre Waffen reichte und ihnen die aktuelle Lage erklärte. So befand sich der Ort der Mission dieses Mal am Kagaminepark, um welchen sich allerdings extrem viele Shadows scharrten. Jedoch fand sie das Verhalten der Wesen merkwürdig, welches sie an den Tag legten. "Da war auch noch etwas anderes merkwürdig.", sagte die Kleine abschließend, doch meinte auf die fragenden Blicke hin nur, dass sie erst einmal hingehen und sich selbst ein Bild davon machen sollten. Also machten sich die Sieben auf den Weg zum Kagaminepark. Auf dem Weg sah sich Yasuo genau um und schien diese merkwürdige Welt regelrecht in sich aufzusaugen. Er fand es trotz aller Umstände erstaunlich, wie exakt diese Spiegelung der Stadt doch war. Es war eine genaue Kopie, auch wenn die verspiegelten Gebäude und die aus Glas bestehenden Blätter der Bäume eindeutig dafürsprachen, dass es nicht die reale Welt war. Erstaunlich fand er auch, wie diese Stadt überhaupt als so exakte Kopie entstehen konnte. Offen sprach er darüber, dass es eigentlich nicht sein konnte, dass sogar der Fluss oder gar versteckte Gassen exakt gespiegelt wurden. Auf die fragenden Blicke seiner neuen Freunde erklärte er es mit einem Seufzen ganz einfach: Es gab gar nicht so viele Spiegel oder Fensterscheiben, als dass man jedes kleinste Detail der Stadt wiederspiegeln könnte. Deshalb entzog es sich seinem Geist, wie diese Kopie so genau sein konnte. Akane fand es erstaunlich, wie viel der Blauhaarige reden konnte, wenn er nur ein Thema gefunden hatte, was ihn brennend interessierte. Diese Welt war anscheinend eines dieser Themen, denn die braunen Augen des Älteren wirkten wacher denn je. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, während sie den Blauhaarigen bei seinen Erläuterungen beobachtete und sie war froh, diese Seite von Yasuo kennenzulernen. Ein Ellenbogen eckte sie kurz in die Seite, woraufhin sie neben sich sah und eine breit grinsende Mirâ erkannte, die kurz darauf an ihr vorbei nach vorne lief, wo Hiroshi und Mika nebeneinander herliefen und sich über irgendwas zu unterhalten schienen. Sofort kehrte die Röte in das Gesicht der Braunhaarigen zurück und sie senkte den Blick, als sie an das Gespräch zurückdenken musste. Warum war es ihr nur so peinlich? Und warum freute sie sich über jede Kleinigkeit bei Yasuo? Hastig schüttelte sie den Kopf, als sie merkte, wie Yasuo neben ihr plötzlich stehen blieb. Auch sie blick dadurch ruckartig stehen und folgte dem Blick des Älteren, welcher in die Ferne schweifte. "Was ist das denn?", fragte er frei heraus. Nun blieb auch der Rest der Gruppe stehen und folgte ebenfalls dem Blick des Älteren. In der Ferne erkannten sie schwammig einen unförmigen schwarzen Schatten, der sich langsam aufrichtete. Dem einen Schatten folgten weitere, bis es so aussah als würde sich eine Welle auf die Gruppe zu bewegen. Es war zu dunkel, um genaueres erkennen zu können, doch sie wussten genau, dass es sich dabei um Shadows handeln musste. Je näher die schleimige Welle kam, desto mehr war erkennbar. Langsam zeichneten sich einzelne Umrisse und tiefrote Augen ab, doch das blieb nicht lange so. Noch bevor die Gegner ihr Ziel erreicht hatten deformierten sich die Wesen und verwandelten sich langsam in riesige Bälle mit heraushängender Zunge. Sofort gingen die fünf erfahrenen Persona-User in Stellung, nur Yasuo blieb so wie er war und beobachtete erst einmal die Situation. Er hatte noch nie mit seiner neuen Kraft gekämpft und wollte erst einmal schauen, wie es die Anderen machten. Außerdem wollte er nicht blind drauflos angreifen, immerhin kannte er die Eigenschaften dieser Viecher nicht. Mika gesellte sich zu ihm, während sich ihre Freunde ins Getümmel stürzten. Es dauerte auch keinen Augenblick, da waren die Gegner bereits besiegt. Mika hatte dem Blauhaarigen derweil ein wenig erklärt, dass es schwache Shadows, wie diese Slepping Hablerie, gab, die sich vor allem außerhalb der Dungeons herumtrieben und ihnen deshalb noch öfters über den Weg laufen werden. "Dann gibt es aber noch die starken Shadows, die sich in den Dungeons befinden und natürlich die Shadows anderer Personen, aus denen auch Personas erwachen können.", erklärte die Kleine abschließend. "Ich verstehe.", murmelte Yasuo und schien wieder in Gedanken zu versinken, aus welchen er allerdings aufschrak, als die Anderen wieder vor sie traten. "Kleine Fische.", meinte Hiroshi mit einem triumphalen Grinsen. "Mal schauen, wie lange du das noch sagst.", meinte Kuraiko nur trocken und spielte damit auf die anfangs schwachen und später ziemlich starken Shadows in Yasuos Dungeon an, woraufhin sich der Blonde nur verlegen am Hinterkopf kratzte. "Lasst uns weiter.", sagte Mirâ und setzte sich wieder in Bewegung. Mika gesellte sich zu ihrer Freundin, während die Anderen den Beiden folgten. Auf ihrem Weg begegneten ihnen wie erwartet noch weitere kleine Shadows, welche sie allerdings alle im Handumdrehen erledigt hatten. Auch Yasuo hatte sich an den Kämpfen beteiligt, allerdings noch ohne seine Persona. Stattdessen hatte er als Waffe einen Frisbee dabei, welchen er mit gekonnten Moves auf seine Gegner schmiss, bevor seine Waffe wieder zu ihm zurückkehrte. Es war wie Hiroshis Ball keine konventionelle Waffe, allerdings wurde sie mit durchschneidendem Erfolg gekrönt. Vor dem Kagaminepark jedoch wurden sie gestoppt, als sie sich einem Meer von schwarzen schleimigen Schadows gegenübersahen. Diese schienen die Gruppe noch nicht bemerkt zu haben, weshalb diese sich erst einmal einen Überblick über die Situation verschafften. Die Shadows versammelten sich genau vor dem Eingang des Kagamineparks, welcher mit einem schwarzen Eisentor verschlossen war. Doch schnell fiel ihnen auch auf, was Mika gemeint hatte, als sie sagte die Shadows würden sich merkwürdig verhalten. Sie saßen einfach nur still da und starrten auf das Tor vor sich. Das war wirklich merkwürdigt, denn eigentlich bemerkten diese schwarzen Wesen immer sofort, wenn sich die Gruppe in dieser Welt aufhielt und griffen sofort an. "Was ist das denn?", fragte Akane erschrocken. "Irgendwie wirkt es, als würden sie auf etwas warten.", murmelte Kuraiko. Auf die Frage Akanes hin, worauf diese Wesen warten sollten schüttelte Kuraiko aber auch nur den Kopf, als Zeichen, dass sie es selber nicht wusste. Sie erklärte nur, dass ihr Bauchgefühl so etwas sagte. Mirâ jedoch kam dieses Bild bekannt vor, während sie so über die Massen blickte: "Irgendwie erinnert mich das an den Abend des Tsukinoyos. Es sieht so aus, als wollten sie auf ein Konzert." "Jetzt wo du es sagst.", murmelte nun auch Masaru. Mirâs Vermutung schien sich immer mehr zu erhärten, dass es sich bei diesem Opfer um Akisu handelte. Allerdings fragte sie sich dann auch, nach welchem Prinzip diese Welt die Personen aussuchte, die in diese Welt gerieten. Bisher hatte die Violetthaarige immer gedacht, dass nur Personen aus ihrer Schule, die in irgendeiner Weise schon einmal mehr oder weniger mit ihr zu tun hatten, hier her gelangten. Akisu jedoch war weder an ihrer Schule, noch hatte sie jemals mit dem Idol zu tun gehabt. Oder hatte sie etwas übersehen? Mirâ überlegte angestrengt, als ihr ein rosafarbenes Handy in den Sinn kam und sie sich an den Abend erinnerte, als sie das junge Mädchen vor sich sah, welches ihr Handy in der Karaokebar verloren hatte. Das war Akisu gewesen, da war sich Mirâ ganz sicher, aber reichte dieser kurze Moment, damit das Idol von dieser Welt ausgewählt wurde? Ganz davon abgesehen, dass Mirâ nicht verstand, weshalb die Welt bisher Menschen auswählte, mit denen sie bereits Kontakt hatte. Zumal es ja nicht nur die paar Persona-User waren, die sie kannte. Irgendwie bereitete ihr diese Welt immer mehr Kopfschmerzen und sie entschloss, erst einmal nicht weiter darüber nachzudenken. "Diese Ansammlung ist schon eine ganze Weile hier. Sie reagieren auch nicht, selbst wenn man sich ihnen nährt. Auch wenn Mirâ meinte, ich solle es aus der Ferne beobachten, so habe ich mich trotzdem mal näher herangetraut.", erklärte Mika und setzte sich in Bewegung, um vorsichtig durch die Massen der Shadows zu laufen. Sie reagierten wirklich nicht, wobei es bei der Blauhaarigen kein Wunder war, immerhin wurde sie sowieso von den Shadows ignoriert. Es war also nicht sicher, ob sie die Gruppe nicht doch angreifen würden, doch trotzdem setzte Mirâ sich ebenfalls in Bewegung. Entgegen aller Erwartungen blieben die Shadows jedoch weiterhin still und bewegten sich nicht, selbst als Mirâ eines der Wesen ausversehen berührte. Nun folgten auch die Anderen den beiden Mädchen vorsichtig, immer darauf bedacht jeder Zeit angegriffen zu werden, doch selbst als sie das Tor erreicht hatten blieben ihre Gegner still. "Du erwähntest vorhin, dass noch etwas anderes merkwürdig wäre. Was meintest du damit?", fragte nun Hiroshi frei heraus. Mika sah zum Tor: "Das Tor. Es lässt sich nicht öffnen. Egal wie stark man daran rüttelt. Ich habe auch mal die anderen Eingänge untersucht, aber dort sieht es genauso aus. Es ist wirklich merkwürdig. Die letzten Male waren die Dungeons frei zugänglich." "Vielleicht lässt es sich nur schwer öffnen.", sagte Masaru ernst, doch Mika schüttelte darauf nur den Kopf. Sie habe alles versucht, aber nichts hatte etwas genützt und sie glaube einen Schlüssel zu brauchen, um das Tor zu öffnen. Auch Mirâs Blick ging zu dem schwarzen reich verzierten Eisentor. Vorsichtig streckte sie die Hand danach aus und wollte die silberne Klinke berühren, um selber noch einmal zu versuchen es zu öffnen. Doch sie hatte noch nicht einmal die Klinke erreicht, als sie eine Art leichter Stromschlag traf und sie zurückwich. Erschrocken sahen ihre Freunde zu der Violetthaarigen, die sich die schmerzende Hand rieb. Missmutig sah die Violetthaarige noch einmal zu dem Tor. Es schien als wolle jemand mit aller Macht versuchen sie vom Eintritt abzuhalten. Das Idol selbst vielleicht? Ein Brüllen ließ die junge Frau aufschrecken und sich umdrehen, woraufhin sie sofort die Ursache des Schreis entdeckte. Die Shadows, welche bis vor wenigen Minuten noch still dasaßen, hatten sich nun in Bewegung gesetzt. Einer nach dem Anderen verwandelte sich in seine wahre Form. Allerdings bestand diese Armee nun aus verschiedenen kleineren Gegnern. Neben den Slepping Hablerie, fanden sich auch die Shadows wieder, welche aussahen wie schwarze Vögel mit den Laternen in den Krallen oder wie die Tische mit dem fliegenden Besteck. Auch einige der Handschuh-förmigen Shadows waren dabei. Es schien, als wäre der Stromschlag auf Mirâ wie ein Zeichen für sie gewesen anzugreifen. Sofort ging die ganze Gruppe in Kampfstellung, um sich gegen den Angriff zu wehren. Mirâ spannte ihren Bogen und ließ kurz darauf einen ihrer Pfeile auf die Gegner vor sich sausen, welche sich in schwarzem Nebel auflösten. Ihre Freundin Akane nahm Anlauf und stürmte in die Massen hinein, wo sie ihre Gegner mit ihren Judokünsten fertigmachte, während knapp an ihr einige Male Hiroshis Ball vorbei flog und weitere Gegner besiegte. Ein Shadow stürmte auf Masaru zu, welcher ohne nachzudenken sein Katana zog und das Wesen in Zwei teilte. Eine Sense sauste an Yasuo vorbei, woraufhin er sich ruckartig umdrehte und sah, wie Kuraiko mit ihrer Waffe einen Shadow am Boden festnagelte, welcher ihn wohl von hinten angreifen wollte. "Steh nicht so dumm in der Gegend rum. Hilf uns lieber.", schimpfte die Schwarzhaarige, bevor sie ihre Sense hob und nach vorn stürmte. Ein blaues Licht ließ Yasuos Aufmerksamkeit wieder dem Kampfgeschehen folgen, wo er sah, wie sich um Mirâ die blaue Sphäre bildete und hinter ihr kurz darauf ihre Persona Hemsut erschien, welche mehrere kleine Eisbrocken auf ihre Gegner feuerte. Auch Hiroshi rief seine Persona Aton, worauf um die Gegner um ihn herum ein helles Licht mit Bannzetteln erschien und einige von ihnen mit in den Tod riss. Ein starker Windstoß ließ den Blauhaarigen in die Luft schauen, wo Harachte, Masarus Persona, seine Flügel ausbreitete und einige Gegner auf dem Boden mit seiner Fähigkeit Garu davon riss. Das war also die Macht der Personas? Er schluckte und griff nach seinem Smartphone in der Tasche, wo bereits die Persona-App geöffnet war. Er hatte diese Kraft noch nie eingesetzt, doch er hatte von seinen Freunden erfahren, dass sie ihre physische Kraft nutzte, um zu erscheinen und zu kämpfen. War er bereit dazu? Kurz zögerte er noch, doch dann schaute er gefasst auf, ehe er die "Summoning Persona" Funktion seiner App aktivierte und sich auch um ihn die blaue Sphäre bildete. Kurz darauf erschien seine Persona Geb, welche ihren Stab hob. Kurz darauf zuckten mehrere Blitze durch die Luft, welche allerdings wesentlich stärken waren, als die von Hiroshis Persona, und rissen mehrere Gegner mit sich. Leicht erschrocken sah Yasuo auf die pulverisierten Gegner vor sich und schien nicht ganz begreifen zu können, welche Macht er da eigentlich hatte. Doch einen Augenblick später glühte in seinen Augen ein Feuer. Noch einmal beschwor er seine Persona mit der Option Mazionga, woraufhin nun auch die restlichen Gegner vor ihm verschwanden. Nach Beendigung des Kampfes atmete die Gruppe erst einmal etwas durch und schaute ratlos auf das Tor. Der Besitzer des Dungeons wollte sie anscheinend nicht hineinlassen, also mussten sie einen anderen Weg hinein suchen. Allerdings stellte sich dies als schwieriger heraus, als erhofft, denn auch schmerzhafte Versuche der Jungs, über die Mauer zu klettern, blieben erfolglos. Nachdenklich betrachtete Mirâ das Eisentor, während sie überlegte, was der Schlüssel sein könnte, um es zu öffnen. Im Hintergrund hörte sie ihre Freunde darüber debattieren, wie absurder diese Welt mit jedem Mal wurde. Auch das es anscheinend immer schwerer wurde die Opfer zu retten. Immerhin hatten sie auch bereits bei Yasuo solche Probleme und kamen erst voran, nachdem sie mit seiner Großmutter gesprochen hatten. "Heißt das wir müssen uns auch mit einem Familienmitglied dieses Idols unterhalten?", fragte Kuraiko in die Runde und sah dabei in ratlose Gesichter. "Das könnte schwierig werden. An solche Menschen kommt man schwer ran.", meinte Hiroshi ernst. Akane senkte den Blick: "Eine andere Wahl werden wir nicht haben, aber wie wir das anstellen sollen ist mir auch ein Rätsel." Waren sie an einer Sackgasse angelangt? Mirâ lauschte ihren Freunden, doch ihre Gedanken kreisten umher. Um diese zu ordnen schloss sie kurz die Augen. Sie hatte das Gefühl der Antwort sehr nah zu sein, doch kam sie nicht drauf, was es sein könnte. Das Bild einer Mappe kam ihr in den Sinn. Es war eine Ledermappe. Sie öffnete die Augen, als ihr wieder einfiel woher sie diese Mappe kannte: Kyos Skizzenmappe. In dieser hatte sie vor einiger Zeit die Skizze einer jungen Frau gesehen und nun fiel ihr auch wieder ein, woher ihr das Gesicht so bekannt vorkam. Es handelte sich dabei um Akisu. Zwar sah sie auf der Skizze etwas jünger aus, aber die junge Frau war sich sicher, dass es sich dabei um Akisu handelte. Weshalb Kyo eine Skizze des Idols angefertigt hatte, wusste sie nicht, aber sie war sich sicher dies herausfinden zu können. Zudem fiel ihr sein merkwürdiges Verhalten am vergangenen Abend ein, als er die Bar überstürzt verlassen hatte. Und das nachdem er den Bericht über Akisus Verschwinden gesehen hatte. Auch hier würde sie der Sache auf den Grund gehen. Leider gefiel ihr dabei der Gedanke nicht, mit Kyo deshalb interagieren zu müssen, immerhin ging sie dem Blauhaarigen lieber aus dem Weg. Sie würde jedoch in den sauren Apfel beißen, wenn er ihr einen guten Tipp geben konnte und sie damit der Rettung Akisus einen Schritt näherkämen. "Ich habe da eine Idee.", murmelte sie anschließend, worauf ihr die Aufmerksamkeit ihrer Freunde sicher war. Entschlossen blickte sie auf und teilte der Gruppe ihre Gedanken mit, ehe sich alle unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg begaben. Kapitel 46: XLVI – Akisu & Kyo ------------------------------ Mittwoch, 05.August 2015 Seufzend ließ sich Mirâ auf die Sitzecke im Foyer der Karaokebar nieder und schaute auf die Uhr ihr gegenüber, welche bereits 22:56 Uhr anzeigte. In wenigen Minuten hatte sie Feierabend und eigentlich sollte sie sich darüber freuen, doch so richtige Feierabendstimmung wollte sich nicht bei ihr einstellen. Sie war bereits den dritten Abend in Folge in der Bar arbeiten und hatte es nicht geschafft mit Kyo zu sprechen, denn dieser war bisher einfach nicht noch einmal aufgetaucht. Sie wusste nicht, ob er die Bar bewusst mied oder einfach nur keine Zeit hatte herzukommen, doch es enttäuschte sie. Ihre Sommerferien hatte sie sich wesentlich anders vorgestellt. Sicher kamen ihr auch die Einnahmen zu Gute, trotzdem hätte sie ihre Abende lieber Zuhause oder mit ihren Freunden verbracht, anstatt zu arbeiten. Doch eine andere Möglichkeit mit Kyo zu sprechen wusste sie nicht. Auch ihre Kollegen wunderten sich bereits, wieso sie jeden Abend in der Bar arbeiten war, obwohl sie doch Sommerferien hatte. Einige fragten sie, ob sie nicht vielleicht Liebeskummer hätte und sich mit der Arbeit ablenken wollte, doch das hatte die junge Frau schnell dementiert. Andere waren der Meinung sie bräuchte dringend Geld, doch auch das hatte Mirâ bereits wiederlegt. Eine ihrer Kolleginnen war sogar kurz davor Shuichi die Leviten zu lesen, weil sie dachte, dieser würde sie einfach für die späten Schichten einteilen, doch die Violetthaarige konnte sie noch davon abbringen, als sie ihr erzählte, dass sie sich die Schichten hat geben lassen. Besser machte es die Gerüchteküche dadurch nicht, aber dagegen konnte die Schülerin aktuell eh nichts unternehmen. Sie wollte ihren Kollegen nicht sagen, dass sie eigentlich mit Kyo sprechen wollte, immerhin wussten sie alle, dass sie mit dem Studenten nicht klarkam. Es würde sie nur noch mehr verwirren. Seufzend erhob sich die junge Frau von ihrem Platz, als der große Zeiger auf die Zwölf sprang und somit ihren Feierabend einläutete. Auch heute hatte sie wieder kein Glück gehabt, also musste sie wohl Shuichi eine Nachricht schreiben, dass sie morgen gern noch einmal arbeiten kommen wollte. Sie war sich sicher, dass er fragend wird, wieso sie so viele Schichten braucht und ihr danach rät, etwas langsamer zu treten, aber das würde sie nicht davon abhalten. Immerhin brauchte sie wichtige Informationen, die ihr nur Kyo geben konnte. Genüsslich streckte sich die Oberschülerin und wollte sich auf den Weg zur Umkleide machen, als hinter ihr plötzlich die Eingangstür der Bar aufging und Kyo vor ihr stand. Wenige Minuten später befanden sich beide im Aufenthaltsraum der Angestellten. Ohne zu überlegen hatte Mirâ den Blauhaarigen angesprochen und gemeint, sie müsse mit ihm sprechen. Daraufhin hatte sie ihn am Handgelenk gepackt und mit sich gezogen. Sie hatte dabei nicht einmal überlegt, sondern nur reagiert, doch nun bereute sie ihre Entscheidung. Zum Einen, weil sie nicht wusste wo sie anfangen sollte und zum Anderen, weil Kyo sie mit einem Blick bedachte, der ihr Angst machte. Genau das machte die Situation nicht gerade einfacher. Sie hatte keine Ahnung wie sie Kyo alles erklären sollte. "Also? Ich warte. Was war so wichtig?", fragte der Student genervt. "Ähm... naja... also...", stotterte die Violetthaarige vor sich hin. Warum fiel es ihr so schwer? Sie musste ihn doch nur wegen Akisu fragen. Eine einfache Frage, doch sie wollte ihren Mund nicht verlassen. Jedes Wort blieb ihr im Hals stecken und sie war sich sicher, dass Kyo dies nicht mehr lange mitmachen würde, bevor er wieder ging. Plötzlich fiel ihr die Skizzenmappe ein, welche sie immer noch hatte und bat den jungen Mann noch einmal kurz zu warten, während sie im Nachbarraum verschwand. Wenige Minuten kam sie mit besagter Mappe zurück. Plötzlich sprang er auf und griff die junge Frau am Handgelenk: "Wo hast du die her?" Mit seinen goldgelben Augen sah er die Violetthaarige wütend an. Panisch versuchte sie zurückzuweichen, doch Kyo hielt sie so doll fest, dass sie nicht wegkonnte. Auch eine Erklärung konnte sie ihm in diesem Moment nicht geben, da ihr aus Panik jedes Wort im Hals stecken blieb. Sie hätte nicht erwartet, dass der Student so sauer sein würde, weil sie seine Mappe hatte. Was war nur mit ihm los? Kyo schien ungeduldig zu werden, denn als ihm die Oberschülerin keine Antwort gab, griff er nach seiner Mappe und riss ihr diese regelrecht aus der Hand. Dann endlich ließ er das Handgelenkt der jungen Frau los, drehte sich um und wollte gehen. Die Kräfte in Mirâs Beinen ließen nach und sie sank zu Boden. Den Blick hatte sie ebenfalls gen Boden gesenkt und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. "Ich... ich hab sie gefunden...", säuselte sie anschießend leise, was den jungen Mann an der Tür stoppen und nachfragen ließ, was sie gesagt hatte. "Ich habe sie gefunden, verdammt.", nun wurde Mirâ laut und konnte sich auch nicht mehr zurückhalten, während sie dem Studenten die Meinung sagte, "Keine Ahnung, was dich geritten hat, aber etwas Dankbarkeit könntest du schon an den Tag legen. Und wenn nicht, geh gefälligst sorgsamer mit deinen Sachen um, du verdammter Idiot! Ich hätte die Mappe auch dort liegen lassen können, wer weiß wer sie mitgenommen hätte!" "So was muss ich mir von dir nicht sagen lassen.", nun wurde auch Kyo laut. "Ach nein? Dann solltest du dir mal überlegen, deinen Ton zu ändern!", schimpfte die Schülerin. "Kche... du bist ganz schön unverschämt, weißt du das? So was muss ich mir nicht geben.", damit hatte der Blauhaarige den Raum verlassen und ließ eine total perplexe Mirâ zurück. Plötzlich wurde ihr schmerzlich bewusst, was sie gerade angerichtet hatte. In diesem Moment hatte sie die einzige Chance vergeben Kyo über Akisu auszufragen und das nur, weil sie sich hat provozieren lassen. Sie wusste selber nicht, wieso sie sich hat so provozieren lassen. Vielleicht hatte sie gehofft der Student würde sich bei ihr bedanken und etwas umgänglicher werden und deshalb war die Enttäuschung umso größer, als er sie wütend ansah, nur weil sie seine Mappe hatte. Es war für sie auch unverständlich, weshalb der Blauhaarige so drastisch reagiert hatte, immerhin war es nicht so, als hätte sie ihm die Mappe gestohlen oder so. Langsam kamen ihr Zweifel, ob ihr Plan wirklich so gut durchdacht war. Geschweige denn, ob es eine so gute Idee war. Doch eine andere Person, die sie hätten fragen können, wusste die junge Frau nicht. Und nun konnte sie auch mit dieser Person nicht mehr reden. Frustriert über ihre eigene Dummheit stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie hatte ihre Freunde damit auch enttäuscht und nun gab es ihrer Meinung nach keine Möglichkeit mehr an Akisu heranzukommen, geschweige denn in ihren Dungeon. Was sollte sie nun machen? Ein Schluchzen entkam ihr: "Ich bin so ein Dummkopf. Verdammt." Donnerstag, 06.August 2015 Schweigend saß die Gruppe um Mirâ bei Junes auf dem Food Court. Gerade eben hatte sie ihren Freunden von ihrem Versagen berichtet und darüber, dass sie nun nicht weiß, wie sie weiter vorgehen sollte. Sie hatte keine Informationen ergattert und in gut einer Woche war bereits Neumond. Ihr schlechtes Gewissen plagte sie, weshalb sie die Nacht nicht wirklich gut geschlafen und deshalb nun tierische Kopfschmerzen hatte. Am liebsten hätte sie sich den ganzen Tag in ihrem Bett verkrochen, auch um ihren Freunden nicht die Hoffnung nehmen zu müssen. Doch nun war es raus und es ließ sich nicht mehr ändern und das ärgerte die junge Frau am meisten. Prinzipiell hätte sie Shuichi um noch einige Schichten bitten könne, doch darauf hatte sie ehrlich gesagt gerade keine Lust und außerdem war nicht sicher, ob Kyo so schnell noch einmal aufkreuzen würde. Dazu kam, dass er wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht noch einmal mit ihr reden wollen würde. Wieder merkte sie, wie ihr Tränen in die Augen stiegen und sie senkte den Blick. Sie durfte jetzt weinen, sie musste stark bleiben. Jedoch traf sie Kuraikos spitzer Kommentar, was sie als nächstes also Machen sollten, wie ein Pfeil. Sie wusste, dass die Schwarzhaarige es nicht böse meinte, trotzdem tat ihr der Kommentar gerade mächtig weh. "Nun mach mal halblang, Kuraiko. Das hätte jedem von uns passieren können.", stellte sich Akane auf Mirâs Seite, "Außerdem weißt du nicht, was für ein Idiot dieser Kyo ist." "Akane hat Recht, trotzdem haben wir nun das Problem, dass wir irgendwie an Informationen herankommen müssen.", sagte Masaru ernst und ließ Mirâ damit erneut zusammenzucken, als sie einen Stich in ihrem Herz spürte. Gerade von ihm tat die versteckte Kiritk am meisten weh, doch das konnte sie nicht sagen und schwieg deshalb nur mit gesenktem Blick. Yasuo lehnte sich zurück: "Oh man ist das umständlich." "Du könntest ruhig etwas Konstruktives sagen.", sagte Kuraiko und seufzte dann, "Naja lässt sich nicht ändern. Dann müssen wir uns anderweitig den Kopf zerbrechen. Also irgendwelche Vorschläge?" Betroffene Stille breitete sich aus, während alle die Köpfe hängen ließen. Die Schwarzhaarige seufzte erneut. Auch sie hatte keine Idee, wie sie das Problem lösen sollten. Dieses Mal war es wirklich kompliziert. Akisu gehörte nicht zu ihrem Bekanntenkreis und sie ging auch nicht auf die gleiche Schule, weshalb es schwer wurde, an ihre Adresse heranzukommen. Die Agentur anzurufen, wenn man erst einmal herausgefunden hätte in welcher das Idol angestellt war, würde auch nichts bringen, da ihnen niemand etwas über die junge Frau sagen würde. Dieses Mal saßen sie wirklich in einer Sackgasse. "Es tut mir wirklich leid.", entschuldigte sich Mirâ erneut. "Hör auf dich zu entschuldigen.", mahnte sie Hiroshi ernst, "Wir kriegen das..." Ein Klingeln unterbrach den jungen Mann. Irritiert nahm Mirâ ihr rotes Smartphone zur Hand und schaute auf das Display, wo eine ihr unbekannte Nummer angezeigt wurde. Sie zögerte kurz, doch nahm dann das Gespräch entgegen. "Ha-Hallo?", fragte sie vorsichtig. Kurz war Stille am anderen Ende, doch dann erklang eine männliche Stimme: "Hey. Bist du das? Wo steckst du gerade?" Irritiert nahm die junge Frau das Smartphone von ihrem Ohr und sah irritiert auf das Display. Das war Kyo! Woher hatte er ihre Nummer? Und was wollte er? "Hallo? Jemand da?", hörte sie erneut, dieses Mal jedoch ziemlich genervt. "J-Ja, i-ich bin es. Ich bin im Junes.", sagte sie vorsichtig. Ihre Freunde tauschten irritierte Blicke aus, während sie sich fragten, wer ihre Freundin da gerade anrief. "Trifft sich gut. Komm zum Eingang. Wir müssen Reden! Sofort!", ein klicken war zu hören und schon hatte der junge Mann am anderen Ende aufgelegt. "EH?", entkam es der Violetthaarigen, während sie total ratlos auf ihr Handy schaute, "Er hat einfach aufgelegt." "Wer?", fragte Akane. Doch anstatt ihrer Freundin eine Antwort zu geben, erhob sich die Oberschülerin und ging zum Ausgang des Food Courts, während sie ihren Freunden zurief, dass sie kurz auf sie warten sollten. Erneut tauschte die Gruppe fragende Blicke und wusste nicht so recht, was sie davon halten sollten. Mirâ wiederum erreichte derweilen den Eingangsbereich von Junes und sah sich um, doch Kyo konnte sie nicht finden. War das vielleicht doch nur ein Telefonstreich? In diesem Moment hätte sie sich Ohrfeigen können. Sie war viel zu leichtgläubig, auch wenn ihr so etwas früher nie passiert wäre. Dass sie hier so schnell neue Freunde gefunden hatte, hat sie unvorsichtig gemacht. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Was wenn das hier eine Falle war? Hätte sie lieber Hiroshi oder Masaru mitnehmen sollen? Wieso war sie überhaupt einfach losgestürmt? Als ihr die Stimme, welche sie für Kyos gehalten hatte, sagte, dass sie dringend reden müssen, war sie einfach aufgesprungen ohne irgendetwas zu hinterfragen. Sie hatte in diesem Moment nur ihre zweite Chance gesehen und das war dumm gewesen. Inständig hoffte die Schülerin, dass sie keinen Fehler begangen hatte und wartete geduldig. Doch als von Kyo auch einige Minuten später kein Zeichen zu sehen war, kam ihr der Gedanke, dass es wohl doch nur ein Streich war. Geknickt ließ sie den Kopf hängen und wollte sich zum Gehen abwenden, als sie bedacht, aber doch sanft am Handgelenk gepackt wurde. Erschrocken drehte sie sich um und blickte dabei in zwei goldgelbe Augen, welche sie ernst musterten. "Was soll das? Ich hab doch gesagt wir müssen reden. Jetzt willst du abhauen oder was?", fragte er mit einem leicht bösen Unterton. Schnell zog die junge Schülerin ihren Arm zurück und befreite sich damit aus Kyos Griff: "Ich hab dich nicht gesehen und dachte es war ein Streich, deshalb wollte ich zurück zu meinen Freunden." Tief durchatmend hob der Student beschwichtigend die Hände: "Schon gut, sorry. Ich bin gerade erst gekommen." Mirâ verschränkte die Arme vor der Brust: "Also? Worüber wolltest du sprechen?" Ihr Ton klang unbeabsichtigt trotzig und sie hoffte Kyo würde dies nicht wieder als Angriff sehen. Doch dieser seufzte nur und kratzte sich am Nacken, während er den Blick abwandte und sich plötzlich bei der Schülerin für den vergangenen Abend entschuldigte. Er erklärte, dass er selber keine Ahnung hatte, warum er so ausgeflippt war, es aber wahrscheinlich am aktuell Stress lag. Außerdem bedankte er sich dafür, dass sie seine Mappe gefunden und so lange aufbewahrt hatte. Er habe aktuell einfach zu viel um die Ohren, sodass er sich wohl nicht mehr beherrschen konnte und sie die Leidtragende bei der ganzen Sache war. "Scho-Schon gut.", nuschelte Mirâ, "Ich hätte auch nicht böse werden sollen. Aber... woher hast du meine Nummer?" "Minami hat sie mir gegeben. Zusammen mit einer Standpauke und der Bitte mich bei dir zu entschuldigen.", knurrte Kyo leicht genervt, wenn auch nicht gegen Mirâ gerichtet. Man merkte ihm an, dass er wegen der Standpauke genervt war und nicht wegen der Schülerin. Der Blauhaarige sah sie nun wieder ernst an: "So. Kommen wir noch mal auf das Thema von gestern zurück. Was wolltest du mit mir besprechen?" "Ähm ja... es geht um folgendes... kann es sein, dass du Akisu persönlich kennst?", fragte die Schülerin vorsichtig. In dem Moment, als Akisus Name fiel, erkannte Mirâ, wie sich die Pupillen des Blauhaarigen kurz zusammenzogen und er sich versteifte: "Wie kommst du darauf?" Sie zögerte kurz und haderte mit sich, Kyo zu verraten, dass sie in seine Mappe geschaut und dabei die Skizze von Akisu gefunden hatte. Doch eine andere Wahl würde sie nicht haben. Deshalb seufzte sie und erklärte dem Studenten, genau dies. So richtig begeistert davon, dass sie einfach in seinen privaten Sachen gestöbert hatte, war der junge Mann dabei nicht, doch Mirâ merkte, wie er sich zusammen riss nicht laut zu werden. Er atmete einmal ruhig durch und hörte weiter zu. "Außerdem warst du verdammt blass, als du den Bericht über ihr Verschwinden gesehen hast.", beendete sie junge Frau ihre Erklärungen. "Ich verstehe...", murmelte der Blauhaarige und musterte die Jüngere kurz, so als wolle er abwiegen, ob er ihr vertrauen konnte oder nicht, "Lass und irgendwo hinsetzen." Damit hatte sich der junge Mann umgedreht und den Eingangsbereich verlassen. Einige Meter davon entfernt standen einige Bänke, wo er sich niederließ und neben sich zeigte. Noch zögerlich folgte die Schülerin dem Studenten und setzte sich zu ihm. Dann kehrte kurz Stille ein, bis Kyo gen Himmel schaute: "Also... Akki... ich meine Akisu... sie ist meine jüngere Schwester." "Eh? EH?", entkam es Mirâ erstaunt, woraufhin der Blauhaarige sie mit einem missmutigen Blick betrachtete, "Ihr... ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich. Die Haarfarbe und... und euer Charakter..." Genervt kratzte sich Kyo am Hinterkopf: "Ist dir vielleicht mal der Gedanken gekommen, das meine Haare gefärbt sind, du dumme Gans? Und außerdem, woher willst du Akkis Charakter kennen. Du kennst sie doch gar nicht persönlich, sonst würdest du mich nicht auf sie ansprechen." Auf den Ausdruck "dumme Gans" hin, blähte Mirâ beleidigt die Wangen auf, doch im Grunde hatte der junge Mann neben ihr recht. Sie konnte Akisus Charakter gar nicht einschätzen, immerhin kannte sie nur die Akisu der Öffentlichkeit. Wer wusste schon, wie sie privat drauf war? Das gleiche galt für Kyo, denn sie kannte nur seine zynische Seite, doch vielleicht war er privat gar nicht so schlimm. Sie seufzte und entschuldigte sich für ihre überstürzten Worte. Doch Kyo schüttelte nur den Kopf und beließ es dabei. Plötzlich wurde ihr dieser junge Mann doch etwas sympathisch. Er konnte also auch nett sein. Dieser Gedanke zauberte Mirâ ein Lächeln aufs Gesicht. Der Blauhaarige seufzte: "Ehrlich gesagt wollte ich nicht wahrhaben, dass es Akki ist. Ich wusste es, doch wollte es mir nicht eingestehen." Mirâ kam eine Idee: "Kann es sein... dass die versteckten Nachrichten in ihren Liedern für dich waren?" Kyo sah sie kurz an und schloss dann die Augen, ehe er den Blick mit einem leichten Lächeln senkte. Eine Antwort blieb er der jungen Frau aber schuldig, trotzdem wusste Mirâ, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Auf die Frage hin, wieso er nicht auf die Nachricht seiner Schwester reagiert hatte, wenn er es doch merkte, schwieg der Blauhaarige. Doch die junge Frau merkte die Veränderung in seinem Gesichtsausdruck, obwohl er den Blick weiter gesenkt hielt. "Ich wollte mich von ihr fernhalten. Besser ist das.", sagte der Student plötzlich, "Es ist einiges vorgefallen, weshalb unser Verhältnis nicht das Beste ist. Aber jetzt wo sie verschwunden ist... und die verdammte Polizei hat keinen blassen Schimmer. Verdammte Versager." Kyo presste seine Hände aneinander und Mirâ merkte sofort, dass das Verschwinden des Idols dem Älteren zu schaffen machte. Auch wenn er meinte, dass ihr Verhältnis ziemlich zerrütet war, so hatte die Violetthaarige das Gefühl, dass Akisu ihm sehr wichtig war. Jedoch bezweifelte sie, dass er etwas hatte, was ihr weiterhelfen konnte. Wenn er keinen Kontakt zu seiner kleinen Schwester hatte, wie sollte er dann an etwas kommen, mit dem sie das Tor öffnen konnte? Allein das Wissen, dass Kyo Akisus Bruder war, würde den Dungeon wohl nicht öffnen. Akane hatte wieder einen Vergleich zu einem RPG gezogen, weshalb sie sich sicher war, dass sie einen Gegenstand brauchten, der das Tor öffnete. Sicher konnten sie es zwar nicht wissen, aber Mirâ war sich sicher, dass es von Vorteil war, sowohl dieses Wissen, als auch einen Gegenstand dabei zu haben. Wenn eins der Beiden nicht wirkte, hätte sie immer noch das Andere. Noch einmal wollte sie sich nicht damit aufhalten einen Schlüssel zu suchen. Immerhin hatten sie schon fast eine Woche verschenkt. Doch nun schwand ihre Hoffnung, dass Kyo etwas haben könnte, was ihr half. Aber versuchen musste sie es trotzdem. Wie wollte sie jedoch Kyo auf das Thema ansprechen? Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie wusste wo Akisu ist. Andererseits würde er ihr aber auch mit Sicherheit nichts überlassen, selbst wenn er etwas hätte. Das war eine Zwickmühle. Mirâ senkte den Blick und seufzte. Was sollte sie tun? "Jetzt aber mal Hand aufs Herz. Du weißt doch etwas über Akkis Verschwinden. Oder?", kam es plötzlich von dem Studenten, woraufhin Mirâ ihn erschrocken ansah. "Wie kommst du darauf?" Kyo schnalzte mit der Zunge und legte seine Hand an den Nacken: "Du hattest bereits gestern vor mich wegen Akki zu fragen und das machst du sicher nicht, weil du so ein großer Fan bist. Also musst du etwas wissen. Warum du das aber nicht der Polizei sagst ist mir ein Rätsel, es sei denn sie ist an einem Ort wo die Polizei nicht hinkommt. Wiederum muss es um etwas gehen, was auch dich betrifft, denn einfach so wirst du Akki nicht retten wollen und wüsstest auch nicht wo sie ist. Also sprich! Wo ist Akki?" Mit großen Augen sah die Schülerin den Älteren an und schwieg, während sie ihre Hände in ihren Rock krallte. Wie sollte sie ihm das erklären? Sie konnte ihm nicht von der Spiegelwelt erzählen. Er würde die junge Frau für verrückt abstempeln. Und sollte er ihr doch glauben, wer wusste schon, was er machen würde? Wahrscheinlich würde er versuchen selbst in diese verspiegelte Stadt zu kommen. Es war bisher nicht klar, ob nur sie und ihre Freunde einfach so in diese Welt gelangen konnten oder auch normale Menschen. Die Opfer befanden sich immerhin auch dort, obwohl ihre Persona noch nicht erwacht war. Wiederum war auch noch nicht die Frage geklärt, warum einige in der Welt landen und einige nur durchdrehen, aber das stand auf einem anderen Blatt Papier und gehörte aktuell nicht hierher. Kyo wurde ungeduldig und sprang auf: "Hey ich rede mit dir und verlange eine Antwort. Wenn du etwas weißt, dann sprich! Wo ist Akki?" Seine Stimme war so laut geworden, dass sich einige Passanten nach ihnen umdrehten, doch das schien den Blauhaarigen absolut nicht zu interessieren. Stattdessen packte er Mirâ an den Schultern und schüttelte sie leicht. "Los rede verdammt!", wieder wurde er laut. Nun wurde es Mirâ zu bunt und sie holte aus. Ein Klatschen war zu hören, weshalb sich erneut Menschen nach ihnen umdrehten und dann eilig tuschelnd davongingen. Anscheinend dachten sie, dass es sich bei den Beiden um ein sich streitendes Pärchen handelte. Mirâ war das nur ganz recht, so hatten sie wenigstens wieder ihre Ruhe. Kyo hatte derweil durch die Backpfeife seinen Blick zur Seite geneigt, während sich seine Wange langsam rot färbte. Ein wenig tat es Mirâ nun sogar leid, dass sie etwas zu doll zugeschlagen hatte, doch anders hätte sich der Student wohl nicht beruhigen lassen. Wenn er nicht deshalb auch noch ausflippen würde. "Beruhige dich.", sagte Mirâ ernst, "Es ist nicht so, dass ich es dir nicht erzählen will. Aber ich kann dir nur so viel sagen, dass Akisu an einem sehr gefährlichen Ort ist und meine Freunde und ich versuchen wollen sie dort heraus zu holen. Allerdings ist der Weg zu ihr versperrt und wir kommen nicht an sie heran, weshalb ich mit dir reden wollte. Ich war eigentlich der Meinung, dass du mir helfen kannst. Aber wie mir scheint, habe ich mich geirrt." Die junge Frau stand auf und wandte sich von dem Älteren ab: "Dann müssen meine Freunde und ich wohl selber nach etwas suchen, was uns den Weg zu deiner Schwester öffnet." "Was braucht ihr, um zu Akki zu kommen?", fragte Kyo plötzlich in ruhigem Ton. Mirâ stoppte und sah erstaunt zu dem Studenten: "So genau wissen wir das nicht. Aber eine Freundin geht davon aus, dass wir etwas brauchen, das Akisu vielleicht wichtig ist. Aber vielleicht reicht auch schon die Information von dir. Allerdings ist das nicht sicher. Wir müssen aber alles versuchen." "Und ihr wollt sie wirklich retten? Dabei kennt ihr sie doch gar nicht." "Das hat damit nichts zu tun. Sie ist an einem gefährlichen Ort, an dem leider auch die Polizei nichts ausrichten kann. Wer soll sie da rausholen, wenn nicht wir?", meinte die Oberschülerin ernst. Kyo schwieg kurz, weshalb Mirâ der Meinung war, dass das Gespräch damit beendet war. Sie wollte sich gerade zum Gehen wenden, als der Student sie bat am Abend noch einmal in die Karaokebar zu kommen. Mehr als diese Information hinterließ der Blauhaarige nicht, ehe er davonging. Erstaunt sah Mirâ dem Studenten nach, bevor sie sich auf den Weg zurück zu ihren Freunden machte und ihnen von der Wendung der Ereignisse erzählte. Später Abend in der Karaokebar Seufzend betrat Mirâ die Bar und sah sich um. Von Kyo war noch keine Spur zu sehen. Nur Shuichi war anwesend, welcher sie irritiert fragte, was sie so spät noch an diesem Ort machte, wenn sie nicht arbeiten musste. Kurz erklärte die Oberschülerin ihrem Kollegen, weshalb sie noch einmal hergekommen war und dass sie sich danach sofort wieder auf den Heimweg begeben würde. "Also Kyo hab ich heute noch nicht gesehen. Aber ich weiß, dass Minami ihn heute Vormittag zusammengestaucht haben muss. Kann es sein, dass du dich deshalb mit Kyo treffen willst?", fragte der Student vorsichtig. "Kann man so sagen.", kam die Antwort rasch. "Na wenn das so ist. Dann warte so lange in der Lounge. Ich bin sicher Kyo kommt auch gleich.", meinte Shuichi und drehte sich zur Tür, als er hörte wie diese sich öffnete, "Willkommen. Oh. Wenn man vom Teufel spricht." Auch Mirâ drehte sich um und erkannte Kyo, der die Karaokebar betrat. Ohne Shuichi zu beachten ging er auf die junge Frau zu und hielt ihr seine Faust entgegen. Als er diese öffnete fiel eine Kette heraus, an welchem ein goldener Herzanhänger hing. Die Kette war um Kyos Mittelfinger gewickelt, weshalb sie nun zwischen den Beiden hin und her schwang. Erstaunt betrachtete Mirâ die goldene Kette und hob wie aus Reflex die Hand, woraufhin der Student ihr die Kette in eben diese legte. "Hier. Das gehört Akki. Ich habs gefunden, als ich nach ihr gesucht habe. Was anderes fällt mir nicht ein, was ihr wichtig sein könnte.", murmelte der Blauhaarige, "Wäre schön, wenn du es ihr wiedergeben könntest." Damit wandte er sich ab, doch blieb noch kurz stehen: "Ich hoffe ihr findet sie und bringt sie heil zurück." Die Tür der Karaokebar fiel ins Schloss und Kyo war verschwunden, während ein total verwirrter Shuichi und eine erstaunte Mirâ zurückblieben. Kapitel 47: XLVII – Stiller Verfolger ------------------------------------- Freitag, 07.August 2015 Still lag das verschlossene Tor zum Kagamine Park vor ihnen. Besorgt blickte Mirâ auf das, im Licht des zunehmenden Mondes, glänzende dunkle Metall. In ihrer Hand hielt sie die goldene Kette mit dem herzförmigen Anhänger, welchen sie am Vorabend von Kyo bekommen hatte. Inständig hoffte sie, dass dies der Schlüssel sein möge, der das Tor öffnen würde und doch traute sie sich noch nicht es zu versuchen. Akane blickte misstrauisch auf die Kette in Mirâs Hand und sprach die Frage aus, welche allem auf der Zunge lag. Würde der Anhänger das Tor öffnen? Die Violetthaarige zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung, doch durch herumstehen würden sie es wohl niemals herausfinden. Trotzdem... aus irgendeinem Grund konnte sie keinen Schritt auf das Tor zumachen. Es war als würde ihr Körper sie davon abhalten wollen. Doch wieso? Was hielt sie ab? Bei den Anderen hatte sie doch auch nicht gezögert. Hatte sie Angst? Angst, dass die Kette nicht der Schlüssel war und sie somit noch einmal von vorn anfangen mussten? Angst, dass sie es vielleicht nicht rechtzeitig schaffen würden Akisu zu retten? Das dadurch, wie Igor meinte, ihre Zukunft verloren ging? Natürlich wollte sie das nicht, auch wenn sie nicht wusste, was das bedeuten sollte. Aber ihre Beine bewegten sich nicht. Ein Zittern durchzog plötzlich ihren Körper, als sie versuchte sich gegen diese Lähmung zu wehren, wodurch ihr die goldene Kette aus der Hand fiel. Mit einem leicht metallenen Geräusch berührte der Anhänger den Boden und öffnete sich. Mirâs Blick weitete sich, als sie feststellte, dass es sich bei dem Herz um ein Medaillon handelte, in welchem ein kleines Foto eingebracht war. Die junge Frau hockte sich hinunter, um das Medaillon mit samt Kette aufzuheben und betrachtete sie eingängig. Sie hatte sich die Kette am Abend zwar schon einmal angeschaut, doch war ihr kein Mechanismus aufgefallen, der das Herz hätte öffnen können. Auch kleine Scharniere hatte sie nicht gesehen. Nun wusste sie auch weshalb, denn die kleinen Scharniere waren so geschickt eingebracht, dass sie von der kleinen Öse, durch die man die Kette fädelte verdeckt waren. Ihr Blick fiel auf das kleine einsetzte Foto, welches zwei sich umarmende blonde Kinder zeigte, die mit ihren goldgelben Augen fröhlich in die Kamera schielten. Links zu sehen war ein Junge, welcher das Mädchen rechts neben sich an sich drückte und frech grinste. Diese schien die Umarmung lustig zu finden und lachte. Auch wenn er noch ein Kind war und blonde Haare hatte, so erkannte Mirâ den Jungen als Kyo. Er schien glücklich und überhaupt nicht so arrogant, wie er jetzt rüberkam. In Mirâ breitete sich eine Wärme aus, die ihre Anspannung löste und sie schien sich wieder in der Lage zu fühlen den Dungeon zu betreten. Also stand sie wieder vorsichtig auf, den Blick weiter auf dieses schöne Foto gerichtet, als sie plötzlich so etwas Ähnliches wie ein Klingeln in den Ohren hatte und schwankte. Was war plötzlich los? An ihr zogen schwarzweiße Bilder vorbei von einem Mädchen mit schulterlangen glatten Haaren, welches ihr gegenüberstand und sie anlächelte, ihr sogar etwas zu sagen schien. Doch sie verstand es nicht und erkannte auch nicht das Gesicht des Mädchens vor sich. Als ihr plötzlich kurz schwarz vor Augen war, ging sie wieder auf die Knie, den Blick gen Boden gerichtet. "Mirâ, was ist passiert?", fragte Akane besorgt, "Ist dir schlecht?" Auch die Anderen waren sofort zur Stelle und bei ihrer auf dem Boden hockenden Freundin. Eine warme Hand berührte ihre Schulter und als sie aufsah blickte sie, wie schon einige Male zuvor in die besorgten dunkelblauen Augen ihres Kumpels Hiroshi. Schon wieder. Er war immer sofort zur Stelle, wenn es ihr schlecht ging. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in ihr aus und ihr Schwindel war sofort verschwunden. Auch das passierte nicht zum ersten Mal. Was war das nur? In seiner Nähe hatte sie immer das Gefühl alles würde gut werden. "Sollen wir lieber morgen wiederkommen?", riss sie die Stimme Masarus aus ihren Gedanken, woraufhin sie auch den Blick von Hiroshis blauen Augen nahm, in welchen sie sich beinahe verloren hatte. Leicht erschrocken blickte sie zu dem älteren Schüler: "N-Nein. Alles in Ordnung. Ich bin nur zu schnell aufgestanden." Sich noch einmal versichernd, dass alles in Ordnung war, seufzte der Schwarzhaarige und gab sich geschlagen, während Mirâ mithilfe von Akane und Hiroshi wieder langsam auf die Beine kam. Die Bilder, welche sie zuvor gesehen hatte, erwähnte sie absichtlich nicht, auch wenn sie sie irgendwie beunruhigten. Erst diese Visionen zum Tsukinoyo, dann dieser merkwürdige Albtraum in der gleichen Nacht und nun diese Vision. Was war nur los mit ihr? Machte diese Welt sie vielleicht verrückt? Ihr blick ging zu Mika, welche ihren Blick nach dem ersten Schock wieder auf das Tor gerichtet hatte. Mirâ fiel ein, dass die Kleine mal erwähnt hatte, dass sie auch manchmal Visionen hatte. Sie hatte ihr damals versprochen, dass sie herausfinden würden, was diese Visionen zu bedeuten hatten. Bisher konnten sie allerdings noch nichts Sinnvolles vorweisen. Allerdings hatte die Kleine seit langem keine Visionen mehr erwähnt. Nun begannen sie allerdings bei Mirâ selbst und irgendwie beunruhigte sie das. Was hatte das nur alles zu bedeuten? Ihr Kopf begann zu schmerzen, weshalb sie vorsichtig ihre Schläfen massierte. "Du siehst blass aus. Sollen wir nicht doch ein anderes Mal herkommen?", Kuraiko trat an sie heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Mirâ schüttelte den Kopf: "Nein es geht schon. Wir haben nicht mehr viel Zeit und wir müssen uns noch durch den Dungeon kämpfen. Also sollten wir die Abende die uns bleiben dafür nutzen." "Erst mal müssen wir den Dungeon geöffnet bekommen.", murmelte Yasuo mit einem gähnen. "Denk mal etwas positiv.", schimpfte Akane mit dem Blauhaarigen, "Das wird schon... hoffe ich..." "So viel zum Thema positiv denken...", klatschend traf Hiroshis Hand seine Stirn. Mirâ ging auf Mika zu, welche immer noch das Tor beobachtete. "Was ist dort so interessant?", fragte sie die Kleine vorsichtig. "Etwas hat sich verändert, als die Kette herunterfiel. Ich habe bis vorhin nur eine starke Kraft aus dem Park gespürt. Aber sie war eher neutral, weder gut noch schlecht. Aber jetzt strömt eine enorme Kraft heraus und dieses Mal ist sie gut UND schlecht.", erklärte die Kleine mit ernstem Blick. Fragend sah die Violetthaarige ihre kleine Freundin an, welche daraufhin erklärte, dass sie in dieser Kraft mitschwingend sowohl so etwas wie Liebe und Zuneigung, als auch einen enormen Hass spürte. So etwas hatte sie noch nie erlebt und es verpasste ihr eine unangenehme Gänsehaut. Was würde sie in diesem Dungeon erwarten? Mirâs Blick wechselte von Erstaunt zu Ernst und sie sah ebenfalls auf das schwarze Tor. Auch sie spürte plötzlich diese merkwürdige Macht, wenn auch nur ganz leicht und trotzdem bescherte es ihr eine Gänsehaut. Sie rieb sich die Oberarme und sah noch einmal auf die goldene Kette in ihren Händen. Vorsichtig schloss sie das Medaillon und trat einen Schritt auf das Tor zu, woraufhin sie die Aufmerksamkeit ihrer Freunde auf sich zog. Entschlossen drehte sie sich noch einmal um und sah ihr Team an. Ihre Tatkraft war zurückgekehrt und die Lähmung verschwunden, auch dank ihrer Freunde, auf welche sie sich immer verlassen konnte. Sie würden Akisu finden und zurückbringen, da war sie sich ganz sicher. Entschlossen trat sie an das Tor heran und hielt die goldene Kette nach oben. Jedoch passierte erst einmal nichts und langsam überkam Mirâ das Gefühl, dass sie doch nicht den richtigen Schlüssel hatten. Doch plötzlich leuchtete der Anhänger in einem sanften goldenen Licht auf und auch um das Tor bildete sich dieses Licht. Es wurde stärker und blendete die Gruppe, woraufhin alle die Augen schlossen, bis das Leuchten einen Moment später wieder verschwand. Vorsichtig öffnete Mirâ die Augen und sah auf das Tor, welches nun offen war. Das metallene Gitter war vollends verschwunden. "Klasse! Es hat geklappt.", jubelte Akane. Mirâs Blick fiel noch einmal auf die goldene Kette in ihrer Hand. Ja, es war wirklich der Schlüssel. Gedanklich schickte sie einen Dank an Kyo und ließ das Schmuckstück in ihrer Tasche verschwinden, ehe sie mit festem Schritt durch das Tor hindurchging, gefolgt von ihren Freunden. Ein grelles Licht umgab die Sieben, woraufhin sie die Augen schließen mussten. Als sie diese wieder öffneten standen sie zu Mirâs erstaunen in einem langen nicht enden wollenden Flur, dessen Wände wieder in diesen merkwürdigen Farben leuchteten. An beiden Seiten des Flures waren immer im Abstand von einem bis zwei Meter riesige Fenster, allerdings erkannte Mirâ keine Türen. Doch etwas anderes erweckte ihre Aufmerksamkeit. Langsam ging sie auf die Wand zu ihrer Rechten zu und blickte auf ein weißes zerknittertes Blatt Papier. Darauf war eine Skizze zu sehen, die aber zu unscharf war, als das man erkennen konnte, worum es sich dabei handelte. Solche Blätter waren über den gesamten Flur verteilt und hingen an Wänden, Decke und sogar auf dem Boden. "Krass. Ich glaube Shuyan würde hier voll aufgehen.", lenkte sie Hiroshis Stimme von den Skizzen ab. Dieser war an eines der Fenster getreten und hatte einen Blick hineingewagt. Die anderen folgten seinem Beispiel und sahen ebenfalls durch die Fenster. "Was zum...? Sind wir hier in einem Tonstudio gelandet?", fragte Akane frei heraus. Hinter der Glasscheibe erstreckte sich ein Aufnahmeraum von einem Studio. In der Mitte des Raumes, welcher dieselbe Farbe hatte wie der Rest des Dungeons und ebenfalls mit weißen Skizzen an den Wänden bestückt war, stand ein großes Mikrofon, das üblicherweise für Tonaufnahmen genutzt wurde. Davor stand ein Pult, auf dem Mirâ einige Blätter erkennen konnte. Um das Mikrofon herum standen mehrere Instrumente, wie ein Keyboard und Gitarren. Doch etwas ganz anderes fand Mirâ fehl am Platz. In den Ecken des Raumes standen Schneiderpuppen, welche mit einzelnen Stofffetzen behangen waren. Zumindest wirkten sie auf den ersten Blick wie Stofffetzen, doch man erkannte schon leichte Formen von Kleidern, die allerdings zerrissen wurden. Zwischen den beiden Puppen, an der ihnen gegenüberliegenden Wand, stand ein großes Pult, belegt mit zerrissenen Blättern. "Oder einem Schneideratelier.", murmelte Kuraiko, welcher diese Ungereimtheit auch aufgefallen war, "Aber warum würde das Nagase gefallen? Schneidert er gerne?" Die Schwarzhaarige konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen, welches Hiroshi jedoch zu ignorieren wusste. Er schüttelte den Kopf und seufzte: "Nein. Weil er selber Musik macht und sicher gern mal ein Studio von innen sehen würde." Erstaunt sahen die Mädchen ihn an, während Yasuo nur gelangweilt gähnte und Masaru weiter in den Flur hineinblickte, um etwaige Geheimgänge oder gar Gegner auszumachen. Die beiden Älteren schien das Thema so gar nicht zu interessieren. Die Mädchen jedoch schon, doch der Blonde winkte ab und beendete das Thema somit erst einmal, immerhin ging es hier nicht um Shuya, sondern um das verschwundene Idol Akisu. Darüber konnten sie sich später immer noch unterhalten. Auch die jungen Frauen schienen das so zu sehen und konzentrierten sich wieder auf das Hier und Jetzt. "Ich verstehe ja, dass es hier wie ein Tonstudio aussieht. Sie ist immerhin ein Idol. Aber warum ein Atelier?", fragte Masaru in die Gruppe und sah dabei Mirâ an. Diese schüttelte den Kopf: "Keine Ahnung. Ihr Bruder studiert Design, so viel weiß ich, aber was genau das mit ihr zu tun hat..." "Ich habe gehört sie schneidert ihre Bühnenoutfits selber.", warf Akane ein, "Vielleicht deshalb." "Das würde die Schneiderpuppen erklären.", meinte Mika, "Insofern sie diese Kleider auch selber entwirft, erklärt das auch das Pult mit den Blättern." Kuraiko legte einen Finger an ihr Kinn: "Ja schon. Aber komisch ist, dass die Blätter auf dem Zeichnerpult zerrissen sind, während die Blätter auf dem Pult vor dem Mikro völlig intakt waren." Schweigen breitete sich in der Gruppe aus, nur Yasuos erneutes Gähnen war zu hören. Mirâ merkte, dass sie aktuell darauf keine Antwort finden würden, also entschloss sie vorerst weiterzugehen. Es würde erst einmal nichts bringen sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die Lösung des Ganzen würde sicher spätestens am Ende auf sie warten. So setzte sich die Violetthaarige in Bewegung und ihre Freunde folgten ihr wortlos. Schweigend liefen sie neben- beziehungsweise hintereinander her und folgten dem schier endlosen Gang. Fast schien es so, als würden sie sich nicht einmal vom Fleck bewegen, denn egal an welchem Fenster sie vorbeikamen, ihnen bot sich immer das gleiche Bild von dem skurrilen Aufnahme-Atelier-Raum. Doch als sie nach einer gefühlten Ewigkeit an die erste Gabelung kamen, waren sie erleichtert doch nicht auf der Stelle zu treten. Mirâ sah sich zu beiden Seiten um. Zu ihrer linken ging der Flur weiter und schien erneut ewig lang, zu ihrer Rechten kam nach wenigen Metern eine Tür. Zielstrebig ging die junge Frau auf die Tür zu und öffnete diese vorsichtig. Daraufhin trat sie in einen geräumigen Raum. An den Wänden entlang standen Schneiderpuppen mit den verschiedensten ausgefallensten Kleidern. Einige davon kamen Mirâ sogar bekannt vor. Sie war sich sicher, dass es Outfits von Akisu waren, die sie in Musikvideos oder auf Fotos getragen hatte. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, auf dem wieder verschiedene zerrissene Blätter lagen. Vorsichtig trat Mirâ an diesen heran. Ihre Freunde taten es ihr gleich und verteilten sich um den Tisch. Masaru nahm eines der Blätter in die Hand und betrachtete das Motiv darauf. Schwer erkennbar war dort ein Frauenkörper abgebildet, allerdings sah es so aus, als wäre diese Skizze von einem Grundschüler gezeichnet worden. Er legte das Blatt wieder zurück und nahm ein weiteres, auf welchem nur noch die Hälfte von etwas zu erkennen war, was wohl ein Kleid oder ähnliches darstellen sollte. Auch die Anderen hatten sich die Skizzen angesehen und überlegten. "Das sieht nicht so aus, als könne derjenige zeichnen, geschweige denn irgendwas designen.", meinte Hiroshi, "Meint ihr, die Skizzen sind von Akisu?" Schweigen... Das war schon möglich und würde auch erklären wieso sie zerrissen waren. Ob Akisu versuchte ihrem Bruder nachzueifern? Dieser war immerhin ein wirklich begnadeter Designer. Mirâ erinnerte sich ganz genau an die Skizzen in seiner Mappe. Sie hatten sich regelrecht in ihr Gehirn gebrannt. Vielleicht war sie verzweifelt, dass sie nicht so gut zeichnen konnte wie ihr großer Bruder. Das würde erklären wieso die Bilder zerrissen waren, warf allerdings andere Fragen auf. Wieso eiferte sie ihrem Bruder so sehr nach, wenn sie wusste das sie nicht zeichnen konnte? Oder waren es vielleicht sogar Skizzen aus ihrer Kindheit? Das würde Sinn ergeben und auch erklären, warum sie aussahen, als seien sie von einem Grundschüler. Mirâ legte die Skizze in ihrer Hand wieder auf den Tisch und sah sich im Raum um. Außer den Puppen und diesem Tisch konnte sie nichts anderes in diesem Raum ausmachen, was ihnen weiterhalf. Ihre Gedanken teilte sie auch ihren Freunden mit und bestimmte, dass sie hier fertig waren. Doch gerade als sich die junge Frau wieder Richtung Tür drehen wollte, erklang ein ohrenbetäubender Knall und kurz darauf traf ein stechender Schmerz die Violetthaarige an der Schulter. "Ah.", sich die schmerzende Schulter haltend, wich Mirâ zurück und knallte dabei gegen den Tisch. Ihre Freunde waren sofort zur Stelle und hatten sich schützend vor sie gestellt, während sie auf drei Shadows blickten, die aussahen, wie dicke Wachleute. Allerdings hatten sie ein riesiges Loch in ihren fetten Bäuchen, in welchen eine Art Schlüssel baumelte. Auf ihren dunklen gedrungenen Köpfen, welche zum Teil von einer Maske bedeckt war, saß eine dunkelblaue Mütze. In der rechten Hand hielten die Wesen einen silbernen Revolver und in der Linken Handschellen. "Na große Klasse...", murmelte Yasuo. "Alles in Ordnung Mirâ?", fragte Akane total aufgelöst, während sie auf die blutende Schulter ihrer Freundin blickte. "Naja wie man es nimmt.", antwortete die Angesprochene mit schmerzverzerrtem Gesicht. Es tat eigentlich höllisch weh und sie hätte am liebsten geweint, spürte sogar schon wie ihr die Tränen ins Gesicht stiegen, doch sie versuchte stark zu bleiben. Akane wurde zur Seite geschoben und sofort stand Hiroshi vor ihr, welcher sein Handy zückte und seine Persona Aton rief, der Dia auf die Wunde wirkte. Der Schmerz ließ etwas nach und die Blutung stoppte. "Danke Hiroshi-Kun.", bedankte sich die Violetthaarige. "Na wartet. Dafür werdet ihr bezahlen.", schimpfte Akane und stürmte nach vorn. Mirâ wollte sie zurückhalten, doch da war es bereits zu spät und die Braunhaarige hatte schon zum Angriff ausgeholt. Mit einem Satz sprang sie in die Luft, machte dabei eine Drehung um ihre eigene Achse und trat einem der Shadows genau in den Nacken. Bei jedem normalen Menschen wäre dieser wohl gebrochen oder wenigstens schwer getroffen, doch der Gegner zeigte keine Regung. Stattdessen griff er sich das Bein der Angreiferin und schleuderte sie einmal quer durch den Raum, wo sie an der anderen Seite genau in die Schneiderpuppen krachte. "Akane!", riefen Mirâ und Mika zeitgleich. Ein blaues Licht erschien in ihren Augenwinkeln und sie erkannten, wie Yasuo seine Persona rief und kurz darauf ein regelrechter Blitzregen auf die drei Gegner niederrieselte. Dieses Mal schien es zu wirken, denn die drei wichen einige Schritte zurück, doch zeigten sich ansonsten unbeeindruckt. Kurz darauf traf sie ein grüner Wirbel, doch auch dieser ließ sie nicht einmal mit der Wimper zucken. Stattdessen richteten alle drei Gegner ihre Waffen auf die Gruppe und schossen. Schnell wichen alle aus, ehe ein regelrechter Feuerregen auf sie losging. Geistesgegenwärtig stießen Masaru und Hiroshi den Tisch in der Mitte um, sodass sich die Gruppe dahinter verstecken konnte, während sie immer wieder Kugeln auf den Tisch prallen hörten. "Verdammt. Normale Attacken wirken nicht.", schimpfte der Blonde und sah zu Akane, welche langsam auf sie zu gekrochen kam, "Alles okay bei dir?" Die Braunhaarige nickte und zuckte zusammen, als vor ihr eine Kugel in den Tisch einschlug. "Was nun?", fragte Masaru und sah zu Mika, welche sich gegen den Tisch lehnte und sich die Ohren zu hielt. Anscheinend hatte sie dieses Mal wirklich fürchterliche Angst. Kein Wunder. Sie war immerhin noch ein Kind. Der Schwarzhaarige zuckte zusammen, als auch hinter ihm eine Kugel in das dünne Holz eindrang und stecken blieb. Lange würde der Tisch mit Sicherheit nicht mehr halten, deshalb mussten sie etwas unternehmen. Doch weder Elektrizität, noch Wind konnten den Shadows etwas anhaben. Es gäbe noch die Möglichkeit Feuer und Eis zu probieren, doch bezweifelte Masau bei diesem Gegner die Wirksamkeit. Sogar Akanes Tritt hatten sie abwehren können. Doch was half? Mika konnten sie nicht fragen, denn diese schien immer noch paralysiert von diesem Kugelregen, der ihr solche Angst machte. Was also nun? "Urgh! Langsam hab ich die Schnauze voll!", rief Kuraiko genervt und zückte ihr Smartphone, nur um kurz darauf Kadej zu rufen. Diese erhob sich in die Luft und ließ ihre Peitsche kurz durch die Luft sausen. Kurz darauf bildete sich vor einem der Shadows ein magischer Kreis mit vier dunkelvioletten Lichtern. Das magische Gebilde schien in den Shadow einzutauchen und einen Moment später verschwand dieser in schwarzem Nebel. Keinen Augenblick später erschienen diese Kreise auch vor den anderen beiden Gegnern und auch diese verschwanden daraufhin. Dann kehrte Ruhe in den Raum ein. Erleichtert lehnte sich Akane gegen die Unterseite der Tischplatte und atmete erst einmal durch. Auch die Anderen nutzen diesen Moment der Ruhe um durchzuschnaufen. Wenn ihnen in diesem Labyrinth noch mehr solcher Gegner begegnen würden, dann hatten sie echt Mühe voranzukommen. Soviel stand fest. Masaru wandte sich an Kuraiko: "Woher wusstest du, dass das klappen würde?" "Das wusste ich nicht.", sagte die Schwarzhaarige trocken, "Aber nur herum zu überlegen bringt nichts. Ich bin zwar nicht der Mensch, der so vorstürmt wie Akane, aber ich bin auch nicht die Geduldigste." Der Ältere entgegnete nichts dazu und sah zu Mika, welche immer noch gegen die Tischplatte gehockt dasaß und sich die Ohren zuhielt. Auch Mirâ war das Verhalten der Kleinen aufgefallen, woraufhin sie sich zu ihr begab und sich neben sie setzte. Vorsichtig legte sie einen Arm um die Schulter der Kleinen und zog sie an sich heran. Dann flüsterte sie dem Mädchen beruhigende Worte zu und es schien zu helfen. Langsam ließ die Blauhaarige ihre Hände sinken und auch ihre körperliche Anspannung löste sich langsam. "Alles ist gut. Die Gegner sind weg.", flüsterte Mirâ beruhigend, "Du brauchst keine Angst zu haben. Wir passen auf dich auf." So saßen die beiden Mädchen eine gefühlte Ewigkeit da, während ihre Freunde verschnauften und die Eingangstür im Blick behielten, damit nicht unverhofft ein weiterer Gegner auftauchte. Das Verhalten Mikas erinnerte Mirâ stark an ihre kleine Schwester, wenn es gewitterte. Auch sie saß dann immer zusammengekauert in einer Ecke oder unter ihrer Decke und hielt sich die Augen zu. Deshalb waren die Violetthaarige oder ihre Mutter immer sofort zur Stelle, wenn sie die ersten Anzeichen eines Gewitters bemerkten, um die Kleine zu trösten. Auf diese Weise beruhigte Mirâ auch ihre kleine Freundin. Nach einer Weile löste sich Mika aus der Umarmung der Älteren. "Danke, es geht wieder. Und sorry.", murmelte sie, ihren Blick gen Boden gerichtet Mirâ lächelte: "Schon gut. Das war wirklich ein heftiger Angriff. Du brauchst dich also auch nicht entschuldigen. Wir hatten alle Angst. Das war nur selbstverständlich." Mika ließ ihren Blick jedoch weiter gesenkt, doch stand langsam auf. Auch Mirâ erhob sich wieder und nachdem sie sich versichert hatte, dass alle wohlauf waren entschied sie weiterzugehen, auch wenn sie Mika gerne mehr Zeit zum Ausruhen gegeben hätte. Sie wusste das es schwer für die Kleine werden würde, doch sie mussten vorankommen. "Was zur Hölle war das denn?", eine männliche Stimme ließ die Gruppe, vor allem aber Mirâ aufschrecken, da ihr die Stimme erschreckend bekannt vorkam. Ihre Blicke schnellten zur Tür und sie trauten ihren Augen nicht. Mit einem Schlag lief Mirâ kreidebleich an, als sie Kyo erkannte. Was machte er? Und noch viel wichtiger: Wie war er hierher gelangt? War er ihnen gefolgt? Hieß das ihr nächtliches herumschleichen um das Einkaufszentrum wurde bemerkt? "Sag mal, spinnst du? Was hast du hier zu suchen?", schrie die junge Frau den Studenten an. Völlig irritierte Blicke trafen die Violetthaarige und jedem war ins Gesicht geschrieben, dass er sich fragte woher Mirâ den jungen Mann kannte. "Das Gleiche könnte ich euch fragen. Wo sind wir hier?", kam eine schwache Gegenfrage. Erst jetzt bemerkte Mirâ, dass der Student völlig blass war. Schwer atmend stützte er sich am Türrahmen ab, doch rutschte langsam nach unten. Sofort war Mirâ zur Stelle und stützte ihn. "Diese Welt ist er nicht gewöhnt...", ernst sah sie zu ihren Freunden, "Sieht so aus, als müssten wir hier unterbrechen." "Scheint so. Mitnehmen können wir ihn jedenfalls nicht. Vor allem nicht so.", Masaru kam auf die Beiden zu und legte sich Kyos Arm um die Schulter, um ihn zu stützen, "Aber erklär uns doch bitte vorher erst einmal, wer er ist." Mirâ sah zu Boden, als sie Masarus doch recht wütenden Blick bemerkte. Mit Sicherheit war dieser nicht ihr gewidmet, sondern eher der Situation, in welcher sie sich nun befanden. Trotzdem fühlte Mirâ sich schuldig. Sie hatte Kyo zwar nicht alles erzählt, aber einen Teil und dies musste ihn dazu bewogen haben ihnen zu folgen. Mit so etwas hätte sie rechnen müssen und sie konnte verstehen, wenn ihre Freunde nun sauer waren. Sie selbst ärgerte sich auch extrem, dass ihre Rettungsaktion so ein Ende fand. Doch das Schlimmste für sie war, dass sie nun wusste, dass auch normale Menschen ohne die Macht einer Persona in diese Welt gelangen konnten. Das hieß sie mussten ab diesem Moment noch besser darauf achtgeben, ob ihnen jemand folgte. "Also? Wer ist das?", fragte Masaru noch einmal mit Nachdruck und holte sie damit aus ihren Gedanken, "Wobei ich es mir schon denken kann..." Die junge Frau kaute auf ihrer Lippe herum, ehe sie vorsichtig antwortete: "Das ist Kyo Yashiru. Der große Bruder von Akisu. Von ihm habe ich den Schlüssel erhalten. Dafür musste ich ihm allerdings... naja ein klein wenig erzählen." Masaru seufzte: "So was habe ich mir schon gedacht. Das war ziemlich dumm, wer weiß was passiert wäre, wenn er auf die Shadows getroffen wäre und nicht auf uns." Mirâ ließ den Blick weiter gen Boden geneigt. Sie war sich bewusst, dass es dumm war. "Nun mach mal halblang, Masaru. Er ist ja zum Glück uns in die Arme gelaufen. Darüber zu diskutieren, was wäre wenn, bringt nichts. Und Mirâ musste ihm sicher etwas erzählen, sonst hätte sie nicht den Schlüssel bekommen.", ging Hiroshi nun dazwischen, erntete aber von dem Älteren nur einen ernsten, schon fast bösen Blick, der ihn zusammenzucken ließ. Mit Nachdruck erklärte Masaru noch einmal, dass es trotzdem gefährlich war und das so etwas hätte vermieden werden können. Außerdem mussten sie so den Dungeon noch einmal von vorne beginnen und sie konnten in diesem Moment nur froh sein, noch nicht so weit vorgedrungen zu sein. Der Blonde wollte erneut etwas erwidern, als sich Yasuo einmischte und erklärte, dass sie Kyo lieber zurück in die reale Welt bringen sollten, bevor dieser noch gänzlich zusammenbrach. Noch einmal griff Masaru bei Kyo nach, sodass er diesen richtig festhalten konnte, ehe er ohne ein weiteres Wort den Raum verließ und den Gang zurückging, den sie gekommen waren. Die Anderen folgten ihm schweigend. Nur Mirâ blieb noch einen Augenblick stehen. Wegen ihrer unbedachten Aktion gab es schon wieder Streit in der Gruppe und dieses Mal war es sogar ihre Schuld. Wenn das so weiterginge, würde sich das dann über alle Dungeons ziehen? Würden sie es überhaupt so schaffen, weiter voran zu schreiten? Sie musste das unbedingt klären, bevor sie erneut hierherkamen. Jemand rief ihren Namen, was sie aufblicken ließ. Sie sah auf Mika, welche ihr zuwinkte und auf sie zu warten schien. Die junge Frau nickte kurz, mehr zu sich selbst als zu Mika, und entschloss das Problem zu klären sobald sie zurück waren. Daraufhin folgte sie ihrer kleinen Freundin und gemeinsam verließen sie den Dungeon. Es dauerte etwas, doch schlussendlich hatten sie es geschafft, die Spiegelwelt zu verlassen. Vorsichtig setzte Masaru den vollkommen erschöpften Kyo auf eine der Bänke. Dieser lehnte sich erst einmal zurück und atmete durch. Er verstand nicht was dort passiert war und weshalb ihn das so extrem geschlaucht hatte, doch er hatte verstanden, dass es eine dumme Idee gewesen war Mirâ und ihren Freunden zu folgen. Egal was sie dort machten, es war gefährlich und sie riskierten ihr Leben in dieser Welt, in welcher anscheinend seine kleine Schwester gefangen war. So viel hatte er mittlerweile in Erfahrung bringen können. Dieser merkwürdige Ort hatte ihm jedenfalls genug verraten, um dies zu wissen. Nun verstand er auch, wieso die Polizei nichts ausrichten konnte. In einer solchen Welt waren selbst sie machtlos. "Es bringt nichts noch einmal zurückzugehen. Wir sollten unsere Kräfte sammeln und morgen einen neuen Versuch starten. Dieses Mal sollten wir aber darauf achten, dass uns keiner folgt.", mit einem ernsten Blick bedachte Masaru Kyo, ehe er sich umdrehte, "Am Besten wir gehen alle nach Hause und ruhen uns bis morgen aus." Damit wollte er schon gehen, doch Mirâ hielt ihn noch kurz zurück und verbeugte sich vor ihren Freunden, während sie sich entschuldigte. "Ich hätte besser aufpassen sollen. Tut mir leid, dass es heute so verlaufen ist.", erklärte sie, den Tränen recht nahe. Der Schwarzhaarige seufzte: "Schon gut. Entschuldige, wenn ich böse geworden bin. Du kannst im Prinzip nichts dafür. Wir sind alle angespannt. Deshalb ist es besser, wenn wir für heute alle nach Hause gehen. Morgen sieht die Welt wieder anders aus. Also bis morgen." Damit war der Ältere mit einem sanften Lächeln im Gesicht gegangen. So richtig beruhigen konnte Mirâ das nicht, aber sie fühlte sich etwas besser. So lange ihre Gruppe wegen so etwas nicht auseinander brach, war es für sie kein Problem sich zu streiten. Doch es kam in letzter Zeit recht oft vor und das machte ihr Sorgen. Sie hoffte, dass es wirklich am nächsten Tag wieder besser aussah. "Hey. Wenn es wegen mir Streit gab, dann sorry. Das war nicht meine Absicht.", sagte Kyo plötzlich, während er sich bequem hinsetzte, sodass er seine Unterarme auf seine Oberschenkel legte und die Hände zwischen seinen Beinen faltete. Seinen Kopf hatte er zu Boden gerichtet, damit niemand sein Gesicht sah. Mirâ sah ihn kurz an, ging dann auf ihn zu und verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. "Hey! Was soll das?", fragte der Student wütend, doch stoppte als er das ernste Gesicht der Oberschülerin sah. "Ich hoffe das war eine Lehre für dich! Du weißt gar nicht wie gefährlich das ist. Wenn du diesen Shadows in die Hände gelaufen wärst, wärst du wahrscheinlich tot.", schimpfte die Jüngere mit ihm, "Außerdem merkst du ja wozu das geführt hat. Dadurch verzögert sich alles nur noch mehr und wir haben schon einen immensen Zeitdruck." "Sorry.", murmelte der Blauhaarige noch einmal. "Du solltest nach Hause gehen und dich ausruhen. Wer diese Welt nicht gewöhnt ist, klappt schnell zusammen, weil sie an den eigenen Kräften zerrt. Du solltest die Rettung deiner Schwester lieber uns überlassen.", sagte Kuraiko plötzlich, "Wir wissen was wir machen." Kyo seufzte: "Von Oberschülern gerettet und zurechtgewiesen. Wie peinlich." Damit erhob er sich und machte sich auch auf den Weg nach Hause. Mirâ und die übrig gebliebenen sahen ihm kurz nach und hofften, dass er niemandem von diesem Vorfall erzählen würde. Kapitel 48: XLVIII – Ein steiniger Weg -------------------------------------- Samstag, 08.August 2015 Den blauen Himmel betrachtend saß Mirâ auf einer Bank vor Junes, wo sie sich zwei Tage zuvor mit Kyo unterhalten hatte. Dieser hatte sie am frühen Morgen angerufen und wollte noch einmal mit ihr sprechen. Sie war sich sicher, dass es sich dabei um die Geschehnisse des vergangenen Abends handelte, allerdings war sie nicht sicher, ob es richtig war mit dem Studenten darüber noch einmal eingehend zu sprechen. Immerhin hatte er sich wegen einer solchen Dummheit schon einmal sinnlos in Gefahr gebracht. Wiederum war sich die Violetthaarige sicher, dass der junge Mann keine Ruhe geben würde, bis sie ihm davon erzählt hatte. Diese verzwickte Situation entlockte ihr ein Seufzen und sie senkte den Blick gen Boden. "Du solltest nicht so viel seufzen.", ließ sie eine männliche Stimme aufblicken. Vor ihr stand Kyo, welcher zur Begrüßung die Hand hob: "Danke, dass du dich noch einmal her bequemt hast." "Schon okay.", erstaunt darüber, dass Kyo sogar richtig nett sein konnte, schüttelte sie beschwichtigend den Kopf, "Ich nehme an, du wolltest wegen gestern mit mir sprechen?" Kyo nickte und ließ sich neben ihr nieder und strich sich durch die blauen Haare, ehe er erklärte, dass er sich eigentlich nur noch ziemlich schemenhaft an alles erinnern könne, aber am Morgen total fertig war, sodass ihm sogar das Aufstehen schwerfiel. Peinlich berührt erzählte er, dass er am Abend wohl in seinen privaten Klamotten auf der Couch eingeschlafen sein musste. Mirâ konnte dies gut nachvollziehen, immerhin war Kyo nicht an die Spiegelwelt gewöhnt und auch kein Persona-User, doch diese Gedanken behielt sie für sich, quittierte dies allerdings mit einem leichten Lächeln. Der Student kratzte sich am Kopf: "Auch wenn ich mich nur schwer erinnere. Was war das für ein komischer Ort? Und was waren das für komische Wesen? Ich sage dir, das ganze bereitet mir Kopfschmerzen." "Kann ich verstehen.", Mirâ senkte den Blick, "Weißt du, ich kann dir das nur so grob erklären und ich hoffe, dass dir diese Erklärung ausreicht. Ich möchte nicht noch mehr mit hineinziehen, als eh schon mit drinhängen." Kyo nickte noch einmal und meinte, dass er so etwas in der Art schon denken konnte und überrascht sei, dass sie überhaupt etwas verriet. Mirâ musterte den jungen Mann neben sich kurz, bevor sie seufzte und knapp erklärte worum es ging. Sie erwähnte nur, dass es wohl mit dem Spiegelspiel begonnen hatte und sie daraufhin herausgefunden hatte, dass es hinter dem Spiegel diese abstrakte Welt ihrer eigenen gab. Dort lebten Wesen, die sie Shadows nannten und die für Normalsterbliche gefährlich waren, aber immer wieder unschuldige in ihre Welt zogen. Es gab nur wenige, die sich gegen diese Wesen stellen konnten und das waren in diesem Fall nur sie und ihre Freunde. "Akisu gehört zu denjenigen, die dort hineingezogen wurden. Und wenn wir sie nicht retten, dann wird ihr wohl etwas Schlimmes passieren.", beendete Mirâ ihre Erklärung, "Du musst mir aber versprechen, nie wieder in diese Welt zu gehen. Sie ist gefährlich und kräftezehrend, wie du selber festgestellt hast. Und darfst du niemandem davon erzählen!" Beschwichtigend hob Kyo die Hände: "Schon gut, schon gut. Ich überlasse das euch und behalte das hier für mich. Ihr scheint zu wissen, was ihr macht." Er stand auf und streckte sich, während ihn Mirâ beobachtete. Dann drehte er sich noch einmal zu ihr um: "Aber eine Frage habe ich noch. Anscheinend kann es jeden treffen. Wie kann man sich schützen?" "Tja... wenn ich das wüsste. Aber so viel wir wissen ist es wichtig, mit seinen eigenen Problemen klar zu kommen und mit sich im Reinen zu sein. Und am Besten in der Nacht nicht in den Spiegel sehen. Dann sollte hoffentlich nichts passieren.", antwortete die Oberschülerin. Der Blauhaarige nickte kurz, bevor er sich noch einmal streckte und dann mit einem "viel Erfolg" davonging. Mirâ sah ihm wie immer nur nach und hoffte, dass sie keinen Fehler begangen hatte. Später Abend im Dungeon "Haaaaa!", mit lautem Kampfgeschrei stürzte sich Akane auf die Gegner vor sich, welche die Gruppe umzingelt hatte. Dabei handelte es sich um schwarze weibliche Gestalten, welche auf einer schwarzen umgedrehten Pyramide saßen und ein dunkelrotes lockeres Tuch auf dem Kopf hatten. Ihre Gesichter zierte eine ebenso dunkelrote Maske. Mika hatte sie als Tranquil Idols bezeichnet und ihre große Stärke waren magische Attacken, was leider bedeutete, dass diese bei diesem Gegner nicht wirklich halfen. Zwar fügten die magischen Attacken der Gruppe dem Shadows Schaden zu, doch war dieser so gering, dass es kaum auffiel. Dieser wiederum griff immer wieder mit Mabufu an, weshalb vor allem Akane aufpassen musste nicht getroffen zu werden, denn Eis war die größte Schwäche ihrer Persona Wadjet. Da Mika ihnen nicht direkt sagen konnte, was die Stärke dieser Shadows war, hatte die Gruppe eine ganze Weile gebraucht um herauszufinden, wie sie ihre Gegner bezwingen konnten. Nun hatten sie sich jedoch darauf eingestellt und griffen ihn mit ihren Waffen direkt an, was jedoch auch einiges an Zeit kostete, ehe die einzelnen Shadows nacheinander verschwanden. Auch Kuraikos Fähigkeit Mudo, welche sich auch super gegen die polizeiähnlichen Shadows bewährt hatte, war eine große Hilfe, denn auf diese Magie waren auch die weiblichen Shadows schwach. Allerdings versuchte die Schwarzhaarige diese Fähigkeit wenn möglich nicht zu häufig einzusetzen, denn es zerrte stark an ihrer seelischen Kraft. Hiroshis Ball traf einen weiteren Shadows, welcher in einem schwarzen Nebel verschwand. Durch diesen zischte plötzlich ein Frisbee, der einen weiteren Gegner traf. Dieser wurde durch den Angriff etwas zurückgedrängt, doch blieb standhaft, bis ihn die Sense Kuraikos in zwei teilte und damit vernichtete. Masaru zog sein Schwert und stürmte auf einen Gegner vor sich zu. Mit einem gekonnten Schnitt schlug er zu und drängte sein Gegenüber damit zurück. Ganz knapp an dem schwarzen Haar des jungen Mannes flog ein Pfeil vorbei und gab seinem Gegner damit den Gnadenstoß. "Das war knapp, Mirâ.", meinte der Ältere mit einem erschrockenen Grinsen. "Gomen.", entschuldigte sich die Violetthaarige und drehte sich ruckartig um, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. Eine Eisschicht bildete sich vor der jungen Frau und zersprang, woraufhin sie zu Boden ging. Eis war eigentlich nicht ihr Problem, doch aktuell hatte sie eine andere Persona ausgerüstet, die nicht gegen Eis resistent war. Der Shadow griff erneut an, dieses Mal jedoch direkt. Bevor er allerdings Mirâ erreichen konnte, löste er sich bereits in Nebel auf und gab den Blick auf Akane frei. Noch immer hatte sie ihr Bein leicht gehoben und angewinkelt, mit dem sie den Gegner besiegt hatte. Grinsend sah sie ihre Freundin an, welche sich nur mit einem Lächeln bedankte. Langsam nahm die Braunhaarige das Bein wieder herunter und sah sich um. "Scheint so, als seien die Gegner fürs Erste besiegt.", sagte sie keuchend. Da sie ihre eigene Körperkraft zum Kämpfen nutze, war sie von allen am meisten außer Puste. Mirâ machte sich diesbezüglich zwar Sorgen, allerdings wusste sie auch, dass ihre beste Freundin eine so gute Kondition besaß, dass sie recht schnell wieder fit war. Trotzdem war es sinnvoll die eigenen Kräfte zu sparen. Sie waren bereits seit einiger Zeit in diesem Dungeon, allerdings hatte sich dessen Aufbau doch recht stark verändert, wodurch sie nicht weit vorangekommen waren. Ständig verzweigte sich der Weg, brachte sie jedoch nur in eine Sackgasse, wodurch sie den Weg wieder zurückgehen und von vorn beginnen mussten. Es war wie verhext und Mirâ hatte irgendwie auch das Gefühl, dass sich der Aufbau dieses Dungeons jedes Mal hinter ihnen veränderte, sobald sie einen verzweigten Weg einschlugen. Und langsam zerrte es an ihren Kräften. Sie mussten es zumindest schaffen noch die Mitte zu erreichen, bevor sie zu schwach waren gegen den sich dort befindlichen Shadow zu kämpfen. Doch der Dungeon machte es ihnen nicht wirklich leicht. Auch Kuraiko schien es so zu sehen und lehnte sich gegen die Wand: "Oh man. Nimmt das hier kein Ende?" "Langsam ist es wirklich nervig.", murmelte Hiroshi und sah in den Gang hinein. Wenn das so weiterginge, dann waren sie zu schwach für den Zwischenboss und würden dort kläglich verlieren. Auch Mika sah in den Gang hinein, so als versuche sie herauszufinden, wo sie lang mussten. Zwar hatte sie eine gute Orientierung und konnte auch einige Schwächen der Gegner erkennen, doch leider war damit ihre Fähigkeit auch schon am Ende. Sie bräuchten eigentlich jemanden der sie leiten konnte. Einen Navigator zum Beispiel. Das Mädchen kaute auf ihrer Unterlippe herum und ärgerte sich darüber, dass sie keine größere Hilfe sein konnte. Sie hatte nicht wie die anderen das Potential eine Persona zu rufen und auch wenn sie die schwachen Shadows ignorierten, so nahmen sie die stärkeren, insbesondere der Reaper, schon wahr. In solchen Momenten konnte sie sich nicht selber verteidigen und musste sich hinter ihren Freunden verstecken und die hielten dann ihren Kopf für sie hin. Das grämte sie und sie fühlte sich nutzlos. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und ließ sie erschrocken aufschauen. Dabei blickte sie in zwei rote Augen, die sie freundlich anlächelten und ihr damit auch ein Lächeln aufs Gesicht zauberten. Mirâs Augen schenkten ihr Verständnis und sagten ihr, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte. Mika beobachtete die Ältere, als diese ihre Aufmerksamkeit wieder in den Gang richtete. Es war merkwürdig, denn es kam dem Mädchen so vor, als hätte die Violetthaarige ihre Gedanken gelesen und wüsste genau, worüber sie sich aktuell den Kopf zerbrach. Doch noch stärker als das Verständnis, was ihr entgegengebracht wurde, war das Gefühl der Vertrautheit, welches sie immer in der Gegenwart der Älteren hatte. So als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen. Ein kleiner Stich zog sich durch ihren Kopf und ließ sie kaum merklich zusammenzucken. Schon wieder! Was waren das nur für Kopfschmerzen? Sie verschwanden so schnell wieder, wie sie gekommen waren, vorausgesetzt sie dachte nicht mehr über Mirâ oder ihre gemeinsamen Gespräche nach. Ihr kam der Gedanke doch einmal mit ihrer Freundin darüber zu reden, doch sie verwarf diesen gleich wieder. Sie wollte ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten. Es reichte schon, dass sie sich darüber Gedanken machte, wie die Gruppe sie hier herausholen konnten und was das für merkwürdige Träume waren, die sie verfolgten. Sie dann auch noch mit so etwas zu belästigen ging wirklich zu weit. "Wir sollten langsam weiter.", hörte sie Mirâ sagen, woraufhin sie kaum merklich den Kopf schüttelte und damit ihre Gedanken loswurde, bevor sie ihren Freunden folgte. So setzte die Gruppe ihren Weg fort, in der Hoffnung nicht wieder in einer Sackgasse zu landen und zurück zu müssen. Schweigend liefen sie nebeneinander her, als sie an eine weitere Gabelung kamen. Mirâ blieb stehen und sah sich nach beiden Seiten um. Zu ihrer Linken ging der Gang weiter, zu ihrer Rechten befand sich zu ihrem Erstaunen wieder eine Tür. Etwas unsicher blickte sie zu ihren Freunden, denn die unschöne Begegnung mit den Shadows am Vortag in einem dieser Räume war ihnen noch allzu gut in Erinnerung. Trotzdem nickten die Anderen und Mirâ öffnete vorsichtig die Tür, nur um einen Augenblick später wieder in diesem merkwürdig eingerichteten Raum zu landen. Er sah genauso aus, wie der am Vortag. Zumindest konnte Mirâ keinen großen Unterschied feststellen. Langsam traten sie nacheinander in das Zimmer und verteilten sich um den Tisch, welcher wie beim letzten Mal in der Mitte stand. Auch hier lagen wieder zerrissene Skizzen auf den Tisch und sie erinnerten stark an die, die sie bereits einen Tag zuvor gesehen hatten. Akane betrat als Letzte den Raum und machte plötzlich einen Satz nach vorn, als sich hinter ihr die Tür mit lautem Knall schloss. Erschrocken sahen ihre Freunde sie an, während sie die geschlossene Tür betrachtete und dabei kreidebleich anlief. "Mensch Akane, erschreck uns nicht so.", schimpfte Hiroshi. "A-aber i-ich war das ni-nicht.", stotterte die Braunhaarige und versuchte die Tür wieder zu öffnen, doch diese blieb zu, "S-Sie klemmt!" Erstaunt sah Mirâ zu ihrer Freundin, da sie diese noch nie so erlebt hatte und sie fragte sich, was auf einmal mit ihr los war. Plötzlich wurde es finster und ein lauter Schrei ging durch den Raum, welcher die Anderen zusammenschrecken ließ. Mirâ drehte ihren Kopf und versuchte sich zu orientieren und die Ursache des Schreis einzuordnen, obwohl sie nichts sah. Neben sich hörte sie Hiroshi mit einem "oh nein" aufstöhnen, während sie von etwas weiter weg ein erschrockenes "he-hey" von Kuraiko hörte. Was war nur los? Wer hatte geschrien? "Konzentriere dich auf deine Arbeit und hör auf mir solch einen Müll abzuliefern!", erklang plötzlich eine erzürnte aber leicht verzerrte Stimme. "Kyah!", kam es erneut aus einer Richtung und endlich konnte Mirâ auch die Ursache feststellen, als Akanes zittrige Stimme ertönte, "Oh nein! Bitte nicht." "Wenn du dich nicht endlich auf deine RICHTIGE Arbeit konzentrierst, dann ist Schluss mit diesem ganzen Mist! Das bringt sowieso nichts!", wieder hörte man die Stimme und gleichzeitig ein verängstigtes Quieken aus Akanes Richtung. Die Stimme war immer noch leicht verzerrt, aber man konnte sie nun einer älteren Frau zuordnen. Mirâ schätzte darauf, dass es sich dabei um Akisus Mutter oder ihre Managerin handelte, wobei sie mehr zum Zweiten tendierte, da es hier anscheinend um ihre Arbeit ging. Doch machte sie die Aussage "richtige Arbeit" stutzig. Meinte sie damit vielleicht die Schule, welche das Idol eigentlich noch besuchen müsste? Aber dann würde man es doch nicht Arbeit nennen, da war sich die Violetthaarige sicher. Das Licht ging wieder an, woraufhin alle erst einmal blinzeln mussten, da sie von den plötzlich wiederauftauchenden bunten Wänden geblendet wurden. Mirâ sah sich um und ging damit sicher, dass es all ihren Freunden gut ging. Hiroshi stand immer noch neben ihr, hatte jedoch die Hand an die Stirn gelegt, während Mika zu ihrer anderen Seite stand und sich ebenfalls im Raum umsah. Masaru hatte sich auf dem Tisch abgestützt und schüttelte den Kopf, weil er anscheinend immer noch geblendet wurde. Dann fiel ihr Blick auf Kuraiko und sie konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, als sie Akane an deren Arm hängen sah. Die Augen hatte sie fest verschlossen und sie zitterte. "Verdammt, lass endlich meinen Arm los. Hab dich nicht so. Das bisschen Dunkelheit.", murrte die Schwarzhaarige und zog ihren Arm aus Akanes Griff, welche verzweifeln versuchte diesen wieder zu ergreifen. Kuraiko jedoch blieb standhaft und nahm Abstand von der Braunhaarigen, welche immer noch zitterte wie Espenlaub. Hiroshi seufzte: "Es ist nicht die Dunkelheit... sondern das es plötzlich kam. Dazu noch die Tür, die sich selber geschlossen hat..." Alle sahen ihn erstaunt an, worauf der Blonde fortfuhr: "Akane hat Angst vor solchen Horrorsachen." Er seufzte erneut und strich sich durch die Haare, während er sich an die Braunhaarige wandte: "Aber mal ehrlich. Du bist fast erwachsen. Das ist doch peinlich." "Ich kann halt nichts dafür. Ich mag das einfach nicht.", sagte die Angesprochene zitternd und mit zugekniffenen Augen. "Akane es ist alles gut. Du kannst die Augen wieder aufmachen, das Licht ist wieder an.", meinte Mirâ beruhigend, "Dir passiert schon nichts." Langsam ließ das Zittern nach und vorsichtig öffnete die Braunhaarige die Augen. Dann sah sie sich vorsichtig um und blickte in die erstaunten und grinsenden Gesichter ihrer Freunde. Schlagartig war ihr diese Situation doch peinlich und sie lief rot an. Ihr Blick wanderte weiter durch den Raum und plötzlich wich ihr wieder die Farbe aus dem Gesicht, als sie etwas erblickte, was ihr gar nicht gefiel und sie extrem an einen Horrorfilm erinnerte. Erneut entwich ihr ein diesmal unterdrückter Schrei und schon hing sie wieder an einem Arm der Person, welche ihr am Nächsten war. In diesem Fall war es Yasuo, doch das interessierte sie gerade recht wenig. Sie wollte sich nur irgendwo festhalten und damit diesem Albtraum entrinnen. Sie hasste alles was mit Horror zu tun hatte. Selbst wenn es sich dabei nicht einmal um Horror handelte, aber es sich mit Szenen aus einem solcher Filme glich, dann war es bei ihr aus. Die zufallende und abgeschlossene Tür war eines davon, ebenso der plötzliche Ausfall des Lichtes. In dem Moment machte es die Tatsache, dass in diesem Dungeon keine Lampen hingen, nur noch schlimmer. Und nun hatte sie noch etwas entdeckt, was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Fragend sah Yasuo sie an: "Was ist?" Zitternd zeigte Akane auf die Wände hinter der Gruppe, wo die ganzen Schneiderpuppen mit den schönen Kleidern aufgereiht standen. Irritiert folgte die Gruppe dem Zeig der jungen Frau und auch sie erschraken leicht, als sie die Kleider sahen. Diese bestanden nur noch aus Fetzen, obwohl sie einige Augenblicke vorher noch intakt waren. Fassungslos ging Mirâ auf die Kleider zu und nahm einen der Fetzen zwischen ihre Finger, während sie sich fragte, was da gerade passiert war. Es musste passiert sein, während sie im Dunkeln standen, aber es war niemand weiter im Raum. Deshalb stand vor allem die Frage im Raum, wer das getan haben könnte. Auch Masaru betrachtete die Kleider und sah Mirâ an: "War so etwas bei uns auch passiert?" Die Violetthaarige schüttelte den Kopf ohne ihren Blick von dem Stoff zu nehmen. Der Schwarzhaarige schwieg und legte einen Finger an sein Kinn. Mirâ kam ein Gedanke, dass es hier ähnlich war, wie bei Yasuo mit dem Brief. Das hieß, diese Stimme sollte der Gruppe wohl etwas sagen... aber es klang eher wie Erinnerungen. Aber auch der Brief hatte Yasuo gequält, also musste das Problem in dem liegen, was die Frauenstimme ihnen sagte. Ihre "richtige" Arbeit. Es klang als würde Akisu noch einer weiteren Arbeit nachgehen, die ihr bei ihrem Job als Idol wohl im Weg stand. Jedenfalls verstand es Mirâ so. Ihr Blick fiel wieder auf das Stück Stoff in ihrer Hand. Wahrscheinlich hatte es mit diesen Kleidern zu tun. Sie sahen aus, wie die Kleider aus Kyos Skizzenbuch. Dazu die Skizzen auf dem Tisch. Eiferte Akisu ihrem Bruder vielleicht wirklich nach und das behinderte sie bei ihrem Job als Idol? Irgendwie war dies die einzige Antwort, die für Mirâ einen Sinn ergab. Ein erneuter Schrei ließ die Violetthaarige erschrocken herumfahren, ebenso wie ihre Freunde. "Was denn nun schon wieder?", fragte Masaru dieses Mal leicht genervt. "D-Die T-Tür...", zitternd drückte sich Akane an Yasuo und zeigte auf die Tür, welche nun wieder sperrangelweit offenstand. Ein erleichtertes Aufatmen war im Raum zu hören, gefolgt von einem genervten Stöhnen aus Kuraikos und Hiroshis Richtung. Anscheinend waren sie mit Akanes Angst vollkommen überfordert. Auch Masaru massierte sich die Schläfen, holte jedoch einmal tief Luft. Irgendwie tat ihr Akane schon seid. Ängste zu haben war natürlich vollkommen normal, aber mit diesen nicht klar zu kommen, war schon schwer. Mit besorgtem Blick beobachtete die Violetthaarige ihre beste Freundin, welche immer noch an Yasuo hing, der ebenso ein wenig überfordert wirkte. Fragend sah er erst zu seinen Freunden und dann zu der jungen Frau an seinem Arm, welche immer noch fürchterlich zitterte und die Augen wieder zusammenkniff. Er kratzte sich am Hinterkopf und schien zu überlegen, was er nun machen sollte. Allerdings erstaunte es Mirâ, wofür er sich letzten Endes entschied, als er der jungen Frau neben sich vorsichtig den Kopf tätschelte. Die Violetthaarige unterdrückte ein entzücktes quieken, indem sie die Hand vor den Mund nahm. Sie fand die Szene einfach nur niedlich und hatte absolut nicht damit Gerechnet. Akane jedenfalls schien es gut zu tun, denn sie entspannte sich langsam wieder und öffnete auch langsam wieder die Augen. Allerdings schrak sie noch einmal kurz auf, als sie eine Hand an ihrem Arm spürte, welche sich aber schnell als die von Mika herausstellte. Diese redete beruhigend auf die Ältere ein und dass sie keine Angst haben bräuchte. Auch das schien der jungen Frau zu helfen und langsam schwand ihre Angst wieder, sodass sie Yasuo vorsichtig losließ, jedoch weiter in seiner unmittelbaren Nähe blieb. Mirâ wollte diese Gelegenheit nutzen, um ihren Weg fortzusetzen. Jedoch nutzte sie noch einen Moment, um ihre Gedanken in Bezug auf Akisu und der Frauenstimme mit ihren Freunden zu teilen. Ob ihre Vermutung richtig war, würde sich wohl erst später herausstellen, aber etwas anderes konnte sie sich nicht vorstellen. Kuraiko wiederum warf in den Raum, dass es auch andersherum sein könnte und Akisu das Idol-Leben nur nebenbei führte, während sie eigentlich einem anderen Beruf nachging. Allerdings passte dies nicht mit den ganzen Interviews überein, welche die junge Frau gegeben hatte. Zudem erklärte dies nicht die zerrissenen Skizzen und Kleider. Trotzdem nahm sich Mirâ vor diesen Vorschlag im Hinterkopf zu behalten. Nachdem alles Weitere besprochen war, verließ die Gruppe den Raum und begab sich weiter in den Dungeon, welcher erneut seine Wege geändert hatte. Doch langsam ziemlich genervt von diesen ständigen Änderungen, setzten sie ihren Weg fort. Kaum waren sie einige Schritte gegangen, wurden sie bereits wieder von Shadows angegriffen. Es waren die Gleichen, wie die, denen sie schon begegnet waren, weshalb es für die Gruppe kein großes Problem war diese zu besiegen. Die kurze, wenn auch schreckhafte, Pause hatte allen geholfen sich etwas zu erholen, sodass sie wieder voller Elan in den Kampf stürzen konnten. Vor allem Akane hängte sich mächtig rein. Die Angst von vor wenigen Minuten schien nun wieder vollkommen verschwunden, während sie sich mit lautem Kampfschrei wieder auf die Shadows vor sich stürzte. Es rang Mirâ ein Lächeln ab, als sie noch einmal an den Moment in dem Raum zurückdachte, immerhin fand sie die Situation schon etwas witzig. Akane hatte Angst vor horrorähnlichen Dingen, aber nicht vor Shadows oder Dungeons, obwohl das auch teilweise echter Horror war. Sie wusste nicht, wo ihre Freundin dabei die Grenzen setzte, aber fand es lustig. Allerdings sie hoffte doch, dass Akanes Angst in diesem Dungeon nicht noch zum Problem werden würde, immerhin wussten sie nicht, welcher Shadow in der Mitte auf sie wartete. Und schon gar nicht, welcher am Ende auftauchen würde, wenn der rote Vollmond in dieser Welt erschien. Sollten dort auch solche Phänomene auftreten könnte es für Akane schwer werden zu kämpfen. Mirâ hoffte, dass ihre Ängste nicht eintreten würden, doch letzten Endes würde sie es erst erfahren, wenn es passierte. Ein Geräusch holte sie aus den Gedanken, als eine Kugel knapp an ihrem Gesicht vorbei sauste. Erschrocken zuckte sie zusammen und ging in die Hocke, bevor sie aufschaute und wieder einen der polizeiähnlichen Shadows vor sich sah, welcher seinen Revolver auf sie richtete. "Das wirst du nicht tun!", rief Masaru und griff den Shadow mit seinem Schwert an, welches dieser allerdings mit dem Revolver abwehrte und den Schwarzhaarigen von sich zurückdrängte. Neben Mirâ kam dieser zum Stehen und sah sie ernst an: "Mirâ, konzentrier dich bitte!" "J-ja! Entschuldige.", schnell stand Mirâ auf und griff nach ihrem Smartphone, mit welchem sie eine neue Persona rief, "Undine!" Über ihr erschien eine nackte junge Frau mit langen blonden Haaren und hellblauer Haut, sowie langen spitzen Ohren. Ihre roten Augen fixierten den Gegner vor sich, ehe sie ihre Hand hob und diesen mit einer Eisattacke angriff. Das Eis zerbarst und riss den Shadow mit sich, während Mirâ erleichtert aufatmete. Was für ein Schock, aber nun war sie wieder voll bei der Sache und griff nach ihren Pfeilen, welche sie nacheinander auf die weiteren Gegner feuerte und damit vernichtete. Als auch der letzte Shadow besiegt war ging die Gruppe weiter und langsam hatten sie echte Schwierigkeiten voranzukommen. Zwar hatten sie sich vor den Kampf etwas erholen könnten, doch die Erschöpfung kam schneller zurück als ihnen allen lieb war. Doch viel weiter waren sie bisher noch nicht gekommen und sollten sie wieder abbrechen, müssten sie erneut von vorn beginnen. Das wäre eine endlose Spirale, also wollten sie versuchen bis zur Mitte zu gelangen. Der Gegner, der sie dort erwartete würde jedoch schwer zu besiegen sein, wenn sie nicht fit waren. Eine schwierige Situation, doch sie mussten es versuchen. Immer wieder stellten sich ihnen Shadows in den Weg und erschwerten ihnen das Vorankommen, aber die Gruppe kämpfte sich tapfer nach vorn. Wieder blieb Mirâ vor einer Tür stehen, als sie endlich etwas Ruhe hatten und zögerte noch, diese zu öffnen. Besorgt blickte sie zurück zu Akane, welche bereits wieder kreidebleich angelaufen war. Sie versuchte sich zwar ansonsten nichts anmerken zu lassen, aber ihre Gesichtsfarbe verriet sie. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie den Raum wohl nicht einmal betreten, doch Mirâ hatte das Gefühl, dass sie dies müssten. Und auch wenn es ihr unendlich leid für ihre Freundin tat, so musste diese da nun leider durch. Also schluckte Mirâ einmal schwer und entschuldigte sich gedanklich bei ihrer besten Freundin, während sie die Tür vor sich öffnete und eintrat. Ihre Freunde folgten ihr, wobei sich Akane wieder an Yasuos Arm gehängt hatte und sich panisch zu allen Seiten umsah. Dieses Mal war Mika die Letzte die Eintrat und es kam wieder, wie bereits erwartet. Hinter dem kleinen Mädchen fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss und kurz darauf ging bereits das Licht aus. "Dieser Nichtsnutz ist nur ein Klotz am Bein und soll bleiben wo der Pfeffer wächst. Hör endlich auf ihm nachzutrauern.", erklang die wütende Stimme erneut. "A-aber er ist doch...", erklang eine sanfte und verängstigte Stimme, "Er kann das viel besser als ich. Wieso kann er nicht weitermachen?" "ER?", erklang es empört, "Männer sollten die Finger davonlassen. Sie haben überhaupt keinen Sinn dafür! Und nun hör auf über ihn zu sprechen! Es reicht jetzt! Du wirst ihn sowieso nicht finden! Denkst du ernsthaft, dass er dich erhört nur, weil du solche Lieder singst? Du wirst aufhören damit und deinen dir vorbestimmten Platz einnehmen! Hast du verstanden?" "J-Ja...", kleinlaut gab sich die andere Stimme ergeben. Dann kehrte Stille ein, doch die Dunkelheit blieb. Neben sich hörte Mirâ Akane hoffen, dass es endlich vorbei war, doch auch dann ging das Licht noch nicht an. Ein Schluchzen erklang und ließ die Braunhaarige erneut leicht aufquieken. "Wieso? Wieso versteht sie es nicht? Es ist doch alles sinnlos! Ich kann das eh nicht!", hörte man nun die andere, jüngere Stimme schluchzend sagen, welche jedoch plötzlich wütend und laut wurde, "Wieso lässt du mich mit dieser Bürde alleine? Wieso bist du einfach gegangen? Warum kommst du nicht zurück? Es reicht mir!" Das Licht ging schlagartig wieder an, was die Gruppe zusammenzucken ließ. Nur langsam gewöhnten sich die Augen aller wieder an ihre Umgebung, doch kaum hatten sie diese wieder geöffnet erblickten sie ein Bild des Chaos. Um sie herum waren die ganzen Skizzen, welche auf dem Tisch lagen, auf dem Boden verteilt und noch weiter zerrissen, als eh schon. Auch die Kleider, welche an der Wand standen waren wieder zerrissen, jedoch auch viel mehr als noch beim ersten Mal. Nun konnte man nur noch erahnen, was diese Kleidungsstücke mal sein sollten. Mit einem leisen Knarren, öffnete sich wieder die bis eben geschlossene Tür und gab den Blick wieder auf den Gang frei, doch niemanden schien das in diesem Moment zu interessieren. Fragend sahen sich alle an, während Mirâ zu Boden blickte und ihren Finger nachdenklich an ihr Kinn legte. Mit "Er" konnte in diesem Fall mit Sicherheit nur Kyo gemeint sein. Sie erinnerte sich daran, dass Kyo meinte, dass das Verhältnis zu seiner Schwester nicht das Beste wäre. Wiederum fiel ihr jetzt erst auf, dass das mit Sicherheit nur die halbe Wahrheit gewesen sein konnte. Immerhin suchte Akisu nach ihm. Das würde sie nicht machen, wenn ihr Verhältnis zu ihm gebrochen wäre. Aber vielleicht lag es auch an diesen Gedanken, die sie gerade gehört hatte. Vielleicht wollte sie auch nur das Kyo zurückkam, um diese ganze bestimmte Rolle zu spielen. Mirâ schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. In Akisus Liedern steckten so viele Gefühle, deshalb konnte sich die Violetthaarige nicht vorstellen, dass die Lieder des Idols nur deshalb existierten. Es ergab keinen Sinn. Ganz Besonders, dass es eine Rolle gäbe in der Männer nichts zu suchen hatten oder keine Ahnung hätten. Warum auch immer, aber Mirâ hatte das unbestimmte Gefühl, dass es etwas mit dem Designen zu tun hatte. Aber es wäre gelogen zu behaupten Kyo hätte davon keine Ahnung, immerhin kannte sie seine designten Skizzen und fand sie wirklich schön. Und männliche Designer gab es auf dieser Welt zuhauf. Welche Rolle konnte es also sein? "Urgh.", ihr Kopf begann zu schmerzen, weshalb sie eine Hand an ihre Stirn legte. Egal wie sehr sie darüber nachdachte. Sie kam auf keine sinnvolle Antwort. Das einzige, was ihr sinnvoll erschien wäre, dass die Mutter der Beiden ein Problem damit hatte, dass Kyo die Arbeit eines Designers machte. Aber warum sollte sie das tun? Der Blauhaarige hatte immerhin zweifelsohne Talent. Sie seufzte und hob wieder ihren Blick, nur um in die fragenden Gesichter ihrer Freunde zu schauen. Noch einmal schüttelte sie, fast unbemerkt, den Kopf und versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen, ehe sie ihren Freunden ihre Überlegungen mitteilte. Diese teilten ihre Gedanken mit ihr, konnten sich aber auch keinen Reim auf alles bilden. Zusätzlich kam Mirâ der Gedanke, dass Kyos Verlassen seiner Familie mit diesem ganzen Thema in Verbindung stand, behielt dies aber erst einmal für sich. Da die Gruppe auf keinen gemeinsamen Zweig kamen, entschlossen sie sich so weiterzugehen. Doch kaum hatte Mirâ den Raum verlassen, blieb sie ruckartig stehen, woraufhin ihr Akane in den Rücken rannte und fragte was los war. Fragend folgte sie Mirâs Blick, welcher gerade auf den Gang vor ihnen gerichtet war und entdeckte den Grund für das abrupte Stoppen ihrer Freundin. Einige Meter vor ihnen, wo vor wenigen Minuten noch ein langer Gang hinunterging, erstreckte sich nun eine Treppe, welche hinaufführte. Das Ende der Treppe jedoch war nicht zu sehen, da es ins Dunkel mündete. "Ähm... war diese Treppe vorhin schon da?", fragte Akane ungläubig. "Was für eine Treppe?", vorsichtig schob sich Masaru an den Mädchen vorbei und erblickte nun auch die Treppe vor sich. Ungläubig hob er die Augenbraue und konnte selber nicht so ganz glauben, was er dort sah. Auch er war sich sicher gewesen, dass sich noch einige Momente zuvor ein langer Gang vor ihnen erstreckt hatte. "Vielleicht hatte dieser letzte Raum eine Art Siegel gelöst.", hörte er die Braunhaarige hinter sich, "Das würde auch erklären, warum wir die ganze Zeit nicht weitergekommen waren. Vielleicht war es wichtig diesen Raum zu finden und das zu hören, damit wir weiterkommen." Stöhnend griff sich Kuraiko an die Stirn: "Langsam habe ich die Schnauze voll von dieser Welt... und vor allem zu diesen Parallelen zu irgendwelchen dummen Spielen." "Da bist du nicht die Einzige.", murmelte Hiroshi, "Ich glaub von RPGs hab ich auch in nächster Zeit die Schnauze voll." "Aber wenn jetzt der Weg frei ist sollten wir dann nicht lieber weiter?", sprach nun auch Yasuo, "Das Herumstehen macht mich müde." Als wolle der Blauhaarige seinen Satz unterstreichen gähnte er einmal genüsslich. Mirâ schaute wiederum besorgt zu der Treppe vor sich. Ein kalter Wind stieß ihr entgegen und löste eine unangenehme Gänsehaut aus. Sie kannte das Gefühl. Es war das Gleiche, wie bei den Türen vor den Zwischenbossen. Waren sie endlich an ihrem Tagesziel angelangt? Sie holte ihr Smartphone aus ihrer Tasche und öffnete das Item-Menü: "Wir sollten uns so weit heilen, wie möglich. Ich habe das Gefühl, dass uns als nächstes der Zwischenboss bevorsteht." Sie wischte mit ihrem Daumen einmal durchs Menü, um zu schauen, welche und wie viele Items zur Heilung in ihrem Inventar existierten. Erleichtert stellte sie fest, dass es wohl genügend waren, um zumindest die gröbsten Wunden zu heilen. Auch hatte die Gruppe vor einiger Zeit in einem Dungeon schon einmal Items gefunden, welche auch die seelische Kraft wieder etwas stärken konnte. Jedoch waren dies die wenigstens, sodass sie sich gut überlegen mussten, wer wie viele davon verwendete. Ihr Blick ging zu Kuraiko, welche durch ihre Mudo Angriffe bisher die meiste Kraft aufgebraucht hatte, und entschied deshalb, dass die Schwarzhaarige bei diesen Items Vorrang hatte. Den Rest teilte die Gruppe gerecht untereinander auf. Nachdem alle geheilt waren und ihre Kräfte wieder gestärkt hatten, stiegen sie gemeinsam die Stufen hinauf. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe sie das Ende der Treppe erreichten und nun vor einer Doppeltür standen. Irritiert sah Mirâ auf die Tür, welche überhaupt nicht an die Tore erinnerte, welche sie vorher immer zu den Zwischenbossen geführt hatten. Kurz zweifelte sie an sich selbst und ärgerte sich bereits, dass sie wohl sinnlos Items verbraucht hatte, da sie dachte hinter dieser Tür würde nichts auf sie lauern. Doch der kalte Wind, welcher an ihren Füßen entlang streifte und das ungute Gefühl, welches sich daraufhin erneut in ihrem Körper breitmachte, verrieten ihr, dass sie sich doch nicht geirrt hatte. Wie vor jedem Bosskampf, sah sie noch einmal zurück zu ihren Freunden, um sicher zu sein, dass jeder von ihnen bereit war in den Kampf zu ziehen. Dann öffnete sie die Tür, woraufhin die Gruppe von einem hellen Licht geblendet wurde. Vorsichtig blinzelte Mirâ und versuchte etwas zu erkennen, doch ihre Augen brauchten eine Weile, ehe sie sich an das Licht gewöhnt hatten. Nur langsam tauchten vor ihr Schemen auf, welche Form annahmen und sich in eine Art Aula verwandelten. Genau vor ihnen war eine große Bühne, welche mit Scheinwerfern beleuchtet wurde. Einige der Scheinwerfer schienen genau auf die Gruppe, was der Grund war weshalb sie geblendet wurden. Auf der Bühne entdeckte Mirâ eine unförmige Gestalt, welche reglos dastand. Noch hatte sie der Shadow also nicht bemerkt. Vorsichtig schaute sich Mirâ in der Aula um, doch egal wohin sie blickte, sie konnte keine Tür sehen, welche sie wieder herausließ. Die Violetthaarige sah vorsichtig über ihre Schulter auf die Tür, durch welche sie gekommen waren. Vielleicht mussten sie durch diese Tür wieder zurück, um weiterzukommen. Doch ihre Hoffnung wurde zerschlagen, als eben diese Tür mit lautem Knall zufiel, nachdem Mika als Letzte eintrat, und plötzlich verschwand. Erschrocken sah nun auch die Gruppe auf die Stelle, wo bis eben noch die Tür war und jedem ging in diesem Moment der gleiche Gedanke durch den Kopf: Sie waren hier gefangen. Ein Grummeln ließ die Persona-User wieder in Richtung Bühne schauen, wo sich nun das unförmige Wesen bewegte. Anscheinend war es durch den Knall der Tür aufgewacht und verlor nun keine weitere Zeit. Ein weißes Licht bildete sich um das Wesen und kurz darauf wurde der Boden unter der Gruppe schwarz mit violetten Strudeln. Lange Tentakeln bildeten sich aus dem violetten Strudel und richtete sich auf die Gruppe. "Scheiße!", hörte Mirâ noch Hiroshi fluchen, ehe sie wie vom Schlag getroffen von den Beinen gerissen und ihr schwarz vor Augen wurde. -?- Sie hörte Kindergelächter, woraufhin sie langsam ihre Augen öffnete. Ein helles Licht blendete sie, weshalb sie kurz blinzeln musste. Als sie sich jedoch an die Helligkeit gewöhnt hatte riss sie verwundert sie Augen auf. Sie stand auf einer grünen Wiese inmitten von Blumen. Rechts von ihr trieb der Fluss langsam an ihr vorbei und gab plätschernde Geräusche von sich. Wie kam sie hier her? Bis vor wenigen Minuten war sie doch noch in einem Dungeon. Erneutes Kindergelächter ließ sie aufschauen, als an ihr plötzlich zwei kleine Personen vorbeiliefen. Erschrocken musste Mirâ feststellen, dass sie diese nur ganz verschwommen wahrnahm, während die restliche Umgebung klar war. Nur schwer konnte die junge Frau erkennen, dass es sich bei den Beiden wohl um Mädchen zu handeln schien. Jedenfalls war sie sich sicher Röcke erkennen zu können. Auch meinte sie zu erkennen, dass sich die beiden Mädchen an den Händen hielten. Und sie schienen glücklich zu sein, denn das Lachen der Beiden drang ganz deutlich zu ihr vor. Obwohl es ihr schwerfiel und leichte Kopfschmerzen verursachte, beobachtete Mirâ, wie die Mädchen lachend an ihr vorbeiliefen. Doch mit einem Male blieb eines der Beiden stehen und ließ die Hand ihrer Begleitung los. Die Violetthaarige beobachtete, wie auch das andere Mädchen stehen blieb und sich zu der Anderen umdrehte. Sie sagte etwas, doch Mirâ hörte nur ein Rauschen. Plötzlich drehte sich das Mädchen, welches zuerst stehen geblieben war, mit einem Ruck zu ihr um und fixierte Mirâ mit ihrem Blick. Diese schrak auf, denn die Augen des Mädchens waren klar, wie die Umgebung... und sie waren beißend gelb. Ein unheimliches Lachen erklang, als sich die Umgebung um die Violetthaarige plötzlich begann zu bewegen und in einem affenzahn von ihr weggezogen wurde. Es war als wäre sie in einem Tunnel, weshalb so langsam Übelkeit über sie kam. Schnell schloss sie die Augen, um dem Ganzen zu entgehen. -?- Ein hohes Kichern lässt mich meine Augen schlagartig wieder aufreißen, woraufhin ich zum dritten Mal an diesem Abend geblendet werde. Doch dieses Mal ist es ein dunkelblaues Licht, welches mich blinzeln lässt. Irritiert sehe ich mich um und stelle fest, dass ich im Velvet Room gelandet bin. "Willkommen im Velvet Room.", lässt mich Igors Stimme zu der Langnase schauen, "Das war ja gerade eine sehr interessante Erfahrung, die du da gemacht hast. Was?" "Was war das?", frage ich frei heraus, doch meine Hoffnung auf eine Antwort sinkt, als Igor mit den Schultern zuckt. Dann grinst er mich an: "Eine gute Frage. Nicht wahr? Ich kann dir nur so viel dazu sagen, dass es mir scheint als habe nun das Rad des Schicksals angefangen sich endgültig zu drehen. Außerdem scheint es so, als habe >Er< dich gefunden." "Er?", ist meine nächste Frage, "Und wieso gefunden?" Wer soll mich denn finden? Wer hat mich gesucht? War das wieder eine dieser merkwürdigen Visionen, die ich seit neustem habe? Was sollte sie mir aber zeigen? Mein Kopf beginnt erneut zu dröhnen, weshalb ich meine Hände an meine Schläfen lege. "Was hat das alles zu bedeuten?", frage ich mehr an mich, als an Igor gerichtet. Igor und Margaret schweigen, doch im Augenwinkel erkenne ich, wie sie sich kurz ansehen und die Langnase kurz darauf nickt. "Also schön. Ich gebe dir noch etwas auf den Weg. Der Angriff des Shadows, gegen den ihr im Begriff seid zu kämpfen, scheint etwas in dir ausgelöst zu haben. Diese Visionen, die du siehst, sie gehören zu dir... sind mit dir verwoben. Allerdings fällt es ihm dadurch leichter, dich ausfindig zu machen.", er verschränkt seine Finger und legt sein Kinn auf die dadurch entstandene Brücke, "Ich spüre, dass er sich dir bald zeigen wird und wenn dieser Moment gekommen ist, dann beginnt es richtig. In dem Moment, wo du auf ihn triffst, wird der steinige und schwere Weg für dich beginnen. Ich bin gespannt, wie du darauf reagieren wirst." Ein erneutes Grinsen bildet sich auf Igors Gesicht, als ich merke, wie die Sicht um mich herum langsam verschwimmt. "Wie es scheint ist es an der Zeit. Bis zum nächsten Mal. Lebewohl." Nun verschwimmt gänzlich das Bild um mich herum und ich tauche in tiefe Finsternis. Dungeon "...râ! MIRÂ!", hörte sie ein lautes Rufen, weshalb sie aufschrecken und mit einem Mal in zwei besorgte rote Augen schauen ließ. Irritiert sah die Violetthaarige auf das Mädchen, welches sich über die beugte. Sie sah aus wie Mika, doch ihr Gesicht war um einiges jünger. Auch ihre Haare waren etwas kürzer und fielen ihr locker über die Schulter. Verwirrt blinzelte die junge Frau und das Bild um sie herum nahm andere Formen an, bevor sie wirklich in Mikas leicht verdrecktes Gesicht sah. Diese lächelte nun besorgt: "Ein Glück, dir geht es gut." Langsam richtete sich Mirâ auf, während sie sich auf ihre Ellenbogen stützte und so hochdrückte: "Was ist passiert?" Mikas Blick wanderte durch die Aula, in welcher sich Mirâ nun wieder befand, und genau auf den Shadow, der einige Meter von ihnen entfernt auf der Bühne stand: "Dieser Shadow hat euch unerwartet mit Mamudo angegriffen. Daraufhin bist zu zusammengebrochen. Obwohl Kuraiko dich geheilt hatte, warst du nicht aufgewacht. Ich bin bei dir geblieben..." Langsam kamen Mirâs Erinnerungen an den Vorfall wieder und sie vermischten sich mit den Erinnerungen an ein Gespräch mit Igor, an welches sie sich aber aus irgendeinem Grund nur noch ganz schwach erinnern konnte. Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet. Auch sie schaute nun zu dem Shadow, welcher von Akane, Masaru, Yasuo und Kuraiko angegriffen wurde: "Wie lange war ich bewusstlos?" "Nur einige Minuten. Im Gegensatz zu Hiroshi.", Mikas Blick schwenkte hinüber, woraufhin Mirâs ihr folgte und Hiroshi an der Wand gelehnt vorfand, "Ihn hat es noch schlimmer getroffen, aber Kuraiko konnte ihn so weit heilen, dass er außer Lebensgefahr ist." Erleichtert atmete Mirâ auf und war froh, dass ihrem Kumpel nichts Schlimmeres passiert war, immerhin war Mudo seine größte Schwäche. Das war wohl auch der Grund, weshalb er so geflucht hatte, als ihm auffiel mit welcher Attacke sie angegriffen wurden. Langsam stand Mirâ auf und ging auf Hiroshi zu, bevor sie ihm vorsichtig einen Klapps auf die Wange gab. Es dauerte eine Weile, bevor der Blonde langsam zuckte und vorsichtig die Augen öffnete. Er schien auch einen Moment nicht zu wissen wo er war und wie er hierhergekommen war, weshalb ihm Mirâ ruhig zuredete und erklärte was passiert war. Danach erhob sie sich wieder und bat Mika, sich noch etwas um Hiroshi zu kümmern, bevor sie langsam Richtung Bühne ging. Währenddessen kämpften Akane, Yasuo, Masaru und Kuraiko bereits gegen den Shadow, welcher die Form eines Schlosses auf zwei Beinen hatte. Zwischen zwei Türmen und einer hohen Mauer, ragte ein langer Kopf hervor, welcher mit einer violetten Kronenmaske verziert war. Sie hatten zu viert mächtige Probleme mit diesem Gegner, da er gegen ihre Angriffe entweder resistent war oder in Kuraikos Fall sogar Attacken wie Dunkelheit wieder zurückwarf. Auch Yasuos Angriff mit Zio hatte nichts gebracht, da der Shadow diese Energie nur zum Aufladen seiner eigenen Kraft nutzte. Attacken wie Feuer gingen zwar durch, aber richteten kaum Schaden an. Einzig allein Masarus Wind Angriffe erreichten den Shadow, wenn er diesen nicht auswich, und ließen das Wesen zu Boden gehen. Doch ein gemeinsamer Angriff zu viert brachte nicht viel, sodass der Gegner im nächsten Moment schon wieder auf den Beinen war und wieder zu einer Attacke ausholte. "Lästiges Vieh!", schimpfte Akane mit bösem Blick auf den Gegner gerichtet und erschrak, als neben ihr ein Pfeil vorbeiflog und den Gegner im Gesicht traf. Kurz wurde dieser zwar zurückgeworfen, doch kurz darauf stand er bereits wieder aufrecht. Erleichtert drehte sich die Braunhaarige um, nur um festzustellen, dass ihre beste Freundin wieder auf den Beinen war. "Wie mir scheint könnt ihr etwas Hilfe gebrauchen.", grinste diese ihre Freunde an. Kuraiko schnaubte nur: "Wird ja auch langsam Zeit!" "Entschuldigt bitte. Aber jetzt bin ich kampfbereit.", die Violetthaarige kramte ihr Handy heraus und kurz darauf bildete sich bereits um sie herum ein blaues Licht. Einen Moment später erschien Hemsut auf der Bildfläche und griff den Gegner sogleich mit "Bufu" an. Zu Mirâs erschrecken musste sie feststellen, dass dieser Angriff nicht viel brachte, denn der Shadow schien sich nicht einmal daran zu stören. Stattdessen leuchtete um den Shadow ein weißes Licht und kurz darauf hatte Mirâ das Gefühl von etwas Scharfem am Arm geschnitten zu werden. Ein kleiner Riss bildete sich in ihrem Oberteil und ein kleiner dünner Rinnsal an Blut floss heraus. Sich den schmerzenden Arm haltend ging Mirâ in die Knie und beobachtete wie Akane den Gegner mit ihren Judokünsten angriff. Ein Frisbee flog knapp an Mirâ vorbei und ebenfalls auf den Gegner zu, doch prallte dieses Mal an ihm ab, nur um einen Moment später wieder zu seinem Besitzer zurückzukehren. Währenddessen hatte Kuraiko Anlauf genommen und stürmte auf den Shadow zu, während sie mit ihrer Sense ausholte und diese kurz darauf auf ihn niedersausen ließ. Das Schlossförmige Wesen wurde zurückgedrängt, doch ließ ansonsten keine weitere Reaktion blicken. "Senpai, versuch es noch einmal mit einer Windattacke.", rief Akane Masaru zu. Dieser nickte und zog sein Smartphone hervor, nur um einen Moment später Harachte zu rufen, welcher mit einer starken Windattacke angriff. Es wirkte, der Shadow ging zu Boden. Langsam stand Mirâ wieder auf und auch wenn ihr Arm schmerzte, so nickte sie ihren Freunden zu, um im nächsten Moment gemeinsam auf ihren Gegner loszugehen. Dieses Mal richtete der Angriff wesentlich mehr Schaden an, doch der Shadow verschwand immer noch nicht. Schnell nahmen die fünft wieder Abstand von ihrem Gegner, um schneller reagieren zu können, sobald er angriff. Just in diesem Moment bildete sich wieder ein weißer Lichtkreis um diesen, doch noch bevor eine Attacke kommen konnte flog ein Ball zwischen der Gruppe hindurch und traf den Gegner genau an der Maske. Wieder ging er zu Boden und der Angriff war abgebrochen. Erstaunt sahen alle hinter sich, wo sie Hiroshi sahen, welcher langsam auf sie zukam. "Na ausgeschlafen, Dornröschen?", fragte Kuraiko mit einem Grinsen. Der Blonde erwiderte dieses Grinsen: "Halt die Klappe." Auf Höhe von Mirâ blieb er stehen und nickte ihr zu. Auch diese nickte und erneut griff die Gruppe gemeinsam an. Jeder der sechs nutzte noch einmal seine allerletzte Kraft und legte sie in diesen Kampf. Dieses Unterfangen wurde endlich mit Erfolg gekrönt, denn der Shadow löste sich nach ihrem Angriff mit lautem Brüllen in einer Nebelwolke auf. Kapitel 49: XLIX – Kuraikos Rebellion [edited] ---------------------------------------------- Sonntag, 09.August 2015 Vibrierend und laute rockige Musik abspielend, rutschte das violette Handy über den schwarzen Nachttisch, während eine laute hohe Frauenstimme durch den Raum schallte. Eine Hand tastete sich vorsichtig über die glatte Fläche des Schränkchens, bevor sie das nervige Etwas ertastete und mit einem Ruck drauf knallte, nur um es kurz darauf von der Erhöhung zu ziehen und damit unter einer schwarzen, mit violetten Schmetterlingen verzierten Bettdecke zu verschwinden. Einen Moment später verstummte die Musik wieder und Stille kehrte in den Raum ein, welcher mit schwarzen Möbeln eingerichtet war und an dessen weißen Wänden sich hier und da fliederfarbene Streifen wiederfanden. Lange hielt diese Stille jedoch nicht an, denn einige Minuten später regte sich jemanden unter der schwarzen Bettwäsche, welche kurz darauf schwungvoll zur Seite geschlagen wurde und darunter Kuraiko zum Vorschein kam. Diese setzte sich murrend auf und blickte auf das Smartphone in ihrer Hand, welches mit großen Zahlen anzeigte, dass es 9 Uhr war. Einen erneuten murrenden Ton von sich gebend, ließ die Schwarzhaarige ihren Kopf auf ihre Decke sinken, die immer noch zum Teil auf ihrem Schoß lag. Sie bereute in diesem Moment ihre Entscheidung sich den Wecker gestellt zu haben, obwohl sie hätte ausschlafen können, allerdings hatte sie dies nicht ohne Grund getan. Trotzdem hätte sie lieber den Tag im Bett verbracht. Sie war total fertig und übermüdet. Der Kampf im Dungeon am vergangen Abend hatte sie geschlaucht, was sie vor allem dem Einsatz ihrer Fähigkeiten zu verdanken hatte, welche einiges an ihrer physischen Kraft verbraucht hatte. Sie wusste, dass es ihren Freunden wohl nicht anders ergehen mochte und war auch froh darüber, dass sie entschieden hatten sich diesen Tag frei zu nehmen, um Kraft für den zweiten Part des Dungeons zu tanken. Trotzdem bereute sie es langsam, sich dazu entschieden zu haben den anderen im Kampf zu helfen, obwohl sie es schon interessierte warum das alles geschah. Aber für den heutigen Tag wollte sie von alledem nichts mehr wissen. "Urgh... verdammter Dungeon...", murmelte sie in die kuschlige Decke, welche sie regelrecht dazu einlud, sich wieder darin einzuwickeln. Allerdings widerstand Kuraiko schweren Herzens der Versuchung sich wieder in ihre Decke einzurollen und schob stattdessen ihre Beine aus dem Bett, nur um sich einen Moment später von der weichen Matratze zu erheben. Sich kurz streckend legte sie ihr Smartphone zurück auf den Nachttisch und ging langsam auf ihren Kleiderschrank zu, welcher gegenüber von ihrem Bett stand. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild, welches von der verglasten Schranktür zu ihr herübersah, woraufhin ihr ein genervtes Seufzen entwich und sie sich durch die Haare strich. Sie liebte ihre Frisur, aber diese hatte einen entscheidenden Nachteil: Am frühen Morgen sah sie immer aus, als hätte sie in eine Steckdose gefasst. Ihre Haare schienen sich über Nacht dazu entschlossen zu haben ein Eigenleben zu führen und standen ihr nun zu allen Seiten wirr ab, sodass sie sogar Yasuo Konkurrenz machen konnte. Auch ihr violett gefärbter Pony und die etwas längere violette Strähne, machten was die wollten. Wie froh sie doch in diesem Moment war, dass keiner ihre Freunde sie so sah, denn wenn sie eines nicht leiden konnte, dann waren es Späße auf ihre kosten. Und sie wusste genau, dass vor allem Hiroshi diese Situation eiskalt ausnutzen würde. Noch einmal strich sie sich durch ihre Haare und trat nun direkt vor den großen Kleiderschrank, um sich endlich ein paar Sachen für den Tag zusammenzusuchen. Seufzend rückte sie noch ein Stück näher an den Spiegel und hob ihren Pony etwas an, sodass sie die Ansätze sehen konnte, welche sich langsam aber sicher wieder schwarz hervor hoben. "Da werde ich wohl demnächst wieder färben müssen.", murmelte sie und schob die große Tür zu Seite, um so ihren Schrank zu öffnen, in welchem sich vor allem schwarze und allgemein dunkle Klamotten befanden. Nur die Jacke, sowie der Rock ihrer Schuluniform stachen durch die rote und weiße Farbe extrem heraus. Diese beiden Dinge gekonnt ignorierend griff sie sich eine schwarze Leggings und ein sehr langes, aber ärmelloses, graues Oberteil und legte beides auf ihr Bett, bevor sie ihr Zimmer verließ und im anliegenden Bad verschwand, um sich für den Tag fertigzumachen und ihre Haare zu zähmen. Eine gute halbe Stunde später betrat sie die leere Küche und seufzte. Ihre Eltern waren also in der Bäckerei, welche sich unter der geräumigen Wohnung befand. Sie presste ihre Lippen fest zusammen, sodass sie beinahe einen Strich formten. Ihr war klar, dass ihre Eltern ihren Job als Bäcker liebten, jedoch war sie der Meinung, dass sie etwas ruhiger treten und sich auch mal Urlaub gönnen könnten. Stattdessen standen sie jeden Tag unten in der Backstube und hinter dem Tresen der Bäckerei. Selbst an den Tagen, wo ihr Laden offiziell geschlossen hatte, waren sie in der Früh dort, um bestellte Brote für ihre Stammkunden zu fertigen. Seufzend schüttelte Kuraiko den Kopf und ging auf die marmorierte Arbeitsplatte zu, welche sich vor ihr befand und auf der sie ein kleines Körbchen mit frisch gebackenen Brötchen vorfand. Davor lag ein kleiner Zettel, auf dem ihre Mutter ihr in Schönschrift einen guten Hunger wünschte. Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht der Schwarzhaarigen, als sie sich daran erinnerte, dass ihre Mutter das an den Wochenenden früher schon immer gemacht hatte. Doch so schnell, wie das Lächeln kam, war es auch schon wieder verschwunden und sie hatte nach dem Korb gegriffen und es auf den großen Esstisch gestellt. Einen Augenblick später hatte sie sich bereits wieder umgedreht, um alles für ihr Frühstück zusammenzusuchen und es auf dem Tisch zu verteilen. Frisch gestärkt stand die Schwarzhaarige etwas später im Flur vor der Wohnungstür und zog sich ihre schwarzen knöchelhohen Chucks über. Während sie sich wieder erhob schnappte sie sich ihre Tasche und legte sich diese über die Schulter. Dabei fiel ihr Blick auf die Galerie, welche ihre Mutter vor einigen Jahren über der Garderobe angebracht hatte und die aus mehreren mit Fotos bestückten Bilderrahmen bestand, die sie gemeinsam mit ihrer Familie zeigten. Immer, wenn man die Wohnung betrat, wurde man unweigerlich von diesen Bildern begrüßt, was wohl auch der Grund dafür war, dass ihre Mutter sie angebracht hatte. Kuraikos Blick wanderte wie schon viele Male zuvor über die verschiedenen Fotos und blieb dabei an einem hängen. Dieses zeigte sie als kleines Mädchen gemeinsam mit ihren Großeltern vor deren Gewächshaus. Fröhlich hatte sie, mit ihren damals noch langen und zu Zöpfen gebundenen schwarzen Haaren, in die Kamera gelächelt. Die knallig gelben Gummistiefel, die sie damals trug passten überhaupt nicht zu ihrem hellvioletten Kleid, welches allerdings ziemlich schmutzig wirkte. Auch ihre Wangen und Arme waren voller Dreck und in ihrer linken Hand hielt sie eine kleine Schaufel. Sie an sich gedrückt kniete ihr Großvater neben ihr, während ihre Großmutter freundlich lächelnd daneben stand. Ein wehmütiger Blick zierte plötzlich das Gesicht der jungen Frau. Früher war dies ihr Lieblingsbild gewesen. Damals... als ihre Großeltern noch lebten. Sie hatte Beide sehr geliebt und nur ungern erinnerte sie sich an die letzten zwei Jahre, in denen erst ihr Großvater einer schweren Krankheit erlegen und ihre Großmutter ihm kurz darauf gefolgt war. Seither war auch das Gewächshaus verlassen, denn ihre Mutter, welche dort sozusagen aufgewachsen war, hatte sich für das Leben einer Bäckerin und Konditorin entschieden, anstatt für das einer Botanikerin und wollte das Gewächshaus deshalb nicht übernehmen. Kuraiko senkte den Blick und knirschte hörbar mir den Zähnen. Sicher, sie konnte ihrer Mutter nicht verdenken, dass sie ihre eigenen Entscheidungen getroffen hatte, aber sie konnte und wollte nicht verstehen, wieso sie das Gewächshaus einfach so verkaufen konnte. Ihre Mutter meinte, dass sie weder die Zeit noch die Mittel hätten, dieses Gebäude weiter zu betreiben, so schwer es ihr auch fallen mochte. Kuraiko verstand es dennoch nicht, denn sie hatte ihren Eltern angeboten sich darum zu kümmern, doch diese blockten weiter ab und das war es, was die Schwarzhaarige zur Weißglut brachte und weshalb sie letzten Endes sogar in der Spiegelwelt gelandet war. Wiederum spornte das Verhalten ihrer Eltern sie an, denn nun wollte sie ihnen erst Recht beweisen, dass sie es schaffen konnte. Und aus diesem Grund war sie an diesem Tag so zeitig aufgestanden. Noch einmal kurz sah die junge Frau auf das Foto, bevor sie sich abwandte und die Wohnung verließ. Noch kurz gab sie ihren Eltern Bescheid, bevor sie sich auf den Weg zum Park machte, in welchem das Gewächshaus ihrer Großeltern stand. Es dauerte keine dreißig Minuten, bis die junge Frau das besagte Gewächshaus erreicht hatte. Wehmütig blickte sie auf das aus Glas bestehende Gebäude, um welches rundherum unzählige wilde Pflanzen wucherten. Sie war schon eine ganze Weile nicht mehr hier gewesen und das tat ihr in der Seele weh, aber in der letzten Zeit war so viel passiert, dass sie gar keine Zeit gefunden hatte. Doch das sollte sich ab heute wieder ändern. Sie würde sich die Zeit einfach nehmen, egal wie. Nur um ihren Eltern zu beweisen, dass sie das Gebäude, an welchem ihr Herz so hing, niemals aufgeben würde. Noch einmal zu sich selbst nickend setzte sie sich in Bewegung, während sie einen Schlüssel aus ihrer Tasche kramte, um damit sie verschlossene Tür zu öffnen. Kaum war dies geschehen und die Tür aufgezogen, kam ihr stickige, warme Luft entgegen, durch welche sich sogleich kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn bildeten. Einmal ihren Pony anpustend, betrat sie das stickige Gebäude und riss erst einmal alle Fenster auf, die zu öffnen gingen, bevor sie sich umsah. Sie stand inmitten von Pflanzen, die allerdings alle schon bessere Tage gesehen hatten. Die meisten von ihnen hatten die heißen Temperaturen der letzten Tage nicht vertragen und waren deshalb eingegangen. Auch das Beet, welches sich zu ihrer Linken über die gesamte Fläche nach hinten durch das Gebäude erstreckte, sah völlig verwüstet aus. Von den Pflanzen, welche zu ihrer Rechten auf den dort aneinander gereihten Tischen standen, wollte sie gar nicht erst anfangen. Ebenso wenig von den ganzen Töpfen, welche hier und da kaputt verstreut herumlagen. Seufzend kratzte sie sich am Hinterkopf und versuchte das gesamte Ausmaß des Chaos' zu überblicken. Da hatte sie einiges vor sich. Noch einmal seufzte die Schwarzhaarige und griff dann erneut in ihre Tasche, um mit einem gekommen Griff eine schwarze Schürze und ein paar Gartenhandschuhe herauszuholen, welche sie sich überzog, nachdem sie ihre Tasche zur Seite gestellt hatte. Noch einmal schaute sie über das ganze Chaos, bevor sie sich an die Beseitigung des dessen begab. Ihr Ziel an diesem Tag war es, die abgestorbenen Pflanzen und das Unkraut zu beseitigen, sowie die Beete umzugraben. Neue Setzlinge würde sie die Tage besorgen, wenn sie mit dem Gröbsten fertig war. So hatte sie sich das jedenfalls vorgestellt, doch das ganze Chaos ins Reine zu bringen erwies sich als Zeitaufwendiger als sie anfangs dachte und sie musste feststellen, dass es wohl einige Tage mehr in Anspruch nehmen würde. So versuchte sie wenigstens an diesem Tag so viel wie nur irgend möglich fertigzubekommen. Der Himmel färbte sich bereits Orange, als Kuraiko das Gebäude verließ. Seufzend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und sah noch einmal durch die geöffnete Tür auf ihre heute getane Arbeit und das nun doch etwas geordnete Inventar. Obwohl sie nicht alles geschafft hatte, was sie sich für diesen Tag vorgenommen hatte, war sie mit sich selbst zufrieden. Selbst das Unkraut, welches immer noch rund um das Gebäude wucherte störte sie in diesem Moment relativ wenig. In den nächsten Tagen musste sie ohnehin noch einmal hierherkommen. Die Sommerferien gingen noch eine Weile, deshalb war sie zuversichtlich, den Rest auch noch zu schaffen. „Naja… das war’s für heute.“, sich noch einmal streckend, wandte sich die junge Frau der Tür zu, um diese wieder zu verschließen, bevor sie sich auf den Heimweg begab. Dabei nahm sie einen kleinen Umweg und nutzte diese Gelegenheit für einen Spaziergang durch den Park. Dieser war einer von mehreren in der Stadt und auch nicht so anders, als die Anderen. Doch vor rund 50 Jahren, als die Stadt in Geldnot geriet und die Parks teilweise nicht mehr ordentlich betreiben konnte, wurden hier, genau in diesem Park, mehrere Grundstücke zum Kauf angeboten. Ihre Großeltern waren ein Paar von mehreren, welches eines der Grundstücke kaufte und darauf Gewächshäuser baute, denn das war die Voraussetzung für den Verkauf. Die meisten der Gebäude waren sogar noch in Besitz der ursprünglichen Käufer oder dessen Nachkommen. „Unseres leider nicht mehr lange, wenn nichts geschieht.“, ging es Kuraiko durch den Kopf und sie senkte wehmütig den Kopf, "Wenn ich doch nur mehr tun könnte. Es tut mir so leid, Obaa-Chan, Ojii-Chan.“ Eine leise Stimme drang plötzlich an ihr Ohr und ließ sie wieder aufblicken und sich umschauen. Sie stand an einer kleinen Weggabelung zwischen mehreren Bäumen. Ein Wegweiser vor ihr zeigte ihr an, dass sich zu ihrer Rechten der Ausgang befand und der Weg zu ihrer Linken zu einem Spielplatz führte. Wieder hörte sie die Stimme und ihr Blick richtete sich auf den Weg, welcher sich zu ihrer Linken befand, und langsam wurde sie neugierig. Es war eine männliche Stimme, welche an ihr Ohr drang, doch was sie am meisten irritierte und ihre Neugier geweckt hatte war, dass diese Stimme zu singen schien. Jedenfalls hörte sie sich sehr melodisch an, aber wer war so verrückt mitten in einem Park zu singen? Die Stimme wurde klarer, je näher sie dem Spielplatz kam und endlich konnte sie auch verstehen, was gesungen wurde. „Should've stayed, were there signs, I ignored? Can I help you, not to hurt, anymore? We saw brilliance, when the world, was asleep There are things that we can have, but can't keep If they say" Sie kam an dem Spielplatz an und lauschte weiterhin der klaren Stimme, welche über die freie Fläche schallte. Im langsam dämmrigen Licht erkannte sie schemenhaft einen jungen Mann, welcher etwas weiter von ihr entfernt auf einer Bank saß und gen Himmel starrte. Außer ihr und der Person war niemand sonst an diesem Platz. Ganz deutlich konnte sie das Lied hören, welches aus der Richtung des jungen Mannes kam. "Who cares if one more light goes out? In a sky of a million stars It flickers, flickers Who cares when someone's time runs out? If a moment is all we are We're quicker, quicker Who cares if one more light goes out? Well I do“ * Sie kannte das Lied. Es war von einer bekannten amerikanischen Nu Metal Band und es stimmte sie traurig. Die Art, wie die Person dieses Lied zum Besten brachte, machte die ganze Sache nicht wirklich einfacher, denn an der Stimme erkannte sie, dass denjenigen etwas mächtig belastete. Doch je länger sie dem Lied lauschte, desto mehr musste sie auch an ihre Großeltern denken und die letzten Monate, die sie mit ihnen verbracht hatte. Tränen stiegen ihr langsam in die Augen, welche sie genervt versuchte wegzuwischen, doch sie flossen unweigerlich nach, sodass sie ihr irgendwann über die Wangen liefen. Genervt stöhnte sie auf und wischte das Wasser wieder aus ihrem Gesicht. Leichte Wut stieg in ihr auf, darüber, dass diese Person es wagte sie zum Weinen zu bringen und wieder einmal war sie froh, dass keiner ihrer Freunde in der Nähe war und sie sehen konnte. Das Lied endete und so konnte sie wieder Herr über ihren Körper werden und auch die letzten Tränen wegwischen. „Fuka-Chan?“, hörte sie plötzlich eine ihr bekannte Stimme, welche sie unweigerlich zusammenzucken ließ. Erschrocken drehte sie ihren Kopf zur Seite und erkannte Shuya, welcher sich von der Bank erhob und auf sie zukam. Irritiert sah sie den Violetthaarigen an, während dieser immer näher kam. Ihr Gehirn begann auf Hochtouren zu laufen, denn das was ihr gerade durch den Kopf ging, konnte sie in keine richtige Reihenfolge bringen. Natürlich hatte sie vor zwei Tagen bereits durch Hiroshi erfahren, das Shuya in einer Band spielte, jedoch hätte sie niemals gedacht, dass er auch tatsächlich singen konnte. Nun stellte sie allerdings fest, dass er ein ziemliches Goldstimmchen besaß und dazu auch noch solch melancholische Lieder singen konnte, doch genau diese Erkenntnis konnte sie nicht mit dem Bild von Shuya in Einklang bringen, welches sie eigentlich sonst von ihm hatte. Er war immerhin eine dauergrinsende Nervensäge, der nichts Besseres zu tun hatte, als seinem weiblichen Fanclub schöne Augen zu machen und mit allen möglichen Mädchen zu flirten, sie mit eingeschlossen, auch wenn es da nur beim kläglichen Versuch blieb. Ihn nun so ernst zu sehen, war für sie neu. Natürlich hatte sie auch schon eine ernste Seite von ihm kennenlernen dürfen, als er den Streit zwischen Akane und Hiroshi geschlichtet hatte, doch hier war es anders. Das hier war kein Streit unter Freunden, den er schlichten wollte, in dieser Ernsthaftigkeit steckte etwas viel Tiefgründigeres. Konnte es wirklich sein, dass sogar diese Grinsekatze Shuya ernsthafte Probleme hatte? Eine Hand an ihrer Wange ließ sie aufschrecken und zurückweichen. Erschrocken sah die Schwarzhaarige ihren Klassenkameraden an, welcher seine Hand ebenso erschrocken wieder etwas zurückgezogen hatte und sie nun mit besorgten, violettblauen Augen betrachtete. Auch dieser Blick, ließ sie stutzig werden, denn auch diesen kannte sie von dem jungen Mann nicht. „Was soll das?“, fragte sie wütend, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Beschwichtigend hob ihr Gegenüber die Hände: „Entschuldige. Mir war nur so als… Hast du geweint?“ Röte stieg ihr ins Gesicht: „W-wie kommst du darauf?“ „Weil deine Wange ganz nass ist.“, kam seine rasche, aber tot ernst gemeinte Antwort, „Hast du irgendwelche Probleme? Vielleicht kann ich dir helfen.“ „Als ob du das könntest. Außerdem habe ich keine Probleme.“, schimpfte die Schwarzhaarige. Irgendwie kam ihr dieses Gespräch absolut surreal vor, denn seine Ernsthaftigkeit verwirrte sie zunehmend. Trotzdem spürte sie das plötzliche Kribbeln in ihrem Magen, als die violettblauen Augen des jungen Mannes sie besorgt musterten. Dieses Gefühl machte sie wütend. Sie wollte es nicht spüren, vor allem nicht in seiner Nähe. Seine Art und wie er ständig über alles hinweg lachte, regte sie tierisch auf. Und das sie plötzlich Herzklopfen in seiner Nähe bekam nervte sie, denn wenn sie eines wusste, dann war es die Gewissheit nicht in diese dauergrinsende Nervensäge verliebt zu sein. Jedenfalls redete sie sich das immer wieder ein, auch wenn ihr Körper in diesem Moment wohl ganz andere Signale sendete. Aus diesem Grund versuchte sie ihm eigentlich ständig aus dem Weg zu gehen, was sich in letzter Zeit als extrem schwierig herausstellte, immerhin war der junge Mann der beste Kumpel von Hiroshi. Um diesem nervigen Gefühl zu entkommen drehte sie sich ruckartig um. Sie musste weg hier. Weg von ihm, sonst würde sie wohl noch die Geduld verlieren und ihm den Hals umdrehen. „I-Ich muss nach Hause.“, murmelte sie nur und wandte sich von ihm ab. „Soll ich dich begleiten? Es wird schon dunkel.“, fragte Shuya vorsichtig. „Nein danke! Ich brauche deine Hilfe nicht.“, damit war für die Schwarzhaarige das Gespräch beendet und sie rannte davon. Zurück blieb ein irritiert und besorgt drein blickender Shuya, welcher der jungen Frau nachschaute. Hastig rannte die Schwarzhaarige in Richtung Ausgang. Ihr Gesicht glühte, das merkte sie, und sie verfluchte ihr Herz dafür, dass es nicht aufhören wollte zu rasen. Wieso musste sie in seiner Nähe so fühlen? Das wollte sie nicht. Wieso wusste sie nicht, denn der junge Mann war im Grunde keine schlechte Partie und fast jedes Mädchen in ihrer Klasse riss sich um seine Aufmerksamkeit. Doch diese schenkte er sehr oft vor allem ihr und wäre sie wie die anderen Mädchen, dann müsste sie wohl überaus glücklich sein. Doch sie war nicht wie die Anderen. Sie wollte seine Aufmerksamkeit nicht. Doch noch während ihr dieser Gedanke kam, fühlte sie den kleinen Stich in ihrem Herzen. Und wieder verfluchte sie dieses. Es sendete ihr eindeutige Signale, aber sie wollte sie nicht wahrhaben, nicht spüren. Unaufmerksam wie sie war, bemerkte sie nicht die Person, welche gerade durch das Eingangstor des Parks wollte und rannte diese plötzlich um. Schmerzhaft landete sie auf ihrem Hintern und wollte die Person anschreien, dass sie gefälligst besser aufpassen sollte, als ihr jedoch sofort eine Hand gereicht wurde und sie auf einen jungen Mann blickte. Er trug eine schwarze Lederjacke und ein weißes Shirt. Dazu eine enge Jeanshose. Seine Haare hatte er zu einer merkwürdigen Tolle gekämmt, sodass sich Kuraiko vorkam, als wäre sie in einem Film aus den Fünfzigern gelandet. „Entschuldige. Ist dir was passiert?“, fragte er freundlich. „Nein, schon gut.“, murmelte die Schwarzhaarige und stand auf, die helfende Hand ihres Gegenübers ignorierend. Dieser ließ es sich jedoch nicht nehmen, ihr trotzdem aufzuhelfen, was die junge Frau als eher nervig empfand. „Hey… du bist ja hübsch.“, meinte er plötzlich. „Bitte was?“, erschrocken sah Kuraiko ihn an, während langsam Wut in ihr aufstieg, was wohl auch seiner Hand zu verdanken war, die immer noch an ihrer Hüfte ruhte. „Ich meine das ernst. Hast du Lust mit mir etwas trinken zu gehen?“, fragte er plötzlich. Schnell trat die Schwarzhaarige einen Schritt zurück, um sich so aus seinem Griff zu befreien: „Hast du sie noch alle? Ich geh doch nicht mit jedem dahergelaufenen Typen, der mich umrennt, was trinken.“ „Hey jetzt sei mal nicht so zickig.“, er griff nach Kuraikos Handgelenk, während sein erst freundlicher Ton langsam mürrisch wurde, „Immerhin hast du mich umgerannt. Du bist mir also was schuldig.“ „Ich bin dir gar nichts schuldig. Jetzt lass mich los und verschwinde.“, schwungvoll versuchte die junge Frau ihren Arm aus seinem Griff zu befreien, doch er ließ sie nicht los. Stattdessen wurde sein Griff eher stärker. Kuraiko war kurz davor zu explodieren und sie verfluchte diesen Typen, der es wagte sie so zu behandeln. Am liebsten hätte sie ihm den Hals umgedreht, doch dafür bräuchte sie ihre zweite Hand und diese hielt er immer noch fast. Plötzlich trat er näher an sie heran, woraufhin sie zurückweichen wollte, doch dann an den Steinpfeiler stieß, welcher das metallene Tor zum Park hielt. Erschrocken sah sie wieder nach vorn und erkannte sein grinsendes Gesicht. Gemischte Gefühle übermannten sie… Wut und Angst kamen gleichermaßen in ihre auf und sie suchte eine Möglichkeit dem Ganzen so schnell wie möglich zu entkommen. Eine Hand griff plötzlich nach dem Arm des jungen Mannes und zog ihn zur Seite, wodurch er endlich Kuraikos Handgelenk losließ. Doch kaum war sie frei, griff wieder eine Hand nach ihr und zog sie von dem Pfeiler weg. Erschrocken schloss sie kurz die Augen und versuchte das Gleichgewicht nicht zu verlieren, doch als sie diese wieder öffnete erkannte sie einen breiten Rücken und violettblaue, leicht gewellte schulterlange Haare. „Hey lass die Pfoten von ihr.“, drang Shuyas wütende Stimme an ihr Ohr, „Und wenn du nicht gleich nen Abgang machst, dann wird es unangenehm für dich. Die Polizei hab ich nämlich schon verständigt.“ Ein Lachen drang zu ihr herüber: „Das glaubst du doch selbst nicht. Denkst du ernsthaft damit könntest du mich verarschen?“ Shuya blieb ruhig: „Willst du es austesten?“ Der junge Mann ihm gegenüber zuckte kurz zurück und schien dann zu überlegen, bevor er die Hände in die Taschen schob und mit den Worten „mit so nem Kind macht es eh keinen Spaß“ davon stolzierte. Besorgt sah Kuraiko ihm nach und wandte dann ihren Blick wieder auf den Violetthaarigen vor sich, welcher seinem Gegenüber böse nachblickte. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er plötzlich und die Schwarzhaarige konnte erkennen, wie er langsam die Schultern wieder sinken ließ, welche er vor Aufregung nach oben gezogen hatte. Seinen Blick hatte er dabei weiterhin auf die Straße gerichtet. Kuraiko senkte den Blick und blieb Shuya eine Antwort schuldig, doch dieser sprach ohnehin kurz darauf weiter: „Entschuldige. Ich hätte dich gleich begleiten sollen, auch wenn du abgelehnt hast. Um diese Zeit ist es gefährlich für junge Frauen. Los komm, ich bring dich heim.“ Damit hatte er ihr Handgelenk gepackt und sie hinter sich hergezogen, ohne sie vorher noch einmal anzuschauen. Die Schwarzhaarige war ihm dafür sogar ziemlich dankbar, denn ihr Gesicht glich mittlerweile einer überreifen Tomate. Ohne ein weiteres Wort ließ sie sich jedoch von Shuya durch die Straßen ziehen, bis sie in ihrem sicheren Heim angekommen war. Am späten Abend lag die junge Frau in der heißen Wanne und starrte gedankenverloren an die Decke. Ihre nassen Haare klebten ihr im Gesicht, doch das interessierte sie nicht. Viel mehr kreisten ihre Gedanken um das vor kurzem Geschehene. An das Lied, welches Shuya gesungen hatte, sein ernstes Gesicht und das darauffolgende Gespräch, sowie seine Hilfe. Zum ersten Mal hatte sie den jungen Mann durchgängig ernst erlebt und nicht hyperaktiv wie sonst und das hatte einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. Sie seufzte und ihr kam der Gedanke, woran der Violetthaarige wohl gedacht haben mochte, als er dieses überaus traurige Lied gesungen hatte. Doch kaum war ihr dieser Gedanke bewusst geworden, schüttelte sie den Kopf und tauchte gänzlich in das heiße Wasser ein. Sie verharrte einige Sekunden so und tauchte dann nach Luft schnappend wieder auf. Ihre Wangen glühten, aber sie redete sich ein, dass es von dem heißen Wasser kam. Wieder schüttelte sie den Kopf: „Hör auf daran zu denken, Kuraiko! Er ist es gar nicht wert!“ Sie legte ihre Hände auf den Wannenrand und bettete ihren Kopf darauf, bevor sie noch einmal seufzte und einen Moment spät bereits wieder in ihren Gedanken um Shuya versunken war. Was später am Abend geschah: Murrend tastete Hiroshi nach seinem Smartphone, welches neben ihm auf der Matratze lag und freudig vor sich hin vibrierte. Wieso um alles in der Welt hatte er es nicht komplett auf lautlos gestellt? Müde blickte er auf das Display, welches ein Foto von Shuya zeigte, der, ein Peacezeichen zeigend, in die Kamera lächelte. Der Blonde legte eine Hand auf seine Stirn und wischte sich kurz darauf über das Gesicht. Was wollte Shuya denn um diese Zeit von ihm? Er strich über die glatte Oberfläche und legte sich das schwarze Handy ans Ohr: „Ja?“, murmelte er leicht genervt. „HIROOOOOOOOOO! Hilf miiiiiiiir.“, quängelte ihm die Stimme seines besten Kumpels entgegen, woraufhin er das Smartphone wieder von seinem Ohr zog. „Was ist denn passiert?“, fragte der Blonde, nachdem er sich das Handy wieder ans Ohr legte. „Ich hab mich verlaufen… und finde mich nicht heim.“, kam es weinerlich vom anderen Ende der Leitung. „Urgh…“, wieder wischte sich Hiroshi über das Gesicht und setzte sich auf, „Ich bin auf dem Weg…“ Kapitel 50: L - Altmodische Ansichten ------------------------------------- Montag, 10.August 2015 Mit einem kräftigen Stoß öffnete Mirâ die Tür zum zweiten Teil des Dungeons. Nachdem sie vor zwei Tagen den Zwischenboss besiegt hatten waren sie, anders als bei den letzten Malen nicht durch die Eingangstür wieder zurückgelangt, sondern durch ein weißes Licht, welches sie hinausgetragen hatte, so als hätte jemand bemerkt dass sie zu erschöpft gewesen wären um noch weiter zu kämpfen. Natürlich hatten sie sich alle die Frage gestellt, was in diesem Moment passiert war, doch schnell entschieden sie, es erst einmal so hinzunehmen. Immerhin fiel ihnen sowieso nichts Sinnvolles ein. Nachdem sie den Dungeon an diesem Abend wieder betreten hatten, waren sie auch durch eben dieses Licht wieder zurück in den Raum gelangt. Allerdings stellte sich der Gruppe dann auch schon die nächste Fragen: Wie kamen sie nun weiter? Die Eingangstür war immerhin verschwunden, nachdem sie in den Raum gelangt waren. So hatten sie sich aufgeteilt und den Raum gründlich durchsucht. Es hatte eine Weile gedauert, doch dann war Yasuo derjenige, der den Durchgang an der Rückwand der Bühne fand. Die Doppeltür war auf den ersten Blick kaum zu erkennen gewesen, da sie die gleiche Farbe und auch das gleiche Muster wie die Wand besaß. Allein an ihren Knäufen war zu erkennen gewesen, dass es sich um eine Tür handelte, doch diese zu erkennen war auf den ersten Blick kaum möglich. Selbst der Blauhaarige hatte zweimal hinschauen müssen, bis sie ihm aufgefallen waren. Und nun standen sie am Anfang des zweiten Teiles von Akisus Dungeon und wieder erwartete sie das gleiche Bild, wie bereits im ersten Teil. Erneut standen sie in einem langen Gang, an dessen Wänden sich Fensterscheiben aneinanderreihten und den Blick auf Zimmer freigaben, die eine Mischung aus Atelier und Tonstudio waren. Doch obwohl es das gleiche Bild war, was sich ihnen bot, breitete sich in Mirâs Magen Unbehagen aus. Sie hatte das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, aber trotzdem wäre sie dankbar gewesen, wenn sie sich geirrt hätte. Doch kaum waren sie durch die Tür geschritten, schlug diese, wie bereits bei den Räumen im ersten Teil, mit lautem Knall zu und verschwand. Aus Akanes Richtung hörte die Violetthaarige einen erstickten Schrei. Anscheinend versuchte sich die Braunhaarige dieses Mal nicht anmerken zu lassen, dass sie schon wieder Angst bekam. Aber leider blieb es nicht dabei, denn plötzlich wurde es stockfinster. Nun entfloh Akane doch ein leichter Schrei und Mirâ merkte, wie sie sich an ihren Arm heftete. Beruhigend redete die junge Frau auf ihre Freundin ein, in der Hoffnung es würde helfen, aber leider machte ihr der Dungeon einen Strich durch die Rechnung, als nun die Fensterscheiben anfingen grünlich zu leuchten. Dadurch wurde zwar der Gang erleuchtet, aber das Bild was sich der Gruppe bot war doch recht unheimlich. Schatten zeigten sich in den leuchtenden Fenstern, die aber keine richtige Form annahmen, sondern nur vor sich hin wabbelten. Der Griff an Mirâs Arm wurde fester, als sich ihre Freundin noch doller an sie drückte. Auch das Zittern der Braunhaarigen fiel der jungen Frau dabei auf. Sie selbst fand es auch unheimlich, aber sie wusste auch, dass sie voranschreiten mussten, deshalb war ihre Hoffnung, dass sich das Bild wieder normalisierte. Doch das tat es nicht. Auch nicht nach einigen Minuten warten. Also wandte sich die Violetthaarige an ihre Freundin und versuchte sie zu beruhigen: "Akane. Ich weiß, dass du Angst hast, aber wir müssen weiter. Es gibt keine Geister und abgesehen von den Shadows ist hier nichts, was dir gefährlich werden kann." "I-Ich weiß...", durch das grünliche Lichter der Fensterscheiben konnte Mirâ erkennen, wie die Braunhaarige die Augen zusammengekniffen hatte. Sie schrie leicht auf, als eine Hand ihre Schulter berührte, woraufhin Hiroshi diese sofort wieder zurückzog und dabei einen bösen Blick von Mirâ erntete. Beschwichtigend hob er beide Hände in die Höhe: "Tut mir leid, Akane. Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber sieh es so: Das Schlimmste an diesem Ort sind die Shadows und die kannst du mit deiner Persona locker platt machen. Das musst du dir immer wieder sagen, dann wird es besser. Versprochen." Vorsichtig öffnete Akane die Augen und sah ihren Kumpel an. Dann nickte sie. Langsam ließ sie Mirâs Arm wieder los, schaute sich aber trotzdem etwas ängstlich um. Als ihr Blick zurück zu ihrer Freundin ging, lächelte diese sie nur freundlich an, bevor die Violetthaarige ihr noch mal kurz über die Schulter strich, sich dann abwandte und weiter voranschritt. Akane blieb stehen und sah ihr nach. Auch Hiroshi lächelte sie noch einmal lieb an und strich ihr über den Kopf, bevor er Mirâ folgte. Masaru und Mika folgten den Beiden, während Kuraiko noch kurz wartete und dann kopfschüttelnd an der Braunhaarigen vorbeilief. Dieser war klar, dass die Schwarzhaarige dies nur machte, damit sie deren Kopfschütteln sah. Betroffen senkte sie den Blick und langsam wurde es ihr selber peinlich. Sie wusste ja, dass es kindisch war, aber ihr machten solche Dinge halt Angst. Das konnte sie doch nicht einfach abstellen. Etwas Warmes auf ihrer Schulter ließ sie wieder kurz zusammenzucken und zu ihrer Rechten schauen, wo Yasuo stand. Dieser hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt und sah sie mit einem kaum zu erkennenden Lächeln an. Akane erkannte es trotzdem und es beruhigte sie etwas. "Lass uns auch weiter gehen. Ich bleib an deiner Seite. Okay? Dann brauchst du keine Angst haben.", sagte der Blauhaarige anschließend und ließ ihre Schulter wieder los, bevor er der Gruppe langsam folgte. Die Braunhaarige wiederum war sofort rot angelaufen und starrte ihm noch eine Weile nach. Der Ältere schien kurz darauf zu bemerken, dass sie ihm nicht folgte und hielt wieder an, um sich zu ihr zu drehen und zu fragen was los sei. Erst dann erwachte Akane aus ihrer Starre und holte zu dem Blauhaarigen auf, damit sie ihren Freunden folgen konnten. Erstaunlicherweise verhielt sich der Dungeons anfangs ziemlich ruhig. Er veränderte auch seine Form nicht mehr, selbst wenn die Gruppe in eine Sackgasse lief. Das beruhigte Mirâ erst einmal, auch wenn ihr die Umgebung immer noch Unbehagen bereitete. Auch musste sie nach einiger Zeit feststellen, dass durch das fahle Licht der Fenster die Shadows, welche ihnen entgegenkamen nur schwer zu erkennen waren. Es gab einige Situationen, in denen die Shadows die Oberhand im Kampf hatten, da die Gruppe sie viel zu spät wahrgenommen hatten. Das machte die Kämpfe um einiges schwieriger, doch da es sich um die gleichen Gegner handelte, welche sie bereits aus dem ersten Teil kannten, war es an sich kein großes Problem. Zwischen den Kämpfen, wenn die Gruppe ihren Weg fortsetzte, hörte man Akane immer wieder zu sich selbst sagen, dass das Schlimmste hier die Shadows waren und sie stark genug sei, diese zu besiegen. Es klang fast wie ein Mantra, doch es schien zu helfen die Braunhaarige zu beruhigen. Auch Yasuo hatte sein Versprechen gehalten und wich nicht von der Seite der jungen Frau, was zu ihrer Beruhigung beitrug. So irrten sie eine ganze Weile durch die Gänge, kämpften gegen Shadows und gelangten in Sackgassen, durch welche sie zum Umkehren gezwungen waren. Obwohl sich der Dungeon nicht mehr veränderte, stellte er sich als riesiger Irrgarten heraus, welche langsam auch an den Kräften der Gruppe zerrte. Nach einiger Zeit überlegte Mirâ, wie lange sie überhaupt schon in diesem Labyrinth herumwanderten. Die Zeit in dieser Welt verging schneller, als in der realen Welt und doch konnten auch in der richtigen Welt mehrere Stunden vergehen, je länger sie hier waren. Nach einer gefühlten Ewigkeit entschlossen sich die Persona-User eine kurze Pause einzulegen und etwas durchzuschnaufen. "Oh man. Dieser Dungeon nervt mich.", meckerte Kuraiko, während sie sich gegen die Wand lehnte. "Aber genug Energie zum Meckern hast du noch.", entgegnete Hiroshi beiläufig, was der Schwarzhaarigen nur ein abwertendes Schnaufen entlockte. Masaru schaute in den Gang hinein und schien zu versuchen abzuschätzen, wie weit der Gang wohl noch hineinreichte. Aber obwohl der Gang beleuchtet war, wurde er nach hinten weg immer dunkler. So wie es auch bereits in den anderen Dungeons war. Es war schwer abzuschätzen, wo der Gang endete oder abbog. Jedoch mussten sie bald ans Ende kommen, denn ihre Kräfte schwanden. Ganz zu schweigen von ihrer Kondition. Allerdings merkte Masaru in diesem Moment vor allem an Akane und Hiroshi, welche körperlich anstrengende Sportarten betrieben, dass deren Kondition weitaus besser war, als seine oder die der anderen, die eher leichten oder gar keinen Sport betrieben. Mirâ gesellte sich zu ihm und auch sie versuchte den Gang abzuschätzen, schüttelte dann allerdings den Kopf und seufzte. Fragend sah Masaru sie an. "Dieser Dungeon verlangt uns echt einiges ab.", sagte sie anschließend, "Ich hoffe, dass wir bald das Ende erreichen. Zumal wir auch nur noch ein paar Tage haben." Ermutigend klopfte ihr der Ältere auf die Schulter: "Wir schaffen das schon." Mirâ nickte: "Hoffentlich." Ein lautes Geräusch ließ die Gruppe aufschrecken, welches sich anhörte wie sich überlagernde Mikrofone. Ein langgezogener schriller Ton, welcher die Persona-User dazu verleitete sich die Ohren zuzuhalten. Die Schatten auf den Fenstern, welche die sieben bis eben noch ignoriert hatten wabbelten plötzlich noch mehr und nahmen Formen an. Allerdings nicht die der Shadows in diesem Dungeon, sondern irgendwie menschliche. Man erkannte keine Gesichter, aber die Form war gut zu erkennen: Eine weibliche und eine männliche Gestalt. "Wieso lässt du mich euch nicht helfen? Du weißt, dass ich es kann. Wieso sträubst du dich so sehr dagegen?", fragte eine männliche Stimme ziemlich wütend. Mirâ erkannte sie und aus Reflex schlug sie die Hand vor den Mund. Die Stimme gehörte Kyo. Es war eindeutig. Ein verächtliches Schnaupen war zu hören, gefolgt von einer genervten weiblichen Stimme: "Ich habe dir bereits gesagt, dass Männer in diesem Business nichts zu suchen haben." "Das meinst du! Dann nimm endlich mal die Scheuklappen ab und schau dich in der Welt da draußen mal um! Du hast nur Angst, dass ich dich überflügeln könnte!", die männliche Stimme wurde immer lauter und aggressiver, "Vater konnte es auch!" "Euer Vater ist nicht mehr hier! Und Akisu wird die Firma eines Tages übernehmen! So wie es sich für eine Frau der Yashiru-Familie gehört!" Die Schatten bewegten sich passend zu dem Gespräch und die Körpersprache der männlichen Person sprach Bände, als sie kurz zu erstarren schien. Doch dann drehte sich der junge Mann ruckartig um: "Wie du meinst. Mach was du willst. Ich bin raus." Die Schatten wabbelten wieder und gingen in ihre ursprüngliche Form zurück. Geschockt sah die Gruppe noch eine ganze Weile auf das Fenster, welches ihnen gerade diese Szene gezeigt hatte. Kurz ballte Mirâ die Hände zu Fäusten. Diese Szene... wahrscheinlich war sie der Grund, weshalb Kyo keinen Kontakt mehr zu Akisu hatte. Leichte Schuldgefühle überkamen die junge Frau, denn sie hatte wieder einmal ungewollt etwas Privates über eine Person in ihrem Umkreis erfahren, ohne dass diese ihre Zustimmung gegeben hatte. Aber wahrscheinlich war es für sie wichtig, das zu wissen. "Was war das?", fragte Hiroshi irritiert. "Wahrscheinlich der Grund, weshalb wir jetzt hier sind.", meinte Mirâ mit gesenktem Blick, "Kyo hat mir ja erzählt, dass er kein gutes Verhältnis zu seiner Schwester hat. Das hier ist bestimmt der Grund dafür." Der Blonde kratzte sich am Hinterkopf: "Oh man. Was hat die Alte eigentlich für ein Problem? Wenn dieser Kerl so ein Talent hat, in dem was er macht, dann sollte er doch auch ne Chance bekommen." "Manche sind noch ziemlich altmodisch... und wenn es wirklich ums Designen und Nähen geht, dann war das mal Frauensache.", Kuraiko zuckte mit den Schultern, "Das ist veraltetes Denken, ich weiß, aber manche sind so." "Ich glaube sich darüber den Kopf zu zerbrechen bringt nichts.", kam es von Akane, woraufhin die Gruppe sie erstaunt ansah. Sie sah überhaupt nicht verängstigt aus und alle schienen zu überlegen, ob die junge Frau ihre Angst überstanden hatte. Was keinem auffiel war, dass sie trotzdem leicht zitterte und ihre Angst nur überspielte. Niemand hatte mitbekommen, wie sie sich wieder einmal an Yasuo geklammert hatte, als die Schatten erschienen waren. Zu ihrem Glück, wie sie fand. Der Blauhaarige hatte ihr nur wieder über den Kopf gestrichen und nun sah er unbeteiligt in eine andere Richtung. Zu ihrem Glück spielte der junge Mann dieses Spiel für sie mit. "W-wir...", ihre Stimme zitterte noch einmal kurz, weshalb sie kurz schluckte, um sich wieder zu fangen, "Wir sollten weiter gehen." Die Anderen sahen erst die junge Frau und dann sich gegenseitig fragend an, ehe auch Mika meinte, dass es besser wäre weiterzugehen. So setzte die Gruppe ihren Weg fort, welcher sie noch weiter in dieses unübersichtliche Labyrinth führte. Nach einigere Zeit und einigen weiteren Kämpfen jedoch erreichten sie einen langen Gang, an dessen Ende mal kein schwarzer Tunnel auf sie wartete. Der Gang hatte einen Abschluss und zur Freude aller handelte es sich dabei um eine Dopppelflügeltür. Auch der kleine blaue Schmetterling, welcher sie für heute wieder zurückbringen würde, war klar und deutlich zu sehen. Sie hatten das Ende erreicht. "Endlich!", rief Akane erleichtert auf und stürmte bereits nach vorn. Auch den Anderen war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben und auch sie legten einen Zahn zu, um so schnell wie möglich an der Tür zu sein. Doch noch bevor Akane die Tür als erste erreicht hatte, blieb sie erschrocken stehen und sah zu ihrer Linken auf die Fensterscheiben, in denen die Schatten wieder anfingen sich zu verformen. Wieder bildeten sich zwei Gestalten und wieder waren sie männlich und weiblich. Allerdings handelte es sich dieses Mal um eine andere weibliche Gestalt. Ganz deutlich konnte man die zu zwei Zöpfen gebundenen Haare erkennen. "Kyoyo. Wo willst du hin? Geh nicht weg!", flehte eine junge weibliche Stimme und wieder tanzten die Schatten passend zu dem, was gesagt wurde. "Hier ist es nicht auszuhalten! Ich verschwinde von hier. Soll sie doch zusehen!", die Stimme von Kyo erklang wieder und sie klang sehr wütend. Seine Silhouette drehte sich ruckartig zu dem Mädchen, welches Mirâ als Akisu einschätzte: "Das hier gehört nun alles dir! So wie es Mutter wollte! Viel Spaß damit!" Damit hatte sich Kyo wieder umgedreht und verschwand aus dem Bild. Nur die Silhouette von Akisu blieb zurück. Diese drückte ihre Hände an die Brust und ging auf die Knie, so als würde sie weinen. "Du bist so gemein, Kyoyo! Du kannst mich doch nicht einfach alleine lassen! Du kannst mir nicht diesen Scherbenhaufen hinterlassen! Ich schaffe das hier nicht!" Die Schatten verschwanden wieder und erneut sah die Gruppe geschockt auf das, was sie eben gesehen hatten. Das war also der Tag gewesen, an dem Kyo verschwunden war. Er hatte sich dem Willen seiner Mutter einfach so gebeugt und alles seiner kleinen Schwester überlassen. Mirâ konnte beide Seiten verstehen. Sowohl Kyo, der anscheinend versucht hatte in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und dem Steine in den Weg gelegt wurden, als auch Akisu, die sich von allen verlassen gefühlt haben muss und der einfach eine Firma aufs Auge gedrückt wurde, die sie wahrscheinlich nicht einmal führen wollte. Langsam konnte sich die junge Frau vorstellen, weshalb das Idol in dieser Welt gelandet war. Bei ihr lag einiges im Argen. Wahrscheinlich viel zu viel, als dass jemand in ihrem Alter so etwas ertragen könnte. Aber Mirâ hatte einen Hoffnungsschimmer. Denn egal was vorgefallen war, Akisu wollte Kyo wiedersehen und auch bei dem Studenten hatte Mirâ gemerkt, dass ihm seine Schwester wichtig war. Auch wenn Kyo meinte, dass das Verhältnis zu ihr schlecht wäre, die Beiden suchten sich und das gab der Violetthaarigen die Hoffnung, dass sie Akisu dadurch retten konnten. Sie griff in ihre Rocktasche, in welcher sich immer noch die Kette mit dem Medaillon befand und zog dieses kurz hervor, um es sich anzusehen. Diese Kette war der Beweis für ihre Hoffnung und sie würde sie einsetzen. Ohne sich noch einmal umzuschauen setzte sie sich nun in Bewegung und ging auf die Flügeltür zu, welche zwar Modern wirkte, aber trotzdem mit den üblichen Bildern verziert war. Interessiert betrachtete Yasuo die Verzierungen und strich einmal über das kalte Material. Masaru stellte sich zu ihm und erklärte ihm, was die Bilder zu bedeuten hatten, während er selber die Verzierung betrachtete. Der Blauhaarige hörte ruhig zu und nickte dann, als Zeichen, dass er verstanden hatte. "Wir sollten dann gehen und ihr solltet dann erst einmal zurückkehren. Wir können eh erst einmal nichts weiter machen.", meinte Mika. Mirâ nickte, drückte die Kette in ihrer Hand noch einmal kurz in der Faust und ließ sie dann wieder in ihrer Rocktasche verschwinden. Dann wandte sie sich ab und ging auf den kleinen blauen Schmetterling zu, welcher wieder freudig seine Kreise zog. Ihre Freunde folgten ihr und kaum hatte Mirâ den kleinen Flattermann berührt waren sie auch schon wieder zurück am Eingang des Parks. Einige Zeit später hatten sie die Spiegelwelt auch schon verlassen und sich auf den Bänken auf dem Vorplatz vom Einkaufszentrum gesetzt. Sie wollten noch einige Minuten ausruhen, bevor sie sich, jeder für sich, auf den Heimweg machen wollten. Keiner sagte allerdings ein Wort. Jeder hing wieder seinen eigenen Gedanken nach. "Ha! Gefunden!", kam es plötzlich von Hiroshi, woraufhin alle erschrocken zu ihm sahen. "Was hast du gefunden?", fragte Akane neugierig. "Das hier.", der Blonde hielt sein Smartphone mit dem Display zu seinen Freunden in die Höhe. Alle rückten etwas näher heran, damit sie etwas lesen konnten. Auf der Internetseite eines Klatschmagazin stand in großen fetten Buchstaben: Warum das Idol Akisu wohl bald ihre Karriere aufgeben wird! Fragende Blicke trafen den Blonden, welcher das Smartphone wieder zu sich zog: "Ich hab mir den Bericht mal grob durchgelesen. Akisus Nachname ist wohl Yashiru und ihrer Familie gehört ein großes Modelable hier in Kagaminomachi. Es heißt, dass es dort Tradition ist, dass die Frauen der Familie die Firma übernehmen. In diesem Fall wäre das Akisu und das würde auch erklären, weshalb sie die Firma übernehmen muss. Auch wenn sie das vielleicht nicht will. Außerdem erklärt das auch das Verhalten ihrer Mutter. Ich nehme mal an, dass diese Stimme und der Schatten ihre Mutter war. Und es erklärt was es mit ihrem echten Beruf auf sich hat." "Und deshalb darf dieser Kyo die Firma nicht übernehmen.", stimmte Akane mit ein, woraufhin Hiroshi nickte. "Das hat mich irgendwie beschäftigt. Deshalb hab ich mal das Internet befragt. In dem Bericht steht auch weiter, dass ihre Mutter, die auch gleichzeitig ihre Managerin ist, vor einiger Zeit schon verlauten ließ, dass Akisu demnächst ihren Rücktritt bekannt geben wird.", meinte er abschließend. Kuraiko legte sich den Finger ans Kinn und schien zu überlegen: "Prinzipiell hätte uns allen das schon mal früher einfallen können. Dann wären wir nicht so ratlos gewesen." Der Blonde lachte kurz: „Ja. Wir waren ganz schön verbohrt. Aber der Artikel ist von gestern. Anscheinend sucht die Presse nun Gründe für Akisus Verschwinden, da sich immer noch kein Erpresser gemeldet hat.“ Mirâ fasste sich an die Stirn. Ihre Freunde hatten Recht. Im Grunde hatten sie es sich viel zu schwer gemacht, dabei war die Lösung so nah gewesen. Aber nun war es nicht mehr zu ändern. Zumindest waren sie nun dem Rätsel auf die Schliche gekommen. Nun mussten sie nur noch den 14.08. abwarten, welcher in vier Tagen war. Dann würde wieder Neumond sein und sie konnten in Akisus Kammer eindringen und sie dort herausholen. Mit der Abmachung, dass sie sich vor dem Bosskampf noch einmal richtig beraten würden, trennte sich die Gruppe anschließend und jeder machte sich auf den Heimweg, aber alle mit dem Gedanken nur noch ins Bett zu wollen. Kapitel 51: LI – Eifersucht --------------------------- Dienstag, 11.August 2015 Sich die Hand vor die Augen haltend blickte Mirâ in den klaren blauen Himmel. Lächelnd musste sie beipflichten, dass heute ein schöner Tag war, so wie es die Anzeige vor ihr angekündigt hatte. Den Blick wieder senkend beobachtete sie die Menschen, welche an ihr vorbeiströmten und in den Bahnhof wollten oder von dort herauskamen. Kleine Kinder, die lachend an den Händen ihrer Mütter neben diesen herliefen und ein Eis aßen. Ältere Leute, die sich begrüßten und ein kleines Schwätzchen hielten, weil sie sich von früher her kannten. Eilende Geschäftsleute, egal ob männlich oder weiblich, die aufgeregt in ihre Telefone sprachen und hektisch über den Platz liefen. Studenten, die sich nebenbei etwas dazu verdienten und Werbung für irgendwelche Läden verteilten. Es war ein lustiges buntes Treiben, welches Mirâ mit Freuden beobachtete. Ihre Stimmung verdüsterte sich allerdings, als sie wieder auf die leuchtende Anzeigetafel ihr gegenüber schaute, welche gerade die aktuellen News zeigte. "Junges Idol immer noch verschwunden." prangerte dick und fett über dem Artikel, welcher verlauten ließ, dass von Akisu immer noch keine Spur zu finden war und sich auch noch keine Erpresser oder ähnliches gemeldet hatten. Allerdings schloss die Polizei eine Entführung immer noch nicht aus. Trotzdem war auch im Gespräch, dass das Idol einfach abgehauen sei. Mirâ wusste natürlich was Sache war, immerhin waren sie kurz davor Akisus Raum betreten zu können. Doch dies würde erst an Neumond möglich sein, also mussten sie noch ein paar Tage warten, auch wenn sie am liebsten sofort hineingestürmt wäre. Die Anzeigetafel zeigte schon lange ein neues Thema an, aber Mirâs Blick war immer noch auf die Tafel gerichtet, auch wenn sie diese nicht wirklich erfasste. Sie fragte sich mittlerweile ernsthaft wohin das alles führen würde. Schon seit dem Abend, an dem das Idol verschwunden war, hatte sie so ein ungutes Gefühl, welches durch die seit neustem immer wieder auftauchenden Visionen und Träume nur verstärkt wurde. Irgendetwas war anders, als in den anderen Dungeons, auch wenn sie noch nicht sagen konnte was es war. Doch genau das machte ihr Sorgen. "Du schaust aber ernst. Ist etwas passiert?", holte sie eine weibliche Stimme aus den Gedanken. Erschrocken schüttelte Mirâ leicht den Kopf und richtete den Blick auf die Person, von welcher sie angesprochen wurde. Zu erst sah sie in zwei klare grüne Augen, welche zu einem hübschen Gesicht gehörten, das von blonden Locken eingerahmt wurde. Fragend wurde sie von Amy angesehen, die eine Augenbraue nach oben zog. "Du siehst aus, als wäre jemand gestorben. Alles in Ordnung?", fragte sie nun noch einmal, dieses Mal wesentlich besorgter. Schnell schüttelte die Violetthaarige erneut den Kopf und setzte ein Lächeln auf: "Ja, alles in Ordnung. Ich habe nur nachgedacht." "Sicher?", hakte die Blonde noch einmal nach, woraufhin Mirâ jedoch nur nickte, "Na dann ist ja gut. Danke, dass du dir Zeit genommen hast." "Schon okay.", winkte die Jüngere lächelnd ab. Amy hatte sie am späten Abend noch angerufen, ob sie Lust habe mit ihr Shoppen zu gehen. Anfangs war Mirâ etwas irritiert gewesen, warum die Ältere gerade sie fragte, doch letzten Endes fand sie die Idee selber gar nicht so schlecht. Sie wollte ohnehin diesen Sommer noch ein paar hübsche Sachen kaufen und da sie diese Woche so viel arbeiten war, hatte sie auch genügend Geld. So hatte sich das warten auf Kyo doch noch anderweitig gelohnt. Amys Gesicht zierte nun ein breites Lächeln, während sie sich bei Mirâ einhakte und diese danach mit sich in Richtung Innenstadt zog. Mit der Blonden shoppen zu gehen, entpuppte sich als anstrengender, als Mirâ gedacht hatte. Die junge Frau, mit den europäischen Wurzeln, betrat so gut wie jedes Geschäft, welches es in der Stadt gab und auch fast überall fand sie etwas Passendes für sich. Trotzdem hatte die Violetthaarige Spaß, zumal sie dank der Hilfe der Älteren ebenfalls einige sehr hübsche Klamotten für sich gefunden hatte. Eine kleine Pause einlegend, hatten sich die beiden jungen Frauen am späten Nachmittag gemeinsam in ein kleines Café gesetzt und sich dort einen Kaffee und jeder ein Stück Kuchen gegönnt. "Senpai sag mal. Was ist jetzt eigentlich wegen der Neuwahl rausgekommen?", diese Frage brannte Mirâ schon den ganzen Tag auf der Zunge, doch sie hatte keine Gelegenheit gefunden, es anzusprechen. Amy stoppte, bevor sie ihren Kuchen mit der Gabel berühren konnte und hielt kurz inne. Dann jedoch Schnitt sie mit der Seite der Gabel ein Stück ab und spießte es auf. Sie legte ihren Kopf auf ihren auf dem Tisch abgestützten Arm und betrachtete das kleine Stück einen Moment, bevor sie sich anscheinend doch entschieden hatte es zu essen und sich die Gabel in den Mund schob. "Nach den Sommerferien wollte der Coach das alles in Angriff nehmen.", erklärte sie anschließend, während sie mit ihrer Gabel ein weiteres Stück von ihrem Kuchen teilte und dann darin herumstocherte. Mirâ senkte den Blick: "Ich hoffe alles wird gut. Ich frage mich, wer das über dich verbreitet hat." Ein Seufzen war zu vernehmen und ließ sie wieder zu ihrer Klubkameradin schauen, die mit den Schultern zuckte: "Ich hab keine Ahnung und um ehrlich zu sein interessiert es mich auch nicht. Wahrscheinlich irgendein Mädchen, aber selbst wenn ich es wüsste... ich könnte es ja eh nicht mehr ändern. Aber ich hoffe natürlich auch, dass es für mich gut ausgeht. Ich möchte mich die letzten Jahre nicht umsonst so intensiv mit den Kyudo-Regeln beschäftigt haben. Außerdem macht es mir wirklich großen Spaß. Dai meinte zwar, dass er sich für mich einsetzen wolle, um sich zu entschuldigen, aber ich denke nicht, dass er alleine viel ausrichten kann." "Das heißt also, ihr habt euch wieder vertragen. Ja? Das ist schön.", lächelte die Jüngere Amy an, welche leicht rot wurde. Dass sie vermutete, dass die beiden Älteren vor den Prüfungen zusammen unterwegs war, behielt sie lieber für sich. Immerhin wollte sie die Blonde nicht wütend machen. Sie gönnte es den Beiden, keine Frage, aber trotzdem war es besser, wenn sie das unter sich ausmachten. Immerhin ging es dabei um ihr Privatleben. Sich räuspernd nahm Amy ihre Tasse und trank einen Schluck: "Naja alles andere wird sich nach den Ferien zeigen. Und bis dahin sollten wir die Zeit genießen und uns nicht über solche Dinge unterhalten. Meinst du nicht?" Ein Grinsen umspielte das Gesicht der Blonden und ließ Mirâ lächelnd nicken. Sie hatte ja Recht. Der Sommer war viel zu schön, als das man sich schon Gedanken über die Schule machen sollte. Auch Mirâ trank nun einen Schluck ihres Milchkaffees und wandte sich dann endlich ihrem Erdbeerkuchen zu, welcher bis eben noch unberührt auf ihrem Teller lag. Auch Amy wandte sich wieder ihrem Kuchen zu und das leidliche Thema, um die Neuwahl des Klubmanagers war vorerst wieder vergessen. Wenig später waren die beiden jungen Frauen schon wieder auf dem Sprung und klapperten die noch verbliebenen Läden der Einkaufsstraße ab, bevor sie sich dazu entschlossen wieder zurück zum Bahnhof zu laufen. Vor einem Geschäft mit teilweise verspiegelten Scheiben blieb Mirâ einen Moment stehen, um ihren völlig durcheinander geratenen Pony zu richten. Dabei fiel ihr Blick kurz darauf in den Laden hinein, welcher sich als Fastfood Restaurant entpuppte. Es war gut besucht, denn die Sitze waren fast alle belegt. Ein kleines Lächeln umspielte Mirâs Gesicht, als sie die sich fröhlich unterhaltenen Menschen sah und sie wollte sich gerade wieder abwenden, als ihr etwas oder besser gesagt jemand in den Blick fiel. Ganz in der Nähe der Fenster erkannte sie die blonden Haare von Hiroshi, welcher sich aufgeregt unterhielt. Mirâs Lippen formten sich zu einem Strich, als sie ein Mädchen erkannte, welches neben ihrem Kumpel saß. Sie trug ein schwarzes Top und eine schwarz-weiß karierte Bluse und sah den Blonden mit hochgezogener Augenbraue an, bevor sie ihren Kopf leicht beleidigt zur Seite drehte, wodurch ihre hellbraunen zu einem Zopf gebundenen Haare etwas wippten. Sofort schien der junge Mann, welcher einen Arm über die Lehne hinter ihrem Rücken gelegt hatte, zu versuchen sie wieder zu beschwichtigen, indem er ihr gut zuredete. Ein kleiner Stich zog sich durch Mirâs Herz, als sie die Beiden so sah, weshalb sie sich anwandte und ihre Hand vorsichtig an ihre Brust legte. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihr aus und sie versuchte es so gut es ging zu verdrängen. Wieso regte sie dieses Bild überhaupt auf? Hiroshi war immerhin nur ihr Kumpel. Es sollte also kein Problem für sie sein, wenn er eine Freundin hatte. Das war sein gutes Recht und er sah ja auch nicht schlecht aus. Warum also nicht? Außerdem schlug ihr Herz für Masaru. Sie hat also gar kein Recht sich darüber aufzuregen. Schnell schüttelte die den Kopf, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und auch das ziehen in ihrer Brust ließ endlich wieder nach. "Alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.", holte sie Amy wieder aus ihren Gedanken. Schnell setzte die Jüngere ein Lächeln auf: "Ja alles gut. Mir war nur kurz schwindelig." Mit hochgezogener Augenbraue wurde sie aus zwei klaren Smaragden beobachtet, welche kurz darauf leichte Besorgnis annahmen: "Dann sollten wir wirklich langsam Nachhause. Es wird eh schon spät. Schaffst du es allein oder soll ich dich begleiten?" Beschwichtigend hob Mirâ die Hand: "Ich schaff das alleine. Keine Sorge. Ich glaube ich werde einen Spaziergang machen, dann geht es mir sicher wieder besser." "Na wenn du meinst.", entgegnete ihr die Blonde, bevor sich beide junge Frauen wieder auf den Weg zum Bahnhof machten. Dort verabschiedete Mirâ die Ältere und machte sich ebenfalls auf den Heimweg. Etwas später hatte ihr Weg sie zum Fluss geführt, wo sie kurz Rast machte und hinunter auf das fließende Wasser sah, in welchem sich die Abendsonne spiegelte. Noch immer hatte sie dieses unangenehme Gefühl, welches stärker wurde, je öfter sie an die Szene aus dem Restaurant dachte und das machte sie wahnsinnig. Was ihr Kumpel in seiner Freizeit machte und mit wem er sich traf, ging sie doch absolut nichts an. Wieso störte es sie dann trotzdem? Sie wusste es nicht, aber sie wollte, dass dieses Gefühl endlich verschwand. Ein Seufzen entglitt ihr, während sie ihren Weg fortsetzte. Am Besten war es, wenn sie versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Also hob sie den Blick und versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als ihr Blick auf eine zierliche Person fiel, welche unweit von ihr im Gras hockte und hinaus auf den Fluss sah. Es war Megumi, deren hellbraune Locken ihr kindliches Gesicht umwehten. Ein kleines Lächeln umspielte Mirâs Gesicht, als ihr einfiel, dass sie mit ihr noch einmal sprechen wollte und dies nun die passende Gelegenheit dazu wäre, weshalb sie sich in Bewegung setzte und auf das junge Mädchen zuging. Bei der Jüngeren angekommen, legte sie dieser vorsichtig eine Hand auf die Schulter, woraufhin sie sich erschrocken umdrehte und Mirâ mit großen grünen Augen ansah. Sofort spürte die Violetthaarige, wie die Jüngere sich versteifte. "Alles in Ordnung, Megumi-Chan?", fragte sie deshalb vorsichtig. Die Kleine allerdings sah sie nur weiterhin erschrocken an. Ihr Mund bewegte sich, als wollte sie etwas sagen, doch sie schwieg, bevor sich ihre Lippen zu einem Strich formten und sie Mirâs Blick auswich. Diese legte den Kopf schief. Was war nur los mit der Kleinen? Schon eine ganze Weile war sie so drauf und das machte Mirâ irgendwie Angst. Das war immerhin nicht die Art von Megumi. Sie schrak aus ihren Gedanken, als sie Jüngere sich plötzlich bewegte und von ihr wegrutschte, um die Hand der Älteren von ihrer Schulter zu bekommen. "Ent-entschuldige Senpai. A-aber ich muss los.", damit wollte Megumi aufstehen und verschwinden, doch dieses Mal wollte sich Mirâ nicht einfach so abschütteln lassen. Also griff sie schnell nach dem Handgelenk der Braunhaarigen, welche sich erschrocken zu ihr umdrehte. Eindringlich sah Mirâ die Jüngere an: "Schluss jetzt mit dem Kindergarten. Was ist los? Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es, aber hör auf mir aus dem Weg zu gehen, ohne das ich weiß was los ist." Selten wurde Mirâ so direkt, aber dieses Mal musste es sein. Ansonsten würde Megumi wohl wieder einfach abhauen und das Problem würde unausgesprochen bleiben. Damit würde wohl eine noch größere Kluft zwischen ihnen entstehen, als ohnehin gerade herrschte und das wollte die Ältere auf gar keinen Fall riskieren. Sie mochte die Kleine und wollte ihre neu entstandene Freundschaft mit ihr nicht aufs Spiel setzen. Mit ihren roten Augen beobachtete sie die Jüngere, welche plötzlich begann auf ihrer Unterlippe zu kauen und ihren Blick in jede erdenkliche Richtung zu wenden, nur um dem der Älteren auszuweichen. Sie kämpfte mit sich, das merkte die Violetthaarige, aber sie traute sich anscheinend nichts zu sagen. "Also?", fragte die Ältere deshalb mit Nachdruck. Noch einmal traf sie ein erschrockener Blick, dann wurden Megumis Augen ernst. Mit einem Ruck zog sie ihren Arm aus Mirâs Griff. "Du willst wissen was los ist? Ihr nehmt mir meine beste Freundin weg. Das ist los!", schrie die Kleine Mirâ plötzlich ins Gesicht. Erstaunt riss diese die Augen auf und verstand die Welt nicht mehr. Wieso sollten sie Megumi ihre beste Freundin wegnehmen? Das ergab doch gar keinen Sinn. Deshalb legte sie nur den Kopf schief: "Ähm hä?" "Schau nicht so! Du weißt genau was ich meine!", schrie Megumi regelrecht, während sich kleine Tränen in ihren Augen sammelten, "Seit Rika euch kennengelernt hat redet sie nur noch von euch. Es geht nur noch Mirâ hier, Mirâ da und Makoto-Senpai hier und da! Es nervt! Sie redet über nichts anderes mehr und wenn ich versuche ein anderes Thema anzusprechen, wimmelt sie es ab und fängt wieder von vorn an! Dabei bin ich doch ihre beste Freundin! Jedenfalls dachte ich das... sie behandelt mich aber nicht mehr so... das ist... das ist unfair..." Mittlerweile hatten sich dicke Tränen einen Weg über Megumis Wangen gebahnt, während sie sich die Hände vors Gesicht geschlagen und sich auf den Boden gehockt hatte. Mirâ musste kurz überlegen, wer Rika war, bis ihr einfiel, dass es sich dabei nur um Matsurika handeln konnte. Diese schien sich Megumi gegenüber anscheinend auch nicht gerade Freundschaftlich zu benehmen, doch dafür konnten Mirâ und ihre Freunde doch nichts. Immerhin hatte sich die Schwarzhaarige an sie gehängt und nicht andersherum. Im Grunde hatte sie sich einfach dazwischen gedrängt, ohne dass sie oder ihre Freunde es ihr gestattet hatten. Vor allem Hiroshi schien froh zu sein, wenn die Jüngere nicht in der Nähe war. Aber das konnte Megumi nicht wissen, immerhin war sie in den letzten Wochen immer abgehauen, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätte sich zu ihnen zu setzen. Natürlich hätte sie dies der Kleinen am liebsten sofort gesagt, ja sogar regelrecht ins Gesicht geschrieen, denn sie war wirklich sauer darüber, dass Megumi damit solange, so sinnlos, geschwiegen hatte. Allerdings wusste sie auch, dass sie die Kleine damit nur noch weiter kränken würde. Also schloss sie die Augen und atmete einmal kurz durch, bevor sie sich zu der Jüngeren hinunterhockte und ihr dieses Mal beide Hände auf die Schultern legte, welche unter ihrem Schluchzen bebten. Dabei bemerkte sie auch, wie die Kleine sich wieder versteifte. "Megumi-Chan, wie kommst du denn darauf, dass wir dir Matsurika als Freundin wegnehmen wollen? Das ist doch vollkommen absurd. Dazu haben wir kein Recht und das haben wir auch nicht vor.", versuchte sie so ruhig, wie es ihr irgend möglich war, zu erklären, "Sie hält sich in letzter Zeit oft bei uns auf, das stimmt. Aber nicht weil wir sie darum bitten oder um sie von der wegzuziehen, sondern weil sie von sich aus zu uns kommt. Und im ehrlich zu sein, ist das nicht immer so angenehm... aber du bist jederzeit bei uns willkommen. Hörst du Megumi-Chan? Ich fand es wirklich traurig, dass du die letzten Male einfach abgehauen warst. Deshalb habe ich mir Sorgen gemacht. Und es tut mir für dich wirklich Leid, dass es so gekommen ist. Aber in so einer Situation solltest du Matsurika darauf ansprechen, so wie jetzt bei mir. Du solltest ihr sagen, was dich stört. Das wird unangenehm sein und es kann passieren, dass ihr euch streitet, aber wenn sie wirklich deine beste Freundin ist, dann wird sie es verstehen. Und sollte sie doch beleidigt sein, dann kannst du jederzeit zu uns kommen. Wir sind doch auch Freunde." "Wirklich?", vorsichtig sah die Braunhaarige auf und in Mirâs lächelndes Gesicht. Diese nickte: "Ja. Und auch ich werde Matsurika bei Gelegenheit noch einmal drauf ansprechen, aber vorher solltest du mit ihr darüber reden. Okay?" Megumi nickte und wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht. Jedenfalls versuchte sie es, denn diese wollten nicht aufhören zu laufen. Deshalb zog Mirâ ein Taschentuch aus ihrer Tasche und reichte es der Jüngeren, welche sich erst einmal die Nase schnäuzte, ungeachtet dessen, dass es in der Öffentlichkeit nicht gern gesehen wurde. Die Violetthaarige ignorierte es und lächelte nur sanft, während sie der Braunhaarigen beruhigend über die Schulter strich. So saßen die beiden jungen Frauen eine ganze Weile so da, bis sich Megumi wieder beruhigt hatte. Etwas später saßen sie beide nebeneinander und schauten auf den Fluss hinunter. Stille hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet, doch Mirâ empfand sie nicht als unangenehm. Beide nutzten die Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen und wieder zur Ruhe zu kommen. "Entschuldige, dass ich laut geworden bin, Senpai. Auch dafür, dass ich dir aus dem Weg gegangen bin.", murmelte die Jüngere plötzlich, "Ich wusste nur nicht weiter." "Schon okay, Megumi-Chan. Ich finde es sogar gut, dass du so aus dir herausgekommen bist. Man muss sich untereinander auch Mal die Meinung sagen können, ohne dass der andere gleich beleidigt ist. Das gehört zur Freundschaft dazu.", sagte Mirâ, während sie ihren Blick gen Himmel gerichtet hatte. Sie bemerkte, das Megumi sie kurz ansah und dann nickte, bevor auch sie ihren Blick wieder zum Wasser wandte, aber sagte nichts weiter dazu. Die Kleine schien es ohnehin begriffen zu haben und Mirâ war froh, dass diese Sache nun endlich geklärt war. Als die Sonne schon fast untergegangen war verabschiedeten sich die beiden Mädchen voneinander. Noch einmal hatte Megumi der Älteren zugewunken, bevor sie sich umgedreht hatte und verschwunden war. Auch Mirâ hatte noch einmal gewunken und sich dann auch entgültig auf den Heimweg begeben. Kapitel 52: LII – Verzwickte Situation -------------------------------------- Mittwoch, 12.August 2015 Lachend rannte Junko durch den großen Garten, welcher an das Haus ihrer Familie angrenzte, während sie von Akane verfolgt wurde, die das kleine Mädchen über das Grundstück jagte. Lächelnd beobachtete Mirâ die beiden Mädchen und musste schmunzeln, als ihre kleine Schwester der Braunhaarigen wieder einmal ganz knapp entkommen war und das Spiel somit weiterging. Nicht nur einmal war Akane dabei wegen eines Hechtsprunges auf dem Bauch gelandet, weil ihr das kleine Mädchen im letzten Moment durch die Lappen gegangen war. Ein Kichern entkam Mirâ, als ihre beste Freundin erneut auf dem Boden landete und der Blauhaarigen hinterher schaute, welche ihr frech die Zunge herausstreckte. „Na warte!“, mit einem Satz war die Braunhaarige wieder aufgesprungen und weiter hinter dem kleinen Mädchen her gehechtet, welches entzückt aufquiekte und wieder die Flucht ergriff. Mirâ hatte dem Spiel eine Weile ebenfalls beigewohnt, sich dann jedoch eine Auszeit genommen und auf die Terrasse gesetzt. So viel Ausdauer wie Akane und ihre kleine Schwester hatte sie dann doch nicht. An diesem Tag war Mirâ mit Junko allein, da ihre Mutter zu einem Termin außerhalb der Stadt musste, weshalb sie ihre Freunde angeschrieben hatte, ob sie ihr nicht Gesellschaft leisten wollten. Jedoch hatte nur Akane zugesagt. Masaru hatte sich wohl schon mit Dai verabredet, da sie bereits längere Zeit nichts mehr gemeinsam unternommen hatten und Kuraiko hatte geschrieben, dass sie noch etwas erledigen musste. Von Yasuo war keine konkrete Antwort gekommen, außer dass er mit Kindern nicht so gut umgehen konnte und Hiroshi hatte ebenfalls abgesagt, weil er etwas mit Shuya unternehmen wollte. Doch gerade über Hiroshi hätte sich Junko wohl am meisten gefreut, denn diesen schien sie sehr ins Herz geschlossen zu haben. Ein Schmunzeln legte sich wieder auf ihre Lippen, als sie an den Abend nach dem Strandbesuch denken musste, wo Junko sich regelrecht an ihn geklammert hatte. „Das war schon ziemlich süß gewesen.“, musste sie zugeben, während ihre Gedanken weiter zu dem Tag gingen und sie sich erinnerte, wie der Blonde sich mit ihrer kleinen Schwester beschäftigt hatte, als diese begann zu bocken, „Mit Kindern kommt Hiroshi-Kun wirklich gut aus…“ Er sah auch immer sehr glücklich aus, wenn er mit Junko spielte… ein wenig als sei er in dem Moment selber wieder ein kleines Kind und irgendwie fand sie diese Seite an dem Blonden wirklich süß. Plötzliche Röte stieg ihr ins Gesicht, als ihr dieser Gedanke bewusst wurde und schnell schüttelte sie den Kopf. Was dachte sie da schon wieder? Er war ihr Kumpel! AUS! Außerdem… sie senkte den Blick und ihr Mund formte sich zu einem geraden Strich, als sie daran denken musste, wie sie ihren Kumpel mit dem braunhaarigen Mädchen gesehen hatte. Wieder spürte sie einen leichten Stich im Herzen und ein beklemmendes Gefühl umgab sie. Was war nur los mit ihr? Ihr Herz gehörte doch Masaru, da war sie sich ganz sicher. Wieso also schlich sich in letzter Zeit immer wieder Hiroshi in ihre Gedanken? Etwas Kaltes an ihrer Stirn, ließ sie ruckartig aufschauen, weshalb Akane ein kleines Stück zurückwich. Mit einer Dose in der Hand schaute sie die Violetthaarige mit fragenden grünen Augen an, während diese erst einmal registrieren musste, was überhaupt passiert war. „Du sahst plötzlich so blass aus, deshalb dachte ich, du könntest etwas zu trinken vertragen. Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe.“, erklärte ihre beste Freundin deren plötzliche Aktion. „Schon okay. Danke.“, nickend nahm Mirâ der Braunhaarigen die Dose aus der Hand und schaute sich dann fragend um, „Wo ist Junko?“ „Nur mal kurz auf die Toilette.“, erklärte Akane, welche sich mit einer Hand Luft zu fächerte und zurücklehnte, „Mann ist das warm. Aber sag mal, was war los? Du warst so in Gedanken versunken und wurdest plötzlich so blass. Ist etwas passiert?“ Irritiert sah Mirâ auf. Sah man es ihr wirklich so sehr an, dass sie dieses Thema beschäftigte? Dabei wollte sie eigentlich tunlichst vermeiden, dass Akane es mitbekam. Sie kannte die Braunhaarige immerhin und wollte deshalb nicht, dass diese etwas hineininterpretierte, was nicht da war. Allerdings konnte ihre Freundin ihr bezüglich des Mädchens sicher Auskunft geben. Aber wollte sie das wirklich wissen? Im Grund konnte es ihr doch egal sein und außerdem ging es sie doch gar nichts an. Hiroshi und sie waren nur Freunde, deshalb war es das gute Recht des Blonden, sich eine Freundin zu suchen. Warum auch nicht? Immerhin gab es sicher einige Mädchen, die für ihn schwärmten, abgesehen von Matsurika, bei welcher es mehr als offensichtlich war. Warum machte ihr der Gedanke nur so viel aus, Hiroshi mit einem anderen Mädchen zu sehen? Mirâ war wieder so weit in ihren Gedanken versunken, dass ihr gar nicht auffiel wie ihre Gesichtszüge ihr bereits wieder entglitten waren und dass sie ihrer besten Freundin immer noch keine Antwort gegeben hatte. Diese sah sie noch interessierter an, als die Violetthaarige während ihrer Gedanken den Blick wieder abwandte und einen Punk mitten im Garten zu fixieren schien. Akane jedoch war nun wirklich nicht für ihre Geduld bekannt, weshalb sie ihre Freundin einige Minuten später in die Seite knuffte, woraufhin diese sie endlich wieder fragend ansah. „Nicht abdriften. Also? Was ist los?“, hakte sie noch einmal nach. „Ähm naja…“, wieder wandte Mirâ den Blick von ihrer Freundin ab und starrte nun auf die mittlerweile warm gewordene Dose in ihrer Hand. Wie sollte sie am besten anfangen? Sie wollte immerhin auch nicht, dass Akane dachte sie würde Hiroshi nachspionieren oder sie ihre Frage in den falschen Hals bekam. Sie drehte die Dose in ihren Händen, bis sie erneut spürte wie Akane sie knuffte. Dann seufzte die Violetthaarige: „K-Kann es sein, dass… Hiroshi-Kun eine Freundin hat?“ Das Knuffen hörte abrupt auf und Stille breitete sich aus, während Mirâ immer noch den Blick auf die Dose gerichtet hatte. Erst nachdem Akane auch nach gefühlt mehreren Minuten nichts sagte, sah Mirâ wieder zu ihrer Freundin, welche sie mit großen grünen Augen ansah. Ihre Position war immer noch, als wollte sie Mirâ erneut in die Seite piksen, doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Was war denn nun los? Irritiert legte die junge Frau den Kopf schief und fragte vorsichtig nach, was denn los sei. Nun schien auch bei Akane diese Information angekommen zu sein und sie sprang mit einem lauten und langgezogenen „Eh“ auf. „W-wie kommst du denn auf so etwas Absurdes?“, kam als nächstes eine ziemlich laute Frage. Mirâ fand Akanes Reaktion wesentlich absurder, als den Punkt, das Hiroshi eine Freundin haben könnte, doch beließ es erst einmal dabei und berichtete der Braunhaarigen stattdessen lieber von dem, was sie am Vortag in der Stadt gesehen hatte. Ihre Freundin hörte ihr gespannt zu, während Mirâ deren Gesichtsausdrücke beobachtete, welche ihr mehrmals beim Zuhören entglitten. „Tja… und es sah halt so aus… ich dachte du wüsstest da mehr. Ich weiß, dass es mich ja eigentlich nichts angeht, aber…“, murmelte Mirâ, ihren Blick wieder auf die Dose in ihren Händen richtend. Mit einer halben Drehung setzte sich Akane auf ihren Hintern und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann schloss sie die Augen und schien zu überlegen. „Also ich weiß nichts davon und um ehrlich zu sein kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich einfach mal so eine Freundin anlacht. Wobei…“, sagte sie anschließend mit einem Seitenblick zu der Violetthaarigen, welcher jedoch nur einige Sekunden hielt bevor sie die Augen wieder schloss und den Kopf schüttelte, „Ach nein… ich denke nicht. Er hat sich zwar verändert, aber so ist er nicht. Du hast da bestimmt nur etwas hineininterpretiert.“ „Wie kannst du dir so sicher sein?“, fragte Mirâ noch einmal nach. Ein weiterer Blick ihrer Freundin traf sie und ließ sie leicht zurückschrecken. Es war ein merkwürdiger Blick, der sie traf und den sie nicht einzuordnen vermochte. Ihrer Meinung nach lag darin eine Mischung aus Mitleid und Vorwurf, doch Mirâ verwarf diesen Gedanken wieder und führte dieses Gefühl nur auf das Gespräch zurück. Warum auch sollte ihre Freundin sie so ansehen? Nach wenigen Sekunden hatte Akane ihre grünen Augen jedoch wieder von Mirâ genommen und geseufzte, ehe sie nach ihrem Handy in ihrer Hosentasche griff und sie der jungen Frau mit einem breiten Grinsen erklärte, dass dieser Sachverhalt ganz einfach geklärt werden könnte. Sie bräuchten den Blonden ja nur anrufen und nachfragen, doch noch ehe Akane überhaupt ihr Display hätte entsperren können hatte Mirâ nach deren Händen gegriffen und den hochroten Kopf geschüttelt. Lachend war die Braunhaarige nach hinten gerutscht: „Das war doch nur ein Scherz. Aber mal ehrlich. Warum interessiert dich das überhaupt? Ich dachte du schwärmst für Masaru-Senpai. Da kann dir doch egal sein, was Hiroshi macht. Oder hast du dich etwa in die Dumpfbacke verliebt?“ Mirâ stoppte abrupt in ihrer Bewegung und sah ihre Freundin mit großen roten Augen an, die sich mittlerweile nur noch durch das Weiß drum herum von ihrem Gesicht unterschieden. Ruckartigen ließ sie von der Braunhaarigen ab und fuchtelte mit ihren Händen umher, während sie vehement darauf pochte, dass sie nichts von dem Blonden wollte und es sie einfach nur interessiert hatte. Sie sah sich panisch um und verschwand einen Moment später, mit der Ausrede nach Junko sehen zu wollen, im Wohnzimmer. Akane sah ihr nach und seufzte: „Hiroshi kann einem echt leidtun.“ Sie schaute auf ihr grünes Smartphone, welches immer noch in ihren Händen lag und wischte über den Display, nur um kurz darauf ihr Chatprogramm zu öffnen. Schwebend hielt sie ihren Daumen über dem Chat von sich und Hiroshi und überlegte. Sollte sie? Natürlich interessierte sie die Tatsache brennend, dass sich ihr Sandkastenfreund mit einem anderen Mädchen getroffen hatte, immerhin hätte sie sich damals niemals vorstellen können, dass der junge Mann es überhaupt einmal schaffen würde ein anderes Mädchen anzusprechen. Wiederum hatte er sich ja merklich verändert und war selbstbewusster geworden. Warum also sollte er das nicht können? Und da Mirâ ihm gegenüber kein offenes Interesse zu zeigen schien, was wenige Minuten zuvor noch ziemlich anders aussah, wie sie fand, sollte es sie ja eigentlich nicht wundern, dass er sich anderweitig umsah. Wer wollte schon ständig enttäuscht werden? Trotzdem traute sie dem Blonden ein solches Verhalten nicht zu. Hiroshi war nicht sprunghaft und auch niemand, der eine ihm wichtige Person einfach so fallen ließ. Zudem war es zwei Wochen zuvor nur schwerlich zu übersehen, dass er tierisch auf Mirâ stand und sie war sich sicher, dass es bisher fast allen aufgefallen war. „Naja abgesehen von ihr selbst.“, ging Akane durch den Kopf, denn die Violetthaarige schien wirklich nicht mitzubekommen, wie sehr Hiroshi sie umgarnte. Entweder sie ignorierte es gekonnt oder war einfach nur so naiv, um es wirklich nicht zu bemerkten. Auch wenn es der Braunhaarigen schwer fiel, so tippte sie eher auf das Zweite, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie Hiroshis Gefühle absichtlich ignorierte und damit riskierte, den jungen Mann zu verletzen. Es musste also Naivität sein, obwohl es wirklich nicht zu übersehen war. Akane jedoch war sich sicher, würde ihre Freundin dem jungen Mann eine Chance geben, er würde sie auf Händen tragen. Doch leider war die ganze Sache nicht so einfach, denn Mirâ behauptete immer noch felsenfest, dass ihr Herz Masaru gehörte. Aber auch bei ihm war nicht ganz klar, was für Gefühle er Mirâ entgegenbrachte. Ob einfache Freundschaft oder mehr konnte man einfach nicht abschätzen, denn er verhielt sich ihr gegenüber, wie auch allen andern, immer freundlich. Was er also empfand ließ er nicht so einfach durchblicken wie Hiroshi. Akane seufzte und steckte ihr Handy wieder weg, bevor sie ihren Arm auf ihr Bein stützte und ihr Gesicht hinein legte: „Echt eine verzwickte Situation.“ „Was für eine Situation?“, ließ sie eine kindliche Stimme erschrocken aufblicken. Fragend sah sie zu Junko, welche sie mit großen roten Augen und schief gelegtem Kopf ansah, und in diesem Moment schien sie erst zu registrieren, dass sie ihre letzten Gedanken wohl laut gedacht hatte. Schockiert über sich selbst sah sie sich um, in der Hoffnung Mirâ hatte ihre Gedanken nicht ebenso mitbekommen, doch Junko beruhigte sie damit, dass ihre Schwester ebenfalls noch einmal das stille Örtchen aufgesucht hatte. Mit einem Plumpsen ließ sich die Blauhaarige neben der Oberschülerin nieder und griff in die Schale mit Süßigkeiten, welche sich die Mädchen zum Naschen bereitgestellt hatten. Die Ausbeute in ihrer Hand betrachtend und die Dinge aussortierend, welche sie nicht haben wollte, ließ sie ihre Beine baumeln: „Meinst du wegen Hiro-niichan und Onee-Chan?“ Akane hatte das Gefühl ihre Augen würden ihr aus dem Kopf fallen, während sie die Grundschülerin beobachtete, die nun die aussortierten Süßigkeiten in aller Seelenruhe wieder in die Schüssel zurückpackte und sich danach die Übriggebliebenen nach und nach in den Mund steckte. Dann trafen sie wieder deren große rote Augen: „Das Hiro-niichan Mirâ sehr lieb hat fällt auf. Das sieht doch sogar ein Blinder. Okay außer Mirâ.“ Der Oberschülerin blieb der Mund offen stehen. Selbst die siebenjährige Junko hatte bereits bemerkt, was Hiroshi für Mirâ empfand. Irgendwie fand Akane diese Situation plötzlich mehr als amüsant, weshalb sie dem ersten Drang nachgab und ihr Lachen einen Moment später über das Gelände schallte. Sich eine Hand an die Stirn drückend und sich mit der anderen Hand den Bauch haltend, kullerte Akane regelrecht über die hölzerne Terrasse und ließ ihrem Gefühl freien Lauf. Diese Situation war einfach nur zu köstlich. Es brauchte eine Weile, bis sich die Oberschülerin wieder beruhigt hatte und die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. Sie setzte sich wieder auf und zog Junko an sich heran, welche ebenfalls lachte. „Du bist Klasse Junko-Chan. Aber das sollten wir wohl besser für uns behalten.“, sagte sie anschließend grinsend. „Ja ist besser.“, lachte die Grundschülerin und hielt Akane grinsend ihren kleinen Finger entgegen, in welchen die Braunhaarige mit ihrem einhakte. „Na ihr scheint ja Spaß zu haben.“, seufzte Mirâ, als sie durch das Wohnzimmer auf die beiden Mädchen zuging und sah, wie sich beide angrinsten, „Was habt ihr ausgeheckt?“ „Das ist unser Geheimnis.“, grinsten die Beiden sie an, woraufhin die junge Frau nur eine Augenbraue hob, es dann aber dabei beließ. Irgendwann würde sie es sowieso herausfinden, da war sie sich sicher. Als sich Akane am späten Nachmittag auf den Heimweg machen wollte, entschieden die anderen beiden Mädchen sie noch ein Stück zu begleiten. Mirâ wollte ohnehin noch kurz in den Supermarkt, sodass sie des verbinden konnten. Das noch immer schöne warme Wetter genießend liefen sie deshalb den Fluss entlang und beobachteten die Menschen, welche die restlichen Sonnenstrahlen des Tages nutzten und auf der Grünfläche neben dem Fluss entspannten. Freudig hüpfte Junko vorne weg, während Akane und Mirâ ihr in ein Gespräch vertieft folgten. Ein Bellen und plötzlicher Aufschrei ließ sie jedoch ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn lenken, wo Junko mit leicht panischem Gesicht auf sie zugelaufen kam und sich kurz darauf hinter ihrer Schwester versteckte. Noch ehe diese jedoch fragen konnte, was denn los sei, hörte sie erneut das Bellen und erkannte kurz darauf einen beigefarbenen Hund auf sie zulaufen. Auch Mirâ wich erschrocken zurück und wollte ausweichen, da sie sicher war der Hund würde sie jeden Moment anspringen, doch stattdessen ignorierte dieser sie und sprang an ihr vorbei. Dann hörte sie nur noch einen erschrockenen Schrei von Seiten Akane, weshalb sie sich ruckartig zu dieser drehte. „Akane ist alles…!?“, Mirâ stoppte, als das Lachen ihrer Freundin erklang und sie sah, wie der große Hund über dieser stand und deren Gesicht ableckte. „Ahahaha… Bejû hör auf, das kitzelt. Ich freu mich ja auch dich zu sehen.“, lachte Akane, während sie versuchte ihr Gesicht etwas wegzudrehen, um die feuchte Zunge des Hundes nicht genau auf die Nase zu bekommen. Erleichtert atmete die Violetthaarige auf, als ihr bewusst wurde, dass es sich bei dem Tier wohl um Yasuos Hund handeln musste und dass es ihrer Freundin gut ging. Ein Pfeifen erklang, weshalb Bejûs Ohren kurz zuckten und er sich dann umdrehte, nur um einen Augenblick später von Akane abzulassen und umzudrehen. Währenddessen half Mirâ ihrer Freundin auf und folgte mit ihrem Blick dem Hund, weshalb sie kurz darauf Yasuo erkannte, welcher über die Böschung zu ihnen hinauf kam. „Bejû was sollte das? Ist alles in Ordnung bei euch? Hat er euch etwas getan?“, fragte der Blauhaarige und hob den Blick zu den Mädchen, worauf er erst zu bemerken schien, dass es sich dabei um seine Teamkameraden handelte, „Ach ihr seid es. Deshalb ist Bejû plötzlich losgestürmt. Hab mich schon gewundert.“ Der junge Mann kratzte sich am Nacken und sah wieder zu seinem Hund, welcher ihn nur hechelnd und mit schief gelegtem Kopf ansah. Einige Minuten später saßen die drei Oberschüler gemeinsam im Gras, während sie Junko beobachteten, die mit Bejû über die Wiese tollte und immer wieder einen Ball warf, dem der beigefarbene Hund hinterher sprintete, nur um ihn wenige Sekunden später wieder zurückzubringen. „Junko scheint den ersten Schreck überwunden zu haben.“, lachte Akane. „Tut mir leid, wenn er euch erschreckt hat.“, murmelte Yasuo, „Eigentlich rennt er nicht einfach so Leute um. Naja außer dich.“ Mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht sah er zu der Braunhaarigen, welche sofort ihren Blick abwandte, um so ihre rote Nasenspitze zu verbergen, und sich verlegen an der Wange kratzte. Mirâ beobachtete dies lächelnd und wandte sich dann dem Älteren zu: „Gehst du immer mit Bejû um diese Zeit spazieren, Senpai?“ Der Blauhaarige nickte: „Ja, aber wir sind schon ziemlich lange hier und haben das schöne Wetter genossen. Zuhause ist eh nichts zu tun.“ Sein Blick war wieder stur auf seinen Hund gerichtet, welcher mittlerweile mit Junko um ein Stück Holz kämpfte. Anscheinend hatte die Kleine es aufheben und werfen wollen, der Hund hatte jedoch gedacht sie wollte mit ihm damit spielerisch kämpfen. Der Kräfteunterschied zwischen dem Tier, welches Junko fast bis zur Brust reichte, und dem kleinen Mädchen war jedoch so unausgeglichen, dass die Kleine eiskalt verloren und sich womöglich noch verletzt hätte. Aus diesem Grund nahm Yasuo Daumen und Zeigefinger in den Mund und pfiff einmal kräftig, wodurch Bejû den Stock erschrocken losließ und mit herausgestreckter Zunge zu ihm sah, während die Grundschülerin aufgrund der plötzlichen Reaktion auf ihrem Hintern landete. Keinen Moment später stand Bejû neben dem Oberschüler und sah ihn erwartungsvoll an. „Platz.“, befahl Yasuo kurz und bündig, woraufhin Bejû sich neben ihn legte und dafür eine Krauleinheit über den Kopf bekam, „Brav.“ Auch Junko kam wenige Sekunden drauf angerannt: „Wow. Der hört ja aufs Wort. Kann ich das auch?“ Yasuo schmunzelte, kaum sichtbar: „Du kannst es versuchen, aber ich glaube auf dich hört er nicht. Bejû ist etwas eigen. Er hört nur auf drei Personen.“ „He?“, kam es langgezogen von Junko, doch beließ es dabei, während sie sich zu der Gruppe setzte, den Hund aber nicht aus den Augen ließ, „Er ist wirklich lieb. Hast du ihn schon lange?“ Fragend sah der Oberschüler zu dem kleinen Mädchen, doch wandte sich dann mit einem sanften Lächeln wieder seinem Hund zu, welchen er hinter dem Ohr kraulte. Dann nickte er: „Ich habe Bejû bekommen, als ich noch in der Grundschule war. Er war ein Geschenk… Als Welpe war er richtig süß, leider ist er extrem schnell gewachsen und hat mich irgendwann kurzzeitig überholt. Es hat mich auch einige Jahre gekostet, bis ich ihn an der Leine führen konnte. Dieser Starrkopf hier ist nämlich echt stürmisch, aber das habt ihr ja vorhin gesehen.“ Bei seinem letzten Satz kraulte er den Hund noch etwas doller, was dieser sichtlich genoss. Mirâ jedoch war aufgefallen, dass Yasuo den Satz mit dem Geschenk abrupt abgebrochen hatte. Ob da mehr dahinter steckte? Weiter konnte sie diesen Gedanken jedoch nicht bringen, da Junko bereits das Gespräch wieder aufgenommen hatte und meinte, dass Bejû dann schon ziemlich alt sein musste und dafür aber noch sehr aktiv war. Dem Oberschüler entkam ein kurzes Lachen, als er nickte und meinte, dass sein Kumpel schon ein richtig alter Herr war, ihn aber trotzdem noch sehr auf Trab hielt. Mirâ musste lächeln, während sie dem Gespräch lauschte, in dass sich auch Akane einmischte, welche Junko erklärte, wie man Hundejahre in Menschenjahren umrechnete und sie damit herausfinden konnte, wie alt Bejû demnach in Menschenjahren wäre. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus und einen Moment später hörte sie seit langer Zeit wieder die unbekannte Stimme, die ihr bekannten Worte sagen: „Ich bin du… du bist ich…“ Nur wenige Sekunden später ertönte bereits ihr Handy mit dem Signalton der Persona App und sie wusste sofort, dass es sich dabei um einen neuen Social Link handelte. Auch ahnte sie in jenem Moment, dass es Yasuo war, mit dem sie diesen Link geformt hatte. Die wieder aufkommenden Zweifel, dass diese Social Links nur Mittel zum Zweck waren, beiseite schiebend lächelte sie und beteiligte sich anschließend mit an der Unterhaltung. Es war bereits dunkel, als Mirâ und ihre kleine Schwester endlich wieder auf dem Heimweg waren. In der einen Hand eine Tüte mit Einkäufen haltend, beobachtete sie lächelnd Junko, welche, sich an ihrer anderen Hand festhaltend, neben ihr her lief und an einem Wassereis schleckte. Ihre Mutter würde wohl nicht begeistert sein dies zu sehen, aber Mirâ hatte sich trotzdem erweichen lassen. Dafür hatte sie ihrer kleinen Schwester das Versprechen abgenommen ihrer Mutter nichts darüber zu sagen und das Eis bis nach Hause aufzubrauchen. Und so wie es derzeit aussah, würde dies wohl kein Problem darstellen, denn die Hälfte hatte das kleine Mädchen bereits verputzt. Mirâ seufzte und richtete wieder ihre Aufmerksamkeit auf die Straße vor sich. Abgesehen von dem Gespräch mit Akane wegen Hiroshi, welches ihr immer noch peinlich war, und dem kurzen Schock, als Bejû die Braunhaarige umgerannt hatte, hatten die Mädchen heute einen schönen Tag gemeinsam verbracht. Ein erneutes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie daran dachte, dass sie es begrüßen würde noch mehr solcher unbeschwerten Tage zu erleben. Die Sommerferien waren immerhin noch lang. Doch sie wusste leider auch, dass sie noch einen Kampf vor sich hatten und das trübte ihre Stimmung ein wenig. Wiederum mussten sie ja nur Akisu aus ihrem Gefängnis befreien und dann hätten sie den restlichen August Zeit für sich. Ein einfacher Gedanke, doch sie wusste, dass es wohl nicht so einfach sein würde. Ein weiteres leises Seufzen entkam ihren Lippen. Plötzlich jedoch blieb Junko ruckartig stehen, weshalb Mirâ die kleine beinahe hinterhergeschleift hätte, weil es ihr erst ziemlich spät auffiel. „Was ist?“, fragte sie anschließend das kleine Mädchen, welches zu ihrer Linken schaute. Beide Mädchen hatten gerade eine kleinere Kreuzung betreten, an welcher sich fünf Straßen trafen. Die Ältere folgte dem Blick ihrer kleinen Schwester und erkannte unter einer Laterne, welche an einer Gabelung stand, einen jungen Mann. Dieser kniete vor dem Mast der Laterne, stellte etwas auf den Boden und legte die Hände wie zu einem Gebet zusammen. „Was macht der Mann da, Onee-Chan?“, fragte Junko leise. „Uhm…“, Mirâ hockte sich zu ihrer Schwester herunter, „So etwas macht man wenn…“ „Ich bete für die Seele des Mädchens, was hier vor einiger Zeit verunglückt ist.“, hörte sie eine ihr bekannte Stimme und zuckte zusammen, während sie mitbekam, dass der junge Mann auf sie zukam, „Ach du bist das. Mirâ wars, oder? Ist das deine kleine Schwester?“ Erschrocken sah sie auf und erkannte im Licht der Laterne Alec, welcher mit den Händen in den Taschen vor ihnen stand. Schnell stand sie auf: „Ähm… j-ja und ja.“ „Kennst du den Mann, Onee-Chan?“, fragte Junko vorsichtig, Alec skeptisch betrachtend. Dieser sah erstaunt zu dem kleinen Mädchen hinunter und lachte plötzlich: „Ich bin sowas wie ihr persönlicher Schutzengel.“ Fragend sah Junko zu ihrer Schwester, welche nur seufzte und ihre Hand an die Stirn legte, während sie sich daran erinnerte, dass sie den jungen Mann bisher immer nur dann getroffen hatte, wenn sie irgendwie in Schwierigkeiten war: „Irgendwie kann man das so sagen…“ Noch einmal seufzend sah sie dann zu der Laterne, wo eine schmale Vase gefüllt mit einer einzelnen Blume stand: „Kanntest du das Mädchen, was hier verunglückt ist?“ Alec zuckte kaum merklich zusammen, entspannte sich dann jedoch wieder und sah ebenfalls zu der von ihm aufgestellten Vase, bevor er mehr in Gedanken versunken erklärte, dass er sie eher flüchtig kannte und zum Zeitpunkt des Unfalls zufällig in der Nähe gewesen war. Sie hatte ihn wohl so sehr Leid getan, dass ihm dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf ging und er deshalb regelmäßig hierher kam, um eine Blume aufzustellen und für die Kleine zu beten. Dann blickte er auf Junko, welche an die Vase herangetreten war und nun ebenfalls die Hände zusammen legte und betete. „Die kleine war ungefähr in ihrem Alter.“, murmelte er leise, „Noch so jung…“ „Was war denn passiert?“, auch Mirâ beobachtete das Tun ihrer kleinen Schwester. Der Mann neben ihr seufzte: „Ein LKW hat einem Auto die Vorfahrt genommen. Der Fahrer war vollkommen übermüdet und hat das Auto schlichtweg übersehen. Die Kleine hatte keine Chance…“ „Schrecklich…“, ein kalter Schauer lief über den Rücken der Violetthaarigen, als sie sich vorstellte, wie es wohl war in solch eine Situation zu kommen, weshalb sie schnell den Kopf schüttelte, um die Gedanken wieder loszuwerden. Daran wollte sie gar nicht denken. Sie sah zu Alec, welcher immer noch Junko beobachtete und erkannte den Schmerz in dessen Augen. Es schien mehr dahinter zu stecken, als der junge Mann zugab, doch die Oberschülerin traute sich nicht ihn darauf weiter anzusprechen. Zu nahe treten wollte sie ihm auch nicht, immerhin kannte sie ihn kaum. Ein Seufzen holte sie aus ihren Gedanken und sie bemerkte, dass der Schwarzhaarige sich von ihr entfernt hatte und auf sein Motorrad zugegangen war. „Es ist spät. Junge Mädchen sollten um diese Uhrzeit nicht mehr draußen herumirren. Soll ich euch nach Hause begleiten?“, fragte er jedoch, bevor er auf sein Gefährt stieg. Mirâ schüttelte den Kopf: „Wir wohnen gleich um die Ecke und sind eh gleich Zuhause. Aber danke, dass du dir Sorgen machst. Du bist echt nett.“ Der Schwarzhaarige senkte den Kopf: „Nein so ist das nicht.“ „Eh?“, da der junge Mann bereits seinen Helm aufgesetzt hatte, konnte Mirâ seine Worte, die ohnehin nur leise gesagt wurden, nicht verstehen, weshalb sie ihn fragend ansah. Doch anstatt eine Antwort zu geben startete der junge Mann den Motor seiner Maschine und setzte sich in Bewegung. Mit einer Handbewegung wünschte er den beiden Mädchen einen guten Heimweg und war kurz darauf verschwunden. Verwundert blickte Mirâ ihm nach und fragte sich, was der Ältere wohl gemeint haben könnte. Eine kleine Hand ließ sie jedoch aus ihren Gedanken schrecken, woraufhin sie zu ihrer kleinen Schwester sah, die ihre Hand gegriffen hatte. Das Lächeln kehrte auf das Gesicht der jungen Frau zurück und sie nahm sich vor, erst einmal nicht weiter darüber nachzudenken. Stattdessen griff auch sie nun die kleine Hand von Junko und machte sich mit dieser endlich auf den Heimweg, den Signalton ihres Handys dabei völlig außer Acht lassend. Kapitel 53: LIII – Das unerwartet etwas andere Date --------------------------------------------------- Donnerstag, 13.August 2015 Seufzend folgte Mirâ ihrer kleinen Schwester, welche von einem Gehege zum nächsten stolzierte und mit strahlenden Augen die Tiere beobachtete, die darin gehalten wurden. Begeistert blieb die Kleine als nächstes bei den Pinguinen stehen und versuchte sich irgendwie durch die Massen zu zwängen, die sich davor drängten. Erneut seufzte die Violetthaarige und tat es ihrer kleinen Schwester nach, um diese nicht aus den Augen zu verlieren. "Diesen Tag habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.", ging ihr durch den Kopf. "Warum seufzt du so schwer, Mirâ? Alles in Ordnung?", fragte sie eine männliche Stimme, die ihr Herz höherschlagen und sie aufschauen ließ. Ihr Blick fiel auf Masaru, welcher neben ihr herlief und sie freundlich anlächelte. Sofort stieg ihr leichte Röte ins Gesicht, woraufhin sie ihren Blick wieder abwandte, damit der Schwarzhaarige es nicht bemerkte. Ja, diesen Tag hatte sie sich wirklich ganz anders vorgestellt. Ihr ursprünglicher Plan war es gewesen, den Älteren zu fragen, ob er mit ihr gemeinsam in den Zoo gehen würde. Sie hatte sich extra ein Ziel gesucht, das sie noch nicht kannte, um einen Grund zu haben den Älteren um seine Begleitung zu bitten. Soweit hatte das Telefonat am Abend sogar funktioniert, doch leider war Junko während des Gespräches plötzlich ins Zimmer gestürmt und hatte gequengelt, dass sie auch in den Zoo wolle. Anscheinend hatte die Kleine das Gespräch zwischen ihrer großen Schwester und Masaru mitbekommen und war sofort Feuer und Flamme gewesen. Dadurch jedoch, hatte der junge Mann die Situation vollkommen falsch verstanden. Er dachte nämlich nun, dass er sie UND ihre kleine Schwester begleiten sollte. Und so waren sie nun zu dritt hier. Erneut seufzte Mirâ. Ihr Plan war so perfekt gewesen und sie hatte endlich ihre Scheu überwinden und ihren Senpai um ein Date bitten können. Und dann kam Junko und die Violetthaarige musste zugeben, dass der Plan doch nicht so gut durchdacht war. Zwar hatte Mirâ vor, der Kleinen abzusagen, doch noch bevor sie dazu kam, hatte Masaru bereits verkündet, dass er sich freue mit den Beiden in den Zoo zu gehen. Damit war es auch zu spät gewesen, ihm zu sagen, dass sie alleine mit ihm gehen wollte. Ganz davon abgesehen, dass sie sich das im Nachhinein gar nicht mehr getraut hätte. Ein Tippen auf ihre Schulter ließ sie wieder aufblicken und in die fragenden, braunen Augen von Masaru sehen, woraufhin ihr erst klar wurde, dass sie dem Älteren immer noch eine Antwort schuldig war. "Ähm entschuldige. Ich war in Gedanken.", entschuldigte sie sich schnell und suchte eine passende Antwort, "Es ist alles in Ordnung, nur Junko ist schwerer zu hüten, als ein Sack Flöhe." Das erneute Lachen ihres Senpais drang an ihr Ohr und ließ ihr Herz wieder einen Sprung machen: "Lass sie doch. Sie freut sich eben auf den Besuch hier im Zoo. Ich kann sie da voll verstehen. Als Kind war ich auch gerne hier. Es ist schön mal wieder hergekommen zu sein." Ein Lächeln umspielte Mirâs Lippen, als sie den Schwarzhaarigen so fröhlich grinsen sah, woraufhin auch ihr Ärger über das missglückte Date verschwand. Gemeinsam erreichten die Beiden das Areal der Pinguine, wo Junko es mittlerweile geschafft hatte sich nach vorn durchzukämpfen. Auch die Oberschüler schafften es kurze Zeit später ganz nach vorn und gesellten sich zu dem kleinen Mädchen, welches die Vögel mit großen Augen beobachtete. Die Violetthaarige hatte ihren Blick ebenfalls auf die flugunfähigen Tiere gerichtet und beobachtete, wie einer der Frackträger am Rand des riesigen Beckens stand und sich anscheinend nicht entscheiden konnte, ob er ins Wasser springen sollte oder nicht. Immer wieder wippte er an der Kante einem Drahtseilakt gleich hin und her, weshalb es so aussah als würde er jeden Moment springen, sich dann aber im nächsten Augenblick doch wieder umentscheiden. Plötzlich gab es ein Platschen und der Pinguin war im Wasser gelandet, während hinter ihm an nun selber Stelle ein Anderer stand und seinem Artgenossen nachschaute. "Das war fies.", lachte Masaru neben ihr, weshalb sie zu dem jungen Mann schaute, der sein Handy auf die Szene gerichtet hatte. "Hast du das gesehen? Der andere Pinguin hat den Einen geschubst.", lachte nun auch Junko. Wieder lachte der Schwarzhaarige, während er auf das Display seines Smartphones schaute: "Ja. Das schien so, als wollte er seinem Freund die Entscheidung abnehmen." Junko stimmte kichernd zu, während sie ihren Blick wieder auf die Pinguine richtete. Mirâ unterdessen sah weiterhin zu ihrem Senpai, welcher immer noch seinen Blick auf das Smartphone gerichtet hatte. Mit schnellen Bewegungen schien er eine Nachricht zu tippen und diese einen Moment später mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht abzuschicken. Ein kleiner Stich zog sich durch Mirâs Herz, als sie sein Lächeln sah, und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus. Es war ähnlich dem, welches sie vor einigen Tagen bereits gespürt hatte, als sie Hiroshi mit dem fremden Mädchen gesehen hatte. Hier jedoch wusste sie genau, woher es kam und es war ihr etwas unangenehm. Denn so etwas wie Eifersucht hatte sie noch nie verspürt. In ihr keimte die Frage auf, wem der Ältere wohl geschrieben hatte und sie war kurz versucht ihn zu fragen, hielt sich dann jedoch zurück. Sie wusste auch genau weshalb sie zögerte: Die Antwort, die sie vielleicht bekommen könnte, machte ihr Angst. Was wenn sie erfuhr, dass Masaru schon eine Freundin hatte? Das würde ihr wohl das Herz brechen, immerhin empfand sie ernsthaft etwas für den Schwarzhaarigen. Aber hätte sie das dann nicht erfahren? Sie waren immerhin Freunde und in letzter Zeit hatten sie als Gruppe eine Menge zusammen unternommen. Wiederum hatte sich Masaru auch schon einige Male abgekapselt, als die Gruppe etwas gemeinsam machen wollte, weil er etwas mit Dai unternehmen wollte. Was wenn er an diesen Tagen mit seiner Freundin unterwegs war? Der Gedanke gefiel Mirâ überhaupt nicht und sie schüttelte schnell den Kopf. Warum sollte der Ältere lügen, wenn er mit seiner Freundin unterwegs war? Das ergab keinen Sinn, also hatte er an diesen Tagen mit Sicherheit nicht gelogen. Wahrscheinlich hatte er das Video seiner Mutter oder seiner älteren Schwester geschickt. "Genau! Das muss es sein!", ging der Violetthaarigen durch den Kopf und sie schöpfte wieder neuen Mut. Wenn Masaru eine Freundin hätte, dann hätte sie es mit Sicherheit irgendwie durch Dai oder Amy erfahren. Die Beiden kannten den Schwarzhaarigen immerhin schon eine Weile. Außerdem war Masaru so beliebt, dass ihr solche Dinge sicher schon zu Ohren gekommen wären. Diese Gedanken beruhigten die junge Frau wieder etwas, doch ein leicht ungutes Gefühl blieb. Eine Hand erschien in ihrem Blickfeld und ließ sie aufschrecken und auf Masaru blicken, der sie erneut fragend ansah: "Ist wirklich alles in Ordnung? Du bist so still." Die junge Frau setzte ein Lächeln auf und verdrängte weitere solcher Gedanken: "Ja alles gut. Entschuldige bitte. Ich war nur in Gedanken." Der Schwarzhaarige seufzte leicht, doch lächelte dann ebenfalls: "Dann ist ja gut. Wollen wir weiter?" Mirâ nickte und hielt Junko ihre Hand entgegen: "Was meinst du Junko? Wollen wir weiter?" Die Kleine sah ihre ältere Schwester kurz mit großen roten Augen an, bevor sie freudig nickte und die ihr angebotene Hand griff. Somit setzten die Drei ihren Weg durch den Tierpark fort. Dieser hatte sich als größer herausgestellt, als Mirâ am Anfang vermutete. Er war an einen der Berge gebaut worden, welche die Stadt umgaben und demnach auch etwas außerhalb der Innenstadt gelegen. Diese Begebenheit machte den Zoo jedoch speziell, denn die Gehege der einzelnen Tiere waren auch an dem angrenzenden Berg zu finden, sodass man auf extra befestigten Wegen sogar ziemlich weit hinauflaufen musste, um alle Tiere zu sehen. Gleich am Eingang wurden die Besucher von zwei riesigen Löwenstatuen begrüßt, die das steinerne Eingangstor flankierten. Direkt dahinter befand sich auf der linken Seite das zooeigene Aquarium, welches sich die Gruppe für den Schluss aufheben wollte. Bog man den Weg am Eingang nach rechts ab, so gelangte man zuerst zu einer riesigen Tropenhalle und danach zu den Raubkatzen. Auf dem Weg zu den großen Katzen, kam man an den Becken für die Pinguine und den Seelöwen vorbei, welche den Weg zur linken flankierten. Ging man durch das Raubtierhaus hindurch, gelangte man zu dem Gelände der afrikanischen Elefanten, wo sich der Weg erneut gabelte. Folgte man dem Weg nach links, so kam man zu einem großen Vogelhaus in welchem alle Arten von Papageien, aber auch einige Raubvögel gehalten wurden. Nahm man den Weg gerade aus, so wurde man den Berg hinauf und an verschiedenen Bergziegen, sowie Steinböcken vorbeigeführt, bis man auf halben Weg auf eine Aussichtsplattform kam, auf der sich auch ein kleiner Imbiss befand und von welcher aus man einen wunderschönen Blick über die Stadt hatte. Diesen Ort nutzte die Gruppe, um sich etwas auszuruhen und zu stärken, denn Junko hatte die Gelegenheit sofort genutzt zu verkünden, dass sie bereits wieder Hunger hatte. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet Mirâ, dass es auch bereits kurz nach Mittag war, weshalb sie sich überreden ließ und etwas zu Essen für die Gruppe holte. Zwar wollte Masaru seine Mahlzeit selber zahlen, aber da der junge Mann für sie und Junko bereits den Eintrittspreis übernommen hatte, ließ sich Mirâ nicht nehmen, sich zu revanchieren. So hatten sie einen Moment später an einem der Tische auf der Terrasse Platz genommen und schauten auf die Stadt hinunter, während sie sich ihre Pommes schmecken ließen. „Was kommt als Nächstes?“, fragte Mirâ, während sie ihren Blick wieder von dem wunderschönen Ausblick auf den älteren Schüler richtete. Masaru überlegte kurz und sah dann den Berg hinauf: „Wenn wir nachher den Weg weiter nach oben gehen, dann gelangen wir zu dem Affenhaus. Dort werden auch Bergaffen gehalten. Sie haben ein Freigehege, wenn ich mich recht entsinne, das allerdings mit einem Netz überspannt ist, damit sie nicht ausbüchsen. Wenn wir von dort wieder hinuntergehen, kommen wir wieder zu den Elefanten und dann zur Afrikasavanne, wo auch Giraffen, Zebras und Antilopen gehalten werden. Und wenn wir da vorbei sind, kommen wir wieder zurück zum Ausgang mit dem Aquarium. Das wäre dann unser Abschluss.“ „Klingt gut. Also haben wir noch ein bisschen was vor uns.“, Mirâ folgte dem Blick von Masaru den Berg hinauf und konnte dabei aus der Ferne schon einige dunkle Wolken auf sie zusteuern sehen, „Hauptsache das Wetter hält. Nicht das wir mittendrin von einem Gewitter überrascht werden.“ Der Schwarzhaarige nickte und wandte seinen Blick dann von den dunklen Wolken wieder auf Junko: „Wir sollten dann weiter, sobald Junko-Chan mit ihren Pommes fertig ist.“ Junko sah kurz fragend von ihrem Essen auf und schien dann erst zu registrieren, worum es überhaupt ging, weshalb sie schnell noch ihre letzten Pommes in den Mund schob und dann aufsprang, sodass die kleine Gruppe den weiteren Weg fortsetzen konnte. Glücklicherweise ließen sich die Regenwolken Zeit und wanderten nur langsam gen Kagaminomachi, sodass die Drei es tatsächlich schafften trocken durch den restlichen Zoo zu wandern, um schlussendlich im Aquarium zu landen. Dieses war zweistöckig, wobei die obere Etage verschiedene Aquarien mit unterschiedlichen Fischen aufwies. Neben den riesigen Behältern hingen Schilder mit Informationen für die Besucher, wo welcher Fisch herkam und wie er aussah. Diesen Bereich zu durchstreifen dauerte dieses Mal allerdings nicht so lange, wie bei den anderen Gehegen, was wohl auch Junkos Desinteresse an den Meeresbewohnern zu schulden war. Das Gebäude wurde von mehreren Gängen durchzogen, sodass man eigentlich nur im Kreis lief und deshalb auch schnell durchkam. In der Mitte der ganzen Gänge jedoch, führte eine schmale Wendeltreppe hinunter in den zweiten Raum. Als die kleine Gruppe diesen betrat mussten sie kurz innehalten, denn dieser Bereich war nur spärlich beleuchtet. Um genau zu sein, war die einzige Lichtquelle das riesige Becken, dass diesen kreisförmigen Raum umrundete und in welchem mehrere Haie umher schwammen. Nun schien auch wieder Junkos Interesse geweckt, während sie total begeistert an eine der großen Beckenscheiben trat und sich dagegen lehnte, um besser zu sehen. Ein großer Schatten legte sich jedoch plötzlich über sie, weshalb sie erschrocken zurück ging, als ein Hai genau vor ihrer Nase vorbeischwamm. Mirâ konnte sich dabei ein Kichern nicht verkneifen und ging zu ihrer kleinen Schwester hinüber. „Hast du dich erschreckt?“, fragte sie lachend. Mit großen Augen sah die kleine ihre ältere Schwester an, doch blähte dann etwas die Wangen auf, nur um kurz darauf den Kopf zu schütteln und wieder näher an das Glas heranzutreten. Mirâ beobachtete sie dabei und grinste nur leicht, da sie genau wusste, ins Schwarze getroffen zu haben. Ein Körper an ihrer linken Seite ließ sie allerdings einen Moment später neben sich schauen. Masaru war an sie herangetreten und hatte den Blick auf die großen Knorpelfische gerichtet, welche in aller Ruhe ihre Bahnen schwammen. Das fahle blaue Licht der Aquarien erhellte sein Gesicht und ließ ihn gleich noch etwas männlicher wirken, was Mirâs Gefühle wieder dazu veranlasste Achterbahn zu fahren. Sie war glücklich diesen Tag mit ihrem Schwarm verbracht zu haben, auch wenn Junko sich dazwischengedrängt hatte. Trotz allem war es ein wunderschöner Tag gewesen und eigentlich wünschte sie sich, dass er nicht schon wieder vorbei war. Sie wandte den Blick ab und sah zu Boden, als sie wieder dieses aufkeimende Gefühl der Eifersucht in sich aufsteigen spürte, während sie sich daran erinnerte, dass Masaru an mehreren Stationen Fotos gemacht und sie jemandem geschickt hatte. Natürlich redete sie sich weiterhin ein, dass er diese für jemanden aus seiner Familie gemacht hatte und doch blieb der bittere Geschmack, dass es nicht stimmte. Sie schloss kurz die Augen, um ihre Gedanken zu sortieren. Im Grunde war es vollkommen fehl am Platz sich darüber solche Gedanken zu machen, denn eigentlich passte es aktuell nicht in ihre Situation. Sie mussten immerhin dem Rätsel um die Schattenwelt auf den Grund kommen und sie war sich nicht sicher, ob es da so ratsam war, eine Beziehung innerhalb der Gruppe einzugehen. Wiederum beneidete sie auch irgendwie ihre Freundin Akane, die ganz offen mit ihren Gefühlen für Yasuo umzugehen und die Nähe des Älteren zu suchen schien. Warum also sollte sie nicht auch ehrlich mit ihren Gefühlen umgehen? Noch während sie diese Gedanken weiterverfolgte, hatte sie ihren Blick wieder auf den jungen Mann neben sich gerichtet, dessen Aufmerksamkeit allerdings immer noch auf die Fische gerichtet war. Röte stieg ihr ins Gesicht, als sie ihre Augen wieder zu Boden richtete. Vielleicht sollte sie einfach etwas mutiger werden. Sie nickte leicht und schöpfte Mut, während sie vorsichtig an den älteren Schüler herantrat. Einen Versuch war es wert und selbst wenn es schiefging, dann konnte sie immer noch sagen, sie hätte etwas Gleisgewichtsprobleme. Sie hatte nur noch wenige Millimeter zu überbrücken, als plötzlich eine kleine Hand nach ihrer griff und sie in ihrem Tun stoppen ließ. Ihr Blick richtete sich auf die Person, die ihre Hand ergriffen hatte und sah auf Junko, die sie mit großen Augen ansah. „Onee-Chan. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Lass uns langsam gehen. Ja?“, sagte sie mit Unschuldsmiene und trotzdem hatte die Violettehaarige das Gefühl, die Kleine hatte diese Aktion mit Absicht gemacht. „W-Was? A-aber wir sind doch gerade erst hier runtergekommen, Junko.“, versuchte Mirâ noch etwas Zeit zu schinden, auch wenn sie wusste, dass ihr Mut mittlerweile verschwunden war. Junko richtete ihren Blick traurig etwas zu Seite und nahm ihre Hand vor den Mund: „A-Aber ich höre es draußen schon grollen. I-Ich möchte nach Hause bevor es gewittert. Bitte.“ Kleine Tränen hatten sich in den Augenwinkeln der Grundschülerin gesammelt, weshalb die Ältere nun doch ein leicht schlechtes Gewissen einholte. Auch sie hörte kurz darauf ein leises Grollen und merkte, wie Junko ihre Hand fester griff. Mirâ seufzte und sah zu Masaru, welcher nur lächelte. „Tut mir leid, Senpai. Scheint, als müssten wir uns auf den Weg machen. Junko hat Angst vor Gewitter.“, entschuldigte sich die junge Frau höflich, doch der Schwarzhaarige winkte nur lächelnd ab. „Alles gut. Die Führung wäre damit sowieso beendet. Ich hoffe es hat euch gefallen.“, meinte er anschließend. Mirâ nickte: „Ja. Es war sehr schön heute. Vielen Dank, Senpai.“ *~*~* Ein leises Grollen war noch aus der Ferne zu hören, während der Regen in Bindfäden vom Himmel fiel. Seufzend sah Mirâ in den immer noch dunkelgrauen Himmel hinauf, welcher nicht so aussah, als würde er jeden Moment mit dem Regen aufhören. Neben ihr stand Masaru, der ebenfalls seinen Blick gen Himmel gerichtet hatte, während an ihrer linken Hand Junko stand, die hinüber zu den Bergen sah, die das große Gewitter bisher von der Stadt ferngehalten hatten. Die Gruppe war gerade auf dem Weg zur U-Bahnstation, welche etwas entfernt vom Zoo lag, als sie vom Regen überrascht wurden und sich deshalb auf schnellstem Wege irgendwo unterstellen mussten, bevor sie völlig durchnässt wären. Zu ihrem Glück befand sich ein Konbini mit überdachtem Eingang auf ihrem Weg, unter welchem sie Schutz vor dem Regen finden konnten. Die Station war immer noch einige Straßenzüge entfernt, sodass ihnen nichts anderes übrigblieb, als zu warten bis sich das Wetter etwas beruhigt hatte, damit sie halbwegs trocken Zuhause ankommen würden. „Ich hätte einen Schirm einpacken sollen. Der Wetterbricht hat vor Unwettern gewarnt.“, murmelte Mirâ, den Blick weiter auf den Himmel gerichtet. Der ältere Schüler lachte: „Ja daran habe ich auch nicht gedacht, als ich den strahlend blauen Himmel heute Morgen gesehen habe. Naja lässt sich wohl erst einmal nicht ändern. Es wird sicher bald etwas abklingen, dann können wir weiter.“ Die Violetthaarige nickte und sah zu ihrer Schwester hinunter, die sich etwas ängstlich an ihrer Hand festkrallte, während sie dem Grollen lauschte, das außerhalb der Stadt zu hören war. Die Kleine tat ihr leid, weil sie wusste, dass sie Angst vor Gewittern hatte, allerdings wusste sie in diesem Moment auch nicht, wie sie ihrer Schwester helfen konnte, außer ihr tröstend die Hand zu halten, weshalb sie es erst einmal dabei beließ. Bevor sie nicht Zuhause waren, würde sich Junko eh nicht beruhigen. Die Tür des Konbinis öffnete sich mit einem Surren und eine Gestalt trat heraus, die die Uniform des Geschäftes und eine dazu passende Cap trug. Mirâ nahm nicht viel Kenntnis von ihr, da sie ihr nur im Augenwinkel aufgefallen war und sie diese Person als Angestellten des Ladens erkannte. Doch sie wurde hellhörig, als ihr eine bekannte Stimme ans Ohr drang. „Endlich Pause…“, murmelte die Person und streckte sich genüsslich, bevor sie sich hinhockte um etwas auszuspannen und dabei, sich den Nacken reibend, auf den verregneten Himmel zu schauen. Nun hatte Mirâ ihren Blick komplett auf die Person gerichtet, die sich neben ihnen befand und erkannte dadurch den jungen Mann, dessen dunkelblonde Haare unter der Capi hervorschauten und auf seine Schultern fielen. Doch noch bevor sie ihn ansprechen konnte, hatte Junko schon reagiert. „Hiro-niichan!“, strahlte sie regelrecht, während sie sich von Mirâs Hand losriss und auf den jungen Mann zustürmte. Dieser schaute irritiert auf, doch fiel bereits auf seinen Hintern, noch ehe er etwas erkennen konnte, als er von Junko stürmisch umarmt wurde. Dabei rutschte ihm sein Capi etwas vom Kopf und man konnte endlich das erstaunte Gesicht des Blonden erkennen. „Ju-Junko-Chan. Wa-was machst du denn hier?“, fragte Hiroshi irritiert, während er eine Hand auf den Kopf des kleinen Mädchens legte. Strahlend blickte die Kleine ihn mit ihren roten Augen an: „Wir waren heute im Zoo.“ „Ihr?“, fragend sah der junge Mann nun auf und erkannte Mirâ und Masaru, welche ihn ebenfalls etwas irritiert ansahen. Wieder spürte der Blonde den kleinen Stich in seinem Herz, als er die Beiden zusammen sah, doch ignorierte er dieses Gefühl mittlerweile gekonnt und lächelte Junko stattdessen an: „So? Und wie war es? Gab es viel zu sehen?“ Junko nickte und hätte dem Blonden am liebsten alles sofort erzählt, hätte Mirâ sie nicht ermahnt, den jungen Mann erst einmal loszulassen, damit er wieder aufstehen konnte. Nun schien auch die Grundschülerin zu bemerken, dass der Ältere auf dem Boden saß und ließ ihn, wenn auch wiederwillig, los. Seine Capi richtend stand Hiroshi daraufhin vorsichtig auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Noch bevor er allerdings richtig aufgestanden war, wurde er bereits von einem Wall von Text von Junko überrumpelt, die ihm schon fast ausführlich erzählte, was sie alles gesehen hatte. Sie hätte wohl noch weiter ausgeholt, wenn Mirâ sie nicht etwas zurückgehalten und gemeint hätte, dass sie nicht Hiroshis ganze Pause verplempern wollten. „Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.“, wechselte Masaru das Thema, „Oder dass du das müsstest.“ Der Blonde schnaufte kaum hörbar und richtete seinen Blick auf die Straße: „Muss ich auch nicht. Ich mach das für mich, um meine Eltern nicht ständig anbetteln zu müssen.“ „Und warum so weit draußen?“, fragte Mirâ, da sie sich sicher war, dass Hiroshi mehr in der Innenstadt wohnte. „Das hat sich so ergeben.“, kam es nur trocken von dem Blonden, während er sich wieder Junko zuwandte, die an seinem Shirt gezogen hatte, um ihm noch mehr von ihrem Ausflug zu erzählen. Irgendwie hatte Mirâ das Gefühl, der Blonde war auf etwas wütend, doch wusste sie nicht warum. Aber sein Verhalten versetzte ihr einen leichten Stich, vor allem als sie sah, dass sein übliches breites Lächeln in Gegenwart ihrer Schwester wieder zurückkam. Unbewusst fasste sie sich an die Brust und schüttelte kaum merklich den Kopf. Was war nur los mit ihr? Sie war in Masaru verliebt, aber immer öfters merkte sie dieses aufkeimende Gefühl, wenn Hiroshi in ihrer Nähe war. Dabei war sie sich sicher nicht in den Blonden verliebt zu sein. Wie sollte das auch gehen? Sie konnte ihr Herz immerhin nur einem Jungen schenken, deshalb redete sie sich ein, dass etwas anderes sein musste, was sie für Hiroshi empfand. Warum tat es ihr dann aber weh, wenn er ein anderes Mädchen, ja sogar ihre kleine Schwester, fröhlicher anlächelte als sie? Sie war so verwirrt und wusste langsam nicht mehr was sie denken sollte. „Oh… es lässt langsam nach.“, holte sie die Stimme Masarus aus den Gedanken und ließ sie gen Himmel schauen, wo die grauen Wolken langsam heller und der Regen weniger wurde. „Dann solltet ihr euch weitermachen. Sie haben heute den ganzen Abend Regen angesagt. Ihr solltet die Chance nutzen und euch beeilen.“, mischte sich nun auch Hiroshi wieder ein. Masaru nickte: „Da geb ich dir Recht. Wollen wir, Mädels?“ Leise seufzte die Violetthaarige und verdrängte weitere Gedanken, bevor auch sie nickte und Junko ihre Hand hinhielt: „Besser ist es. Los komm Junko.“ „Ja gleich.“, kam es sofort, während sie noch einmal an Hiroshis Shirt zog und ihn somit bat sich zu ihr herunter zu hocken, „Ich muss dir noch was sagen.“ „Was gibt es Kleines?“, irritiert drehte der Blonde seinen Kopf so, dass Junko ihm ins Ohr flüstern konnte und lief plötzlich knallig rot an, als diese ihm „Ich hab für dich auf Nee-Chan aufgepasst.“ sagte, sich dann grinsend zu ihrer Schwester drehte und deren Hand fasste. Irritiert sah der Blonde den Dreien nach, welche sich von ihm verabschiedeten und sich dann auf den Weg machten. Wie lange der junge Mann so da hockte, wusste er am Ende selber nicht mehr, doch seine Freunde waren schon lange nicht mehr zu sehen, als sein Kollege aus dem Konbini trat und ihn aus den Gedanken riss. Erst dann registrierte er so richtig, was Junko gemeint hatte und wischte sich mit der Hand über das knallig rote Gesicht, bevor ihm ein Lachen entrinn. „Oh man, Junko-Chan… du bist ne Marke.“, nuschelte er, während er sich aufrichtete und seinem irritierten Kollegen zurück in den Markt folgte. Kapitel 54: LIV – Spot an! -------------------------- Freitag, 14.August 2015 Bedrohlich schien der riesige rote Mond über dem Kagamine Park, dessen Tore immer noch sperrangelweit offenstanden, während sich die Gruppe aus sechs Persona-User durch einer Meute von kleineren Shadows schlagen musste, die sich wieder vor dem Dungeon herumtrieb. Eigentlich hatte die Gruppe ja gehofft nach ihrer Besprechung am heutigen Nachmittag den letzten Part dieses Kampfes schnell bestreiten zu können, doch leider wurden sie bereits beim Eintreffen in der Spiegelwelt diesbezüglich enttäuscht. Auch auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum hatten sich vereinzelte Shadows versammelt, welche sie an ihrem Weg gehindert hatten. Diese waren zwar schnell besiegt, doch immer wieder kamen ihnen neue Gegner entgegen, bis sie am Eingang zum Dungeon von dieser rasenden Meute begrüßt wurden. „HAAAA!“, schrie Akane auf und besiegte einen weiteren Gegner, bevor sie sich wieder der Gruppe zuwandte, die ebenfalls mit ihrem Gegner beschäftigt war, „Was geht denn heute nur ab? So was gab es doch noch nie!“ Sie holte erneut aus, als neben ihr wieder ein Gegner auftauchte und trat ihm regelrecht ins Gesicht, wodurch er zurückwich und sich dann auflöste. „Heißt das, das hier ist nicht normal?“, fragte Yasuo interessiert. Masaru kam an seinem Rücken zum Stehen, nachdem er einen Gegner mit seinem Schwert zerteilt hatte: „Jedenfalls nicht so richtig. Die letzten Male wurden wir nicht schon außerhalb des Dungeons von diesen Viechern angegriffen.“ Er brachte sich in Stellung und rannte auf seinen nächsten Gegner zu, um diesen mit seinem Schwert anzugreifen. Yasuo fing seine Frisbee, welche nach kurzer Zeit zu ihm zurückgekommen war und beobachtete seinen Klassenkameraden kurz, ehe er die Scheibe auf den nächsten Shadow warf und sich wieder auf den Kampf konzentrierte. „Jetzt drehen sie wohl völlig durch.“, schimpfte Kuraiko und ließ ihre Sense heruntersausen, um damit das nächste schleimige Wesen in ihrer näheren Umgebung in zwei zu teilen, „Die sind ja wie rasende Fans.“ „Wahrscheinlich sind sie das auch.“, meinte Hiroshi, dessen Ball gerade wieder zu ihm zurückkam und er ihn gleich auf den nächsten Gegner schoss, „Obwohl ich das hier auch ganz schön übertrieben finde.“ Ein Pfeil sauste durch die Gruppe und traf ein weiteres Wesen, das sich in schwarzen Nebel auflöste. Mirâ senkte ihren Bogen und schaute auf die Stelle, an welcher der Shadow gerade verschwunden war. Die Reaktion der Bewohner dieser Welt machte ihr Sorgen und sie musste an das Gespräch mit Igor zurückdenken, in dem er sie warnte, dass sich die Räder ihres Schicksals nun endgültig in Bewegung setzten. Auch wenn sie immer noch nicht wusste, was das zu bedeuten hatte, stellte sie sich die Frage, ob das Verhalten der Shadows etwas damit zu tun hatte. Sie verhielten sich wirklich merkwürdiger und vor allem aggressiver als sonst und ließen auch nicht locker, selbst wenn sie merkten, dass ihr Gegner stärker war als sie selbst. Etwas in ihrem Augenwinkel ließ sie herumfahren und gerade noch ihren Bogen zum Schutz heben, als sich eines der schleimigen Wesen auf sie stürzte und sie etwas zurück drängte. Krampfhaft versuchte sie den Shadow wieder von sich zu drängen, welcher allerdings nicht nachgab, als ihr ein weiterer Schatten auffiel, der sich etwas weiter entfernt von ihrer Gruppe befand und sie zu beobachten schien. Die junge Frau erkannte allerdings keine feste Form, sondern eher eine schwammige Kontur. Ob das Wesen wirklich nur eine so lose Form besaß oder sie einfach nur zu sehr mit ihrem Gegner beschäftigt war, dass sie es nicht erkennen konnte, wusste sie nicht, aber sie spürte, dass etwas Böses von diesem Wesen ausging. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, wodurch sie kurz ihre Konzentration verlor und somit dem Gegner die Chance zum Angriff gab. Bevor dieser die Violetthaarige allerdings treffen konnte, stoppte der Shadow und drehte sich ruckartig um. Damit gab er den Blick auf Mika frei, welche das Wesen mit bösen roten Augen ansah und einen Stein in der Hand hielt. Sie sagte nichts, aber Mirâ konnte trotzdem den Satz verstehen, den sie diesem Wesen entgegenbrachte: „Lass sie in Ruhe, du Scheusal!“ Und es half, denn der schwarze Shadow ließ von Mirâ ab und marschierte nun schnurstracks auf die Blauhaarige los. Aufgrund der plötzlichen Gewichtsverlagerung fiel die Oberschülerin zu Boden und starrte noch einmal auf die Stelle, wo sie zuvor noch den schwammigen Schatten gesehen hatte, welcher nun allerdings verschwunden war. Deshalb konzentrierte sie sich nun wieder auf das hier und jetzt, um einen Moment später nach einem ihrer Pfeile zu greifen und damit den Shadow anzugreifen, der nun im Begriff war Mika zu attackieren. Mit einem dumpfen Geräusch schlug der Pfeil in den Rücken des Wesens ein, weshalb er in seiner Bewegung stoppte und sich mit rasend roten Augen wieder zu der jungen Frau umdrehte. Der Pfeil in seinem Rücken schien ihn gar nicht zu stören und nur wütender gemacht zu haben, sodass er einen Moment später brüllend wieder auf Mirâ zugestürmt kam. Panisch griff die junge Frau nach einem weiteren Pfeil, schaffte es allerdings nicht ihn ordentlich zu spannen, bevor der Shadow bereits in ihrer unmittelbaren Nähe war, sodass es keinen Sinn mehr machte den Pfeil abzuschießen. Erschrocken wich Mirâ zurück, als das Wesen nach ihr schlug und plötzlich begleitet von Hiroshis Stimme, die Aton rief, von einem krachenden Blitz getroffen wurde, bevor er sie erreichen konnte. Erneut fiel die Violetthaarige auf ihren Hintern und starrte auf die schwarze Stelle, an welcher bis eben noch das Wesen zum Angriff ausgeholt hatte. „Alles in Ordnung, Mirâ?“, fragte er, als er bei seiner Klassenkameradin angekommen war. Etwas geschockt sah diese zu dem Blonden auf, doch nickte dann und setzte ein Lächeln auf, mit welchem sie sich bei ihrem Kumpel bedankte. Ihr eine helfende Hand reichend, zog er die junge Frau wieder auf die Beine und mahnte sie mit einem Zwinkern besser aufzupassen, bevor er sich an Mika wandte und dieser eine kleine, aber nicht ganz ernst gemeinte Standpauke hielt, dass sie sich nicht einfach in Gefahr bringen sollte. Während daraufhin eine kurze Diskussion zwischen dem kleinen Mädchen und dem Oberschüler entbrannte, wieso sie sich eingemischt hatte und dass sie nur Mirâ helfen wollte, beobachtete eben diese den jungen Mann einen Moment. Wieder einmal war er sofort zur Stelle, als sie Hilfe brauchte. Es schien, als würde er immer ein Auge auf sie haben, um sie aus der Ferne zu beschützen. Oder bildete sie sich das nur ein? Obwohl sie der Gedanke, dass Hiroshi über sie wachte irgendwie glücklich machte. Instinktiv legte sie ihre Hand an die Brust, als sie spürte wie ihr Herz begann schneller zu schlagen und sie schloss kurz die Augen, um sich wieder zu beruhigen. Wieso dachte sie daran schon wieder? Es war nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas. Um sich abzulenken sah die junge Frau zu ihren anderen Freunden, welche nun allmählich alle auf sie zukamen. Die Gegner waren nun endgültig besiegt, also konnten sie nun in den Dungeon gehen und sich dem letzten Kampf stellen. Auch wenn sie nicht wusste, was sie erwarten würde, war Mirâ froh nun endlich in den Bossraum eindringen zu können. Zum Einen wollte sie Akisu so schnell wie möglich aus dieser Welt befreien und zum Anderen lenkte es sie von ihren Gedanken ab, die sie aktuell nicht mehr sortiert bekam. Hiroshi hatte währenddessen die Diskussion mit Mika beendet, in welcher er kläglich verloren hatte, da ihm die Argumente ausgegangen waren, sodass die Beiden ebenfalls zur Gruppe stießen. Es brauchte keiner weiteren Worte, damit die Gruppe wusste, was nun weiter geschehen würde, worauf sie gemeinsam durch das offene Tor des Parks traten, welches sie auf direktem Wege zum Bossraum führen würde. Durch das helle Licht geblendet, das sie begleitete, als die Gruppe in den Dungeon zurückkehrte, blinzelten die einzelnen Mitglieder und fanden sich kurz darauf vor der Pforte wieder, welche sie zu ihrem nächsten Gegner bringen würde. Doch zu ihrem Erstaunen war das Tor nicht geschlossen, wie sonst, sondern stand sperrangelweit offen. Wollte der Dungeon sie am Anfang noch von seinem Inneren fernhalten, schien er sie nun regelrecht einzuladen. Ein ungutes Gefühl machte sich in Mirâ breit. Noch schlimmer, als es sonst der Fall war. An diesem Dungeon stimmte einiges nicht. Zudem hatte sie mittlerweile das Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Dieser Zustand hielt bereits an, seit sie diesen schwammigen Schatten sah und hatte sich nun, da sie kurz vor dem Boss waren, nur noch verschlimmert. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und ließ sie neben sich schauen, wo Masaru sie anlächelte. „Keine Sorge, wir werden sie schnell hier rausholen. Gemeinsam schaffen wir das schon.“, meinte er freundlich, sich auf ihren sorgenvollen Blick auf den bevorstehenden Kampf beziehend. Auch Mirâ setzte ein Lächeln auf und nickte. Dass nicht der Bosskampf ihr Sorgen bereitete, sondern das Gefühl beobachtet zu werden, sagte sie ihren Freunden nicht. Sie wollte sie immerhin nicht beunruhigen. Akane trat mit knackenden Fäusten neben sie und hatte ein breites und siegessicheres Grinsen auf den Lippen, welches verriet, dass sie sich schon auf den bevorstehenden Kampf freute. „Dann wollen wir mal!“, sagte sie in freudiger Erwartung und trat auf das Portal zu, was ihre anderen Freunde ihr nachtaten. Nur Mirâ blieb noch einen Moment stehen und warf einen kurzen Blick über ihre Schulter, da sie das Gefühl hatte, dass sie gerade von hinten beobachtet wurde. Unbemerkt schrak sie kurz auf, als sie erneut den schwammigen schwarzen Schatten vernahm, welcher, obwohl man keine Augen sehen konnte, eindeutig seinen Blick auf sie gerichtet hatte. Ein dunkles sehr leises Lachen war zu vernehmen, während sich der Schatten langsam auflöste. Schnell rieb sich Mirâ die Augen und vergewisserte sich dann noch einmal, dass der Schatten wirklich nicht mehr dort war. Er war wirklich verschwunden. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Was war dann aber mit dem Lachen? Das hatte sie sich mit Sicherheit nicht eingebildet, allerdings schienen ihre Freunde es gar nicht mitbekommen zu haben. Also doch nur Einbildung? „Mirâ. Kommst du?“, holte sie Kuraikos Stimme aus den Gedanken. Die junge Frau schrak auf und blickte auf ihre Freunde, die auf der Schwelle zum Bossraum auf sie warteten. Unbemerkt schüttelte sie den Kopf und setzte wieder ihr Lächeln auf, während sie nickte und auf ihre Freunde zutrat, um einen Moment später mit ihnen den riesigen Raum zu betreten. Erschrocken sahen sich die sechs Persona-User und Mika um, als sie den nun doch extrem dunklen Raum betreten hatten, und versuchten durch das bisschen Licht, welches die offene Pforte in den Raum warf, etwas zu erkennen. Doch leider blieb ihnen dieser Luxus nicht lange, denn kurz darauf geschah genau das Gleiche, was bereits beim Zwischenboss passiert war: Die Tür hinter ihnen fiel mit einem lauten Krachen zu und ließ die Gruppe in tiefer Dunkelheit zurück. Ein erschrockenes Quietschen entkam Akane, welche darauf nicht vorbereitet war und eigentlich gehofft hatte, dass sie so etwas in diesem Dungeon nicht noch einmal erlebte. Die Anderen blieben in Alarmbereitschaft, während sich Mika etwas abseits hielt, da sie eh nichts ausrichten konnte. Plötzlich wurde die Gruppe von einem grellen Licht geblendet, welches von der Decke auf sie herunter schien. „Urgh… was ist das denn?“, murmelte Mirâ und versuchte ihre Augen irgendwie offenzuhalten, um etwas zu erkennen. Das Licht war so grell im Vergleich zur vorherrschenden Dunkelheit, dass es schier unmöglich war die Augen dabei geöffnet zu lassen. Mika, welche das Licht nicht direkt abbekommen hatte, hatte sich schneller daran gewöhnt und versuchte etwas zu erkennen, als sie einen riesigen Schatten bemerkte, welcher über der Gruppe schwebte. Allerdings sah sie nur die Umrisse einer weiblichen Gestalt mit langen Haaren und etwas merkwürdigem auf dem Kopf. Bevor sie sich jedoch weitere Gedanken darüber machen konnte hatte sich das Wesen bereits in Bewegung gesetzt und schnellte auf die Gruppe zu. „Vorsichtig, es kommt von oben.“, rief sie der Gruppe zwar noch schnell zu, doch leider zu spät, denn in diesem Moment krachte der Shadow bereits in die Mitte der Persona-User ein und trieb sie mit einem lauten Knall auseinander. Als sich der Staub, welcher dabei entstanden war, gelegt hatte, erkannte man die Sechs verstreut und teilweise verletzt auf dem Boden liegen. „Ist alles in Ordnung?“, rief die Blauhaarige ihnen zu und atmete erleichtert auf, als sie bemerkte, wie sich die einzelnen Mitglieder langsam und teilweise Kopfschüttelnd wieder aufrichteten. „Au, au, au. Was war das denn, verdammt noch mal?“, fragte Hiroshi sich den Kopf reibend und versuchte einen Blick auf ihren Gegner zu werfen, „Was zur Hölle…“ „Was ist los?“, fragte Akane, als sie bemerkte wie der Blonde neben ihr innerhalb von einer Sekunde die Farbe einer überreifen Tomate angenommen hatte. Auch sie richtete ihren Blick nun auf den Gegner in ihrer Mitte und bekam beinahe den Schreck ihres Lebens, als sie auf eine weibliche Gestallt sah, dessen dunkler und reizvoller Körper von weißen Leinen umschmeichelt wurde, die allerdings so dünn war, dass man alles was sich darunter befand genau erkennen konnte. Dabei entging einem beinahe, dass ihr Gesicht von einer weißen Maske bedeckt war, deren Augen rot glühten und die von schwarzem Haar umschmeichelte wurde, dessen Schnitt an eine Prinz-Eisenherz-Frisur erinnerte. Der kurze absolut gerade geschnittene Pony ging ihr bis knapp über die Augen, während das Haupthaar ungefähr Kinnlänge besaß und ebenso gerade geschnitten war. Um ihren Hals schlängelte sich etwas, was wie der Schwanz einer goldenen Schlange aussah, deren Kopf über dem Haupt des Shadows zu finden war und die Form einer Kobra hatte. In ihren Händen hielt sie jeweils ein überdimensionales Messer. „Will die uns verarschen?“, fragte der Blond nur vollkommen geschockt, während er seine Hand vor seine Nase hielt, aus Angst er könnte Nasenbluten bekommen. „Nun mach kein Drama draus.“, kam es seufzend von Masaru, „Das ist nur ein Shadow.“ „Tu nicht so, als würde es dich nicht interessieren, Senpai. Dein Gesicht gleicht auch einer Tomate!“, rief der Jüngere dem Schwarzhaarigen zu, dessen Gesicht wirklich ebenfalls einer Tomate glich. Erstaunt sah der Ältere zu Hiroshi hinüber, bevor er den Blick zur Seite legte und sich ertappt räusperte. Er hatte versucht ernst zu bleiben und sich die Situation nicht anmerken zu lassen, was ihm allerdings gänzlich misslungen war und das war ihm peinlich. Immerhin sollte er als älterer Schüler mit gutem Beispiel vorangehen. „Typisch Kerle.“, hörte er es kurz darauf neben sich schnaufen und schaute auf, um auf Kuraiko zu blicken, die nur mit den Augen rollte, „Ihr denkt auch nur an das Eine. Oder?“ Sich noch mehr ertappt fühlend, bemerkte Masaru, wie dessen Gesicht einen noch dunkleren Ton annahm und dabei unangenehm glühte. „Als wenn deine Persona , Schrägstich dein Shadow, besser gewesen wäre.“, kam es meckernd von der anderen Seite, wo Hiroshi immer noch auf dem Boden hockte, „Da kann man auch nicht gerade von Schamgefühl sprechen.“ „Wie war das?“, schimpfte Kuraiko, „Pass nur auf du Leuchte, sonst knips ich dir das Licht aus!“ „Versuch es doch, du Grufti!“, rief der Blonde ihr entgegen, woraufhin ein lautes Knurren von Kuraiko zu hören war. „Hört mal Leute… ich glaube es ist nicht der richtige Zeitpunkt für sowas.“, erklang plötzlich die vollkommen desinteressierte Stimme von Yasuo, woraufhin alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Eher gelangweilt stand er bei Akane, welche Mirâ gerade auf die Beine half, und kratze sich völlig teilnahmslos im Ohr: „Ich glaube sie greift wieder an.“ Er zeigte in die Luft, in welche sich der Shadow bereits wieder erhoben hatte und seine zwei Messer in Kampfbereitschaft gebracht hatte, nur um kurz darauf genau auf die beiden Streithähne und Masaru zuzusteuern. Mit einem Ruck hatte sich Hiroshi auf die Knie gerettet und krabbelte so schnell er konnte aus der Gefahrenzone, während auch Kuraiko und Masaru die Beine in die Hand nahmen und versuchten Abstand zu bekommen. Krachend landete einen Moment später der Shadow auf dem Boden, genau an der Stelle, wo kurz zuvor noch eben diese drei Persona-User gestanden hatten und wirbelte damit wieder eine menge Staub auf. Rutschend kam Kuraiko, ihre Sense auf den Boden rammend, wieder zum Stehen, während sich in ihrem Gesicht Wut wiederspiegelte. Einen Moment später bildete sich um die Schwarzhaarige das blaue Licht und ihre Persona erschien auf der Bildfläche, welche sofort ihre Peitsche schnipsen ließ und sich um den knapp bekleideten Shadow ein schwarzes Feld bildete. Ihr Gegner jedoch blieb davon vollkommen unbeeindruckt, während er sich von seinem Angriff wieder aufrichtete. Erschrocken nahm die Schwarzhaarige eine abwehrende Stellung ein, darauf vorbereitet, dass der Shadow jeden Moment zurückschlagen könnte. Doch vorher bildete sich um diesen ein goldenes Licht, welches von mehreren Bannzetteln durchzogen war. Mit einem hellen Schein löste sich das goldene Feld wieder auf, doch auch dieses Mal schien es das weibliche Wesen nicht zu beeindrucken. Kurz darauf bildete sich ein grüner Wirbelwind und steuerte genau auf den Gegner zu. Dieser streckte allerdings nur die Hand danach aus und wehrte ihn ohne weitere Probleme ab, bevor mit lautem Donner ein greller Blitz in ihn einschlug. Das Licht des Blitzes legte sich wieder, aber der Shadow stand immer noch unbeeindruckt zwischen ihnen. Auch der Versuch von Mirâ und Akane, das Wesen mit den elementaren Fähigkeiten von Hemsut und Wadjet anzugreifen brachte nichts. Der weibliche Shadow hatte sich mittlerweile wieder vollständig aufgerichtet und begann sich plötzlich zu drehen, die Arme mit den Messern weit von sich gestreckt, bevor sich um ihn ein weißes Licht bildete. Sofort nahmen alle eine Abwehrhaltung ein, gerade noch rechtzeitig, als sie der Angriff traf. Mehrere kleine Schnitte verteilten sich über die Arme und Beine der Persona-User, doch ansonsten blieben sie weitestgehend unverletzt. „Mir scheint an dem Gegner haben wir zu knabbern.“, sagte Yasuo, dessen Aufmerksamkeit nun geweckt war. Weiter in Abwehrstellung stehend, sah sich Mirâ vorsichtig um: „Wichtiger ist: Wo ist Akisu? Ich kann sie nicht sehen!“ „Ich glaube darum sollten wir uns später kümmern. Er kommt wieder.“, rief Akane, als sie bemerkte, wie ihr Gegner auf sie, Yasuo und Mirâ zugestürmt kam. Mit Mühe konnte Mirâ zur Seite springen, während Yasuo sich Akane geschnappt hatte und sie so aus der Schussbahn leitete. Doch kaum war der Gegner wieder zum Stehen gekommen, leuchtete um ihn bereits wieder das weiße Licht, woraufhin sich kurz darauf der Boden unter der Gruppe schwarz färbte. „Nicht das schon wieder.“, hörte Mirâ Hiroshi verzweifelt rufen, als es kurzzeitig dunkel um sie wurde, doch als sie ihre Augen öffnete war ihr nichts geschehen. Auch Akane und Yasuo ihr gegenüber standen noch auf den Beinen. Ein Blick zu Kuraiko und Masaru verriet, dass auch sie unversehrt waren. Nur den Blonden hatte es mal wieder erwischt. Gegen die Fähigkeit Mudo konnte er einfach nichts entgegensetzen, sodass er sich den Kopf reibend auf dem Boden lag. Schnell rief Mirâ Hemsut, um Dia auf ihren Kumpel zu wirken, bevor der Shadow erneut auf die Idee kam anzugreifen, doch da bildete sich bereits wieder das Licht um diesen. Dieses Mal erschien eine helle Fläche unter der Gruppe, die mit Bannzetteln durchzogen war und einen Moment später wurde es blendend hell. Auch dieses Mal waren die meisten der Gruppe nicht betroffen, nur Kuraiko, dessen Schwäche Licht war, hatte es erwischt und sie war zu Boden gegangen. Gleich darauf wirbelte Wind auf und steuerte genau auf Akane und Yasuo zu, den es mit einem Mal von den Beinen riss und einmal quer durch den Raum schleuderte, obwohl die Braunhaarige versucht hatte ihn noch zu greifen. Dann donnerte es laut und auf der anderen Seite des Raumes, wo Masaru stand schlug ein greller Blitz ein, welcher auch den Schwarzhaaren zu Boden gehen ließ. Gefolgt wurde dieser Angriff von einer kalten Eiswelle, die Akane hart traf. Geschockt sah Mirâ auf ihre Freunde, die einer nach dem Anderen zu Boden gegangen waren, als sie im Augenwinkel etwas Rotes bemerkte. So schnell konnte sie gar nicht reagieren, um eine andere Persona anzulegen, die gegen Feuer immun war, als sie die heißen Flammen trafen. Kapitel 55: LV – Mysteriöse Schatten ------------------------------------ Freitag, 14.August 2015 – Dungeon Geschockt sah Mirâ auf ihre Freunde, die einer nach dem Anderen zu Boden gegangen waren, als sie im Augenwinkel etwas Rotes bemerkte. So schnell konnte sie gar nicht reagieren, um eine andere Persona anzulegen, die gegen Feuer immun war, als sie die heißen Flammen trafen. „Minna!“, rief Mika und musste vollkommen geschockt feststellen, dass alle ausgeknockt waren und dem Gegner aktuell nichts entgegensetzen konnten. Wieder fühlte sie sich hilflos und wünschte sich, ihren Freunden mehr helfen zu können. Aber wie, so ganz ohne Persona oder überhaupt der Fähigkeit zu kämpfen? Ganz davon abgesehen, dass sie nicht einmal eine Waffe hatte. Das Einzige für das sie aktuell zu gebrauchen war, war die Suche nach den Opfern und selbst da hatte sie mittlerweile Probleme. Frustriert senkte sie den Blick und starrte zu Boden. Irgendwie musste sie ihren Freunden doch helfen können. Es musste doch etwas geben, was sie tun konnte. Den Shadow angreifen konnte sie nicht. Das würde sie wohl nicht überleben. Was blieb also noch? Sie überlegte krampfhaft, während sie wieder aufgeschaut hatte und ihre Freunde dabei beobachtete, wie einer nach dem anderen ganz langsam wieder auf die Beine kam und mit Mühe den Angriffen des Wesens auswich, um nicht noch schlimmer verletzt zu werden, da ihnen kaum Zeit zum Heilen blieb. Was sollte sie also tun, um ihren Freunden aus dieser Situation zu helfen? Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass Mirâ Akisu vermisste und in diesem Moment kam der Blauhaarigen die Idee, was sie tun konnte. Akisu musste irgendwo in diesem Raum sein und sie würde sie finden. Wenn sie es schafften das Idol wieder zur Vernunft zu bringen, dann würde die Kraft des Shadows abnehmen und sie würden ihn besiegen können. Auf ihr Gesicht legte sich ein entschlossener Ausdruck und sie begann sich langsam an der Wand des Raumes entlang zu tasten. Sie musste das Idol unbedingt finden und wenn möglich zur Vernunft bringen, damit ihre Freunde eine Chance gegen diesen Gegner bekamen. Sie hoffte nur, dass sie so lange durchhalten würden. Während sie so an der Wand entlangging, richtete sie ihren Blick wieder auf die Gruppe, welche mittlerweile wieder zum Angriff übergegangen war, dieses Mal allerdings mit ihren Waffen und physischen Angriffen ihrer Personas. Dies schien sogar zu helfen und sie drängten den Shadow mit jedem Angriff etwas zurück, doch kaum schien es, dass sie es schaffen konnten, heilte sich der Gegner wieder und ging erneut zum Gegenangriff über, weshalb die Persona-User wieder in die Verteidigung wechseln mussten. Der Anblick, wie sich ihre Freunde abrackerten, tat dem kleinen Mädchen in der Seele weh, doch sie musste sich zusammenreißen und ihnen von außerhalb helfen. Also biss sie sich auf die Zunge und schritt weiter durch den an der Wand recht dunklen Raum. Mirâ währenddessen wehrte mit Mühe einen weiteren Schlag ihres Gegners ab und atmete schwer. Dieser Kampf verlangte ihnen einiges ab, was auch noch dem Umstand zu verdanken war, dass der Gegner für jeden Angriff einen Gegenangriff hatte und sie somit kaum Gelegenheit hatten sich zu heilen. Langsam jedoch wurde es allerhöchste Zeit, sonst würden sie wohl einer nach dem Anderen zusammenbrechen und das wäre ihr Ende. Ihr Blick fiel flüchtig auf die Stelle, an welcher bis vor wenigen Minuten noch Mika gestanden hatte und geschockt musste sie feststellen, dass das kleine Mädchen verschwunden war. Sorge stieg in ihr auf, dass ihr etwas passiert sein könnte, doch einen Moment später erkannte sie die Kleine, wie sie sich an der Wand entlang tastete. Was hatte sie nur vor? Ob sie einen Ausgang suchte? Das würde wohl recht wenig bringen. Dieser Raum würde sie wohl erst wieder herauslassen, wenn dieser Gegner besiegt war. Was konnte es also noch sein? In einer Angriffspause ihres Gegners spannte sie einen ihrer Pfeile ein und griff damit ihren Gegner an, während sie krampfhaft überlegte, was das blauhaarige Mädchen nur vorhatte. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Es konnte nur Akisu sein, die sie suchte. Natürlich fand sie diese Idee super, allerdings hatte sie Zweifel, ob die Kleine es schaffen würde mit dem Idol zu sprechen oder gar zu ihm vorzudringen. Wiederum war es einen Versuch wert, denn erst wenn sie Akisu gefunden hatten, konnten sie diesen Shadow aufhalten. Bis dahin mussten sie ihn einfach zurückdrängen und darauf hoffen, dass Mika es schaffte Akisu zu finden. Eine Hand griff nach ihrem Oberarm und zog sie zur Seite, als genau an dieser Stelle ein Blitz einschlug. Erschrocken sah sie auf und blickte auf Hiroshi, dessen angestrengtes Gesicht auf ihren Gegner gerichtet war. „Pass bitte besser auf Mirâ.“, mahnte er sie zur Vorsichtig und rief seine Persona, um die junge Frau zu heilen. „J-Ja. D-Danke.“, bedankte diese sich etwas verlegen, ehe sie ihren Blick ebenfalls wieder auf ihren Gegner richtete, der sich wieder zum nächsten Angriff bereitmachte. Dann nickte sie, mehr zu sich als zu ihrem Kumpel. Sie musste sich wirklich wieder mehr konzentrieren und Mika einfach vertrauen. Die Kleine würde das schon schaffen und derweil würden sie den Shadow soweit schwächen wie es nur irgendwie möglich war und ihn damit von Mika ablenken. Diese hatte sich in dieser Zeit schon etwas weiter durch den Raum getastet, dabei immer wieder den Blick auf ihre Freunde und den Kampf gerichtet, und hatte nach einer Weile ein Podest erreicht. Erst dachte das kleine Mädchen es sei eine weitere Wand, doch dann musste sie feststellen, dass ungefähr auf ihrer Augenhöhe ein Absatz war. Mit Mühe hatte sie es geschafft irgendwie auf den Absatz zu gelangen und festzustellen, dass dieser nicht einfach nur ein Podest war, sondern eine richtige Bühne, an dessen Rückwand ein schwer wirkender Vorhang hing. Da das gesamte Licht der Scheinwerfer, welche die Gruppe am Anfang so stark geblendet hatten, auf den Ort des Kampfgeschehens gerichtet war, fiel es recht schwer hier etwas zu erkennen, da alles andere dadurch im Schatten lag. Doch Mika gab sich die beste Mühe etwas zu erkennen. Angestrengt sah sie sich um und konnte etwas später in Höhe der Befestigung des Vorhangs eine Person ausfindig machen, welche an einer mit einem Pentagramm bemalten Platte hing und bewusstlos schien. Sie hatte das Idol also gefunden, doch nun war die Frage, wie sie an dieses heran kommen sollte. Akisu hing viel zu hoch, als dass Mika sie hätte erreichen können und die Blauhaarige bezweifelte auch, dass sie die Blonde mit rufen alleine wach bekommen würde. Nein, sie musste sich etwas anderen einfallen lassen. Ob es einen Weg gab dort hinaufzugelangen? Mika sah sich um, doch konnte weder einen Aufgang noch etwas Ähnliches finden. Auch den Vorhang hinaufzuklettern kam nicht in Frage. So viel Kraft besaß sie nicht und würde am Ende noch abstürzen. Es musste irgendwie anders gehen. Während die Kleine noch über alle Möglichkeiten nachdachte, krachte es knapp neben der Platte, an welcher Akisu hing und kurz darauf fiel eine Person zu Boden. Erschrocken sah Mika auf und erkannte Akane, welche mit Schrammen am gesamten Körper bewusstlos auf dem Holzboden der Bühne lag. Sofort hockte sie sich neben die junge Frau und klopfte ihr leicht auf die Wange. „Urgh… was ist passiert?“, fragte die Braunhaarige orientierunglos. „Du wurdest hierher geschleudert.“, meinte Mika besorgt, „Ist alles okay?“ Ganz vorsichtig richtete sich Akane auf und zuckte schmerzhaft zusammen: „Außer den Schmerzen, denke ich schon. Was machst du hier?“ „Ich habe Akisu gefunden. Aber…“, murmelte Mika, woraufhin sie ein fragender Blick der Älteren traf, weshalb sie nach oben zeigte, „Sie ist dort oben. Da komme ich nicht heran. Aber… ich überlege mir was. Lasst euch davon nicht ablenken.“ Langsam stand Akane auf und rieb sich den schmerzenden Rücken, während sie zu Akisu hinauf schaute, welche plötzlich zusammenzuckte und langsam die Augen öffnete: „Wach scheint sie nun jedenfalls zu sein.“ Mikas Blick schnellte nun nach oben, wo sie sah, wie sich Akisu völlig irritiert umblickte und dann geschockt auf den Kampf starrte, welcher sich vor ihren Augen abspielte. Auch Akane hatte ihren Blick wieder dem Kampfgeschehen gewidmet: „Hör mal, Mika. Bekommst du das hier alleine hin? Ich muss den Anderen helfen.“ Die Blauhaarige nickte: „Ich geb mein Bestes.“ Mit diesen Worten war Akane wieder von der Bühne gesprungen und zu ihren Freunden gestürmt, um ihnen im Kampf weiter zur Seite zu stehen. Mika unterdessen sah ihr kurz nach und wandte dann ihren Blick wieder nach oben zu dem Idol, welches den Kampf immer noch geschockt betrachtete. Sie wusste gar nicht was passiert war. Das Einzige woran sie sich noch erinnerte, war der dunkle Schatten in ihrem Spiegel, der an ihr gezogen hatte. Danach war alles schwarz. Und nun hing sie hier, in einem merkwürdigen dunklen Raum, in dem die einzige Lichtquelle die Scheinwerfer waren, die auf den Kampf gerichtet waren, der sich vor ihren Augen abspielte. Wo war sie hier nur hingeraten? Was sollte sie hier? Wieso war sie gefesselt? Wurde sie entführt? Tausende von Fragen schwirrten in ihrem Kopf, während sie erschreckend feststellen musste, wie die sechs Personen, die gegen dieses riesige halbnackte Monster kämpften, immer wieder zu Boden gingen oder zurückgedrängt wurden. Wer waren diese Leute überhaupt? Wollten sie sie retten? Aber warum sollten vollkommen Fremde sie retten kommen? Oder gehörten sie zur Polizei? Nein. Das hier war alles viel zu surreal, als dass die Polizei darin involviert sein konnte. Ihr schwirrte der Kopf und sie hatte das Gefühl gleich erneut in Ohnmacht zu fallen. „Hey. Ist mit dir alles in Ordnung? Bist du verletzt?“, hörte sie plötzlich eine weibliche Stimme und richtete ihren Blick nach unten, wo sie ein kleines Mädchen erkannte, was zu ihr hinauf sah. „Ähm… j-ja… i-ich denke ich bin nicht verletzt. A-aber was geht hier vor?“, fragte sie die Kleine vorsichtig, „U-Und wer bist du?“ „Ich bin Mika. Dein Name ist Akisu. Hab ich Recht?“, fragte Mika, woraufhin das Idol nickte und sah, wie die Kleine ihren Blick kurz gen Kampf richtete und sie dann wieder ansah, „Das da hinten. Das ist ein Shadow. Um genau zu sein, dein Shadow. Sie manifestieren sich aus den dunklen Gedanken der Menschen. Sind diese zu groß, wird daraus so etwas.“ „Sh-shadow? Du-Dunkle Gedanken? Wovon sprichst du?“, fragte die Blonde irritiert. Hieß das, sie war Schuld dass dieses riesige Wesen dort aufgetaucht war. Nein, das konnte und wollte sie nicht glauben. Das musste alles einfach nur ein böser Albtraum sein und sie würden jeden Moment in ihrem weichen Bett aufwachen. Doch leider geschah nichts dergleichen. Stattdessen bemerkte sie, wie das riesige weibliche Wesen den Kampf plötzlich unterbrach und genau in ihre Richtung sah. „Ah du bist wach. Hab noch etwas Geduld. Sobald ich diese kleinen Flöhe besiegt habe, werde ich mich um dich kümmern.“, sprach sie mit düsterer Stimme, in welcher Akisu allerdings auch ihre eigene wiedererkannte. „W-Was soll das hier?“, fragte das Idol geschockt, „Wieso hast du meine Stimme?“ Ein unheimliches Lachen durchzog den Raum: „Aber Kleines. Das ist doch selbstverständlich. Ich kenne deine tiefsten Sehnsüchte, deine größten Ängste und die Personen, die du am meisten hasst. Ich bin immerhin du. Ich bin aus den Tiefen deiner Gedanken entsprungen. Der Hass, den du gegen deine Mutter und deinen Bruder hegst… sie hat mich geschaffen.“ „WAS? Wie kannst du behaupten ich würde meinen Bruder hassen? Er ist mir wichtig! Ich könnte ihn niemals…“, Akisu unterbrach, als sie ihre Stimme vernahm, welche klang, als würde sie aus Lautsprechern in der Umgebung kommen. „Ich hasse sie alle. Meine Mutter, die versucht mir diese Firma aufs Auge zu drücken. Und Kyo, der mich mit diesem Scherbenhaufen alleine gelassen hat. Sie sollen verschwinden. Sie sollen mich in Ruhe lassen. Ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. ICH HASSE SIE!“, erklang es mit einer Wut, die einem Angst einflößte. Schnell schüttelte das blonde Idol den Kopf: „Nein. Das stimmt nicht. Ich könnte meinen Bruder niemals hassen. Ich liebe ihn und will einfach nur, dass er zurückkommt.“ „Aber auch nur, damit wir diesen Scherbenhaufen nicht übernehmen müssen. Denkst du wirklich Kyo würde zu so jemand halbherzigen zurückkehren? Denkst du wirklich er hat die wahren Hintergründe nicht durchschaut, weshalb du willst dass er zurückkommt?“, schallte es von dem Shadow zurück. „Was weißt du schon von Halbherzigkeit? Du hast keine Ahnung! Du kennst mich nicht! Du hast vielleicht meine Stimme und behauptest aus meinen Gedanken geboren zu sein, aber… DU BIST NIEMALS ICH!“, schie Akisu aus vollem Leibe, während ihr dicke Tränen die Wange hinunterliefen. Sie wusste, dass der Shadow Recht hatte. Sie wusste, dass sie nur halbherzig war. Sicher, sie wollte ihren großen Bruder wiedersehen, aber sie wollte auch, dass er die Firma ihrer Eltern übernahm, damit sie es nicht musste. Aber doch nur, weil sie wusste, dass er mehr Talent hatte als sie. Er wäre ein besserer Geschäftsführer als sie. Und obwohl das ein guter Grund war, wusste sie auch, dass sie dadurch dem Shadow Recht gab. Doch zugeben wollte sie es nicht. Niemals! Wieder schallte das Lachen durch den Raum und den Shadow umgab ein dunkler Nebel der ihn größer werden ließ: „Ahahaha. Du hast Recht. Ich bin nicht du! Nun bin ich ICH… Keket! Ich bin ein Shadow… das wahre Ich!“ „Oh nein… auch das noch…“, kam es fluchend von Masaru, „Als hätten wir nicht so schon genug Probleme mit diesem Ding gehabt.“ „Scheint nicht unser Tag zu sein.“, sagte Kuraiko trocken. Ein grünes Licht legte sich um die einzelnen Gruppenmitglieder, weshalb sie ihre Blicke auf Hiroshi richteten, dessen Persona über ihm schwebte: „Scheint, als könnten wir das gebrauchen. Allerdings sollten wir das hier schnell hinter uns bringen. Ich glaube nicht, dass ich diese Fähigkeit noch einmal einsetzen kann.“ „Leichter gesagt, als getan.“, kam es seufzend von Akane, „Aber danke für den Energieschub.“ „Er kommt!“, rief Mirâ, als sie mitbekam, wie sich wieder das weiße Licht um den Shadow legte. Kurz darauf wirbelte ein starker Wind durch die Gruppe, der Yasuo erneut von den Beinen riss, aber auch die anderen Mitglieder der Gruppe. Obwohl keiner von ihnen gegen Wind schwach war, so war dieser Angriff so stark gewesen, dass selbst sie dem nicht mehr standhalten konnten. Zumal sie alle extrem geschafft und ausgelaugt waren. In diesem Zustand konnten sie diesen Shadow nicht besiegen und so langsam sank Mirâs Hoffnung hier lebend mitsamt dem Idol herauszukommen. Erschrocken musste Akisu feststellen, dass ihr Verhalten die Gruppe, welche anscheinend wirklich gekommen war, um sie zu retten, nun noch mehr in Gefahr gebracht hatte. Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe. Was hatte sie nur angerichtet? Aber sie konnte doch nicht zugeben, dass sie Kyo wirklich hasste. Wobei er sie ja eigentlich genauso hasste. Jedenfalls nahm sie das an. Immerhin nahm er ja Abstand von ihr und meldete sich nicht. War es also so schlimm ihn auch zu hassen? Er hatte sie immerhin alleine gelassen mit dieser schrecklichen Mutter. Wiederum empfand sie immer noch diese tiefe Geschwisterliebe zu ihm. Sie wollte ihn wiedersehen und das um jeden Preis. Aber welches Gefühl war stärker? „Hey!“, hörte sie die Stimme des kleinen Mädchens rufen, „Es ist absolut nicht schlimm, dunkle Gedanken zu haben… auch Hass für jemanden zu empfinden ist vollkommen normal und auch in Ordnung. Aber du solltest dazu stehen. Du siehst was passiert, wenn du diese Wesen ablehnst und wenn das so weitergeht, dann… dann wird er dich töten. Und nicht nur dich, sondern uns alle hier.“ Geschockt blickte die Blonde mit ihren goldgelben Augen zu der Blauhaarigen und ließ den Kopf wieder sinken. Selbst ein kleines Mädchen war weiser als sie. Sie hatte ja Recht. Es war in Ordnung jemanden zu hassen, aber… „Ja… ja du hast Recht.“, rief sie plötzlich aus und ließ damit den Shadow stoppen und in ihre Richtung sehen, „Ich hasse meinen Bruder, aber… aber ich liebe ihn auch. Ich empfinde im Moment beides für ihn… aber einfach nur, weil ich nicht mehr weiß, was ich machen soll. Ich bin verzweifelt... ich möchte ihn um jeden Preis wiedersehen. Aber… aber ich weiß auch, dass er mich wohl nie wieder sehen möchte… er hasst mich… das weiß ich!“ „Nein das stimmt nicht!“, rief sie nun eine andere weibliche Stimme und ließ sie auf das violetthaarige Mädchen schauen, welches ihr bereits in der Karaokebar begegnet war, „Kyo hasst dich nicht. Er vermisst dich und er macht sich riesige Sorgen um dich. Als du verschwunden bist, da hat er dich gesucht. Er ist uns sogar hierher gefolgt und hat sich damit in Lebensgefahr gebracht, nur um dich zu retten. Du bist ihm wichtig Akisu, er weiß wahrscheinlich nur nicht, wie er es dir zeigen soll, nachdem was alles zwischen euch und eurer Familie vorgefallen ist. Aber eines kannst du mir glauben, kehrst du nicht wieder zurück, dann wird er totunglücklich sein!“ „Woher willst du das wissen?“, kam die Frage der Blonden, woraufhin ihr Blick auf den goldenen Herzanhänger fiel, den Mirâ ihr entgegenhielt. „Deshalb! Dieses Medaillon hast du doch von deinem Bruder bekommen. Hab ich Recht? Hast du es mal geöffnet? Hast du das Foto gesehen, was darin ist? Es zeigt dich und deinen Bruder als Kinder. Kyo hat dir dieses Herz geschenkt, um dir zu zeigen, wie wichtig du ihm bist, auch wenn er es nicht zeigen kann.“, erklärte sie dem Idol ruhig. Geschockt blickte Akisu auf den goldenen Herzanhänger, der nun geöffnet war. Zwar konnte sie das Bild aus dieser Entfernung nicht genau erkennen, aber sie konnte sich vorstellen, welches es war. Das, wo sie und ihr Bruder Arm in Arm in die Kamera lächeln. Das letzte Foto, was ihr Vater von ihnen gemacht hatte. Tränen sammelten sich erneut in ihren Augenwinkeln und liefen in dicken Tropfen über ihre Wangen. „Ach Kyoyo… du verdammter Idiot. Ich hasse dich dafür, dass du manchmal so kompliziert bist. Aber… ich liebe dich auch…“, murmelte die Blonde leise, was den Shadow jedoch laut aufschreien und einen Moment später zusammenschrumpfen ließ, während sich die Platte mit dem Idol langsam gen Boden bewegte. Diese Situation ausnutzend, griffen die sechs Persona-User mit ihren letzten Kräften an und schafften es so nach einiger Zeit das riesige Wesen mit einem lauten Knall zu besiegen. Erschöpft ließen sie sich alle auf den Boden sinken, als der Kampf endlich vorbei und der Shadow beinahe verschwunden war. Er hatte mittlerweile die Gestalt des Idols angenommen und sah sie mit giftig gelben Augen an, jedoch mit einem freundlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Die Fesseln, die Akisu an die Platte gekettet hatten, waren mit ebendieser wieder verschwunden, sodass das Idol nun auf dem Boden hockte und zu seinem Shadow hinüber sah. „Verzeih, dass ich dich abgewiesen habe. Du hast Recht… mit allem was du gesagt hast.“, sagte sie leise, woraufhin der Shadow nickte und sich in die Lüfte erhob. Jeder der Anwesenden erwartete nun, dass sich dieser in eine Persona wandelte, doch es geschah etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte. Das Wesen leuchtete zwar in einem blauen Licht auf, doch verschwand dann ohne eine Karte zu hinterlassen und sie ihrem Besitzer zu geben. Irritiert sahen alle auf die Stelle, an dem der Shadow verschwunden war, bevor sie fragende Blicke tauschten. Was war das denn? Wieso tauchte keine Persona auf? Lange konnte die Gruppe jedoch nicht darüber nachdenken, als der Raum um sie herum begann zu beben und die Wände bröckelten. Hinter ihnen fiel der schwere Vorhang zu Boden und eröffnete ihnen kurz darauf den Weg nach draußen. „Wir sollten so schnell wie möglich verschwinden. Hier bricht gleich alles zusammen.“, rief Akane und half erst Mirâ und dann Yasuo auf die Beine. Sie blickte zu Akisu, welche von Mika gestützt wurde und musste dann geschockt feststellen, dass die Blonde plötzlich vorn überkippte und zu Boden ging. „Auch das noch…“, fluchte Hiroshi, welcher sich mit Mühe auf die Bühne geschleppt und Kuraiko nach oben geholfen hatte, „Als hätten wir noch genug Kraft sie zu tragen.“ „Es hilft leider nichts. Dann müssen wir uns abwechseln.“, meinte Masaru, welcher sich bereits zu Akisu heruntergehockt hatte, um sie hochzuheben, wobei er selbst fast wieder umgefallen wäre. Grade noch so konnte er sich fangen und schleppte sich mitsamt dem Mädchen auf seinen Armen in Richtung Ausgang. Die Gruppe folgte ihm mit Mirâ als Schlusslicht, als diese ein düsteres Kichern vernahm. Erschrocken drehte sie sich noch einmal um und augenblicklich lief es ihr eiskalt den Rücken herunter, als sie auf einen dunklen Schatten blickte, dessen rote Augen sie fixierten. "Es ist lange her, kleines Mädchen.", sprach er mit düsterer Stimme und direkt an die Violetthaarige gerichtet, deren Unbehagen stieg, "Ich bin erstaunt, dass du diesen Weg beschritten hast, doch leider stehst du auf der falschen Seite dieses Weges. Deshalb rate ich dir, dich von diesem abzuwenden, denn sonst werden du und weitere noch schlimmere Qualen erleiden." Vollkommen perplex starrte die junge Frau auf diesen unförmigen Schatten, welcher ihr bereits am Eingang zum Bossraum begegnet war. Doch nicht daher kam das Gefühl, diesem Wesen schon einmal begegnet zu sein. Ein kaltes Gefühl legte sich um ihren Körper und sie spürte eine unglaubliche Gefahr von ihm ausgehen. Seine roten Augen fixierten sie immer noch, weshalb es ihr eiskalt den Rücken herunterlief. Plötzlich wurde ihr unglaublich schlecht, auch wenn ihr nicht so war, als müsse sich jeden Moment übergeben. Sie hatte das Gefühl ihre Beine bestünden aus Gummi und würden ihr jeden Moment wegbrechen, als sie eine warme Hand an ihrem Oberarm spürte, der sie ihren Blick von dem Schatten abwenden ließ. "Mirâ, wir müssen hier raus, sonst stürzt uns alles auf den Kopf.", sagte Hiroshi ernst und zog die junge Frau an ihrem Arm hinter sich her, nur um gerade so noch über die Schwelle der Tür zu treten, als eine Staubwolke über sie hinwegrollte. Schmerzend kamen Mirâ und Hiroshi vor dem Kagamine Park auf den Boden auf und hörten, wie sich das schwere Tor des Dungeons wieder schloss. Erschrocken blickten die einzelnen Mitglieder ihrer Gruppe auf die Beiden, während die Violetthaarige einen schockierten Blick auf das schwere Eisentor richtete. Was war dieser Schatten nur gewesen? Was hatte er zu bedeuten und warum war er ihren Freunden nicht aufgefallen. Diese hatten ohne weiter darauf zu achten, den Dungeon verlassen, so als hätten sie die Stimme des Wesens nicht einmal gehört. Wieder breitete sich dieses ungute Gefühl in ihr aus und ihr war so, als wäre dies nicht das letzte Mal gewesen, dass sie ihn gesehen hatte. Doch was ihr mehr Sorgen machte, war die Aussage, dass sie sich für die falsche Seite entschieden hätte. Was hatte das nur zu bedeuten? "Alles in Ordnung bei euch?", fragte Akanes besorgte Stimme, "Was war denn los? Du warst plötzlich wie erstarrt." Fragend sah Mirâ zu ihrer Freundin. Ihre Vermutung war also richtig, dass ihre Freunde diesen Schatten nicht einmal mitbekommen hatten. Aber Warum gerade sie? Das Wesen meinte, es wäre lange her, was doch hieß, dass sie sich bereits begegnet waren. Mirâ konnte sich allerdings nicht daran erinnern und das machte ihr Sorgen. "Aua... das war knapp.", hörte sie neben sich und bemerkte, wie Hiroshi sich langsam aufrichtete, "Was war los, Mirâ? Das war gefährlich." "I-ich weiß nicht. Irgendwie... konnte ich mich plötzlich nicht mehr bewegen.", entschied sie sich bewusst erneut für eine Lüge, auch wenn sie wusste, dass es falsch war. An dieser Sache stimmte etwas nicht und sie wollte ihre Freunde nicht noch mehr beunruhigen. Sie senkte den Blick: "Entschuldigt..." "Schon in Ordnung. Hauptsache dir ist nichts passiert.", kam es nur grinsend von Hiroshi, welcher sich vorsichtig erhob und ihr dann ebenfalls aufhalf, "Wir sollten dann gehen." Mirâ nickte, ließ ihren Blick allerdings gesenkt, und folgte dann ihren Freunden. Erschöpft erreichte die Gruppe etwas später den Ausgang der Spiegelwelt und ruhte sich noch einen Moment aus. Vor allem die Jungs, welche das Idol abwechselnd getragen hatten, brauchten noch einmal eine kurze Verschnaufpause, bevor sie die reale Welt wieder betraten und sich überlegen mussten, was sie als nächstes tun sollten. Sie waren schweigend nebeneinander her gelaufen, nachdem sie sich auf den Weg gemacht hatten und froh darüber, dass ihnen auf dem ganzen Weg kein weiterer Shadow begegnet war. Anscheinend hatten sie sich wieder beruhigt, nun da Akisus Shadow verschwunden war. „Wir sollten weiter.“, murmelte Mirâ, welche bereits arge Schwierigkeiten hatte ihre Augen offen zu halten. Die anderen nickten, während Hiroshi mithilfe von Masaru das Idol huckepack nahm, und begaben sich dann gemeinsam zum Ausgang. Sich noch einmal von Mika verabschiedend, durchquerte einer nach dem Anderen den großen Spiegel um in ihre reale Welt zurückzukehren. Doch kaum hatte Hiroshi den Spiegel auf der realen Seite durchquert, blickte er genau auf Shuya, welcher mit voller Wucht in ihn hineinprallte. Gerade noch so konnte Masaru, welcher hinter Hiroshi hinaus trat, das Idol stützen, welchen vom Rücken des Blonden gefallen war, als die beide Jüngeren ineinander rannten. „Aua! Shuyan, was um alles in der Welt treibst du hier?“, fragte Hiroshi genervt und sich den Hintern reibend. „Naja… ich wollte euch folgen.“, kam es trocken von dem Violetthaarigen, woraufhin ihn die Gruppe erstaunt und mit großen Augen anstarrte. Einige Minuten später hatte sich die gesamte Gruppe auf dem Vorplatz vom Einkaufszentrum eingefunden und sich auf die dort befindlichen Bänke niedergelassen. Skeptisch sah Shuya auf das blonde Idol, welches sie ebenfalls auf eine freie Bank gelegt hatten: „So jetzt mal ganz ehrlich. Was geht hier ab? Wo wart ihr? Ihr seid durch eine Fensterscheibe gegangen und auch wieder zurückgekommen. Das ist doch echt merkwürdig und hätte ich es nicht selber gesehen, würde ich es euch wohl kaum glauben. Außerdem seht ihr alle aus, als wärt ihr von einem LKW überrollt worden.“ „Urgh… halt die Klappe, du Nervensäge. Mir brummt der Schädel.“, schimpfte Kuraiko. Shuya bedachte sie mit einem ernsten Blick: „Ich meine das vollkommen ernst. Das was ihr hier treibt ist doch nicht normal und scheint zudem noch gefährlich zu sein.“ Die Gruppe schwieg, während der Violetthaarige einen nach dem Anderen mit seinem ernsten Blick bedachte. Stille breitete sich aus, welche Hiroshi als erstes wieder brach. Er ließ den Kopf hängen und seufzte: „Also gut.“ „Hiroshi!“, kam es wütend von Masaru und Kuraiko, weshalb der Blonde wieder aufsah. „Was? Shuya wird eh keine Ruhe geben, bis wir es ihm erklärt haben. Und lieber so, als wenn er irgendwelche Dummheiten anstellt.“, mit ernsten dunkelblauen Augen betrachtete er die beiden Schwarzhaarigen, welche leicht zusammenzuckten und schwiegen. Shuya grinste: „Ich sehe, Hiro kennt mich ziemlich gut. Also?“ Wieder seufzte Hiro: „Vorher musst du uns einen Gefallen tun, Shuyan. Würdest du einen Krankenwagen für Akisu rufen und hierbleiben, bis der kommt? Es könnte sein, dass die Polizei ebenfalls hier auftaucht und es wäre nicht so gut, wenn uns ein bestimmter Kommissar hier sehen würde. Der hat eh schon ein Auge auf uns geworfen. Außerdem können wir uns kaum noch auf den Beinen halten.“ Jeder der Gruppe außer Shuya wusste, welchen Kommissar der Blonde meinte. Der junge Mann mit den schulterlangen Haaren überlegte kurz, bevor er nickte: „Also gut. Aber dafür erzählt ihr mir alles. Und damit meine ich wirklich ALLES!“ „Ja versprochen. Aber erst Morgen. Okay?“, versuchte Hiroshi das Problem auf den nächsten Tag zu verschieben. Erneut überlegte Shuya und warnte seinen Kumpel dann, dass er ja nicht versuchen sollte wieder mit einer Ausrede anzukommen, bevor er die komplette Gruppe für den nächsten Tag zu sich nach Hause einlud, da sie dort ungestört seien. Noch einmal nickend verabschiedete sich die Gruppe von dem jungen Mann, welcher sein Smartphone zückte und einen Krankenwagen rief, bevor sie sich alle erschöpft auf den Weg nach Hause machten. Kapitel 56: LVI – Einweihung ---------------------------- Nacht - Freitag, 14.August 2015 auf Samstag, 15.August 2015 Erschöpft fiel Mirâ auf ihren weichen Futon, als sie es endlich mit Mühe nach Hause geschafft hatte. Nicht nur einmal wäre sie unterwegs beinahe im Gehen eingeschlafen, so fertig war sie. Ihr Körper schmerzte und sie wollte einfach nur noch schlafen. Duschen konnte sie auch immer noch am Morgen, wenn sie ausgeschlafen hatte. Sie war beinahe schon im Reich der Träume verschwunden, als sie eine leise Stimme vernahm, die ihren Namen rief. Schwerfällig öffnete sie wieder ihre Augen und erhob sich ein Stück, um so einen Blick auf ihren Spiegel zu erhaschen, in welchem sie Mika stehen sah, die sie besorgt musterte. "Entschuldige die Störung. Ich weiß du bist müde, aber es gibt etwas, was ich dir sagen muss.", entschuldigte sich die Blauhaarige bei der Älteren. "Schon gut. Worum geht es denn?", fragte diese nach und kam langsam auf den Spiegel zugekrabbelt, da ihr für mehr die Kraft fehlte. Die Jüngere senkte kurz den Blick und während sie auf ihrer Unterlippe herumkaute hatte Mirâ das Gefühl, dass die Kleine mit sich zu kämpfen hatte, dieses Thema überhaupt anzusprechen. Doch gerade, als die Ältere sie darauf ansprechen wollte, kam der entschlossene Blick in den Augen der Kleinen zurück. "Dieser Schatten vorhin...", begann sie und Mirâ merkte, wie ihr plötzlich eiskalt wurde, "Die Anderen scheinen ihn nicht bemerkt und gehört zu haben, aber... ich habe ihn gesehen. U-und das, was er zu dir gesagt hat, das... macht mir wirklich Sorgen." Mirâs Augen wurden groß und sie starrte ihre Freundin fassungslos an. Auch sie hatte also diesen Schatten gesehen. Aber wieso nur sie beide? Was ging nur vor sich? Mit jedem Dungeon wurde die ganze Sache immer merkwürdiger. Nun tauchte auch noch dieser Schatten auf, der sie zu kennen schien und nur sie und Mika konnten ihn sehen und hören. Ihr Kopf begann zu dröhnen und sie hatte plötzlich das Gefühl, den Halt zu verlieren. Dann hörte sie nur noch wie Mika panisch nach ihr rief und plötzlich umgab sie nur noch tiefe Dunkelheit. Die sanfte Stimme, welche den Klavierklang der Arie begleitet, lässt mich meine Augen aufschlagen und mich umsehen. Ein Seufzen entkommt mir, als ich registriere, dass ich wieder einmal im Velvet Room gelandet bin. Eigentlich habe ich ja keine Lust mich jetzt mit der Langnase zu unterhalten, jedoch... vielleicht kann er mir ja eine Antwort darauf geben, was es mit diesem Schatten auf sich hat. Mir kommt das letzte Gespräch mit Igor in den Sinn und ich erinnere mich daran, dass er meinte "Er" würde mich nun immer leichter finden. Ob mit "Er" dieser Schatten gemeint ist? Aber was hat er mit mir zu schaffen? Wieder beginnt mein Kopf zu dröhnen, während mir in den Sinn kommt, dass Igor mir wahrscheinlich eh keine konkrete Antwort geben wird. "Willkommen im Velvet Room.", höre ich seinen hohe Stimme hinter mir und drehe mich langsam um, immer noch die Hand an meinen Kopf gelegt, um damit den dröhnenden Schmerz zu vertreiben, "Es scheint mir [Er] habe dich gefunden. Das ging wirklich schneller, als ich es erwartet habe." "Wer ist [Er]? Wieso meinte er, er habe mich lange nicht gesehen?", frage ich den alten Mann vor mir, dessen Gesichtsausdruck aber genauso nichtssagend ist wie immer. Er ändert sich auch nicht, als er kurz die Augen schließt und mich dann wieder mit ihnen fixiert: "Nun, das wirst du noch früh genug erfahren. Darüber mach dir erst einmal keine Sorgen. Aber ich möchte dich trotzdem vor ihm warnen. Seine Macht ist noch nicht vollständig erwacht, aber sollte dies der Fall sein, dann wird es unumstößlich sein, sich ihm entgegenzustellen." Natürlich ist diese Aussage alles andere als hilfreich, aber ich habe nichts anderes von Igor erwartet. Trotzdem stelle ich ihm eine weitere Frage: "Kannst du mir wenigstens verraten, wieso ausgerechnet Mika ihn sehen konnte, meine Freunde aber anscheinend nicht?" Sein Grinsen wird plötzlich größer, als ich meine Frage beendet habe. Er hebt die Hand und vor meinem Gesicht erscheinen die Tarot Karten des Narren und des Todes. Irritiert blicke ich auf die beiden Arkanas und frage mich, was die Langnase mir damit sagen will. Ich weiß natürlich, dass die Karte des Todes die von Mika ist und der Narr meine, aber was genau das jetzt mit meiner Frage zu tun hat, kann ich mir nicht zusammenreimen. "Ich habe dir ja schon vor einiger Zeit einmal gesagt, dass das Mädchen, das unter der Karte des Todes steht, etwas Besonderes ist. Um es genau zu sagen, sind eure Schicksale sehr eng miteinander verwoben, was wohl auch der Grund dafür ist, dass sie [ihn] ebenfalls sehen konnte.", spricht Igor nun mit leicht amüsierter Stimme. "Was soll das heißen?", frage ich noch und bemerke dann, wie das Bild langsam um mich herum verschwimmt. Der alte Mann grinst nur noch breiter und macht eine ausladende Handbewegung: "Das, mein Kind, musst du leider selber herausfinden. Unsere Zeit ist damit für heute um. Bis zum nächsten Mal. Lebewohl." Damit tauche ich in ein tiefes Weiß und verliere erneut den Halt unter den Füßen. Samstag, 15.August 2015 "Was zur Hölle...!?", rief Akane völlig perplex, während sie auf die riesige Villa schaute, die sich vor der Gruppe erhob. Wie am Abend besprochen hatte sich die Gruppe an diesem Tag auf den Weg zu Shuya gemacht, um diesem wie versprochen alles zu erklären. Zwar war am Morgen im Gruppenchat noch einmal eine Diskussion darüber entbrannt, ob es wirklich richtig war einen weiteren unbeteiligten in die Sache einzuweihen, was vor allem von Seiten Kuraikos und Masarus kam, doch Hiroshi hatte noch einmal wiederholt, dass es keine andere Möglichkeit geben würde, um Shuya ruhigzustellen. Dieser würde sonst nämlich keine Ruhe geben und wahrscheinlich irgendeine Dummheit unternehmen, nur um ihnen auf irgendeine Weise zu helfen. Immerhin kannte er seinen Kumpel sehr gut. Deshalb hatten auch die Beiden letzten Endes zugestimmt, wenn auch nicht unbedingt erfreut. Somit hatte sich die Gruppe am Nachmittag an der U-Bahnstation des Viertels getroffen, in dem Shuya lebte und waren dann gemeinsam, geführt von Hiroshi zu dessen Haus gelaufen. Dieses hatte sich allerdings kurze Zeit später nicht nur als einfaches Haus entpuppt, sondern als riesige Villa. "Ist das dein Ernst, Hiroshi?", fragte Kuraiko skeptisch, „Du willst mir nicht wirklich weiß machen, dass Nagase in dieser Villa lebt.“ Der Angesprochene seufzte: „Doch.“ „Was machen denn seine Eltern beruflich, dass sie sich diesen Luxus leisten können?“, fragte Masaru, dessen Neugier nun doch geweckt war. „Keine Ahnung… ich glaube sie sind Geschäftsleute oder so. Aber das Haus gehört eh seinen Großeltern.“, sagte Hiroshi nur schulterzuckend und trat durch das große Tor, in Richtung Eingangstür. „He?“, entkam es Akane, während sie ihrem Kumpel folgte und dabei den großen Vorgarten betrachtete. Auch die Anderen folgten dem Blonden, Mirâ wieder einmal als Schlusslicht. Ihr ging es an diesem Tag nicht so besonders gut. Nicht nur, dass sie sich ebenfalls die Frage stellte, ob es so gut war Shuya mit in die Sache zu involvieren, sie hatte auch noch schlecht geschlafen. Die Besuche im Velvet Room schlauchten sie und verschafften ihr keinen erholsamen Schlaf. Außerdem wunderte sie sich immer noch darüber, dass sie am Morgen in ihrem Futon aufgewacht war, wo sie sich doch ganze sicher war noch mit Mika gesprochen zu haben, bevor sie in den Velvet Room gelangt war. Sie hatte sich auch schon die Frage gestellt, ob sie sich das nur eingebildet hatte, aber sie konnte die Kleine noch nicht dazu befragen, denn diese war mal wieder verschwunden. Wenn sie sich das allerdings nicht nur eingebildet hatte, dann hieße das, Mika könne diesen Schatten, der wohl „Ihm“ gehört, wie Igor es gerne ausdrückte, auch sehen und das war es eigentlich, was ihr das meiste Kopfzerbrechen verursachte. Auch wer „Er“ war und was er wollte, schwirrte ihr im Kopf. Das Gespräch mit Igor hatte nicht viel gebracht, außer dass sie sich „ihm“ wohl irgendwann stellen müsse… und das Mikas und ihr Schicksal stark miteinander verwoben waren. Was das wohl wieder bedeutete? Ein Stechen in ihrer Schläfe ließ sie kurz zusammenzucken. Wieder dieser Schmerz. Er kam immer, wenn sie über sich und Mika nachdachte. Ob das auch etwas mit ihren Arcanas zu tun hatte? „Da seid ihr ja endlich.“, holte sie die aufgedrehte Stimme von Shuya aus den Gedanken, woraufhin sie aufsah. Der Violetthaarige stand breit grinsend in der Tür und sah auf die Gruppe herunter: „Ich hatte schon Angst, ihr kneift. Los kommt rein.“ Wenige Minuten später stand die Gruppe in einem geräumigen Zimmer, welches sich als Shuyas eigenes Reich entpuppte. Der Raum wirkte riesig und das obwohl er doch recht vollgestellt war, allerdings nicht überladen. Betrat man das Zimmer sah man direkt auf ein, über Eck stehendes, ungefähr brusthohes Regalsystem, dessen Fächer in verschiedenen Höhen eingebracht waren, damit dort CDs, einige wenige Bücher, Blu Rays und Konsolenspiele passgenau hinein passten. Die Wände darüber waren mit Postern von Linkin Park behängt, allerdings nur so, dass es nicht überladen wirkte. Auf den Regalen lagen mehrere Dinge verteilt, unter anderem auch verschiedene Bälle. So erkannte man genau in der Ecke einen abgegriffenen Basketball und zwei recht alt wirkende Baseball-Bälle. Auf dem länglichen Teil des Regals zur Tür hin lag ein Lacrosse Schläger mit einem dazu gehörigen Ball im Netz. Auch lagen an einigen Stellen hier und dort auf dem Regal ein paar Sachen verteilt, sowie ein zugeklappter Laptop, der aber eher so aussah, als wurde er nur lieblos dort abgelegt. Daneben stand ein kleines Bild, auf dem man eine junge Frau mit rosa Haaren und Brille erkannte. Direkt neben dem Regal befand sich eine große Glastür, die auf einen geräumigen Balkon führte und an ein großes Fenster grenzte, dass viel Licht in das Zimmer brachte. Auf der daran folgenden Seite befand sich ein geräumiges Bett, über dem eine Gitarre und noch ein paar weitere Poster von der amerikanischen Band hingen. Davor stand ein kleiner Nachttisch, auf welchem recht unordentlich eine Lampe, Wecker und einige Kleinigkeiten standen. An derselben Wand, wie das Bett, befand sich auch ein riesiger Kleiderschrank, vor welchem auch verschiedene Bälle, wie ein Fußball und ein Volleyball, sowie einige Klamotten verstreut lagen. In der Mitte des Raumes hatte der junge Mann eine Sitzecke eingerichtet, welche sich durch einen hellen weichen Teppich vom Rest des Zimmers abhob, dessen Boden sonst nur aus dunkelbraunem Parkett bestand. Diese Sitzecke bestand aus einem weichen anthrazitfarbenen Ecksofa und zwei dazugehörigen viereckigen Hockern, die um einen schwarzen Holztisch standen. "Du hättest ja wenigstens etwas aufräumen können, Shuyan. Wir haben Mädels dabei.", murmelte Hiroshi, während er sich im Zimmer umsah und auf die herumliegenden Klamotten anspielte. „Setzt euch. Kann ich euch etwas zu trinken anbieten? Wasser, Eistee?“, fragte der Violetthaarige total aufgedreht und immer noch grinsend, die Aussage seines Kumpels vollkommen ignorierend. Die Gruppe verteilte sich auf dem Sofa und den Hockern, woraufhin ihre Blicke auf die letzte Wand fielen, die auch die Eingangstür beherbergte, und ihnen beinahe die Blicke übergingen, als sie auf einen großen Flachbildschirm schauten, der an dieser Wand hing. Unter diesem stand ein dunkles Lowboard, auf welchem mehrere Gerätschaften, wie Player, Stereoanlage und Konsolen standen, während neben dem gigantischen TV-Gerät zwei große Boxen hingen. „WAS IST DAS DENN?“, fragte Akane schon fast übertrieben laut. Hiroshi fasste sich seufzend an die Stirn und ließ den Kopf sinken: „Shuyan, ich habe dir gesagt, dass es besser wäre, wenn wir uns woanders treffen.“ „Warum denn? Hier sind wir doch ungestört und Platz haben wir hier auch mehr als genug.“, sagte der Angesprochene nur mit schief gelegtem Kopf, weshalb er in diesem Moment eher wie ein kleines Kind wirkte. Der Blonde gab auf: „Schon gut… bringt nichts, darüber zu diskutieren.“ „Sag ich auch. So ich hole euch schnell was zu trinken.“, damit war der junge Mann aus dem Zimmer verschwunden. „So ein Idiot.“, seufzte Hiroshi erneut und ließ sich auf das Sofa fallen. Die Anderen währenddessen sahen sich noch immer staunend im Zimmer um. „Ich wusste gar nicht, dass Nagase Instrumente spielen kann.“, murmelte Kuraiko, während sie auf die Gitarre über dem Bett sah. „Kann er auch nicht.“, meinte Hiroshi, „Und bitte fragt ihn nicht, ob er euch was vorspielt… das klingt schrecklich. Im Gegensatz zu seinem Gesang.“ „Das stimmt allerdings…“, kam es kaum hörbar von der Schwarzhaarigen, doch Akane hatte es dennoch verstanden und wollte gerade noch einmal nachhaken, als der Violetthaarige bereits wieder das Zimmer betrat und sich zu ihnen gesellte. Nachdem er allen eingeschenkt hatte ließ er sich auf den Fußboden zwischen den beiden Hockern nieder und machte es sich bequem, ehe er wieder seinen ernsten Blick aufsetzte und alle ansah: „So… dann lasst mal hören. Was genau treibt ihr da eigentlich? Wie genau seid ihr durch das Glas gegangen, ohne dass es zerbrochen ist? Wieso hattet ihr dieses bewusstlose Teenie-Idol im Schlepptau? Und wieso durfte die Polizei euch da nicht sehen? Ach so… und versucht mich nicht wieder anzulügen. Ich bekomme es sowieso irgendwie raus. Außerdem schuldet ihr mir diesen Gefallen, nachdem ich gestern noch eine ganze Stunde von der Polizei befragt wurde, wie es dazu kam, dass ich Akisu gefunden habe. Echt ätzend sag ich euch. Ich dachte schon, die lassen mich gar nicht mehr gehen.“ Die Gruppe tauschte kurz besorgte Blicke aus, bevor Mirâ nickte und begann alles von Beginn an zu erzählen. Shuya hörte schweigend zu, doch man konnte mehrmals erkennen, wie ihm die Gesichtszüge entglitten. Während er lauschte, wechselte sein Gesichtsausdruck nicht nur einmal von interessiert, zu besorgt, über fragend und ungläubig, bis hin zu grübelnd. Ihn schien dieses Thema auch zu interessieren, doch er sagte nichts dazu, bis Mirâ mit ihren Erzählungen geendet hatte, welche mit dem Bosskampf gegen Akisus Shadow endete. Den Schatten und einige Dinge, die sie beschäftigten ließ sie dabei bewusst weg, immerhin hatte sie auch ihren Freunden davon noch nichts erzählt. „Tja… so ist das… auch wenn es merkwürdig klingt.“, murmelte die Violetthaarige zum Abschluss, woraufhin Schweigen in die Runde einkehrte. Noch einmal von allem zu hören, ließ bei einigen die schlechten Erinnerungen daran wieder hochkommen und sie kämpften ein weiteres Mal gegen ihren inneren Teufel, um sich von diesen Erinnerungen nicht übermannen zu lassen. Auch Shuya schwieg und schien zu überlegen. Mit grübelndem Gesicht hatte er eine Stelle auf dem Tisch fixiert, schien diese allerdings nicht wirklich anzusehen. „Jetzt weißt du, was wir da treiben und was uns verbindet.“, meinte Hiroshi. Der Angesprochene schwieg noch immer, doch nickte dann zu sich selbst: „So ist das also. Das erklärt auch, wieso ihr plötzlich alle aufeinander hockt.“ „Du glaubst uns das Ganze einfach so?“, fragte Kuraiko skeptisch. „Naja… es klingt wirklich eher wie ein typisches RPG und wirklich mehr als ungläubig, aber ich sehe keinen Sinn darin, dass ihr mir so eine verrückte Geschichte einfach so auftischen würdet. Außerdem sehe ich ja, dass es einige von euch ziemlich beschäftigt.“, erklärte der junge Mann mit ernstem Gesichtsausdruck und den Finger ans Kinn gelegt, „Und ihr versucht jetzt herauszufinden, was dahintersteckt?“ Ein synchrones Nicken der Gruppe war zu erkennen. Wieder schien Shuya zu überlegen, bevor er kurz die Augen schloss und dann alle mit einem entschlossenen Blick ansah: „Gut. Dann lasst mich euch helfen.“ „Auf gar keinen Fall.“, kam es erstaunlich synchron von Hiroshi und Kuraiko, woraufhin alle Blick auf die Beiden gerichtet waren. Vor allem der Violetthaarige schien erstaunt von der Reaktion der Beiden, besonders der Kuraikos. Dass Hiroshi ihn aus so etwas heraushalten wollte, hatte er sich schon denken können, aber die Reaktion der Schwarzhaarigen überraschte ihn etwas. Allerdings machte ihn dies auch ziemlich glücklich, verriet ihm das doch, dass die junge Frau anscheinend doch etwas für ihn empfand. Natürlich zeigte er seine Freude nun nicht so offen, wie er es gerne würde, immerhin wollte er Kuraiko nicht noch mehr verärgern. "Ich bin ehrlich gesagt auch dagegen.", mischte sich nun auch Mirâ ein, weshalb nun alle Blicke auf sie gerichtet waren, "Es reicht, dass schon ein Unbeteiligter in die Sache hineingezogen wurde. Auf noch jemanden können wir in der Spiegelwelt nicht aufpassen." "Ich meinte ja eigentlich auch Hilfe von außen. In diese komische Welt komme ich eh nicht, auch wenn sie mich wirklich tierisch interessiert. Gibt es etwa noch andere, neben euch, die in diese merkwürdige Welt gelangen?", meinte Shuya, worauf ihn alle fragend ansahen. Auch er blickte kurz fragend in die Runde und erklärte dann, dass er mehrmals versucht hatte durch den Spiegel zu gelangen, er allerdings immer wieder an der Glasscheibe abgeprallt war. Immerhin wäre er der Gruppe sonst sofort gefolgt. Deshalb wollte er sie von der realen Welt aus unterstützen. "Ich könnte euch Informationen beschaffen, wenn ihr welche braucht.", schlug er zum Ende hin vor, "In diesem Fall würde ich diese Welt nie betreten und würde mich auch nicht in Gefahr bringen. Das macht euch doch Sorgen, oder? Mal ganz davon abgesehen, dass ihr mich eh nicht davon abhalten könnt. Außerdem scheint ihr ja das Problem zu haben, dass die Polizei euch irgendwie auf den Fersen ist. Mit mir könntet ihr das umgehen." Die Gruppe schwieg und überlegte, denn der junge Mann hatte damit nicht ganz Unrecht und Unterstützung konnten sie gut gebrauchen. Trotzdem fand Mirâ es nicht richtig, andererseits würde der Violetthaarige wohl nicht locker lassen. "Shuyan, das ist wirklich gefährlich und wir wissen nicht, welche Auswirkungen das noch haben wird.", erklärte Hiroshi, in der Hoffnung sein Kumpel würde es sich noch einmal überlegen. Dieser grinste allerdings nur: "Du kennst mich, Hiro. Ich lasse da eh nicht locker. Wie könnte ich auch, wenn ich weiß, dass mein bester Kumpel in so eine gefährliche Sache verwickelt ist?" "Shuya...", der Blonde ließ seufzend seinen Kopf sinken, "Du bist wirklich unverbesserlich..." Der junge Mann ihm gegenüber lachte: "Du kennst mich doch. Also ist es beschlossen." Noch einmal tauschte die Gruppe sorgenvolle Blicke, als Shuya bereits weiter redete: "Ihr habt eh keine andere Wahl." Sein Grinsen war so breit, dass es schien als würde es von einem Ohr zum Anderen gehen und ließ der Gruppe damit gar keine andere Wahl, als dem zuzustimmen, wenn auch widerwillig. Somit war also entschieden, dass der junge Mann sie von Außerhalb unterstützen würde, auch wenn die Sorge blieb, dass ihm etwas zustoßen könnte. Masaru seufzte und lehnte sich zurück: "Naja... da das jetzt entschieden wurde, können wir ja auch gleich hier und jetzt darüber sprechen, was da gestern eigentlich passiert ist." Seine Körpersprache zeigte, dass er recht entspannt wirkte, doch seine Stimme verriet, dass er nicht so ganz einverstanden war, allerdings dieses Thema nicht weiter diskutieren wollte. Stattdessen lenkte er das Thema wieder auf das eigentliche Problem, denn obwohl die Gruppe am Abend Akisus Shadow besiegt hatte, war ihre Persona nicht erwacht. Bisher war das noch nie passiert und es beunruhigte die Gruppe. Der Dungeon war in sich zusammengebrochen und das Tor verschlossen, jedoch wollte Mirâ am Abend noch einmal mit Mika sprechen, ob es auch immer noch so war. Sofern die Kleine sich zeigte. "Was meint ihr? Was ist passiert?", fragte Shuya neugierig in die Runde. Auch Hiroshi lehnte sich nun zurück und erklärte seinem Kumpel die Situation. "Das heißt ihr seid bisher davon ausgegangen, dass die Opfer der Spiegelwelt auch gleichzeitig die Besitzer einer Persona sind. Ja? Dem scheint aber nicht so zu sein. Richtig?", fasste der Violetthaarige zusammen. "So sieht es aus.", meinte Kuraiko, "Zusätzlich scheint es aber auch Personen zu geben, die trotz fehlender Kraft einer Persona in die Spiegelwelt gelangen, während andere das nicht können." "Wirklich merkwürdig. Oder? Könnte es einen Grund geben, weshalb das so ist?", fragte Akane. Yasuo machte es sich auf seinem Hocker bequem und fügte nun auch etwas zur Diskussion bei: "Das ist eine gute Frage. Man könnte Gemeinsamkeiten suchen, aber ich glaube, da kommen wir auf keinen grünen Zweig. Die Meisten von uns haben erst zu der Gruppe gefunden, nachdem sie bereits in der Spiegelwelt waren. Davor ist man sich vielleicht mal begegnet, aber hatte nicht viel miteinander zu tun." "So ganz stimmt das ja nicht, auch wenn ich verstehe was du meinst.", mischte sich nun auch der schwarzhaarige wieder ein, "Aber wir beide gehen seit dem ersten Jahr in die gleiche Klasse und haben im Grunde schon miteinander zu tun. Hiroshi und Akane kennen sich auch schon sehr lange. Allerdings hatten weder Kuraiko, noch Mirâ vorher irgendwie Kontakt zu einem von uns und wir wiederum auch mit den jeweils anderen nicht." "Das macht die Sache nicht leichter.", seufzte Kuraiko, "Das heißt es muss einen anderen Grund geben, weshalb gerade wir diese Kraft haben und natürlich, weshalb gerade Mirâ die Kraft hat mehrere Personas zu rufen. Wie nanntest du es? Wild Card?" Mirâ nickte und erklärte, dass die dies in dem Buch gelesen hatte, wo es um Dinge wie Personas und Shadows ging. Den Velvet Room und Igor ließ sie dabei mal wieder außen vor, immerhin hatte schon Akane mit dem Begriff nicht anfangen können. "Sagtest du nicht, dass du gelesen hast, dass es noch andere Persona User gab? Vielleicht könnte man die ja fragen.", warf ihre beste Freundin ein, worauf nun die erwartungsvollen Blicke der anderen auf Mirâ lagen. Diese schüttelte allerdings nur den Kopf und meinte, dass die Idee selber schon hatte, aber keine Ahnung hatte, wie sie die anderen Persona-Uwer kontaktieren sollte und ob sie ihre Kraft denn überhaupt noch besaßen. Immerhin war nicht klar, ob sie die Kraft der Personas auf Dauer, auch nach der Aufklärung dieses Falls noch behalten würden. Sollte es dazu kommen, dass sie diese Kraft wieder abgeben mussten, dann wären sie wieder normale Menschen. Das Gleiche galt für die früheren Persona-User und das bedeutete sie würden noch schwerer zu erkennen sein. Und falls sie ihre Kraft weiterhin besaßen, blieb immer noch die Frage, wie man sie erkennen und mit ihnen in Kontakt treten konnte. Schweigen breitete sich im Raum aus, während jeder seinen Gedanken nachging. Es musste doch eine Möglichkeit geben in der Sache endlich einen Schritt weiterzukommen. Das Ganze stellte sich mit jedem Mal schwerer heraus und wenn sie dachten, dass sie einen Schritt weiter waren, dann kam etwas, was neue Fragen aufwarf. Sie steckten also wieder einmal in einer Sackgasse. Mirâ jedoch fiel etwas ein: "Wir sollten bei Gelegenheit mit Akisu sprechen. Vielleicht kann sie uns etwas erzählen." "Gute Idee, aber wie? Wir wissen nicht, wo sie wohnt und wie wir an sie herankommen sollen.", meinte Masaru. Das Grinsen auf Shuyas Gesicht kehrte zurück: "Sie wurde gestern ins Zentralkrankenhaus gebracht. Mich hat es zwar gewundert, wieso nicht in ein gehobeneres Krankenhaus, aber vielleicht war das zu weit weg. Jedenfalls könntet ihr Glück haben, dass sie die nächsten Tage noch dort unter Beobachtung steht." Alle Blicke waren auf den jungen Mann gerichtet, bevor wieder Schweigen ausbrach. "Das ist gut zu wissen. Allerdings wird sie mit Sicherheit von Bodyguards bewacht.", warf Kuraiko ein, "Wenn wir alle dorthin stürmen, könnten die es falsch verstehen. Und wer weiß, wie lange sie dort liegt." "Dann sollte Mirâ mit ihr sprechen.", meinte Akane mit dem Blick auf ihre Freundin gerichtet. Diese senkte den Blick: "Das würde ich, aber ich bin ab morgen für ein paar Tage in Osaka, meinen Vater besuchen. Tut mir Leid." "Es wäre allerdings besser, wenn du diejenige wärst, die mit ihr spricht.", sagte Masaru, "Immerhin hast du Kontakt zu ihrem Bruder." "Und was, wenn sie in der Zeit verlegt wird?", kam es nun von Yasuo, woraufhin wieder Schweigen ausbrach, bis Hiroshi seufzte. Er kratzte sich am Nacken und hatte seinen Blick auf die schwarze Tischplatte gerichtet: "Dann machen wir es so. Mein Bruder liegt eh in dem Krankenhaus. Ich nutze einfach die Chance, wenn ich die Tage dort bin und kundschafte die Lage mal aus. Sollte sie verlegt werden, könnte ich versuchen herauszufinden wohin." Alle Blicke waren auf den Blonden gerichtet, vor allem aber Akanes Gesicht verriet mächtige Verwunderung. "Rin-ni...", begann sie und schüttelte dann den Kopf, "Rin liegt im Krankenhaus? Seit wann? Wieso? Warum hast du nichts erzählt?" Ein missmutiger Blick ihres Kumpels traf sie: "Das erzähle ich dir ein anderes Mal. Gehört jetzt auch nicht hierhin. Jedenfalls würde ich sagen, machen wir das so. Ist glaube ich die beste Möglichkeit. Oder?" Er sah in die Runde woraufhin ihm allgemeines Nicken antwortete. Somit war die Sache erst einmal besprochen und beschlossen und Mirâ hoffte, dass sie diese Mal etwas Neues herausfinden würden. Abend "Beehren Sie uns bald wieder.", verabschiedete sich Mirâ von den Gästen, die die Karaokebar gerade verließen und setzte sich dann seufzend auf die Sitzecke im Foyer der Bar. Ihr Blick fiel auf den Fernseher ihr gegenüber, wo gerade die Nachrichten liefen und verkündeten, dass Akisu endlich wieder aufgetaucht war und nun in einem Krankenhaus in Kagaminomachi untergebracht war. In welchem behielten die Medien allerdings für sich. Gleich darauf zeigten sie einen Ausschnitt der Pressekonferenz, welche an diesem Morgen abgehalten wurde und in der Akisus Mutter und Managerin mitteilte, dass die weiteren Konzerte des Idols vorerst abgesagt und auch keine weiteren Konzerte geplant seien. Weitere Informationen würden in den nächsten Tagen folgen. "Echt unglaublich, was da passiert ist. Was?", meinte Shuichi, welcher an Mirâ herangetreten war und ebenfalls seinen Blick auf den Fernseher gerichtet hat, "Aber noch unglaublicher, dass sie so einfach wieder aufgetaucht ist. Scheint als wäre sie nur weggelaufen. Oder? Aber schade um ihre Karriere. Ich hab ihre Musik echt gemocht." Mirâ nickte nur, doch schwieg. Sie wusste ja, was wirklich passiert war, konnte es ihrem Kollegen allerdings nicht sagen. Außerdem beschäftigte sie immer noch die Diskussion vom Nachmittag, in der sich Shuya ihnen regelrecht aufgedrängt hatte und sie hoffte, dass das alles gut gehen würde. "Alles in Ordnung mit dir? Du bist so still.", mit einem Mal saß der Student neben der jungen Frau und lächelte sie freundlich an, "Du weißt, ich hab immer ein offenes Ohr." Auch auf dem Gesicht der Oberschülerin zeichnete sich ein zartes Lächeln ab: "Danke, Shuichi-San. Ich weiß das zu schätzen. Aktuell schwebt mir vieles durch den Kopf. Ich möchte einer Freundin helfen, trete aber irgendwie auf der Stelle und weiß nicht mehr, was ich noch machen soll. Dann wird diese ganze Sache auch noch immer verzwickter und jetzt hat sich ein guter Bekannter dazu entschlossen, zu helfen, dabei wollte ich ihn eigentlich aus der Sache heraushalten." "Das klingt alles wirklich verstrickt. Der Bekannte… hat er denn etwas mit der Sache deiner Freundin zu tun?", kam die nächste Frage, woraufhin Mirâ verneinte und erklärte, dass er eine neutrale Person sei, "Vielleicht ist es dann gar nicht so schlecht, dass er euch hilft. Meistens haben Unbeteiligte einen neutralen Blick darauf und deshalb bessere Ideen." Die Violetthaarige sah auf und blickte in das lächelnde Gesicht des Älteren. So ganz falsch hörte sich das nicht einmal an, es klang sogar logisch. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr ergab es sogar Sinn, auch wenn das Unbehagen, dass Shuya etwas passieren könnte nicht wich. Trotzdem war es wohl keine schlechte Idee, auf den Rat des Violetthaarigen zu vertrauen, wenn er notwendig war. Auch ihr Gesicht zierte nun wieder ein Lächeln: "Du hast Recht, Shuichi-San. Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken darüber und sollte mich lieber auf seine Unterstützung verlassen und mich darüber freuen." "Genau so.", grinste der Braunhaarige breit, woraufhin Mirâ ein warmes Gefühl in ihrem Magen verspürte. Der junge Mann stand auf und streckte sich: "Da fällt mir ein. Es scheint mir, als hättest du dich mit Kyo endlich vertragen." "Kann man so sagen.", meinte Mirâ nur trocken, doch mit leichtem Grinsen auf den Lippen, behielt dabei aber für sich, dass es eher notgedrungen war. "Das freut mich. Er ist kein schlechter Kerl, nur halt etwas eigen.", erklärte der Student lachend, "Naja... dann machen wir mal weiter bevor die nächsten Gäste kommen. Oh... wenn man vom Teufel spricht." Shuichi stoppte in seinem Tun, als die Tür der Karaokebar aufging und kurz darauf Kyo im Raum stand, welcher seinen Kommilitonen überrascht ansah, sich dann aber mit einem "Hallo" abwandte und direkt auf Mirâ zuging, als ihm diese ins Sichtfeld kam. "Können wir kurz reden?", fragte er ohne weitere Umschweife. Irritiert sah Mirâ den Blauhaarigen an und richtete dann einen fragenden Blick an Shuichi, welcher nur abwinkte und meinte, dass es okay sei und sich dann wieder hinter seinen Tresen verzog. Wenige Minuten später standen die Oberschülerin und der Student vor der Bar. "Akki ist wieder aufgetaucht. Ich denke, das habe ich euch zu verdanken. Deshalb...", er zögerte kurz, bevor sich schlussendlich doch dazu entschloss es auszusprechen, "Vielen Dank. Ich weiß nicht, wie ich euch danken kann." "Schon okay.", Mirâ schüttelte den Kopf, "Ich hoffe nur, dass es Akisu gut geht. Warst du schon bei ihr?" Kyo schwieg erneut kurz: "Nein... meine Mutter ist wahrscheinlich die ganze Zeit bei ihr. Und ob ihre Bodyguards mich zu ihr lassen, ist auch eine Frage. Und wer weiß, ob Akki mich überhaupt sehen möchte." "Ich denke schon.", kam es wie aus der Pistole geschossen von der Violetthaarigen, weshalb Kyo sie mit erstaunten goldgelben Augen ansah, "Sie vermisst dich, Kyo und sie wünscht sich nichts mehr, als dich wiederzusehen. Du solltest sie besuchen und mit ihr sprechen. Dann klärt sich sicher alles auf." Der Student sah sie einige Zeit schweigend an, schnaufte dann allerdings und drehte sich um: "Was weißt du denn schon davon!?" Es klang ziemlich forsch und wütend, doch trotzdem hatte Mirâ ein kleines Lächeln auf den Lippen, während sie Kyo nachschaute, der schon fast beleidigt von dannen zog. Kapitel 57: LVII – Besuch in Osaka [edited] ------------------------------------------- Sonntag, 16.August 2015 Mit piepsendem Ton schlossen sich die Türen des Shinkansen, welcher sich nur einen Moment später bereits in Bewegung setzte. Aufgeregt hockte Junko auf ihrem Sitz und starrte aus dem Fenster auf die an ihr vorbeiziehende Stadt. Nicht mehr lange und sie würden diese hinter sich gelassen haben und Landschaft sehen. Mirâ beobachtete ihre kleine Schwester, die vollkommen gebannt von dem Szenario außerhalb des Zuges war, und lächelte. Sie war froh, dass sich die Kleine wieder etwas beruhigt hatte, denn bis kurz vor der Abfahrt hatte sie noch darum gebettelt nicht mitfahren zu müssen. Mirâ wusste nicht warum, aber so verhielt sich Junko jedes Mal, wenn sie Beiden ihren Vater besuchen fuhren. Dabei waren es nur diese paar Tage im Jahr, wo sie ihn überhaupt sehen konnten. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass Junko nie einen richtigen Bezug zu ihrem Vater aufbauen konnte, so wie Mirâ. Immerhin hatten sich ihre Eltern bereits kurze Zeit nach Junkos Geburt getrennt. Leichte Traurigkeit überkam die junge Frau, als sie an die Monate vor der Trennung dachte, in denen sich ihre Eltern fast täglich gestritten hatten, bis zu dem Moment, als ihre Mutter mit ihr und Junko die Sachen packte und ging. Damals hatte sich Mirâ extrem hilflos gefühlt und den traurigen Gesichtsausdruck ihres Vaters, als sie gingen, würde sie wohl niemals vergessen können. Dass sich ihre Eltern zumindest freundlich einigen konnten, wie es mit dem Sorgerecht weiterging, war in diesem Fall ein kleiner Trost. Nun besuchte Mirâ ihren Vater mindestens einmal im Jahr, meistens in den Sommerferien und Junko kam dann mit, damit auch sie nicht den Bezug zu ihrem Vater verlor. Die junge Frau seufzte leise und sah wieder zu Junko, welche immer noch begeistert auf die Landschaft sah, welche nun an ihnen vorbei rauschte. Das Vibrieren ihres Handys ließ sie jedoch wieder aufschauen und das rote Gerät aus ihrer Tasche nehmen. Das Display zeigte ein Foto von ihr und Akane, welches sie auf dem Tsukinoyo gemacht hatten, während mitten auf dem Bildschirm der Name ihrer Freundin prangerte. Vorsichtig wischte sie über den Display und nahm so ab, bevor sie das Handy an ihr rechtes Ohr und die linke Hand vor ihren Mund legte, sodass vor allem ihre Freundin sie verstehen konnte, aber sie Andere nicht belästigte. "Hallo Akane. Was gibt es?", fragte sie vorsichtig. "Ach nur so. Ich wollte dir und Junko nur viel Spaß bei eurem Vater wünschen.", kam es von der anderen Leitung, doch Mirâ merkte, dass die Braunhaarige etwas zu beschäftigen schien. "Ähm Danke. Das werden wir haben. Ich schreibe dir jeden Tag.", versprach die Violetthaarige, was ihre beste Freundin freudig zur Kenntnis nahm, "Aber sag mal... ist alles in Ordnung? Du klingst, als würde dich etwas beschäftigen." Die junge Frau am Ende der Leitung schwieg eine Weile, ehe sie kurz seufzte: "Naja... ich habe gestern noch mal mit Hiroshi telefoniert. Wegen seinem älteren Bruder. Ich wusste nicht, dass Rin im Krankenhaus liegt und wollte wissen, was denn passiert sei. Hiroshi hat mir zwar alles erklärt, zumindest das was er selber wusste, aber irgendwie..." "Irgendwie?", hakte Mirâ nach, als eine weitere längere Pause eintrat. "Naja... Hiroshi klang so abwertend, dabei hat er früher so an Rin gehangen. Er war ihm quasi fast nie von der Seite gewichen und jetzt... klang er so, als würde er ihn hassen. Ich frage mich, was vorgefallen ist.", erklärte die Braunhaarige traurig, "Als wir Kinder waren hat Rin immer auf uns aufgepasst. Er war damals auch für mich wie ein großer Bruder..." Mirâ schwieg nun ebenfalls, da sie nicht genau wusste, was sie darauf antworten sollte. Sie hätte ihrer Freundin natürlich von dem Gespräch erzählen können, welches sie mit Hiroshi geführt hatte, als sie ihm ins Krankenhaus gefolgt war, doch fand das nicht richtig. Sie kannte im Grunde ja auch nur einen Teil davon, was wirklich bei dem Blonden zuhause abging. "Das beschäftigt dich wirklich. Was? Ich denke Hiroshi-Kun wird seinen Grund haben und vielleicht möchte er einfach aktuell nicht darüber sprechen. Du solltest ihm Zeit lassen. Er wird dir bestimmt noch alles erklären.", riet sie Akane schlussendlich. "Vielleicht hast du Recht. Entschuldige, dass ich dich mit so etwas belästige.", sagte diese schlussendlich. Mirâ lächelte, auch wenn sie wusste, das Akane es nicht sehen konnte: "Schon gut. Du hast mich nicht belästigt. Freunde sind doch für so etwas da. Oder etwa nicht? Da fällt mir gerade etwas ein… meine Mutter hat mir gestern Abend zwei Tickets für einen Tagesausflug nach Tokio gegeben. Die hat sie wohl in der Lotterie gewonnen, als sie mit Junko einkaufen war. Das Datum kann man sich wohl selber aussuchen und muss es nur in die Zugtickets eintragen. Sie selbst schafft es nicht die Tickets einzulösen, zumal es auch zwei sind. Deshalb hat sie gefragt, ob ich nicht Lust hätte mit einer Freundin zu fahren. Was hältst du davon?" „Ehrlich? Ein Ausflug nach Tokio? Oh mein Gott! Da wollte ich schon immer mal hin.“, .“, freute sich die Braunhaarige wie ein Schneekönig, „Und du nimmst mich mit? Mirâ, ich liebe dich!“ Mirâ lachte und fragte ihre Freundin, welches Datum sie denn für das Beste hielt. Akane schien zu überlegen und in ihren Kalender zu schauen und schlug dann den 11. Oktober vor, da der Tag danach frei war und sie deshalb keinen Stress haben würden. Da die Violetthaarige gerade keinen Kalender zur Hand hatte musste sie selber überlegen, doch fiel ihr nicht ein, dass sie an diesem Tag irgendetwas Wichtiges vor hätte. So einigten sie sich erst einmal auf dieses Datum, mit der Option, dass Mirâ noch einmal schreiben würde, sobald sie in ihren Kalender geschaut habe. Ihre Freundin bestätigte dies wieder total fröhlich und bedankte sich dann noch einmal fürs Zuhören, bevor sie der Violetthaarigen erneut ein paar schöne Tage wünschte und sich dann verabschiedete. Mirâ legte ebenfalls auf und starrte noch eine ganze Weile auf ihr nun schwarzes Display, in dem sie sich spiegelte. Akane machte sich wirklich Gedanken. Daran merkte man, wie wichtig ihr Hiroshi eigentlich war, auch wenn sie das niemals offen zugeben würde. Eine kleine Hand legte sich auf ihren Oberschenkel, weshalb sie ihren Blick von ihrem Smartphone nahm und diesen auf ihre kleine Schwester richtete, welche sie mit großen roten Augen ansah. "Ist etwas mit Hiro-niichan?", fragte sie mit schief gelegtem Kopf. Ein Lächeln zierte das Gesicht der Älteren, während sie dem kleinen Mädchen über den Kopf strich und sie beruhigte, dass alles okay sei. Daraufhin begann auch Junko das Lächeln zu erwidern und drehte sich dann wieder zum Fenster. Etwa zwei Stunden später hielt der Shinkansen im Osakaer Hauptbahnhof und entließ die Gäste, welche dort aussteigen wollten. Auch Mirâ und Junko verließen hier den Zug. Während die Oberschülerin in der einen Hand ihre Reisetasche hatte und mit der Anderen ihre kleine Schwester festhielt, damit diese bei den Menschenmassen nicht abhauen konnte, sah sie sich um und versuchte ihren Vater zu finden, welcher sie abholen wollte. Ungefähr eine halbe Stunde, bevor der Zug in den Bahnhof eingefahren war, hatte die junge Frau ihm eine Nachricht geschickt, dass sie bald da seien und er sich losmachen könnte. Jemand tippte ihr auf die Schulter, weshalb sie sich etwas erschrocken umdrehte und dann in das lächelnde Gesicht eines Mannes im mittleren Alter blickte, dessen blauviolette Haare mittlerweile ergrauten. Mit freundlichen roten Augen, in dessen Winkeln sich bereits kleine Fältchen abzeichneten, sah er die Violetthaarige an, welche begann zu strahlen. „Papa!“, rief sie erfreut und fiel dem Mann in die Arme, welcher sie an sich drückte. „Nicht so stürmisch.“, lachte er und schob seine älteste Tochter ein Stück von sich weg um sie zu betrachten, „Ich freu mich auch dich zu sehen, Mirâ. Gut siehst du aus.“ „Du auch.“, lächelte Mirâ fröhlich und spürte plötzlich etwas an ihrem Bein, was sie daran herunter schauen ließ. Junko hatte sich an sie geklammert, so wie sie es jedes Mal machte, wenn sie vor ihrem Vater stand. Ein wenig traurig fand Mirâ das schon, immerhin war sie sich sicher, dass dies ihren Vater jedes Mal verletzte. Die Grundschülerin jedoch ließ davon nicht ab, ganz gleich wie oft die Ältere ihr sagte sie solle das nicht machen. „Junko…“, seufzte sie und wandte sich an ihren Vater, „Tut mir leid, Papa. Sie kann es nicht lassen.“ „Ach schon gut.“, er lächelte, auch wenn dieses Lächeln recht gequält wirkte und hockte sich dann zu der Blauhaarigen hinunter, „Schön dich wieder zu sehen, Junko. Du bist schon wieder gewachsen. Wie doch die Zeit vergeht.“ „Hallo…“, nuschelte Junko vorsichtig, doch ließ ihre Schwester nicht los. Auch ihr Vater seufzte und erhob sich erst einmal. Er wusste genau, dass er es nur schlimmer machen würde, wenn er versuchen würde ihr über den Kopf zu streichen, weshalb er es erst einmal dabei beließ. Junko würde sich im Laufe der nächsten Tage schon wieder daran gewöhnen. So war es die letzten Jahre immer gewesen, deshalb erzwang er es bei der Kleinen nicht. Stattdessen nahm er die Reisetasche, die Mirâ bei ihrer Umarmung hatte fallen lassen und lächelte die junge Frau an, welche einen entschuldigenden Blick aufgesetzt hatte. Danach verließen die Drei das Gebäude und begaben sich auf den Weg zur Wohnung ihres Vaters. „Wie geht es eurer Mutter? Ist alles in Ordnung?“, fragte der ältere Mann, während er konzentriert auf den Verkehr vor sich achtete. „Ihr geht es gut. Sie arbeitet viel, aber es macht ihr Spaß.“, erklärte Mirâ und erhaschte einen kurzen Blick nach hinten auf Junko, die starr aus dem Fenster neben sich sah. Auch ihr Vater warf ihr einen flüchtigen Blick zu und sah dann wieder nach vorn, als sich die Fahrzeuge vor ihm endlich bewegten: „Und ihr? Habt ihr euch gut in Kagaminomachi eingelebt?“ Die Violetthaarige nickte: „Ja. Ich habe mittlerweile viele gute Freunde gefunden, mit denen ich viel unternehme. Manchmal nehmen wir auch Junko mit.“ „Mit Hiro-niichan und Akane spiele ich am liebsten.“, kam es plötzlich fröhlich von hinten, woraufhin ihr Mirâ einen erstaunten Blick zuwarf. „So? Wer sind denn Hiro und Akane?“, fragte der ältere Mann mit einem Grinsen im Gesicht und einem flüchtigen Blick durch den Rückspiegel. „Das sind Freunde von mir. Beide gehen in meine Klasse. Junko ist völlig vernarrt in Hiroshi-Kun.“, erklärte die junge Frau neben ihm. Mit einem Lachen fragte der Blauvioletthaarige, ob er sich denn Gedanken machen müsse, woraufhin ihn Mirâ nur leicht in die Seite boxte und meinte, dass er so einen Unsinn lassen solle. Das brachte den Mann nur noch mehr zum Lachen und er klärte, dass er froh war zu hören, dass es seinen beiden Töchtern so gut ging. „Gerade in dieser Stadt…“, murmelte er. Fragend blickte Mirâ ihn an. Sie hatte es nur ganz leise gehört und war sich deshalb nicht sicher, es richtig verstanden zu haben. Hatte ihr Vater wirklich gesagt „gerade in dieser Stadt“? Dieser Satz ergab für sie keinen Sinn. Warum also sollte er so etwas sagen? Sein Blick war etwas wehmütig geworden, doch änderte sich schlagartig, als er bemerkte, wie Mirâ ihn betrachtete. Er setzte ein Lächeln auf und meinte, dass es nicht so wichtig sei und sie sich darüber keine Gedanken machen solle. Dann setzte er den Blinker und bog in das Parkhaus eines Kaufhauses ein. Auf den fragenden Blick seiner älteren Tochter hin, schlug er vor, dass sie doch noch ein Eis essen gehen könnten, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Die junge Frau nickte bestätigend, auch weil Junko nun wieder Feuer und Flamme war, und schob damit erst einmal die Gedanken an den Satz ihres Vaters beiseite. Als sie später am Abend gemeinsam auf der Couch saßen war die Stimmung wieder ausgelassen. Auch Junko war nach dem Besuch im Eiscafé wieder aufgetaut und hockte nun auf dem Schoß ihres Vaters, welcher sich angeregt mit seiner älteren Tochter unterhielt. Die Kleine starrte währenddessen auf den Fernseher, in welchem ihre Lieblingsserie lief. Diese durfte sie auch bei dem Besuch ihres Vaters nicht verpassen, darauf hatte sie bestanden. „Du hast also wieder mit dem Kyûdô angefangen?“, fragte ihr Vater, was Mirâ mit einem Nicken bestätigte, „Das freut mich wirklich zu hören. Als Kind warst du in diesen Sport richtig vernarrt.“ „Aber auch nur, weil du mich drauf gebracht hast.“, lachte die junge Frau, „Ich weiß noch, wie wir immer das Dôjô besucht haben, in dem du in deiner Jugend trainiert hast, wenn wir bei Obaa-Chan und Ojii-Chan waren.“ „Du hast dich mir ja regelrecht aufgedrängt, mitkommen zu dürfen.“, lachte nun auch ihr Vater, „Das waren noch schöne Zeiten… Weißt du eigentlich, wieso ich dieses Dôjô immer dann besucht habe, wenn wir mal bei euren Großeltern waren?“ Mirâ hatte den Themenwechsel bemerkt, den ihr Vater angeschlagen hatte, doch nahm es so hin. Sie wusste, dass dieses Thema vor der Scheidung für ihn nicht so einfach war, weshalb sie sich auf das Gespräch einließ und den Kopf schüttelte. Ihr Vater grinste: „Ich habe immer gehofft mal meinen besten Kumpel aus Schulzeiten wiederzutreffen. Seinen Eltern gehörte dieses Dôjô, weshalb er mehr oder weniger gezwungen war diesen Sport zu machen. Nicht nur einmal hat er geflucht, wie sehr er Kyûdô hasste und trotzdem war er zu jeder Trainingsstunde anwesend und hochkonzentriert. Er war echt manchmal ein komischer Kauz. Aber weil er etwas älter war als ich, war er eher von der Oberschule runter und ist dann in die große Stadt gezogen, um Jura zu studieren. Gerade er. Leider haben wir dadurch den Kontakt verloren.“ „Wie ärgerlich.“, meinte Mirâ, „Das wusste ich gar nicht.“ „Das hab ich auch nie erzählt.“, meinte ihr Vater mit lächelndem Gesicht, „Es wäre schon schön ihn mal wieder zu treffen. Wer weiß was er gerade macht. Wahrscheinlich ist er ein bekannter Staranwalt geworden oder so.“ Er lachte und auch auf Mirâs Gesicht formte sich ein kleines Lächeln. Sie konnte nachvollziehen, wie sich ihr Vater fühlte. Freundschaft war eine fragile Angelegenheit. Das musste sie die letzten Jahre immer mehr feststellen. Schaffte man es nicht sich regelmäßig zu sehen, zerbrach sie selbst in diesen Zeiten des modernen Fortschritts, in denen es möglich war sich über Smartphones ständig zu schreiben. Ihr Vater hatte es in diesem Fall noch schwieriger. Zu seiner Zeit gab es solche Hilfsmittel noch nicht und wenn doch, dann waren sie extrem teuer gewesen. Doch heutzutage war es unglaublich einfach an solche Geräte zu gelangen. Eigentlich jeder Teenager in Japan hatte mittlerweile ein internetfähiges Handy und konnte so immer mit jedem in Kontakt bleiben. Doch das schützte nicht davor, dass Freundschaften zerbrachen. Das hatte sie selbst oft genug erfahren müssen. Das Seufzen ihres Vaters ließ sie aus ihren Gedanken schrecken. „Aber es ist schön zu hören, dass du wieder richtige Freundschaften schließt. Und Junko scheint ja auch davon zu profitieren.“, er richtete seinen Blick auf das Mädchen auf seinem Schoß, welches von der Unterhaltung gar nichts mitbekam, weil sie zu gebannt auf ihre Serie fixiert war, „Ich hoffe nur, dass ihr gut auf euch achtgebt.“ „Sicher, Papa.“, lächelte Mirâ sanft und richtete ihren Blick dann auch erst einmal auf den Fernseher, wo gerade der Abspann lief. Als die Mädchen am späten Abend in ihren Betten lagen, war Mirâ noch wach. Sie dachte über das Gespräch mit ihrem Vater nach und darüber, wie fragil eine Freundschaft in Wahrheit war, selbst wenn man meinte sie sei unzertrennlich. Wieder einmal kam ihr der Gedanke, was wohl geschehen mag, wenn die Sache mit der Spiegelwelt für alle beendet war. Würde sie mit ihren Kameraden weiter befreundet sein oder würde auch diese Freundschaft sich auseinanderleben? Der Gedanke daran, dass sie ihre Freunde eines Tages verlieren könnte, schmerzte sie und sie versucht deshalb an etwas anderes zu denken, doch es half nichts. Sie wusste, dass ihre Freundschaften etwas mit ihrer Aufgabe zu tun hatten und sie deshalb die Social Links brauchte, aber sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass diese Freundschaften nicht echt waren. Mirâ drehte sich auf die Seite und starrte an die Wand, bevor sie leicht den Kopf schüttelte. Nein. Sie wollte daran glauben, dass diese Freundschaften echt waren und auch, dass sie lange halten werden. Auch nach diesen ganzen Kämpfen. Wenigstens bis zu dem Zeitpunkt zu dem sie die Oberstufe abschlossen und hoffentlich auch darüber hinaus. Mit diesem Gedanken schloss die Violetthaarige die Augen und war kurz darauf im Reich der Träume verschwunden. Montag, 17.August 2015 - früher Abend Ein lauer Abendwind erfrischte die immer noch sehr warme Sommerluft, während die Sonne sich langsam auf den Weg gen Horizont begab und den Himmel ganz langsam in ein zartes Orange tauchte. Schmollend lief Junko neben Mirâ her und blähte noch immer die Wangen auf. Die Oberschülerin beobachtete ihre kleine Schwester aus dem Augenwinkel heraus und seufzte, als sie ihren Blick wieder auf die Straße vor sich richtete und sich ein wenig in dem Wohnviertel umsah, in welchem sie einige Zeit gelebt hatte, bevor ihre Eltern sich hatten scheiden lassen. Es hatte sich so gut wie nichts verändert in den letzten Jahren, musste sie feststellen, mit Ausnahme einiger Fassaden die erneuert wurden und ein vertrautes Gefühl stieg in ihr auf. Wahrscheinlich wäre sie diese Strecke immer noch jeden Tag gelaufen, um zur Schule zu kommen, wenn es nicht zur Scheidung gekommen wäre. Sie senkte vorsichtig den Blick. Es war schon schade, dass es so mit ihren Eltern auseinandergehen musste und sie wünschte sich, es wäre nie dazu gekommen. Wiederum wusste sie, dass es wohl nur so friedlich enden konnte. Die Streitereien, die ihre Eltern zu damaliger Zeit ausgeführt hatten, waren wirklich schrecklich gewesen und nicht nur einmal hatte sie Angst gehabt, dass sie sich gegenseitig etwas antaten. Natürlich wusste sie, dass die Beiden vernünftig genug waren, um es nicht gewaltsam enden zu lassen, aber als Kind war ihr dieses Verhalten unheimlich geworden, und sie war froh, das Junko das alles nicht so richtig mitbekommen hatte. Mirâ seufzte erneut. Fünf Jahre ist das alles nun schon wieder her. Eine lange Zeit wie sie fand. Ihr Blick fiel wieder auf ihre kleine Schwester und sie konnte sich ein kleines Kichern nicht verkneifen, da die Kleine immer noch total beleidigt drein schaute. „Junko, nun sei doch nicht so. Papa hat das doch nicht mit Absicht gemacht und er muss nun einmal immer erreichbar sein. Sei ihm nicht böse.“, versuchte sie die Grundschülerin etwas zu beruhigen. Diese war beleidigt, weil ihr Vater kurzfristig noch einmal ins Büro musste, da es wohl irgendwelche Probleme gab. Und das, obwohl er eigentlich Urlaub hatte und die paar Tage mit seinen Töchtern verbringen wollte. Natürlich wusste Mirâ, dass es ihrem Vater genauso schwer gefallen war und es ihm unendlich leid tat, weshalb sie ihm nicht böse war. Junko jedoch war anscheinend wirklich noch zu jung, um das zu verstehen und aus diesem Grund bockte sie auch. Um sie etwas abzulenken war Mirâ mit ihr noch einmal rausgegangen und nun auf dem Weg zu einem Spielplatz, von dem sie hoffte, dass er noch existierte. Sie bogen gerade um die nächste Ecke, als ihr eben dieser Spielplatz in die Augen fiel und zu ihrem Erstaunen sah er sogar so gut wie neu aus. Anscheinend hatten sie ihn mehrfach erneuert und Mirâ war froh, dass er noch da war, denn sonst hätte sie nicht gewusst, wie sie Junko hätte aufmuntern können. Noch bevor die junge Frau etwas sagen konnte hatte Junko den Spielplatz ebenfalls entdeckt und riss sich regelrecht von ihrer älteren Schwester los um auf die Schaukeln loszustürmen, welche um diese Zeit alle frei waren. Lächelnd beobachtete die Oberschülerin das kleine Mädchen und war froh mit ihrer Idee genau ins Schwarze getroffen zu haben, während sie sich dem Spielplatz auch nährte und sah, wie ihre kleine Schwester eine der beiden Schaukeln in Beschlag nahm. Lächelnd setzte sich Mirâ auf die zweite Schaukel und sah der Blauhaarigen beim lustigen hin und her Pendeln zu. In diesem Moment schien die Kleine auch vollkommen ihre Wut vergessen zu haben, was die Violetthaarige beruhigte. „Kari, jetzt renn doch nicht ständig davon.“, hörte Mirâ kurz darauf eine männliche Stimme aus einer der Seitenstraßen. „Aber wir müssen uns beeilen…“, erklang kurz darauf die Stimme eines kleinen Mädchens, welches einen Moment später am Eingang zum Spielplatz auftauchte. Es hatte lange hellbraune Haare, welche an den Seiten zu zwei Zöpfen gebunden waren. Beleidigt blähte sie die Wangen auf, während sie Mirâ mit ihren großen blauen Augen musterte und dann zu der Person schaute, die sich ihr nährte: „Siehst du, Onii-Chan! Jetzt sind die Schaukeln beide belegt und du bist schuld.“ „Was kann ich denn dafür?“, seufzte der junge Mann, welcher nun neben dem kleinen Mädchen zum Stehen kam. Er hatte dunkelbraune kurze Haare und trug eine graue Hose, mit einem schwarzen Shirt und einer weißen Kapuzenweste, welche durch das Licht der untergehenden Sonne leicht orange wirkte. Irritiert sah er ebenfalls zu Mirâ, die immer noch auf der Schaukel saß. In diesem Moment schien die junge Frau erst einmal zu bemerken, dass sie das Spielgerät ungenutzt in Beschlag nahm und sprang unverzüglich auf. „Entschuldige. Möchtest du schaukeln?“, fragte sie das kleine Mädchen freundlich, welches sofort anfing zu strahlen und regelrecht an ihr vorbei rannte, um sich der Schaukel zu widmen. „Kari, was sagt man?“, kam es streng von dem jungen Mann. „Danke…“, sagte die Kleine aufgefordert und ließ sich danach nicht weiter stören. Mirâ währenddessen entfernte sich etwas von der Schaukel, um den beiden kleinen Mädchen ihren Spaß zu lassen, und hörte kurz darauf ein kurzes Seufzen, weshalb ihr Blick wieder auf den jungen Mann fiel, welcher nun in ihrer unmittelbaren Nähe stand. Sie schätzte ihn ungefähr auf ihr Alter, konnte es jedoch nicht genau bestimmen. Er hatte seine Hand in den Nacken gelegt und massierte sich diesen, während er seine kleine Schwester beobachtete. „Geschwister… was?“, meinte Mirâ deshalb nur kichernd, worauf der Braunhaarige nun zu ihr schaute und dann seufzte. „Ja.“, er richtete seinen Blick wieder auf die Schaukeln, wo die beiden Mädchen mittlerweile in ein Gespräch vertieft waren, „Deine kleine Schwester?“ Mirâ lachte: „Oh ja. Ich musste sie etwas ablenken, damit sie aufhört zu bocken.“ „Das kenne ich nur zu gut. Ich versteh dich da, muss mir bei Kari auch immer etwas Neues überlegen.“, murmelte der Braunhaarige, woraufhin die Violetthaarige nur erneut lachen musste, da sie das auch zu gut kannte, „Ihr seid nicht von hier. Oder?“ Kurz betrachtete sie den jungen Mann und schüttelte dann den Kopf: „Nein. Wir besuchen nur ein paar Tage unseren Vater, der hier lebt.“ Etwas zog an Mirâs Rock, woraufhin sie ihren Blick nach unten richtete und dabei auf die kleine Schwester des Braunhaarigen blickte, die sie wieder mit ihren hellblauen großen Augen ansah und sie damit extrem an Junko erinnerte, wenn sie etwas von ihr wollte. „Du sag mal, hast du nicht Lust Nii-Chans Freundin zu werden?“, fragte sie mit einer Ernsthaftigkeit und Unschuld, die Mirâ erst einmal völlig perplex drein schauen ließ, ohne auch nur reagieren zu können. „KARI!“, schrie der Braunhaarige nur mit hochrotem Kopf auf, „Lass das!“ „Äh… was?“, bekam die Oberschülerin nur heraus, weil sie immer noch nicht verstand, was die Kleine, die mit Sicherheit nicht viel älter war als ihre kleine Schwester, überhaupt von ihr wollte. „Vergiss das einfach wieder.“, winkte der junge Mann nur panisch ab, während er seine kleine Schwester zu sich gezogen hatte, „Du sollst das doch nicht tun, Kari!“ „Aber sie passt zu dir.“, meinte Kari nur todernst, was die Reaktion ihres älteren Bruders nicht gerade änderte. „Das geht sowieso nicht!“, rief Junko plötzlich auf, die nun auch neben der Gruppe erschienen war, „Hiro-Niichan ist der Freund von Nee-Chan!“ Mirâ merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, als sie diese Behauptung hörte: „Wo-wovon redest du Junko! Das stimmt doch gar nicht. Hiroshi-Kun ist nur ein guter Kumpel.“ „Redest du dir ein.“, meinte nun auch Junko todernst, woraufhin die Ältere sie nun ebenfalls an sich zog und ihr irgendetwas zumurmelte, was der Braunhaarige nicht verstehen konnte. Dieser konnte sich nun ein Lachen nicht verkneifen und ließ seinen Gefühlen freien Lauf, während die Mädchen ihn völlig irritiert ansahen: „Wie mir scheint, sind sich unsere Schwestern ziemlich ähnlich.“ Mirâ hatte immer noch eine leichte Röte im Gesicht, doch seufzte dann: „Scheint so. Tut mir leid.“ „Nein, ich muss mich entschuldigen. Kari hat damit angefangen.“, entschuldigte sich der Braunhaarige und hielt Mirâ seine Hand entgegen, um ihr wieder aus ihrer hockenden Position zu helfen. Die junge Frau betrachtete die Hand kurz, doch nahm sie dann dankend entgegen, bevor sie wieder auf die Beine gezogen wurde. Dabei hatte sie kurz das Gefühl, dass zwischen ihnen eine blaue Aura herrschte, die ähnlich der der blauen Schmetterlinge war, die sie öfters sah. Auch fühlte sie eine recht vertraute Wärme in sich, welche aber so schnell verschwunden war, wie sie kam, weshalb sie ihr Gegenüber für kurze Zeit musterte. Der Blick des Braunhaarigen lag ebenso auf ihr und für kurze Zeit schien zwischen ihnen die Zeit stehenzubleiben. Wahrscheinlich hätten sie noch eine Weile so dagestanden, hätte sich nicht einen Moment später Mirâs Handy aus ihrer Tasche gemeldet und beide aus ihren Gedanken geholt. Erschrocken blickte die Violetthaarige auf ihre Rocktasche und ließ nun endlich die Hand des Jungen los, um nach dem nervenden Gerät zu greifen, dessen Display nur „Papa“ anzeigte. Entschuldigend hob Mirâ kurz die Hand, um dann das Gespräch entgegenzunehmen und ihrem Vater zu erklären, dass sie mit Junko noch auf dem Spielplatz war, sich nun aber wieder auf den Heimweg begeben würde. Das Gespräch dauerte keine Minute, bis die Violetthaarige wieder auflegte und seufzend zu Junko schaute. „Wir müssen dann, Junko.“, sie wandte sich wieder an den Braunhaarigen, „Noch einmal Entschuldigung für vorhin, ähm…“ „Kurosaki… Kurosaki Aiden.“, stellte sich der Junge mit Namen Aiden vor. „Kurosaki-Kun. Mein Name ist Shingetsu Mirâ.“, stellte sich nun auch die Violetthaarige des Ausgleiches vor, „Dann noch einen schönen Abend euch. Vielleicht sieht man sich ja irgendwann noch einmal.“ Mit diesen Worten hatte sich Mirâ umgedreht und Junkos Hand gegriffen, bevor sie gemeinsam den Spielplatz verließen und zu ihrem Vater nachhause gingen. Kapitel 58: LVIII – Junko auf Abwegen ------------------------------------- Dienstag, 18.August Mit großen strahlenden Augen blickte Junko auf die vor sich liegende und mit Menschen überfüllte Einkaufsstraße, welche sich unendlich weit zu erstrecken schien. Aufgeregt knetete sie die Hand ihrer Schwester, die sie festhielt, damit sie nicht verloren ging. Auch Mirâ sah erstaunt auf die ganzen Menschenmassen, denn obwohl sie dieses Bild noch aus ihrer Kindheit kannte, so erstaunte sie dieser Auflauf immer wieder. Ihr Vater trat neben die beiden Mädchen und lächelte, während er die erstaunten und strahlenden Gesichter seiner Töchter betrachtete. Als Ausgleich dafür, dass er Beide am Abend zuvor alleine gelassen hatte, musste er sich etwas überlegen, um sie wieder milde zu stimmen. Also versprach er den Beiden, mit ihnen eine Shopping Tour durch Osaka zu machen und so waren sie nun, zum Ende des Tages hin, in der großen Einkaufsstraße der Stadt gelandet. Hier reihte sich ein Geschäft an das Andere, in welche sich die einzelnen Menschen hinaus und wieder herein drängten. Der ältere Mann seufzte und dachte an die Einkaufstüten, welche sich bereits im Kofferraum seines Autos befanden, doch trotzdem würde er seinen beiden Mädchen auch hier nichts abschlagen können, wobei das Meiste was er bezahlte für Junko war, da Mirâ ihre Einkäufe meist selber bezahlte. Es hatte ihn verwundert, als er von der Oberschülerin erfahren hatte, dass diese ab und zu in einer Karaokebar jobbte, doch noch mehr irritierte ihn, dass ihre Mutter es erlaubte. Immerhin passte sie auf die Mädchen auf, wie auf ihren Augapfel. Eine kleine Hand zog an seinem Jackett, weshalb er nach unten und genau in Junkos rote Augen blickte: "Papa lass uns losgehen." Ihr Vater seufzte, doch lächelte lieb: "Na dann, auf geht's." Somit machte sich die kleine Familie auf den Weg und durchstreifte die verschiedenen Geschäfte der Straße. Und natürlich fand Junko wieder etwas, was ihr gefiel und das nicht nur einmal. Nach einiger Zeit und gefühlten hundert Geschäften, machte die kleine Gruppe kurz Pause. Ihr Vater hatte sich auf eine niedrige Mauer gesetzt und musste zugeben, dass er für solche Dinge mittlerweile schon zu alt war. "Papa, wenn du möchtest, dann können wir uns auch erst einmal in ein Café setzen und uns dort ausruhen.", schlug Mirâ vor, was ihr Vater nur allzu dankend annahm. Kurze Zeit später fanden sich die Drei in einem der unzähligen Cafés der Stadt wieder und tranken einen Kaffee, beziehungsweise einen Kakao, um sich etwas auszuruhen. Doch es dauerte nicht lange, da wollte Junko auch schon weiter, weshalb sie anfing zu quengeln, wodurch Mirâ wieder kurz davor war böse zu werden, immerhin war ihr Vater wirklich nicht mehr der Jüngste und brauchte etwas Zeit zum verschnaufen. Die Grundschülerin jedoch blähte beleidigt die Wangen auf und wollte das so gar nicht einsehen, weshalb die Violetthaarige bereits zu einer Standpauke ausholte, als ihr Vater jedoch nur lachte. Irritiert sah die Oberschülerin zu ihm, was ihn allerdings nicht davon abhielt weiterzulachen. "Jetzt streitet euch doch nicht deshalb. Allerdings würde ich schon gerne noch etwas ausspannen, aber wenn ihr wollt könnt ihr auch noch einmal alleine losziehen. Ich gebe euch etwas Geld.", erklärte der Blauvioletthaarige mit einem Schmunzeln, nachdem er sich wieder von seinem Lachanfall beruhigt hatte. Junko war natürlich sofort Feuer und Flamme, Mirâ jedoch war nicht so begeistert. Auch weil sie wusste, dass Junko schwerer zu hüten war, als ein Sack Flöhe und es bei diesen Menschenmassen schwierig werden würde, alleine auf sie acht zu geben. Zudem hatte die junge Frau auch irgendwie das Gefühl, dass dies nicht gut gehen würde. Deshalb wollte sie eigentlich auch wiedersprechen, aber als sie Junkos strahlendes Gesicht sah und noch einmal zu ihrem Vater blickte, der nur lächelnd nickte, gab sie sich seufzend geschlagen. Irgendwie würde es schon klappen. Das hoffte sie jedenfalls. So stand sie langsam auf, während ihre kleine Schwester kaum noch zu zügeln war und nahm das Geld entgehen, welches ihr Vater ihr reichte. Nachdem sie sich ausgemacht hatten, sich in ungefähr zwei Stunden wieder vor dem Cafe zu treffen, machten sich die beiden Mädchen auf den Weg. "Das bleibt aber unter uns. Ja Junko?", sagte Mirâ der Kleinen, deren Hand sie nun wieder hielt. Fragend sah diese zu ihrer großen Schwester auf und legte den Kopf schief, als Zeichen, dass sie nicht verstand weshalb sie es für sich behalten sollte. Mirâ seufzte: "Wenn Mama erfährt, dass Papa uns bei diesem Gedränge ohne Aufsicht hat gehen lassen, wird sie ausflippen. Und ich habe keine Lust auf ihre Streitereien am Telefon." Kurz war die Blauhaarige etwas erstaunt, bevor sie erst zu begreifen schien, was ihre Aktion eben anrichten konnte. Ihr Mund formte sich zu einem Strich und sie senkte den Kopf, während sie die Hand ihrer Schwester noch etwas kräftiger fasste. Aus dem Augenwinkel erkannte die Oberschülerin den traurigen Blick ihrer kleinen Schwester und seufzte leise. "Nun schau nicht so. Solange Mama nichts davon erfährt, sollte es in Ordnung gehen. Also bleibt das schön unter uns. Ja?", mit einem Zwinkern legte Mirâ sich den Zeigefinger auf den Mund und lächelte die Blauhaarige lieb an. Diese sah sie kurz mit großen irritierten Augen an, doch nickte dann, legte ebenfalls ihren Finger vor den Mund und grinste breit. Die Violetthaarige kicherte und beobachtete, wie das kleine Mädchen neben ihr fröhlich weiterstolzierte. Sie verstand ja, wieso Junko nicht stillsitzen konnte. Als Kind war sie selbst ja auch nicht anders. Aus diesem Grund konnte sie der Kleinen einfach nie lange böse sein, auch wenn sie es manchmal übertreiben konnte. An anderen Tagen wiederum, war die Kleine einfach nur ein Engel. Es war schwer einzuschätzen, wie sie in welcher Situation reagierte. Sie war halt einfach noch ein Kind. Mirâ verlangsamte ihren Schritt, als sie auf eine Traube von Menschen zugingen. Erstaunt blickte sie über diese hinweg und erkannte einen in die Wand eingelassenen Fernseher, welcher die aktuellen News verkündete. Auch die junge Frau blieb stehen und blickte ebenfalls auf die nun verkündete News, wo sie sah, wie sich Reporter vor dem Zentralkrankenhaus in Kagaminomachi versammelt hatten und darüber berichteten, dass Akisu mit hoher Wahrscheinlichkeit dorthin eingeliefert wurde. Mirâ machten diese News Sorgen, denn nun wusste jeder wo sich das Idol aufhielt. Das wiederum barg die Gefahr, dass die Blonde wieder verlegt wurde und sie keine Gelegenheit mehr haben würde sich mit ihr zu unterhalten. Deshalb hoffte sie, dass es nicht zu viel Aufregung deshalb geben würde. Die junge Frau war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, wie Junko mehrmals an ihrem Arm zog. Die Kleine wurde langsam wieder ungeduldig und wollte weiter. Sie konnte auch nicht verstehen, weshalb ihre Schwester so gebannt auf den Bildschirm starrte. Sie selbst erkannte ja nicht viel. Beleidigt blähte sie die Wangen auf und zog noch einmal an dem Arm der Oberschülerin, doch diese reagierte immer noch nicht. Junko ließ deshalb die Hand der Violetthaarigen los, was diese nicht einmal zu bemerken schien, und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Sie wollte etwas sagen, als sie neben sich ein Mauzen vernahm und deshalb den Blick von Mirâ abwandte. Einige Meter von ihr entfernt erkannte sie eine braune Katze, welche am Straßenrand saß und sich die Pfoten leckte, bevor sie sich neugierig umsah und sich dann erneut um ihre Fellpflege kümmerte. Junkos Augen begannen zu strahlen, als sie das hübsche braune Tier entdeckte. Kurz sah sie zu ihrer Schwester und überlegte, ob sie sie fragen sollte, ob sie zu der Katze darf, doch als sie bemerkte, dass diese immer noch total in Gedanken versunken war, entfernte sie sich einfach so von der Älteren. Immerhin würde sie nur einige Meter weiter weg sein. Also setzte sie sich in Bewegung und Schritt auf die Katze zu. Diese sah sie mit großen blaugrünen Augen an und zuckte plötzlich mit den Ohren, als sie ihren Blick abwandte und loslief. Die News auf dem Fernseher waren schon eine Weile vorbei und einem Werbeblock gewichen, als Mirâ wieder aus ihren Gedanken zurückkehrte. Die Menschentraube vor ihr hatte sich mittlerweile aufgelöst und sie stand fast alleine vor dem flimmernden Bildschirm. Sie seufzte und wollte sich an das kleine Mädchen neben sich wenden, als sie erschrocken feststellen musste, dass diese nicht mehr an Ort und Stelle war. Schockiert sah sich die Violetthaarige um, doch konnte sie die Blauhaarige nirgends entdecken. Panik stieg in ihr auf, als sie feststellen musste, dass ihre kleine Schwester in dieser riesigen Stadt verschwunden war. Junko währenddessen hatte gar nicht bemerkt, wie weit sie sich bereits von der Oberschülerin entfernt hatte. Wie hypnotisiert war sie der Katze gefolgt, welche sich aus dem Staub machte, sobald sie ihr zu nahe kam. Das braune Tier jedoch ließ sich nicht weiter beirren, sondern lief weiter durch die Menschenmassen, während die Grundschülerin ihr folgte. Plötzlich zuckten erneut die Ohren der Katze und sie blickte nach links, bevor sie einen Satz in diese Richtung machte und zwischen den Menschenmassen verschwand. Als Junko dies bemerkte, wollte sie ihr weiter folgen, doch kaum hatte sie die Stelle erreicht, an der die Katze abgebogen war, war diese nicht mehr zu sehen. Irritiert sah sich die Kleine um und seufzte dann, weil sie traurig war, dass das Kätzchen verschwunden war. Also drehte sie sich um und wollte zurück zu ihrer Schwester, als ihr auffiel, dass sie nicht mehr dort war, wo sie die Ältere hatte stehenlassen. Jegliche Farbe wich ihr aus dem Gesicht, während sie sich fragend umschaute, diese Gegend jedoch nicht einordnen konnte. Sie stand mitten auf einem größeren Platz, der einem Park ähnelte und in dessen Mitte ein Brunnen stand. "Nee... Chan?", fragte sie kleinlaut, während ihr Tränen in die Augen stiegen und sie es bereute der Katze einfach gefolgt zu sein. Ein Schluchzen entkam ihr und die kleinen Tränen flossen ununterbrochen ihre Wangen hinunter. Wie sollte sie Mirâ hier wiederfinden? Sie kannte sich hier so gut wie gar nicht aus und wusste auch gar nicht genau, aus welcher Richtung sie eigentlich gekommen war. Ganz zu schweigen von dem Weg, den sie gegangen war. So etwas wie ein Handy besaß sie auch nicht, womit sie Mirâ hätte kontaktieren können und jemanden fragen brachte auch nichts, weil sie die Nummer ihrer Schwester nicht im Kopf hatte. Und auch die Nummer ihres Vaters war ihr unbekannt, zumal am Ende wohl Mirâ den Ärger bekommen würde, weil sie nicht auf ihre kleine Schwester aufpassen konnte. Das wollte Junko eigentlich auch nicht. Der Gedanke daran machte sie aber noch trauriger, weshalb ihr Schluchzen lauter wurde. Doch die Menschen um sie herum waren viel zu beschäftigt, als dass sie das kleine Mädchen bemerkten, weshalb sie alle nur schweigend oder telefonierend an ihr vorbeigingen. Plötzlich vernahm sie erneut ein Mauzen, weshalb sie aufsah und ganz verschwommen die braune Katze von eben wiedersah, welche sie mit großen blaugrünen Augen anschaute. "Du... verschwinde... das ist... alles deine Schuld...", schluchzte die Grundschülerin, obwohl sie genau wusste, dass sie sich selbst in diese Lage gebracht hatte. Und dennoch wollte sie die Schuld bei jemand anderem suchen, doch bereute es im nächsten Moment bereits wieder. Sie hockte sich zu der Katze runter, woraufhin diese direkt auf sie zugelaufen kam und sich an ihre Beine schmiegte. Vorsichtig strich Junko dem Tier über den Rücken, wodurch dieses anfing zu schnurren und die Streicheleinheiten genoss. Langsam beruhigte sich die Grundschülerin wieder, doch trotzdem entkam ihr ab und zu noch ein leichtes Schluchzen. "Hier bist du also, Kiara. Wieso läufst du denn...?", der junge Mann, welcher sich gerade durch die Menschenmassen gedrängt hatte, nachdem er seiner Katze gefolgt war, stockte, als er das kleine Mädchen entdeckte, welches auf dem Boden hockte und ihn mit vollkommen verheulten roten Augen ansah, "Du bist doch die Kleine von gestern. Wo ist denn deine Schwester?" Fragend blickte sich der Braunhaarige um und kratzte sich am Hinterkopf, während er überlegte, wie man ein kleines Mädchen in dieser Stadt nur alleine lassen konnte. Doch plötzlich spürte er etwas Warmes an seinem Bauch, weshalb er erschrocken nach unten sah und bemerkte, wie sich das kleine Mädchen weinend an ihn drückte. Etwas irritiert blickte Aiden auf den blauen Haarschopf, doch lächelte dann sanft, als ihn diese Situation sehr an seine kleine Schwester erinnerte, und tätschelte dem kleinen Mädchen beruhigend über den Kopf. "Was ist denn passiert?", fragte er dann sanft und spürte, wie sich die Grundschülerin noch etwas kräftiger an ihn drückte, "Hast du dich verlaufen?" "Ich... Ich bin der Katze gefolgt und... ich weiß nicht wo ich bin... und wo... Nee-Chan ist...", erneut überkam sie ein Schluchzen. Aiden blickte auf seine Katze namens Kiara, welche sich unschuldig ihre Pfoten leckte und ihn dann mit ihren großen blaugrünen Augen ansah. Nun schien er erst zu begreifen, was überhaupt los war. Er hatte sich bereits gewundert, wieso ihm Kiara mitten in der Stadt entgegen kam, nur um dann wieder zwischen den Menschen zu verschwinden, als sie merkte, dass er ihr folgte. Sie wollte ihn zu dem kleinen Mädchen bringen, welches sich wegen ihr verlaufen hatte. Zwar fand er es ziemlich unverantwortlich, dass die Kleine einfach so einer fremden Katze folgte, vor allem in einer Stadt, die sie nicht zu kennen schien, aber andererseits erinnerte ihn das auch an seine kleine Schwester Hikari, welche Kiara auch immer folgen wollte. Aus diesem Grund konnte er gar nicht wütend sein, sondern lächelte nur sanft, während er Junko über den Kopf strich. "Sollen wir deine Schwester gemeinsam suchen?", fragte er dann liebevoll, woraufhin ihn die Grundschülerin mit großen verheulten Augen ansah. Sie nickte und schluchzte immer noch: "J-ja... a-aber wie sollen wir... sie finden?" Aiden sah sich um und fragte sie dann, ob sie denn ungefähr wüsste, aus welcher Richtung sie gekommen war. Junko löste sich etwas von dem Älteren und sah sich ebenfalls um, doch erkannte sie nichts, was ihr helfen konnte und schüttelte deshalb den Kopf. Der junge Mann seufzte etwas ratlos und kratzte sich am Hinterkopf, während er ebenfalls noch einmal in die drei Richtungen blickte, die zu dieser Stelle führten. Plötzlich spürte er etwas Weiches an seinem Bein und blickte nach unten, wo er Kiara sah, die ihn kurz anschaute und dann in eine Richtung loslief. Er lächelte, denn er wusste, was die Katze ihm damit sagen wollte. Sie sollten ihr folgen, denn sie wusste noch genau, wo sie lang gegangen war. Also löste Aiden das kleine Mädchen endgültig von sich und hielt ihr lächelnd die Hand entgegen. Etwas irritiert sah Junko auf die ihr angebotene Hand und nahm diese zögerlich, bevor sie in eine Richtung mitgezogen wurde. Obwohl sie wusste, dass sie mit fremden Leuten nicht einfach mitgehen sollte, hatte sie das Gefühl, diesem Jungen vertrauen zu können. Trotzdem würde sie wohl tierischen Ärger von ihrer Schwester bekommen und vielleicht sogar von ihrem Vater. Ein wenig Angst davor hatte sie, aber noch größer war die Angst, dass sie ihre Schwester nie wieder sehen könnte. Verzweifelt ließ sich Mirâ auf eine niedrige Mauer nieder und stützte ihr Gesicht in ihre Hände. Sie hatte sich in der näheren Umgebung umgesehen, um Junko zu finden. Sogar Passanten hatte sie gefragt, ob sie das kleine Mädchen gesehen hatten. Einige Leute hatten sie etwas weiter in die Stadt geschickt, weil sie sich sicher waren Junko gesehen zu haben, wie sie einer Katze gefolgt war. Demnach war sie noch ein Stück gekommen, doch irgendwann hatte sich auch die Spur ihrer kleinen Schwester verloren und nun wusste sie nicht mehr weiter. Was sollte sie nur tun? Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass es bald Zeit war, sich wieder mit ihrem Vater zu treffen. Vielleicht sollte sie ihn anrufen und Bescheid geben. Aber wie sollte sie ihm das erklären? Noch besser wäre es die Polizei zu informieren, aber auch dann würde es ihr Vater erfahren... und mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar ihre Mutter. An den Ärger wollte sie gar nicht denken. Warum hatte sie sich von den Nachrichten auch so ablenken lassen? Ihr war zum Heulen und nur mit Mühe konnte sie ihre Tränen unterdrücken. Etwas Warmes an ihrem Bein ließ sie jedoch erschrocken aufschauen. Plötzlich blickte sie in zwei große blaugrüne Katzenaugen, die zu einer braunen Katze gehörten. Diese sah sie kurz mit schief gelegtem Kopf an und schlängelte sich dann schnurrend um ihre Beine. Auch wenn Mirâ das hübsche Tier sehr niedlich fand, hob das ihre Stimmung jedoch nicht. Sie musste immer noch ihre kleine Schwester finden. Aber wie? "Nee-Chan!!!", hörte sie plötzlich deren kindliche Stimme und einen Moment später lag das kleine Mädchen in ihren Armen und weinte, "Es tut mir Leid. Bitte sei nicht böse. Ich hatte Angst dich nicht mehr zu finden." Es sprudelte nur so aus der Kleinen heraus, sodass Mirâ anfangs gar nicht wirklich reagieren konnte. Nur langsam erwachte sie aus ihrer Starre und packte die Blauhaarige dann an ihren Schultern, um sie etwas von sich wegzudrücken und ihr böse in die Augen zu sehen. "Sag mal spinnst du? Wie kannst du einfach weglaufen? Weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht habe?", schimpfte die Oberschülerin, doch wurde dann wieder friedlich und zog Junko an sich heran, "Ein Glück ist dir nichts passiert." Junko weinte immer noch und klammerte sich an ihre ältere Schwester, während sie sich immer wieder entschuldigte. "Na das ist ja noch einmal gut gegangen.", ließ Mirâ eine männliche Stimme aufblicken und auf einen jungen Mann mit dunkelbraunem Haar schauen. Sie erkannte Aiden sofort, als den Jungen vom Vortag. "Hast du sie gefunden?", fragte sie deshalb leicht irritiert, woraufhin der Braunhaarige nickte, "Vielen Dank. Ich wüsste nicht, was ich machen sollte, wenn ich Junko nicht gefunden hätte." Sie schaute ihre kleine Schwester wieder an und entschuldigte sich dafür, dass sie nicht auf sie reagiert hatte, als diese mit ihr sprechen wollte. Am liebsten hätte sie der Kleinen noch vorgehalten, dass sie trotzdem nicht einfach wegrennen dürfte, doch das verkniff sich die Violetthaarige, da sie bemerkte, dass die Grundschülerin ihre Lektion auch so gelernt hatte. Außerdem war sie viel glücklicher darüber, dass Junko wieder aufgetaucht war. Die Oberschülerin sah wieder zu Aiden auf. "Kurosaki-Kun. Nicht wahr? Ich würde mich gerne bei dir bedanken.", erklärte sie dann, woraufhin der junge Mann ablehnen wollte, doch Mirâ ließ sich nicht beirren, "Doch. Bitte. Das ist das Geringste, was ich tun kann. Kann ich dich auf irgendwas einladen? Ein Eis oder etwas zu Essen?" "Ähm... also das ist wirklich nicht nötig... also...", begann Aiden, als plötzlich sein Magen knurrte. Sofort lief er rot an, als ihm einfiel, dass er sich gerade etwas zu Essen holen wollte, als er Kiara gesehen hatte und ihr gefolgt war. Deshalb hatte er noch nichts gegessen. Mirâ jedoch entlockte sein knurrender Magen nur ein Kichern. Sie erhob sich, immer noch Junko an ihrer Hüfte klebend, und sah den Braunhaarigen lächelnd an. "Na wenn das keine Antwort war. Nur auf was Kleines. Okay? Ich habe auch etwas Hunger. Wie wäre es mit Takoyaki?", bot sie an und sah dann zu ihrer Schwester, dessen Magen mittlerweile auch geknurrt hatte. Erstaunt sah Aiden die junge Frau an und wusste nun nicht mehr, wie er sich noch herausreden konnte, weshalb er seufzend zustimmte. Sein Blick fiel auf seine Beine, um welche sich seine Katze schlängelte und ihn dann treu doof ansah. Auch konnte er ihrem Blick entnehmen, dass sie ebenfalls etwas abhaben wollte und sich dieses auch mehr als verdient hatte. Irgendwie hatte der junge Mann das Gefühl, dass sie immer genau verstehen würde, worüber die Menschen in ihrer Umgebung redeten. Erneut seufzte er und nahm seine Katze auf den Arm, welche sich sofort an ihn schmiegte. Mirâ sah sich währenddessen um und fand genau, wonach sie gesucht hatte: "Sehr schön. Den Laden gibt es noch. Dort drüben gibt es die besten Takoyaki, die ich kenne." Die Violetthaarige zeigte auf einen Stand, welcher am Straßenrand stand und von welchem ein angenehmer Geruch von frischem Takoyaki herüberschwebte. Mirâ steuerte direkt darauf zu, während ihr Junko folgte. Aiden zögerte noch einen Moment, doch folgte der jungen Frau dann ebenfalls. Wenige Minuten später saßen sie zu dritt auf einer Bank und ließen sich die kleinen Bällchen schmecken. Aiden teilte sich seine Portion mit Kiara, welcher die leckere Mahlzeit sichtlich schmeckte. Junko betrachtete die braune Katze eine Weile neugierig, bevor sie sich traute ihr vorsichtig über den Kopf zu streichen. Kiara schnurrte vergnügt und ließ sich die Takoyaki weiter schmecken. Aiden beobachtete das kleine Mädchen und Kiara, bevor er sich an Mirâ wandte. „Ich glaube, ich muss mich entschuldigen. Die ganze Situation ist nur zustande gekommen, weil meine Katze deine kleine Schwester abgelenkt hat.“, entschuldigte sich der Braunhaarige bei der jungen Frau. Diese sah ihn kurz aus dem Augenwinkel an und lächelte dann: „Schon in Ordnung. Wiederum hat deine Katze mich gefunden und euch damit zu mir geführt. Hab ich Recht?“ Aiden nickte, während Mirâ zu ihrer kleinen Schwester sah und weitersprach: „Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen. Wenn man Junko nicht durchgängig im Auge behält macht sie ständig solche Sachen. Ich kann verstehen, dass meine Mutter es nicht so gerne sieht, wenn ich sie irgendwo mit hinnehme, wo viele Menschen sind.“ „Dafür, dass ihr nicht von hier seid, scheinst du dich aber ziemlich gut hier auszukennen.“, meinte der Braunhaarige plötzlich. Ein erstaunter Blick der Violetthaarigen traf ihn, bis diese kurz den Kopf neigte und dann lächelte: „Naja… ich habe einige Jahre hier gelebt, bis meine Eltern sich haben scheiden lassen. Außerdem bin ich ja in den Ferien öfters hier, um meinen Vater zu besuchen. Seither sind wir häufig umgezogen. Ich hoffe ja, dass es dieses Mal das letzte Mal war. Sich immer wieder von Freunden zu verabschieden, nervt auf Dauer ganz schön.“ „Dann geht es dir ja ähnlich wie mir.“, meinte Aiden plötzlich, weshalb ihn die junge Frau wieder erstaunt ansah, „Meine Familie zieht auch regelmäßig um, wegen dem Job meines Vaters. Ich kenne also das Gefühl ständig woanders zu leben und sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen.“ Mirâs Gesicht zierte ein zartes Lächeln, als sie merkte, wie ähnlich sich die Beiden in manchen Dingen doch waren und ein vertrautes Gefühl kam in ihr auf. Wieder bemerkte sie diese leichte blaue Aura, welche sich um den Jungen gelegt hatte, der sich nun seiner Katze zugewandt hatte und diese auf seinem Arm streichelte. Leise und unbemerkt seufzte Mirâ, während sie ihre erneut aufkommenden Gedanken, was diese blaue Aura zu bedeuten hatte, verdrängte. Was auch immer es damit auf sich hatte, sie hatte das Gefühl, dass etwas Großes in naher Zukunft auf diesen jungen Mann warten würde und ein wenig hatte sie das Gefühl, dass es etwas Ähnliches war, wie ihre eigene Aufgabe. Natürlich hoffte sie, dass er nicht in solch gefährliche Situationen geraten würde, wie sie. Dennoch hatte sie da so ein Gefühl. Als Aiden sich erhob schrak sie aus ihren Gedanken auf und blickte zu dem jungen Mann auf. „Ich muss jetzt leider wieder los. Vielen Dank für die Takoyaki, Shingetsu-San.“, kam es höflich von dem Braunhaarigen, welcher sich leicht verbeugte, „Es war nett mit dir zu plaudern. Und du, kleines Mädchen, solltest dir angewöhnen nicht einfach irgendwelchen Katzen nachzulaufen.“ Er zwinkerte Junko kurz zu, welche leicht beleidigt die Wangen aufplusterte, doch dann wieder lächelte und nickte. Auch Mirâ lächelte und erhob sich, bevor sie dem Braunhaarigen noch einen schönen Tag wünschte und dieser sich nun endgültig verabschiedete. Noch eine Weile sah die Violetthaarige dem jungen Mann nach, bis dieser zwischen den Menschenmassen verschwunden war, und sie selber sich gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester auf den Wag zurück zu ihrem Vater machte. Kapitel 59: LIX – Für den Anderen da sein ----------------------------------------- Dienstag. 18.August 2015 Wie angewurzelt stand Hiroshi vor dem Eingangsbereich des Zentralkrankenhauses von Kagaminomachi und starrte auf die braunhaarige junge Frau vor ihm, welche sich endlich von der niedrigen Mauer erhob, auf der sie saß, und dann breit grinsend auf ihn zukam. „Mahlzeit!“, grüßte Akane mit erhobener Hand. Der Blonde war viel zu perplex, um darauf zu reagieren. Heute war einer der Tage an denen er ungestört von seinen Eltern seinen älteren Bruder besuchen konnte, da sie beide arbeiten mussten. Zusätzlich wollte er sich danach gleich darum kümmern, herauszufinden, wo Akisu untergebracht war und wie die Lage vor Ort aussah. Dass er dabei Akane über den Weg laufen würde, war jedoch nicht eingeplant. Es hatte ihm bereits gereicht, dass sie ihn den einen Abend noch einmal wegen Rin angerufen hatte. Sie nun hier zu sehen passte ihm also so gar nicht. Eine Hand fuchtelte vor seinen blauen Augen herum, woraufhin er endlich aus seiner Starre erwachte und nun in Akanes grüne fragende Augen schaute. Er schnaufte leise und steckte seine Hände in die Hosentaschen: „Was machst du denn hier?“ Die Braunhaarige merkte den Unterton in der Stimme ihres langjährigen Kumpels, doch reagierte nicht darauf. Stattdessen verschränkte sie die Arme hinter dem Rücken und starrte in den Himmel, während sie antwortete: „Na was wohl? Ich möchte Rin besuchen. Alleine habe ich mich aber nicht getraut nach ihm zu fragen.“ „Sag mir nicht, du hast deshalb den ganzen Morgen hier gewartet.“, meinte Hiroshi, sich dabei die Nasenwurzel massierend. Die Braunhaarige schüttelte den Kopf: „Nein. Ich habe gestern zufällig deinen Vater getroffen. Er hat mir erzählt, dass du wohl heute um die Zeit hier sein wirst.“ Genervt stöhnte der Blonde auf und nuschelte etwas von „dieser Idiot“, bevor er seine Freundin wieder ernst ansah: „Und warum hast du mich deshalb nicht angerufen?“ „Weil ich genau wusste, dass du nicht willst, dass ich mitkomme. Du wärst mir vorgestern ja am liebsten deshalb schon aus dem Weg gegangen. Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber Rin war damals auch für mich wie ein großer Bruder und ich finde es traurig was passiert ist. Deshalb möchte ich ihn auch besuchen. Und du kannst mich nicht davon abhalten.“, mit an die Hüfte gelegte Hände sah sie den Blonden ernst an. Dieser seufzte erneut und wandte sich dann von der Braunhaarigen ab, bevor er ohne ein weiteres Wort zu verlieren das Gebäude betrat. Akane folgte ihm ohne weiter auf sein Verhalten einzugehen und ließ sich durch die Gänge des Krankenhauses führen, bis sie vor einem Zimmer zum Stehen kamen, an dessen Schild der Name „Makoto Rin“ stand. Die junge Frau bemerkte, wie ihr Kumpel noch einmal kurz durchatmete und dann anklopfte, bevor er den Raum betrat. Die junge Frau folgte ihm und schloss hinter sich leise die Tür. Ein stetiges Piepsen drang an ihr Ohr, welches aus der Mitte des Raumes kam. Als sie sich umdrehte, sah sie wie sich Hiroshi auf einen Stuhl neben einem großen Krankenbett niederließ, auf dem ein junger Mann mit dunkelbraunem kurzem Haar lag und zu schlafen schien. Gleichmäßig piepste das EKG Gerät vor sich hin, ansonsten herrschte Stille im Raum. An der Fensterfront des Raumes erstreckte sich unterhalb der Fensterbank ein langes Regal, auf welchem eine Vase mit frischen Blumen stand, die etwas Farbe in dieses sonst so sterile Zimmer brachten. Langsam ging Akane auf das Krankenbett zu und betrachtete den dort liegenden jungen Mann, dessen Gesicht eingefallen war und dessen braune Haare matt und strohig wirkten. „Gesund sieht anders aus.“, war ihr erster Gedanke, als sie den Älteren da so liegen sah. Sie erinnerte sich noch genau an die Tage, als Rin auf die beiden aufgepasst hatte, sofern er von seiner Mutter nicht zum Hausaufgaben machen oder lernen verdonnert worden war. Auch erinnerte sie sich daran, dass er nie etwas dagegen gesagt hatte. Er hatte es einfach so hingenommen und darüber gelächelt. Trotzdem hat er sich immer für Hiroshi eingesetzt, wenn es wegen ihm mal wieder Stress gab. Aus diesem Grund verstand Akane auch die plötzlich so abwertende Haltung Hiroshis seinem älteren Bruder gegenüber nicht und wieder fragte sie sich, was wohl zwischen ihnen vorgefallen war. Ihr Blick ging zu dem Blonden hinüber, welcher seinen wiederum auf Rin gerichtet hatte. In seinen Augen spiegelten sich Sorge, Hass und Ablehnung, eine Mischung, welche Akane von dem jungen Mann nicht kannte. Also wandte sie ihren Blick wieder von Hiroshi ab und ging hinüber zu dem niedrigen Regal, welches an der Fensterfront stand, um sich dagegen zu lehnen. „Hiroshi… sei ehrlich. Was ist passiert? Dass du Rin gegenüber so reagierst, kenne ich nicht von dir. Früher hast du an ihm gehangen. Warum hasst du ihn plötzlich?“, sprach sie vorsichtig ihre Gedanken aus, den Blonden genau beobachtend. Deshalb entging ihr auch nicht, wie dieser kurz zusammenzuckte, sie mit einem doch recht wütenden Blick strafte und dann den Blick wieder senkte: „Du hast doch keine Ahnung, Akane. Du weißt doch gar nicht, was bei mir abgeht.“ „Inwiefern? Ist deine Mutter immer noch so komisch zu dir? Ignoriert sie dich immer noch?“, fragte sie vorsichtig. Der Blonde schnaufte verächtlich: „Wenn es nur noch so wäre…“ „Wieso? Was ist los?“, hakte Akane nach, doch bekam keine Antwort, „Verdammt, Hiroshi. Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Ich mache mir doch nur Sorgen.“ „Meine Güte, bist du hartnäckig.“, der Angesprochenen rieb sich den Nacken und seufzte genervt, „Seit Rin im Krankenhaus liegt, ist ihr aufgefallen, dass es mich ja auch noch gibt. Man staune! Allerdings versucht sie mich jetzt so zu formen, wie Rin. Ich bin also nur sein Ersatz… und da fragst du mich, warum ich aktuell nicht gut auf ihn zu sprechen bin?“ „Dafür kann doch aber Rin nichts…“, meinte die Braunhaarige vorsichtig. „Als wenn ich das nicht wüsste…“, nuschelte Hiroshi, dessen Blick wieder gesenkt war, „Weißt du Akane… ich habe mir in den letzten Monaten oft darüber Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn Rin nicht da wäre. Hätte meine Mutter mich dann von Anfang an anders behandelt? Wäre dann die Situation zu Hause eine Andere? Wiederum möchte ich die Zeit mit Rin aber auch nicht missen. Ach ich weiß auch nicht…“ „Hiroshi…“, mehr wusste Akane in diesem Moment nicht zu sagen. Vorsichtig ging sie auf ihren Kumpel zu und blieb hinter ihm stehen. Sie zögerte kurz, bevor sie sich vorbeugte und ihren Kumpel von hinten umarmte. Etwas anderes fiel ihr in diesem Moment auch nicht ein. Der Blonde sah in diesem Moment so verletzlich aus. Beinahe so, wie zu der Zeit, als sie noch gemeinsam auf der Mittelstufe waren und kurze Zeit fühlte sich Akane in genau diese Zeit zurückversetzt. Hiroshi zuckte bei dieser Aktion kurz zusammen, doch ließ es dann einfach geschehen. Irgendwie kam ihm diese Umarmung sogar gerade recht, denn er fühlte sich einfach danach, umarmt zu werden. Auch er hatte für diesen Moment das Gefühl, er wäre wieder in der Mittelstufe, auch wenn er eher ungern an diese Zeit zurückdachte. So breitete sich Stille im Raum aus, während sie eine Weile so verblieben. Ein Klopfen ließ die Beiden jedoch aufschauen und sich ruckartig voneinander trennen, als sich plötzlich die Tür zum Krankenzimmer öffnete und eine junge Frau mit nackenlangem schwarzem Haar im Raum stand. Überrascht schaute sie mit ihren braunen Augen auf die beiden Oberschüler, welche mit hochrotem Kopf jeder in eine andere Richtung blickte. „Oh. Hiroshi-Kun, du bist ja schon da.“, merkte sie an und blickte noch einmal zwischen die Beiden, woraufhin sich ein leichtes Grinsen auf ihrem Gesicht bildete, „Störe ich irgendwie?“ Sofort wurde das Rot in Akanes Gesicht noch einen Tick dunkler, während sich Hiroshi nur räusperte, um sich wieder zu fangen, und sich dann der jungen Frau zuwandte. „Nein du störst nicht, Aika.“, er erhob sich langsam, „Wir wollten sowieso wieder los.“ „Ach so? Schade.“, lächelte die Schwarzhaarige und eckte den Blonden kurz an, als dieser auf ihrer Höhe war, „Und wer ist diese junge Frau? Deine Freundin?“ Der Angesprochene machte einen Satz zur Seite, während er Aika mit nun doch hochrotem Gesicht völlig überrumpelt ansah: „W-Was? So ein Quatsch. Das ist Akane Chiyo. Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten…“ Erstaunt sah Aika zu Akane, welche sich nur schnell verbeugte: „Ach du bist also die Sandkastenfreundin von Hiroshi-Kun? Rin hat mir von dir erzählt und meinte, ihr habt früher ständig aufeinander gehockt. Es freut mich sehr dich kennenzulernen.“ Überrascht sah die Braunhaarige die junge Frau an, während Hiroshi nur schnaubte: „Klar dass er übertreibt. Naja… wir müssen dann los. Dir noch einen schönen Tag, Aika.“ Der Blonde ging zur Tür, doch stoppte noch einmal kurz, bevor er diese öffnete: „Ach so. Bevor ich es vergesse… meine Mutter arbeitet heute bis 17 Uhr. Danach wird sie sicher wieder herkommen.“ Aika lächelte leicht traurig und nickte dann, bevor sie sich bedankte und meinte, dass sie bis dahin eh wieder weg sein würde. Auch der Oberschüler nickte noch einmal, bevor er die Tür öffnete und den Raum gemeinsam mit Akane verließ. Diese sah ihren Kumpel mit großen grünen Augen an, als dieser die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Was ist?“, fragte er anschließend. „Erstens: Wer war das? Und zweitens: Was sollte das mit deiner Mutter?“, kamen zwei Gegenfragen. Der Blonde seufzte und setzte sich in Bewegung, während er der Braunhaarigen, wie bereits Mirâ vor einiger Zeit, erklärte, dass seine Eltern von Aika nichts wüssten und er selber auch erst nach dem Unfall von ihr erfahren hatte. Ebenso, dass sie wohl bei dem Unfall dabei gewesen war, dies allerdings nicht erzählt hatte, da Rin sie seit der Oberstufe vor seinen Eltern geheim gehalten hatte und diese auch weiterhin nichts von ihr wissen sollten. Vorerst jedenfalls. „Aus diesem Grund muss Aika immer verschwinden, bevor meine Mutter hier aufkreuzt.“, beendete Hiroshi seine Erklärungen, „Reicht dir das als Erklärung?“ Die Braunhaarige nickte: „Ja… und ich merke immer mehr, wie abgedreht deine Mutter ist. Früher war mir das gar nicht so aufgefallen.“ „Zu dir war sie ja auch immer extrem nett…“, meinte der Blonde nur und blieb in der Nähe des Schwesternzimmers stehen, als er das Gespräch zweier Krankenschwestern aufschnappte, welche sich über Akisu zu unterhalten schienen. Auch Akane lauschte dem Gespräch und bekam mit, wie aufgeregt beide darüber waren, dass das junge Idol ausgerechnet in ihrem Krankenhaus gelandet war. Wiederum fanden sie es schade, dass sie diese Station nicht verlassen konnten, wo die Blonde doch eine Station über ihnen zu liegen schien. Hiroshi blickte allessagend zu Akane, welche nur nickte. Beide hatten also ihr Ziel gefunden. Die Frage war nur, ob sie an die junge Frau herankommen würden oder wie weit überhaupt, denn die Schwestern erzählten auch, dass das Idol wohl von zwei Bodyguards bewacht wurde. Ihre Mutter würde wohl in einem so schlichten Krankenhaus nichts dem Zufall überlassen wollen. Auch schnappten die beiden Oberschüler auf, dass die Mutter des Idols wohl am liebsten die Verlegung der jungen Frau veranlasst hätte, die Ärzte dies aber strikt ablehnten, da Akisu noch unter Beobachtung stand. Mit einem Kopfnicken bedeutete Hiroshi der Braunhaarigen, dass sie weitergehen sollten, da sich das Gespräch mittlerweile um unwichtige Dinge drehte, weshalb es keinen Sinn mehr machte weiter zu lauschen. Also schlichen die Beiden vorsichtig an dem Zimmer vorbei und betraten kurz darauf das Treppenhaus. Gerade als Hiroshi die erste Stufe nach oben nehmen wollte, hielt Akane ihn zurück. „Hey was machst du?“, fragte sie irritiert. „Ich will mir die Sache da oben kurz anschauen.“, kam nur forsch die Antwort, während sich der Blonde aus Akanes Griff befreite. „Aber die haben doch gesagt, dass dort Bodyguards sind. Mit denen ist sicher nicht zu spaßen.“, meinte die Braunhaarige verunsichert, doch der Oberschüler ließ sich davon nicht beirren und stieg weiter die Treppe zum nächsten Stockwerk hinauf. Nörgelnd folgte die junge Frau ihrem Kumpel, sodass sie nach wenigen Schritten in der nächsten Etage ankamen. Vorsichtig öffnete Hiroshi die Tür, die sie in den Gang der Station führen würde und lugte in eben diesen Gang hinein, doch außer vielen Türen und ein paar vereinzelten Betten konnte er nichts erkennen, weshalb er vollends durch die Tür trat. Verunsichert klammerte sich Akane an seine Schulter und folgte ihm somit, bis sie Beide in dem leeren Gang standen und sich umsehen konnten. Zu ihrer Linken kamen nur noch zwei weitere Räume, bevor der Gang endete, während dieser zu ihrer Rechten weiterging und nach einigen Metern links abbog. Genau diesen Weg schlug Hiroshi also ein, während er versuchte seine Freundin von sich zu lösen, was sich als äußerst schwierig erwies. Dafür dass sie Kampfsport betrieb, war sie ziemlich ängstlich, musste der Blonde etwas schockiert feststellen. Es war still auf dem Gang. Nur ab und zu hörte man ein Husten aus einem der Zimmer oder einen der zu laut gestellten Fernseher, aber sonst tat sich nichts. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als die Beiden um die nächste Ecke nach links abbiegen wollten. Mit einem dumpfen Aufprall stieß Hiroshi gegen etwas Weiches. Erschrocken sah er auf und blickte auf einen schwarzen Anzug, in welchen ein breites Kreuz eingepackt war. Er zwinkerte zweimal und hob dann vorsichtig den Blick, wo er einen Moment später in ein kantiges Gesicht blickte, welches eine schwarze Sonnenbrille zierte und das sich langsam zu ihm herumdrehte. An einem seiner Ohren hing ein fast durchsichtiges, spiralförmiges Kabel, welches unter dem Anzug verschwand. Auch Akane sah auf und quiekte erschrocken auf, während sie sich hinter ihrem Kumpel ganz klein machte. „Hey. Was wollt ihr hier?“, wurden sie barsch angesprochen. „Äh… w-wir… w-wir ha-haben uns n-nur verlaufen… bi-bitte entschuldigen Sie.“ ,stotterte der Oberschüler dieser imposanten Person entgegen, bevor er einige Schritte zurück machte und dabei Akane weiter schob, „Wi-Wir sind sofort wieder weg.“ Damit hatte sich der Blonde umgedreht, die Braunhaarige an den Schultern geschnappt und war davongestürmt. Zwar hörten beide noch, wie der Bodyguard ihnen nachrief, jedoch ignorierten sie dies und verschwanden so schnell wie ihre Beine sie tragen konnten im Treppenhaus. Eilig stürzten sie die Treppen hinunter und flüchteten hinaus in die große Empfangshalle des Krankenhauses. Erst dort atmeten sie etwas auf und beobachteten die Tür hinter sich, in der Hoffnung der Mann war ihnen nicht gefolgt. Erst als er auch nach einigen Minuten nicht dort erschien, atmeten beide erleichtert auf. „Oh man habe ich mich erschreckt…“, meinte der Blonde und wischte sich den Schweiß vom Kinn. „Ich habe doch gesagt, das war ne doofe Idee.“, meckerte Akane, was ihr Kumpel allerdings nur mit einem bösen Blick erwiderte, „Ja, ja schon gut. Aber was nun? So kommen wir nicht an Akisu ran…“ „Gute Frage…“, murmelte Hiroshi und schritt langsam auf den Ausgang zu, blieb jedoch stehen, als er vor einer kleinen Traube von Menschen stand, „Was ist denn hier los?“ Eine ältere Dame drehte sich zu dem jungen Mann um: „Dort draußen wimmelt es nur so von Reportern. Ich weiß aber nicht wieso sie dieses Krankenhaus so umzingeln. Ob irgendwas passiert ist?“ Akane und Hiroshi tauschten einen besorgten Blick. Ihnen war sofort klar, weshalb die Reporter hier waren. Sie wussten, dass Akisu hier war und gerade das war es, was die beiden Oberschüler beunruhigte. Denn nun war die Gefahr groß, dass das junge Idol nun wirklich in ein anderes, besser geschütztes, Krankenhaus verlegt wurde, was im Umkehrschluss bedeuten würde, dass die Persona-User erst Recht keine Gelegenheit mehr bekamen mit ihr zu sprechen. Diese Situation war alles andere als vorteilhaft für die Gruppe und passte so gar nicht in ihren Plan. Eine halbe Stunde später hatten sich die beiden Oberschüler eine Bank im Kagaminepark gesucht und dort Platz genommen. Irgendwie hatten sie es geschafft aus dem Krankenhaus zu flüchten, ohne dass sie von den Reportern gefilmt wurden, nachdem das Sicherheitspersonal diese zurückgedrängt hatten. Schweigend nippten sie an ihren Getränkedosen, während sie sich die Situation im Krankenhaus noch einmal durch den Kopf gingen ließen. Sie mussten sich etwas einfallen lassen, bevor es zu spät sein würde und sie keine Gelegenheit mehr bekommen würden mit Akisu zu sprechen. „Was machen wir jetzt?“, fragte Akane mit einem Seitenblick zu ihrem Kumpel, welcher die Arme auf seinen Oberschenkeln abgestützt hatte und seinen Kopf darauf gelegt hatte. Mit seinen blauen Augen fixierte er einen Punkt im Park ohne ihn direkt zu registrieren und schwieg einen Moment auf die Frage der Braunhaarigen hin. Nach einer gefühlten Ewigkeit schloss er seufzend die Augen und schüttelte den Kopf, als Zeichen, dass er selber keine Ahnung hatte. Er lehnte sich nach hinten und setzte sich bequemer hin, während er seinen Blick gen Himmel richtete. „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Wir können eigentlich auch nur darauf hoffen, dass Akisu trotzdem noch einige Tage im Zentralkrankenhaus bleibt und so schnell wie möglich mit Mirâ darüber sprechen.“, meinte er dann. „Sie kommt erst morgen Abend aus Osaka zurück. Das heißt das Gespräch muss bis übermorgen warten.“, murmelte die junge Frau und seufzte dann ebenfalls, „Ach verdammt. Wie haben diese Reporter nur davon Wind bekommen? Das macht die Sache wirklich nicht einfacher. Aber vielleicht haben wir Glück und sie bleibt dort.“ „Wäre zu hoffen…“, murmelte Hiroshi und trank noch einen Schluck seiner Cola, während zwischen den beiden Oberschülern wieder Schweigen ausbrach. Ein plötzlicher Aufschrei ließ die Beiden jedoch wieder aufschauen und erschrocken zusammenzucken, als aus dem Gebüsch neben ihnen ein Junge getürmt kam, dessen rotbraune Haare voller Dreck und Blätter waren. Kaum war er aus den Sträuchern gestürzt machte er auch schon einen Satz und landete auf allen vieren im Gras, wo er kurz versuchte durch zuschnaufen und einen flüchtigen und doch ziemlich ängstlichen Blick auf das Gestrüpp hinter sich warf. „Hey Arabai. Jetzt hau doch nicht gleich ab. Wir wollten doch nur reden.“, hörten die beiden Oberschüler nun hinter sich und bemerkten dabei, dass der Braunhaarige sich erneut panisch umsah, um einen schnellen Fluchtweg zu suchen. Leider wurde ihm dieser in dem weiten Gelände des Parks ziemlich schwer gemacht, denn er wusste, dass er ohne Versteck keine Chance hatte zu entkommen. Er wollte aufspringen, rutschte jedoch mit dem Fuß weg und landete mit voller Wucht mit dem Gesicht im Gras. Einen Moment später raschelte es erneut hinter Akane und Hiroshi und kurz darauf kamen drei junge Männer aus dem Gestrüpp gelaufen. Einen von ihnen erkannte Akane sofort, da sie ihn bereits einmal im ersten Jahrgang getroffen hatten, als die Gruppe Megumi-Chan und Arabai geholfen hatte. Die anderen Beiden waren ihr allerdings unbekannt. Hiroshi jedoch erinnerte sich noch ganz genau an die beiden, denen er bereits auf dem Tsukinoyo begegnet war. Die drei jungen Männer hatten die beiden noch gar nicht bemerkt, da ihre volle Aufmerksamkeit auf den braunhaarigen Jungen vor ihnen gerichtet war, welcher immer noch verzweifelt einen Ausweg suchte. Mit den Fäusten knackend kamen die Drei dem jungen Mann immer näher, weshalb Hiroshi diesem Schauspiel nicht mehr zusehen konnte und sich langsam erhob. Erschrocken beobachtete Akane kurz ihren Kumpel und klatschte sich dann die Hand an die Stirn, während sie sich ebenfalls seufzend erhob. „Hey! Hatte ich euch das letzte Mal nicht schon gesagt, dass ihr euch jemanden in eurer Größe suchen sollt?“, sprach der Blonde darauf, woraufhin die Aufmerksamkeit der jungen Männer nun auf ihm lag. „Du schon wieder. Misch dich hier nicht ein. Das geht dich nichts an.“, meckerte einer der Drei. Hiroshi knirschte mit den Zähnen: „Wenn es um Gewalt geht, dann schon. Vor allem wenn es drei gegen einen ist. Ziemlich unfair. Meint ihr nicht?“ „Und wenn schon. Halt dich da raus. Das ist unsere Sache und wie wir die klären bleibt ja wohl uns überlassen.“, maulte nun ein anderer. Der blonde Oberschüler jedoch ließ sich davon nicht beirren und stellte sich schützend vor Arabai, welcher ihn verwundert ansah: „Na dann versucht es doch mal.“ „Kche. Du hast es nicht anders gewollt.“, meinte nun auch der Letzte der Drei und stellte sich Hiroshi gegenüber. Akane hatte das Ganze eine Weile besorgt beobachtet und war erstaunt über den Einsatz ihres langjährigen Kumpels, welcher früher versucht war jedem Konflikt irgendwie aus dem Weg zu gehen. Auch die Braunhaarige war eigentlich nicht scharf drauf mit ansehen zu müssen, wie der Blonde sich prügelte, sich selber einmischen wäre für sie unter normalen Umständen allerdings auch keine Lösung. Zumindest, wenn es in Gewalt enden würde. Sicher wollte auch sie Arabai helfen, allerdings nicht, wenn es dadurch zu einer Prügelei kommen würde. Deshalb seufzte sie und stellte sich zwischen die Parteien. „Hey mal ganz ruhig, Jungs. Können wir das nicht anders klären?“, versuchte sie die Lage irgendwie zu beruhigen. „Misch dich da nicht ein, dumme Kuh.“, schimpfte einer der drei Jungs, was die Braunhaarige schon leicht wütend zusammenzucken ließ, „Das ist ne Sache unter Kerlen. Da haben Weiber nichts zu suchen.“ „Meinst du? Ja?“, fragte sie daraufhin nur trocken. „Wenn du nicht zur Seite gehst, dann nehmen wir auch keine Rücksicht darauf, dass du ein Weib bist.“, meinte nun der Zweite. Akane seufzte und kratzte sich kurz am Hinterkopf, bevor sie ihrem besten Kumpel einen genervten Blick zuwarf. Dieser erkannte den Blick in ihren Augen und ließ seine angespannte Körperhaltung etwas sinken, bevor er die Hände hob und ebenfalls seufzte. „Dann komm her, wenn du dich traust.“, meinte die Braunhaarige dann plötzlich, was den einen jungen Mann dann doch etwas stutzig werden ließ. Einen der anderen Beiden schien dies jedoch nur anzuspornen und er stürmte mit den Worten, sie hätten sie gewarnt, auf die Braunhaarige zu. Diese atmete kurz durch, brachte sich in Stellung und sah ihren Angreifer konzentriert an. Dann ging alles ganz schnell. Mit einem gekonnten Griff und einem Tritt, welcher dem Jüngeren die Füße wegzog, landete dieser, gedrückt von der Braunhaarigen, auf dem Boden und sah sie junge Frau völlig irritiert an. Auch die anderen Beiden waren völlig perplex, doch während einer von ihnen etwas zurückwich, wurde der Andere nur noch wütender und ging ebenfalls auf die Braunhaarige los. Dies jedoch führte nur zum selben Ergebnis und einen Moment später landete auch er auf dem Boden neben seinem Kumpel. Die junge Frau hob den Blick und grinste den letzten jungen Mann an: „Willst du es auch noch versuchen?“ Erschrocken wich dieser jedoch nur zurück und suchte dann so schnell es ging das Weite. Auch die anderen beiden jungen Männer erhoben sich langsam und sahen Akane kurz böse an, welche jedoch nur einen Schritt auf sie zumachte, sodass sie ebenfalls die Beine in die Hand nahmen und sich aus dem Staub machten. „Solche Weicheier.“, sich den Staub von den Händen klopfend sah die junge Frau den drei Flüchtenden nach und wandte sich dann an Hiroshi, „Also wirklich. Erst provozierst du sie und dann lässt du mich alles alleine machen.“ Der Blonde zockte mit den Schultern: „Du hast es doch ganz gut alleine hinbekommen. Oder etwa nicht? Dein Judo ist besser geworden.“ „Sollte es nach den Jahren auch.“, seufzte die Braunhaarige und wandte sich dann an Arabai, „Alles in Ordnung mit dir? Arabai-Kun nicht wahr?“ Der Braunhaarige sah die Älteren erst erstaunt an, bevor er den Blick abwandte, langsam aufstand und dann einfach gehen wollte, ohne zu Antworten. Dieses Verhalten machte Hiroshi jedoch dieses Mal wirklich sauer. Bevor der Jüngere wieder verschwinden konnte, hatte er ihn am Arm gepackt und hielt ihn so vom Gehen ab. „Hey was soll das?“, kam es deshalb aggressiv von dem Braunhaarigen. „Was das soll? Das frage ich dich, du Idiot? Jedes Mal helfen wir dir aus der Patsche und jedes Mal benimmst du dich, als wären wir diejenigen, die dir das angetan haben.“, schimpfte der Blonde. „Helfen?“, fragte Arabai nur noch wütender und riss sich von Hiroshi los, „Von wegen helfen! Mit jedem Mal wurde es schlimmer! Kaum habe ich ihnen mal die Meinung gesagt, machen sie das hier mit mir.“ „Und was können wir dafür? Warum sagst du dich dann nicht endlich von diesen Idioten los?“, Hiroshi wurde langsam ebenfalls wütend. „Als wenn das so einfach wäre!“, meinte Arabai jedoch nur, „Was wisst ihr schon? Ihr habt ja Freunde! Aber wenn man keine anderen Freunde hat, dann ist man doch froh irgendwo dazuzugehören. Aber davon habt ihr keine Ahnung!“ Der Ältere knirschte mit den Zähnen und packte den Braunhaarigen plötzlich am Kragen: „Jetzt mach mal halblang, du halbe Portion. Behaupte nichts über Menschen, die du verdammt noch mal nicht kennst. Denkst du ernsthaft du bist der Einzige mit diesem Problem? Dann schau dich mal um und lass dir verdammt nochmal helfen, wenn man dir die Hand reicht. Und jetzt sag nicht, du bekommst keine Hilfe! Wie oft in den letzten Monaten haben wir dir schon geholfen und dir unsere Hand gereicht, während du sie wieder weggeschlagen hast? Also beschwer dich nicht über deine Situation, sondern tu endlich selber etwas dagegen, indem du die dir gebotene Hilfe annimmst, du kleiner Idiot.“ Mit großen rehbraunen Augen sah der Jüngere den Blonden an und schien nur langsam zu begreifen, was ihm da gerade an den Kopf geworfen wurde. Eine zarte Frauenhand griff zwischen die Beiden und versuchte so Hiroshis Hand vom Shirt des Jüngeren zu lösen. „Hiroshi, das reicht jetzt. Ich glaube er hat es begriffen.“, redete Akane auf den Blonden ein, welcher endlich locker und Arabai dann losließ, bevor sich die junge Frau wieder an den Braunhaarigen wandte: „Aber er hat Recht, Arabai-Kun. Lass dir von uns helfen. Wenn du in der Schule Probleme hast oder einfach nur einsam bist, dann komm doch einfach zu uns. So wie Megumi-Chan. Wir helfen dir. Versprochen.“ Der junge Mann hielt den Blick gesenkt und schien zu überlegen, bevor er sich jedoch leicht vor den Beiden verbeugte und dann abwandte, bevor er meinte, dass er sich dies alles durch den Kopf gehen lassen musste. „Trotzdem Danke für eure Hilfe. Ich werde über euer Angebot nachdenken.“, murmelte er und wollte gehen, als Akane ihn jedoch noch einmal zurückhielt und fragte, ob er nicht lieber seine Wunden versorgen lassen wollte, „Danke das ist nett. Aber es geht schon.“ Damit war der Braunhaarige gegange, während die beiden Älteren ihm nachsahen. „Tche… so ein kleiner Idiot.“, murmelte Hiroshi, was ihm einen Seitenblick von Akane einbrachte, „Der hat keine Ahnung…“ „Trotzdem hättest du nicht so übertreiben müssen.“, meinte seine beste Freundin dann und wandte sich ihm zu, „Bei dir auch alles in Ordnung?“ Der Blonde zuckte mit den Schultern: „Ja, alles gut.“ „Du hast dich wirklich verändert.“, meinte Akane plötzlich, was ihr einen erstaunten Blick von Hiroshi einbrachte. Dieser zuckte erneut mit den Schultern und wandte sich dann ab, während er meinte, dass er ja nicht ewig so bleiben konnte, wie in der Mittelstufe. Er hob die Hand, verabschiedete sich damit für diesen Tag von seiner Kindheitsfreundin und stolzierte davon, während die Braunhaarige ihm mit einem leicht besorgten Blick nachsah und sich fragte, was nach ihrem Umzug und den Wechsel an die andere Schule alles an ihrer alten Mittelschule vorgefallen sein musste, dass sich der Blonde so verändert hatte. Kapitel 60: LX – Verbindungsglied --------------------------------- Mittwoch, 19.August 2015 - Abends Mit einem dumpfen Geräusch landete die Reisetasche auf dem Fußboden, als Mirâ ihr Zimmer betrat. Die langsam untergehende Sonne, welche durch das Fenster schien, tauchte ihre Zimmereinrichtung in ein zartes Orange. Still sah Mirâ sich um und trat dann einen Schritt auf ihren Spiegel zu. "Mika?", fragte sie vorsichtig und wartete. Der Spiegel jedoch schwieg und zeigte ihr nur ihr eigenes Spiegelbild. Seufzend drehte sich die junge Frau somit weg und begann damit ihre Tasche auszuräumen. Sie und ihre Schwester waren gerade von ihrem Ausflug zu ihrem Vater zurückgekommen und gerne hätte Mirâ ihrer kleinen Freundin davon erzählt. Doch diese schien sich wieder irgendwo in der Spiegelwelt herumzutreiben, wie so oft in letzter Zeit. Mirâ machte das Sorgen, jedoch konnte sie Mika nicht festketten und sie auch nicht dazu zwingen, über das zu reden, was ihr durch den Kopf ging. Das blauhaarige Mädchen würde schon wieder auftauchen, spätestens wenn sie deren Hilfe benötigte. Fein säuberlich sortierte Mirâ ihre Wäsche auf mehrere Haufen, bevor sie diese nacheinander hinunter ins Bad trug und dort in die Wäschetonne schmiss. Lächelnd musste sie feststellen, dass Junko bereits die Badewanne in Beschlag genommen hatte, als sie diese durch die geschlossene Tür, welche in den Dusch- und Badebereich führte, vor sich hin summen und plantschen hörte. Gerade als die Violetthaarige das Bad wieder verlassen wollte, wurde ihr die Tür regelrecht aus der Hand gezogen und ihre Mutter stand vor ihr. Der anfangs noch erstaunte Gesichtsausdruck der älteren Frau wich schnell einem sanften Lächeln. "Du kannst dann gleich als nächstes baden gehen, wenn du möchtest.", sagte die Blauhaarige freundlich und wandte sich dann an die geschlossene Tür, die in den hinteren Bereich führte, "Junko mach nicht mehr so lange, sonst wirst du noch krank." "Ja, Mama.", erklang es kurz darauf gedämpft aus dem Raum. Zufrieden mit sich nickte Haruka kurz und wandte sich dann an ihre ältere Tochter: "Schon fertig mit auspacken?" "Noch nicht ganz, aber fast.", antwortete diese nur und verließ dabei das Bad, "Ich mach das noch schnell fertig, dann geh ich auch baden." Damit war die junge Frau bereits in den Flur getreten und in Richtung der Treppe verschwunden. Eine viertel Stunde später saß Mirâ in der heißen Wanne und starrte an die Decke, während sie die Dampfschwaden beobachtete, welche sich in der Luft gebildet hatten. Dass Mika schon wieder verschwunden war machte ihr doch mehr Sorgen, als gedacht. Sie hoffte jedes Mal, dass es der Kleinen gut ging und ihr nichts passierte. Am liebsten wäre sie sofort in die Spiegelwelt gestürmt, um sie zu suchen, doch die Gefahr alleine dort hineinzugehen, war viel zu groß. Mirâ seufzte und rutschte noch etwas weiter ins warme Wasser, sodass noch gerade so ihre Nase herausschaute und sie Luft holen konnte. Ein Vibrieren ließ sie jedoch aufschauen und auf ihr Handy blicken, welches auf dem Beckenrand lag. Langsam rutschte Sie wieder nach oben und griff nach dem roten Telefon, sodass sie die eingegangene Nachricht lesen konnte. Es handelte sich dabei um einen Link, welchen Hiroshi in den Gruppenchat gestellt und dazu kommentiert hatte, dass sie wohl wirklich ein Problem hätten. Irritiert las Mirâ die Nachricht noch einmal, bevor sie den Link öffnete, welcher sie zu einem Livestream führte, der zum hiesigen Nachrichtensender gehörte. Mit großen Augen beobachtete die junge Frau, was sich auf dem kleinen Bildschirm vor ihren Augen tat. Zu sehen war eine Meute von Menschen, welche, bewaffnet mit Kameras, Mikrofonen und Smartphones, vor dem Zentralkrankenhaus von Kagaminomachi standen und auf etwas zu warten schienen. Vor dem Haupteingang des Krankenhauses stand mit Blaulicht ein Krankenwagen und schien ebenfalls auf etwas zu warten. "Für alle Zuschauer, die gerade erst zugeschaltet haben: Wir senden Live vom Kagaminomachi Zentralkrankenhaus, in welchem das berühmte Idol Akisu bis zu diesem Zeitpunkt untergebracht war. Laut offiziellen Quellen soll sie heute in das private Elitekrankenhaus im Stadtviertel Kyôzô-kû verlegt werden, nachdem gestern bekannt wurde, dass sie bisweilen hier untergebracht war. Die Künstlerin galt die letzten Wochen als vermisst und man ging am Anfang von einer Entführung aus, jedoch kam es nie zu einer Geldforderung. Vor wenigen Tagen dann tauchte Akisu auf wundersame Weise wieder auf, als sie bewusstlos vor dem Einkaufszentrum der Stadt gefunden wurde. Bislang ist immer noch unklar, wieso und wohin die junge Frau verschwunden war.", erklärte eine braunhaarige Reporterin, während sie immer wieder ihren Blick Richtung Haupteingang des Zentralkrankenhauses richtete, um damit sicher zu gehen, auch nichts zu verpassen. Plötzlich wurde es unruhig unter den Reportern, welche nun näher an den Haupteingang heranrückten. Auch die junge Reporterin und ihr Kameramann gehörten dazu: "Wie es scheint wird Akisu nun verlegt." Eilig versuchte die Reporterin sich mit ihrem Kameramann durch die Massen der anderen Paparazzi zu drängen, wodurch man, wenn auch verschwommen, das Idol erkennen konnte, welches auf einer Trage lag, die nun vorsichtig in den Krankenwagen geschoben wurde. Security Leute versuchten derweil krampfhaft die Reporter davon abzuhalten noch näher an das Geschehen heranzukommen. Diese jedoch ließen sich nicht beirren und streckten die Arme mit ihren Mikrofonen und Diktiergeräten an ihnen vorbei, als auch eine ältere Frau mit blonden Haaren aus dem Gebäude trat. "Yashiru-San, wir bitten um ein kurzes Statement. Wie geht es Akisu? Gibt es schon neue Erkenntnisse zu ihrem Verschwinden und plötzlichen wieder Auftauchens?", hörte man die Stimme der Reporterin rufen. Ein wütender Blick traf die Meute und Mirâ konnte durch den Bildschirm ihres Handys hindurch die Kälte spüren, welche in den goldgelben Augen der Frau lag. Trotz des wütenden Blickes blieb die blonde Frau jedoch erstaunlich ruhig: "Es gibt nichts weiter zu sagen. Die Ermittlungen laufen noch. Und nun bitte ich Sie uns in Ruhe zu lassen." Damit war für sie anscheinend das Thema erledigt, weshalb sie in ihre schwarze Limousine stieg, welche hinter dem Krankenwagen stand. Kurz darauf setzten sich beide Fahrzeuge in Bewegung und verschwanden aus dem Blickfeld der Reporter. Mirâ beendete den Stream und seufzte. Es war also so gekommen, wie sie es sich gedacht hatte. Damit war auch ihre Hoffnung gestorben, irgendwie an das Idol heranzukommen. Das erneute kurze Vibrieren ihres Smartphones ließ sie aufschrecken und dabei fast das rote Telefon ins Wasser fallen. Gerade noch so konnte die junge Frau eben dies verhindern und atmete erleichtert auf. Zwar sollte ihr Telefon wasserdicht sein, wenn man dem Hersteller glauben konnte, doch sie traute dem Frieden nicht so ganz. Sich noch einmal ins Gedächtnis rufend ihr Smartphone das nächste Mal einfach im Zimmer zu lassen, öffnete sie nun wieder den Gruppenchat ihres Teams, in welchem mittlerweile mehrere Nachrichten eingetroffen waren. "So was hab ich geahnt, als ich gestern die ganzen Reporter vor dem Krankenhaus gesehen habe...", schrieb Akane mit einem wütenden Emoji am Ende. "Du hast die Reporter gestern schon gesehen und nichts gesagt?", kam es kurz darauf von Kuraiko. "Wir wollten das morgen alles in Ruhe mit euch besprechen. Woher hätten wir ahnen sollen, dass das so schnell geht?", hatte Hiroshi darauf geschrieben, woraufhin von der Schwarzhaarigen jedoch nur ein genervtes Emoji zurückkam. "Wir sollten versuchen ruhig zu bleiben und einen Weg zu finden trotzdem mit ihr in Kontakt zu treten. Auch wenn es gerade ziemlich verzwickt ist.", versuchte Masaru die Situation etwas zu beruhigen. "*sfz* Irgendwelche Ideen?", kam es anschließend von Kuraiko zurück, welche sich anscheinend wieder beruhigt hatte. "Vielleicht kann uns ja Nagase helfen. Wenn er sich schon so angeboten hat...", folgte anschließend eine Nachricht von Yasuo. Mit unzähligen schnaufenden Emojis bestückt ließ eine Antwort von Kuraiko nicht lange auf sich warten: "Wie sollte uns dieser Idiot helfen können? Dieses Elitekrankenhaus ist besser geschützt als Fort Knox. Shuya mag durch seine Verwandten Geld haben, aber selbst er kommt da nicht einfach so rein." Da hatte die junge Frau nicht ganz Unrecht. Mirâ kannte dieses Elitekrankenhaus nicht, aber es musste einen Grund haben, wieso Akisu gerade dahin verlegt wurde. Als sogar Hiroshi Kuraiko zustimmte, war sich Mirâ erst Recht sicher, dass diese Bedenken berechtigt seien. Sie mussten sich also etwas einfallen lassen. Die junge Frau überlegte kurz, bevor ihr nur eine einzige Möglichkeit einfiel. Sie musste mit Kyo sprechen. Er konnte ihnen mit Sicherheit einen Weg zu Akisu eröffnen, auch wenn ihm das womöglich überhaupt nicht gefallen würde. Allerdings blieb ihnen wohl keine andere Wahl, als den Studenten um diesen Gefallen zu bitten. Mit dem Gedanken den jungen Mann zu kontaktieren, sobald sie aus der Wanne gestiegen und umgezogen war, schrieb sie ihren Freunden, dass sie eine Idee habe und sich später noch einmal dazu melden würde. Kaum hatte die Violetthaarige ihr Smartphone wieder ausgeschaltet und weggelegt, erhob sie sich seufzend aus dem warmen Wasser und griff nach ihrem Handtuch, in das sie sich einwickelte. Donnerstag, 20.August 2015 Mit mürrischem Blick starrte Kyo auf die sechs Oberschüler, welche es sich an einem großen runden Tisch auf dem Foodcourt von Junes bequem gemacht hatten. "Was geht hier vor sich?", fragte Kyo genervt und richtete seinen Blick auf Mirâ, "Sagtest du nicht du wolltest mit mir reden? Wieso ist dieser Kindergarten auch hier?" "Ich frage mich, wer hier das Kindergartenkind ist...", murrte Kuraiko ebenso genervt und bedachte den Studenten mit einem strengen Blick. Dieser stockte kurz und räusperte sich dann: "Was soll das hier?" "Entschuldige Kyo. Wenn ich gesagt hätte, dass wir alle mit dir reden wollen, wärst du sicher nicht gekommen. Jedenfalls habe ich das gedacht.", entschuldigte sich Mirâ mit einem schuldbewussten Blick, woraufhin der Blauhaarige nur schnaufte. "Na dann rückt mal raus mit der Sprache. Worum geht's?", fragte er anschließend. "Es geht um einen Gefallen. Du hast ja sicher gestern mitbekommen, dass deine Schwester in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde.", erklärte die Oberschülerin ruhig, woraufhin der Student jedoch nur mit den Schultern zuckte, "Es ist so. Wir müssen unbedingt mit ihr reden, aber wir bezweifeln, dass wir einfach so an sie heran kommen. Deshalb..." "Vergesst es!", unterbrach Kyo sie harsch und ließ die Violetthaarige damit stocken, "Ich kann euch dort nicht reinbringen." „W-Warum?“, fragte Mirâ verunsichert, obwohl ihr klar war, dass es mit Sicherheit darum ging, dass Kyo Akisu und vor allem seine Mutter nicht sehen wollte. Der Blauhaarige schnaufte jedoch nur und zuckte mit einem „darum“ mit den Schultern. "Sag mal, was ist dein Problem?", Kuraiko war aufgesprungen und hatte ihre Hand mit ganzer Wucht auf den Tisch geknallt, sodass sich sogar Fremde nach ihnen umdrehten, "Es geht um deine Schwester! Und sie ist aktuell der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, um diesen ganzen Irrsinn zu stoppen." Kyo sah sie mit großen Augen an, während sich Hiroshi neben ihm in seinem Stuhl zurücklehnte, ehe er dem Studenten in die gelben Augen sah: "Kuraiko hat recht. Wenn wir keine Anhaltspunkte finden, dann wird wahrscheinlich noch jemand in diese Welt verschleppt. Und wer weiß, wie lange es noch mit unseren Aktionen gut geht und wir die Leute retten können." Der Blauhaarige schwieg kurz und schien zu überlegen, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte und fragte, was ihn das eigentlich anginge. Die dunkelbraunen Augen von Masaru trafen ihn, welcher ihm ernst erklärte, dass sie nicht wüssten, wer der Nächste wäre und niemand vor diesem Schicksal befreit wäre, weshalb auch er der Nächste sein könnte. Abschließend erklärte er, dass Akisu ihnen vielleicht etwas zu ihrem Verschwinden erzählen könnte und sie damit der Wahrheit etwas näher bringen würde. Sie war in diesem Moment eben die einzige Person, die sie dazu befragen konnten. Erneut schnaufte Kyo: "Damit ihr sie am Ende noch weiter mit in diese Sache ziehen könnt?" Erstaunte Blicke trafen den Studenten, weshalb dieser erklärte, dass er bereits durchschaut hatte, dass sie alle anscheinend schon in der gleichen Situation gewesen waren, wie seine kleine Schwester. Aus diesem Grund würde er nicht zulassen, dass sich Akisu noch weiter in eine solche Gefahr begab, immerhin hatte er gesehen, wie gefährlich diese Welt war. Mirâ verstand Kyos Sorgen nur zu gut, immerhin würde sie auch nicht wollen, dass Junko in diese Sache mit hineingezogen wurde. Doch leider ließ sich nicht bestreiten, dass das junge Idol aktuell der einzige Anhaltspunkt war, den sie hatten, auch wenn bei ihr keine Persona erschienen war. Noch während Mirâ darüber nachdachte, kam ihr eine Idee, wie sie Kyo vielleicht doch noch überreden konnte. So erzählte sie ihm, dass er sich vorerst keine Gedanken darüber machen sollte, dass Akisu in weitere Gefahr gebracht werden würde. Sie erklärte ihm, dass bei ihrer Rettung keine Persona erschienen war, weshalb noch gar nicht klar war, ob die Blonde sie überhaupt begleiten konnte. „Aber um das genauer festzustellen müssen wir mit ihr sprechen.“, schloss Mirâ ab und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, „Ich bitte dich, Kyo.“ Erneut sah der Ältere die Gruppe erstaunt an und seufzte dann ergeben, als ihm keine weiteren Argumente einfielen. Er kratzte sich im Nacken und richtete seinen Blick auf die Stadt, welche sich um das Junes herum abzeichnete, bevor er erklärte, dass er sehen würde, was sich machen ließe. Jedoch wolle er für nichts versprechen, aber alles tun was in seiner Macht stand. Allerdings betonte er, dass es zu auffällig wäre, wenn die ganze Meute dort auftauchen würde und sie sich deshalb überlegen sollten, wer mit Akisu sprach. Mirâ nickte und erklärte, dass sie ihn dann begleiten würde, immerhin habe sie noch etwas, was sie Akisu zurückgeben müsse. Der Student sah die Violetthaarige auf diese Aussage hin fragend an, doch seufzte dann mit einem Schulterzucken. „Ich melde mich bei dir, halt also dein Handy in Bereitschaft.“, sagte er abschließend und wandte sich von der Gruppe ab. „Vielen Dank, Kyo. Du bist uns eine große Hilfe.“, bedankte sich Mirâ mit einem freundlichen Lächeln bei dem Studenten. Dieser schnaufte nur erneut: „Abwarten.“ Damit hatte er die Gruppe verlassen, welche ihm noch nachsah, bis er im Junes verschwunden war. Mirâs Gesicht umspielte ein zufriedenes Lächeln. Sie war froh, dass Kyo ihnen half, auch wenn er wieder einmal so tat als würde ihn das Ganze nichts angehen, jedoch wusste sie auch genau, wie sich der Student fühlen musste. Mit Sicherheit wollte auch er, dass die Sache aufgeklärt wurde, immerhin war seine geliebte kleine Schwester in Gefahr geraten. Auch sie selbst hätte so reagiert, da war sich Mirâ sicher. Am Abend Es dämmerte bereits, als sich die Gruppe voneinander getrennt hatte und Mirâ so nun auf dem Weg nach Hause war. In ihrer linken Hand hielt sie eine Tüte mit Einkäufen, welche sie unterwegs noch auf Wunsch ihrer Mutter getätigt hatte, während sie in ihrer rechten Hand ihr Smartphone hielt und die Nachrichten las, die sie erhalten hatte. Die meisten Nachrichten waren in ihrem Gruppenchat, wo es zu Beginn noch einmal um das Gespräch mit Kyo ging, bevor es immer weiter in unwichtige Themen abdriftete. Mit einem Lächeln schloss die Violetthaarige den Gruppenchat und öffnete die andere Nachricht, welche sie von Matsurika bekommen hatte. Diese fragte an, ob die Ältere am nächsten Nachmittag Zeit für sie hätte. Es wäre wichtig, hatte sie noch zusätzlich geschrieben. Etwas stutzig machte Mirâ diese Nachricht schon, denn sie kam nicht umher wieder einmal zu denken, dass es sich bei dem Gespräch wohl wieder um Hiroshi drehen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Schwarzhaarige sie mit der Begründung es wäre wichtig, herausgelockt hatte. Trotzdem stimmte Mirâ dem Treffen zu und verabredete sich für den späten Nachmittag mit der jüngeren Schülerin. Seufzend packte sie ihr Smartphone wieder in ihre Tasche und hoffte, dass das Gespräch nicht wieder so enden würde, wie die letzten, wo Matsurika ihr regelrecht ein Ohr über Hiroshi abgekaut und sie über den Blonden ausgefragt hatte. Aber es brachte nichts nun darüber nachzudenken, also hob sie den Blick wieder und bemerkte, dass sie bereits an der Kreuzung angelangt war, wo sie vor einiger Zeit Alec getroffen hatte. Zu ihrem Erstaunen fiel ihr erneut das auffällige Motorrad auf, welches an einer Mauer stand, weshalb sie sich fragend umsah und tatsächlich den jungen Mann entdeckte, der gerade eine neue Blume in die Vase stellte und dann die Hände zusammenlegte, um für das hier verunglückte Mädchen zu beten. Mirâs Blick wurde leicht traurig, als sie dieses Bild so sah, doch sie setzte sich in Bewegung, nur um einen Moment später neben dem Älteren zu knien und ebenfalls ein Gebet an das kleine Mädchen sendete. Überrascht sah der Schwarzhaarige auf, als er die Oberschülerin neben sich bemerkte und sah sie fragend an. Diese hatte soeben ihr Gebet beendet und richtete ihren Blick nun ebenfalls auf den jungen Mann neben sich, bevor sie leicht lächelte. „Ich dachte es bringt vielleicht etwas, wenn auch jemand anderes für die Kleine betet.“, sagte sie daraufhin. Ein kleines Lächeln umspielte Alecs Gesicht: „Ja vielleicht. Danke.“ „Nicht dafür.“, meinte die junge Frau und beobachtete, wie Alec sich langsam erhob, bevor sie selber wieder aufstand, „Du bist anscheinend doch ziemlich häufig hier. Oder?“ „Das Schicksal der Kleinen lässt mich einfach nicht los. Schon traurig genug, dass ein so junges Mädchen so früh ihr Leben verlor. Und das nur, weil ein idiotischer LKW Fahrer sich nicht konzentrieren konnte.“, meinte der Schwarzhaarige mit abgewandten Blick. Erneut hatte Mirâ das Gefühl, dass hinter diesem Unfall mehr steckte, als es auf den ersten Blick schien und dass Alec mehr damit zu tun hatte, als er zugab. Allerdings traute Mirâ sich nicht den jungen Mann genauer darauf anzusprechen, immerhin schien er so schon mit dieser Situation zu kämpfen. Klar interessierte sie, was wirklich dahintersteckte, doch sie wollte auch nicht unhöflich werden und ihre Nase in Dinge stecken, die sie nichts angingen. „Manchmal ist das Schicksal wirklich grausam…“, meinte sie stattdessen nur und blickte auf die einzelne Blume, die vor ihr stand. „Ja leider.“, murmelte Alec und sah ebenfalls noch einen Moment auf die Blume, bevor er sich direkt an die junge Frau wandte, „Es scheint auch Schicksal zu sein, dass wir uns in letzter Zeit häufiger treffen.“ Mirâ lachte nur leicht: „Anscheinend. Aber zumindest brauchtest du mich die letzten beiden Male nicht retten.“ „Das stimmt. Du hast ja irgendwie ein Talent dafür Schwierigkeiten anzuziehen.“, lachte nun auch Alec und blickte dann in den Himmel, während er auf sein Motorrad zuging, „Es wird dunkel. Du solltest dann besser nach Hause gehen. Nicht das du wieder in Schwierigkeiten gerätst. Hier fang!“ Überrascht hob Mirâ die Hände und konnte gerade noch so einen Motorradhelm auffangen, den der Schwarzhaarige ihr zugeworfen hatte. Überrascht blickte die Violetthaarige auf den jungen Mann, welcher gerade dabei war sich seinen Helm über den Kopf zu stülpen und zu befestigen. Es dauerte eine Weile, bis er den Blick der jungen Frau bemerkte und ihr dann erklärte, dass er sie dieses Mal heim fahren würde. Als Dank für das Gebet für das kleine Mädchen. Mit großen Augen starrte die Oberschülerin den Älteren an und schluckte schwer. Sie hatte noch nie in ihrem Leben auf einem Motorrad gesessen, doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte der Schwarzhaarige sich bereits den Helm in ihren Händen wieder gegriffen und ihn ihr auf den Kopf gesetzt. „Keine Sorge, so gefährlich ist das nicht. Ich fahre auch vorsichtig. Außerdem gehe ich so auf Nummer sicher, dass du wirklich heil Zuhause ankommst. Bei dir weiß man ja nie.“, meinte er anschließend und stieg dann auf seine Maschine, bevor er hinter sich auf den Sitz zeigte. Noch einmal schluckte Mirâ schwer, doch nahm sie letzten Endes all ihren Mut zusammen und setzte sich hinter den jungen Mann, welcher sie anhielt sich richtig festzuhalten. Mit einem leicht mulmigen Gefühl umfasste die Oberschülerin also Alecs Oberkörper und hoffte inständig, dass sie nicht herunterfallen möge. Noch kurz erkundigte sich der Schwarzhaarige in welche Richtung genau er fahren musste, bevor er seine Maschine startete und losfuhr. Anfangs war es für Mirâ doch etwas ungewohnt auf einem Motorrad zu sitzen, doch nach wenigen Metern entspannte sie sich bereits wieder, als sie merkte, das Alec genau zu wissen schien, was er hier tat. Daraufhin konnte sie sogar den kurzen Trip bis zu sich nach Hause genießen, denn so schlimm empfand sie es letzten Endes doch nicht. So dauerte es nicht allzu lange, bis die junge Frau sicher vor ihrem Heim angekommen war. Sich noch einmal bei dem Schwarzhaarigen bedankend, gab sie diesem den geliehenen Helm zurück. Alec verstaute den Kopfschutz wieder und erklärte noch einmal, dass sie es als Gegenleistung sehen konnte und er sich so keine Sorgen machen brauchte. Dies entlockte Mirâ nur ein kleines Kichern, bevor sie sich von dem Schwarzhaarigen verabschiedete und ihm einen sicheren Heimweg wünschte. Auch der junge Mann verabschiedete sich mit einem Nicken und startete dann sein Motorrad, um einen Moment später davon zu sausen. Mirâ sah ihm nach und hörte einen Moment später ihr Smartphone, welches den typischen Klang der Persona App von sich gab. Mit einem gekonnten Griff nahm sie das Gerät zur Hand und öffnete seit langer Zeit mal wieder die merkwürdige App, welche sich von selbst auf ihrem Handy installiert hatte. Mit wenigen Handgriffen hatten sie die Seite mit ihren Social Links geöffnet und war erstaunt, wie weit sie bei einigen der angegebenen Arcanas bereits gekommen war. Auch Alecs Social Link hatte sich an diesem Abend bereits auf drei Balken gefüllt. Ihre Lippen formten sich wieder zu einem Strich. Jedes Mal wenn sie diese App öffnete und sich die Social Links ansah hatte sie das Gefühl, dass dies nicht richtig war und dass diese Verbindungen beinahe wie eine Pflicht waren. Dabei wollte sie keine Gedanken mehr daran verschwenden und trotzdem daran glauben, dass alle geformten Social Links auch wahre Freundschaften waren. Doch immer, wenn sie die App öffnete überkamen sie diese Zweifel, weshalb sie die letzten Wochen nicht mehr darauf geschaut hatte… auch um ihr Gewissen zu erleichtert. Sie seufzte schwer und schloss die App, um weitere Gedanken daran zu verdrängen und das Smartphone wieder wegzustecken. Doch noch bevor das Telefon in ihrer Tasche verschwand, ertönte ein weiterer Ton, welcher ihr dieses Mal andeutete, dass sie eine Nachricht bekommen hatte. Fragend nahm sie das Handy also wieder vor sich und öffnete die eingegangene Nachricht, die von Kyo kam und in welcher er der Violetthaarigen einen Ort und eine Uhrzeit geschrieben hatte. „Kyôzô-kû, Zentralstation, 10:00 Uhr. Sei pünktlich!“, stand in der Nachricht geschrieben, welche Mirâ noch einige Minuten anstarrte. Anscheinend hatte Kyo es doch geschafft ihr eine Möglichkeit zu verschaffen, mit Akisu reden zu können. So stand also fest, dass sie am nächsten Morgen in den Bezirk Kyôzô fahren würde, von welchem die Violetthaarige bisher jedoch nur gehört hatte. Also musste sie sich später noch eine U-Bahnverbindung heraussuchen, um dorthin zu gelangen. Sie seufzte und antwortete Kyo mit einem kurzen Emoji, bevor sie sich umdrehte und nun endlich das Haus betrat. Kapitel 61: LXI – Nicht willkommen ---------------------------------- Freitag, 21.August 2015 Etwas verunsichert sah Mirâ sich in dieser pompös gestalteten Station um, während nur vereinzelte Menschen an ihr vorbeihuschten, denen man allerdings auch ansah, dass sie alle gut betucht waren. Sie hatte ja schon einiges von ihrer Mutter über den Bezirk Kyôzô gehört, doch da sie noch nie hier gewesen war, hatte sie der Anblick der riesigen ausgeschmückten Station doch ziemlich umgehauen. Man merkte sofort, dass sie hier im Bezirk der Superreichen gelandet war und das war es, was sie ziemlich verunsicherte. Bei jedem Menschen, der an ihr vorbeilief hatte sie das Gefühl, als würden sie sofort durchschauen, dass sie nicht hierher gehörte, selbst wenn dem wahrscheinlich nicht der Fall war. Trotzdem fühlte sie sich mehr als nur fehl am Platz und sie hoffte inständig, dass Kyo bald auftauchen würde. Bereits zum wiederholten Male blickte sie auf ihre rote Armbanduhr an ihrem Handgelenkt, welche bereits kurz nach 10 anzeigte, und sie fragte sich, wo der Blauhaarige nur blieb. Immerhin hatte er sie doch zur Pünktlichkeit angehalten und sie war ja auch pünktlich da, doch von dem Studenten war bisher noch keine Spur zu sehen. Die nächste U-Bahn aus Richtung Innenstadt fuhr gerade ein, als sie endlich aufatmen konnte und sie Kyo erblickte, welcher aus der recht leeren Bahn stieg und sich genervt durch die Haare strich. Sofort war sie auf den Studenten zugegangen. „Da bist du ja endlich.“, schimpfte sie daraufhin leicht. „Nerv nicht.“, kam es nur genervt von dem Blauhaarigen, „Diese dummen Schnösel gehen mir schon genug auf den Zeiger mit ihren dummen Fragen, was jemand wie ich in diesem Bezirk will. Zum kotzen.“ Nun überkam Mirâ doch ein leicht schlechtes Gewissen und auch wenn sie den Drang verspürte sich zu entschuldigen, verkniff sie es sich. Immerhin war er derjenige der zu spät kam und sie dann auch noch anmotzte. Trotzdem konnte sie nachvollziehen, wie Kyo sich fühlte. Auch konnte sie nun verstehen, weshalb er ungern hierher kommen wollte, denn wahrscheinlich hatte er mit solchen Anfeindungen bereits gerechnet. Wiederum war es für sie auch kein Wunder, dass ihn die Leute schief ansahen, denn er trug die gleichen Klamotten wie immer: Seine dunkelblaue Jeans mit den verschiedenen Gürteln, sowie das gelbe ärmellose Shirt und die schwarze Weste mit den weißen Elementen. Seine blauen Haare und das Tattoo auf seiner Stirn taten letzten Endes ihr übriges, weshalb es sie nicht verwunderte, dass er hier extrem auffiel. Wiederum respektierte sie den jungen Mann dafür, dass er nichts darauf gab, was andere über ihn sagten. Ein Seufzen holte sie aus ihren Gedanken und ließ sie wieder zu Kyo schauen, der sich im Nacken kratzte. „Naja… du kannst ja nichts dafür. Also Sorry.“, meinte er und setzte sich in Bewegung, „Lass uns gehen. Die Blicke der Menschen hier nerven mich.“ Auch der jungen Frau fielen nun die Menschen auf, welche in ihre Richtung blickten, weshalb sie nickte und dem Blauhaarigen folgte. Dieser führte sie aus der Station heraus und dann noch ein Stückchen durch ein riesiges Wohnviertel mit pompösen Villen, welche um einiges größer waren als die, in welcher Shuya mit seinen Großeltern lebte. Auch einige hochmoderne Hochhäuser fanden sich hier und da, an welchen man jedoch schon sehen konnte, dass es sich dabei um Penthäuser handelte, in denen sich mächtig teure Eigentumswohnungen befinden mussten, die sich ein Normalo wie Mirâ niemals leisten könnte. Nicht umsonst war dieser Bezirk der der Superreichen. Trotzdem ließ es sich die Violetthaarige nicht nehmen sich erstaunt umzusehen. In der Ferne konnte sie ein großes Gebäude mit reich verziertem Spitzdach entdecken, vor welchem eine Art Turm stand, auf dessen Front eine Uhr zu erkennen war, dessen Ziffernblatt aus purem Gold zu bestehen schien. Jedenfalls glänzte besagter Gegenstand in der frühen Sonne. „Das ist die Royal Diamond School. Eine superteure Eliteschule mit extrem hohem Bildungsstatus. Allerdings brauchst du gar nicht zu träumen. Jemand wie du könnte sich die übertrieben hohen Schulgebühren gar nicht leisten.“, erklärte Kyo, welchem der Blick der Violetthaarigen aufgefallen war, „Dagegen sind die Gebühren der Jûgoya Gakuen ein Witz.“ „Bist du auch auf diese Schule gegangen?“, fragte Mirâ neugierig nach und bereute es sogleich auch wieder, denn der Blauhaarige schnaufte nur einmal abwertend, blieb ihr allerdings eine konkrete Antwort schuldig. Die Oberschülerin ging auch nicht weiter darauf ein, da sie es nicht für sinnvoll erachtete und sie Kyo auch nicht weiter reizen wollte. So setzten die Beiden ihren Weg schweigend fort, welcher sie noch ein ganzes Stück durch das pompöse Wohnviertel und schlussendlich zu einem riesigen Gebäudekomplex führte. Staunend blieb Mirâ davor stehen und blickte auf das verglaste Hochhaus vor sich, an welchem ein großes rotes Kreuz befestigt war. Wäre dieses nicht vorhanden gewesen, hätte die junge Frau nicht einmal bemerkt, dass dieses Gebäude ein Krankenhaus sein sollte. Wahrscheinlich wäre sie eiskalt daran vorbeigelaufen, wenn sie alleine gewesen wäre. „Nun schau nicht so erstaunt. Ich weiß selber, dass dieses Krankenhaus, wie eigentlich jedes Gebäude in diesem Viertel, vollkommen übertrieben ist, aber so ist das nun mal in so einem Stadtviertel. Mit kleinen Dingen geben sich die Leute hier nicht zufrieden.“, erklärte Kyo und ging schnurstracks auf den Eingangsbereich zu. Mirâ folgte ihm auf dem Fuße und blickte sich vorsichtig um. Viele Menschen waren hier nicht unterwegs, aber die, die sie erkannte mussten Personal des Krankenhauses sein. Die meisten trugen weiße Mäntel oder die Krankenschwesterntracht. Doch auch einige in schwarz gekleidete Männer mit Sonnenbrille konnte die junge Frau erkennen, welche mit steifer Körperhaltung vor dem verglasten Eingangsportal standen und sich umzusehen schienen. Einer dieser Männer reagierte auch sofort, als er die junge Frau und den Studenten auf den Eingang zukommen sah und steuerte sogleich auf die Beiden zu. „Auch das noch.“, hörte Mirâ Kyo murmeln, welcher anscheinend mit so etwas gerechnet hatte. „Einen Moment bitte. Darf ich fragen, was ihr hier möchtet?“, fragte der Mann mit tiefer Stimme. „Jemanden besuchen?“, stellte Kyo eine genervte Gegenfrage, was allerdings nicht dazu beitrug, damit der Mann sie passieren ließ. Stattdessen versteifte er nur noch mehr: „Hört mal. Das hier ist kein Ort für irgendwelche Pimpfe. Also macht, dass ihr wegkommt.“ Der Student seufzte: „Oh man. Nochmal. Wir möchten jemanden besuchen und sind auch hier mit jemandem verabredet.“ „Mit wem, wenn ich fragen darf?“, fragte der Mann erneut. „Mit mir.“, ließ eine weibliche Stimme die drei Anwesenden aufschauen. Vorsichtig blickte Mirâ an dem Muskelprotz von Security-Mann vorbei und erkannte eine junge Frau in einem weißen Kittel, um deren Nacken ein Stethoskop baumelte. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Dutt nach oben gebunden und blickte mit ernsten grauen Augen auf den Mann vom Sicherheitsdienst. Unter ihrem weißen Kittel trug sie eine legere, aber trotzdem recht teuer wirkende dunkelgraue Hose mit Bügelfalte, sowie eine beige Bluse. Ihre rechte Hand hatte sie in ihrer Kitteltasche versteckt, während an der Tasche auf Brusthöhe ein kleines Namensschild hing. Mirâ jedoch konnte nicht erkennen was draufstand, da es zu klein geschrieben war und die junge Frau noch etwas zu weit weg stand. „Dieser junge Mann ist der ältere Bruder von Akisu und er hat mich um einen Besuch bei ihr gebeten. Würden Sie ihn und seine Begleitung also bitte durch lassen?“, fragte die junge Frau den Mann schließlich höflich, „Das ist alles bereits geklärt. Sie brauchen sich also keine Sorgen machen.“ „Ähm… ach so… ich meine… na gut.“, damit trat der Mann beiseite und ließ Kyo und Mirâ vorbei, welche der jungen Frau im weißen Kittel folgten. Gemeinsam betraten die Drei den Eingangsbereich des Krankenhauses, welches eher an ein Geschäftsgebäude erinnerte, und kaum hatte sich die Tür hinter ihnen zusammengeschoben atmete die junge Frau erleichtert auf und drehte sich wieder zu dem Studenten und der Oberschülerin herum. „Ein Glück ging das gut.“, murmelte sie anschließend, „Du bist spät Kyo. Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst eher hier sein?“ Der Blauhaarige drehte leicht beleidigt den Kopf zur Seite und schnaufte: „Tut mir ja leid, aber die Bahnen hierher fahren echt bescheiden.“ Die junge Frau seufzte: „Du und deine Ausreden… naja egal… Das ist also die Oberschülerin, die unbedingt mit Akisu sprechen möchte. Ja?“ Mirâ verkrampfte leicht, als sie der Blick der jungen Frau traf. „Ich hatte dir das ja gestern schon alles am Telefon erklärt. Es ist wirklich wichtig. Deshalb wäre ich dir sehr verbunden, wenn du sie zu ihr bringen könntest.“, meinte der Student nur leicht genervt. Auf die Frage hin, ob er nicht mit wolle, schnaufte er nur erneut, was die junge Frau seufzen ließ: „Na gut, wie du meinst. Mirâ war dein Name. Oder? Dann komm mal mit. Ich hoffe nur, dass es klappt.“ Das Letzte hatte die junge Frau mehr zu sich genuschelt, als zu den Beiden. Mit einem letzten Blick auf Kyo, welcher ihr viel Erfolg wünschte, folgte Mirâ der Schwarzhaarigen, die sie zu einem Fahrstuhl führte. Noch während die beiden Frauen auf diesen warteten beobachtete die Violetthaarige, wie sich der Blauhaarige eine stille Ecke suchte und sich dort niederließ. Wieso er nicht mit wollte, wusste die junge Frau nicht und Zeit ihn zu fragen hatte sie gerade auch nicht. Zudem wusste sie auch nicht, wie sie das Thema ansprechen sollte, immerhin war der Student an diesem Tag so oder so wieder ziemlich mies drauf und verscherzen wollte sie es sich mit ihm auch nicht. Ein Piepsen ließ die Violetthaarige aufschrecken, als sich neben ihr die silberne Tür des Fahrstuhls öffnete. Die junge Frau im Kittel trat an ihr vorbei in das Beförderungsmittel, was ihr die Oberschülerin nach tat, bevor sich hinter ihr die Tür wieder schloss. Ohne hinzuschauen drückte die Schwarzhaarige den Knopf für die fünfte Etage und kurz darauf fuhr der Fahrstuhl auch bereits los. „Ich kann dir nicht versprechen, dass die Bodyguards uns durchlassen. Das habe ich Kyo auch so gesagt, aber er hat nicht locker gelassen. Muss also etwas Wichtiges sein, worum es geht.“, meinte die junge Frau plötzlich. Erstaunt sah Mirâ sie an, doch senkte dann leicht den Blick: „Trotzdem vielen Dank, dass Sie sich die Mühe machen.“ „Eigentlich war ich nicht dafür, weil mich so eine Aktion ziemlich viel Ärger kosten könnte. Aber naja… ich habe bei Kyo noch ein Stein im Brett. Leider weiß er so etwas immer auszunutzen.“, meinte die Schwarzhaarige, „Mein Name ist im übrigen Asuka Miuna. Du kannst mich ruhig beim Vornamen nennen.“ Wieder sah die Violetthaarige die junge Frau Namens Asuka erstaunt an: „D-Danke. Fr-freut mich.“ „Schon okay.“, sagte Asuka. „Darf ich fragen, woher du Kyo kennst?“, fragte Mirâ vorsichtig. Sie wusste, dass es sie eigentlich nichts anging, aber irgendwie interessierte es sie schon, woher Kyo eine junge Frau kannte, die so gar nichts mit seinen sonstigen weiblichen Bekanntschaften gemein hatte und eher schlicht und normal wirkte. „Wir sind zusammen auf die Oberstufe gegangen. Keine Ahnung, woher Kyo wusste, dass ich gerade hier meine Praxisausbildung zum Studium mache, obwohl ich da eine Vermutung habe, aber gestern hat er mich aus heiterem Himmel angerufen und gemeint, dass ich nun meinen Gefallen einlösen könnte, den ich ihm noch schulde.“, erklärte Asuka und zuckte dann mit den Schultern, „Aber naja… so war er schon in der Oberstufe. Außerdem war es sowieso höchste Zeit. Nur wie gesagt, ich kann wirklich für nichts versprechen.“ Der Fahrstuhl hielt und öffnete seine Pforte, woraufhin Asuka diesen verließ. Mirâ folgte ihr und wurde durch einen langen Gang geführt, welcher sie an mehreren Zimmern und verschiedenen geöffneten Feuerschutztüren vorbeiführte. Als sie um die nächste Ecke bogen erkannte Mirâ schon weitere Männer, welche in schwarze Anzüge gekleidet waren und steif vor einer Zimmertür standen. Ihre Blicke waren stur auf die kahle Wand vor sich gerichtet. Als sie jedoch die Schritte der beiden jungen Frauen vernahmen, sahen sie in deren Richtung. Sofort schienen sie in Alarmbereitschaft und stellten sich so in den Gang, dass die beiden Frauen gar nicht bis zur Zimmertür kommen konnten. „Guten Tag die Herren. Wäre es möglich kurz mit Yashiru-San zu sprechen?“, fragte Asuka höflich, woraufhin Mirâ sofort merkte, wie sich die Muskeln der beiden Männer anspannten. „Tut mir Leid. Aber wir haben Anweisung niemanden außer den behandelnden Arzt zu ihr hindurch zu lassen.“, sagte einer der Beiden ernst, aber in einem ruhigen Ton. „Ach kommt schon. Nur kurz. Es dauert auch nicht lange.“, bettelte Asuka, was die beiden Männer jedoch nicht sonderlich beeindruckte. Sie schüttelten nur synchron den Kopf und baten die beiden Frauen wieder zu gehen. „Ich bitte Sie. Ich habe etwas, was ich Akisu zurückgeben muss. Es ist wirklich dringend.“, versuchte nun auch Mirâ ihr Glück und kramte die Kette des jungen Idols aus ihrer Tasche, „Hier. Das hier gehört Akisu. Ich habe es gefunden und wollte es ihr zurückgeben.“ Der andere schwarzgekleidete Mann wollte nach der Kette greifen, doch Mirâ zog sie zurück, woraufhin er sie etwas verdutzt ansah und meinte, dass er das erledigen würde. Doch die Oberschülerin schüttelte den Kopf und bestand darauf, dem Idol dieses Schmuckstück persönlich zurückgeben zu wollen, immerhin konnte sie nicht sicher sein, dass es ansonsten wirklich bei der Blonden landen würde. Das schien die beiden Männer doch etwas zu kränken, weshalb sie ihre Muskeln wieder anspannten, um sich vor den beiden Frauen groß aufzubauen und sie erneut darum zu bitten zu gehen. Dieses Mal jedoch mit Nachdruck. Eingeschüchtert zuckte die Violetthaarige leicht zusammen. Sie wusste ja, dass es nicht einfach werden würde zu Akisu zu gelangen, aber dass es sich so entwickeln würde hatte sie nicht gedacht. „Nun seid nicht so, ihr Sturköpfe! Sie will Akisu doch nur ihre Kette zurückgeben. Das dauert nicht lange und wir sind in Nullkommanichts wieder weg.“, mischte sich nun Asuka wieder ein, doch es brachte nichts und als einer der Männer nach dem Chefarzt rufen wollte, wich jegliche Farbe aus dem Gesicht der Schwarzhaarigen, „Hey wartet doch. Wir gehen ja schon. Los komm. Es tut mir ja leid, aber ich möchte meinen Studienplatz wegen so etwas nicht riskieren.“ Sie packte Mirâ am Oberarm und zog sie so hinter sich her. Diese verstand ja, wieso Asuka so reagierte, jedoch wollte sie nicht so einfach aufgeben. Also sah sie noch einmal zu den beiden Männern und stutzte, als hinter ihnen die Tür des Krankenzimmers aufging. Auch die Schwarzhaarige hielt inne und drehte sich nun noch einmal herum. „Was ist denn hier für ein Lärm?“, sprach eine weibliche Stimme, woraufhin sich einer der Männer herumdrehte und die Situation kurz zu erklären schien. Einen Moment später schielte ein Blondschopf hinter dem anderen Mann hervor und fixierte Mirâ, sodass ihre roten Augen auf die goldgelben des Idols trafen. Der Augenkontakt jedoch hielt nicht lange, denn kurz darauf drehte sich das Idol wieder zu dem Mann vor sich und schien ihm etwas zu sagen, was ihm gar nicht passte. Er wedelte wie wild mit seinen Händen und versuchte dem Idol anscheinend klarzumachen, dass er der Bitte nicht nachgeben konnte. Daraufhin wurde Akisus Stimme dringlicher und Mirâ konnte verstehen, wie sie dem gut zwei Köpfe größeren Kerl die Anweisung gab sie zu ihr zu lassen. Ansonsten würde sie dafür sorgen, dass dies sein letzter Job gewesen war. Der Angesprochene zuckte zusammen und schien kurz zu überlegen, bevor er die Beine in die Hand nahm und auf Mirâ und Asuka zukam. „Yashiru-San bittet euch zu sich.“, murmelte er dann kleinlaut. Asuka grinste und eckte Mirâ in die Seite: „Hey geht doch. Dann viel Erfolg.“ Fragend sah die Oberschülerin zu der Studentin, welche nur meinte, dass sie ruhig alleine gehen sollte, immerhin wollte sie ihren Studienplatz nicht weiter riskieren. Damit hatte sie Mirâs Arm losgelassen und sie mit einem Klaps leicht nach vorn gestoßen. Irritiert sah die Violetthaarige noch einmal zurück zu der Schwarzhaarigen, lächelte jedoch dann und bedankte sich noch einmal mit einer Verbeugung, bevor sie dem Mann vom Sicherheitsdienst folgte. Noch einmal wünschte ihr Asuka viel Glück, ehe diese sich auch aus dem Staub machte, bevor sie Ärger bekam, während Mirâ mittlerweile vor dem Zimmer des Idols angekommen war. Mit großen goldgelben Augen sah Akisu sie erst fragend an, doch lächelte dann: „Komm rein.“ Damit war das Idol bereits ins Zimmer getreten, woraufhin Mirâ ihr folgte. Auch einer der Männer wollte mit ins Zimmer treten, doch die Blonde hielt ihn mit einem scharfen Blick zurück und meinte, dass dieses Gespräch privat wäre und sie auch nicht gestört werden möchte. Dann hatte sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt und war zu ihrem Bett gegangen, welches unter einer großen Fensterfront stand. Erstaunt sah sich Mirâ im Raum um. Genau zu ihrer rechten befand sich eine Tür, welche wohl in ein Bad führte. Die Länge der Wand, welche sich in das Zimmer schlängelte, ließ nur erahnen, wie groß dieses sein musste. Als die Violetthaarige noch weiter in das Zimmer trat, erkannte sie, dass es sich dabei um ein sehr geräumiges Einzelzimmer handelte. Genau ihr gegenüber war die Fensterfront, unter welcher Akisus Bett und eine Regalkonstruktion stand. Zu ihrer Rechten stand ein großer Tisch, auf welchem, um eine große Vase gefüllt mit einem wunderschönen Blumenstrauß, mehrere Postkarten und Briefe verteilt lagen, die die Oberschülerin als Fanpost deklarierte. Direkt an die andere Wand des Badezimmers, welche das Zimmer nun abschloss stand ein großer, geräumiger Kleiderschrank. Alles wirkte zwar auf den ersten Blick, wie in jedem normalen Krankenhaus, doch konnte man sofort erkennen, dass es sich hierbei um wesentlich hochwertigere Möbel handelte. „Du bist das Mädchen aus der Karaokebar. Oder?“, holte sie die Stimme Akisus aus ihren Gedanken, woraufhin sie zu der jungen Frau sah und dann nickte, „Gut. Darf ich fragen wie du heißt und was es so Wichtiges gibt, was du mir sagen willst?“ Mirâ war etwas überrascht über den doch recht kühlen Ton des jungen Idols, jedoch schob sie es auf die Tatsache, dass die junge Frau wahrscheinlich mittlerweile immer wieder wegen ihrer Berühmtheit angesprochen wurde. Wahrscheinlich war sie auch in so einem gut betuchten Krankenhaus davon nicht verschont. „Entschuldige. Mein Name ist Mirâ Shingetsu und ich… habe zwei Anliegen, um ehrlich zu sein.“, stellte sich die Violetthaarige höflich vor. „Und die wären?“, fragte Akisu nach. Mirâ nahm sich daraufhin einfach einen Stuhl und setzte sich neben die Blonde ans Bett, bevor sie diese mit ernsten roten Augen ansah: „Ich wollte dich fragen, ob du mir etwas zu deinem Verschwinden verraten kannst?“ Das Idol sah sie plötzlich mit großen und überraschten Augen an, doch bevor sie etwas sagen konnte sprach die Violetthaarigen schon weiter: „Ich weiß, dass das komisch klingt und es tut mir leid, dass ich dich damit überrumpeln muss. Aber keine Sorge, ich bin weder von der Presse, noch möchte ich irgendwelche exklusiven Interviews oder so. Es ist nur so… wahrscheinlich wird es für dich merkwürdig klingen, aber du warst nicht die Erste, die auf merkwürdige Weise plötzlich verschwunden ist. Auch ein Teil meiner Freunde hat diese Phase durchmachen müssen. Es ist merkwürdig, aber immer an Vollmondnächten verschwindet eine Person, so wie du nach deinem Konzert. Meine Freunde und ich haben uns vorgenommen herauszufinden, wieso das alles passiert.“ Mirâ hatte ganz bewusst die Spiegelwelt außen vorgelassen und somit dem Idol auch nicht verraten, dass sie und ihre Freunde wussten wohin diese Menschen verschwanden. Wahrscheinlich klang dies für das Idol erst recht merkwürdig, jedoch wollte die Oberschülerin ihr nicht mehr verraten als nötig, solange sie nicht wusste, ob Akisu wirklich eine Persona bekommen hatte oder nicht. „Spielt ihr Detektiv oder was?“, fragte diese jedoch nur skeptisch, „Meint ihr nicht, dass das eher die Aufgabe der Polizei wäre, als die einiger Oberschüler?“ „Mag sein, aber es gibt da einige Dinge, die uns beschäftigen. Und ich hatte gehofft, du könntest mir etwas über den Abend erzählen, als du verschwunden bist. Vielleicht hilft uns das etwas Licht ins Dunkel zu bringen.“, erklärte Mirâ ruhig, „Ich weiß es klingt komisch…“ Akisu schwieg und in diesem Moment bereute es die Violetthaarige mit dem Idol darüber gesprochen zu haben, weshalb sie den Blick senkte und ihre Hände anstarrte. Wahrscheinlich hatte sie auch viel zu viel erzählt. Anders jedoch wusste sie nicht, wie sie es der Blonden hätte erklären können. Für sie war das alles ja selber immer noch unbegreiflich. Ein Seufzen ließ sie jedoch aufschauen, weshalb sie sah, wie Akisu aus dem Fenster blickte. „Wahrscheinlich hast du mir hier auch nur einen Teil von dem erzählt, was eigentlich vorgeht. Aber ich kann das verstehen. Ich würde es auch nicht anders machen.“, meinte sie ruhig und sah dann wieder zu Mirâ. Ihr Gesicht zierte nun ein kleines liebevolles Lächeln: „Allerdings muss ich dich enttäuschen. Ich habe keine Ahnung, was genau passiert ist. Ich weiß noch, dass ich nach dem Konzert in meinen Wohnwagen gegangen bin. Danach ist alles weg. Kann sein, dass mich jemand niedergeschlagen hat oder so und ich mich deshalb nicht mehr erinnern kann, aber das nächste was in meinen Erinnerungen auftaucht ist, als ich in meinem Zimmer im Zentralkrankenhaus aufgewacht bin.“ Erstaunt sah die Violetthaarige das Idol an und verstand die Welt nun gar nicht mehr. Akisu konnte sich also weder an ihr Verschwinden erinnern, noch an den Kampf in ihrem Dungeon. Nun leuchtete Mirâ auch ein, wieso das Idol sie als das Mädchen aus der Karaokebar betitelte. Doch das bedeutete wohl auch… „Dann habe ich noch eine Frage.“, sagte sie anschließend und kramte ihr Handy heraus, wo sie die Persona App startete, „Sagt dir diese App etwas?“ Die Blonde starrte auf den Display und legte den Kopf schief: „Persona? Was soll das sein? Von dieser App habe ich noch nie gehört.“ „Du hast sie also auch nicht auf deinem Smartphone?“, hakte die Oberschülerin nach, woraufhin das Idol nach ihrem Handy griff und dieses entsperrte. Sie wischte einige Male darüber und schüttelte dann den Kopf, bevor sie meinte, dass sie auch niemals so etwas installiert hätte und sie auch nicht wüsste, wofür diese App gut sein sollte, zumal sie sowieso keine Spiele auf dem Smartphone spielte. Auch dass Akisu nicht zu wissen schien, was eine Persona ist, war einer der Gründe weshalb Mirâ nun die Gewissheit hatte, dass das Idol erst gar keine Persona bekommen hatte. Das erklärte auch, dass der Shadow einfach nur verschwunden war und wahrscheinlich auch, dass der Dungeon nun verschlossen war. „Tut mir leid, dass ich dir da nicht weiterhelfen kann.“, entschuldigte sich das blonde Idol, woraufhin Mirâ sie wieder ansah. Ein Lächeln legte sich auf ihre Gesichtszüge und sie schüttelte den Kopf: „Nein. Schon in Ordnung. Ich denke es ist auch so in Ordnung. Ich glaube, wenn es anders gelaufen wäre, dann hätte mich dein Bruder nachher gemeuchelt.“ „Du bist mit Kyoyo hier?“, fragte Akisu aufgeregt, „Wieso ist er nicht hier?“ Plötzlich stoppte sie und senkte den Blick: „Ach warte. Sag nichts. Ich weiß schon. Er will mich sicher nicht sehen.“ „Das glaube ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass er gerne mit hochgekommen wäre, um zu sehen wie es dir geht. So wie ich das mitbekommen habe macht er sich wirklich große Sorgen um dich.“, erklärte Mirâ mit einem Lächeln, auch wenn sie wusste, dass der Student sie dafür wohl wirklich meucheln würde, wenn er herausfand, was sie erzählt hatte, „Er braucht sicher nur etwas Zeit, um das alles zu sortieren. Ich bin mir sicher er wird dich auch besuchen kommen.“ „Schön wäre es.“, lächelte die Sängerin mit kleinen Tränen in den Augenwinkeln. „Wo wir gerade dabei sind.“, begann die Violetthaarige und kramte die goldene Kette wieder hervor, welche sie zurück in ihre Tasche gesteckt hatte, „Die hier wollte ich dir zurückgeben.“ „Mein Medaillon.“, freute sich Mirâs Gegenüber und riss ihr regelrecht die Kette aus der Hand, „Ich dachte schon es sei für immer verloren.“ „Ich verrate dir etwas, aber sag es nicht weiter.“, meinte Mirâ und rutschte näher an Akisu heran, sodass sie ihr zuflüstern konnte, dass Kyo die Kette gefunden hatte, als er nach ihr gesucht hatte. Mit großen Augen sah die Blonde die junge Frau an und lächelte dann. Sie schien glücklich darüber, dass Kyo sie anscheinend doch nicht hasste. Das merkte Mirâ dem jungen Idol an, weshalb auch sie nun lächeln musste und sich langsam erhob. Überrascht sah Akisu sie an, weshalb sie erklärte, dass es wohl besser wäre nun zu gehen. Aus diesem Grund verbeugte sich die Oberschülerin kurz und verabschiedete sich dann mit Besserungswünschen von der jungen Frau auf dem Bett. Diese nickte nur und verabschiedete sich ebenfalls von der Violetthaarige, bevor diese das Zimmer verließ und sich an den beiden Schränken von Bodyguards vorbeischlängelte. Auch ihnen gegenüber deutete sie eine leichte Verbeugung an und lief dann den Gang zurück, den sie gekommen war, um so schnell wie möglich wieder zu Kyo zu stoßen und mit ihm dieses Stadtviertel zu verlassen. Es dauerte eine Weile bis sie die Aufzüge wiedergefunden hatte, über die sie wieder zurück in den Eingangsbereich gelangte, doch etwas Später hatte sie ihr Ziel erreicht. Erleichtert seufzte sie auf und wollte sich auf die Suche nach Kyo begeben, als ihr eine aufgebrachte Stimme zu Ohren kam. Erschrocken sah sie sich um und erblickte einen Moment später Kyo, welcher mit einer blonden Frau zu diskutieren schien, deren Stimme Mirâ wohl gehört hatte. Erneut erhob die Frau ihre Stimme und beschimpfte den Blauhaarigen, was er hier zu suchen hatte und wieso er es überhaupt wagen konnte hier aufzukreuzen und dann auch noch in diesem Aufzug. Mirâ erkannte an dem Studenten, dass er kurz vor dem Explodieren war, sich allerdings zurückhielt und stattdessen nur in eine andere Richtung blickte. Nachdem Mirâ bereits die Szenen in Akisus Dungeon gesehen hatte, wusste sie, dass es sich bei der Frau nur um Kyos und Akisus Mutter handeln konnte. Diese Stimme würde sie wohl so schnell nicht wieder vergessen. Wieder hatte die blonde Frau ihre Stimme erhoben und ließ eine regelrechte Hasspredigt auf den Studenten niederrieseln, welchem es jedoch plötzlich zu viel zu werden schien. Mit einer Handbewegung brachte er seine Mutter zum Schweigen und sah sie mit giftigen gelben Augen an: „Jetzt bleib mal ganz ruhig, alte Schachtel. Das Akki hier gelandet ist, ist alleine deine Schuld. Wenn du sie nicht ständig zu Dingen zwingen würdest, die sie nicht will oder kann, dann wäre das alles wahrscheinlich nicht einmal passiert. Mir ist es scheißegal, wie du über mich denkst und ob du deine verdammte Firma in den Ruin reitest, aber halte endlich Akki aus der ganzen Sache heraus!“ Ein Klatschen war zu hören, was sogar Mirâ zusammenzucken und ihre Hände vor dem Mund schlagen ließ. Auch die Leute, welche sich im Eingangsbereich befanden, hatten nun ihre Blicke auf die Beiden gerichtet und schauten interessiert, was denn los sei. Kyos Blick war zur Seite gerichtet, während seine rechte Wange begann rot anzulaufen. Seine Mutter hatte ausgeholt und ihm eine gescheuert. Auch ihr Gesicht war knallig rot und glich einer überreifen Tomate, jedoch vor Wut. Wieder erhob sie die Stimme: „So lasse ich nicht mit mir reden. Vor allem nicht von dir, Freundchen. Mach dass du wegkommst. Verschwinde aus meinen Augen. Du hast hier sowieso nichts zu suchen. Hier her gehörst du schon lange nicht mehr. Also verschwinde.“ Damit hatte sich die blonde Frau von dem Studenten abgewandt und war Richtung Fahrstühle gegangen, während ihr Kyo nachrief, wie froh er war, nicht mehr hier her zu gehören. Jedoch schien seine Mutter dies gekonnt zu überhören, als sie mit einem wütenden Gesicht an Mirâ vorbeihuschte und diese nicht einmal im Ansatz richtig wahrnahm. Die Violetthaarige jedoch sah ihr noch einen Moment nach, bis die ältere Frau in einem Fahrstuhl verschwunden war. Kyo tat ihr irgendwie leid. Wie konnte man nur so grausam zu seinem eigenen Sohn sein? Das war eine Frage, die Mirâ nicht mit ihrem Verstand beantwortet bekam. Auch fragte sie sich, wieso sie eine solche Wut auf den Studenten hatte und wieso sie nicht akzeptieren konnte, dass er das, was er machte, gute machte. Sicher hatte Mirâ absolut keine Ahnung von Modedesign, aber die Skizzen, welche sie von Kyo gesehen hatte waren alle einmalig gewesen und sie war sich sicher, der Student würde einmal ganz groß mit seiner Mode herauskommen. Wieso also unterstützte seine Mutter ihn nicht dabei? Als die junge Frau jedoch bemerkte, dass sie mit ihren Gedanken auf keinen grünen Zweig kam, entschloss sie sich zurück zu Kyo zu kehren. In der Hoffnung er hatte nicht bemerkt, dass sie diese Diskussion mitbekommen hatte. Zu ihrem Glück schien dies auch nicht der Fall gewesen zu sein, denn als sie zu ihm stieß, sah er sie nur kurz mit seinem üblichen genervten Blick an und fragte, ob alles geklärt sei. Nachdem Mirâ genickt hatte, hatte sich der Blauhaarige nur umgedreht und war schnurstracks mit den Worten „Dann können wir ja gehen.“ auf den Ausgang zugegangen. Somit verließen beide das Elitekrankenhaus und machten sich auf den Rückweg. Am späten Nachmittag saß Mirâ auf einer Bank am Flussufer des Gyakuryû, wie der Fluss hieß, welcher sich durch die Stadt schlängelte, und wartete auf Matsurika, mit welcher sie verabredet war. Es war noch etwas Zeit, weshalb die Violetthaarige ihre Gedanken schweifen ließ und noch einmal an das Gespräch mit Akisu denken musste. Sie hatte ihren Freunden bereits via Gruppenchat berichtet, wie das Gespräch verlaufen war und dass das junge Idol anscheinend keine Persona-Userin war, immerhin hatte sie keine Persona-App auf ihrem Smartphone. Merkwürdig fand Mirâ diesen Umstand allerdings schon. Wieder waren neue Fragen aufgetaucht. Nicht nur, dass Kyo die Spiegelwelt betreten konnte, während sie Shuya ausschloss, zusätzlich kam auch noch dazu, dass seine Schwester zwar einen Shadow, aber keine Persona besaß. Dieser ganze Umstand warf die Frage auf, wie die Spiegelwelt überhaupt funktionierte oder wählte. Was war also der ausschlaggebende Punkt, damit Menschen in die Spiegelwelt gelangten? Und wie wurde ausgewählt, wer eine Persona bekam und wer nicht? Das waren wohl die wichtigsten aller Fragen, neben der Sache mit diesem merkwürdigen Schatten. Als sie an die Begegnung mit diesem Schatten dachte, lief es der jungen Frau plötzlich eiskalt den Rücken herunter. Etwas an diesem Wesen machte ihr Angst, aber sie wusste nicht genau was. Vor ihren Augen tauchten ein paar Schuhe auf und ließen sie so aus ihren Gedanken schrecken und aufschauen. Ihr Blick fiel auf Matsurika, welche sie ernst ansah. Sie hatte ihre Arme an der Hüfte abgestützt und ihre dunklen Augen auf Mirâ gerichtet. „Oh. Ich hab dich gar nicht kommen sehen. Entschuldige.“, entschuldigte sich Mirâ mit einem leichten Lächeln, „Also… was war so wichtig, dass du mit mir sprechen wolltest?“ „Gut dass wir gleich zum Thema kommen. Dann kann ich ja gleich sagen, was los ist.“, murrte die Schwarzhaarige, „Ich wollte dich fragen, was für dumme Flausen du Megumi eigentlich in den Kopf setzt und wieso du dich überhaupt in unsere Freundschaft einmischst?“ Völlig überrumpelt und verwirrt blickte Mirâ die Jüngere an, welche den Blick zu bemerken schien: „Sie kam gestern auf mich zu und sagte mir, dass ICH MICH zusammenreißen soll, immerhin sei ICH ja IHRE Freundin und ich solle mich gefälligst auch so verhalten. Als wenn ich das nicht machen würde! Sie meinte plötzlich, ich würde sie vollkommen ignorieren und du hättest ihr gesagt, sie soll das gefälligst selber mit mir klären. Ich glaub es schlägt 13! Was mischt du dich da überhaupt ein? Das geht dich alles nichts an. Megumi ist MEINE Freundin!“ Die Ältere der Beiden musste mehrmals blinzeln und verarbeiten, was die Schwarzhaarige ihr da an den Kopf knallte, bevor sie überhaupt reagieren konnte. Doch stieg in ihr in diesem Moment Wut auf, als sie alles in die richtige Reihenfolge gebracht hatte und sich erinnerte, dass sie Megumi empfohlen hatte, mit Matsurika Tacheles zu sprechen. Anscheinend hatte die Kleine sich diesen Rat sogar zu Herzen genommen und ihrer Freundin so die Meinung gegeigt. Dass diese allerdings nun ihre Wut an ihr ausließ war für sie dann doch etwas zu viel. Zumal Mirâ das Gefühl hatte, das Matsurika anscheinend nicht einmal der Meinung war, dass sie einen Fehler gemacht habe. Wahrscheinlich hatte sie nicht einmal über Megumis Worte nachgedacht, sondern einfach nur die Schuld bei jemand anderem Gesucht. Aus diesem Grund wollte Mirâ dies auch nicht auf sich sitzen lassen: „Und wieso kommst du damit zu mir? Ich habe Megumi-Chan nur gesagt, dass sie mit dir ehrlich über ihre Gefühle reden soll, die DU anscheinend nicht einmal zu verstehen scheinst. Und JA, Megumi hat Recht, DU solltest dich mal zusammenreißen. DU bezeichnest dich als Megumi-Chans Freundin? Dann solltest du mal überdenken, was eine Freundschaft bedeutet. Langsam habe ich nämlich das Gefühl, dass du denkst eine Freundin besteht nur aus Nehmen! Da liegst du aber falsch! Und so wie du dich Megumi-Chan gegenüber verhältst bist du keine Freundin. Vor allem keine beste! Du bist Sprunghaft. Nur weil du dich in Hiroshi-Kun verguckt hast, hängst du die ganze Zeit bei uns ab und ignorierst Megumi-Chan vollkommen. Sie fühlt sich von dir einfach nur abgewiesen und hat dir das wahrscheinlich auch direkt gesagt. Aber anstatt die Fehler bei dir selber zu suchen, hast du einen Sündenbock gesucht und die Schuld auf mich abgewälzt. Aber ICH war NICHT diejenige, die Megumi-Chan mit ihren Aktionen verletzt und abgewiesen hat. Sondern DU. Also betreibe mal Selbstreflexion und hör auf die Schuld bei Anderen zu suchen! Ich bin nicht dein Sündenbock. Megumi-Chan ist auch meine Freundin, damit das klar ist. Ich will sie aber niemandem wegnehmen, sondern ihr einfach nur helfen. So wie es sich für Freunde gehört. Und DU solltest das langsam mal lernen.“ Die Violetthaarige war mittlerweile aufgesprungen und war ziemlich laut Matsurika gegenüber geworden, immerhin wollte sie sich so etwas nicht gefallen lassen. Die Schwarzhaarige schaute sie völlig perplex an und schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Ihr Mund bewegte sich einige Male, als wolle sie etwas sagen, doch sie schwieg und drehte sich dann auf dem Absatz um. „Ich bin wirklich enttäuscht. Ich dachte wirklich du bist anders, als die anderen, Senpai. Aber du bist genauso aufgeblasen wie sie.“, mit diesen Worten war die Jüngere davongerannt. Mirâ sah ihr nach, während ihr Blutdruck langsam wieder herunterfuhr. Kurz überkam sie ein schlechtes Gewissen, dass sie so ausgeflippt war, doch dieses Verschwand, als sie sich einredete, dass es mal nötig gewesen war so mit der jungen Frau zu sprechen. Es konnte immerhin nicht so weiter gehen. Sie holte kurz tief Luft und beruhigte sich so endgültig wieder. Es war besser so und sie hoffte wirklich sehr, dass Matsurika sich ihre Worte endlich zu Herzen nahm, auch wenn sie irgendwie daran zweifelte. Noch einmal blickte sie in die Richtung, in welche die Jüngere verschwunden war und machte sich dann selber auf den Heimweg. Später Abend Das Vibrieren ihres Handys ließ die Violetthaarige von ihrem Buch aufschauen und einen Blick auf ihr Smartphone werfen, welches anzeigte, dass sie eine Nachricht erhalten hatte. Ihr Buch beiseite legend, öffnete sie die eingegangene Nachricht und war erstaunt, dass diese von Matsurika kam. Noch erstaunter war sie über deren Inhalt, in welchem sich die Jüngere bei ihr entschuldigte und erklärte, dass sie noch einmal über ihre Worte nachgedacht habe und sie sich daraufhin noch einmal mit Megumi zusammengesetzt habe, um in Ruhe mit ihr zu sprechen. Nun hätten sich Beide wohl richtig ausgesprochen und alles zwischen ihnen war wieder gut. Auch entschuldigte sich die Schwarzhaarige dafür, dass sie in Mirâ den Sündenbock gesucht hatte. Sie würde sich ab nun mehr zusammenreißen und mehr für Megumi da sein und sie, wenn es für Mirâ in Ordnung war, in den Pausen mitbringen würde, wenn die Kleine Lust hatte. Ein Lächeln umspielte den Mund der Violetthaarigen, während sie der Jüngeren antwortete, dass alles in Ordnung sei und sie und Megumi-Chan jederzeit bei ihnen willkommen waren, solange es nicht wieder zu so einem bösen Missverständnis kam. Zufrieden mit sich selbst legte sie anschließend das Telefon wieder weg, dabei den Ton der Persona-App ignorierend, welcher ihr sagte, dass sich etwas bei ihren Social Links getan hatte. Kapitel 62: LXII – Die Bürde des Jüngsten ----------------------------------------- Samstag, 22.August 2015 Mit dem plötzlichen Einsetzen des piepsenden Weckers zuckte Masaru in seinem Bett zusammen und murrte leicht, bevor er sich umdrehte und die morgendliche Weckhilfe zum Schweigen brachte. Gähnend richtete sich der Schwarzhaarige auf und streckte sich erst einmal genüsslich, bevor er sich noch leicht verschlafen in seinem penibel aufgeräumten Zimmer umsah. Ihm gegenüber befand sich ein in die Wand eingelassener Kleiderschrank aus Echtholz, an dessen Türen sein dunkelblauer Hakama und das dazugehörige weiße Oberteil hingen. Rechts daneben befand sich seine geschlossene Zimmertür, während an der Wand zu seiner Rechten sein Schreibtisch stand, welcher ebenso ordentlich aufgeräumt war und auf welchem nichts am falschen Platz schien. Das Kopfende seines Bettes stand an der Wand mit einem großen Fenster, welches zu diesem Zeitpunkt noch von seinen Vorhängen verdeckt war, aber trotzdem schon leichtes morgendliches Licht hindurchließ. Darunter stand sein Nachttisch, auf dem sich sein Wecker befand, der in grünen digitalen Zahlen 5:35 Uhr anzeigte. An den Nachttisch angelehnt stand seine Tasche mit seiner Kendoausrüstung aus der Schule, sowie sein verpacktes Bambusschwert. Sich noch einmal streckend erhob sich Masaru einen Moment später aus seinem Bett und zog den Vorhang vor seinem Fenster beiseite, um etwas Licht in das dunkle Zimmer zu bringen. Langsam schob sich die Sonne bereits über die Berge im Osten und begann so die Stadt in ihr Licht zu tauchen. Er beobachtete dieses Naturschauspiel noch einen kurzen Moment, bevor er sich abwandte und sein Smartphone nahm, welches auf dem Schreibtisch lag, um kurz seine eingegangenen Nachrichten zu checken. Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er das Display entsperrt hatte und die einzelne eingegangene Nachricht las, die angezeigt wurde. Mit flinken Handgriffen schrieb er eine kurze Antwort und legte dann das schwarze Telefon wieder beiseite, um einen Moment später sein Zimmer zu verlassen und sich für den Tag fertigzumachen. Nicht mal eine halbe Stunde später öffnete der junge Mann, in seinen Hakama gekleidet, die Tür des Dôjôs, woraufhin ihn der erwartungsvolle Blick seines Vaters traf, der augenscheinlich auf ihn gewartet hatte. Wie es sich gehörte verbeugte sich Masaru einmal kurz, bevor er die Trainingshalle betrat, die Tür hinter sich schloss und dann auf seinen Vater zu ging. Der ältere Herr mit den grauen Haaren beobachtete seinen Sohn aufmerksam, wie dieser sich neben ihn kniete und noch einmal eine kurze Verbeugung machte. Zufrieden mit dieser Geste nickte Masarus Vater und kniete sich mit aufrechtem Rücken hin, während er die Hände auf den Schoß legte und die Augen schloss. Masaru tat es ihm nach und atmete ruhig durch. Kurz darauf war nur noch das Vogelgezwitscher von draußen zu vernehmen, während es in der Halle still wurde und man nur noch die ruhigen Atembewegungen der beiden Männer hören konnte. So lief es jeden Morgen in der Familie Shin ab. Noch vor dem Frühstück fanden sich die Familienmitglieder im Dôjô ein, um zu meditieren. Masarus Mutter hielt sich von diesem morgendlichen Ritual nur fern, wenn sie selber noch einiges zu erledigen hatte, was an diesem Morgen wohl auch der Fall gewesen war. Als Kind hatte der junge Mann dieses Ritual gehasst, denn er konnte nicht lange stillsitzen. Auch seine Geschwister hatte diese morgendliche Zeremonie genervt, denn ihre Eltern zogen es jeden Morgen durch, egal ob sie Schule oder Ferien hatten. Trotzdem waren sie jeden Tag pünktlich im Dôjô erschienen und hatten die Prozedur mit einem Murren über sich ergehen lassen. Masaru wusste jedoch auch, dass sie alle froh waren, als sie ihren eigenen Weg gehen und sich so davor drücken konnten, sodass am Ende nur noch er übrig war, der sich jeden Morgen mit seinen Eltern an diesem Ort traf, um zu meditieren. Und obwohl es ihn als Kind genervt hatte, so hatte er im Laufe des Älterwerdens auch die Vorzüge dieser einen Stunde am frühen Morgen für sich entdeckt. Denn egal wie hektisch die Tage verliefen, zu diesem Zeitpunkt konnte er seine Gedanken ordnen und zur Ruhe kommen. Vor allem jetzt, wo ihn die ganze Sache mit der Spiegelwelt beschäftigte, kamen ihm diese morgendlichen Meditationen gerade Recht. Auch dieses Mal nutze er diese Zeit, um über die ganze Sache nachzudenken. Am späten Nachmittag hatte Mirâ sie alle über das Gespräch mit Akisu informiert und dabei erwähnt, dass sich das Idol weder an ihr Verschwinden noch an die Zeit in der Spiegelwelt erinnern konnte. Auch die Persona-App hatte sich anscheinend nicht auf deren Smartphone installiert, was wohl wirklich hieß, dass sie gar keine Persona bekommen hatte. Das war alles mehr als merkwürdig und warf weitere Fragen zu dieser seltsamen Welt auf, die es zu klären galt. Als ob die ganze Sache nicht so schon merkwürdig genug wäre. „Du bist unruhig.“, holte ihn die Stimme seines Vaters aus den Gedanken, woraufhin der Schwarzhaarige leicht erschrocken die Augen öffnete und auf den älteren Mann sah. Dieser saß noch immer mit geschlossenen Augen so da, als sei er in tiefster Meditation. Trotzdem schien er die innere Unruhe in Masaru gespürt zu haben, die ihn durch die Spiegelwelt innewohnte. Der junge Mann senkte den Blick: „Verzeih.“ Seufzend öffnete sein Vater nun ebenfalls seine Augen: „Was beschäftigt dich?“ Erstaunt schnellte Masarus Blick wieder zu seinem Vater. Mit dieser Frage hatte er überhaupt nicht gerechnet, denn normalerweise überließ sein Vater ihn immer seinen eigenen Gedanken und fragte selten nach. „Wenn dich etwas so unruhig werden lässt, dann muss es etwas Wichtiges sein.“, erklärte sein Vater auf die stumme Frage seines Sohnes hin, „Wenn du allerdings nicht darüber sprechen möchtest, ist das auch in Ordnung.“ Masaru schwieg einen Moment und überlegte, wie er seinem Vater erklären sollte, was ihn beschäftigte. Die Spiegelwelt konnte er schlecht erwähnen und auch die Sache mit den Personas nicht. Er hätte Lügen können und die Sache mit dem Tempel erneut vorschieben können, aber auf die darauffolgende Diskussion hatte er keine Lust. Denn gerade wenn es um die Übernahme des Tempels ging war sein Vater ein elendiger Sturkopf, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Trotzdem musste er sich etwas einfallen lassen, denn er spürte ganz genau den erwartungsvollen Blick auf sich Ruhen. Doch plötzlich erhob sich sein Vater neben ihm, woraufhin der Schwarzhaarige fragend aufsah und beobachtete, wie der ältere Herr den Rücken durchstreckte und leise murmelte, dass er einfach nicht mehr der Jüngste sei. Dann drehte sich der Grauhaarige wieder zu ihm und sah ihn mit dunklen braunen Augen an: „Wie gesagt, es ist in Ordnung, wenn du nicht mit mir darüber sprechen möchtest oder vielleicht auch kannst. Du bist fast erwachsen, Masaru, und du musst deinen eigenen Weg finden, um Probleme zu bewältigen. Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich dir auch zugehört hätte, wenn du hättest drüber sprechen wollen.“ „Tut mir leid, Vater. Es ist nicht so, dass ich nicht drüber sprechen will. Es ist nur…“, begann Masaru mit gesenktem Blick, doch sein Vater unterbrach ihn: „Es ist okay.“ Noch einmal sah der junge Mann auf und blickte in das zwar strenge, aber auch liebevolle Gesicht seines Vaters, welcher sich erneut streckte und dann meinte, dass es Zeit für das Frühstück wäre, zumal sich beide nun eh nicht mehr konzentrieren konnten. Erstaunt beobachtete Masaru, wie sein Vater langsam auf den Durchgang zum Haupthaus zuging, durch welchen er selbst das Dôjô betreten hatte, und hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder das Gefühl ernst genommen zu werden. Die letzten Monate waren für ihn nicht immer einfach gewesen. Vor allem, wenn es um den Tempel ging, den er ja nun übernehmen sollte und wodurch er irgendwie immer zwischen zwei Stühlen saß. Trotz allem bereute er die Gedanken, welche er noch vor wenigen Monaten seinen Eltern gegenüber hatte, aufs tiefste. Nun diese Geste von seinem Vater zu erhalten, versetzte ihm dadurch erst recht einen Stich, machte ihn aber auch überaus glücklich. Vielleicht war es also doch nicht ganz unmöglich noch einmal das Gespräch mit seinen Eltern zu suchen. „Kommst du, Masaru?“, holte ihn die Stimme seines Vaters erneut aus den Gedanken. Schnell nickte der junge Mann und erhob sich aus seiner knieenden Position, um seinem Vater aus dem Dôjô zu folgen. Kurz darauf betraten beide Männer die doch recht geräumige und moderne Küche, woraufhin sie sofort von drei erstaunten Augenpaaren ins Visier genommen wurden. „Ohayou. Ihr Beiden seid aber heute zeitig dran.“, begrüßte sie Masarus Mutter, welche gerade dabei war die Miso-Suppe für das Frühstück zuzubereiten. „Konnte sich der Kleine wieder nicht konzentrieren?“, kam es schelmisch von einem jungen Mann mit schwarzen, etwas längeren Haaren, welcher es sich bereits an dem großen Esstisch bequem gemacht hatte. Die junge Frau mit den schwarzen, langen und mit einer Spange hochgesteckten Haaren lachte nur: „Hayate, sei nicht schon wieder so spitz zu unserem kleinen Bruder.“ Masaru schnaufte nur auf die Bemerkung seiner älteren Geschwister hin und setzte sich ebenfalls an den bereits gedeckten Tisch. Sein drei Jahre älterer Bruder Hayate, sowie seine sechs Jahre ältere Schwester Fuyumi hatten sich über die Sommerferien mal wieder bei seinen Eltern blicken lassen, was diese natürlich unheimlich gefreut hatte. Auch Masaru hatte sich natürlich gefreut die Beiden nach einiger Zeit endlich mal wiederzusehen, doch musste er dann wieder einmal feststellen, dass sie die Gelegenheit wieder einfach großzügig ausnutzten ihn durchgängig zu necken. So sehr ihn das Wiedersehen freute, so sehr hasste er es, dass sie ihn immer noch wie ein kleines Kind behandelten. „Wenn ihr schon da seid, warum wart ihr dann nicht auch bei der Meditation?“, konnte es sich der Jüngste der Anwesenden dadurch auch nicht verkneifen zu fragen. Ein Arm legte sich um seine Schulter und zog ihn zu seinem Bruder heran: „Och. Jetzt ist er wieder beleidigt.“ „Lass den Mist, Hayate!“, murrend befreite sich der Schwarzhaarige aus dem Griff seines Bruders, „Ich bin nicht beleidigt. Das war eine ernst gemeinte Frage.“ „Das weißt du doch, Masa. Oder?“, fragte seine Schwester daraufhin nur mit einem kleinen Lächeln. Erneut schnaufte Masaru. Natürlich wusste er wieso sie nicht da waren. Sie hatten einfach keine Lust mehr darauf. Weder auf die Meditation, noch auf den Tempel allgemein. Nicht umsonst waren sie dem Beispiel ihres ältesten Bruders Junichiro gefolgt und hatten die Stadt verlassen, um außerhalb zu studieren. Zwar blieben die Beiden in Japan, im Gegensatz zu Jun, welcher in Amerika arbeitete, doch trotzdem hatten sie sich damit vorerst aus der Verantwortung gestohlen und ihn damit alleingelassen. Und seine Eltern hatten es erst einmal so hingenommen. Wobei er es ja verstand. Was wollten sie ihren erwachsenen Kindern auch vorschreiben? Er als Jüngster hatte es da wesentlich schwerer sich durchzusetzen. "Nun aber genug gezankt, ihr Drei. Lasst uns lieber frühstücken.", kam es von ihrer Mutter, welche ein Tablett mit fünf gefüllten Suppenschüsseln auf den Tisch stellte und diese verteilte. Daraufhin kehrte Stille in der Küche ein, während sich die Fünf das Frühstück schmecken ließen, welches aus einer Schüssel Reis, zwei Sprotten, Gemüse und einer Schüssel Miso-Suppe bestand. „Da fällt mir ein, dass ich gestern Antwort von Jun bekommen habe. Und ihr werdet nicht glauben, was passiert ist.“, störte Fuyumi jedoch kurz darauf die Stille, bevor sie sich noch einen Happen Reis in den Mund steckte. Ihr Vater hob nur für einen kleinen Moment den Blick, bevor er sich wieder seinem Frühstück zuwandte, während ihre Mutter sie erwartungsvoll ansah. Auch Masaru blickte seine Schwester mit großen Augen an. Hayate allerdings schien es nicht wirklich zu interessieren. Die schwarzhaarige junge Frau schluckte ihr Essen herunter und erzählte weiter: „Jun hat jemanden kennengelernt. Also er hat jetzt eine Freundin. Naja was heißt jetzt? So wie ich das gelesen habe, sind sie wohl schon eine ganze Weile zusammen. Und der Idiot sagt nichts. Das muss man sich mal vorstellen. Dem muss man echt alles aus der Nase ziehen.“ Freudig legte Masarus Mutter die Hände zusammen: „Das ist ja schön für ihn.“ „Wenn er sich nur auch mal öfters hier blicken lassen würde.“, kam es dagegen todernst und leicht verstimmt von Masarus Vater. „Du weißt doch, dass es für ihn schwer ist jedes Mal herzukommen.“, stieß die älterer Frau ihren Mann in die Seite, welcher darauf nur murrte, bevor sie sich wieder an Fuyumi wandte und weitere Details forderte. Daraufhin erzählte die einzige Tochter des Hauses was sie wusste. Masaru jedoch hörte gar nicht mehr wirklich zu. Er hatte den Blick auf sein Essen gerichtet, doch sein Hunger war ihm in diesem Moment mächtig vergangen. Wenn sein ältester Bruder nun also anfing sich in Amerika ein eigenes Leben aufzubauen wurde die Chance, dass er wieder zurückkam und den Tempel doch noch übernahm, immer geringer. Auch von seinen anderen Geschwistern konnte der Schwarzhaarige keinen Einsatz für den Tempel erwarten, das wusste er. Egal wie er es drehte, es blieb an ihm hängen. Nun war ihm der Hunger endgültig vergangen, weshalb er nur still seinen Stuhl zurückschob und sein Geschirr zusammensammelte, ehe er dieses auf die Anrichte der Küche stellte. Aufmerksame Blicke beobachteten ihn, während er zur Tür ging und diese aufschob. „Ich kümmere mich schon mal um den Hof.“, meinte er nur, bevor er hinter sich die Tür zuschob und sich dann hinaus auf den Innenhof begab, um aus dem Schuppen einen Reisigbesen zu holen. Er wusste, dass sein Vater es nicht mochte, wenn er einfach während des Frühstücks aufstand und ging, weshalb er die Arbeit vorgeschoben hatte. So richtig Lust hatte er eigentlich auch nicht darauf, aber er hoffte, dass er dadurch eventuell auf andere Gedanken kommen würde. Außerdem wollte er nicht länger in der Küche bleiben. Da war es ihm doch lieber den Hof zu fegen. Seufzend öffnete er den kleinen Schuppen und schnappte sich einen Besen, eher er mit seiner Arbeit begann. „Hey Masa.“, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich, weshalb er bei seinem Tun kurz stockte und dann versuchte seine Schwester zu ignorieren. Auch wenn er wusste, dass er sich gerade wie ein trotziges Kind verhielt, so hatte er einfach keine Lust nun mit ihr zu sprechen. Ihm war es ja selbst peinlich, dass er sich so benahm, doch konnte er gegen diesen Drang in diesem Moment nichts tun. „Masa~“, hörte er erneut seinen Spitznamen, dieses Mal allerdings sehr langgezogen, was er erneut ignorierte. Seine Schwester gab jedoch nicht auf: „Och Mensch, Masaru~.“ „Urgh! Was denn nur!?“, fragte der Schwarzhaarige genervt und blickte zu Fuyumi, welche ihn nur breit angrinste. Sofort war dem Jüngeren klar, dass er wieder einmal auf den üblichen Trick seiner Schwester hereingefallen war. Diesen hatte sie schon früher benutzt, wenn er bockig war und mit ihr nicht sprechen wollte. Und auch dieses Mal hatte es wieder funktioniert, dass er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte, obwohl er sie ignorieren wollte. Er seufzte und rieb sich die Nasenwurzel, während er seinen Blick senkte. Dabei merkte er nicht einmal, wie die Ältere sich auf ihn zubewegte. Erst als er bemerkte, wie er in eine Umarmung gezogen wurde, blickte er wieder auf und in das lächelnde Gesicht seiner Schwester, welches allerdings auch Mitgefühl wiederspiegelte. „Tut mir leid, dass das alles an dir hängen bleibt. Das war nicht unsere Absicht. Auch nicht Juns. Das musst du uns glauben.“, sagte die Schwarzhaarige, „Aber… niemand zwingt dich dazu, den Tempel zu übernehmen. Keiner kann dich davon abhalten, das zu tun, was du willst.“ „Das sieht Vater anders.“, murmelte der Jüngere, woraufhin seine Schwester seufzte. „Ich weiß. Die Diskussionen haben wir alle zur Genüge durch.“, meinte sie dann, „Aber auch Vater kann dich nicht davon abhalten, wenn du nach der Schule den Tempel verlassen willst. Dann muss er sich einen anderen Nachfolger suchen. Er könnte zum Beispiel wieder Schüler einstellen.“ Masaru befreite sich aus der Umarmung seiner Schwester und wandte sich wieder dem Fegen zu: „Das sagt sich so einfach.“ „Ich weiß. Er ist ein oller Sturkopf.“, lachte Fuyumi, „Aber trotzdem kann er dich nicht zu etwas zwingen, was du nicht möchtest. Und das weißt du, Masaru. Wenn du den Tempel nicht übernehmen möchtest, dann musst du das nicht tun. Jun und Hayate sind im Übrigen der gleichen Meinung. Deshalb solltest du aufhören dich damit zu belasten und das tun, was du möchtest.“ Wieder stoppte Masaru bei seiner Arbeit und ließ die Schultern sinken: „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was ich will. Ich kann mir nicht vorstellen das hier alles zu übernehmen, aber ich will mir auch nicht vorstellen, dass jemand anderes das hier alles übernimmt. Ach keine Ahnung. Ich habe die letzten Monate viel über alles nachgedacht, aber ich komme dabei einfach nicht auf ein Ergebnis.“ Die Schwarzhaarige bedachte ihren jüngeren Bruder mit einem mitfühlenden Blick: „Noch ist ja etwas Zeit und du kannst in Ruhe darüber nachdenken. Und wenn du darüber sprechen möchtest, dann haben wir alle ein offenes Ohr für dich. Ich hoffe das weißt du, Brüderchen.“ Erstaunt sah der Jüngere zu seiner Schwester. Früher haben seine älteren Geschwister jede Möglichkeit genutzt ihn aufzuziehen, weshalb er solche Worte von der Älteren nicht erwartet hatte. Doch musste er damit feststellen, dass auch sie in den letzten Jahren erwachsener geworden war. Ihn überkam ein leichtes schlechtes Gewissen, weil er sich so kindisch verhalten hatte, weshalb er wieder den Blick senkte. Jedoch sah er wieder auf, als sich seine Schwester streckte und meinte, sich nun ebenfalls an die Arbeit machen zu müssen. Erst in diesem Moment fiel dem Schwarzhaarigen auf, dass die Ältere ebenfalls ihre Tempeltracht trug: Einen roten Hakama und das dazugehörige weiße Oberteil. Ihre Haare hatte sie jedoch immer noch mit einer Spange hochgesteckt und es sah auch nicht so aus, als würde sie das ändern wollen. „Schau nicht so überrascht. Mutter hat uns gebeten zu helfen und naja… wir können uns ja hier auch nicht nur durchfuttern, ohne wenigstens etwas zu machen. Außerdem schien Vater doch etwas verstimmt und wir wollten ihn wieder etwas gnädig stimmen.“, lachte Fuyumi und machte sich auf den Weg in den vorderen Teil des Tempels, wo die Ema verkauft wurden, „Falls du mich suchst, ich bin vorne im Talisman- und Emashop.“ Damit war die Schwarzhaarige verschwunden. Masaru hatte ihr eine Weile hinterhergesehen, bis sie aus seinem Sichtfeld verschwunden war und hatte sich dann wieder dem Fegen des Hofes gewidmet. Die Arbeit ging ihm nun doch plötzlich etwas leichter von der Hand. Auch er selbst fühlte sich etwas leichter, als noch vor einigen Minuten. Zu wissen, dass seine Schwester und anscheinend auch seine älteren Brüder hinter ihm standen, machte ihn irgendwie glücklich, sodass er nun leicht summend seine Arbeit verrichtete. Am späten Nachmittag hatte sich der Schwarzhaarige mitsamt seiner Kendoausrüstung im Dôjô eingefunden, genau wie einige andere junge Männer, welche die Kendo-Schule seines Varters besuchten. Schweigend saßen sie alle in einer Reihe und warteten darauf, dass der Meister die Halle betrat, doch noch ließ er auf sich warten. Als sich eine Tür des Dôjôs öffnete waren sofort alle Blicke auf diese gerichtet, in der Erwartung, dass endlich der Meister kam, doch wurden die jungen Männer enttäuscht. Überrascht blickte Masaru auf den Neuankömmling, welcher in die Halle stolperte und sich dann mit einem breiten Grinsen neben ihn setzte. Es war sein älterer Bruder Hayate, welcher soeben Platz genommen hatte und dem der erstaunte Blick seines jüngeren Bruders aufgefallen war. Vorsichtig lehnte sich der Ältere zu ihm herüber: „Ich hab Vater gebeten heute am Training teilnehmen zu dürfen. Ich dachte es wäre schön mal wieder das Bambusschwert zu schwingen. Wie wäre es also nachher mit einem Übungskampf, Brüderchen?“ „Das haben nicht wir zu entscheiden, Hayate. Das weißt du.“, flüsterte Masaru ernst und blickte auf, als die Tür erneut aufging und nun endlich sein Vater die Übungshalle betrat. Sofort gingen alle Schüler in eine tiefe Verbeugung. Zu Masarus Überraschung sogar Hayate. In seiner Familie war es üblich, dass die Jungs ebenfalls im Kendo unterrichtet wurden. Sein Vater hatte da keine Ausnahmen gemacht, doch wusste Masaru auch, wie sehr Hayate dieses Training verabscheut hatte, denn es war hart und es gab keine Ausreden, um nicht daran teilnehmen zu müssen. Der Ältere hatte es mehrere Male versucht, damit jedoch nur den Unmut seines Vaters auf sich gezogen und sich am Ende doch gebeugt. Allerdings hatte er es dadurch nicht wirklich ernst mit den Benimmregeln genommen und gerne auch mal die Verbeugung weggelassen, was oft dazu führte, dass er gegen Junichiro oder gar gegen seinen Vater trainieren musste und dabei kläglich verlor. Hatte er einen guten Tag, dann war meist Masaru sein Gegner gewesen. Der Jüngere musste zu diesem Zeitpunkt schmerzhaft feststellen, das Hayate, obwohl er keine Lust auf diesen Sport hatte, trotzdem ziemlich gut darin war. Damals hatte der Jüngere keine Chance gegen ihn gehabt und war nicht nur einmal schmerzhaft zu Boden gegangen. Die blauen Flecken, die er sich an diesen Trainingstagen zugezogen hatte, hatte er irgendwann aufgehört zu zählen. Zudem hatte er zum damaligen Zeitpunkt das Gefühl gehabt, dass Hayate an ihm seinen Frust ausgelassen hatte. Wahrscheinlich war es sogar so gewesen, doch hatte er das niemals angesprochen. Allerdings erinnerte er sich nicht gerne daran zurück. Wiederum konnte er sich dem Gedanken nicht entziehen, dass er heute Rache dafür nehmen konnte, auch wenn er wusste, dass es der falsche Weg war an diesen Sport heranzugehen. Und trotzdem hatte er plötzlich das Bedürfnis doch gegen seinen Bruder zu kämpfen. Mit einem Räuspern verschaffte sich Masarus Vater die volle Aufmerksamkeit seiner Schüler und mit einer höflichen Begrüßung, welche ebenso höflich erwidert wurde, begann er seinen Unterricht. Jedoch nicht sofort mit dem Schwertkampf. Wie es sich gehörte begann der Meister die Stunde mit einer kurzen Sitzmeditation, wodurch sogleich wieder Stille in der Übungshalle einherging. Erst danach begann das eigentliche Training, welches aus Suburi, den Bewegungsübungen, und dem Ashi-Sabaki, der Fußbewegung, bestand. Masaru, wie auch seine Mitschüler, machten geduldig ihre Übungen, während der Schwarzhaarige an seinem Bruder etwas feststellte, was auch bereits die Jahre zuvor zu Problemen geführt hatte. Denn genau diese Übungen machte Hayate sehr ungern, weil sie ihn langweilten. Das wussten der Jüngere und auch sein Vater genau, doch wusste der Ältere auch, dass sie zum Training gehörten. Natürlich machte er seine Übungen mit, allerdings nicht wirklich mit Begeisterung. So war es auch nur eine Frage der Zeit, bis seinem Vater der Geduldsfaden riss. „Genug!“, schallte es plötzlich durch die Halle, woraufhin alle kurz zusammenzuckten und sich dann in eine Reihe aufstellten, „Hayate, wenn du schon am Unterricht teilnimmst, dann mach es wenigstens ordentlich.“ Der junge Mann verdrehte die Augen: „Aber diese Übungen sind so langweilig. Da schläft man doch ein.“ Die Spitze den Bambusschwertes, welches sein Vater in der Hand hielt, wurde auf ihn gerichtet: „Disziplin, Durchhaltevermögen und Respekt gehören zu den Grundpfeilern des Kendos. Das solltest du nach all den Jahren wissen.“ Wieder hatte Hayate die Augen verdreht und seinen Vater sogar nachgeäfft, bevor er lautstark die Luft aus seinen Lungen blies: „Ja, ja. Ich weiß. Trotzdem ist das langweilig. Au…“ Das Schwert seines Vaters hatte ihn am Kopf getroffen, ebenso dessen strenger und durchdringender Blick, der sogar Masaru zusammenzucken ließ: „Wie ich sehe hast du dich nicht geändert, Hayate. Gut, wenn du meinst, dass du es nicht nötig hast, dann zeig mir was du kannst. Masaru!“ Sofort stand der Jüngere kerzengerade, während das Schwert seines Vaters auf ihn zeigte. „Zeig deinem Bruder, wie wir bei uns trainieren.“, forderte der alte Mann ernst. Masarus Blick ging zu seinem Bruder, welcher ihn schelmisch angrinste. Er konnte den Augen Hayates förmlich ablesen, wie sie ihm sagten, dass er ihn fertigmachen würde. Doch im Gegensatz zu den Jahren zuvor, wo sich der Jüngere von diesem Blick hatte einschüchtern lassen, blieb er dieses Mal gelassen. Ja, er hatte sogar richtige Vorfreude darauf, immerhin wusste er, dass sein älterer Bruder in den letzten Jahren wahrscheinlich so gut wie gar nicht trainiert hatte. Er wiederum hatte keine seiner Kendostunden verpasst, sei es in der Schule, noch in dem Dôjô seines Vaters. Angst brauchte er also gar keine zu haben. Trotzdem wusste er, dass er vorsichtig sein musste, denn Hayate kannte einige schmutzige Tricks auf die er als Kind nicht nur einmal hereingefallen war. Allerdings verhinderte dies nicht, dass sich ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht legte, während er sich seinem Bruder gegenüberstellte. Das kurze Rascheln der Hakamas und das Klackern der abgelegten Helme, als sich alle Schüler im Raum an den Rand des Dôjôs setzten, um diesem Kampf zuzusehen, verstummte nur wenige Minuten nachdem es aufgetreten war. „Bis einer zu Boden geht oder das Schwert fallenlässt. Aber bleibt fair.“, verkündete der Meister ruhig und hob seinen Arm, um abzuwarten bis beide Gegner sich voreinander verbeugt und dann in Stellung gebracht hatten. Erst danach ließ er den Arm sinken und ging zur Seite, woraufhin der Kampf beginnen konnte. Anfangs jedoch standen sich die beiden Brüder nur gegenüber und schienen den ersten Zug des anderen abzuwarten. Masaru jedoch wusste, dass Hayate nicht der Geduldigste war und so war es auch nicht verwunderlich, als dieser seinen ersten Angriff wagte und nach vorn stürmte. Sofort machte der Jüngere einen Satz zurück und wich somit nur ganz knapp dem Schwert des Anderen aus, das ihn fast am rechten Handgelenkt getroffen hätte. Jedoch eröffnete sich ihm bei diesem Angriff eine Lücke für einen Gegenangriff, woraufhin auch er nun nach vorn stürmte und seinen Bruder mit dem Ausruf „Migi“ an der rechten Bauchseite traf. Dieser zuckte zusammen, woraufhin der Jüngere wieder zurück in seine Ausgangsposition ging und grinste. „Nicht schlecht, Kleiner.“, grinste auch Hayate und ging ebenfalls zurück in Stellung, „Ich sehe, du hast geübt.“ „Mehr als du auf jeden Fall.“, meinte Masaru nur. So standen sie sich wieder wie zu Beginn gegenüber und warteten darauf, dass der Erste seinen Zug machte. Aus seinen letzten Kämpfen jedoch hatte Masaru gelernt geduldiger zu sein und wartete deshalb ab, immerhin ging es hier nicht wie in einem Wettkampf nach Zeit. Es dauerte auch nicht lange und seine Geduld zahlte sich aus, als Hayate erneut zum Angriff überging, was der Jüngere jedoch zu parieren wusste. Anders als beim ersten Angriff seines Bruders ließ er ihm dieses Mal keine Möglichkeit für einen Gegenangriff, weshalb ihm vorerst nur die Verteidigung blieb. Doch auch als er endlich eine Lücke und somit die Gelegenheit zu einem Gegenangriff fand, so hatte sein Bruder sich darauf eingestellt und schaffte es seine Schläge dieses Mal zu parieren. Dadurch gab er diesem allerdings auch die Möglichkeit einige Treffer zu landen, welche jedoch nicht zum Sieg führten. So zog sich dieser Kampf über mehrere Minuten, in denen sich beide Brüder nichts schenkten und immer wieder gegenseitig Treffer kassierten. Den anderen Schülern in der Halle blieb dabei der Mund offenstehen, während der Vater der Beiden den Kampf mit voller Aufmerksamkeit beobachtete und sich dabei über das Kinn strich. Erstaunt darüber, dass sein älterer Sohn doch noch so viel des Trainings behalten hatte, musste er nun zusehen, wie Masaru immer weiter zurückgedrängt wurde, es jedoch schaffte trotzdem jeden weiteren Schlag Hayates zu parieren. „Hm?“, der alte Mann sah interessiert auf, als er plötzlich eine Lücke in Hayates Verteidigung bemerkte. Doch noch bevor er sich fragen konnte, ob diese auch seinem jüngsten Sohn aufgefallen war, hatte dieser seine Chance bereits genutzt und seinem Bruder mit einem lauten „Tsuki“ einen Stoß gegen die Kehle versetzt, welche durch den Helm geschützt war. Völlig überrascht über diese Aktion versuchte Hayate zu parieren, doch da war es bereits zu spät. Das Schwert seines jüngeren Bruders traf ihn hart und ließ ihn einen Moment später zu Boden gehen. Mit einem dumpfen Knall landete der Ältere auf dem Boden, während sein Schwert scheppernd ebenfalls neben ihn fiel. „AUS!“, schrie ihr Vater und hob den Arm, „Masaru hat gewonnen.“ Ein Raunen ging durch die Schüler, während Masaru schwer atmend vor seinem Bruder stand. So richtig glauben konnte er es nicht, aber er hatte tatsächlich gegen Hayate gewonnen. Zum ersten Mal. Er war so erstaunt darüber, dass er beinahe seine Manieren vergaß, wenn sein Vater ihn nicht mit einem Räuspern daran erinnert hatte. Schnell verbeugte sich der Schwarzhaarige vor seinem Bruder, welcher sich langsam wieder aufrichtete und sich die Stelle unter seinem Helm rieb, welche Masaru getroffen hatte. „Urgh… Das war hart.“, murmelte er, „Nicht schlecht, Brüderchen. Ich hätte nicht gedacht, dass du so gut geworden bist.“ Der Angesprochene wusste gar nicht was er sagen sollte, deshalb übernahm sein Vater dies für ihn: „Im Gegensatz zu dir trainiert Masaru auch regelmäßig. Es war also abzusehen. Das sollte dir aber auch eine Lehre sein, Hayate. Unterschätze niemals deinen Gegner, selbst wenn du der Meinung bist ihm überlegen zu sein.“ „Schon klar.“, langsam stand Hayate wieder auf und löste seinen Helm, um diesen von seinem Kopf zu nehmen, „War ein guter Kampf, Brüderchen. Vielleicht können wir das ja mal wiederholen. Dann kannst du dich aber auf was gefasst machen.“ „Wenn du meinst.“, Masaru konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als ihm sein Bruder die Hand entgegenhielt, in welche er einschlug. Später am Abend lag der Schwarzhaarige auf seinem weichen Bett und tippte noch eine Nachricht auf seinem Smartphone, als ihm eine eingehende Nachricht angezeigt wurde. Schnell schrieb er noch den Text zu Ende, an dem er bereits getippt hatte und schickte diesen ab, bevor er den Chat von sich und seinem besten Kumpel öffnete. Erstaunt blickte er auf die Zeilen, die der Braunhaarige geschrieben hatte, in welchen dieser ihn fragte, ob er Lust habe am nächsten Tag mit ihm und Amy gemeinsam einen kleinen Stadtbummel mit abschließendem Kinobesuch zu machen. Etwas irritiert, wieso sein Kumpel ihn bat mitzukommen, wenn er mit einem Mädchen unterwegs war, antwortete Masaru ob Dai nicht lieber mit der Blonden alleine sein wollte. So viel Anstand hatte der Schwarzhaarige, immerhin wusste er, dass sein bester Kumpel in die Managerin des Kyûdo-Clubs verliebt war. „Es war Himes Idee dich zu fragen, ob du mitkommen möchtest. Ich war auch irritiert, aber an sich habe ich nichts dagegen, wenn wir was zu Dritt machen. Außerdem ist Hime eine echte Shopping Queen. Ich könnte also Hilfe beim Tragen gebrauchen. xD“, “, war die Antwort des Braunhaarigen kurz darauf. Masaru musste schmunzeln und antwortete nur knapp, dass Dai es also nur ausnutzte, um nicht alles alleine schleppen zu müssen. Doch nachdem dieser ihm nur ein kurzes „äh x‘D“ geantwortete hatte, stimmte Masaru dem Treffen am nächsten Tag zu. Amy würde schon ihre Gründe haben, wieso sie vorgeschlagen hatte, dass auch er mitkam. Nachdem sich beide jungen Männer eine Zeit für den nächsten Tag ausgemacht hatten, stand der Schwarzhaarige auf, um sein Smartphone sorgfältig auf seinen Schreibtisch zu legen und sich danach selber ins Bett zu machen. Es war spät und er hatte einen langen Tag hinter sich, sodass die Müdigkeit nicht lange auf sich warten ließ. Mit einem gekonnten Griff schaltete er die kleine Lampe auf seinem Nachttisch aus, sodass Dunkelheit in sein Zimmer einkehrte. Es dauerte auch nicht lange und der junge Mann war mit dem Gedanken, dass es an sich doch ein ganz guter Tag war, tief und fest eingeschlafen. Kapitel 63: LXIII - Doppeldate ------------------------------ ??? Langsam öffne ich meine Augen, als ich die mir vertraute Arie höre, welche sanft durch den Velvet Room klingt, und erwarte bereits in das grinsende Gesicht von Igor zu blicken, der mir wie immer gegenübersitzt. Doch kaum habe ich mich an das blaue Licht in diesem merkwürdigen Raum gewöhnt, muss ich erstaunt feststellen, dass das Sofa mir gegenüber leer ist, genau wie der Tisch, auf welchem sonst immer irgendwelche Tarotkarten liegen. Irritiert sehe ich mich um, doch kann ich die Langnase nirgends erspähen. Das kann doch echt nicht wahr sein. Da nutzt man einmal freiwillig die App-Funktion des Velvet Rooms und dann ist Igor nicht anzutreffen. Dabei will ich ihn zu der Sache befragen, dass Akisu keine Persona erhalten hat. Und nun ist der Typ nicht da. Beleidigt blähe ich leicht meine Wangen auf, als mich eine bekannte weibliche Stimme aufschrecken lässt. „Willkommen im Velvet Room.“, spricht sie mich an, woraufhin ich meinen Blick wieder auf das Sofa richte, an dessen Seite nun plötzlich Margaret sitzt und leicht amüsiert lächelt, „Das wollte ich schon immer mal sagen.“ Wieder einmal frage ich mich, wo sie so plötzlich herkommt, doch schiebe diesen Gedanken in meinem Gehirn nach ganz weit hinten: „Margaret, wo ist Igor?“ „Der Meister ist gerade nicht hier, wie du siehst. Er besucht gerade einen anderen Gast, den er betreut.“, erklärt mir die Blonde ruhig und immer noch lächelnd. „Einen anderen Gast?“, frage ich mehr an mich gerichtet. Es dauert eine Weile, bis diese Informiation so richtig mein Gehirn erreicht, doch dann wende ich mich wieder an die Frau mir gegenüber: „Heißt das etwa, dass es aktuell irgendwo noch eine andere Wild Card neben mir gibt? Das würde bedeuten, dass es an einem anderen Ort auch solche merkwürdigen Vorfälle gibt?“ Margaret schweigt, doch lächelt mich weiter an, weshalb ich meine Gedanken für mich arbeiten lasse. Es gibt also irgendwo noch eine weitere Wild Card, die gerade in der gleichen Situation steckt wie ich. Und Igor betreut auch sie. Moment? „Heißt das Igor betreut alle Wild Card Besitzer?“, ist meine nächste Frage an die Frau gerichtet, welche nun leicht nickt, mir aber ansonsten keine weitere Antwort gibt. Wieder versinke ich in Gedanken, während ich überlege, ob ich in den letzten Wochen von irgendwelchen merkwürdigen Vorkommnissen gehört habe. Doch egal wie sehr ich darüber nachdenke, mir fällt nichts ein. Die letzten Wochen und Monate waren für mich so stressig und vollgepackt, dass ich gar keine Zeit hatte mich über andere Dinge zu informieren. Ich schüttle den Kopf, als mir klar wird, dass es eh keinen Sinn macht darüber nachzudenken. Den anderen Wild Card Besitzer zu treffen würde mich in meiner Sache mit Sicherheit nicht weiterbringen, immerhin wird derjenige eigene Probleme haben. „Was wolltest du denn von meinem Meister?“, holt mich Margarets Stimme wieder aus meinen Gedanken, weshalb ich sie wieder anschaue. „Ach ja… es geht um die Tatsache, dass Akisu keine Persona bekommen hat. Das ist bisher noch nie passiert.“, erkläre ich der blonden Frau. Diese scheint kurz zu überlegen: „Nun. Was die Persona angeht… ich kann dir so viel erzählen, dass es ein bestimmtes Potential braucht, um seine zweite Persönlichkeit zu manifestieren. Hat man dieses Potential nicht, so kann auch keine Persona erscheinen.“ „Das heißt, Akisu hat einfach nicht genug Potential dafür?“, frage ich noch einmal nach, obwohl ich es eigentlich verstanden habe. So wirklich weiter bringt mich diese Aussage nicht. Dass es etwas mit Potential zu tun hat, ist mir selber schon bewusst. Ich seufze, als mir klar wird, dass ich aus Margaret wahrscheinlich nicht mehr herausbekommen werde. Wahrscheinlich weiß sie auch nicht mehr, als das, was sie mir erzählt hat. Ich bin mir sicher, dass Igor mehr weiß, allerdings kommen mir langsam Zweifel, ob er mir überhaupt etwas dazu erzählen würde. Zu dem Schatten, den wir in Akisus Dungeon gesehen haben hat er mir auch nichts Hilfreiches erzählt. Mein Ausflug hier her war also umsonst. Naja… noch einmal seufze ich, als ich merke, wie das Bild um mich herum langsam verschwimmt. „Wir mir scheint ist unsere Zeit um. Dann bis zum nächsten Mal, werter Gast.“, höre ich noch Margarets Stimme, bevor ich erst in gleißendes Weiß und dann in tiefe Dunkelheit tauche. Sonntag, 23.August 2015 „Nanu. Mirâ, was machst du denn hier?“, ließ Mirâ eine ihr nur allzu bekannte Stimme aufschauen und sie sofort leicht rot anlaufen, als sie auf Masaru blickte. Dieser schaute sie mit einem freundlichen Lächeln an, doch merkte man ihm an, dass er ziemlich verwirrt wirkte. Auch Mirâ war erstaunt, den Älteren hier anzutreffen. Sie hatte sich immerhin eigentlich mit Amy verabredet, welche sie am Abend gefragt hatte, ob sie nicht Lust hätte noch einen Stadtbummel mit ihr zu machen. „Ähm… Iwato-senpai hatte mich herbestellt, weil wir uns zu einem Stadtbummel verabredet hatten.“, erklärte die junge Frau ihrem Senpai, dessen Gesichtsausdruck gleich noch irritierter wurde. „Ach so? Dai hat davon gar nichts erzählt.“, meinte er plötzlich, was nun auch Mirâ stutzig werden ließ, „Er hat mich gestern Abend auch gefragt, ob ich mit ihm und Hime gemeinsam etwas unternehmen will. Deshalb überrascht es mich gerade, dass er nicht erwähnt hat, dass du auch dabei bist.“ Mit großen Augen sah Mirâ ihren Schwarm an und ahnte so langsam, was hier eigentlich los war. Anscheinend hatte Amy das alles so eingerichtet, damit sie auf eine Art Pärchen-Date gehen konnten. Jedenfalls kam es der Violetthaarigen so rüber. Bei dem Gedanken, dass es sich um ein Pärchen-Date handeln könnte, lief sie sogleich leicht rot an und drehte ihren Blick von Masaru weg, damit dieser es nicht mitbekam. Vorsichtig fragte sie jedoch nach, ob es ihn denn stören würde, wenn sie dabei wäre. Der Ältere lachte freundlich: „Wieso sollte es? Es hat mich nur überrascht. Wie gesagt: Dai hatte nichts erwähnt.“ Zu hören, dass es Masaru nichts ausmachte, dass sie dabei war, machte die junge Frau überglücklich, weshalb sie den Blick wieder hob und ihren Senpai mit einem fröhlichen Lächeln zunickte. Dann erklärte sie, dass auch sie überrascht wäre, weil Amy nichts dergleichen erwähnt hatte. Zwar fand es der Schwarzhaarige etwas merkwürdig, dass auch die Blonde der Jüngeren nichts dazu gesagt hatte, aber meinte dann, dass die beiden schon ihre Gründe gehabt hatten. Trotzdem freue er sich darauf den heutigen Tag mit ihnen allen zu verbringen. Wieder überkam die Violetthaarige ein Gefühl der Glückseligkeit, als sie dies hörte. Sie hatte das Gefühl sie könne an diesem Tag gar nicht mehr aufhören zu grinsen, selbst wenn es wahrscheinlich total dämlich aussah. Was auch immer Amy sich dabei gedacht hatte, sie war der Blonden überaus Dankbar, immerhin konnte sie so einen weiteren Tag mit ihrem Schwarm verbringen, wenn auch nicht alleine. Sie hatte nach der Aktion im Zoo ohnehin keinen richtigen Mut mehr den Älteren um eine weitere Verabredung zu bitten, zumal erneut die Gefahr bestand, dass sich Junko einmischen würde. Wenn sie an die Aktionen im Zoo zurückdachte, so hatte sie immer wieder das Gefühl, die Kleine hatte das alles mit Absicht gemacht. Jedoch wusste Mirâ nicht, wieso sie das hätte tun sollen, zumal Junko noch viel zu jung war, um so etwas zu verstehen. Jedenfalls redete die junge Frau sich das ein. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass an der Aktion etwas nicht gestimmt hatte. „Oh man… das ist doch wirklich typisch.“, holte sie Masarus Stimme aus den Gedanken und ließ sie zu ihm hinaufschauen. Sein Blick war auf etwas vor ihnen gerichtet, weshalb auch Mirâ in diese Richtung sah. Dabei fielen ihr zwei Personen auf, die sich anscheinen zu streiten schienen. Es waren Dai und Amy, welche über etwas diskutierten. Energisch redete der Braunhaarige auf die Blonde ein, welche eine Weile Konter zu geben schien und dann plötzlich zurückschreckte, während sie sich die Hand vor den Mund hielt. Einen Moment hatte Mirâ das Gefühl, als würde sie mit ihren grünen Augen zu ihr schauen, doch verwarf sie diesen Gedanken wieder, da die Ältere sogleich wieder auf Dai einging und mit ihm sprach. Dieses Mal jedoch ruhiger. Es schien, als würde sie ihm etwas erklären, doch der Braunhaarige fasste sich nur an die Stirn und schien zu seufzen. Er sagte noch einmal kurz etwas zu der jungen Frau, dann schien die Diskussion für ihn beendet und er wandte sich in Mirâs und Masarus Richtung. Noch einmal sagte Amy etwas zu ihm, bevor sie gemeinsam auf die beiden Anderen zukamen. „Ihr seid auch nur am Streiten ihr beiden. Worum ging es dieses Mal?“, fragte Masaru, während er seinen besten Kumpel begrüßte. „Ach nichts Besonderes.“, antwortete der Braunhaarige nach der Begrüßung und wandte sich dann Mirâ zu, „Grüß dich Shingetsu.“ „Guten Tag Senpai.“, grüßte die junge Frau freundlich, „Vielen Dank, dass ich heute mitkommen darf.“ Dai lächelte, auch wenn Mirâ das Gefühl hatte, dass es nicht so ganz echt war: „Ja kein Problem. Ich hoffe du hast Spaß.“ „Natürlich wird sie Spaß haben.“, kam es sogleich von Amy, welche sich Mirâ um den Hals warf, „Nicht war, Mirâ?“ Die Violetthaarige nickte mit einem freundlichen Lächeln. Trotzdem hatte sie in diesem Moment den Eindruck, als würde sie stören. Sie wusste nicht woher das Gefühl kam, doch es war ihr unangenehm. Eigentlich hatte sie sich auf einen schönen Tag gefreut, doch nun hatte sie das Gefühl eine störende Quelle zu sein. Ob es daran lag, dass Amy anscheinend weder Dai noch Masaru Bescheid gegeben hatte, dass sie mitkam? Dann fragte sie sich allerdings, wieso sie nichts gesagt hatte. Irgendwie hatte Mirâ in diesem Moment den Drang wieder nachhause zu gehen und sich in ihr Bett zu verkriechen. Das Glücksgefühl, was sie noch vor wenigen Minuten hatte, war mit einem Schlag wieder verschwunden. „Ist alles in Ordnung Mirâ?“, holte sie Amys Stimme aus den Gedanken, weshalb sie aufsah, „Entschuldige, wenn dich das alles so überrumpelt. Ich hatte vergessen Dai Bescheid zu geben, dass du mitkommst. Das soll aber nicht heißen, dass du nicht willkommen bist. Auch wenn der Idiot es so aussehen lässt.“ Mit einem bösen Blick sah sie zu dem Braunhaarigen, welcher sofort wusste worum es ging und sich an der Wange kratzte: „Entschuldige, Shingetsu. So sollte es nicht rüberkommen. Du bist natürlich herzlich willkommen.“ „Der Meinung bin ich auch.“, lächelte sie Masaru freundlich an, woraufhin ihr Herz sofort wieder einen kleinen Sprung machte und ihre Stimmung etwas hob, „Lasst uns heute einen schönen Tag haben. Oder was meint ihr?“ Dai nickte, ebenso wie Mirâ, während Amy voller Elan zustimmte. Zwar war die Violetthaarige damit etwas beruhigter, doch das merkwürdige Gefühl blieb. Schnell versuchte sie dieses wieder zu verdrängen und sich auf den Tag zu freuen. Immerhin würde sie einen weiteren Tag mit ihrem Schwarm verbringen. Was wollte sie mehr? Sie sollte diesen Tag also genießen. Mit einem leichten Nicken zu sich selbst, hatte sie es somit also auch geschafft die dunklen Gedanken zu vertreiben und wandte sich den anderen dreien zu, welche gerade dabei waren zu entscheiden, was sie zuerst machen sollten. Sofort war Amy zur Stelle und kündigte eine Shopping Tour an, gegen welche Dai allerdings Protest einwandte. Doch die Blonde ließ sich nicht beirren, woraufhin eine weitere kleine Diskussion zwischen den beiden ausbrach, die der Braunhaarige allerdings kläglich verlor. So war also ihr erstes Ziel entschieden: Die Einkaufsmeile und das Einkaufszentrum. Dai seufzte, während Masaru ihm mit einem mitleidigen Lächeln auf die Schulter klopfte. Ohne weiter zu diskutieren hatte sich Amy kurz darauf bei Mirâ eingehakt und diese hinter sich hergezogen, während die beiden jungen Männer ihnen folgten. So klapperte das Vierergespann mehrere Läden ab und obwohl die beiden jungen Frauen erst vor kurzem zusammen shoppen waren, so war Mirâ erstaunt, wie viele Dinge Amy trotz allem noch fand, die sie unbedingt haben wollte. Noch mehr irritierte sie allerdings, wie die junge Frau sich das alles leisten konnte und sie fragte sich, ob Amy irgendwo einen Nebenjob hatte. Mirâ nahm sich vor die Blonde bei Gelegenheit dazu zu befragen, doch freute sich erst einmal für die Ältere, als sie erneut etwas fand. Die Jungs, allem voran Dai, hatte jedoch irgendwann die Schnauze voll und schlug deshalb vor, dass sie doch langsam eine kleine Pause einlegen und gemeinsam Mittagessen könnten. Immerhin wollten sie am Abend noch ins Kino und das wäre mit leerem Magen wohl nicht so lustig. So fanden sich die vier etwas später in einem Diners wieder, wo sie es sich bequem machten und nun die Speisekarte studierten. Jeder hatte zwischen seinen Beinen mindestens eine Tüte von Amys Einkäufen klemmen, doch störte das in diesem Moment niemanden. „Ich glaubs einfach nicht, dass du so viel eingekauft hast.“, meinte Dai zu Amy, nachdem alle ihre Bestellungen abgegeben und ihre Getränke bekommen hatten. Die Blonde nippte an ihrem Tonic und sah den Braunhaarigen mit großen Augen an: „Wieso? Die Klamotten waren alle so schön.“ „Das trägst du doch gar nicht alles. Oder?“, meine der Braunhaarige daraufhin nur, doch Amy zuckte nur mit den Schultern, „Oh man.“ „Lass sie doch.“, meinte Masaru und legte seinem Kumpel beschwichtigend die Hand auf die Schulter, „Wenn es Hime glücklich macht. Außerdem möchte sie doch hübsch für dich sein.“ Durch das plötzliche Husten von Amy aufgeschreckt, klopfte Mirâ der Blonden vorsichtig auf den Rücken, damit diese sich wieder beruhigen und Luft holen konnte, während Dai seinen besten Kumpel mit großen Augen und knallig rotem Gesicht ansah. Dabei zierte Masarus Gesicht ein breites Grinsen, welches sogar Mirâ dazu veranlasste zu kichern. In diesem Moment hat sie eine weitere Seite an dem Schwarzhaarigen kennengelernt, denn noch nie hatte sie erlebt, dass er so eine Aktion gebracht hatte. Er kam immer so ernst und erwachsen rüber, sodass sie niemals gedacht hätte, dass er es sogar schaffte mit einem einfachen Satz jemanden aus dem Konzept zu bringen. Dai jedoch schien dies von seinem Kumpel zu kennen, denn er schubste ihn nur leicht an der Schulter und murmelte etwas von Spinner, was Masaru jedoch nur lachen ließ. Amy hatte sich mittlerweile wieder beruhigt, doch schwieg und blickte mit knallig rotem Gesicht zu Dai hinüber, welcher jedoch leicht beleidigt aus dem Fenster blickte, weil er sich von seinem besten Kumpel verarscht fühlte. Dieser klopfte ihm immer noch beschwichtigend auf die Schulter und lachte weiter. Nachdem die Gruppe gegessen hatte schlenderten sie noch etwas durch die Innenstadt, bevor sie sich langsam auf den Weg zum Kino machten. Dort jedoch brach eine weitere Diskussion zwischen Dai und Amy aus, welchen Film sie eigentlich schauen wollten. Während Dai in den Live Action Film zum Manga „Bakuman“ wollte, in welchem es um zwei Freunde ging, welche gemeinsam als Mangaka- und Autorgespannt einen echten Erfolg in der Mangabranche schaffen wollten, wollte Amy die Verfilmung zu „Orange“ sehen. In diesem ging es um eine Gruppe von Menschen, die einen Brief von sich selbst aus der Zukunft bekamen und damit den plötzlichen Tod ihres besten Kumpels verhindern wollten. Während die Blonde damit argumentierte, dass die beiden jungen Männer ruhig Rücksicht auf zwei junge Damen nehmen könnten, die gern ein solches Drama sehen wollten, meinte Dai nur, dass er bereits Rücksicht bei ihrer Shopping-Tour genommen hätte. „Jetzt mal ehrlich, Hime. Du hast uns quer durch die Stadt geschleift, da könntest du dir als Gegenleistung auch Bakuman antun.“, meinte Dai nur, was die Blonde jedoch nur die Wangen aufblähen ließ. Masasru seufzte: „Also wenn ihr euch nicht bald entscheidet, dann werden wir keinen der beiden Filme sehen können.“ „Für welchen Film wärst du denn, Masaru?“, fragte Dai daraufhin nur. Der Schwarzhaarige sah hinauf zu den Filmplakaten, welche über dem Eingang des Kinos hingen: „Hm… Ich denke „Orange“ könnte schon interessant sein, aber ich wäre wohl auch mehr für „Bakuman“.“ Sein braunhaariger Kumpel grinste breit und sah zu Amy, deren aufgeblähte Wangen immer dicker wurden. Schnell richtete sie ihren Blick auf Mirâ, was ihr Dai nachtat. Diese Geste ließ die Violetthaarige etwas zurückschrecken, denn die erwartungsvollen Blicke ihrer Senpais verunsicherten sie. Im Grunde war es ihr eigentlich egal, in welchen Film sie gingen, da sie beide interessant fand. Wiederum fand sie allerdings auch, dass nun wohl die Jungs am Zug waren, aber einen Streit wollte sie eigentlich auch nicht provozieren, erst Recht nicht, wenn Amy darin verwickelt war. Sie wusste immerhin wie impulsiv die Blonde werden konnte, wenn ihr etwas nicht passte und das würde den ganzen schönen Tag kaputt machen. „Du kannst ruhig ehrlich sein, Mirâ.“, meinte Masaru, welcher ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter legte und dann die Stimme etwas senkte, „Die beiden werden es überleben. Egal wofür du dich entscheidest.“ Überrascht sah Mirâ zu ihrem Senpai auf, welcher sie mit seinen braunen Augen anlächelte und dann zwinkerte. Sie nickte mit einem kleinen Lächeln und gab dann ihre Antwort: „Ehrlich gesagt, fände ich gerade „Bakuman“ auch interessanter.“ „YES!“, kam es nur siegessicher von Dai, während Amy kurz maulte, ob das wirklich ihr ernst sei, sich jedoch dann geschlagen gab. So war also auch der Film für diesen Abend entschieden und die Gruppe betrat das Kino, um sich Tickets und ein paar Snacks zu besorgen. Die beiden jungen Männer waren sogar so freundlich, die beiden Frauen einzuladen, was vor allem Mirâ extrem freute. Bekam sie so doch eine Portion Popkorn von Masaru spendiert. Amy wiederum meinte nur, dass sie nichts anderes von Dai erwartet hätte, doch grinste, als dieser sie mit total bedröppelten Gesicht ansah. Nachdem alle ihre Snacks und Getränke für die Vorstellung hatten, betraten sie voller Vorfreude auf den Film den Kinosaal und suchten ihren Platz. Gerade noch rechtzeitig, als die ersten Trailer für weitere Filme anliefen. Als die Gruppe nach dem Film das Kino wieder verließ war die Sonne bereits im Begriff unterzugehen und tauchte die Stadt in ein zartes Orange. Sie alle hatten viel Spaß an dem Film gehabt und sogar Amy, welche ihn erst gar nicht sehen wollte, war haushoch begeistert davon. „Echt unglaublich, was ein Mangaka für Arbeit leisten muss.“, meinte sie, als sie aus dem Gebäude getreten waren. „Da kannst du mal sehen, wie viel Arbeit in einem Manga steckt.“, meinte Dai, während er sich streckte, „Aber das ist schon wirklich krass.“ Auch Mirâ trat aus dem Gebäude und schaute in den orangefarbenen Himmel, als sie plötzlich am Arm gepackt und zur Seite gezogen wurde. Erschrocken sah sie zu Amy, welche noch einmal einen kurzen Blick zu den beiden Jungs richtete und sich dann wieder an Mirâ wandte. „Ich wollte mich noch für heute Vormittag entschuldigen. Also dass das so gelaufen war. Ich wollte dich eigentlich damit überraschen, weil du ja meintest, dass du Masaru so gern hast.“, erklärte die Blonde knapp, woraufhin die Jüngere leicht rot anlief und einen flüchtigen Blick zu den beiden jungen Männern warf, die in ein Gespräch vertieft waren, „Keine Sorge. Ich habe Dai nichts davon erzählt. Er kann es also auch nicht weitererzählen. Aber die Aktion hat ihn schon etwas sauer gemacht. Es lag aber nicht an dir oder so. Also mach dir darüber bitte keine Gedanken. Ja?“ Also hatte Mirâ sich wirklich nicht nur eingebildet, dass Dai nicht begeistert war, als er sie gesehen hatte. Ein wenig traurig machte das die Violetthaarige schon, doch trotzdem fand sie den Tag schön und das änderte sich in diesem Moment auch nicht. Deshalb setzte sie ein Lächeln auf: „Nein schon okay. Es war ja auch überraschend. Ich hatte trotzdem einen sehr schönen Tag und bin dir dankbar, dass du mich heute eingeladen hast, Senpai.“ Ein Strahlen legte sich auf Amys Gesicht und plötzlich fand sich die Jüngere in einer Umarmung wieder, während ihr die Blonde erklärte, wie beruhigt sie nun war und dass es sie freue, dass Mirâ selbst Spaß hatte. Zusätzlich ergänzte sie noch, dass sie das auf jeden Fall noch einmal wiederholen sollten, allerdings unter anderen Voraussetzungen. Die Violetthaarige nickte mit einem Lächeln und meinte, dass sie sich schon darauf freue und spürte kurz darauf ein warmes Gefühl in ihrer Brust, während sie eine leichte Vibration aus ihrer Tasche spürte, die von ihrem Handy ausging. Daraufhin gingen beide wieder zurück zu den jungen Männern, welche sich bereits nach ihnen umgeschaut hatten, bevor sich die Gruppe langsam auf den Heimweg machte. An der U-Bahnstation des Hauptbahnhofs verabschiedete sich die Blonde von den anderen dreien, da sie in eine andere Richtung musste und die nächste Bahn unbedingt noch erwischen wollte. Vollgepackt mit ihren ganzen Tüten hatte sie noch einmal gewunken und war dann auf dem Bahnsteig verschwunden, wo die U-Bahn fuhr, die sie nach Jûgoya-kû bringen würde, wo sie selber lebte. Mirâ und die beiden jungen Männer sahen ihr nach, als Masaru meinte, dass er noch einmal kurz in den Kiosk wollte um sich etwas zu besorgen. Deshalb bat er die anderen beiden noch kurz zu warten und war darauf verschwunden. Ein Seufzen neben ihr ließ sie zu Dai aufschauen, welcher immer noch in die Richtung blickte, in die Amy verschwunden war. Jedoch wandte er seinen Blick auf die Jüngere, als er deren Blick bemerkte. „Ähm… entschuldige noch mal, dass ich heute Vormittag so unfreundlich war. Hime hat mich mit ihrer Aktion nur echt überrumpelt. So was mag ich nicht sonderlich.“, erklärte er, während er sich am Hinterkopf kratzte. Erstaunt sah die Violetthaarige den Älteren an, doch lächelte dann und schüttelte den Kopf: „Schon in Ordnung, Senpai. Iwato-Senpai tat es auch leid. Es war für uns alle etwas überraschend.“ „Naja… du sahst vorhin aber echt mitgenommen aus. Das war nicht meine Absicht gewesen.“, erklärte der Braunhaarige, „Deshalb tut es mir leid, wenn das irgendwie falsch rüberkam.“ „Es war trotzdem ein wirklich schöner Tag. Ich habe mich gefreut mit euch allen etwas unternehmen zu können und euch besser kennengelernt zu haben.“, erklärte Mirâ mit einem breiten Lächeln, was nun auch Dai lächeln ließ, „Es wäre schön, wenn ich irgendwann noch einmal mitkommen dürfte.“ „Sicher. Das sollte kein Problem sein.“, lachte der Ältere und blickte dann auf eines der Plakate, welches die Wände der Station zierten, „Im Übrigen wollte ich mich auch noch einmal bei dir dafür bedanken, dass du mir letztens den Kopf gewaschen hast.“ Irritiert legte die Violetthaarige den Kopf schief und überlegte, was ihr Senpai damit meinte, bis dieser erklärte, dass er die Aktion am Schultor meinte, wo sie mit ihm über Amy gesprochen hatte. Nun fiel es der jungen Frau wieder ein, doch bevor sie was sagen konnte, hatte Dai bereits weitergesprochen und ihr erklärt, dass er danach das Gespräch mit der Blonden gesucht hatte, die ihm einiges erklärt hatte. Genauer ging er nicht darauf ein, doch als Mirâ die roten Wangen des Älteren sah, konnte sie sich schon denken, worum es bei dem Gespräch ging. „Jedenfalls haben wir uns dadurch wieder versöhnt und ich glaube, ohne deine Worte, wäre das nicht passiert. Wahrscheinlich hätten wir weitergestritten und Hime wäre dann einfach aus dem Club ausgetreten.“, meinte der Braunhaarige abschließend, „Deshalb… vielen Dank nochmal.“ Mirâ lächelte nur und spürte wieder in ihrem Inneren die vertraute Wärme eines Social Links in ihrer Brust. Auch dieses Mal bemerkte sie das Vibrieren ihres Smartphones, doch ignorierte es ein weiteres Mal erst einmal, zumal in diesem Moment auch Masaru wieder zu den beiden stieß. Ein Blick auf die Anzeige verriet Mirâ, dass sie langsam zu ihrem Bahnsteig musste, weshalb sie sich nun von den beiden jungen Männern verabschiedete. „Auch wenn es heute Vormittag etwas chaotisch war hoffe ich, dass du Spaß hattest, Mirâ. Ich hatte jedenfalls viel Spaß und bin froh, dass du dabei warst.“, meinte Masaru noch abschließend, „Lass uns das mal wiederholen.“ Mit einem breiten Lächeln und leicht roten Wangen nickte die Violetthaarige und wandte sich dann von den beiden ab, um zu ihrem Bahnsteig zu gehen. Wieder spürte sie diese Wärme in ihrer Brust, welche sich allerdings mit einem Kribbeln in ihrer Magengegend vermischte und ihr das Gefühl gab sie könne fliegen. Noch lange hielt dieses Gefühl vor und ebbte erst so richtig ab, als sie schon fast wieder Zuhause war. So glücklich war sie letzten Endes doch noch über diesen Tag gewesen und vor allem darüber, dass auch ihr Senpai sich gefreut hatte. Kapitel 64: LXIV – Die Aufrichtigkeit der Tiere ----------------------------------------------- Montag, 24.August 2015 Sanft schien die Sonne durch die leicht zugezogenen Vorhänge in das kleine und recht spartanisch eingerichtete Zimmer, welches mit einem alten Schreibtisch, einer alten Schrankgarnitur und einem Bett bestückt war. Auf dem niedrigen Teil der Schrankgarnitur stand ein alter Fernseher, während der Schreibtisch unter verschiedensten Schreibutensilien und Papier zu versinken schien. Ein leises Schnarchen ging durch den Raum, welches von dem niedrigen Bett in der hintersten Ecke kam und in dem, in eine Decke eingerollt, eine Person schlief. Durch die nur leicht angelehnte Tür drang ein angenehmer Geruch von Essen, doch das interessierte den schlafenden jungen Mann recht wenig. Ebenso die Tatsache, dass sich die Tür plötzlich leise öffnete und ein cremefarbener Hund in den Raum schlich, welcher geradewegs auf das Bett zusteuerte und davor Platz nahm. Er legte seinen Kopf einen Moment schief, bevor er ihn auf der weichen Matratze ablegte und sein Gegenüber zu beobachten schien. Dieser hatte das gar nicht wirklich mitbekommen, zumal er mit dem Gesicht zur Wand lag. Plötzlich jedoch raschelte es und der junge Mann im Bett mit den blauen Haaren und schwarzen Ansätzen drehte sich ruckartig auf die andere Seite, sodass er nun mit seinem Gesicht genau vor der Schnauze des Hundes lag. Dieser hatte sich, trotz der ruckartigen Bewegung, keinen Millimeter von der Stelle bewegt, geschweige denn gezuckt. Das alles bekam der Schlafende jedoch nicht mit und schlief weiter den Schlaf der Gerechten. Der Hund wiederum legte seinen Kopf nun noch einmal schief und leckte sich kurz über die Nase, woraufhin er aufgrund der geringen Distanz zum schlafenden Menschen, dessen Gesicht erwischte, sodass dieser zusammenzuckte und sich die Decke über das Gesicht zog. Dann kehrte Stille in den Raum ein, was dem Vierbeiner allerdings irgendwann zu langweilig wurde, weshalb er schnuppernd mit der Nase unter die Decke kroch. Der junge Mann unter der Decke zuckte erneut zusammen und zog die Decke noch etwas näher an sich heran. „Bejû lass das.“, murmelte er völlig müde, doch ließ sich der Hund davon nicht abbringen und machte unbeirrt weiter, bis sein kompletter Kopf ebenfalls unter der Decke verschwunden war. Plötzlich zuckte der junge Mann zusammen und zog die Decke noch etwas enger, woraufhin der Vierbeiner vollkommen erschrocken den Kopf zurückzog, ihn schüttelte und dann protestierend bellte. Mit einem Murren setzte sich Yasuo auf und strich sich durch die völlig zerzausten Haare, während er seinen Freund ermahnte, dass er selber schuld sei, wenn er ihn nicht schlafen lasse. Noch einmal bellte Bejû auf und stemmte sich dann mit seinen Vorderpfoten auf dem Bett ab, um seinem Herrchen über das Gesicht zu lecken und dabei mit dem Schwanz zu wedeln. „Aus Bejû. Schluss.“, versuchte sich Yasuo aus dieser Liebkosung zu befreien, „Ich bin doch wach. Alles gut. AUS!“ Mit einem Satz saß der Hund plötzlich auf seinen vier Buchstaben vor dem Bett und schaute den jungen Mann mit schief gelegtem Kopf und heraushängender Zunge an. Dieser versuchte sich irgendwie den Schmodder aus dem Gesicht zu wischen, während er seinen Hund beobachtete, der ihn bereits erwartungsvoll ansah. „Ist ja gut. Ich steh ja schon auf…“, murmelte der Blauhaarige und sah auf seinen Wecker, welcher bereits kurz vor 12 anzeigte, „Ist doch noch fast morgen…“ Gähnend schob er sich aus seinem Bett und streckte sich erst einmal, als seine Beine den Boden berührten und er aufrecht stand, während Bejû voller Erwartung um ihn herumtänzelte. „Yasuo bist du wach?“, hörte er eine Frauenstimme von unten rufen. „Ja bin ich, Obaa-Chan.“, gähnte der junge Mann und sah noch einmal vorwurfsvoll zu seinem Hund, welcher ihn jedoch nur mit treudoofem Gesicht anschaute, „Hast du Bejû geschickt?“ „Ist er bei dir? Ich hab mich schon gefragt, wo er hin ist.“, kam es nur unschuldig von der älteren Frau aus dem unteren Stockwerk. Damit hatte sich Yasuos Frage sofort beantwortet und er wusste, wem er diesen Weckdienst zu verdanken hatte. Eigentlich hatte er sich das ja auch vorher schon denken können. So machte es seine Großmutter immer, wenn er nicht aus den Federn kam, da sie wusste, dass Bejû es auf jeden Fall schaffen würde, ihn aus dem Bett zu holen. Noch einmal streckte er sich und sammelte dann einige Sachen zusammen, bevor er mit Bejû das kleine Zimmer verließ und diesen wieder nach unten zu seinen Großeltern schickte. Der helle Hund sah ihn noch einmal kurz an und stolzierte dann die Treppe hinunter, während Yasuo auf direktem Weg das Badezimmer aufsuchte, um sich für den Tag frisch zu machen und Bejûs Sabber nun endgültig abzuwaschen. Eine viertel Stunde später betrat er die kleine Küche, in dessen Mitte ein Esstisch stand, welcher bereits mit Geschirr bedeckt war und darauf hindeutete, dass es wohl gleich Mittagessen geben würde. Kein Wunder also, dass seine Großmutter diesen Weckdienst geschickt hatte, wo er schon das Frühstück verpasst hatte. „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen, mein Junge?“, fragte die alte Dame am Herd freundlich. „Ja soweit.“, murmelte Yasuo und gab seiner Großmutter einen kleinen Kuss auf die Wange, „Danke, dass du heute Morgen mit Bejû draußen warst.“ Die Frau lachte und meinte, dass es außer ihr und ihm ja sonst keiner könnte, immerhin belle Bejû seinen Großvater meistens nur an. Und auf ihn hören tat er erst recht nicht. Dem konnte der Blauhaarige nichts entgegensetzen, denn Bejû war wirklich so eigensinnig. Seinen Großvater konnte er nicht wirklich leiden, aber keiner wusste so Recht wieso, denn er hatte dem Hund nie etwas getan. Das Bellen von Bejû ließ den Blauhaarigen aufschauen, als sich die Tür zur Küche erneut öffnete und ein alter Mann eintrat, der mit dem hellen Hund schimpfte, dass er ihn nicht ständig ankläffen sollte. „Bejû, Schluss!“, sagte Yasuo nur knapp, woraufhin ihn der Hund ansah und dann unter dem Tisch verschwand. „Was hat der Hund nur gegen mich? Meine Güte…“, murmelte der eben eingetretene Mann und wandte sich dann an seinen Enkel, „Wie ich sehe bist du endlich wach, Yasuo.“ Der Angesprochene nickte: „Obaa-Chan hat Bejû zum Wecken geschickt.“ Ein leises Pfeifen war vom Herd aus zu hören, das allerdings von dem Lachen seines Großvaters überlagert wurde, welcher sich nun an den Tisch setzte. Auch Yasuo nahm nun Platz und spürte einen Moment später den Kopf von Bejû auf seinem Schoß liegen, den er etwas kraulte und dabei beobachtete, wie dieser es nur zu sehr genoss. Bejû hing wirklich sehr an ihm, das wusste der junge Mann nur zu gut. Aber auch für ihn war der Hund etwas Besonderes, weshalb er sich ein Leben ohne seinen Hund nicht mehr vorstellen konnte. Leider wusste er, dass dieser mittlerweile schon ziemlich alt war, doch hoffte er, dass Bejû noch einige gute Jahre bei ihm bleiben würde. „Und was hast du heute noch so vor, mein Junge?“, holte ihn sein Großvater aus den Gedanken und ließ den Blauhaarigen aufschauen. „Ich denke nach dem Essen gehe ich noch etwas mit Bejû raus. Er war vorhin schon ganz aufgeregt.“, murmelte Yasuo daraufhin, „Ich überlege, ob ich Akane frage, ob sie mitkommen möchte.“ Als der Name Akane fiel, hob Bejû den Kopf und sah ihn voller Erwartung an, so als wolle er ihm mitteilen, dass die junge Frau unbedingt dabei sein musste. „Ach das hübsche Mädchen mit den braunen Haaren. Nicht wahr? Sie hat sich so rührend um Bejû gekümmert.“, schwärmte seine Großmutter plötzlich, während sie das Mittagessen verteilte, „Hör zu mein Junge. Dieses Mädchen solltest du ja nicht ziehen lassen. Es kommt ja auch nicht oft vor, dass du dich so für ein Mädchen interessierst.“ Eine leichte Röte hatte sich auf die Wangen des Blauhaarigen gelegt, während er murmelte, dass sie diese Situation vollkommen falsch verstand. Doch seine Großmutter ließ sich nicht beirren und schwärmte weiter von Akane und ihrer aufopferungsvollen Art mit Tieren umzugehen. Ein gutes Zeichen sei ja auch, dass Bejû sie sofort akzeptiert hatte, was bei dem Vierbeiner immerhin schon etwas Besonderes wäre. Sein Großvater mischte sich ein und meinte, dass sie ihn doch einfach lassen solle, immerhin sei er alt genug, um selber zu entscheiden, mit wem er sich traf und mit wem nicht. Yasuo allerdings bekam das nur noch am Rande mit, denn seine Gedanken waren bereits ganz woanders. Natürlich hatte er selber schon mitbekommen, dass Akane ihn mehr interessierte, als andere Mädchen. Immerhin gehörte sie nicht zu den typischen Weibsbildern, die die ganze Zeit am rumkreischen und nur auf ihr Äußeres bedacht waren. Sie war anders. Etwas burschikos vielleicht, aber trotzdem hatte sie ihren weiblichen Reiz. Ein kleines Grinsen legte sich auf sein Gesicht, als er an ihre Angst in Akisus Dungeon denken musste. Auch wenn er in diesem Moment etwas mit der Situation überfordert war, dass die junge Frau sich ausgerechnet an ihn geklammert hatte, um ihre Angst zu vertreiben, fand er es nicht unangenehm. Eigentlich fand er diese Seite an ihr sogar richtig süß. Es war das erste Mal, dass er für ein Mädchen so empfand, weshalb er selber noch etwas damit überfordert war. Trotzdem nutzte er gerne die Gelegenheit etwas mit Akane zu unternehmen. Sie aber direkt zu fragen, war ihm dann doch zu peinlich, weshalb er die letzten Male Bejû vorgeschoben hatte. Zwar hatte er selber auch das Gefühl, dass die Braunhaarige seine Nähe suchte, doch da er in solchen Dingen eher unerfahren war, wollte er diese Situation auch nicht falsch einschätzen. Deshalb war er der Meinung, dass die Situation aktuell ganz gut so war. Vorerst jedenfalls. „So lasst uns essen.“, holte ihn die Stimme seiner Großmutter aus den Gedanken. Sofort war seine Aufmerksamkeit wieder auf den gedeckten Tisch gerichtet und er sah sich leicht irritiert um, woraufhin er mitbekam, dass sich seine Großeltern bereits beide guten Appetit gewünscht hatten. Auch er legte kurz die Hände zusammen und wünschte allen einen guten Appetit, bevor er sich dran setzte sein Mittagessen zu verzehren. Etwas später war der Blauhaarige bereits auf dem Weg zum Fluss. Mit wedelndem Schwanz lief sein beigefarbener Hund an der Leine geführt neben ihm her und schien sich auf diesen Ausflug zu freuen. Vor allem auf den Moment, wo sein Herrchen ihm die Leine abnehmen würde, sobald sie am Fluss waren, konnte Bejû anscheinend nicht abwarten. Mit einem letzten Blick auf sein Smartphone packte der Blauhaarige dieses in seine Hosentasche und lächelte leicht. Gerade eben hatte ihm Akane eine Antwort geschrieben, dass sie sich ebenfalls auf den Weg zum Fluss machen würde, um ihn und Bejû dort zu treffen. Natürlich hatte der junge Mann wieder seinen Hund vorgeschoben, doch hoffte er, dass Akane es ihm nachsehen würde. Sie jedenfalls schien sich schon auf ein Wiedersehen zu freuen. Das plötzliche ziehen an der Leine ließ Yasuo aufschauen, weshalb ihm auffiel, dass der Fluss in unmittelbarer Nähe war. Kein Wunder also, dass Bejû so drängelte. Also legte er selbst auch noch kleinen Zahn zu, sodass sie in nur wenigen Minuten die Böschung erreicht hatten, die hinunter zum Fluss führte. Schon in voller Erwartung hatte sich Bejû hingesetzt und seinen Besitzer mit großen Augen und hechelnd angesehen, welcher die Leine mit einem gekonnten Griff von dessen Halsband löste und damit dem Vierbeiner die Erlaubnis gab loszulaufen. Sofort war dieser hinunter in Richtung Fluss gerannt und tollte über die grüne Wiese, welche an diesem Tag trotz schönem Wetter zum Glück nicht allzu stark frequentiert war. Dadurch konnte sich Bejû in aller Ruhe austoben. Mit einem Seufzen legte sich Yasuo die Leine einmal quer über den Oberkörper und folgte seinem Vierbeiner die Böschung hinunter. Dieser war mittlerweile auf eine Person zugestürmt, welche im Gras saß und auf den Fluss hinausschaute. Dabei schien sie Bejû nicht einmal bemerkt zu haben. Bei dieser Person handelte es sich um einen jungen Mann mit dunkelbraunem, zerzaustem Haar und blassem Teint. Yasuo kannte ihn und ging deshalb auch schnurstracks auf ihn zu. Dabei beobachtete er, wie Bejû sich der Person ganz langsam nährte und ihn plötzlich mit der Nase anstupste. Dem Blauhaarigen schwante nichts Gutes, als er diese Aktion sah, da er wusste, dass der junge Mann eigentlich stets versuchte den Kontakt mit Bejû zu vermeiden. Wieso und weshalb wusste Yasuo nicht. Lange Zeit dachte er, dass der Braunhaarige Angst vor Hunden hatte, doch dies schien nicht der Fall zu sein, denn obwohl er den Kontakt zu Bejû scheute, hatte er keine Angst in dessen Nähe zu sein. Doch in diesem Moment passierte etwas, was selbst Yasuo kurz zusammenzucken ließ, ebenso wie Bejû, als der Braunhaarige erschrocken in die Richtung des beigefarbenen Hundes sah und plötzlich aufsprang. Völlig überrascht machte sogar der Vierbeiner einen Satz zurück und bellte kurz erschrocken, was Yasuo jedoch mit einem gekonnten Griff an dessen Halsband unterband. „Du bist selber schuld, wenn du ihn so erschreckst, Bejû.“, schimpfte er den Hund aus, welcher sofort wieder auf seinen vier Buchstaben saß. Dann wandte sich der Blauhaarige an den Braunhaarigen ihm Gegenüber, welcher ein gutes Stück kleiner als er selbst war. Allerdings war das nicht weiter erstaunlich, immerhin war der junge Mann gut drei Jahre jünger als er selbst und ging noch auf die Mittelstufe. Yasuo selbst kannte ihn bereits seit ungefähr einem Jahre. Sein Name war Satoshi Kamiya und er war Schüler der Diamond Junior High, dieser Eliteschule, welche sich im Stadtteil Kyôzô-kû befand. Er selbst kannte dieses Bonzenviertel zwar, doch hielt er sich von dort fern, weil er das Gefühl hatte dort sowieso nicht willkommen zu sein. Immerhin hatten seine Großeltern und er kaum Geld. Bei dem jungen Mann ihm gegenüber lag der Fall allerdings anders, denn dessen Eltern schienen ziemlich wohlhabend zu sein. Satoshi schien irgendetwas mit sich herumzuschleppen, weshalb er viel nachdachte und deshalb oft am Fluss zu finden war. Auf diesem Wege hatten sie sich auch kennengelernt. Da der Braunhaarige genau wie Yasuo eher ein schweigsamer Genosse war fand Yasuo dessen Gesellschaft ganz angenehm. Sein Blick fiel wieder auf den Jüngeren vor sich, dessen Gesichtsfarbe mittlerweile so weiß geworden war, dass man hätte denken können, er würde jeden Moment unsichtbar werden. „Entschuldige, wenn er dich erschreckt hat.“, entschuldigte sich Yasuo bei Satoshi, da er dachte, dass dieser aufgrund der Aktion so bleich geworden war. Dieser jedoch schüttelte nur den Kopf und wirkte ziemlich nervös: „N-Nein schon okay, Senpai. Nicht… nicht so schlimm.“ Der Ältere zog eine Augenbraue in die Höhe: „Ist alles in Ordnung bei dir?“ „J-ja… a-alles in Ordnung. I-Ich muss aber los… ähm…“, Satoshi hatte sich bereits zum Gehen gewendet, als er noch einmal in Yasuos und Bejûs Richtung sah, „Pass… pass gut auf Bejû auf. Machs gut.“ Mit diesen Worten war der Jüngere davon gestürmt, während ihm Yasuo hinterher sah, immer noch mit hochgezogener Augenbraue. Was war das denn für eine Aktion? Und wieso sollte er auf Bejû aufpassen? Völlig irritiert kratzte sich der Blauhaarige am Hinterkopf und sah dann zu seinem Hund hinunter, welcher ihn nur hechelnd anblickte. Da er sich keinen Reim auf diese Sache bilden konnte zuckte er mit den Schultern und ließ sich genau an diesem Platz nieder, während Bejû dies als Aufforderung sah weiter herumzutollen und kurz darauf auch schon verschwunden war. Yasuo sah ihm noch eine Weile nach, bevor er sich zurücklegte, seine Kopfhörer aufsetzte und den Himmel beobachtete. Doch wie er so die vorbeiziehenden Wolken am Himmel beobachtete und dabei seiner Musik lauschte, wurde er plötzlich wieder so schläfrig, weshalb er einmal kurz gähnte und kurz darauf auch schon eingedöst war. Mit einem Schreck wachte er jedoch auf, als ihm jemand plötzlich seine Kopfhörer von den Ohren zog, woraufhin er schlagartig die Augen öffnete und in zwei grüne Augen blickte, die von langen braunen Haaren eingerahmt waren und ihn skeptisch beobachteten. „Also wirklich, Senpai. Erst bestellst du mich her und dann schläfst du hier.“, erklang die leicht beleidigte Stimme von Akane, welche sich langsam zurücksetzte, damit er selbst sich aufsetzen konnte. Irritiert sah er sich kurz um, bis ihm einfiel, dass er ja am Fluss war und sich mit der Braunhaarigen treffen wollte, weshalb sein Blick wieder auf die junge Frau neben ihn fiel. Akane hatte immer noch seine Kopfhörer in der Hand und sah ihn immer noch mit leicht beleidigtem Blick an. Sie trug ein rot-schwarz gestreiftes ärmelloses Shirt, mit grünem Einsatz im V-Ausschnitt, und darüber eine grüne Weste. Dazu hatte sie eine dunkelgrüne, lockere dreiviertel Hose an. Es war eines ihrer typischen eher praktischen Outfits, welche ihr allerdings wirklich gut standen, wie der Blauhaarige fand. Langsam merkte er, wie ihm etwas die Röte ins Gesicht stieg, weshalb er den Blick abwandte und sich durch die Haare strich: „Entschuldige. Es kam so über mich.“ Akane seufzte, doch lachte dann: „Irgendwie typisch für dich, Senpai.“ Aus dem Augenwinkel sah der junge Mann noch einmal kurz zu der jungen Frau und sah sich dann um: „Wo ist eigentlich Bejû?“ Die Braunhaarige hob den Arm und zeigte hinunter zum Fluss, wo Bejû am Wasser tollte: „Dort. Er hat mich schon stürmisch begrüßt und ist dann wieder runter zum Fluss, um sich abzukühlen.“ Yasuo nickte auf die Aussage der jungen Frau nur und beobachtete noch einen Moment seinen Hund, als er merkte wie sich das Kabel seiner Kopfhörer etwas enger um ihn legte. Aus diesem Grund sah er auf und zu Akane, welche sich einen der Kopfhörer ans Ohr hielt und skeptisch drein schaute, bevor sie fragte, was er da eigentlich die ganze Zeit höre. Ein kleines Lächeln zierte sein Gesicht, als er der jungen Frau die Kopfhörer aus der Hand nahm und sie ihr aufsetzte. Mit großen Augen sah die Braunhaarige ihn an und schien von dieser Aktion selbst etwas überrumpelt zu sein. Er wusste selber nicht, was in diesem Moment über ihn gekommen war, jedoch bereute er es nicht und machte auch keinen Rückzieher. Eine ganze Weile lagen die grünen Augen von Akane auf ihm, ehe sie ihren Blick nach unten sinken ließ und der Musik zu lauschen schien, welche er die ganze Zeit hörte. So saßen sie einige Minuten da, bis die junge Frau die Kopfhörer wieder abnahm. „Du hast einen interessanten Musikgeschmack, Senpai.“, lächelte sie und gab ihm seine Kopfhörer wieder zurück, welche er sich wieder um den Hals legte, „Das Lied war aber schon etwas älter, oder?“ Mit einem ganz kleinen Schmunzeln im Gesicht nickte der Blauhaarige. Was die aktuelle Musik anging, fand er derzeit kein Lied wirklich gut, weshalb er auf seine Playlist zurückgriff, wo die Lieder bereits einige Jahre alt waren. Aktuell hörte er sehr gerne die Musik von M.O.V.E einer Band, die eine Mischung aus Electro, Pop und Rap machten. Die Lieder waren alle schon etwas älter, da lange Zeit nichts Neues von der Band gekommen war, aber sie gefiel ihm. Er fand sie jedenfalls immer noch besser als das, was aktuell so im Radio lief. „Ähm Senpai?“, holte ihn Akanes Stimme aus den Gedanken, weshalb er seine Aufmerksamkeit wieder der jungen Frau widmete, welche ihn wieder mit großen grünen Augen ansah. Etwas überrascht sah auch er die junge Frau an, auf dessen Wangen sich ein leichter Rotschimmer gebildet hatte. Sie schien ihm etwas sagen zu wollen, doch irgendwie wirkte es so, als wüsste sie nicht genau, wo sie anfangen sollte. In diesem Moment merkte er, wie sein Herz etwas kräftiger anfing zu schlagen, sodass er es schon fast bis in den Hals spüren konnte, so als würde es jeden Moment herausspringen wollen. „Also ich…“, setzte die junge Frau noch einmal an, doch unterbrach erneut und schrak auf, als sie ein leises Jaulen hörte. Auch Yasuo schrak auf, als ihm dieses Geräusch zu Ohren kam und sein Blick schnellte Richtung Fluss, wo er Bejû erkannte, welcher sich auf dem Boden wälzte. Sofort war er aufgesprungen und hinunter zum seinem geliebten Vierbeiner gelaufen. Auch Akane war aufgesprungen und ihm gefolgt, sodass sie nun beide neben dem sich wälzenden Hund knieten. Dieser jaulte, unterbrochen von einigen Hustern, und würgte. „Bejû, was hast du?“, fragte Yasuo, in welchem langsam Panik aufstieg. Bejû hatte so etwas noch nie gemacht und bis vor einigen Minuten ging es ihm ja auch noch richtig gut, weshalb der Blauhaarige völlig überfordert mit dieser Situation war. Akane jedoch schien zu ahnen was los ist und sah sich im näheren Umfeld um, bis sie auf das gestoßen war, was sie gesucht hatte. Mit ernstem Blick hob sie das kleine Stückchen auf und betrachtete es von allen Seiten, bevor sie nach ihrem Handy griff, eine Nummer eintippte und sich das grüne Smartphone ans Ohr hielt. „Papa? Ja ich weiß… hör mir zu verdammt, es ist wichtig! Ihr müsst uns helfen! Wir kommen gleich mit einem Hund vorbei! Ja verdammt, das MUSS sein! Es ist wichtig. Ich erkläre es dann vor Ort.“, damit hatte sie wieder aufgelegt und sich an Yasuo gewendet, „Senpai. Kannst du Bejû tragen? Wir müssen uns beeilen.“ Irritiert sah Yasuo sie an, doch nickte dann, auch wenn er wusste, dass sein Hund ziemlich schwer war. So stand er auf und hob mit aller Kraft die er hatte Bejû auf seine Arme, welcher immer noch würgte und jämmerlich jaulte. Akane währenddessen hatte ihre Weste ausgezogen und darin etwas eingewickelt, was sie kurz zuvor noch aufgesammelt hatte. Noch einmal sah sie auf die Stelle und murmelte etwas davon, dass sie hoffte alles eingesammelt zu haben. „So jetzt aber schnell. Komm mit. Wir müssen Bejû zu meinen Eltern bringen, bevor es zu spät ist.“, damit war sie bereits losgelaufen. Yasuo folgte ihr so schnell er konnte: „Was hat Bejû?“ „Giftköder!“, waren Akanes einzige Worte, welche Yasuo die Farbe aus dem Gesicht laufen ließ. Trotzdem riss er sich zusammen und folgte der Braunhaarigen zu deren Haus. Eine halbe Stunde später saß der Blauhaarige an einem großen Esstisch in einer geräumigen und sehr modernen Küche. Yasuo jedoch starrte nur auf die weiße Tischplatte und war in seinen Gedanken versunken. Bejû, sein Hund und bester Freunde hatte Giftköder geschluckt und musste nun operiert werden. Nie im Leben hätte er daran denken können, dass so etwas einmal passieren könnte. Wieso machten Menschen so etwas? Er hatte Angst um seinen Vierbeiner, welcher ihn bereits seit so vielen Jahren begleitet hatte. Als er ihn vor sieben Jahren geschenkt bekommen hatte, war der Rüde ein kleiner, tapsiger Welpe gewesen. Nun war er zwar bereits in einem gestanden Alter, doch hatte er nie irgendwelche großartigen gesundheitlichen Probleme gehabt. Und nun befand er sich in der nebenan liegenden Tierpraxis und kämpfte um sein Leben. In ihm kam ein Gefühl auf, welches er schon seit vielen Jahren nicht mehr gespürt hatte. Das Gefühl jemanden verlieren zu können. Die Angst, dass dieser jemand plötzlich nicht mehr da war. Lange hatte er dieses Gefühl nicht mehr verspürt, doch in diesem Moment war es so deutlich, dass er hätte heulen können. Eine Tasse wurde vor ihm abgestellt, weshalb seine Aufmerksamkeit wieder in das hier und jetzt gelenkt wurde und er aufschaute. Neben ihm nahm Akane Platz und schaute ihn mit besorgtem Blick an. „Keine Sorge, Senpai. Meine Eltern wissen was sie machen und sie meinten ja auch, dass es gerade noch rechtzeitig war. Sie werden Bejû retten. Glaub mir.“, versuchte sie ihn aufzumuntern, doch diese Worte gaben ihm nur wenig Trost. Viel zu groß war seine Angst seinen geliebten Hund zu verlieren. Auch Akane schien nun nicht mehr zu wissen, was sie ihm noch sagen sollte, weshalb sie schwieg. Er begrüßte dies. Es war nicht so, dass Akane ihn damit genervt hätte, aber egal was sie sagen würde, es würde seine Ängste nicht eindämmen und an der Situation nichts ändern können. Er hoffte nur, dass Bejû dies überleben würde. Alles andere war ihm in diesem Moment egal. Etwas Warmes ließ ihn plötzlich aufschrecken und seinen Fuß leicht zurückziehen. Plötzlich huschte etwas an ihm vorbei und aus der Küche heraus. Irritiert sah er dem Etwas nach, welches jedoch so schnell verschwunden war, dass er es gar nicht wirklich erfassen konnte. „Wie es scheint wollte Ame dich aufmuntern.“, kicherte Akane plötzlich und sah ebenfalls in die Richtung, in der das Etwas verschwunden war. „Ame?“, fragte Yasuo nach, woraufhin die Braunhaarige nickte und ihm erklärte, dass das abgehauene Etwas eine ihrer Katzen war. Sie stand auf und sah aus der Küche in den Flur: „Na ihr. Traut ihr euch nicht rein?“ Yasuo beobachtete, wie sich die junge Frau hinhockte und dann wieder aufstand, nur um einen Moment später mit einer schwarzen Katze mit weißen Pfoten auf ihrem Arm zurück zu kommen. Überrascht blickte der Ältere auf die Katze auf Akanes Arm, welche sie als Kuro vorstellte, und spürte dann, wie ihn etwas am Knöchel anstupste. Überrascht sah er nach unten und erkannte dann eine rot-braun getigerte Katze, welche an seiner Hose schnüffelte. „Das ist Takô.“, erklärte die Jüngere, während sie sich wieder auf ihren Stuhl setzte, „Und die Katze, die abgehauen ist, war Ame. Sie ist sehr schreckhaft, weshalb sie wohl jetzt im Wohnzimmer bleiben wird. In meinem Zimmer sollte noch Shai sein. Sie war diejenige, die mich letztens am Bein gekratzt hat, als wir uns den einen Tag getroffen haben. Falls du dich noch erinnerst. Shai muss sich aber noch von ihren Verletzungen erholen. Die vier sind alles Notrettungen. Ich hab sie verletzt auf der Straße gefunden und zu meinen Eltern gebracht. Anfangs waren sie überhaupt nicht begeistert davon, dass ich die Katzen dann behalten habe, aber mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt.“ Überrascht sah Yasuo zu der Braunhaarigen, welche so begeistert von ihren Katzen erzählte. Tiere schienen ihr wirklich extrem wichtig zu sein. Sie hatte ein großes Herz für Tiere und dabei schien es egal, um welche Art von Tier es sich handelte. Das erklärte für ihn auch, wieso Bejû sie sofort mochte und auch, wieso sie sofort gehandelt hatte, als sie bemerkte, dass mit seinem Hund etwas nicht stimmte. Ein kleines Lächeln legte sich auf sein Gesicht, als er sah, wie Akane mit breitem Lächeln mit der schwarzen Katze Namens Kuro kuschelte und diese das sogar zu mögen schien. Jedenfalls wehrte sie sich nicht, sondern schnurrte so laut, dass sogar Yasuo es hören konnte. „Ja du bist eine ganze verschmuste.“, lachte die Braunhaarige und kuschelte ihre Katze, bevor sie wieder aufsah und dann lächelte, „Jetzt lächelst du wieder Senpai. Das ist schön. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen. Meine Eltern machen das schon. Hier… nimm du auch mal Kuro. Er mag es total gekuschelt zu werden.“ Mit diesen Worten hatte die Jüngere ihm bereits die schwarze Katze in die Hand gedrückt, welche ihn mit großen braunen Augen ansah und sich dann auf seinem Arm zusammenrollte. Irritiert beobachtete der Blauhaarige den Kater, welcher nun leise vor sich hin schnurrte, und strich dann vorsichtig über dessen Rücken. Akane währenddessen hatte Takô auf ihren Arm gehoben und versuchte mit diesem zu schmusen, doch dieser war etwas störrischer als Kuro, weshalb sie sich streckend aus ihrem Griff befreite und dann mit erhobenem Kopf die Küche verließ. „Takô, du olle Diva.“, murmelte die Braunhaarige beleidigt. „Du hast wirklich ein großes Herz für Tiere, Akane.“, meinte Yasuo, woraufhin ihn die Jüngere fragend ansah, „Danke, dass du dabei warst, als das mit Bejû passiert ist. Ich hab in diesem Moment nicht gewusst, was ich machen sollte.“ Dem jungen Mann fiel der leichte Rotschimmer auf den Wangen der Braunhaarigen auf, welche jedoch den Blick abwandte: „Ach was. Ich mag Tiere einfach. Sie sind einfach toll… und von Grund auf ehrlich. Anders als Menschen verstecken Tiere nicht, wenn sie jemanden nicht leiden können. Entweder sie mögen dich oder sie hassen dich. Und wenn sie dich nicht mögen, dann gehen sie dir halt einfach aus dem Weg oder zeigen dir, dass du selbst Abstand nehmen sollst. Menschen aber zeigen nicht unbedingt, wenn sie jemanden nicht leiden können. Wenn es ihnen nützt, dann belügen sie Andere und spielen große Freundschaften vor. So was finde ich schrecklich. Deshalb mag ich Tiere.“ Das Lächeln auf dem Gesicht des Älteren wurde etwas stärker: „Da gebe ich dir Recht. Es gibt keine ehrlicheren Seelen, als Tiere.“ Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ die beiden Oberschüler aus ihrem Gespräch schrecken und zur Küchentür blicken, wo einen Moment später Akanes Mutter im Türrahmen erschien. Sie wirkte zwar noch etwas angespannt, doch lächelte. Sofort war Kuro aus Yasuos Armen gesprungen, sodass der junge Mann ebenfalls aufstehen konnte und die Braunhaarige mit erwartungsvollem Blick ansah. „Bejû hatte wirklich großes Glück, dass ihr so schnell reagiert und ihn hergebracht habt. Noch ein paar Minuten länger und wir hätten nichts mehr für ihn tun können.“, erklärte sie ruhig, „Aber die Operation ist gut verlaufen und die Giftköder konnten wir entfernen. Der Gute ist außer Lebensgefahr, allerdings würden wir ihn gerne noch ein paar Tage zur Beobachtung hierbehalten. Einfach um auf Nummer sicher zu gehen, dass wirklich alles in Ordnung ist. Wäre das für dich in Ordnung?“ Etwas überrumpelt von den vielen Informationen brauchte Yasuo eine Weile, um alles zu sortieren, doch nickte dann: „J-ja sicher. Ich… ich danke Ihnen.“ „Bedank dich lieber bei Akane, dass sie so schnell reagiert hat, auch wenn ihr Vater doch ziemlich sauer über den Anranzer über Telefon war.“, lachte die ältere Frau, „Und keine Sorge. Bei uns ist Bejû gut aufgehoben. Sobald er wieder zu dir Nachhause kann wird dir Akane Bescheid geben. Okay?“ Der Blauhaarige nickte, während Akane ihrer Mutter um den Hals fiel und ihr auch noch einmal dafür dankte, dass sie Bejû gerettet hatten. Dann sah sie wieder zu dem Älteren, dem in diesem Moment ein riesiger Felsbrocken vom Herzen gefallen war. Etwas später erreichten Akane und Yasuo das Haus seiner Großeltern. Die Braunhaarige hatte darauf bestanden ihn noch mit nach Hause zu begleiten, wo er an diesem Tag doch einiges durchgemacht hatte. So standen sie nun vor dem alten Haus und verabschiedeten sich. Akane wirkte wieder fröhlich und meinte, dass sie Bejû beobachten und ihm sofort schreiben würde, wenn etwas war, bevor sie sich von ihm verabschiedete und gehen wollte. Doch noch bevor die Braunhaarige sich hatte umdrehen können hatte der Ältere nach ihrem Handgelenkt gegriffen und sie an sich gezogen. Er wusste nicht warum, aber er hatte das Bedürfnis sie in diesem Moment zu umarmen. Vielleicht war es die Dankbarkeit, die er für sie empfand. So genau wusste er es nicht, aber es war ihm auch in diesem Moment egal. „Vielen Dank noch einmal.“, bedankte er sich noch einmal bei der Jüngeren, bevor er sie wieder langsam losließ, „Sei vorsichtig auf dem Heimweg.“ „Äh… ja…“, kam es noch stammelnd von Akane, bevor er sich umgedreht hatte und kurz darauf das Haus betrat. Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, lehnte er sich dagegen und versuchte sein klopfendes Herz zu beruhigen. Dann schüttelte er den Kopf und hob den Blick, als er die Stimme seiner Großmutter hörte, welche nach ihm rief. Er musste jetzt erst einmal überlegen, wie er seinen Großeltern die Sache mit Bejû erklärte, danach konnte er sich immer noch um seine eigene Reaktion von eben Gedanken machen. Deshalb schnaufte er noch einmal kurz durch und ging dann schnurstracks auf das Wohnzimmer zu, aus welchem das Geräusch des laufenden Fernsehers drang. Kapitel 65: LXV - Zeitvertreib ------------------------------ Dienstag, 25.August 2015 Summend der Musik aus ihren Kopfhörern lauschend spazierte Mirâ am Fluss entlang, während sie die warmen Strahlen der Sonne genoss. Dabei versuchte sie die Gedanken, an das Gemecker ihrer Mutter zu verdrängen, welche jetzt wohl immer noch am Telefon stand und mit ihrem Vater diskutierte. Aus irgendeinem Grund hatte ihre Mutter herausgefunden, was in Osaka passiert war, weshalb die ganze Sache nun zu eskalieren drohte. Mirâ hatte ein wenig die Ahnung, dass Junko sich verplappert hatte, doch genau wissen konnte sie es nicht. Wiederum gab es keine andere Möglichkeit, wie Haruka von der ganzen Sache erfahren konnte. Seufzend musste sie nun doch wieder daran denken, wie sie erschrocken aus ihrem Zimmer gekommen war, nachdem sie die aufgebrachte Stimme ihrer Mutter mitbekommen hatte. Erst dachte sie, dass es Probleme mit einem Kunden gab, doch schnell musste sie feststellen, wer am Ende der Leitung war: Ihr Vater. Wütend darüber, dass er so unverantwortlich war und seine Töchter alleine in der Großstadt hatte herumlaufen lassen, wäre ihre Mutter wohl am liebsten durch das Telefon gekrochen, um ihn zu erwürgen. Jedenfalls war das Mirâs Einschätzung der Lage und in diesem Moment war sie froh, dass sie bereits gefrühstückt hatte und sich somit aus dem Haus verziehen konnte. Natürlich wusste sie, dass sie bei der ganzen Sache auch nicht ganz ungeschoren davonkommen würde. Spätestens, wenn sie wieder Zuhause war würde sie wohl ihr Fett wegbekommen. Zum Glück bekam Junko von der Diskussion nichts mit, da sie bei einer Freundin übernachtet hatte und Mirâ sie erst am Nachmittag wieder abholen sollte, was sie gleich mit ihrem nun gezwungenen Spaziergang kombinieren wollte. Ein erneutes Seufzen entkam ihr, während sie ihren Blick auf den Fluss richtete, an dessen Ufer sich zu dieser Zeit nur wenige Leute aufhielten. Eine Person jedoch stach ihr dabei besonders ins Auge, welche im Gras hockte und auf das fließende Wasser starrte. Der blaue Haarschopf mit den schwarzen Ansätzen fiel ihr dabei besonders auf. Dabei kam ihr in den Sinn, das Akane ihr am Vorabend bei einem Telefonat erzählt hatte, was am gestrigen Tag passiert war. Kein Wunder also, das Mirâ den cremefarbenen Hund, der sonst immer in Yasuos Nähe war, nicht erblicken konnte. Kurz überlegte die junge Frau, doch setzte sich dann in Bewegung, genau auf den Blauhaarige zu, dabei ihre Kopfhörer aus den Ohren ziehend und diese in ihre Tasche steckend. Als sie näher trat bemerkte sie erst die Person, welche neben dem älteren Schüler saß, weshalb sie stoppte und überlegte, ob sie da einfach dazustoßen konnte oder ob es angebracht war, die beiden in Ruhe zu lassen. Doch plötzlich sprang der Braunhaarige auf und verbeugte sich höflich vor Yasuo, bevor er kehrt machte und den Hang hinauflief. Dabei kreuzte sein Blick kurz den von Mirâ, da er genau an ihr vorbeilief, wodurch sie seine goldgelben Augen erkennen konnte. Diese jedoch verschwanden im nächsten Moment auch schon aus ihrem Sichtfeld, als der junge Mann auf dem Gras wegrutschte und mit einem überraschten Laut plötzlich mit dem Gesicht voran auf dem Boden landete. Erschrocken drehte sich Mirâ zu ihm: "Alles in Ordnung?" Sofort war sie zu dem jungen Mann hinübergegangen und wollte ihm aufhelfen, doch bevor sie ihn berühren konnte, hatte er sich bereits weggedreht und sie mit großen Augen angesehen. Noch einmal kreuzten sich ihre Blicke einen kurzen Moment, bevor der Brünette plötzlich aufsprang und mit einem kurzen "ja" den restlichen Hügel hinauf zur Straße gerannt war. Dabei wäre er beinahe erneut gefallen, doch konnte sich noch rechtzeitig fangen. Mirâ sah ihm nach, bis er verschwunden war und legte fragend den Kopf schief. Was war das denn gewesen? Schultern zuckend erhob sich die Violetthaarige wieder und sah noch einmal in die Richtung, in welche der Braunhaarige verschwunden war, bevor sie sich wieder Yasuo zuwandte. Dieser sah wieder auf den Fluss hinaus und schien in Gedanken versunken, weshalb er sie gar nicht bemerkte. Vorsichtig tippte die junge Frau den Älteren an, woraufhin sich dieser etwas erschrocken umdrehte und sie mit großen grünen Augen ansah. "Ach du bist es.", murmelte er anschließend und nahm seine Kopfhörer von den Ohren. "Ich wollte dich nicht erschrecken, Senpai. Entschuldige.", entschuldigte sich Mirâ, was der Ältere aber nur abwinkte, "Alles in Ordnung? Akane hat mir gestern erzählt, was passiert ist. Tut mir wirklich leid. Ich hoffe Bejû geht es bald wieder besser." "Ja das hoffe ich auch. Aber bei Akanes Eltern ist er in guten Händen. Da bin ich mir sicher.", murmelte der Blauhaarige, der seinen Blick wieder auf das Wasser gerichtet hatte. Mirâ nickte und blickte noch einmal in die Richtung, in welche der braunhaarige junge Mann verschwunden war: "Senpai sag, kanntest du den Jungen von eben? Er sah so panisch aus." Fragend sah Yasuo sie an und blickte dann ebenfalls über seine Schulter hinauf zur Straße: "Ach du meinst sicher Satoshi. Ja, Ich kenne ihn. Wir sitzen öfters hier am Fluss zusammen." "Was war denn mit ihm los?", hakte die Jüngere nach. Der Blauhaarige zuckte kurz mit den Schultern: "Gestern, bevor das mit Bejû passiert ist, hat er mich gewarnt, ich solle aufpassen. Ich hab ihn vorhin drauf angesprochen, ob er das meinte..." "Heißt das, er hat die Köder verteilt?", Mirâ konnte das selbst nicht glauben, denn ihr erster Eindruck von dem jungen Mann wollte nicht dazu passen. Und Yasuo bestätigte ihr Gefühl: "Nein. Ich denke nicht, dass es Satoshi war. Er ist nicht der Mensch für so was. Aber er hat manchmal solche Ahnungen, sagen wir es so. Er versucht tunlichst zu verhindern andere zu Berühren. Ich hab ihn mal gefragt wieso und er meinte, dass dann schlimme Dinge passieren würden. Klingt schon etwas merkwürdig, aber wenn man bedenkt, was wir so alles erleben..." "Ich verstehe...", murmelte Mirâ und verstand nun auch, wieso der junge Mann vorher nicht wollte, dass sie ihn berührte. Ihre Aufmerksamkeit wurde wieder auf Yasuo gelenkt, als dieser sich langsam erhob und streckte: "Ich muss dann los. Will noch mal bei Akane vorbeischauen, wegen Bejû. Möchtest du mitkommen?" Die Jüngere schüttelte den Kopf und lehnte lächelnd ab, bevor sie ihrem Senpai noch einen schönen Tag wünschte. Dieser verabschiedete sich ebenfalls und machte sich dann auf den Weg, während Mirâ ihm kurz nachsah. Sicher hätte sie mitgehen können, doch erinnerte sie sich dabei wieder an das Gespräch mit Akane, die trotz des Vorfalls vom Vortag geschwärmt hatte. Die Brünette schien wirklich sehr viel für Yasuo zu empfinden und die Violetthaarige war sich sicher, dass ihre beste Freundin deshalb wahrscheinlich lieber mit dem Älteren alleine war. Mit einem letzten kurzen Blick auf den Fluss entschied auch sie sich nun ihren Weg fortzusetzen. Ein genaues Ziel hatte sie nicht, immerhin wollte sie eigentlich nur dem Gezeter ihrer Mutter entkommen, aber wer wusste schon, wohin es sie an diesem Tag noch verschlagen würde, bevor sie Junko abholen musste. Sich streckend erreichte Sie wieder die Straße, welche am Deich entlangging und kramte ihre Kopfhörer wieder aus ihrer Tasche, die sie dort verstaut hatte, als sie zu Yasuo gegangen. Mit einem missmutigen Knurren musterte sie den Knoten, welcher sich durch das unüberlegte wegpacken gebildet hatte und den es nun galt wieder zu entwirren, während sie ihren Weg fortsetzte. Es dauerte eine Weile, doch dann hatte sie es endlich geschafft, die Kopfhörer auseinanderzuknoten. Mit einem triumphierenden Ton schaute sie auf die beiden kleinen Stöpsel, welche sie bezwungen hatte und wollte sie sich gerade wieder in die Ohren stecken, als sie eine weibliche Stimme aufblicken ließ. "Emiko, es wird auch Zeit.", sagte diese zurückhaltend, aber trotzdem leicht beleidigt. Mirâ folgte mit ihrem Blick der Stimme und erkannte ein Mädchen in ihrem Alter mit dunkelbraunem schulterlangem Haar, welches an den Spitzen kerzengerade geschnitten, aber doch leicht durch gestuft war. In diesem trug sie einen grünen Haarreif, während auf ihrer Nase eine zarte Brille saß, durch welche ihre grünen Augen leicht beleidigt den Damm hinunterblickten. Sie trug ein luftiges weiß-grünes Sommerkleid und dazu passende zarte Sandalen. Mirâ war so, als hätte sie die junge Frau schon einmal gesehen, doch konnte sie nicht einordnen wo. Wahrscheinlich war sie ihr einmal in der Schule begegnet, doch genau sagen konnte Mirâ es nicht. Kurz überlegte die Violetthaarige, ehe ihre Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt gelenkt wurde, als eine weitere weibliche Stimme erklang. "Gomen, Gomen, Mariko.", entschuldigte sich diese, welcher kurz darauf eine weitere junge Frau folgte, die den Damm hinaufgelaufen kam und dann der Dunkelbraunhaarigen um den Hals fiel. Sofort zog sich Mirâs Herz etwas zusammen, als sie in dem Mädchen diejenige erkannte, welche sie vor einiger Zeit zusammen mit Hiroshi in dem Fast Food Restaurant gesehen hatte. Wieder hatte sie ihre hellbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, welcher bei jeder Bewegung hin und her schwang. Gemeinsam mit ihrer Freundin setzte sie sich einen Moment später in Mirâs Richtung in Bewegung, wodurch die Violetthaarige erkannte, dass die junge Frau eine weiß-schwarz karierte Bluse trug, deren Ärmel sie bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Darunter erkannte Mirâ ein schwarzes Trägertop. Dazu trug die junge Frau eine schwarze kurze Hose, welche den Blick auf ihre dünnen Beine freigab, die jedoch in weißen Overknees steckten, was Mirâ für diese Jahreszeit doch recht merkwürdig fand. Immerhin war es wirklich warm. Abgerundet wurde das Outfit der Brünetten durch knöchelhohe dunkelgraue Stiefeletten. "Sei nicht böse. Ich lade dich dafür auf ein Eis ein. Okay?", holte die Stimme der Hellbraunhaarigen Mirâ wieder aus ihren Gedanken, als die beiden Mädchen sie passierten. Einen Moment hatte Mirâ sogar das Gefühl, als würden die dunkelbraunen Augen des Mädchens sie kurz fixieren, jedoch dauerte es nur einen Wimpernschlag, bis die deiden bereits an ihr vorbei waren. Ruckartig drehte sich die Violetthaarige um und folgte den beiden Mädchen mit ihrem Blick, woraufhin sie kurz stockte. Für einen kleinen Moment hatte sie das Gefühl, als hätte sie um die beiden jungen Frauen jeweils einen Schimmer bemerkt. Während ihr so war, als würde um das Mädchen mit den hellbraunen Haaren ein warmes blaues Licht leuchten, hatte die Violetthaarige um deren Begleitung ein rotes, aber bedrohliches Leuchten bemerkt. Doch kaum hatte sie kurz gezwinkert, waren diese Erscheinungen wieder verschwunden gewesen, weshalb sie diese als Einbildung abtat und nur kurz mit den Schultern zuckte. "Ist das nicht Shingetsu?", hörte sie plötzlich eine männliche Stimme von unterhalb des Damms, woraufhin sie sich wieder ruckartig umdrehte. Dabei fiel ihr Blick auf zwei junge Männer, welche auf einem großen Feld am Fluss standen. Einer der jungen Männer, mit blau-violettem schulterlangem Haar winkte ihr mit einem breiten Grinsen zu, während derjenige neben ihm, mit blondem nackenlangem Haar, nur lächelnd den Arm zur Begrüßung hob. Es waren Shuya und Hiroshi, welche sie dort begrüßten, weshalb sich die junge Frau entschloss zu ihnen hinunterzugehen. Dabei ignorierte sie den kleinen Stich in ihrer Brust, welcher sich erneut bemerkbar machte, als ihr auffiel, dass das Mädchen mit den hellbraunen Haaren aus der Richtung der beiden gekommen war. Wieder kam ihr der Gedanke, in welchem Verhältnis sie zu den jungen Männern, insbesondere Hiroshi, stand. Ob sie den Blonden nach ihr fragen sollte? Leicht schüttelte sie den Kopf und entschied sich dagegen. Auch wenn es ihr schwerfiel, so wusste sie doch, dass es sie eigentlich nichts anging. Egal wie sehr sie das interessierte. Wieso sie sich überhaupt dafür interessierte, ignorierte sie erst einmal gekonnt. "Hallo Jungs.", grüßte die junge Frau ihre Schulkameraden. "Was verschlägt dich denn hierher?", grinste Shuya sie breit an. "Nur ein kleiner Spaziergang.", antwortete die Violetthaarige, "Und ihr?" Hiroshi lächelte und zeigte mit dem Daumen hinter sich, wo sich ein eingezäuntes Fußballfeld erstreckte, das allerdings schon bessere Tage gesehen hatte. Trotzdem tummelten sich dort mehrere Kinder, die sich lachend einen Ball hin und her spielten und damit über den Platz rannten. "Wir spielen mit den Kleinen Fußball.", erklärte der Blonde anschließend, "Gerade machen wir nur eine kleine Pause. Wir sind halt auch nicht mehr die Jüngsten." Mirâ lachte und beobachtete die spielenden Kinder eine Weile, die alle im Grundschulalter zu sein schienen, bevor sie sich wieder an die beiden Kumpels wandte: "Wirklich toll von euch, dass ihr euch um die Kleinen kümmert." Ein Grinsen legte sich auf die Gesichter der jungen Männer, mit dem sie die Aussage von Mirâ kommentierten, bevor sie ihre Blicke wieder auf die fröhlichen Kinder richteten. Auch die Violetthaarige sah wieder in die Richtung und bemerkte darauf einen Jungen, welcher etwas abseits stand und ebenfalls auf das Spielfeld starrte. Sein Blick wirkte traurig, so als wolle er gern mitspielen, sich aber nicht traute hinzugehen. Hiroshi schien dieser Junge auch aufzufallen, denn er setzte sich einen Moment später in Bewegung, um auf den Neuankömmling zuzugehen. "Hallo Kleiner. Möchtest du mitspielen?", fragte er den Jungen unvermittelt, welcher auf die unerwartete Anrede zusammenzuckte und Hiroshi erschrocken ansah. Als der Blonde ihn erreicht hatte, senkte er allerdings den Blick und schien mit sich zu hadern, was er denn antworten sollte. Irritiert legte der Oberschüler den Kopf schief und fragte noch einmal vorsichtig nach, doch auch dieses Mal blieb der Junge ihm eine Antwort schuldig. "Was machst du denn hier?", ließ den Oberschüler jedoch die Stimme eines anderen Jungen aufschauen, welcher bis eben noch fröhlich Fußball gespielt hatte und nun mitsamt der Gruppe auf die beiden zukam, "Verschwinde. Du hast hier nichts zu suchen." Die anderen Kinder stimmten ihm lautstark zu. Auf die harsche Aussage des Jungen und der Reaktion der anderen hin zuckte der Neuankömmling zusammen und wollte sich bereits zum Gehen wenden, als Hiroshi ihn zurückhielt, indem er ihn an der Schulter packte. Erschrocken sah der Kleine zu dem Älteren auf, doch blieb erst einmal stehen. "Mal langsam. Was soll das? Wieso schließt ihr ihn aus?", fragte dieser an die Gruppe von Kindern gewandt. "Na ist doch klar. Er ist ein Langweiler und außerdem eine totale Niete. Der trifft ja nicht mal nen Ball, wenn er genau vor ihm liegt.", erklärte ein anderer Junge der Gruppe mit einem Schulterzucken, worauf die restlichen Kinder lachten. Mirâ merkte, wie sich Hiroshis Körper anspannte und er trotzdem versuchte ruhig zu bleiben: "Und das ist für euch ein gerechtfertigter Grund jemanden auszuschließen?" Seine Stimme war ernst, aber dennoch ruhig und trotzdem bemerkte die junge Frau, dass ihn dieses Thema mächtig beschäftigte und sauer aufstieß. Auch Shuya schien dies aufzufallen, denn er setzte sich einen Moment später in Bewegung, um zu der Gruppe zu stoßen. "Hiro hat Recht. Das ist kein Grund den Kleinen hier auszuschließen.", sagte er mit seiner ernsten Stimme, die man so selten von ihm hörte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mit leicht bösem Blick auf die Kinder vor sich: "Ihr wisst schon, dass das Mobbing ist. Oder?" "Wieso Mobbing? Wir machen ihn ja nicht fertig oder so...", protestierte nun ein Mädchen, welches ebenfalls bei der Gruppe stand. "Auch jemanden auszuschließen ist Mobbing.", meinte plötzlich Hiroshi, dessen Stimme jedoch so laut wurde, dass die Gruppe und auch Mirâ zusammenzuckte, "So was spielt man auch nicht runter und lustig ist das erst recht nicht. Kapiert ihr eigentlich, was man demjenigen damit antut? Das ist kein Kavaliersdelikt. Und wenn das nicht in eure Köpfe geht, dann lassen wir das hier." "Aber ihr habt versprochen uns zu trainieren, damit wir das Spiel gegen die Kinder aus diesem Schnöselviertel am Ende der Ferien gewinnen können.", meckerte der Junge, welcher angefangen hatte. Der Blonde wollte etwas sagen, doch Shuya hielt ihn zurück, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte: "Das machen wir auch. Aber nur, wenn ihr aufhört andere auszuschließen und auch versteht, dass so etwas einfach nicht geht. Sport soll verbinden. Und wenn er nicht so gut spielen kann, dann bringen wir es ihm bei. Wenn ihr ihm helft, geht es auch wesentlich schneller. Und vergesst nicht, dass wir hier sind um Spaß zu haben. Also was ist nun?" Die Gruppe von Grundschülern schwieg kurz, während sie sich alle gegenseitig ansahen. Einer nach dem anderen zuckte mit den Schultern, woraufhin der Junge, mit dem sie diskutiert hatten, seufzte und dann zustimmte. Der Hinzugekommene schaute erst einmal skeptisch und schien zu überlegen, ob es gut war zu bleiben, doch als ihm Shuya grinsend auf die Schulter klopfte und ihn einlud mitzuspielen, breitete sich ein fröhliches Lächeln auf seinem Gesicht aus. Trotzdem folgte er dem Violetthaarigen nur zögerlich, als dieser mit der Gruppe zurück auf das Feld ging und sich dann den Ball auf den Fuß balancierte. Dann spielte er den Ball dem Neuankömmling zu, welcher ihn mit Mühe entgegennehmen konnte und dabei auch noch fast stolperte. Zwar ertönte kurz darauf ein kurzes Lachen der anderen, was den Jungen etwas stocken ließ, doch der Ältere grinste nur kurz und erklärte ihm und auch der Gruppe noch einmal wie man einen zugespielten Ball am besten annahm. Zu Mirâs Erstaunen bekamen sich die Kinder sogar wieder ein und zeigten dem Neuankömmling plötzlich wie es funktionierte. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, während sie auf Hiroshi zuging, der die Gruppe und Shuya beobachtete. "Das ist ja nochmal gut ausgegangen.", meinte sie, woraufhin der Blonde seinen Blick kurz auf sie richtete und dann wieder zum Feld schaute. "Ja. Aber echt unglaublich, die Jugend...", seufzte er anschließend. Mirâ sah ihren Kumpel besorgt an: "Das Thema scheint dich ernsthaft mitzunehmen." "Ich kann sowas einfach nicht leiden.", murmelte ihr Kumpel und schien das Thema damit beenden zu wollen. Die Violetthaarige jedoch hatte das Gefühl, dass mehr dahintersteckte. Allerdings wollte sie den Blonden auch nicht zum Reden zwingen, weshalb sie es erst einmal dabei beließ. Immerhin schien ihm dieses Thema auch unangenehm zu sein. "Gut das Nagase-kun auch eingegriffen hat. Sein Sinn für Gerechtigkeit ist echt toll. Und dass er den Kleinen gleich richtig mit einbindet...", sagte Mirâ stattdessen. Ihr Kumpel nickte: "Shuya war schon so als ich ihn in der Mittelschule kennenlernte. Sein Talent jeden mit einzubeziehen fand ich damals schon sehr imposant. Er schafft es Menschen zu verbinden. Außerdem kann er es nicht sehen, wenn jemand ausgegrenzt wird." "Ihr beiden ergänzt euch da wirklich gut.", lächelte die Violetthaarige, "Ihr seid echt richtig dicke Kumpels, was!?" Der Blonde schwieg kurz, was Mirâ ihren Kopf schief legen ließ, bevor er antwortete: "Ich hab ihm einiges zu verdanken." Der Signalton der Persona-App ertönte aus Mirâs Tasche, doch dies war nicht der Grund dafür, dass ihr Lächeln in diesem Moment erstarrte. Es war die Aussage ihres Kumpels, welche ihren Blick zu irritiert wechseln ließ. Was sollte diese den bedeuten? Noch ehe Mirâ jedoch darauf eingehen konnte, um dies zu hinterfragen, rief bereits Shuya nach seinem besten Kumpel, dass es Zeit wäre weiterzumachen. Dieser wandte sich daraufhin kurz an Mirâ und fragte ob sie nicht Lust hätte mitzuspielen. Die junge Frau jedoch lächelte nur und lehnte freundlich ab. Sie konnte eh kein Fußball spielen, zumal es nicht gerade zu ihrer liebsten Sportart gehörte. Außerdem wollte sie ihren Weg langsam fortsetzen, da sie ja auch noch Junko abholen musste. „Na dann bestell Junko einen lieben Gruß von mir.“, meinte ihr Kumpel nur lachend darauf. Auch Mirâ lachte: „Ja das mach ich. Viel Spaß euch noch. Nagase-Kun mach’s gut.“ „Ja, mach’s gut. Schönen Tag noch.“, rief Shuya fröhlich winkend zurück. Nachdem sich die Violetthaarige auch von ihrem Kumpel verabschiedet hatte, stieg sie langsam den Damm zur Straße hinauf. Oben angekommen sah sie noch einmal zurück, wo sie Hiroshi winken sah, bevor er wieder zurück zum Fußballfeld ging. Mit einem Lächeln wandte sich die junge Frau nun von dem Geschehen ab und kramte ihr Smartphone aus der Tasche, um die Persona-App zu öffnen. Doch kaum hatte sie diese gestartet, legte sie ratlos den Kopf schief. Obwohl sie hätte schwören können, dass sich der Social Link von Hiroshi gefüllt hatte, so hatte sie sich geirrt. Irritiert sah sie noch einmal hinunter auf das Fußballfeld, auf welchem die beiden jungen Männer bereits wieder mit den Kindern am Dribbeln waren. Dabei fiel ihr Blick auf Shuya, dessen Arcana es war, die sich ein bisschen mehr gefüllt hatte. Am Abend „Warum seufzt du denn so, Onee-Chan?“, fragte Junko, nachdem Mirâ zum wiederholten Male leise vor sich hin geseufzt hatte. Erschrocken sah die Oberschülerin auf ihre kleine Schwester, als sie endlich wieder ins Hier und Jetzt geholt wurde. Seit sie Junko abgeholt hatte, hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, ob sich ihre Mutter wieder beruhigt hatte. Natürlich wusste sie, dass sie wohl trotzdem noch Ärger bekommen würde, jedoch hoffte sie, dass wenigstens der Streit mit ihrem Vater beendet war. Die Grundschülerin musste diese Diskussion nicht mit anhören und sie sollte auch nicht erfahren, dass dieser Streit wohl auch auf ihre Kosten ging. Mirâ hatte die Vermutung, das Junko begeistert wie sie war, einfach drauflos geplappert hatte und somit auch von den Vorkommnisen erzählt hatte. Wahrscheinlich wollte sie ihrer Mutter auch unbedingt von dieser niedlichen Katze erzählen. Die Ältere kannte ihre kleine Schwester einfach zu gut und wusste auch, dass Junko es nicht böse gemeint hatte. Trotzdem war es schon enttäuschend, dass die Kleine anscheinend keine Geheimnisse für sich behalten konnte. Noch einmal seufzte die Violetthaarige, woraufhin sie ein irritierter Blick ihrer kleinen Schwester traf. „Was ist denn los?“, fragte diese noch einmal nach. „A-ach nichts. Ich war nur in Gedanken, Junko. Alles gut.“, lächelte Mirâ, doch ihre Schwester ließ nicht locker und sah sie erst recht fragend an, „W-Weißt du. Nagase-Kun hat unserer Gruppe vorgeschlagen, die Tage mal in das Strandhaus seiner Großeltern zu fahren. Ich überlege wie ich Mama davon überzeugen kann, dass ich mitfahren darf.“ Diese Ausrede war nicht einmal gelogen gewesen. Noch bevor Mirâ Junko abgeholt hatte, war eine Nachricht im Gruppenchat von Shuya eingegangen, welcher nun ebenfalls in die Gruppe aufgenommen wurde. In dieser hatte er erklärt, dass seine Großeltern ihm das Strandhaus für den 27. bis 28. August überlassen würden und sie die letzten Tage der Ferien doch noch nutzen könnten, um sich dort etwas zu erholen. Zwar war kurz darauf eine kleine Diskussion zwischen Kuraiko und dem Violetthaarigen entbrannt, was sie denn dort sollen, doch kurz darauf war die Schwarzhaarige bereits eingeknickt und hatte gemeint, dass sie mit ihren Eltern sprechen würde. Natürlich war Shuya darüber extrem erfreut gewesen. Auch die Anderen hatten geschrieben, dass dies eine super Idee sei und sie um Erlaubnis fragen würde. Mirâ konnte sich denken, dass es für ihre Freunde wohl kein Problem darstellen würde die Erlaubnis ihrer Eltern zu bekommen. Bei ihrer eigenen Mutter war sie sich da allerdings nicht so sicher. Ungewollt war sie wieder in ihren Gedanken versunken, bis sie bemerkte, wie Junkos kleine Hand sich an ihrer verkrampfte. Sofort hatte sie ihren Blick auf die Kleine gerichtet und bereute es bereits ihrer kleinen Schwester diese Ausrede aufgetischt zu haben, als sie deren strahlenden Blick sah. Sie wusste sofort, was das bedeutete. Junko wollte mit an den Strand. Seufzend ließ Mirâ den Kopf sinken. Ihre Mutter um die Erlaubnis für sich zu bitten, würde schon schwer werden, aber auch noch für Junko die Erlaubnis einzuholen würde wohl in einer Katastrophe enden. Zumal sie immer noch die Standpauke von ihrer Mutter bekommen würde. Innerlich verfluchte sie sich bereits dafür, doch als sie Junkos strahlende Augen sah seufzte sie erneut: „Also gut. Ich frage Mama, ob du mitkannst. Vorher muss ich aber Nagase-Kun fragen, ob das in Ordnung wäre.“ „Yay!“, freute sich ihre kleine Schwester, während sie ihre Hand losließ, um fröhlich hüpfend vorweg zu laufen. Mirâ mahnte die Kleine noch nicht zu weit vorweg zu laufen, bevor sie diese lächelnd beobachtete. Sie bezweifelte, dass Shuya oder einer ihrer Freunde etwas dagegen hatte, wenn sie Junko mitbrachte. Nachfragen musste sie dennoch. Trotzdem war die größte Hürde immer noch ihre Mutter, denn diese hatte vor allem nach der Aktion in Osaka wohl erst recht ein wachsames Auge auf ihre jüngste Tochter. „Onee-Chan sieh mal. Da ist wieder der nette junge Mann.“, rief Junko plötzlich, woraufhin Mirâ ihren Blick nach vorn richtete. Und tatsächlich. Vor ihnen auf der Kreuzung war Alec und betete erneut für das kleine Mädchen, welches an diesem Ort ums Leben kam. An der Geschichte mit dem Unfall musste wesentlich mehr dran sein, als Alec zugab. Das war der Violetthaarigen mittlerweile klargeworden, denn sonst würde der junge Mann nicht so häufig an diesem Ort sein. Für ein fremdes Kind so häufig zu beten war schon merkwürdig, auch wenn es einem leidtat. Doch wusste Mirâ nicht, wie sie Alec darauf ansprechen sollte, immerhin wollte sie nicht unhöflich wirken und ihre Nase überall reinstecken. Wie es schien hatte Alec Junko gehört, denn er drehte sich unvermittelt in Mirâs Richtung. Die Grundschülerin wiederum war währenddessen bei dem Schwarzhaarigen angekommen und hatte die Hände zu einem Gebet zusammengelegt. Überrascht hatte dieser kurz auf die Kleine geschaut, seinen Blick jedoch kurz darauf wieder auf Mirâ gerichtet, welche nun auch an der Stelle ankam. „Guten Abend.“, grüßte sie höflich, woraufhin der junge Mann nur nickte, „Du bist wirklich häufig hier anzutreffen. Was?“ Alec wandte seinen Blick auf die Vase zu seinen Füßen: „Naja… wie gesagt, die Kleine tut mir leid.“ „Entschuldige, wenn ich so direkt frage, aber da steckt doch mehr dahinter. Oder?“, fragte Mirâ nun doch direkt hinaus, „Ich weiß es geht mich nichts an, aber für ein fremdes Mädchen so häufig hier zu beten… naja… da muss doch mehr dahinterstecken.“ Der Schwarzhaarige schwieg noch einen Moment, bevor er anscheinend einbrach: „Die Kleine war meine jüngere Schwester.“ Der Blick der Violetthaarigen schnellte zu der Vase und dann zurück zu dem jungen Mann: „Deine kleine Schwester?“ Alec nickte und erklärte, dass es schwer für ihn war, als dieser Unfall geschah und er mit ansehen musste, wie die Kleine, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatte, ihr Leben ließ. Mirâ verstand dies natürlich. Ihr würde es nicht anders gehen, wenn Junko etwas dergleichen passieren würde. Doch an so etwas wollte sie erst gar nicht denken. Es war schon schlimm genug für sie, als die Grundschülerin in Osaka verlorengegangen war. „Tut mir leid.“, entschuldigte sich die junge Frau nun doch, „Ich wollte nicht taktlos sein.“ „Nein schon gut. Ich werde nur nicht gerne an diesen Tag erinnert.“, murmelte Alec den Blick wieder auf die Vase gerichtet. „Das kann ich verstehen.“, meinte die Oberschülerin und beobachtete, wie der Schwarzhaarige an ihr vorbei zu seinem Motorrad ging. „Es lässt sich leider nicht mehr rückgängig machen. Alle Beteiligten müssen damit nun leben.“, damit stieg er auf sein Gefährt, setzte seinen Helm auf, startete den Motor und fuhr davon. Traurig sah Mirâ ihm nach. „Was hatte er denn?“, fragte Junko noch, welche von dem Gespräch nicht viel mitbekommen hatte. „Ich glaube ich habe ihn mit meinen Worten verletzt.“, antwortete die Ältere geistesabwesend, woraufhin die Grundschülerin den Kopf schief legte, da sie diesen Satz nicht verstand, „Lass uns Heim gehen, Junko. Mama wartet schon auf uns.“ Kurz folgte Junko dem Blick ihrer großen Schwester, welcher auf die Straße gerichtet war, in die Alec verschwunden war, bevor diese sich abwandte und den Weg nachhause einschlug. Dabei bemerkte sie nicht einmal den leisen Klang ihres Handys, welcher von der Persona App ausging. Junko verstand nicht genau, was passiert war, weshalb sie nur mit den Schultern zuckte und ihrer Schwester dann folgte. Kapitel 66: LXVI – Visionen --------------------------- Mittwoch, 26.August 2015 Summend lief Junko neben Mirâ her, während sie von dieser lächelnd beobachtet wurde. Beide hatten sich vorgenommen, das schöne Wetter, welches an diesem Tag herrschte zu nutzen und einen Spaziergang zu machen. Für den Abend waren schwere Gewitter angesagt, doch bisher ließ nichts darauf schließen, dass es sobald losgehen würde. Die Grundschülerin war glücklich und hüpfte immer wieder während des Laufens auf und ab. Sie hatte auch allen Grund dazu, denn ihre Mutter hatte zugestimmt, dass sie am nächsten Tag zusammen mit Mirâ und ihren Freunden in das Stadtviertel Mikadsuki-cho fahren durfte. Dies war ein kleines toursitisches Dorf, welches sich östlich von der Stadt und am Meer befand. Shuyas Großeltern besaßen dort ein Strandhaus, welches sie für ein paar Tage nutzen durften. Mirâ seufzte, als sie sich an das Gespräch mit ihrer Mutter erinnerte. Natürlich hatte sie am Abend noch Ärger wegen der Sache in Osaka bekommen, weshalb sie sich schon gar nicht mehr traute das Thema mit dem Strandhaus überhaupt anzusprechen. Doch Haruka hatte anscheinend bemerkt, dass der Oberschülerin etwas auf der Seele brannte, sodass sie sie nach der Standpauke darauf angesprochen hatte. Mit eingezogenem Kopf und kleinlaut hatte die Violetthaarige daraufhin der Älteren von der Idee mit dem Strandhaus erzählt und bereits mit einer Verneinung gerechnet. Umso erstaunter war sie, als Haruka nur geseufzt und kurz darauf zugestimmt hatte. Überrascht hatte Mirâ ihre Mutter angesehen, woraufhin diese ihr erklärte, dass sie die nächsten Tage sowieso außerhalb arbeiten musste und deshalb auch nicht kontrollieren konnte, was die beiden Mädchen trieben. Und bevor sie einfach ohne ihre Erlaubnis dorthin fuhren gab sie lieber das Einverständnis. Junko konnte sie weder mitnehmen, noch alleine lassen und Mirâ konnte sie diesen Ausflug schlecht verbieten, hatte sie gemeint. So wusste sie jedenfalls was die beiden Mädchen trieben. Erleichtert und froh hatte Mirâ ihre Mutter umwarmt, welche ihr jedoch noch einmal eingebläut hatte, dieses Mal wirklich auf Junko aufzupassen, sodass diese nicht wieder einfach verschwinden konnte. Überglücklich hatte die Oberschülerin zugestimmt und sofort ihren Freunden geschrieben, nachdem sie ihr Zimmer betreten hatte. Dabei musste sie allerdings auch wieder zu ihrem Bedauern feststellen, dass Mika immer noch verschwunden war. Zu gerne hätte sie der Kleinen davon berichtet und diese auch mitgenommen, doch leider wusste sie auch, dass dies aktuell unmöglich war. Solange Mika in der Spiegelwelt gefangen war würde es nicht möglich sein, mit ihr solche Unternehmungen zu machen. Mirâ richtete ihren Blick zu Boden, während sich ihr Mund zu einem Strich formte, als sie daran dachte, dass sie der Lösung des Rätsels immer noch keinen Schritt nähergekommen waren. Auch Akisu hatte ihnen nichts sagen können und so mussten sie wieder von vorne anfangen. Schon oft hatte sie den Gedanken, ob es denn überhaupt möglich wäre Mika aus dieser merkwürdigen Welt zu retten, hatte diesen allerdings schnell wieder beiseitegeschoben. So auch dieses Mal. Es musste möglich sein. Sie musste einfach daran glauben. Ein erfreutes Quietschen ließ die Oberschülerin aufblicken und feststellen, dass Junko mal wieder nicht an ihrer Seite war. Erschrocken und sich selber scheltend, dass sie sich erneut hat ablenken lassen, blickte sie sich leicht panisch um. Einen Augenblick später konnte sie jedoch wieder aufatmen, als sie Junko nur wenige Meter von sich entfernt erblickte, wie sie mit einem großen cremefarbenen Hund kuschelte. Immer wieder lachte sie auf, als das Tier ihr mit seiner rauen Zunge über die Wangen leckte. Leicht seufzend und den Kopf schüttelnd setzte sich Mirâ daraufhin in Bewegung und ging auf ihre kleine Schwester und den Hund zu, welcher sofort aufblickte, als er die Oberschülerin bemerkte. Ein Pfeifen ließ den Hund jedoch plötzlich den Blick abwenden und in eine andere Richtung schauen, woraufhin auch Mirâ in diese Richtung blickte. Überrascht musste sie feststellen, dass sie mit ihrer Schwester bereits am Fluss angekommen war. War sie so sehr in Gedanken vertieft gewesen, dass sie das gar nicht mitbekommen hatte? Leise murrend legte sie eine Hand an ihre Stirn, welche einen leichten Schmerz von sich gab und schüttelte dann den Kopf. Die ganze Sache machte sie noch vollkommen verrückt, da war sie sich sicher. „Onee-chan, schau mal. Da sind Akane und Yasuo-kun.“, rief ihre kleine Schwester plötzlich fröhlich aus und folgte dem cremefarbenen Hund, welcher bereits zu seinem Besitzer gelaufen war. Nun blickte auch Mirâ auf und erkannte dabei den älteren Schüler und ihre beste Freundin, welche ihr fröhlich zuwinkte. So nahm sie nun auch Kurs auf die beiden und kam einen Moment später bei ihnen an. „Hallo ihr beiden.“, grüßte sie freundlich, woraufhin Yasuo nur ein Nicken von sich gab, während Akane sie fröhlich anlächelte, „Wie es mir scheint geht es Beju wieder besser?“ Die Braunhaarige grinste und machte ein Peace-Zeichen: „Na aber hallo. Er ist wieder vollkommen gesund. Meine Eltern haben echt ganze Arbeit geleistet.“ Mirâ konnte sich, auf die Geste ihrer Freundin hin, ein Kichern nicht verkneifen, während Junko nur fragend durch die Reihen schaute. „Was war denn mit Beju? War er krank?“, fragte sie daraufhin unschuldig. Yasuo legte ihr daraufhin eine Hand auf den Kopf, während sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht abbildete, und erklärte der Grundschülerin daraufhin, dass es seinem Hund vor einigen Tagen nicht besonders gut gegangen war. Deshalb hatte er ihn zu Akanes Eltern bringen müssen, die ihn wieder aufgepeppelt hatten. Die Augen der Kleinen wurden mit jedem Satz den der Oberschüler erzählte immer größer, bis sie sich mit einem breiten Lächeln wieder an Beju wandte und diesen fröhlich umarmte. „Da bin ich aber froh, dass es dir wieder besser geht.“, sagte sie daraufhin, worauf Beju nur freudig bellte. „Und Junko, freust du dich schon auf morgen?“, fragte Akane mit einem Zwinkern. Mit großen Augen sah die Blauhaarige die Ältere an und schien zu überlegen, was diese überhaupt meinte, bevor sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht abzeichnete und sie freudig nickte: „Au ja. Danke, dass ich mitkommen darf.“ „Aber das ist doch selbstverständlich.“, lachte die Brünette, „Du bist doch immer bei uns Willkommen.“ Das Grinsen der Grundschülerin wurde immer breiter und ließ Mirâ kichern. Die junge Frau war wirklich froh, dass ihre Freunde Junko für so selbstverständlich hielten. Sie erinnerte sich noch daran, dass sie da auch schon schlechte Erfahrungen mit gemacht hatte. Vor einigen Jahren, als sie noch aktiv Anschluss in ihrer Klasse gesucht hatte, war sie häufig damit angeeckt, dass sie auf ihre Schwester aufpassen musste, während ihre Freunde sich amüsieren gingen. Zu dem damaligen Zeitpunkt war es auch unmöglich gewesen Junko irgendwohin mitzunehmen. Sie war damals ja auch noch wesentlich jünger. Trotzdem hatte Mirâ das Gefühl, dass ihr eine solche Situation mit ihren jetzigen Freunden nie passiert wäre. Die Violetthaarige wusste nicht woher dieses Gefühl kam, immerhin lebte sie noch nicht so lange hier und kannte auch ihre Freunde noch nicht so lange. Trotzdem wusste sie, dass sie sich auf diese nun verlassen konnte. Die junge Frau lächelte, als sie beobachtete, wie Beju Junko übers Gesicht leckte und erhob sich dann vorsichtig. Fragend sahen Junko und ihre Freunde sie an. „Wir sollten dann erstmal weiter, Junko.“, meinte sie anschließend und zwinkerte Akane zu, welche sofort einen leichten Rotschimmer um ihre Nase bekam. Die Blauhaarige legte den Kopf schief, doch nickte dann und stand ebenfalls auf, bevor sie Beju noch einmal über den Kopf strich und sich von ihm und den beiden älteren Schülern verabschiedete. Auch die Oberschüler verabschiedeten sich mit einem Lächeln von der Kleinen. „Wir sehen uns dann morgen am Bahnhof. Euch noch einen schönen Tag.“, verabschiedete sich auch Mirâ von ihren Freunden und stieg daraufhin mit Junko den Hügel zur Straße wieder hinauf. Dabei fiel ihr ein junger Mann auf, welcher genau dort stand, wo die beiden Mädchen hinwollten, und der auf Akane und Yasuo hinabschaute. Die Violetthaarige brauchte eine Weile, ehe ihr wieder einfiel woher sie den jungen Mann kannte. Es war der Junge, welcher ihr am Tag zuvor entgegengekommen war, als sie Yasuo genau hier getroffen hatte. Satoshi war sein Name, wenn sie sich richtig erinnerte. Irritiert beobachtete sie den Braunhaarigen, wie er nervös hin und her schaute und anscheinend zu überlegen schien, ob er zu Yasuo gehen sollte oder nicht. Kurz zögerte die junge Frau, bevor sie sich dazu entschloss ihn anzusprechen. Also ging sie vorsichtig auf ihn zu, was dieser nicht einmal zu bemerken schien. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie vorsichtig, um den Brünetten nicht zu erschrecken. Leider passierte dies doch und der junge Mann machte einen kleinen Satz nach hinten, ehe er nun endlich die Oberschülerin bemerkte. „Äh… äh…“, begann er zu stottern. „Du bist mit Yasuo-senpai befreundet, oder? Ich glaube gerade ist es nicht so ratsam zu den beiden zu gehen.“, meinte Mirâ mit einem Augenzwinkern, „Jedenfalls würde ich dich gerne im Namen meiner Freundin bitten, sie jetzt nicht zu stören.“ Satoshi senkte den Blick: „J-Ja… das konnte ich… mir schon denken. Ent-Entschuldige mich!“ Damit wollte sich der Braunhaarige umdrehen, doch blieb dabei an seinen eigenen Beinen hängen, sodass er im Begriff war hinzufallen. In letzter Sekunde konnte Mirâ ihn noch am Ellenbogen greifen und so verhindern, dass der junge Mann erneut Bekanntschaft mit dem Boden machte. Dieser jedoch schrak plötzlich auf und zog seinen Arm ruckartig aus der Hand er Violettharigen, bevor er diese mit großen überraschten Augen ansah. Irritiert blickte Mirâ von ihrer Hand zu Satoshi und wieder zurück und wiederholte dies noch einmal. Es hatte sie mächtig erschrocken, dass der junge Mann sich ihrer Hilfe so rabiat entzog und sie konnte sich keinen Reim darauf bilden. Doch anstatt näher darauf einzugehen, hatte der junge Mann nun seine Beine in die Hand genommen und war mit einem „Entschuldige“ davongelaufen. Verwirrt blickte die Oberschülerin ihm nach. Auch Junko schien über dieses Verhalten irritiert. „Was war das denn? Nicht mal danke hat er gesagt.“, sagte sie mit aufgeblähten Wangen, „Sowas unhöfliches.“ „Da kann man wohl nichts machen…“, murmelte Mirâ nur, während sie noch eine Weile in die Richtung sah, in die der Braunhaarige verschwunden war. Dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder ihrer kleinen Schwester zu: „Egal. Lass uns weiter.“ „Geht klar. Können wir etwas zu trinken kaufen gehen?“, fragte die Blauhaarige ihre Schwester vorsichtig. Diese seufzte, stimmte dem Vorhaben aber zu, woraufhin sich die beiden auf den Weg zum nächsten Supermarkt machten. Dass sie dabei verfolgt wurden, fiel ihnen gar nicht auf. Mit einer Flasche Wasser in der einen Hand und glücklich an einem Eis schleckend, verließ Junko den Supermarkt, gefolgt von ihrer Schwester, welche nur seufzte. Die Kleine hatte es wieder einmal geschafft ihr neben einem Getränkt auch noch ein Eis aus dem Kreuz zu leiern. Mirâ schaffte es einfach nicht nein zu sagen, auch wenn ihre Mutter das Ganze nicht so gern sah. Allerdings wusste die Oberschülerin auch, dass dies einer der Geheimnisse war, die Junko sogar für sich behalten konnte. Dies aber auch nur aus dem Grund, weil sie sonst selber Ärger bekommen würde. Freudig stolzierte die Grundschülerin mit ihrem Eis über den Parkplatz des Supermarktes, während Mirâ ihr folgte und dabei nicht wirklich auf ihre Umgebung achtete. Plötzlich jedoch wurde sie am Ellenbogen gepackt und zur Seite gezogen. Erschrocken sah die junge Frau auf und in diesem Moment parkte genau neben ihr ein Auto rückwärts aus, welches sie mit Sicherheit erwischt hätte, wäre sie nicht zur Seite gezogen worden. Der Fahrer schien auch keine Kenntnis von ihr zu nehmen, denn er parkte nur mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit aus und fuhr dann davon. Erschrocken sah die junge Frau dem Auto nach und schien einige Sekunden zu brauchen, um zu registrieren, was eigentlich gerade passiert war. „Nee-chan. Ist alles in Ordnung?“, holte sie Junkos Stimme wieder ins Hier und Jetzt. Diese stand nun neben ihr und sah sie besorgt an. Anscheinend schien selbst die Kleine mitbekommen zu haben, was passiert war. Mirâ konnte wirklich von Glück reden, dass sie zur Seite gezogen wurde, sonst hätte sie nun wohl verletzt, wenn nicht sogar tot, auf dem Boden gelegen. Überrascht sah sie sich deshalb sogleich um, ohne nochmal auf die Frage ihrer kleinen Schwester einzugehen, und blickte plötzlich in zwei goldgelbe Augen. Diese sahen sie ebenso überrascht, aber gleichzeitig erleichtert, an. Einen Moment später erkannte Mirâ Satoshi, der immer noch ihren Ellenbogen festhielt. Der junge Mann hatte sie also offensichtlich gerettet. „Ähm… vielen… Dank…“, murmelte Mirâ immer noch irritiert. Nun schien auch der Brünette aus seiner Starre zu erwachen und ließ den Arm der Oberschülerin ruckartig los: „Schon… gut. Hauptsache… dir ist nichts passiert.“ „Nein, dank dir. Aber sag… bist du vorhin nicht in eine andere Richtung gelaufen? Was machst du hier? Bist du uns heimlich gefolgt?“, fragte die Violetthaarige frei heraus, da sie sich sicher war das Satoshi in eine völlig andere Richtung gegangen war, als sie und ihre Schwester. Angesprochener senkte den Blick, doch schwieg. Mirâ legte fragend den Kopf schief, während Junko ihren Blick zwischen beiden Parteien schweifen ließ und anscheinend versuchte zu verstehen, was da überhaupt gerade abging. Dann brach kurzes Schweigen aus, bis Mirâ lächelte. „Lass uns irgendwo hinsetzen. Ich lade dich auf ein Eis ein. Okay? Als Dank.“, meinte sie anschließend. Verwirrt sah Satoshi sie an, doch nickte dann mehr beiläufig als aktiv. Wenige Minuten später saßen die drei auf einer Bank in einem kleinen Park, welcher sich in der Nähe des Supermarktes befand, und Mirâ reichte dem jungen Mann ein Eis, welches dieser schweigend annahm. „Dein Name ist Satoshi. Hab ich Recht?“, fragte sie ihn anschließend, während sie sich mit etwas schwung neben ihn setzte. Ein irritierter Blick traf die Oberschülerin, woraufhin sie nur lächelte: „Yasuo-Senpai hat mir deinen Namen gestern verraten.“ „A-ach so.“, senkte Satoshi nun wieder den Blick, „J-Ja. Mein Name ist Satoshi Kamiya.“ „Freut mich deine Bekanntschaft zu machen, Kamiya-kun. Ich heiße Mirâ Shingetsu. Und das ist meine kleine Schwester Junko.“, stellte die Oberschülerin sich und Junko vor, welche nur höflich eine leichte Verbeugung im Sitzen andeutete, „So dann erzähl doch mal. Bist du uns gefolgt? Das war doch kein Zufall, dass du plötzlich dort aufgetaucht bist. Oder? Und wenn du uns gefolgt bist, wieso?“ „Das macht man doch nicht.“, sagte plötzlich Junko mit leicht aufgeblähten Wangen, „Das weiß sogar ich und ich bin noch in der Grundschule!“ Mirâ lachte und tätschelte ihre Schwester über den Kopf, bevor sie sich wieder dem Braunhaarigen zuwandte: „Keine Sorge. Ich bin dir nicht böse. Immerhin hast du mich gerettet.“ Satoshi schweig kurz und schien zu überlegen, wie er der Violetthaarigen das alles erklären sollte. Sie würde ihm ja doch nicht glauben. Wieso auch? Das was er sah, war theoretisch nicht möglich und doch sah er diese Bilder. Aber niemand glaubte ihm. Wobei… Yasuo glaubte ihm ja auch und diese junge Frau war mit diesem befreundet. Also vielleicht…? Der Braunhaarige sah wieder auf und blickte in Mirâs lächelndes Gesicht. Also schluckte er kurz, nahm all seinen Mut zusammen, bevor er ein Stück von seinem Eis abbiss und dann nochmal durchatmete. „Also es ist so… ich sehe Dinge, wenn ich andere berühre und… und diesen Leuten passiert dann genau das, was ich gesehen habe.“, erklärte er anschließend, doch wurde dann von Mal zu Mal leiser, da es ihm doch irgendwie peinlich war, „Ich weiß, dass das komisch klingt, aber…“ Überrascht sah Mirâ den jungen Mann an, als ihr wieder einfiel, dass Yasuo am Tag zuvor etwas Ähnliches erzählt hatte: „Ach deshalb vermeidest du andere Leute zu berühren. Kann das sein?“ Überrascht schaute Satoshi auf, während die Violetthaarige ihm erklärte, dass sie es am Tag zuvor bereits komisch fand, dass er zurückgewichen war, als sie ihm helfen wollte. Daraufhin nickte der Braunhaarige und erklärte, dass er Angst habe, dass den Menschen in seiner Umgebung etwas passieren würde, sobald er sie berührte. Er selber war der Meinung, dass er den Menschen Unglück brachte, sobald er sie berührte und vermied deshalb auch den körperlichen Kontakt zu anderen Personen. „Ich bin ein Unglückskind…“, murmelte er abschließend. Die Violetthaarige wiederum legte den Kopf schief: „Nein, das finde ich gar nicht.“ Überrascht sah der Jüngere auf, woraufhin die Oberschülerin ihm erklärte, dass er sie durch diese Fähigkeit ja gerettet hatte. „Ich würde eine solche Fähigkeit eher als Gabe sehen, als einen Fluch. Wenn du nicht gesehen hättest, was passieren wird, wärst du Junko und mir nicht gefolgt und hättest mich auf dem Parkplatz nicht zur Seite gezogen.“, erklärte Mirâ. „Aber wenn ich es nicht gesehen hätte, wäre das gar nicht erst passiert.“, war Satoshi der Meinung. Die Ältere lächelte freundlich: „Meinst du? Ich denke, es wäre auch so passiert, aber dann hätte mich niemand gerettet und ich würde jetzt im Krankenhaus liegen. Oder noch schlimmer.“ Irritiert sah der junge Mann sie an. So hatte er die Sache eigentlich noch nie gesehen. Er hatte bisher immer das Gefühl gehabt, dass die Dinge genau deshalb geschehen sind, gerade WEIL er diese Personen berührt hat. Ihm wurde auch bisher immer das Gefühl gegeben, er sei daran schuld. Doch war es wirklich so? Er hatte bisher noch nie einen Gedanken daran verschwendet, dass er hätte helfen können. Allerdings hinterließ dies erst recht einen bitteren Beigeschmack, weshalb er den Blick senkte und dann den Kopf schüttelte. „N-Nein… Es war bisher immer so.“, sagte er plötzlich und stand auf, „Es war meine Schuld, deshalb tut es mir leid. Bitte pass deshalb auf dich auf, nicht das dir noch etwas Schlimmes passiert, weil du mit mir gesprochen hast.“ Damit wollte er gehen, doch wurde plötzlich an der Hand gegriffen. Erschrocken blickte er auf Mirâ, welche ihn etwas irritiert ansah. Doch plötzlich sah er noch etwas anderes. Eine Aura, welche sich um die Ältere gelegt hatte. Sie war rot und bedrohlich und schien die Oberschülerin zu verschlingen. Schnell zog er seine Hand aus ihrem Griff und die Bilder verschwanden. Mit großen Augen starrte er zu der jungen Frau, deren Blick immer verwirrter wurde. Was war das nur? Noch nie hatte er zweimal bei der gleichen Person etwas gesehen und schon gar nicht solche Bilder. „D-du solltest wirklich au-auf dich aufpassen.“, stotterte er anschließend und rannte plötzlich weg. „Was war das denn?“, fragte Junko völlig aufgebracht, „Dabei wolltest du doch nur nett sein, Nee-chan. Sowas unhöfliches.“ Mirâ hörte ihrer Schwester gar nicht mehr zu, sondern starrte Satoshi noch eine Weile vollkommen irritiert nach, während ihrer Hand immer noch in der Position war, als hielte sie den jungen Mann fest. Irgendetwas war dieses Mal anders gewesen. Der Brünette musste etwas gesehen haben, was ihn noch mehr schockieret hatte, als die Situation auf dem Parkplatz. Doch was? Würde ihr heute noch etwas Schrecklicheres passieren? Ein kalter Schauer lief ihr plötzlich den Rücken herunter, weshalb sie sich schüttelte. Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht einmal den Sound der Persona-App mitbekam, welche sich soeben gemeldet hatte. „Alles in Ordnung, Nee-chan?“, fragte Junko plötzlich und holte Mirâ aus ihren Gedanken, „Du bist plötzlich so blass.“ Vorsichtig schüttelte die Oberschülerin den Kopf und stand dann auf: „J-ja alles gut. Lass uns weitergehen Junko. Wie wäre es, wenn wir einen Abstecher bei Masaru-senpai im Tempel machen?“ Die Grundschülerin legte den Kopf fragend schief, doch stimmte dann zu. Also machten sich die beiden Mädchen auf den Weg zum Shinzaro Tempel. Irgendwie hatte die Violetthaarige nun das Bedürfnis sich einen Talisman zu kaufen. Sie glaubte eigentlich nicht daran, dass Satoshi der Grund für ihr Unglück sein könnte, doch würde sie sich mit einem Talisman aktuell etwas sicherer fühlen. Eine halbe Stunde später erreichten die beiden den Tempel und stiegen die lange Treppe zum Gelände hinauf. Ein leises Grollen ließ Mirâ in Richtung der Berge im Osten blicken, wo sich langsam aber sicher dunkle Wolken sammelten. Das vorhergesagte Unwetter schien sich langsam anzukündigen. In diesem Moment war sie froh, dass sie in der Nähe eines Gebäudes war, wo sie sich unterstellen konnten und dass es unterhalb des Tempels eine U-Bahn Station gab, durch welche sie schneller heimkommen würden, sollte es doch regnen. Auch war sie froh, dass Junko das Grollen noch gar nicht mitbekommen zu haben schien. Diese sprang fröhlich von Stufe zu Stufe und zeigte nicht ansatzweise Anzeichen von Erschöpfung, obwohl der Anstieg doch recht beschwerlich war. Lächelnd beobachtete Mirâ ihre kleine Schwester und folgte ihr leicht schnaufend. Nach wenigen Minuten hatten sie endlich das Gelände am Ende der Treppe erreicht, woraufhin die Oberschülerin erst einmal durchatmete. Ihre Schwester wiederum schien absolut nicht erschöpft und blickte sich aufgeregt um. Auch Mirâ sah sich kurz darauf um, doch konnte Masaru auf den ersten Blick nicht finden. Also entschloss sie erst einmal zum Talisman-Shop zu gehen und sich dort einen Glücksbringer zu kaufen, weshalb sie sich mit Junko in Bewegung setzte. An dem kleinen Häuschen angekommen, welches genau wie der Rest des Tempels, wie ein traditionelles Gebäude aussah, scharrten sich bereits einige Mädchen, welche dabei waren sich einen Talisman auszusuchen. Die Oberschülerin wartete deshalb einen Moment, bis sich die Gruppe entschieden hatte und dann wieder gegangen war, ehe sie nun an den kleinen Laden herantrat. „Willkommen im Shinzaro-Tempel.“, wurde sie daraufhin höflich von einer jungen Frau begrüßt, deren schwarze lange Haare mit einer Spange nach oben gesteckt waren. Dazu trug sie jedoch eine traditionelle Miko-Tracht. Ihre dunkelbraunen Augen musterten Mirâ und diese hatte das Gefühl, als wäre sie der jungen Frau schon einmal begnet, jedoch war ihr deren Gesicht an sich völlig unbekannt. „Wie kann ich dir helfen? Wir haben Talismane für alle Lebenslagen? Brauchst du einen für die Liebe? Das sind unsere Verkaufsschlager.“, grinste die Schwarzhaarige plötzlich. „Ähm… ich wollte eigentlich einen…“, fing Mirâ an, doch wurde unterbrochen, als sie eine ihr bekannte Stimme hörte, welche ihr Herz höher schlagen ließ. „Nanu? Wenn das nicht Mirâ und Junko-chan sind.“, sagte diese fröhlich, „Macht ihr wieder einen Spaziergang?“ Mit klopfendem Herzen drehte sich die Violetthaarige zu der Stimme herum und lief augenblicklich leicht rosa an: „Ma-Masaru-senpai. Hallo. Ähm wir…“ „Hallo Masaru-nii.“, plapperte Junko plötzlich fröhlich dazwischen und ging auf den Schwarzhaarigen zu, „Nee-chan wollte sich einen Glücksbringer kaufen, weil sie mit jemandem Kontakt hatte, der Unglück bringt.“ Mit überraschten Augen sah Masaru erst zu Junko, welche er mit einem Kopftätscheln begrüßte, und dann zu Mirâ, welche sogleich noch roter anlief. Dann lachte er freundlich: „Ich wusste gar nicht, dass du an so etwas glaubst, Mirâ.“ „N-Nein, a-also…“, stammelte die Jüngere, da es ihr doch etwas peinlich war, „Also eigentlich glaube ich nicht an sowas, a-aber irgendwie war mir so…“ Mit jedem Wort wurde Mirâ immer leiser, während Masaru erneut freundlich und herzhaft lachte: „Das braucht dir doch nicht peinlich sein. Also ein Glücksbringer. Ja? Nee-san hat du etwas gegen Unglück da?“ „Nee-san?“, fragte Mirâ irritiert und blickte dann zwischen dem jungen Mann und der Schwarzhaarigen hin und her, welche breit lächelte. Masaru grinste ebenfalls, was der Violetthaarigen erneut die Röte ins Gesicht steigen ließ: „Ja, dass ist meine ältere Schwester Fuyumi. Fuyumi, das ist Mirâ. Wir sind gute Freunde und gehen auf die gleiche Schule. Sie hat mir geholfen das Geburtstagsgeschenk für dich zu kaufen.“ „Aha~“, kam es breit grinsend und langgezogen von Fuyumi, die sich dann an Mirâ wandte, „Freut mich, Mirâ-chan. Danke, dass du meinem Bruder geholfen hast. Masa ist wirklich einfallslos, was Geschenke für Frauen angeht.“ „Übertreib nicht. Und was sollte eigentlich das langgezogene Aha?“, fragte ihr jüngerer Bruder nach, worauf die Schwarzhaarige allerdings nicht näher einging und stattdessen Mirâ einen Talisman reichte. „Also dieser hier hilft gegen Unheil und wenn man ihn immer bei sich trägt, dann hilft er auch im Liebesleben.“, erklärte sie mit einem Zwinkern. Mittlerweile machte Mirâ einer Tomate Konkurenz und hoffte inständig, dass ihr Senpai es nicht bemerkte. Dieser jedoch war in eine Diskussion mit seiner älteren Schwester ausgebrochen, dass diese nicht immer solchen Unsinn erzählen sollte, und schien die Gesichtsfarbe der Violetthaarigen ohnehin nicht zu bemerken. Bevor es noch peinlicher wurde und sich die Diskussion der beiden Geschwister noch vertiefte, entschied sich Mirâ dazu den Talisman zu kaufen und bezahlte ihn, nachdem Fuyumi ihr den Preis genannt hatte. Einige Minuten später stand die junge Frau zusammen mit Masaru und Junko am Tor des Tempels. Mittlerweile hatte sie sich wieder beruhigt und auch ihre Gesichtsfarbe wieder normalisiert. Junko hatte sich in das Gras gehockt, welches neben der Treppe wuchs und beobachtete ein kleines Eichhörnchen, welches durch das Gras tollte und anscheinend seinen Vorrat an Nüssen suchte. Seufzend kratzte sich der Schwarzhaarig im Nacken und beobachtete die Kleine bei ihrem Tun: „Entschuldige… meine Schwester ist manchmal echt belastend.“ „Nein schon gut. Sie ist sehr nett und ihr scheint euch gut zu verstehen.“, meinte Mirâ lächelnd. „Mehr oder weniger.“, murmelte Masaru darufhin nur, „Naja… sie ist eh nur über die Sommerferien hier.“ „Aber schön, dass sie hilft.“, sagte die junge Frau, woraufhin ihr der Ältere erklärte, dass sie sonst die Hölle heiß gemacht bekam von ihren Eltern, was ihr ein Lachen entlockte, „In einem Tempel gibt es immer was zu tun. Was?“ „Ja leider.“, meinte der Schwarzhaarige und schien, als wollte er noch etwas sagen. Doch bevor dies der Fall war hörten beide eine weibliche Stimme, welche nach Masaru rief. Einen Moment später kam eine junge Frau in Miko-Tracht auf die beiden zu. Ihre hüftlangen Haare, die sie auf dem Rücken locker zusammengebunden hatte, wirkten auf den ersten Blick grünlich, doch als sie näher herangetreten war, erkannte Mirâ, dass sie türkis waren. Ihr Gesicht mit den violetten Augen wurde von zwei dickeren Strähnen eingerahmt, welche von ihrem Pony herunterhingen. Leicht außer Atem kam sie bei den Oberschülern an und rang kurz nach Luft. „Masaru-san, deine Mutter sucht dich.“, erklärte sie dann vorsichtig, „Es scheint wichtig zu sein.“ „Bist du deshalb gerannt, Chisato-chan?“, fragte der Ältere, woraufhin Mirâ ein leichter rosaschimmer auf den Wangen der jungen Frau auffiel. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte wandte sich bereits Masaru wieder an sie: „Wenn das so ist, sollte ich wohl besser zurück. Also dann bis morgen Mirâ. Ich freu mich schon.“ „Ja ich mich auch, Senpai.“, freute sich die Violetthaarige. Masaru rief noch schnell Junko eine Verabschiedung zu, bevor er sich zurück zum Tempel machte. Auch Chisato folgte ihm kurz darauf, doch nicht ohne Mirâ vorher einen bösen Blick zuzuwerfen. Irritiert sah Mirâ ihr nach und legte dabei den Kopf schief, während sie sich fragte, was das sollte. Erschöpft ließ sich Mirâ am Abend auf ihren Futon fallen, während draußen lauter Donner grollte und Blitze durch den Himmel zuckten. Gerade noch rechtzeitig waren die beiden Mädchen ins Haus gekommen, bevor ein regelrechter Platzregen begann. Stetig klopften die Tropfen gegen das Fenster und verusachten so, dass die Violetthaarige ganz langsam in einen sanften Schlaf abdriftete. Beinahe wäre sie sogar eingeschlafen, hätte sie nicht plötzlich eine ihr bekannte Stimme wieder geweckt. „Scheint ein anstrengender Tag gewesen zu sein.“, sagte diese Stimme leicht amüsiert. Sofort öffnete Mirâ wieder die Augen und richtete sich ruckartig auf, während sie ihren Blick gen Spiegel richtete, wo sie Mika erkannte. Die Kleine hatte ihre Arme hinter dem Rücken verschränkt und grinste sie schief an. „Mika.“, nur einen Moment später saß Mirâ vor dem Spiegel, „Wo warst du denn die ganze Zeit? Ich hab mir Sorgen gemacht.“ Überrascht sah die Blauhaarige sie an und lächelte dann: „Das ist lieb. Entschuldige bitte. Ich war unterwegs und hab die Gegend überwacht. Vor allem den Dungeon von Akisu.“ „…“, die Violetthaarige schwieg kurz, fragte dann allerdings doch nach, „Und? Gibt es was Neues?“ Die Kleine schüttelte den Kopf: „Nein. Alles ruhig. Konntest du etwas herausfinden?“ Auch die Oberschülerin schüttelte nun den Kopf: „Nein. Das Gespräch mit Akisu hat nichts gebracht. Sie hat keine Persona und kann sich absolut nicht mehr daran erinnern, wie sie in die Spiegelwelt gekommen war. Eigentlich kann sie sich an gar nichts erinnern, was passiert ist.“ „Ich verstehe…“, murmelte Mika, „Das ist ärgerlich. Also stehen wir wieder ganz am Anfang.“ Stumm nickte die Violetthaarige und seufzte. Eigentlich hatte sie keine Lust auf das Thema, also sprach sie etwas anderes an: „Ich bin die nächsten zwei Tage nicht da. Wir wollen zusammen nach Miadzuki-chô fahren. Nagase-kuns Großeltern besitzen dort ein Strandhaus, was wir nutzen können. Ich wünschte du könntest mitkommen, Mika.“ „Das wäre schön.“, lächelte die Kleine traurig, was allerdings kurz darauf zu einem breiten Grinsen wurde, „Aber so ist das leider. Lässt sich nunmal nicht ändern.“ „Ich verspreche dir, dass wir das nachholen, wenn wir dich aus der Spiegelwelt geholt haben. Ich verspreche es dir hoch und heilig.“, versprach Mirâ, auch wenn sie immer noch nicht wusste, wie sie ihre kleine Freundin befreien sollte. Diese lächelte breit: „Ja, das machen wir.“ Das Geräusch von Mirâs Handy ließ die beiden Mädchen aufblicken und die Violetthaarige wusste sofort worum es sich handelte. Die Persona-App hatte wieder reagiert. Sie war einen Schritt bei Mika weitergekommen. Da war sie sich sicher. Auch bei Masaru hatte sie heute eine weitere Stufe gemacht und zusätzlich hatte sich ein weiterer Social Link gestartet. Die Tarotkarte des Schicksals hatte sich aufgedeckt und noch immer rätselte sie, wer es war. Im Grunde konnten es nur Satoshi oder das Mädchen am Tempel gewesen sein. Sie hatte die App allerdings bei beiden nicht wirklich mitbekommen. Bevor sich ihre Gedanken noch weiter vertiefen konnten hörte sie bereits die Stimme ihrer Mutter, welche sie zum Essen rief. „Ja ich komme.“, rief die junge Frau daraufhin und wandte ihren Blick wieder zu Mika, „Ich muss dann erstmal. Reden wir später nochmal?“ „Ich wollte mich eigentlich gleich hinlegen.“, murmelte Mika und gähnte leise. „Ach so. Ja kein Problem. Dann schlaf gut.“, sagte die Violetthaarige, woraufhin die Kleine nickte, ihr ein paar schöne Tage in Miadzuki-chô wünschte und sich dann verabschiedete, „Ja bis dann.“ Das Spiegelbild wurde wieder normal und Mirâ sah nur noch auf ihre eigene Reflexion. Ihr Blick war etwas traurig, da sie sich gerne noch mit Mika unterhalten hätte und sie gerade das Gefühl hatte, dass die Kleine ihr aus dem Weg gehen wollte. Bevor sie sich jedoch noch weiter darüber Gedanken machen konnte rief bereits ihre Mutter erneut nach ihr, sodass sie daraufhin endlich das Zimmer verließ und zum Essen ging. Mika unterdessen beobachtete Mirâ von ihrer Seite des Spiegels aus, denn im Gegensatz zu der Violetthaarigen war ihr dieser Luxus vergönnt durch den Spiegel hindurch in die reale Welt zu blicken. Zumindest war dies in Mirâs Zimmer möglich. Auch ihr Blick war traurig, denn eigentlich wollte sie das Gespräch mit der Älteren nicht so abrupt enden lassen. Sie unterhielt sich gerne mit der Violetthaarigen und fühlte sich ihr sehr verbunden. Trotzdem musste sie das Gespräch beenden, denn ihr Kopf schmerzte unerträglich. Es wurde mit jedem Mal schlimmer. Allerdings geschah dies nur manchmal, meistens bei Gesprächen über Mirâs Spiegel. Befand sich die Ältere bei ihr in der Spiegelwelt, geschah dies nicht. Egal wie sehr sie darüber nachdachte, sie verstand es einfach nicht und hatte mehr und mehr das Gefühl nicht mehr zu wissen, wer oder was sie eigentlich war? War sie ein Mensch? Ein Shadow? Oder doch nur ein erschaffenes Wesen dieser Welt? Es machte sie verrückt. Seufzend massierte sie ihre Schläfen und wollte sich auf den Futon legen, doch kaum hatte sie sich vom Spiegel abgewandt war es erneut geschehen und sie befand sich in einem ihrer Tagträume. Überrascht blickte sie in einen weiträumigen Garten, welcher mit Blumen und etwas höherem Gras bewachsen war, das sie an den Knöcheln kitzelte. Irritiert sah sah sich die Blauhaarige um, als Kinderlachen ihre Aufmerksamkeit erweckte und sie dazu brachte sich vorsichtig umzudrehen. Erschrocken weitete sie die Augen, als sie wieder das kleine blauhaarige Mädchen aus ihren letzten Träumen sah, welches den gleichen Namen trug wie sie. Doch nicht dieses Mädchen war es, was sie so erschreckte, sondern deren Begleitung. Neben der kleinen Mika saß ein Mädchen mit violetten schulterlangen, recht ungestümen Haaren, deren einzelne Strähnen zu machen schienen, was sie wollten. Ihr Pony fiel ihr leicht ins Gesicht und war an der rechten Seite etwas länger, während auf der linken Seite eine einzelne etwas längere Strähne hing, die ihr bis zum Kinn reichte. Beide Mädchen trugen sich ähnelnde Kleider, welche allerdings unterschiedliche Farben aufwiesen. Gemeinsam hockten sie im Gras und knüpften lachend Blumenkränze, die sie sich gegenseitig auf den Kopf setzten. Doch plötzlich stoppten sie und hoben ihre Blicke. Es schien, als würden sie von jemanden gerufen werden, sodass sie ihre Blicke in die Richtung wandten und somit genau zu Mika schauten, die das Geschehen beobachtet hatte. Sofort stockte ihr der Atem, als sie in die ebenso roten Augen des violetthaarigen Mädchens blickte, die sie sofort wissen ließen, dass es sich hierbei um Mirâ als kleines Kind handeln musste. Es war eindeutig. Mika erkannte die Augen der Älteren sofort. Daran gab es keine Zweifel. Plötzlich kamen die beiden Kleinen auf sie zugerannt, doch in dem Moment, wo sie mit der Blauhaarigen zusammengestoßen wären, liefen sie einfach durch sie hindurch. Sofort drehte sie sich um und wollte den beiden nachschauen, doch dann stand sie bereits wieder in dem dunklen Zimmer in der Spiegelwelt. Völlig irritiert starrte sie auf einen Fleck in dem Zimmer, ohne ihn wirklich zu fixieren. Was hatte dieser Traum nur zu bedeuten? Kannte sie Mirâ? Aber wie? Und wenn dem so war, wieso sagte die Violetthaarige dann nichts? Sie müsste sich doch daran erinnern können. Oder? Oder wollte ihr diese Welt nur wieder einen Streich spielen? Nein. An einen Streich wollte sie nicht mehr glauben und auch nicht mehr an einen Zufall. Irgendwas steckte dahinter und sie wollte herausfinden was. Sie musste es einfach herausfinden. Ein plötzlich verstärkter Schmerz in ihrer Schläfe ließ sie zusammenzucken, bevor ihr plötzlich schwarz vor Augen wurde und sie zu Boden sank. Rote Augen beobachtete das ganze Geschehen aus einer dunklen Ecke des Zimmers, welche sich plötzlich in schwarzem Nebel auflösten. Kapitel 67: LXVII – Mitten ins Gesicht -------------------------------------- Donnerstag, 27.August 2015 Mit quietschenden Bremsen hielt die Regionalbahn im Bahnhof von Miadzuki-chô, welcher ebenso die Endstation der Linie bildete. Eilig stiegen alle Fahrgäste aus dem Zug und verließen den Bahnsteig in Richtung Ortskern. Es war noch recht früh am Morgen, sodass noch nicht so viele Besucher unterwegs waren. Trotzdem befanden sich bereits einige Menschen mit Badesachen unter den Reisenden. Freudig hüpfte Junko aus dem letzten Wagen des Zuges und sah sich aufgeregt um. Ihre Augen begannen zu strahlen, als sie erblickte, was sie gesucht hatte: „Onee-chan sieh mal. Man kann von hier schon das Meer sehen.“ „Junko bleib bitte in unserer Nähe.“, mahnte Mirâ, als sie hinter ihrer kleinen Schwester den Bahnsteig betrat, „Außerdem kennst du den Anblick doch schon. Wir waren doch am Anfang der Sommerferien schon einmal hier.“ „Ja aber trotzdem.“, sagte die Grundschülerin mit aufgeblähten Wangen. Lachend stieg auch Shuya aus dem Zug und tätschelte Junko über den Kopf: „Du scheinst das Meer wirklich zu lieben, Junko-chan.“ Die Blauhaarige lachte und machte eine ausschweifende Bewegung mit ihren Armen: „Oh ja. Ich liebe das Meer. Es ist so groß und weit und wunderschön.“ „Na dann sollten wir uns wohl besser beeilen, damit wir ins kühle Nass springen können.“, grinste der Ältere, woraufhin die Grundschülerin freudig nickte, „Dann auf geht’s!“ Shuya wollte bereits losstapfen, als er von seinem besten Kumpel zurückgehalten wurde: „Warte mal. Gib mir lieber mal die Adresse.“ „Adresse?“, legte der Violetthaarige seinen Kopf schief. Völlig perplex sah Hiroshi seinen besten Freund an: „Willst du mich verarschen?“ Unschuldig schüttelte Angesprochener den Kopf: „Nein. Ich weiß doch, wo das Strandhaus liegt. Also mach dir darüber keine Gedanken. Los kommt.“ Mit diesen Worten war der junge Mann nun endlich losgelaufen, während ihm die Anderen folgten. Immer noch wie vor den Kopf gestoßen stand Hiroshi noch eine Weile an der gleichen Stelle, bevor er sich mit der Hand über das Gesicht wischte und der Gruppe ebenfalls folgte. Er wusste genau, dass diese Aktion wohl in einem Chaos enden würde, hoffte allerdings auch, dass er sich irrte und Shuya wirklich den Weg kannte. Leider wurden seine Hoffnungen zerstört und es kam, wie es kommen musste. Nachdem die Gruppe den Bahnhof verlassen hatte, war Shuya sofort in eine Richtung davon gestiefelt. Wieder waren ihm alle gefolgt, doch bald darauf mussten sie erstaunt feststellen, dass sie bereits zum dritten Mal am selben Kiosk vorbeikamen. Die alte Dame hinter dem Tresen schaute die jungen Leute bereits verwundert an, als sie diese erneut erblickte. Verlegen lächelte Hiroshi der Frau zu und ahnte bereits, dass sie sich verfranzt hatte, was in diesem kleinen Dorf doch relativ ungewöhnlich schien, da es nicht sonderlich groß war. Auch Kuraiko schien nun endlich zu begreifen, was Sache war, denn sie hielt abrupt an und ließ ihre Tasche fallen. „Sag mal Nagase. Weißt du wirklich wo das Strandhaus ist?“, fragte sie anschließend genervt. Angesprochener blieb nun ebenfalls abrupt stehen und sah sich etwas verloren um: „Ähm… na klar. Also…“ „Dir ist aber schon aufgefallen, dass wir bereits zum dritten Mal an dieser Stelle vorbeigekommen sind. Oder?“, fragte nun auch Masaru, welchem man ansah, dass er seine ganze Geduld beisamen halten musste. Andererseits konnte man es weder ihm noch Kuraiko verdenken, immerhin war die Gruppe extra zeitig aufgebrochen, um mehr Zeit am Strand verbringen zu können. Und nun vergeudeten sie diese Zeit, indem sie durch den Ort streunten wie verlorene Katzen. Auch Junko sah man die Erschöpfung an, denn sie gähnte einmal herzhaft. Hätte sie sich nicht an Mirâs Hand festgehalten wäre sie wahrscheinlich sofort schlafend zusammengesackt. Ein weiteres Gähnen war von Yasuo zu vernehmen, welcher nur leise fragte, wann sie denn endlich da seien. Shuya wiederum sah sich vollkommen verloren um und wollte bereits wieder losstiefeln – in die gleiche Richtung, die er bereits die beiden Male zuvor genommen hatte – doch wurde vorher von Hiroshi aufgehalten. „Gib es zu Shuyan. Du hast dich verfranzt und hast keine Ahnung, wo wir langmüssen.“, mahnte der Blonde ernst und bemerkte dann die fragenden Blicke auf sich ruhen, weshalb er sich an die anderen wandte, „Dieser Kerl hier hat eine Orientierung wie eine Bockwurst. Ihm zu folgen bringt ungefähr soviel wie einem Blinden in einem Labyrinth.“ Alle Blicke gingen wieder zu Genanntem, welcher erst erstaunt dreinblickte, dann den Blick abwandte, sich am Nacken kratzte und pfeifend versuchte von sich abzulenken. „Warte mal. Du wusstest davon und hast uns nichts gesagt, du Idiot?“, fuhr Akane plötzlich ihren Kumpel sauer an. „Was gehst du mich jetzt plötzlich so an? Ihr seid ihm doch einfach blind gefolgt ohne euch mal Gedanken zu machen, wieso ich ihn nach der Adresse gefragt hatte. Alleine da hättet ihr schon stutzig werden können.“, kam sofort ein Konter zur Brünetten. Diese wollte zu einem weiteren Konter ansetzen, doch wurde von Yasuo davon abgehalten, als dieser meinte, dass Hiroshi nicht ganz unrecht hatte. Immerhin waren sie Shuya einfach blind gefolgt, ohne noch einmal nachzufragen. Also verkniff sich die junge Frau einen weiteren Kommentar, was allerdings Kuraiko nicht davon abhielt weiter zu stacheln: „Du hättest aber schon beim ersten Mal, wo wir hier lang kamen etwas sagen können, du blonder Volltrottel. Oder ist deine Haarfarbe jetzt bei dir Programm?“ „Du musst nicht immer gleich beleidigend werden, du dumme Ziege! Ich hab doch auch keine Ahnung wo das Strandhaus liegt. Woher hätte ich also wissen sollen, das Shuya die ganze Zeit falsch läuft? Ich bin doch nicht sein Navi!“, fuhr Hiroshi sie daraufhin jedoch gleich an, was in einer ernsteren Diskussion endete, die ziemlich laut wurde. Sogar die vorbeilaufenden Leute schauten schon und schüttelten dann verwundert den Kopf über diesen Lärm, ehe sie weiter ihren Weg gingen. Shuya unterdessen versuchte diese Diskussion mit einer Entschuldigung wieder beizulegen, doch im Gegensatz zum letzten Mal, wurde er eiskalt ignoriert, sodass alles was er sagte eh nicht bei den Parteien ankam. Erst das laute Weinen von Junko ließ die beiden Streithähne stoppen und zu der Grundschülerin schauen, welche sich an ihre große Schwester geklammert hatte und bitterlich weinte. Mirâ hatte die Blauhaarige unterdessen an sich gezogen und versuchte sie mit beruhigenden Worten und dem Streicheln des Kopfes wieder zu beruhigen. Dann sah sie böse zu ihren Freunden: „Sehr schön hinbekommen. Junko hasst es, wenn man sich so offen streitet. Das hat sie mit unseren Eltern schon zur genüge durch.“ Getroffen zuckten Kuraiko und Hiroshi gleichermaßen zusammen und blickten sich dann kurz an, bevor sie wieder in die entgegengesetzte Richtung sahen und jeder eine leise Entschuldigung abgab. Junko jedoch beruhigte das nicht wirklich, weshalb Hiroshi auf die Kleine zuging, sich zu ihr herunter hockte und ihr seine Hand auf den Kopf legte. „Entschuldige, Junko-chan. Wir wollten dich nicht verschrecken.“, entschuldigte er sich anschließend und blickte dann hinter sich zur Schwarzhaarigen. Diese seufzte leise und setzte ein Lächeln auf, bevor sie sich an Junko wandte: „Ja, es tut uns leid, Junko-chan. Wir hören jetzt auf. Im Grunde ist ja auch eine andere Person der Schuldige.“ Ihr Blick ging zu Shuya, welcher sofort zusammenzuckte und sich dann verlagen am Hinterkopf kratzte. „Da hat Kuraiko wohl oder übel Recht.“, meinte der Blonde anschließend und erhob sich wieder, „Ich verspreche wir hören jetzt auf.“ „Wirklich?“, fragte die Grundschülerin verunsichert. Der junge Mann ihr gegenüber nickte: „Ja, insofern Shuya jetzt sofort seine Großeltern anruft und nach der Adresse fragt.“ Auch sein Blick ging nun zu seinem Kumpel, der erneut zusammenzuckte und dann sein Handy hervorholte, nur um im nächsten Moment ein Telefonat zu beginnen. Grinsend blickte Hiroshi wieder zu dem kleinen Mädchen, welches sich nun die Tränen aus den Augen wischte und dann breit lächelte. Kaum hatten sie die Adresse des Strandhauses bekommen hatte sich die Gruppe wieder auf den Weg gemacht und die Unterkunft sogar innerhalb weniger Minuten erreicht. Erschöpft betraten alle nach und nach das geräumige Wohnzimmer, welches direkt an den Eingangsbreich grenzte, und ließen sich auf dem Fußboden und im Raum befindlichen Möbeln nieder. Jedem war anzumerken, dass sie froh waren endlich angekommen zu sein. Einzig und allein Shuya ging an allen vorbei zu den großen Fenstern, vor welchen sich noch dicke Fensterläden befanden und damit den Blick nach draußen blockierten, öffnete diese und schob die Läden zur Seite. Kurz darauf fiel helles Tageslicht in den Raum, sodass man nun auch die Einrichtung richtig sehen konnte. Von ihrer Position auf dem Fußboden aus ließ Mirâ ihren Blick durch den Raum schweifen. An der Wand mit dem Eingang, durch welchen sie in den Raum getreten waren und die sich gegenüber der Fenster befand, führte rechts neben der Tür eine Treppe in den nächsten Stock. Darunter erkannte Mirâ eine breite Holzschiebetür. Links daneben ging es nahtlos in einen großen Essbereich, an welchen eine offene Küche grenzte. Einzig und allein der Fußboden trennte Essebreich vom Wohnzimmer ab. Während das Wohnzimmer mit Tatami-Matten ausgelegt war, bestand der Fußboden im Esszimmer aus Holzparket. Mirâs Blick wanderte weiter und ging auf einen großen Fernseher, welcher an der Grenze zwischen Wohn- und Esszimmer stand. Genau vor ihr befand sich etwas vertieft eine bequeme Sitzecke, welche aus einem großen Sofa und mehreren kleinen Hockern bestand, die einen niedrigen Holztisch einrahmten. An der Wand gegenüber dem Esszimmer befand sich ein großes Regal, welches mit Büchern und Dekoartikeln gefüllt war. Obwohl das Haus von außen her eher traditionell aussah, so war es innen doch extrem modern eingerichtet. Ein krasser Kontrast, der jedoch irgendwie passte. „Waaaah wie schön.“, holte sie die Stimme ihrer kleinen Schwester aus den Gedanken und ließ sie zu dieser schauen. Das kleine Mädchen war hinaus auf die großzügige Terasse gerannt und schaute gebannt auf das Meer, welches sich nur wenige Meter entfernt von dem Standhaus befand. Der kleine Strand, der das Haus vom Meer trennte, war menschenleer und strahlend weiß. Auch Mirâ war nun aufgestanden, um sich zu ihrer Schwester zu gesellen und den Ausblick zu genießen. „Nicht schlecht.“, hörte sie Kuraiko hinter sich, die sich in den Fensterrahmen gelehnt hatte. „Hab ich zu viel versprochen?“, fragte Shuya grinsend, „Das hier gehört alles uns. Wir können uns also richtig schön breit machen.“ „Warte mal… heißt das, das dieser Strandteil deinen Großeltern gehört?“, fragte Akane überrascht, woraufhin der Ältere nickte und erklärte, dass der Strand zum Grundstück gehörte und demnach privat war, „Wow. Reich muss man sein…“ „Bevor wir allerdings an den Strand gehen, sollten wir uns erstmal über die Zimmeraufteilung einig werden und unsere Sachen nach oben bringen. Meint ihr nicht?“, schlug Masaru vor. „Ja, du hast Recht.“, stimme Shuya zu, „Also wir haben vier Schlafzimmer. Da wir acht Personen sind geht das also echt super auf.“ Der junge Mann kam bei Kuraiko zum Stehen und legte ihr seinen Arm, um die Schulter, was die Schwarzhaarige bereits ihr Gesicht verziehen ließ, da sie nichts gutes ahnte. Der junge Mann jedoch grinste nur breit: „Wie wäre es, wenn wir… UFF!“ Im nächsten Moment hatte er bereits den Ellenbogen der jungen Frau in seiner Magengrube, woraufhin er die Umarmung löste und auf die Knie sackte. Wütend blickte ihn die junge Frau mit ihren violetten Augen an. „Versuchs erst gar nicht, du Trottel.“, auf dem Absatz drehte sie sich um, ging in den Raum und schnappte ihre Tasche, „Ich teile mir mit Akane ein Zimmer, da Junko mit Sicherheit mit Mirâ in ein Zimmer möchte. Den Rest könnt ihr Jungs unter euch klären.“ Noch einmal blickte sie böse auf den Violetthaarigen, der immer noch auf dem Boden hockte und war dann mit einem genuschelten „Idiot“ im oberen Stockwerk verschwunden. Völlig perplex sahen die Anderen ihr nach, bevor Akane als erste ihre Fassung zurückerlangte, sich ebenfalls ihre Tasche schnappte und der Schwarzhaarigen folgte. Mirâ blickte zu Junko, welche davon nur relativ wenig mitbekommen hatte, und fragte sie, ob auch sie sich ein Schlafzimmer aussuchen wollten. Lächelnd nickte die Grundschülerin und folgte ihrer großen Schwester in den ersten Stock. „Dann würde ich sagen, wir teilen uns ein Zimmer, Yasuo.“, kam es nun von Masaru, welcher bereits seine Tasche schulterte. Der Blauhaarige öffnete müde seine Augen und sah seinen Klassenkameraden etwas verwirrt an. Sofort war klar, dass Yasuo bereits wieder eingeschlafen war, bis der Schwarzhaarige ihn angesprochen hatte. Etwas verwirrt setzte er sich auf und fragte nach, worum es ging, woraufhin ihm Masaru mit einem Seufzen die Situation erklärte. Auch diese Erklärung schien eine Weile zu brauchen, bis sie bei Yasuo ganz oben angekommen war, doch dann nickte der junge Mann, woraufhin sich die beiden Gleichaltrigen ebenfalls ein Zimmer aussuchen gingen. Zurück blieben Hiroshi und Shuya, welcher sich mittlerweile wieder aufgesetzt hatte. „Was findest du nur an dieser Zicke?“, fragte der Blonde nur skeptisch. Verlegen lachte der Angesprochene und stand endlich wieder auf: „Das sie eben so ist, wie sie ist.“ „Oh man… dir ist echt nicht mehr zu helfen. Weißt du das?“, meinte Hiroshi nur trocken und schulterte nun ebenfalls seine Tasche, um sie in das verbliebene Schlafzimmer zu bringen. Als Antwort jedoch bekam er nur ein herzhaftes Lachen, bevor sie ebenfalls in den oberen Stock gingen. Etwa eine Stunde später hatten sich alle eingerichtet und umgezogen, sodass sie nach und nach auf den Strand trudelten. Junko war die erste, welche auf den Strand stürmte, mit strahlenden Augen auf das Meer blickte und sich freute wie verrückt. Seufzend war Mirâ ihr gefolgt und hatte sie ermahnt, nicht ständig einfach vorzurennen. Zumindest war dieses Mal das Thema mit dem eincremen nicht mehr relevant, immerhin hatten sie sich bereits beim Umziehen mit Sonnenmilch eingeschmiert. So konnte die Oberschülerin wenigstens diese Diskussion dieses Mal umgehen. Auf diese hatte sie nämlich absolut keine Lust. „Wuhu! Ab ins Wasser!“, rief eine männliche Stimme. Einen Moment drauf sah sie nur noch ein paar violett-blaue Haare an ihr vorbeihuschen und hörte ein lautes Klatschen. Überrascht drehte sie sich um. Daraufhin erkannte sie Shuya, welcher mit klitschnassen Haaren wiederauftauchte und den Anderen lachend zuwinkte. Junko sah dies als Einladung und stürmte ebenfalls gleich los, jedoch nicht ohne vorher noch einmal kurz zu Mirâ zu schauen, welche ihr lächelnd zunickte. Fest umklammerte sie ihren Schwimmreifen und sprang dann mit einem lauten Lachen ins Wasser, sodass Shuya die dabei entstandene Welle voll abbekam. Theatralisch rief er nach Hilfe, bevor er absichtlich abtauchte und der Grundschülerin so erneut ein Lachen entlockte. Lächelnd beobachtete Mirâ, wie nun zwischen den beiden eine Wasserschlacht entbrannte in welcher sie sich gegenseitig nichts schenkten. „Shuyan ist echt manchmal ein Kindkopf.“, ließ sie die Stimme von Hiroshi aufhorchen und zu ihm schauen. Dieser war neben sie getreten und schaute ebenfalls lächelnd auf das Meer hinaus, wo sich die Grundschülerin und der Violetthaarige immer noch gegenseitig mit Wasser bespritzten. „Aber Junko hat Spaß.“, kicherte Mirâ. Der Blick des Blonden wanderte nun vorsichtig neben sich auf die junge Frau, deren Aufmerksamkeit wieder auf Junko und Shuya lag und die deshalb auch nicht mitbekam, wie sie beobachtet wurde. Wieder trug sie den knappen Bikini, welchen sie bereits beim letzten Mal an hatte und der ihm das Blut zu Kopf steigen ließ. Und wieder musste er sich mächtig zusammenreißen, immerhin sah sie darin einfach zu sexy aus. Auf seine Wangen legte sich ein leichter rotschimmer und er wandte seine Augen wieder auf das Meer. Wieso sah Mirâ nur so gut aus? Das machte ihn vollkommen verrückt. Ob er ihr ein Kompliment machen sollte? So in Gedanken versunken merkte der Oberschüler nicht einmal, wie sein Schwarm sich vom Meer abgewandt hatte und nun Richtung Strandhaus sah. Erst als sie etwas erschrocken aufquietschte, sah er wieder zu ihr. „Was ist passiert?“, fragte der Blonde etwas überrascht, worauf ihm der leicht panische Blick und die knallig roten Wangen der Violetthaarigen auffielen. „Wieso hab ich ausgerechnet diesen Bikini mitgenommen? Und Senpai sieht mich so. Oh Gott ist das peinlich.“, nuschelte sie plötzlich, während sie sich die Hände vor ihr rotes Gesicht legte, „Ich glaube ich sollte mir lieber ein Shirt holen. Urgh… was mache ich nur?“ Die Gesichtszüge von Hiroshi waren derweil eingeschlafen. Er war sich sicher, dass die junge Frau mehr zu sich gesprochen hatte und es ihr gar nicht bewusst war, dass der Blonde ihren Monolog mitbekommen hatte. Klar wurde ihm das auch, als sie plötzlich leise schwärmte wie durchtrainiert der ältere Schüler war und sie nicht wusste, wie sie den Tag überhaupt überstehen sollte. Für ihn war diese Schwärmerei natürlich ein echter Schlag ins Gesicht, selbst wenn es der jungen Frau nicht wirklich klar war, und so konnte er es nicht verhindern, dass er etwas sauer wurde. Da war sie wieder: Seine unterdrückte Eifersucht. Hiroshi ballte die Hände zu Fäusten und schluckte hart, versuchte die Eifersucht wieder herunterzuschlucken. Was Anderes blieb ihm eh nicht übrig. Er konnte es ja doch nicht ändern. Außerdem wusste Mirâ ja nichts von seinen Gefühlen, deshalb konnte er ihr eigentlich auch nicht böse sein. Trotzdem machte ihn das fertig, weshalb er den Blick senkte und die Zähne zusammenpresste, woraufhin sie leise knirschten. Dann wandte er sich ab, nur um einen Moment später ebenfalls ins Wasser zu springen. Mirâ jedoch hatte das gar nicht wirklich mitbekommen. „Lass den Kopf nicht hängen.“, hörte er eine Stimme, als er wieder aus dem Wasser auftauchte. Als er seinen Blick zur Seite wandte erkannte er Shuya und Junko, welche an ihn herangeschwommen kamen. Sie hatten also alles mitbekommen. Wie peinlich. „Du brauchst dich doch gar nicht vor Shin verstecken.“, grinste Shuya nur breit, doch Hiroshi ignorierte es und ließ es seinen Kumpel auch spüren, weshalb dieser seufzte, „Hey. Das war ein Scherz. Das wird schon.“ „Das war echt fies von Onee-chan.“, schimpfte Junko, welche einen bösen Blick zu Mirâ warf und dann wieder zu dem Blonden sah. Überrascht sah dieser die Grundschülerin an und seufzte dann, bevor er ihr über den Kopf strich und dann kurz abtauchte. Einen Moment später tauchte er etwas entfernt wieder auf und begann einige Bahnen zu schwimmen. Die Blauhaarige und sein Kumpel sahen ihm besorgt nach, doch das bekam Hiroshi nicht mehr mit. Stattdessen konzentrierte er sich auf seine Bewegungen und versuchte so auf andere Gedanken zu kommen. Auch Akane und Kuraiko hatten die Szene aus einiger Entfernung mitbekommen und schüttelten nur den Kopf. „Er kann einem echt Leid tun. Das war echt hart von Mirâ“, murmelte die Brünette, während sie Hiroshi nicht aus den Augen ließ. „Wiederum ist er selber schuld, wenn er nicht bald mal reinen Tisch macht.“, meinte Kuraiko nur seufzend, „Wenn er Mirâ nichts von seinen Gefühlen erzählt wird sie ihm immer wieder unbeabsichtigt eine Klatsche geben.“ Die junge Frau neben ihr nickte nur und seufzte dann ebenfalls. Sie verstand, wieso Hiroshi nichts sagte, doch wusste sie auch, dass ihm das wohl auf dauer das Herz brechen würde. Aber was sollte sie tun? Mehr als zuschauen konnte sie aktuell nicht. Erneut seufzte sie und sah dann wieder zu Kuraiko, wobei ihr das schwarze weite Shirt mit der Aufschrift „Band-Maid“ auffiel, was die junge Frau trug und somit ihren Körper bedeckte. Die Schwarzhaarige bemerkte den Blick der Brünetten und zuckte dann mit den Schultern. „Mir war so.“, murmelte sie dann, während ihr Blick Richtung Meer zu Shuya ging, der wieder mit Junko spielte. Ein leichtes Grinsen schlich sich auf das Gesicht von Akane, als sie den Blick ihrer Freundin bemerkte. Sofort wusste sie, was Sache war. Kuraiko wollte ihren Körper und Bikini vor Shuya verstecken. Lächelnd schüttelte die Braunhaarige den Kopf und lachte in sich hinein. Irgendwie war das schon niedlich. „Was steht ihr hier herum, Mädels? Wollt ihr nicht ins Wasser?“, ließ sie eine weitere männliche Stimme aufblicken, während Masaru neben sie trat. Ein Pfeifen entglitt der Brünetten: „Wow Senpai. Du musst dich aber auch nicht verstecken.“ Dem älteren Schüler merkte man an, dass er Kendo machte. Er hatte einen wirklich durchtrainierten Körper und muskulöse Oberarme. Das regelmäßige Training hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen, auch wenn man es sonst nicht so genau sehen konnte. Doch nun, wo er nur eine Badeshorts trug, war das nicht zu übersehen. „Was meinst du?“, traf sie ein fragender Blick, woraufhin Kuraiko nur aufstöhnte und sich genenervt die Hand an die Stirn legte, während Akane nur lachend abwinkte. Stattdessen stellte sie eine Gegenfrage: „Wo ist eigentlich Yasuo-senpai?“ Der Ältere verschränkte die Arme vor der Brust und sah zum Strandhaus zurück: „Tja… er meinte, er wolle sich lieber hinlegen.“ „WAAAAAS?“, ließ ihn Akanes Stimme aufschrecken. Kurz darauf, war die Brünette meckernd in Richtung des Strandhauses verschwunden. Überrascht sah der Schwarzhaarige ihr nach, während Kuraiko nur erneut seufzte und sich dann mit den Worten „umgeben von Idioten“ fortbewegte, um sich etwas weiter entfernt mit ihrem Handtuch auf dem Sand niederzulassen. So verbrachten sie einige lustige Stunden am Strand und hatten sich nach dem Mittag, zu dem sie einige Sandwiches gegessen hatten, alle im Wasser versammelt, um sich gegenseitig einen hellvioletten Ball zuzuspielen. Zur Überraschung aller, war es ausgerechnet Kuraiko gewesen, welche diesen mitgebracht hatte. Genervt hatte sie alle gefragt, ob es ein Problem gäbe, nachdem diese sie total perplex ansahen, und hatte darauf nur ein kollektives Kopfschütteln erhalten. Letzten Endes stellte es sich allerdings als großer Spaß heraus, dass die Schwarzhaarige an soetwas gedacht hatte. Hiroshi war am Zug und hatte den Ball nach oben geworfen, um ihn kurz darauf mit einem Handgelenk wie beim Volleyball auf Akane zu schleudern. Allerdings prallte der Ball etwas unglücklich ab, sodass die Brünette einen Sprung hinlegen musste, um das Geschoss überhaupt zu erwischen. Leider ohne Erfolg, denn anstatt den Ball zu erwischen landete sie mit einem Bauchklatscher im Wasser, während die violette Kugel wieder zurück zum Blonden schwamm. Lachend zeigte Junko auf Akane, die nun wiederauftauchte und sich bei ihrem Sandkastenfreund über dieses mieserable Zuspiel beschwerte. Auch Hiroshi lachte und spielte den Ball nun weiter, dieses Mal zu Mirâ, die einmal aufsprang und das Geschoss weiter zu Kuraiko spielte. Auch sie bekam den Ball und baggerte ihn weiter zu Masaru, welcher diesen allerdings auch nur mit einem gekonnten Hechtsprung annehmen konnte. Zwar erwischte er den Ball und dieser flog weiter, doch der Schwarzhaarige landete dabei ebenfalls mit einem Klatscher im Wasser. Die violette Kugel derweil flog auf Yasuo zu, der allerdings völlig abwesend in der Gegend herumstand und diese gar nicht mitbekam. Erst als der Ball an seinem Kopf abprallte, schien er bemerkt zu haben, dass er angespielt wurde. Völlig irritiert sah er auf und blickte sich um, während Akane auf ihn zukam. „Senpai, du sollst doch nicht schlafen.“, lachte sie. Der Blauhaarige kratzte sich am Nacken und gähnte herzhaft: „Sorry…“ Erneut lachte die Brünette auf und beließ es dabei, während der Ball an den Strand gespühlt wurde, wo Shuya seit dem Mittag verweilt hatte. Nachdem Kuraiko den Ball herausgekramt hatte und die Gruppe einstimmig entschied, damit im Wasser zu spielen, hatte sich der Violetthaarige abgekapselt. Vor allem Hiroshi hatte dies irritiert, da Shuya eigentlich selten zu Ballsportarten nein sagte und darin auch wirklich gut war. Dass er freiwillig auf diesen Spaß verzichtete, kam dem Blonden wirklich spanisch vor, doch sein Kumpel versicherte ihm, dass alles okay sei und er nur keine Lust hatte. Anstatt also mitzuspielen, saß der Ältere nun am Strand und starrte auf die spielende Gruppe. Erst als Kuraiko aus dem Wasser trat, um den Ball zu holen, blickte er plötzlich auf und zuckte etwas erschrocken zusammen. Mit großen Augen starrte er auf die Schwarzhaarige, die den Ball aufhob und dabei den Blick des jungen Mannes auf sich spürte. „Was ist? Hab ich was im Gesicht?“, fragte sie genervt, da sie diese Geste wirklich störte. „N-Nein. S-Sorry.“, antwortete der Violetthaarige und wandte den Blick ab. Mit hochgezogender Augenbraue sah die junge Frau zu Shuya. So wortkarg kannte sie den jungen Mann gar nicht. Viel mehr hatte sie mit irgendeinem flotten Spruch gerechnet, immerhin war der Violetthaarige auch nie einer Schmeichelei verlegen. Stattdessen starrte er jedoch nun den Sand neben sich an. Auch wenn sie sich sicher war, dass sie es später bereuen würde, so fragte sie nun doch einmal nach: „Sag mal. Ist alles in Ordnung? Du bist doch sonst auch nicht so wortkarg.“ „J-ja. Es ist alles in Ordnung. Ich glaube, ich habe nur zu viel Sonne abbekommen.“, murmelte der Angesprochene. „Ah ja. Ist das dann nicht etwas schwachsinnig hier herumzusitzen, so ohne Schutz?“, kam eine weitere Frage. Überrascht sah Shuya auf, immerhin hatte er nicht damit gerechnet, dass die junge Frau sich solche Sorgen um ihn machte. Doch kaum hatte er seinen Blick auf die Schwarzhaarige gerichtet, stockte er, als er sie in ihrem schwarzen, mit violetten Rüsschen verzierten, Bikini vor sich stehen sah. Sofort spürte er, wie ihm das Blut zu Kopf stieg und er rot anlief. Plötzlich jedoch zuckte auch Kuraiko etwas zurück und lief ebenfalls rot an, allerdings vor Wut. Mit einem Mal holte sie aus und einen Moment später spürte Shuya nur noch, wie er mit voller Wucht den violetten Ball ins Gesicht geknallt bekam. „Du verdammter Perversling!“, schimpfte Kuraiko mit vor der Brust verschränkten Armen und stampfte dann zurück zu ihrem Handtuch, um sich dort ihr schwarzes Shirt wieder überzuziehen. Völlig perplex hatte die restliche Gruppe das Geschehen beobachtet und war bei Kuraikos plötzlichem Wutausbruch zusammengezuckt. Sofort war Hiroshi aus dem Wasser gerannt und zu seinem Kumpel gestürmt, der durch den Aufprall zu Boden gegangen war. „Hey Shuyan. Ist alles okay? Was hatte die Zicke denn dieses Mal?“, fragte der Blonde besorgt und half seinem Kumpel wieder sich aufzusetzen. Doch dann stockte auch er plötzlich, als er ein kleines Rinnsal Blut an der Nase des Violetthaarigen erkannte: „Bitte sag mir, dass das vom Aufprall kommt.“ „Ähm… naja… ah!“, mit einem Aufschrei landete der Ältere wieder im Sand, als sein Kumpel ihn unvermittelt wieder losgelassen hatte. „Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen…“, murmelte Hiroshi, der sich genervt über das Gesicht strich. Sich Blut und Sand aus dem Gesicht wischend erhob sich Shuya wieder: „Man… ich kann nichts dafür. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so sexy aussieht.“ „Du hängst ständig an ihrem Rockzipfel und DAS haut dich um?“, kam nur eine weitere Frage, die Shuya jedoch mit einem ebenfalls genervten Blick quittierte. „Deshalb weiß ich aber trotzdem nicht, wie sie unter ihrer Uniform aussieht… Urgh…“, erneut lief etwas Blut aus Shuyas Nase, was er versuchte mit dem Handrücken wegzuwischen. Das er so reagiert hatte ärgerte ihn ja selber, dabei hatte er versucht das zu verhindern. Nachdem er Kuraiko nach dem Mittag das erste Mal ohne ihr Shirt und nur in ihrem Bikini gesehen hatte, war er einfach völlig hin und weg gewesen. Er wollte es sich nicht anmerken lassen, doch die Schwarzhaarige war einfach viel zu umwerfend gewesen. Da er allerdings genau wusste, wie sie reagierte, wenn sie mitbekommen würde, dass er ihr Outfit sexy fand, wollte er es möglichst verhindern, dass sie es bemerkte. „Naja, das ging gewaltig nach hinten los.“, ging ihm durch den Kopf, während er sich über das Gesicht wischte. Das würde sie ihm wohl nicht so schnell verzeihen, da war er sich sicher. Er musste wohl etwas finden, um sie wieder gnädig zu stimmen. Doch ob es wirkte, blieb abzuwarten. „Oha, der Aufprall muss ja schlimm gewesen sein.“, ließ ihn Junkos Stimme aufschauen. Die Grundschülerin war nun ebenfalls zu ihm gekommen und hatte sich zu ihm heruntergehockt. „Ist alles in Ordnung, Shuya-niichan?“, fragte sie anschließend. Noch einmal wischte sich der Oberschüler mit dem Handrücken über die Nase, um so noch etwas Blut zu entfernen: „Ja alles gut. Danke, dass du fragst Junko-chan.“ Die Blauhaarige lächelte breit und stand wieder auf: „Nanu. Shuya-niichan, du hast da was rosanes im Haar.“ „Was rosanes?“, fragte der Violetthaarige überrascht und überlegte kurz, was die Grundschülerin meinen könnte. Auch Hiroshi sah nun dorthin und stellte ebenfals die rosanen Stellen fest: „Junko-chan hat Recht. Warte mal… das sieht so aus… Sag mal, ist das dein Haaransatz?“ Erschrocken zuckte der Ältere zusammen und schien nun zu verstehen, was Junko meinte. Sofort sprang er auf und war mit der Ausrede, sich waschen zu wollen, in Richtung Strandhaus verschwunden. Zurück blieben eine völlig perplexe Junko und Hiroshi, welcher mit einem Male herzhaft begann zu lachen, was die Grundschülerin neben ihm noch mehr zu verwirren schien. Kapitel 68: LXVIII – Wechsel der Emotionen ------------------------------------------ Donnerstag, 27.August 2015 – Am Abend Als die Sonne bereits im Begriff war unterzugehen hatte die Gruppe ihre Sachen zusammengesammelt und war zum Strandhaus zurückgekehrt. Das Ereignis mit Shuya und Kuraiko jedoch hatte die ganze Zeit wie eine Guillotine über ihnen geschwebt. Zwischen beiden Oberschülern herrschte seither eine sehr eisige Stimmung, welche allerdings vor allem von Kuraiko ausging. Zwar hatte die Gruppe mehrmals versucht die Stimmung wieder zu lockern, doch egal was sie taten nichts half. Solange wie sie alle am Strand waren war dies auch kein großes Problem gewesen, dort konnten sich die beiden immerhin aus dem Weg gehen. Doch nun, wo sie wieder im Haus waren, war diese eiskalte Stimmung unendlich unangenehm, zumal sie auch für die Anderen spürbar war. „Wir brauchen noch etwas fürs Abendessen heute. Und für morgen zum Frühstück.“, stellte Akane in den Raum, als die Situation immer bedrückender zu werden schien, „Ich hab auf dem Weg hier her einen Konbini gesehen. Der sollte noch offen haben. Die Hälfte von uns sollte losziehen und einkaufen. Was meint ihr?“ „Welche Hälfte meinst du damit?“, hakte Masaru nach. „Gute Frage.“, überlegte Akane, „Wie wäre es mit Streichhölzern ziehen?“ Gesagt – Getan. Wenige Minuten später hatte jeder der Oberschüler ein Streichholz gezogen, von welchen vier gekürzt waren. Junko war von vornherein rausgefallen, da sie eh nicht so viel tragen konnte, sodass sie dafür zuständig gewesen war, die Streichhölzer zu halten. So entschied sich, dass Shuya, Hiroshi, Mirâ und Kuraiko für den Einkauf zuständig sein sollten. „Können wir nochmal?“, fragte die Schwarzhaarige genervt. Akane jedoch grinste nur breit und schüttelte den Kopf: „Nein. Das war die fairste Art zu losen. Du wirst es überleben, Kuraiko.“ „Wo hast du denn den Konbini gesehen?“, fragte Hiroshi, während er bereits auf den Weg zum Eingangsbreich war, um sich seine Schuhe überzuziehen. „Auf dem Weg vom Bahnhof hier her. So ungefähr bei der Hälfte des Weges.“, erklärte die Braunhaarige mit einem Lächeln, „Viel Spaß. Bringst was Schönes mit.“ Es dauerte nicht lange, bis die vier Gelosten besagten Konbini gefunden hatten. Gemeinsam waren sich die Oberschüler einig gewesen, dass sie am Abend Curry kochen wollten, weshalb die Einkaufsliste hauptsächlich aus den dazugehörigen Zutaten bestand. Doch neben diesen landeten auch einige Naschereien im Einkauskorb, ebenso wie einige Dinge für ein Heimfeuerwerk. „Was willst du damit, Nagase-kun?“, fragte Mirâ vorsichtig nach, nachdem Shuya eben dieses in den Korb gepackt hatte. „Ich dachte wir könnten nachher noch etwas Feuerwerk machen. Junko-chan wird das sicher auch gefallen.“, erklärte der junge Mann nur grinsend, woraufhin die Violetthaarige lächelnd nickte. Alle nahmen immer so viel Rücksicht auf ihre kleine Schwester. Irgendwie erleichterte Mirâ dieser Gedanke. Zwar mochte sie es nicht, wenn Junko verhätschelt wurde, doch war sie froh, dass ihre Freunde sie in ihrern Reihen aufgenommen hatten. Es wäre sonst um einiges schwieriger, da war sich die Oberschülerin sicher. So setzten sie ihren Einkauf fort und es dauerte nicht lange, ehe sie alle an der Kasse standen, um ihre Waren zu bezahlen. Der ältere Dame an der Kasse arbeitete schnell, doch blieb Mirâ nicht verborgen, wie sie immer wieder zu Shuya blickte, der das allerdings nicht zu bemerken schien und sich stattdessen mit Hiroshi über irgendetwas unterhielt. Erst nachdem sie alles bezahlt hatten, schien sie den Mut zu finden etwas zu ihm zu sagen. „Entschuldige junger Mann. Ich habe zufällig mitbekommen, dass dein Name Nagase ist. Kann es sein, dass dein Vorname Shuya lautet?“, fragte sie doch etwas direkt, weshalb der Violetthaarige sie völlig perplex ansah, „Ich hatte also Recht. Die Ähnlichkeit ist echt verblüffend, auch wenn du eine andere Haarfarbe hast.“ „Ich versteh nicht…“, irritiert legte der junge Mann den Kopf schief. Überrascht legte sich die Frau kurz die Hand auf den Mund und entschuldigte sich dann für ihre direkte Art. Dann erklärte sie der Gruppe, dass sie Shuyas Großeltern kannte, da diese als junge Leute in diesem Dorf gelebt hatten, bevor daraus ein Ferienort geworden war. Sie lachte und erklärte auch, dass Shuya seinem Großvater in jungen Jahren wirklich ähnlichsah und sie deshalb auch darauf gekommen war, dass er es sein musste. Oft hätten seine Großeltern von ihm gesprochen, als sie noch regelmäßiger in diesem Ort waren, der ihnen extrem viel zu verdanken hatte. Sie schweifte kurz ab und erklärte, dass Miadzuki-chô kurz davor war, von einem Großkonzern aus einer benachbarten Stadt aufgekauft und zu einem riesigen Ferienresort ungebaut zu werden. Dies wurde jedoch verhindert, weil sich seine Großeltern und einige andere wohlhabende Leute des Ortes dagegengestellt hatten, sodass der Konzern irgendwann aufgegeben hatte. Sonst wäre der alte Ort wohl dem Erdboden gleich gemacht worden. „Hach ja… das waren Zeiten. Zum Glück konnte das verhindert werden.“, erzählte sie weiter, „Ach ich schweife ab. Aber sag, wie geht es deinen Großeltern? Geht es ihnen gut?“ „Ähm… j-ja… sie reisen viel.“, erklärte er nur knapp. „Ja, das haben sie schon früher gerne gemacht. Diese Rumtreiber.“, lachte die Frau, „Und wie geht es Ruko? Ich erinnere mich noch, wie sie als kleines Kind hier immer herumgetollt ist. Hach das waren Zeiten…“ Als der Name Ruko fiel bemerkte Mirâ, wie sich der Violetthaarige neben ihr plötzlich versteifte. Jedoch nur für einen Moment, denn im nächsten Moment war Hiroshi bereits dazwischen gegangen und hatte erklärt, dass sie so langsam wieder zurück zu den Anderen mussten. Immerhin waren sie schon eine ganze Weile weg und sie würden sich bestimmt schon Sorgen machen. Die ältere Dame schrak auf und entschuldigte sich sogleich, dass sie die Gruppe aufgehalten hatte, bevor sie sich höflich verabschiedete. Die kleine Gruppe unterdessen verließ den Konbini und machte sich somit auf den Rückweg zum Strandhaus, doch die Stimmung wirkte auf dem Weg ziemlich gedrückt. Hatten sich die Jungs auf dem Hinweg noch angeregt unterhalten, so herschte nun eine Totenstille, welche immer unangenehmer wurde. Selbst Kuraiko schien dies zu stören, denn sie unterbrach diese Stille letzten Endes: „Man war die nervig. Deine Großeltern sind ja richtig bekannt, Nagase.“ „Hm… ja kann sein…“, murmelte der junge Mann daraufhin jedoch nur. „Nagase-kun. Alles in Ordnung?“, hakte Mirâ vorsichtig nach, da ihr das Verhalten des Älteren unheimlich wurde. „Ja, alles gut.“, kam es nur als Antwort. „Urgh… hey sag mal. Warum bist du jetzt so einsilbig? Was ist los? Und wer ist diese Ruko eigentlich?“, fragte Kuraiko genervt nach. „Kuraiko!“, schimpfte Hiroshi, doch wurde von Shuya zurückgehalten, als dieser die Hand hob. „Schon gut, Hiro…“, murmelte er, hob den Blick und lächelte breit. Trotz allem hatte Mirâ das Gefühl, dass dieses Lächeln gespielt war, denn es glich nicht dem typischen breiten Grinsen des Violetthaarigen. „Ruko… ist meine ältere Schwester.“, erklärte er anschließend. „Du… hast ne ältere Schwester?“, hakte Mirâ nach, woraufhin ihr Gegenüber nickte und den Blick auf das Meer richtete, welches vom fast vollen Mond beschienen wurde. „Ja, allerdings ist sie sehr weit weg. Deshalb kann ich sie aktuell nicht sehen.“, erklärte er ruhig, woraufhin es kurz still zwischen den Anwesenden wurde. Dann grinste er wieder breit und dieses Mal wirkte es sogar echt: „Naja. So ist das Leben.“ „Oh… ich hoffe, dass du sie bald wiedersehen kannst. Von Familienmitgliedern getrennt zu sein ist schrecklich. Ich kenne das.“, sagte Mirâ mitfühlend. „Das ist lieb. Danke. Das wird schon.“, meinte Shuya lächelnd und streckte sich, „Los lasst uns zurück gehen. Ich hab einen Mordshunger und wir müssen ja noch kochen. Also auf, auf!“ Damit war der junge Mann wieder losgestiefelt und die beiden Mädchen waren ihm gefolgt. Nur Hiroshi war noch stehengeblieben und hatte seinen Kumpel kurz besorgt beobachtet. Doch bevor dies einer der Anderen merken konnte, war auch er allen gefolgt. Das Abendessen verlief im Vergleich zum restlichen Tag eher ruhig ab, auch wenn die Zubereitung beinahe in einem Chaos geendet hatte, da einige ihre Kochkünste wohl mehr als überschätzt hatten. Zum Glück jedoch hatten sich Mirâ und Kuraiko noch rechtzeitig eingemischt und konnten so noch retten, was zu retten war. Dadurch war das Essen am Ende doch noch genießbar gewesen und alle konnten sich den Bauch vollschlagen. Mittlerweile war es draußen auch schon dunkel geworden, sodass sie auch das Heimfeuerwerk beginnen konnten. Junko war vollkommen begeistert gewesen, als sie gesehen hatte, dass Mirâ und die anderen Feuerwerk gekauft hatte und am liebsten wäre sie sofort nach draußen gerannt, um es zu verbrennen. Ihre ältere Schwester jedoch hatte sie noch zurückhalten und sie überreden können, dass sie sich noch bis nach dem Abendessen gedulden musste. Nun jedoch war sie total hibbelig und sprang von einem Fuß auf den Anderen, während sie Hiroshi dabei beobachtete, wie er eine Wunderkerze für sie anzündete. „Hier Junko-chan. Vergiss aber nicht sie über den Eimer zu halten und pass auf, dass du sie nicht zu nah an deine Sachen nimmst.“, hielt der Ältere ihr die Wunderkerze mit der Spitze nach unten gerichtet hin. Freudig schnappte sich die Grundschülerin die Wunderkerze und hielt sie über den mit Wasser gefüllten Eimer. Strahlend beobachtete sie, wie die Kerze nach und nach abbrannte und dabei helle funken sprühte. „Wirklich schön. Oder Junko-chan?“, meinte Akane, welche sich ebenfalls mit einer Wunderkerze in der Hand neben das kleine Mädchen gehockt hatte. „Ja.“, nickte Junko freudig, hielt dabei aber ihren Blick weiter auf die Wunderkerze gerichtet. „Haha! Ich bin eine Sternschnuppe!“, rief plötzlich Shuya und rannte mit zwei anderen Wunderkerzen über den Strand. „Urgh. Was für ein Idiot.“, murmelte Kuraiko, während sie sich über ihr Gesicht wischte und beobachtete, wie Hiroshi hinter Shuya herrannte und schimpfte, dass er etwas mehr Vorbildfunktion übernehmen sollte. Immerhin hatten sie eine Grundschülerin bei sich. „Und der ist genauso ein Idiot.“, ergänzte die Schwarzhaarige daraufhin nur generevt. „Hauptsache sie haben Spaß.“, lachte Masaru, welcher neben die Schwarzhaarige trat, „Habt ihr euch eigentlich wieder vertragen?“ „Wieso vertragen?“, fragte die Jüngere. „Naja wegen der Aktion vorhin. Das sah ja richtig böse aus.“, erklärte der Ältere. Kuraiko wandte den Blick von den beiden über den Strand rennenden Jungs ab und schnalzte mit der Zunge: „Er hatte es nicht anders verdient, diese nervige Klette.“ „Nagase hat dich halt gern.“, versuchte Masaru sie zu beschwichtigen. „Auch nicht mehr als die anderen Weiber.“, mit diesen Worten war die junge Frau zu Junko hinüber gegangen und hatte sich ebenfalls eine Wunderkerze angezündet. „Nagase-kun hat es mit Kuraiko nicht leicht. Oder?“, fragte Mirâ, die sich zu Masaru gesellt hatte. Überrascht blickte er kurz zu ihr, seufzte dann und sah dann wieder zu Shuya, der immer noch über den Strand rannte: „Das stimmt allerdings. Aber vielleicht sollte er dann bei ihr nicht so aufdringlich sein.“ „Ich denke, das ist seine Art zu zeigen, dass sie für ihn etwas Besonderes ist.“, meinte die Violetthaarige mit einem Seitenblick zu ihrem Senpai, „Ich finde das sogar irgendwie toll, dass er ihr seine Gefühle so offen zeigen kann.“ „Das ist mutig, das stimmt.“, lachte der Ältere und verschränkte die Arme vor der Brust, „Aber bei Kuraiko stößt das anscheinend eher auf Ablehnung. Aber Respekt, dass er nicht aufgibt.“ Mirâ nickte, doch schwieg. Sie war sich auch nicht sicher, ob ihr Senpai das Nicken überhaupt vernommen hatte, doch eigentlich war es ihr egal. Sie genoss gerade nur, so nah bei ihm zu sein und das unter diesen doch ziemlich romantischen Bedingungen: Unter einem sternenklaren Himmel mit einem fast vollen Mond, der über ihnen stand. Dabei verdrängte sie gekonnt, dass am übernächsten Tag bereits Vollmond war und sie sich darauf einstellen mussten, wieder in die Spiegelwelt zu müssen. Für sie zählte zu diesem Zeitpunkt nur der Moment. Wenn sie genauer darüber nachdachte, wäre dies sogar der perfekte Moment mit dem Schwarzhaarigen über ihre Gefühle zu sprechen. Sie waren alleine. Die Anderen waren mit anderen Dingen beschäftigt. Niemand würde sie jetzt stören. Jedenfalls hoffte sie das. Also atmete sie einmal kurz durch, natürlich so leise, dass ihr Schwarm davon nichts mitbekam. Sie nahm all ihren Mut zusammen und setzte zu einem Satz an, doch plötzlich blendete sie ein heller Schein, welcher ihr vor die Nase gehalten wurde. Erschrocken wich Mirâ einige Zentimeter zurück und erblickte dann eine Wunderkerze, die sich genau vor ihr befand. Bei genauerer Betrachtung erkannte sie Junko, welche sie hinter dem Schein der Lichtquelle anschielte. „Sag mal Junko. Spinnst du? Du kannst mir das Teil doch nicht so nah vor das Gesicht halten.“, schimpfte Mirâ wütend. Zum einen darüber, dass Junko so verantwortungslos gehandelt hatte, immerhin hätte sie sich daran verbrennen können und zum Anderen, weil die Kleine sie schon wieder dabei gestört hatte mit Masaru über ihre Gefühle zu sprechen. Unschuldig ließ sie die Wunderkerze sinken und blickte traurig zu Boden: „Tut mir leid, Onee-chan. Ich wollte dich damit überraschen.“ Die Oberschülerin seufzte, als sich bei ihr plötzlich das schlechte Gewissen meldete, immerhin war es auch nicht in Ordnung ihren Ärger an Junko auszulassen: „Urgh… tut mir auch leid, Junko. Ich hätte nicht gleich laut werden müssen. Aber du weißt doch, dass das gefährlich ist. Du hättest mich verletzen können oder dich selbst. Du bist doch alt genug, um zu wissen, dass man mit Feuer nicht spielt.“ „Ja. Es tut mir leid.“, entschuldigte sich Junko erneut, doch blickte auf, als sie eine Hand auf ihrem Kopf bemerkte. Lächelnd blickte Masaru sie an: „Es ist ja nichts passiert. Trotzdem solltest du mit so etwas vorsichtig sein.“ Das kleine Mädchen lächelte wieder leicht und nickte, doch war Mirâ noch nicht ganz mit ihr fertig und hielt ihr trotz allem noch eine kleine Standpauke. „Oh man. Junko-chan hat es echt faustdick hinter den Ohren.“, murmelte Kuraiko, deren Blick auf ihrer Wunderkerze ruhte, „Das hat sie doch mit Absicht gemacht.“ Akane lachte: „Oh ja. Junko lässt da nichts zwischen. Sie ist der festen Überzeugung, das Mirâ zu Hiroshi gehört. Aber dass sie zu solchen Mitteln greift hätte ich jetzt nicht erwartet.“ „Kinder sind da einfallsreicher, als man glaubt.“, murmelte die Schwarzhaarige, während sie sich mit dem Rest ihrer Wunderkerze eine Neue anzündete. Die Braunhaarige ihr Gegenüber nickte, doch erwiederte nichts, da sie auch nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie selbst war auch der Meinung, dass Hiroshi besser zu ihrer besten Freundin passte, als der Ältere, doch das konnte sie schlecht sagen. Immerhin wusste sie um die Gefühle, die die Violetthaarige für den Schwarzhaarigen hatte, aber auch, dass ihr sehr viel an dem Blonden lag. Andererseits wusste sie auch, wie sehr diese Situation ihren besten Kumpel belastete. Sie stand da mächtig zwischen den Stühlen und wusste auch nicht so recht, wen sie da eigentlich unterstützen sollte, weshalb es für sie einfach besser war, sich dezent im Hintergrund zu halten. Wenn Mirâ ihren Rat in der Beziehung brauchte, so war sie sich sicher, würde sie schon auf sie zukommen. Doch solange, wie die Violetthaarige dies mit sich selber ausmachte, wollte sich Akane da nicht einmischen. Irgendwann würde sich Mirâ schon ihrer Gefühle ganz klar werden und sich entgültig zwischen einem der Jungen entscheiden. Die Brünette nickte und sah auf, um einen Blick über den Strand zu werfen. Dabei fiel ihr Blick auf Yasuo, welcher etwas abseits auf einem großen Stein saß und in den sternenklaren Himmel blickte. Einen Moment beobachtete sie den Älteren, bevor sie sich ein paar übrig gebliebene Wunderkerzen schnappte und auf den Blauhaarigen zuging. „Was sitzt du hier denn so alleine, Senpai?“, holte ihn die Stimme von Akane aus den Gedanken, woraufhin Yasuo seinen Blick vom Sternenhimmel abwandte und auf die Jüngere richtete. „Ich beobachte die Sterne und denke an Beju.“, murmelte der junge Mann, während er wieder richtung Himmel sah. Die Brünette lächelte leise seufzend und setzte sich dann neben den Älteren: „Beju ist dir wirklich sehr wichtig. Was?“ Ein Nicken folgte, auf welches die junge Frau weitersprach: „Ihm geht es gut. Deine Großeltern kümmern sich doch rührend um ihn. Du brauchst dir auch keine Gedanken wegen der Sache vor ein paar Tagen machen. Wenn meine Eltern sagen, dass ein Tier wieder gesund ist, dann ist das auch so. Sie lassen kein Tier weg, bevor sie sich selber nicht wirklich sicher sind.“ „Wir waren nur noch nie wirklich getrennt.“, nuschelte Yasuo, „Abgesehen von den Tagen, wo er bei euch war. Aber da hat mich das nicht so gestört.“ Überrascht sah die junge Frau ihren Schwarm an: „Ihr wart nie länger getrennt? Was ist mit den Klassenfahrten?“ Der Blauhaarige seufzte und kratzte sich am Nacken, bevor er seinen Blick leicht zu Akane lenkte und ein kleines Lächeln aufsetzte: „Ich war bisher bei keiner Klassenfahrt dabei. Ich wollte meinen Großeltern nicht noch mehr Unkosten machen, deshalb habe ich freiwillig verzichtet.“ Mit großen grünen Augen sah die Jüngere Yasuo überrascht an und wusste nicht was sie sagen sollte. Deshalb senkte sie den Blick, starrte auf ihre Füße und überlegte sich ihre nächsten Worte ganz genau. Sie zog ihre Beine an ihren Oberkörper und bettete dann ihren Kopf auf ihren Knien, bevor sie endlich die Sprache wiederfand: „Du denkst wirklich zu erst an andere. Oder?“ Ein überraschter Blick traf sie, weshalb sie weitersprach: „Das hat man auch in deinem Dungeon bemerkt… du sagtest, dass du deinen Großeltern nicht weiter zur Last fallen möchtest. Da passt es irgendwie auch, dass du für sie auf die Klassenfahrt verzichtest. Ehrlich gesagt, denkt man das gar nicht, wenn man dich nicht genau kennt, weil du immer so desinteressiert an allem wirkst. Aber… der äußere Schein trügt halt manchmal. Du bist wirklich ein sehr netter Mensch, Senpai. Du denkst ständig an andere. An deine Großeltern, an Beju… dich selber stellst du dabei hinten an.“ „N-Naja…“, murmelte Angesprochener, da er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Plötzlich traf ihn ein breites Lächeln der Brünetten, welches ihm leicht die Röte ins Gesicht schießen ließ. Die junge Frau stand auf und kramte die Wunderkerzen hervor, welche sie ihm unter die Nase hielt. „Heute solltest du aber auch mal nur an dich denken. Es ist wichtig auch auf sich selbst achtzugeben.“, sagte sie fröhlich und versuchte eine Kerze anzuzünden, doch zuckte plötzlich zusammen und ließ diese wieder fallen, „Aua.“ Schnell hatte Akane ihren Daumen in den Mund gesteckt. Sie hatte nicht richtig aufgepasst und sich mit dem Feuerzeug verbrannt, welches mit der Wunderkerze in den Sand gefallen war. Innerlich verfluchte sie sich über ihre eigene Dummheit und versuchte den Schmerz irgendwie zu verdrängen. Spucke sollte da ja angeblich helfen. Skeptisch betrachtete sie anschließend ihren Daumen, welcher bereits im Begriff war rot anzulaufen. Plötzlich jedoch griff eine Hand saft nach der ihren und zog sie vorsichtig von ihr weg. „Lass mich sehen.“, sagte Yasuo ernst und betrachtete den Daumen. Vorsichtig strich er mit seinem Finger über die gerötete Stelle, woraufhin die junge Frau ihm gegenüber leicht zusammenzuckte, dann jedoch tomatenrot anlief: „Die Stelle solltest du lieber mit Wasser kühlen. Spucke hilft da nicht viel. Sieht aber so aus, als würde es eine kleine Blase werden, das wird sich auch mit Kühlen nicht mehr verhindern lassen. Am besten wir machen ein Pflaster oder sowas drüber, dann reibt es auch nicht so und tut weniger weh. Du kleiner Tollpatsch, pass mit sowas doch besser auf.“ Selbst als Yasuo Akanes Hand wieder losgelassen hatte, war diese noch einige Zeit in dieser Position erstarrt. Sie brauchte eine Weile, bis sie registriert hatte, dass der Ältere ihre Hand nicht mehr hielt und zuckte dann kurz zusammen, bevor sie diese an sich heranzog und mit der anderen Hand über ihre Brust legte. „U-uhm… j-ja… go-gomen.“, murmelte sie nur mit gesenktem Blick, den sie allerdings wieder hob, als Yasuo sich erhob. „Lass uns kurz rein gehen und das verarzten. Bevor sich wirklich eine Blase bildet und sie aufgeht oder so. Nicht dass sich das entzündet.“, meinte er und hielt ihr seine Hand entgegen. Völlig perplex von dieser Situation griff die junge Frau die Hand und wurde wieder auf die Beine und danach Richtung Strandhaus gezogen. Etwas sprachlos beobachtete Hiroshi, wie Akane und Yasuo sich händchenhaltend vom Strand entfernten. Er hatte ja schon so eine Ahnung, dass seine Sandkastenfreundin etwas für den älteren Schüler empfand, jedoch war er bisher der Meinung gewesehen, dass der Drittklässler nicht wirklich Interesse an soetwas hatte. Immerhin wirkte er von allem desinteressiert, von Akane mal ganz abgesehen. Etwas Eifersucht kam in ihm auf, als ihm mal wieder schmerzlich bewusstwurde, dass er weniger Glück mit seinen Gefühlen hatte. Sein Blick wanderte weiter über den Strand zu Mirâ, welche immer noch neben Masaru stand und mit Junko schimpfte. Ein wenig schadenfroh darüber, war er ja schon gewesen, als Junko sich zwischen seinen Schwarm und den älteren Schüler gedrängt hatte. Er wusste, dass er kein Recht darauf hatte, trotzdem hatte ihn diese Situation für einen Moment befriedigt und er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Auch als er wieder an diese Situation zurückdachte, schlich sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. „Ich würde mir nicht so viele Gedanken machen.“, holte ihn die Stimme von Shuya wieder aus seinen Gedanken. Sofort sah der Blonde zu seinem besten Kumpel, der auf dem Boden hockte und Wunderkerzen in den Sand steckte, sodass sie mit der Spitze nach oben sahen. „Was meinst du? Ich mache mir keine Gedanken.“, meinte Hiroshi nur, worauhin ihn ein Blick von unten traf, der ihn leicht zusammenzucken ließ. Shuya hatte eine seiner Augenbrauen nach oben gezogen und seinen Kumpel daraufhin mit einem allessagenden Blick angesehen: „Ich hab doch gesehen, wie du dich über Junko-chans Einmischung gefreut hast. Allerdings glaube ich, machst du dir zu viele Gedanken darüber. Meiner Meinung nach empfindet Shin-senpai nicht das gleiche für Shingetsu, wie sie für ihn.“ Überrascht sah der Jüngere wieder zu Masaru, der nun lachend Junkos Kopf tätschelte und ihr etwas erklärte: „Wie kommst du drauf, Shuyan?“ Ein Seufzen entkam dem Violetthaarigen, welcher sich wieder seinen Wunderkerzen zugewandt hatte und weitere aufstelle: „Ganz im Gegensatz zu einer bestimmten Person hier, zeigt er ihr gegenüber kein offenes Interesse. Klar gibt es auch Menschen, denen man das nicht ansieht, aber würde er ernsthaft an Shingetsu interessiert sein, würde man das trotzdem merken. Für ihn ist sie offensichtlich nur eine gute Freundin. Bis auf Shingetsu selbst und dir hat das glaube ich auch schon jeder bemerkt, aber verliebte Menschen sind halt manchmal blind für das Offensichtliche. Fertig. Hehe.“ Überrascht sah Hiroshi wieder zu seinem besten Freund, welcher nun breit grinsend über seinem Kunstwerk hockte und versuchte dieses mit dem Feuerzeug zu entzünden. Einen Moment später sprühten Funken und die Wunderkerzen begannen zu brennen. Überrascht war Shuya zurückgewichen und auf seinem Hintern gelandet, doch freute sich trotzdem, dass alles so funktioniert hatte, wie er es sich gedacht hatte. Die Kerzen bildeteten nun ein leuchtendes „LP“, welches das Logo von Shuyas Lieblingsband darstellte. Grinsend richtete der Violetthaarige seinen Blick wieder auf den Blonden: „Also mach dir nicht ständig Gedanken darüber. Entweder Shungetsu merkt es irgendwann selber oder aber Shin-senpaia gibt ihr einen Korb. Und egal wie, du solltest dann für sie da sein. Egal, ob sie am Ende deine Gefühle erwiedert oder nicht. Denn dafür sind Freunde doch da. Oder?“ Hiroshi seufzte leicht und lächelte dann. Auch wenn Shuya, obwohl er Älter war, als er selbst, manchmal ein echter Kindskopf war, so wusste er im entscheidenden Moment immer, was er sagen musste, damit man sich besser fühlte. So auch dieses Mal, denn der Blonde merkte, wie ihm etwas Last vom Herzen fiel. Dann nickte er: „Du hast Recht. Danke Shuya.“ Kapitel 69: LXIX – Geisterhafte Erscheinung ------------------------------------------- Freitag, 28.August 2015 „Oh man. In diesem Nest hier ist ja absolut tote Hose.“, murrte Kuraiko etwas genervt, „Abgesehen von dem Ortsteil mit den ganzen Hotels.“ „Da war aber ein extremer Trubel um diese Zeit.“, meinte Masaru nur ruhig. Die Schwarzhaarige ließ den Kopf leicht hängen: „Auch wieder wahr…“ Lächelnd betrachtete Mirâ ihre Freundin, bevor sie ihren Blick wieder auf die Straße vor sich richtete. An diesem Tag hatte sich die Gruppe überlegt einen kleinen Spaziergang durch das Dorf zu machen, um es sich einmal richtig anzusehen. So waren sie über den offenen Strand am Wasser entlang zu den Hotels gelaufen und dort in den kleinen modernen Ortskern hinein, wo sie von Menschenmassen überrascht wurden. Zwar luden die Geschäfte in der Einkaufsstraße zum Verweilen ein, jedoch waren die Preise schon fast utopisch, sodass sich auch die Mädels einen Einkaufsbummel verkniffen. So hatten sie das neuen Zentrum von Mikadzuki-chô wieder verlassen und waren zurück zum alten gelaufen, wo ihnen erst einmal der gravierende Unterschied der beiden auffiel. Während in der touristischen Hochburg alle Straßen vollkommen unbeschadet und akurat wirkten, so waren die Straßen hier wesentlich verfallener. Zwar machte dies irgendwie auch den Charme des alten Dorfes aus, doch war der Unterschied wirklich krass. Auch war hier viel weniger los, immerhin verlief sich nur selten ein Tourist hierher. Die Meisten kamen hier nur durch, wenn sie mit dem Zug anreisten. Doch auch dann nahmen viele den Bus, welcher sie zur neuen Dorfmitte brachte. Trotzdem schienen sich die Menschen in Mikadzuki-chô mit ihrer Situation angefreundet zu haben, auch wenn man hätte denken können, dass der alte Ort mehr von dem Neuen profitieren würde. Stattdessen wirkte es hier schon fast, als sei die Zeit stehengeblieben. Zwar waren die meisten Häuser renoviert, doch blieb ihnen der alte Charme erhalten. Auch wenn der Unterschied so gravierend war und Mirâ eigentlich ein Stadtkind war, so gefiel ihr der alte Ortskern doch etwas mehr, als der Neue. Vielleicht lag es gerade daran, weil er so alt wirkte, doch so genau konnte die Violetthaarige das nicht sagen. „Naja… ich würde sagen, wenn hier nicht mehr viel ist, dann machen wir uns wieder auf den Rückweg zum Strandhaus, holen unsere Sachen und nehmen den nächsten Zug zurück nach Kagaminomachi.“, schlug Hiroshi vor. Ein allgemeines Nicken kam als Antwort, woraufhin sich die Gruppe wieder auf den Rückweg machen wollte. Doch kaum hatten sie sich in Bewegung gesetzt, wurde Mirâ plötzlich angerempelt und stolperte erschrocken zur Seite. „Hey!“, wollte sie sich beschweren, doch stoppte, als sie bemerkte das neben ihr niemand war. „Was ist los, Mirâ?“, fragte Masaru irritiert, da er nicht mitbekommen hatte, was geschehen war. „Jemand hat mich gerade angerempelt… aber…“, überrascht sah sie sich um, doch konnte sie niemanden erkennen, sodass sie selbst schon an sich zweifelte. Fast hätte sie dies auch nur als Einbildung abgetan, als Junko sie darauf hinwies, dass ihre Güteltasche verschwunden war, die sonst um ihre Hüfte hing. Erschrocken blickte die Violetthaarige an die Stelle, wo Erwähnte eigentlich sein müsste und sah sich dann panisch um. Sie war sich sicher, dass diese bis eben noch da war. Oder hatte sie diese etwa schon eher irgendwo verloren, ohne es zu bemerken? Konnte sie so neben der Spur sein, dass die das fehlende Gewicht der Tasche nicht bemerkt hatte? „Hey seht mal. Ist sie das nicht, Mirâ?“, rief plötzlich Akane aus und zeigte auf einen Punkt etwas weiter entfernt. Sofort richtete auch Mirâ ihren Blick auf diese Stelle und erkannte mit einem Mal einen roten Fuch, welcher ihre Tasche in der Schnauze hatte. Er beobachtete die Gruppe eine Weile und setzte sich plötzlich in Bewegung, als er sicher war, dass er die Aufmerksamkeit der jungen Leute hatte. Schneller als es der Oberschülerin lieb war, war er kurz darauf im nächsten Gebüsch verschwunden. „Hey warte! Gib mir mein Eigentum wieder!“, setzte sich Mirâ wütend in Bewegung, um dem Dieb zu folgen. Auch wenn sie wusste, dass Füchse gefährlich werden konnten, so wollte sie ihr Hab und Gut unter allen Umständen wiederhaben. Nicht nur, dass sie diese Tasche von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte, auch ihre Wertgegenstände, wie ihr Handy und ihr Portmonee, waren in eben dieser. Vor dem Gebüsch in dem der Fuchs verschwunden war blieb sie kurz stehen und entdeckte einen schmalen Weg, welcher allerdings schon ziemlich zugewuchert war. Trotzdem konnte sie das rote Tier einige Meter von sich entfernt im Gestrüpp sitzen sehen, wodurch es den Eindruck erweckte, auf die Oberschülerin zu warten. Doch kaum hatte es gesehen, das Mirâ ihm gefolgt war hatte es sich wieder in Bewegung gesetzt. Wütend über den dreisten Dieb schnalzte die Violetthaarige mit der Zunge und betrat dann den schmalen Weg, immer darauf bedacht nicht irgendwo hängen zu bleiben. Einige Meter hinter sich hörte sie auch, wie ihre Freunde ihr folgten. Diese riefen nach ihr, doch das ignorierte die junge Frau. Viel zu sehr war sie darauf konzentriert dem Tier, welches immer wieder auf sie zu warten schien, zu folgen. Zwar fand sie es merkwürdig, dass es immer wieder anhielt, aber ihre Gedanken galten hauptsächlich ihrer gestohlenen Tasche. Sie folgte dem Fuchs noch einige Zeit, bevor sie auf eine Lichtung kam. Ruckartig hielt sie an, als sie den befellten Halunken genau vor sich sitzen sah. Dieser hatte den Blick wieder auf sie gerichtet und sah sie mit braunen, schon fast orangenen, Augen eindrinlich an. Die Zeit schien für einen Moment stehenzubleiben, während sich ein ungutes Gefühl in der Oberschülerin breitmachte. Nun kam ihr doch der Gedanke, dass etwas mit dem Fuchs nicht stimmen konnte, doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte hörte sie bereits hinter sich ein Rascheln. Nicht mal eine Minute später stolperten auch schon ihre Freunde und Junko aus dem Gebüsch und sahen sich irritiert um. Auch sie bemerkten daraufhin wieder den Fuchs, der noch immer an gleicher Stelle saß. Doch plötzlich erhob er sich wieder, sah die Gruppe noch einmal eindringlich an und stolzierte dann in Richtung eines verfallenen Gebäudes davon. Mirâs Tasche, welche die ganze Zeit vor seinen Vorderpfoten lag, ließ er unbeachtet liegen, als hätte sie ihn niemals interessiert. Irritiert blickte die Violetthaarige dem Tier nach und ging dann vorsichtig zu ihrer Tasche, nur um sie aufzuheben und nachzuschauen, ob noch alles vorhanden war. Zu ihrem Glück konnte sie feststellen, dass nichts fehlte und auch nichts kaputt gegangen war. Trotzdem fand sie es komisch, dass der Fuchs erst ihre Tasche stahl, nur um sie dann plötzlich hier liegenzulassen, was ihr Gefühl, dass etwas nicht stimmte wieder stärker werden ließ. „Alles in Ordnung, Nee-chan?“, fragte Junko nach, „Ist alles noch da?“ „Ja.“, murmelte Mirâ eher abwesend, während sie sich ihre Tasche wieder um die Hüfte band, „Merkwürdig. Wieso hat er sie jetzt plötzlich fallengelassen?“ Akane verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief: „Vielleicht hatte er Angst…“ „Meinst du? Aber wieso saß er dann noch eine Weile hier?“, fragte Hiroshi nachdenklich. Gähnend ging sich Yasuo mit der Hand durch die Haare: „Irgendwie wirkte es so, als wollte er uns herlocken. Findet ihr nicht?“ „Wieso sollte ein Fuchs das tun?“, fragte Shuya nach. „Füchse sind doch in einigen Legenden heilig… und sehr schlau. Vielleicht wollte er uns etwas zeigen.“, murmelte Kuraiko und sah sich um, „Diesen alten Tempel vielleicht?“ Nun sahen sich auch die anderen erstaunt um und mussten feststellen, dass sie sich wirklich auf einem alten verfallenen Tempelgelände befanden. Die Gebäude sahen so aus, als seien sie bereits vor vielen Jahrzehnten verlassen worden und auch das Gelände drum herum wirkte so, als sei es seit Jahren nicht bewirtschaftet worden. Die Natur hatte sich hier bereits zurückgeholt, was ihr vor vielen Jahrzehnten genommen wurde. Einige kleinere Gebäude waren soger bereits in sich zusammengebrochen. Als Mirâ einen Blick hinter sich riskierte, in die Richtung aus der sie gekommen waren, erkannte sie sogar ein altes Tor. Die rote Farbe, in welcher es einst strahlte, war bereits verblasst und an den meisten Stellen abgeblättert. Da es zudem bereits ziemlich zugewuchert war, fiel es außerdem kaum noch auf. Der kleine zugewachsene Weg, den sie genommen hatten, war also offensichtlich einst einmal der Zugang zu diesem Ort gewesen. Doch wieso hatte der Fuchs sie hierhergelockt? „Onee-chan sieh mal dort.“, quiekte plötzlich Junko auf. Erschrocken sah Mirâ wieder auf und in die Richtung, in welche ihre kleine Schwester aufgeregt zeigte, bevor ihr plötzlich fast jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Dort, einige Meter von ihnen entfernt stand ein kleines Mädchen. Auf den ersten Blick schien sie um die neun bis zehn Jahre zu sein. Sie hatte rückenlange glatte dunkle Haare und trug einen grauen Kimono, welcher allerdings ziemlich mitgenommen wirkte. Doch was die Oberschülerin mehr schockte war, dass dieses Mädchen sie an jemanden erinnerte. „Kneif mich mal einer. Das ist doch…“, begann Akane erschrocken. „Mika…“, beendete Hirohsi den Satz und rieb sich dann die Augen, um noch einmal genauer hinzusehen, „Aber das kann doch nicht sein. Oder?“ „Wer ist Mika?“, fragte Shuya etwas irritiert, doch wurde ignoriert, da die restlichen Oberschüler viel zu geschockt waren. Das Mädchen schien die Gruppe zu beobachten, wandte sich jedoch kurz darauf ab und verschwand zwischen den alten Gebäuden des Tempels. „Hey warte!“, rief Mirâ und folgte dem Mädchen ohne weiter darüber nachzudenken. Auch die Anderen folgten ihr, doch kaum waren sie zwischen den verfallenen Gebäuden angekommen, konnten sie niemanden mehr entdecken. Geschockt sahen sich alle um. Sie alle waren sich sicher, dass es sich bei dem Mädchen um Mika handeln musste, auch wenn sie sich fragten, wie sie plötzlich in ihrer Welt gelandet sein konnte. Aber die Ähnlichkeit war einfach zu verblüffend. Doch wieso war sie dann plötzlich abgehauen und hatte sie nicht angesprochen? Konnte sie sich etwa plötzlich nicht mehr an ihre Freunde erinnern? Und was machte sie hier an diesem Tempel? So viele Fragen gingen Mirâ und ihren Freunden durch den Kopf, während sie sich auf dem Gelände umsahen, jedoch nichts fanden. „Wo kann sie nur hin sein?“, fragte die Violetthaarige letzten Endes etwas panisch. „Vielleicht ist sie in dem alten Gebäude.“, meinte Masaru und betrachtete den Eingang des großen Hauptgebäudes des Tempels. Auch dieses wirkte zerfallen, allderins nicht ganz so stark, wie die restlichen Gebäude. Wahrscheinlich war es einfach stabiler gebaut worden als der Rest, sodass es die Jahre einfach besser überstanden hatte. Jedenfalls ließ der Zustand darauf schließen. „Warte… heißt das, ihr wollt da rein?“, fragte Akane, durch welche plötzlich ein Zittern ging. Alle Blicke richteten sich auf die Braunhaarige, der man ansah, dass sie keine zehn Pferde in dieses Gebäude bringen würden. „Sag bloß du fürchtest dich Chiyo.“, grinste Shuya nur frech. „Halt die Klappe. Sowas kann ich absolut nicht leiden. Da geh ich nicht rein. Vergesst es!“, verschränkte die junge Frau ihre Arme vor der Brust und wirkte dadurch wie ein bockendes Kind. Eine Hand legte sich auf ihren Kopf und ließ sie aufschauen, wo sie Yasuo sah: „Dann suchen wir beide halt hier draußen weiter. Es ist ja nicht klar, dass sie im Gebäude ist.“ „Senpai…“, murmelte Akane nur, bevor sie mit roten Wangen den Blick senkte. „Kann ich mit euch gehen? Ich will da auch nicht rein.“, kam es plötzlich von Junko, „Das ist mir auch zu unheimlich.“ Nun richteten sich alle Blicke auf das kleine Mädchen, welches breit lächelte, als ihr die beiden angesprochenen Oberschüler zustimmend zunickten. „Könnte mich vorher mal endlich einer aufklären, um wen es sich eigentlich bei dieser Mika handelt?“, forderte Shuya nun endlich noch einmal. Anstatt einer Antwort jedoch wurde er nur plötzlich von der Gruppe weggezogen. Überrascht sah er auf und erkannte Kuraiko, welche sich seinen Arm gegriffen hatte und ihn nun mit sich mitzog. Mit der Aussage, dass sie sich noch einmal den hinteren Teil des Geländes ansehen würden, war sie anschließend mit dem Älteren verschwunden. Irritiert blickte der Rest der Gruppe den beiden nach. „Dann bleiben noch wir drei über.“, meinte Masaru und blickte auf Mirâ und Hiroshi, die ihn überrascht ansahen, „Dann nehmen wir uns dieses Gebäude vor. Oder?“ Irgendwie konnte man das Gefühl bekommen, das der Schwarzhaarige Gefallen an der Aktion hatte, vor allem, dass er nun in der Gruppe war, die den Tempel von innen durchsuchte. So richtig passte es nicht in das Bild des sonst so ernsten und akuraten Schülers, wiederum fand die Violetthaarige diese Seite an ihrem Schwarm auch irgendwie süß. Sie nahm sich vor ihn bei Gelegenheit darauf anzusprechen, doch vorerst hatte das kleine Mädchen Vorrang. So war also die Aufteilung der Gruppen entschieden und sie entschieden sich via Gruppenchat in Kontak zu bleiben. Damit auch Kuraiko und Shuya davon wussten, schrieb Hiroshi noch eine kurze Nachricht in den Chat, bevor sich die letzten beiden Gruppen nun endlich aufteilten. „Dann mal los.“, seufzte der Blonde, nachdem er sein Smartphone wieder in der Hosentasche hatte verschwinden lassen. Es folgte ein kurzes Nicken von Mirâ und Masaru und ein doch recht euphorisches „Viel Glück“ von Akane und die drei betraten vorsichtig das alte Gebäude. Derweilen waren Kuraiko und Shuya im hinteren Teil des Geländes unterwegs und sahen sich zwischen den Ruinen der Gebäude um. Außer den Geräuschen, welche sie beim Suchen verursachten herrschte jedoch nur Totenstille zwischen den beiden, was dem Violetthaarigen irgendwann dann doch zu unangenehm wurde. „Du sag mal… wieso hast du mich von der Gruppe weggezerrt?“, fragte er vorsichtig, bevor er näher an die Schwarzhaarige herantrat und plötzlich breit grinste, „Wolltest du etwa mit mir alleine sein? UFF!“ Er hatte den Satz noch nicht einmal ganz beendet, da hatte ihm die Jüngere bereits wieder ihren Ellenbogen in die Magengrube geschlagen. „Immer auf die gleiche Stelle…“, murmelte der Ältere und ging auf die Knie. Wütend sah Kuraiko ihn von oben herab an: „Bilde dir bloß nichts ein, du Perversling. Das hat nichts damit zu tun. Allerdings solltest du aufpassen, was du fragst, wenn Mirâs kleine Schwester dabei ist.“ Überrascht sah der junge Mann auf und schien nur langsam zu begreifen, was ihm die Schwarzhaarige damit sagen wollte: „Warte mal… heißt das, diese Mika hat etwas mit dieser Spiegelwelt zu tun?“ „Jetzt mal ehrlich. Hast du Mirâ damals zugehört? Sie hatte Mika damals schon erwähnt, als wir dich eingeweiht haben, du Vollpfosten.“, meckerte die Jüngere entgeistert. Angesprochener schien kurz zu überlegen, bis es ihm wieder einfiel und er sich langsam wieder aufrichtete: „Ach stimmt. Da war was. Das waren so viele Informationen, da muss mir diese Kleinigkeit entgangen sein. Und ihr seid der Meinung, dass dieses Mädchen diese Mika ist? Ich kann das nicht beurteilen, immerhin habe ich sie noch nie gesehen.“ Kuraiko schweig kurz: „… Schwer zu sagen, aber auf den ersten Blick sah sie ihr wirklich ähnlich. Vielleicht war es aber auch nur eine Täuschung. Sie war aber so plötzlich verschwunden…“ „Ich verstehe… Ich hab zwar nicht ganz die Ahnung, was euch daran beschäftigt, aber wir sollten sie wohl schnell finden.“, lächelte der Ältere die junge Frau an, was ihr einen leichten Rotschimmer auf die Wangen zauberte. Schnell senkte sie den Blick. Shuya jedoch hatte es so oder so nicht mitbekommen, da er im gleichen Moment bereits sein Smartphone aus der Hosentasche gekramt hatte. „Hiro schreibt, dass wir uns über den Chat auf dem Laufenden halten. Sie haben sich wohl jetzt auch getrennt. Er sucht gemeinsam mit Shingetsu und Shin-senpai im Gebäude.“, murmelte er anschließend und packte das Telefon wieder weg, „Na ob das gut geht?“ Er konnte sich ein kurzes Kichern nicht verkneifen. „Wenn Hiroshi so weiter macht, macht er sich nur kaputt…“, murmelte Kuraiko plötzlich. „Oho. Machst du dir etwa Sorgen um ihn?“, fragte der Violetthaarige grinsend. „So ein Quatsch. Das ist ne Tatsache. Eifersüchtig?“, kam es nur genervt zurück. „Ein wenig…“, grinste Shuya breit, doch bekam keine weitere Reaktion mehr. Kurz breitete sich Schweigen zwischen den Beiden aus, bevor sich der Ältere wieder in Bewegung setzte, um weiterzusuchen und dabei doch wieder die Stimme erhob: „Sorry wegen der Sache gestern. Ich wollte dich nicht verschrecken und auch nicht wütend machen. Ich war einfach nur total geplättet von dir.“ Überrascht sah Kuraiko zu dem jungen Mann, der sie nur kurz breit angrinste und sich dann wieder der Suche widmete. Einen Moment beobachtete sie den Älteren, während ihr die Röte ins Gesicht stieg. Dann wandte sie sich ab und suchte ebenfalls weiter: „Schon gut…“ Währendessen streiften Mirâ, Hiroshi und Masaru durch das alte Tempelgebäude. Auch innen war es zerfallen, jedoch noch nicht so stark, dass man jeden Moment Angst haben musste, dass ihnen alles auf den Kopf krachte. Etwas unheimlich war Mirâ dieser Ort schon, jedoch gaben ihr sowohl Masaru, als auch Hiroshi Sicherheit. Sie war irgendwie froh, dass sie mit den beiden Jungs unterwegs war. Alleine oder auch mit einer ihrer Freundinnen wäre es ihr wahrscheinlich zu unheimlich gewesen. „Sag mal Senpai, du wirktest vorhin so, als hättest du dich gefreut hier rein zu können.“, sprach Hiroshi plötzlich das an, was Mirâ bereits gedacht hatte, bevor sie das Gebäude betreten hatten, „Versteh mich nicht falsch, aber du wirkst nicht wie jemand, der gerne verlassene Gebäude aufsucht.“ „Oh… hab ich das so sehr heraushängen lassen?“, fragte der Ältere etwas überrascht. Mirâ nickte: „Ich hatte auch das Gefühl, dass du dich gefreut hast.“ Verlegen kratzte sich der Schwarzhaarige im Nacken und lachte leicht: „Oh je. Entschuldigt, da ging es wohl etwas mit mir durch. Als Kind bin ich mit Dai gerne durch den alten Tsukiyama Tempel gestreift.“ „Der Tsukiyama Tempel?“, kam es synchron von den beiden jüngeren Schülern. Masaru nickte: „Ja. Der alte Tempel, der auf dem Platz stand, wo jetzt das Einkaufszentrum steht. Er gehörte der Familie Tsukiyama. Soviel ich weiß, waren meine Großeltern mit den Tsukiyamas befreundet. Trotzdem haben mich meine Eltern immer vor dem Tempel gewarnt. Sie meinten er sei verflucht oder sowas. Es muss dort einiges vorgefallen sein, aber als Kind fand ich das total überdreht. Viel mehr war das alte Gelände für Dai und mich wie ein riesiger Abenteuerspielplatz. Wenn ich mich daran erinnere, was es für Ärger gab, als mein ältester Bruder uns dort eingesammelt hat. Mein Vater wäre beinahe durch die Decke gegangen. Ich glaube für Dai war es noch schlimmer, weil ihm erst mein Vater die Hölle heißgemacht hat und danach seiner.“ „Mein Vater erwähnte etwas von nem Tempel an der Stelle, aber er konnte sich nicht mehr genau dran erinnern. Er meinte nur, dass da mal was passiert sei, wodurch die Stadt endlich das Einkaufszentrum bauen konnte.“, meinte Hiroshi, woraufhin er einen fragenden Blick von Mirâ kassierte, „Ich hatte ihn zufällig am Tag nach dem Konzert drauf angesprochen.“ Ein Nicken der Violetthaarigen folgte, während der Blonde sich wieder an Masaru wandte: „Weißt du, was damals passiert ist? Haben deine Eltern da irgendwas erwähnt gehabt?“ Der Schwarzhaarige legte seinen Finger ans Kinn und überlegte, doch schüttelte dann den Kopf: „Nein. Ich weiß nur noch, dass sie sogar ganz froh waren, dass der Tempel endlich abgerissen wurde. Ich meine es war gefährlich dort und außerdem waren sie ja eh der Meinung, dass ein Fluch auf dem Gelände lag. Ganz davon abgesehen, dass sie ja selber einen Tempel betreiben und damit auch eine drohende Konkurrenz weg war.“ Überrascht sahen die Jüngeren den jungen Mann an, welcher plötzlich bemerkte, welche Äußerung er von sich gegeben hatte: „Naja… Im Grunde geht’s auch bei einem Tempel ums Geld. Meine Eltern wollen ja auch von was leben…“ Ihm schien diese Aussage doch etwas peinlich zu sein, weshalb er sich am Hinterkopf kratzte und den Blick abwandte. Mirâ jedoch veranlasste dies nur zu einem Kichern, da sie diese Geste irgendwie süß fand. Hiroshi währendessen seufzte nur und wandte sich dann wieder dem Weg vor sich zu. Die drei standen in einem länglichen Flur, von welchem mehrere Zimmer abgingen. Es wirkte, als seien sie im Wohnbereich des Tempels gelandet. Zu seiner Rechten lag eine Treppe, welche allerdings schon so kaputt war, dass er es sich nicht wagen wollte dort hinauf zu gehen. Vor ihnen befanden sich mehrere offene Holzschiebetüren, die teilweise bereits aus den Angeln gehoben beziehungsweise gefallen waren. Jedoch wirkte hier nichts so, als sei vor kurzem jemand hier gewesen oder durchgegangen. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt und zwischen einigen Ritzen schlängelten sich bereits Pflanzen hindurch. Der junge Mann setzte sich wieder in Bewegung, woraufhin ihm die anderen beiden folgten, und schaute in einen der vor ihm liegenden Räume hinein. Dieser war leer, nur einige der alten Tatamimatten waren vom Boden aufgehoben worden und lagen nun durcheinander im Raum verteilt. Mirâ nahm sich den Raum genau gegenüber vor. In diesem befanden sich sogar einige Möbel. Ein alter bereits kaputter Schrein, in dem man Ahnen verehrte, fand sie dort vor und einen alten kaputten Standspiegel. Plötzlich jedoch überkam sie ein merkwürdiges Gefühl und über das Bild, welches sie eben sah, legte sich ein weiters. Dieses war jedoch rot unterlaufen, sodass sie es nur schemenhaft erkannte. Doch auch dort erkannte sie einen alten Standspiegel. Dessen Glas war jedoch noch halbwegs intakt und nur in der Mitte zersplittert. Ein vertrautes Gefühl machte sich in ihre breit, welches sich allerdings gleichzeitig mit einer ihr unbekannten Panik vermischte. Ihr Körper begann zu zittern, als ein kalter Schauer über ihren Rücken lief, und ließ sie auf die Knie sinken, während eine unangenehme Übelkeit über sie kam. Krampfhaft krallte sie sich am Türrahmen fest und versuchte diese Übelkeit zu unterdrücken. Sie konnte sich doch hier nicht übergeben. „Mirâ, was ist los?“, ließ Masarus Stimme Hiroshi aufschrecken, welcher das Ganze noch gar nicht mitbekommen hatte. Schnell war er herumgewirbelt und hatte gesehen, was los war. Der Ältere war bereits bei der Violetthaarigen und versuchte zu ihr durchzudringen, doch es schien nichts zu wirken. Instinktiv jedoch wusste der Blonde sofort, was zu tun war. Aus der Ferne hörte sie Masarus Stimme, doch egal wie oft er sie rief, sie blieb undeutlich und drang nicht wirklich zu ihr vor, sodass sie sie auch nicht aus ihrer Starre holte. So sehr sie es auch versuchte sich auf die Stimme ihres Schwarmes zu konzentrieren, es half nichts. Immer noch war sie in dem Gefühl der puren Panik gefangen und noch immer war ihr speiübel. Sie versuchte weiterhin gegen die Übelkeit anzukämpfen, doch merkte bald, dass sie es nicht mehr lange schaffen würde. Was war das nur? Was war das für eine Angst, die sie gefangen hielt? Woher kam sie? Kam sie von dem Spiegel? Doch wieso? Noch immer sah sie das rot unterlaufene Bild des in einem leeren Raum stehenden Standspiegels und wusste nicht, was es überhaupt zu bedeuten hatte. Doch sie wusste, dass sie endlich aufwachen wollte. Raus aus diesem Albtraum. Plötzlich jedoch verschwand das Bild. Ihr Blick normalisierte sich wieder, als sie eine warme Hand auf ihrer Schulter spürte. Dann drang auch eine ihr bekannte Stimme an ihr Ohr: „Mirâ, alles in Ordnung?“ Endlich war sie wieder in der Lage sich vorsichtig zu bewegen und blickte zur Seite, wo sie in zwei dunkelblaue besorgte Augen blickte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, welches die Panik und damit die Starre vertrieb. Die Übelkeit verschwand und ihr Körper entspannte sich wieder, was jedoch dazu führte, dass sie plötzlich nach vorn überkippte. Anstatt jedoch auf den Boden zu fallen, landete sie stattedessen in zwei warmen Armen, die ihr das Gefühl von Sicherheit gaben. „Geht es wieder?“, fragte der Blonde plötzlich. Vorsichtig richtete sich die Oberschülerin auf und nickte: „J-Ja, danke. Entschuldigt… ich wollte euch nicht erschrecken.“ „Was war das?“, fragte Masaru besorgt. Mirâ schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung…“ „Wie nach dem Konzert damals…“, murmelte Hiroshi plötzlich leise, weil ihm diese Sache doch etwas merkwürdig vorkam. Der Schwarzhaarige hatte es jedoch trotzdem gehört: „Moment. Nach dem Konzert? Hatte Akane nicht gesagt, dass Mirâ vor dem Besuch im Tempel zusammengebrochen war?“ „Uhm naja…“, murmelte die junge Frau nur, „Also…“ Ernst sah der Blond den Älteren an: „Nach dem Konzert, auf dem ich mit Mirâ war, war ihr auch plötzlich so übel geworden. Das hier ähnelt der Situation von damals schon ganz schön.“ Der Blick des älteren jungen Mannes wurde plötzlich wütend: „Wieso habt ihr uns das dann nicht erzählt? Das klingt mir auch nicht wie eine Nichtigkeit.“ „Urgh… verdammt noch mal. Mach dich nicht ständig wichtiger als du bist, Senpai! Das ist nicht auszuhalten.“, wurde der Jüngere plötzlich laut, woraufhin auch Mirâ zusammenzucken musste, „Es ist ja nicht so, als hätte ich mir keine Sorge gemacht. Aber Mirâ meinte, dass alles in Ordnung wäre. Sie ist alt genug, dass sie nicht ständig von jemandem wie dir bemuttert werden muss.“ Überrascht über den plötzlichen Ausbruch, sah Masasru den Blonden mit großen Augen an und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Auch Mirâ war überrascht und wusste im ersten Moment nicht, was überhaupt gerade geschehen war. Jedoch kam ihr schnell der Gedanke, dass diese Situation nicht gut war. Immerhin waren die beiden jungen Männer gerade im Begriff einen Streit zu beginnen und den konnte sich die Gruppe nicht leisten. Nicht bei ihrer aktuellen Situation. Außerdem wollte die junge Frau auch nicht, dass sich beide stritten. Sie waren ihr beide wichtige Freunde und deshalb wollte sie sie auch nicht verlieren. Also sprang sie plötzlich auf und ging dazwischen: „Ähm… Bi-bitte streitet nicht. Senpai, versteh das bitte. Ich habe Hiroshi gebeten euch nichts zu sagen. Ich wollte euch keine Sorgen machen.“ Erstaunt sah Masaru sie an und richtete dann seinen Blick zu Hiroshi, welcher ebenfalls überrascht wirkte. „Bitte Senpai, glaub mir. An dem Abend war mir auch schwindelig und schlecht, das stimmt. Aber da hatte ich über den Tag hinweg einfach zu viel Sonne abbekommen. Wahrscheinlich ist das auch heute der Grund gewesen. Ich vertrage anscheinend die Wärme nicht mehr so gut, wie früher.“, versuchte die Violetthaarige eine plausible Erklärung zu liefern und log somit die beiden Jungs erneut an. Auch damals hatte sie Hiroshi nichts von ihrer Vision erzählt und das wollte sie auch beibehalten, deshalb behielt sie diese auch dieses Mal für sich. Sie hoffte nur, dass ihr Schwarm diese Ausrede hinnehmen würde und das Thema damit erst einmal abgehakt war. Und zu ihrem Glück schien es zu wirken, denn plötzlich seufzte der Ältere und ging sich mit der Hand durch die Haare. „Gut, wenn du meinst. Aber bitte pass auf dich auf. Ja? Wir sind deine Freunde und du darfst uns Sorgen machen, wenn es dir nicht gut geht. Immerhin sind wir als Freunde doch dafür da, dir zu helfen. Oder etwa nicht?“, mahnte er anschließend. Überrascht sah die junge Frau ihn an und nickte dann lächelnd: „Hai.“ Damit schien das Thema vorerst beendet und die drei Oberschüler konnten sich wieder auf das konzentrieren, wofür sie eigentlich hier waren. Lächelnd wandte sich die junge Frau Hiroshi zu und reichte ihm helfend ihre Hand, welche er dankend annahm und von ihr wieder auf die Beine gezogen wurde. Dabei hauchte Mirâ noch einmal ein leises „Danke“ in seine Richtung und wandte sich dann von ihm ab, um den nächsten Raum in Augenschein zu nehmen. Bevor dies jedoch passierte, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen. Genau vor ihr stand wieder das kleine Mädchen und sah sie aus großen rotbraunen trüben Augen heraus an. Die junge Frau wollte etwas sagen, doch in diesem Moment wandte sich das Mädchen wieder ab und verschwand in einem der übrig gebliebenen Räume. Schnell setzte sich Mirâ in Bewegung, um ihr zu folgen und stürmte regelrecht in den doch recht kleinen und verwüsteten Raum. Das kleine Mädchen stand mit dem Rücken zu ihr und sah sie über die Schulter an, drehte sich jedoch plötzlich um und blieb so stehen. Irritiert beobachtete die Violetthaarige die Kleine und bekam eigentlich nur am Rande mit, dass die beiden Jungs ihr gefolgt waren und nun ebenfalls das Zimmer betraten. Nun hatte Mirâ die Gelegenheit sich die Jüngere genau anzuschauen. Sie war wirklich ungefähr in Mikas Alter, also nicht älter als neun oder zehn, und hatte ebenfalls dunkelblaue glatte Haare. Allerdings waren diese noch dunkler, als die ihrer kleinen Freundin. Ihr großen rotbraunen Augen wirkten müde und matt und waren ohne jeglichen Glanz. Der sommerliche Kimono, den sie trug, war grau und mit Ginkoblättern verziert, allerdings war er bereits stark zerrissen. In ihrer Hand hielt sie ein kleines Säckchen, wie viele Frauen es als Tasche für ihr Geld nutzen, wenn sie die traditionelle Tracht trugen. Mirâs Blick ging weiter an ihr herunter, wodurch sie nun endlich bemerkte, dass die nackten Füße der Kleinen nicht einmal den Boden berührten. Doch etwas anderes erweckte mehr ihre Ausmerksamkeit. In dem kleinen Schutthaufen, über dem das Mädchen schwebte, blitzte etwas heraus, was die Oberschülerin an etwas erinnerte, dass sie nur allzugut kannte. Also setzte sie sich vorsichtig in Bewegung und zog das etwas aus dem Schutt. Und ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. In ihrer Hand lag nun ein alter, ziemlich mitgenommener, Schülerausweis. Er ähnelte der, den jeder Schüler in Japan bekam, war jedoch schon extrem vergilbt und die lederne Tasche, in der er steckte war bereits ziemlich zerfleddert. Trotzdem konnte Mirâ den Namen erkennen, der sich dort drauf befand. Überrascht blickte sie plötzlich auf und sah dabei in das lächelnde Gesicht der Kleinen, welche plötzlich verschwand. „Was hast du da?“, holte sie Masarus Stimme wieder ins Hier und Jetzt. Einen Moment später stand der Oberschüler neben ihr und schaute auf den Schülerauseis: „Ein alter Schülerausweis? Gehörte der dem kleinen Mädchen?“ Mirâ nickte: „Es scheint so. Ich glaube ja nicht an Übernatürliches, aber… ich glaube hier hat uns gerade ein Geist heimgesucht. Allerdings… seht euch den Namen an…“ Hiroshi trat nun neben die Violetthaarige und sah ihr über die Schulter: „Was zum…? Yukihara… Mika?“ Kapitel 70: LXX – Heimkehr -------------------------- Freitag, 28.August 2015 Nachdem Mirâ und ihre Freunde von einem Fuchs, der die Tasche der Violetthaarigen gestohlen hatte, zu einem alten verfallenen Tempel gelockt wurden, hatten sie sich dort aufgeteilt, um ein kleines Mädchen zu suchen. Dieses war ihnen erschienen und dann zwischen den Gebäuden wieder spurlos verschwunden. Bei ihrer Suche hatte Mirâ einen alten vergilbten Schülerausweis aus dem Schutt gezogen, der auf den Namen einer Mika lief. Das ungute Gefühl, dass es sich bei dem Mädchen um ihre Mika handelte, hatte sich somit verhärtet, jedoch wollte die Violetthaarige innerlich immer noch nicht wirklich daran glauben. Zwar sah das kleine Mädchen ihrer Freundin sehr ähnlich, jedoch war Mika ein recht geläufiger Name und somit kein Beweis. Trotzdem waren die Ähnlichkeiten, die eben da waren, zu erdrückend. Gemeinsam mit ihren Freunden hatte sie sich nach diesem Fund wieder vor dem Tempel versammelt, um über ihr weiteres Vorgehen zu sprechen. „Soll das heißen, die Kleine war ein echter… Geist?“, bevor Akane besagtes Wort aussprechen konnte, musste sie einmal kurz schlucken. Gleichzeitig rieb sie sich zitternd die Oberarme: „Wie unheimlich.“ „Es scheint so.“, murmelte Mirâ, während sie den Ausweis in ihrer Hand betrachtete. Junko, als Jüngste im Bunde, schien von dem Ereignis weniger verängstigt zu sein, als Akane: „Das heißt, der Fuchs wollte uns das hier zeigen?“ Masaru legte den Finger ans Kinn: „Ja, das lässt der Schluss zu. Die Frage ist warum.“ „Vielleicht wird das Mädchen vermisst…“, kam es etwas abwesend von Yasuo, welcher sich auf die morsche Terrasse gesetzt hatte, die das Gebäude umgab. Besorgte Blicke waren auf ihn gerichtet, bevor diese sich wieder auf den Ausweis konzentrierten. Noch einmal betrachtete Mirâ den Ausweis eingängig. Der Name war noch relativ gut lesbar, während einige andere Dinge wie das Geburtsdatum ausgeblichen waren. Auch der Name der Schule und das dazugehörige Wappen war nicht mehr zu erkennen. Die Wohnanschrift jedoch war ebenfalls noch halbwegs lesbar, jedenfalls erkannte die junge Frau einen Straßennamen. Bei der Nummer war sie sich nicht ganz sicher, allerdings glaubte sie eine 40 lesen zu können. Zwar fehlte die Bezeichnung des Ortes, aber die Violetthaarige war sich sicher, dass es sich um eine Adresse in diesem Dorf handeln musste. „Was machen wir nun damit?“, fragte plötzlich Kuraiko, „Die Frage ist, was der Fuchs, wenn er uns wirklich deshalb hergelockt hat, eigentlich von uns will. Was sollen wir damit machen?“ Shuya verschränkte die Arme hinter dem Kopf: „Kann es sein, dass er möchte, dass wir den Ausweis zurückbringen?“ Alle Blicke waren auf ihn gerichtet, weshalb er mit den Schultern zuckte: „Kann ja sein. In solchen Filmen, wo es um vermisste Personen geht, ist es ja auch immer so.“ Die schwarzhaarige junge Frau neben ihm ballte die Hand zur Faust: „Das hier ist aber kein Film, du Trottel.“ Mirâ schwieg kurz und betrachtete den Ausweis, bis sie eine Entscheidung getroffen hatte: „Vielleicht hat Nagase-kun aber Recht und der Fuchs möchte, dass jemand den Ausweis zurückbringt. Lasst uns diese Adresse aufsuchen.“ „Und dann?“, fragte Kuraiko ungläubig. Ihre Freundin lächelte: „Das sehen wir dann, wenn es soweit ist.“ Somit war ihr nächster Schritt entschieden und so zückte Mirâ ihr Smartphone und gab die Adresse in ihre Navigations-App ein. Da der Empfang an diesem entlegenen Ort nicht so gut war dauerte die Suche eine Weile, doch dann zeigte sie ein Ziel an. Und tatsächlich gab es im alten Dorfzentrum die Straße und auch Hausnummer, wie auf dem Ausweis angegeben. Noch einmal blickte die junge Frau zu ihren Freunden, die ihr zunickten und wollte sich dann in Bewegung setzen. Vorher jedoch erblickte sie hinter ihnen wieder den Fuchs, welcher plötzlich den Kopf neigte, als wollte er sich bei ihnen für ihre Hilfe bedanken. Erstaunt beobachtete die Violetthaarige das rote Tier und nickte ihm dann zu, woraufhin es kurz darauf wieder den Kopf hob und davonstolzierte. Den Anweisungen des Navis folgend war die Gruppe eine viertel Stunde später wieder zurück im alten Ortskern und wurde weiter durch die Straßen des Dorfes geführt. „Das Ziel befindet sich auf der rechten Seite.“, erklang es plötzlich aus Mirâs Handy, woraufhin sie ruckartig stehenblieb. Überrascht blieben auch ihre Freunde stehen und richteten, ebenso wie die Violetthaarige, ihren Blick nach rechts auf ein altes Gebäude. Das Haus wirkte wesentlich älter und auch ziemlich heruntergekommen. Nur an einigen Stellen war es notdürftig repariert, aber ansonsten sah es beinahe so aus, als würde man dort gar nicht mehr leben können oder auch wollen. Trotzdem erkannte man, dass aus den Fenstern im unteren Stockwerk Licht nach draußen drang. Es war also defintiv noch bewohnt. Auch das Namensschild ließ darauf schließen, dass hier noch jemand lebte, denn dieses wirkte im Vergleich zum Haus noch relativ neu. „Yukihara“ war dort in recht schnörkeliger Schrift eingeritzt, was der kleinen Gruppe verriet, dass sie hier richtig zu sein schienen. Noch einmal blickte Mirâ auf den kleinen Ausweis, bevor sie einen Schritt auf das Eingangstor machte. Plötzlich jedoch wurde sie am Handgelenkt gegriffen und richtete ihren fragenden Blick auf Kuraiko: „Was soll das? Du willst doch nicht ernsthaft klingeln. Oder? Steck das Teil doch einfach in den Briefkasten.“ „Woher sollen wir dann aber wissen, dass es die richtige Familie ist?“, fragte die Violetthaarige mit einem kleinen Lächeln. Die Schwarzhaarige schnaufte: „Es ist der gleiche Name und die Adresse stimmt auch. Also reicht das doch. Außerdem, was willst du sagen, wenn sie gar nichts mit dem Mädchen zu tun haben?“ „Dann entschuldigen wir uns und gehen wieder.“, sagte plötzlich Akane, die der jungen Frau den Arm um die Schulter legte. Genervt stöhnend ließ Angesprochene Mirâs Handgelenk wieder los und meinte, dass sie tun solle, was sie eh nicht lassen konnte. Mit einem kleinen Danke an die junge Frau gerichtet, drehte sich die Violetthaarige wieder herum und trat an das rostige Tor, nur um kurz darauf die neben dem Namenschild befindliche Klingel zu betätigen. Das schrille Klingeln war sogar durch die Haustür hindurch zu hören, doch danach tat sich eine gefühlte Ewigkeit nichts. Plötzlich jedoch wurde die Tür vorsichtig aufgeschoben und der Kopf einer alten Dame trat hervor. Irritiert blickte die Frau die Gruppe an und schien im ersten Moment vollkommen überrumpelt. „Wir kaufen nichts.“, sagte sie und wollte bereits die Tür wieder schließen. „Warten sie.“, hielt Mirâ sie zurück, „Kennen sie ein Mädchen Namens Mika?“ Die Frau stoppte in ihrem Tun: „Mika?“ Fragen steckte sie ihren Kopf wieder hinaus: „Woher…?“ Vorsichtig hob Mirâ den Ausweis in die Höhe: „Den hier haben wir gefunden und wollten ihn zurückbringen.“ Ungläubig starrte die Dame auf den Ausweis in der Hand der Violetthaarigen und bat die Gruppe plötzlich näher zu sich heran. Von dem plötzlichen Wandel ein wenig irritiert brauchten die Schüler erst einmal einen Moment, bis sie die Bitte realisiert hatten, und betraten dann das Grundstück, um vor die Haustür zu treten. Die alte Frau öffnete nun die Tür gänzlich und trat auf den Absatz vor der Tür, um das Dokument zu begutachten, welches Mirâ ihr reichte. „Das ist er wirklich…“, murmelte sie plötzlich und griff vorsichtig nach dem Schriftstück, „Das ist wirklich der Schülerausweis von Mika. Meiner kleinen Mika…“ Vollkommen überrascht sah Mirâ ihr Gegenüber an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Frau kannte diese Mika also wirklich. Doch viel überraschender war, dass es so klang, als sei die kleine Mika die Tochter des Gegenübers der Violetthaarigen. Doch diese wirkte bereits so, als könnte sie die Großmutter der Oberschüler sein. Die Frau schien die Irritation der Oberschüler zu bemerken und erzählte plötzlich, dass die kleine Mika, welcher der Ausweis einst gehörte, ihre kleine Tochter war, die allerdings vor über 20 Jahren spurlos verschwunden war. Man hatte sie im ganzen Dorf gesucht, aber nicht gefunden. Dabei war auch der Tempel durchsucht worden, jedoch ohne Erfolg. „Irgendwann hat die Polizei die Suche eingestellt und meine Kleine wurde für tot erklärt. Wir aber mussten mit der Ungewissheit weiterleben und besuchen seither ein leeres Grab, um wenigstens einen Anlaufpunkt zu haben.“, erzählte die alte Dame weiter und legte sich den Ausweis in ihrer Hand plötzlich an die Brust, „Jetzt ist wenigstens ein Teil von ihr wieder heimgekehrt. Habt vielen Dank. Aber sagt, wo habt ihr den gefunden?“ Noch immer mitgenommen von der Story musste Mirâ kurz schlucken, um sich wieder zu fangen und nicht gleich loszuweinen: „Ähm also… ein Fuchs hatte diesen Ausweis im Maul und als wir näher an ihn herangetreten waren hat er ihn fallen lassen.“ Überrascht sah ihr Gegenüber sie wieder an: „So? Welch Zufall… Füchse waren die Lieblingstiere von Mika. Es war ihre liebste Beschäftigung die Tiere, die sich um den Tempel aufhielten, zu beobachten. Dass nun ein Fuchs ihren Ausweis…“ Sie stoppte und schüttelte den Kopf, bevor sie sich wieder an die Gruppe wandte: „Ich danke euch, dass ihr diesen Ausweis zu uns zurückgebracht habt. Endlich ist unsere Mika zu uns zurückgekehrt, wenn auch nur so.“ Schweigsam waren die Acht etwas später mit ihren Sachen bepackt auf dem Weg zum Bahnhof, um mit dem nächsten Zug zurück in die Stadt zu fahren und damit ihren Ausflug zu beenden. Die Stille zwischen ihnen war bedrückend, da sie immer noch an der Erzählung der alten Dame zu knabbern hatten. Mirâ gingen ihre Worte einfach nicht aus dem Kopf. Auch konnte sie immer noch nicht glauben, dass sie wirklich von einem Geist aufgesucht worden waren. Wenn sie genauer darüber nachdachte, hatte sie sogar das Gefühl, dass sie die kleine Mika noch einmal gesehen hatte, als sie das Haus wieder verlassen hatten. Und sie war sich sicher, dass sie breit und fröhlich gelächelt hatte. Es war also alles gut. Oder? Doch das bedrückende Gefühl in ihr wollte nicht weichen. Sie musste plötzlich an ihre kleine Freundin Mika denken, welche noch immer in der Spiegelwelt war, und sie überlegte, ob es sich bei den beiden Mädchen wirklich um die gleiche Person handelte. So richtig dran glauben konnte und wollte sie nicht. Wieso sollte sie sonst in der Spiegelwelt sein? Und wie hätte sie als Geist vor ihnen erscheinen sollen? Das alles ergab für sie keinen Sinn und sie hoffte, dass sie Mika am Abend in ihrem Zimmer antreffen würde, um mit ihr darüber zu sprechen. „Ich glaube Mika war glücklich.“, sagte plötzlich Junko und richtete damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Wie kommst du darauf, Kleines?“, fragte Hiroshi, welcher die Hand der Grundschülerin hielt. Die Blauhaarige sah auf: „Naja… ich habe sie vorhin noch einmal gesehen, bevor wir gegangen sind. Und sie hat gelächelt. Ganz breit. Es sah so aus, als wäre sie froh darüber, wieder bei ihrer Familie zu sein.“ Erstaunt sah Mirâ ihre kleine Schwester an. Also hatte diese sie auch noch einmal gesehen. Dann war es also keine Einbildung gewesen. Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht der Oberschülerin, während ihr dank Junko nun etwas leichter ums Herz wurde. Sie griff die noch freie Hand ihrer Schwester: „Du hast sicher Recht, Junko.“ Mit einem fröhlichen Lächeln nickte Angesprochene und lief mit stolz geschwollener Brust zwischen den beiden Oberschülern, deren Hände sie fester griff. Hinter ihnen unterdrückte Akane ein erfreutes Quieken, als sie die Szene bemerkte. Wieder sahen ihre beiden besten Freunde zusammen mit der Grundschülerin wie eine kleine glückliche Familie aus. Am liebsten hätte sie einen Kommentar dazu abgegeben, doch sie wusste genau, dass es in diesem Moment nicht angebracht war. Auch Shuya schien ihrer Meinung zu sein, denn das Grinsen auf seinem Gesicht war um einiges breiter geworden, seit er die Szenerie vor sich bemerkt hatte. Trotzdem hielt auch er sich zurück. Gegen Abend hatten sie den Hauptbahnhof von Kagaminomachi erreicht und trennten sich nach und nach. Bevor sich jedoch Masaru von der Gruppe verabschiedete nahm ihn sich Hiroshi noch einmal zur Seite. Etwas überraschend hatte der Blonde den Älteren abgefangen und ihn außer Hörweite der anderen gezogen. „Was ist denn los, Hiroshi?“, fragte der Schwarzhaarige irritiert. Verlegen kratzte sich der Jüngere im Nacken und schien zu überlegen, wie er anfangen sollte: „Ich wollte… mich für die Aktion vorhin entschuldigen. Ich wollte dich nicht anschreien, immerhin weiß ich ja, dass ihr euch alle nur Sorgen macht.“ Masaru legte den Kopf fragend schief und schien im ersten Moment überlegen zu müssen, was der Blonde ihm gegenüber überhaupt meinte. Dann fiel es ihm plötzlich wieder ein und er klopfte dem jüngeren Schüler nur auf die Schulter. „Schon okay. Mach dir nichts draus.“, meinte er dann lächelnd, „Außerdem hattest du ja auch Recht. Irgendwie hatte ich bisher immer das Gefühl als Ältester von uns die Verantwortung für euch Jüngere zu haben. Dabei ist mir vollkommen entgangen, dass das gar nicht stimmt. Ich lasse das nur leider zu oft raushängen. Vielleicht liegt es an der Arbeit bei der Schülervertretung. Das soll jetzt keine Entschuldigung dafür sein… eher eine Vermutung.“ „Ich verstehe… trotzdem.“, murmelte Hiroshi. Noch einmal klopfte ihm der Ältere aufmunternd lächelnd auf die Schulter und erklärte, dass er sich darüber keine weiteren Gedanken machen sollte. Mit diesen Worten verabschiedete er sich dann auch von dem Blonden und wandte sich noch einmal den Anderen zu, um auch diesen noch tschüss zu sagen. Dann war er in Richtung Innenstadt verschwunden. Hiroshi sah ihm kurz nach und gesellte sich dann zu der kleinen Gruppe die noch da war, bestehend aus Shuya, Mirâ und Junko. Alle hatten sie ungefähr den gleichen Heimweg und machten sich so auf den Weg zur U-Bahn, um endlich Nachhause zu kommen. Als Hiroshi dann allerdings nicht an seiner Station ausstieg wurde er von der Seite von drei fragenden Blicken angesehen. Verlegen wandte er den Blick aus dem Fenster, an welchem nur die graue Wand des U-Bahn-Tunnels vorbeisauste und erklärte, dass er sich besser fühlen würde, wenn er die Mädchen vorher Nachhause gebracht hatte. „Ich hab es jetzt nicht so eilig. Außerdem wird es langsam dunkel.“, murmelte er, um damit sein Verhalten zu erklären. Überrascht sah Mirâ ihn an und lächelte dann: „Das ist wirklich lieb von dir, Hiroshi-kun.“ „Yay, Hiro-niichan begleitet uns noch.“, freute sich Junko und griff sogleich die Hand des Blonden. Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen, wodurch er seinen Blick auf die Anzeigetafel richtete, welche bereits die nächste Station anzeigte, an der sein Kumpel aussteigen musste. Gerade als der Zug in den Bahnhof einfuhr und stoppte, spürte er noch wie Besagter ihn breit grinsend aneckte, sich dann von den Mädchen verabschiedete und dann ausstieg. „Verlauf dich nicht, Idiot.“, mahnte Hiroshi noch schnell. Gerade noch so erkannte er, wie sich sein Kumpel breit grinsend zu ihm umdrehte)# und mit der Hand eine Geste machte, die bedeutete, dass er ihn dann einfach anrufen würde. Seufzend ließ der junge Mann den Kopf hängen und hoffte, dass dies nicht geschehen würde. Auch wenn ihn solche Aktionen von Shuya nervten, so wusste er, dass er trotzdem springen würde. Das Kichern von Mirâ ließ ihn wieder aufschauen. „Ihr seid echt gute Kumpels.“, sagte sie anschließend, „Wirklich schön wie gut ihr euch versteht.“ Ein kleines Lächeln legte sich auf Hiroshis Gesicht, als er Mirâ kichern sah und wieder einmal merkte er, wie wichtig ihm dieses Mädchen doch war. Doch leider wusste er auch, dass seine Gefühle unerwidert blieben, auch wenn er den Worten Shuyas Hoffnung schenkte, der meinte, dass Masaru nicht das Gleiche für die Violetthaarige empfand. Etwas später erreichten die Drei das Haus von Mirâ, wo sie bereits von Haruka erwartet wurde. Über den überraschten Blick von Mirâ, dass ihre Mutter bereits zurück war, erklärte diese, dass ihr Termin doch schneller ging als erwartet und sie deshalb bereits seit dem Mittag zurück war. „Wie war es in Mikadzuki-chô? Hattet ihr Spaß?“, fragte sie anschließend. Freudig nickte ihre jüngste Tochter und hätte am liebsten sofort alles auf der Straße erzählt, doch zum Glück konnte Haruka sie davon abhalten. Vielmehr bat sie Junko darum ihr alles beim Abendessen zu erzählen, was bereits fast fertig war. Zwar wirkte die Kleine einen Moment irritiert doch nickte dann. Währenddessen wandte sich die Ältere den beiden Oberschülern, insbesondere Hiroshi zu: „Vielen Dank, dass du die beiden wieder nach Hause begleitet hast. Möchtest du vielleicht bei uns mit zu Abend essen?“ „Ähm also… ich möchte Ihnen keine Umstände…“, begann Hiroshi, kam jedoch nicht weit, weil Junko plötzlich an seinem Arm hing. „Au ja. Bitte iss bei uns mit.“, bettelte sie mit großen glänzenden roten Augen. Völlig überrumpelt sah er erst die Grundschülerin an und dann Mirâ, welche ihn nur anlächelte und meinte, dass auch sie sich freuen würde. Nun konnte der Blonde nicht anders als dankend zuzustimmen. Freudig darüber, dass er also noch etwas blieb, sprang Junko auf und zog ihn regelrecht mit ins Haus. Da er mit einer solchen Aktion nicht gerechnet hatte, wäre Hiroshi beinahe über seine eigenen Füße gestolpert, erreichte das Innere des Hauses jedoch glücklicherweise unbeschadet. Lachend folgten Mirâ und ihre Mutter der Kleinen und dem jungen Mann, um sich dann um den Rest des Abendessens zu kümmern. „Es war wirklich lecker. Vielen Dank noch einmal für die Einladung.“, bedankte sich Hiroshi mit einer Verbeugung, bevor er sich von Mirâs Mutter und Junko verabschiedete. Die Ältere nickte daraufhin nur lächelnd: „Gerne. Komm gut Nachhause.“ „Und komm uns bald wieder besuchen.“, hörte er Junko noch aus dem Wohnzimmer rufen, während er das Haus verließ. Er hatte wirklich einen schönen Abend gehabt und wollte diese herzliche Umgebung eigentlich nur ungern verlassen. Zuhause würde ihn nur wieder eine extrem kühle Atmosphäre erwarten, weshalb es ihm schon schwerfiel zu gehen. Jedoch wusste er auch, dass es nur unnötig Ärger geben würde, wenn er sich noch mehr Zeit lassen würde, um nach Hause zurückzukehren. Es war bereits dunkel geworden und auch wenn seine Mutter sich sonst nicht wirklich sorgte, sie würde sicher wissen wollen, wieso er erst so spät heimkam. Nur um ihm dann vorzuhalten, dass er sich an Zeiten zu halten hatte. Leise schnalzte er mit der Zunge und hoffte innerlich, dass der alte Hausdrachen vielleicht zu einer Schicht ins Krankenhaus gerufen wurde und er somit seine Ruhe hatte. Die Chance, dass es so kam war jedoch ziemlich gering. „Junko hat sich wirklich riesig darüber gefreut, dass du noch geblieben bist.“, holte ihn Mirâs Stimme aus den Gedanken, „Mich hat es auch gefreut. Es war wirklich ein lustiger Abend.“ „Danke nochmal dafür. Ich hatte wirklich lange kein so ausgelassenes Abendessen in geselliger Runde mehr.“, meinte der Blonde mit einem kleinen Lächeln. Mit großen Augen sah Mirâ ihren Kumpel an: „Esst ihr bei euch nicht zusammen?“ „Meine Eltern sind selten mal beide da. Meine Mutter arbeitet in Schichten und mein Vater vergräbt sich in seine Arbeit. Aber selbst wenn sie mal beide da sind, ist es eher… naja nicht so lustig.“, erklärte er anschließend. „Das tut mir leid.“, schuldbewusst senkte die junge Frau den Blick, hob diesen jedoch wieder, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich komm schon klar.“, grinste der Blonde breit. Dann jedoch wurde sein Blick wieder ernst und er schwieg kurz, während er überlegte, wie er das nächste Thema ansprechen sollte. Fragend legte die junge Frau den Kopf schief, da ihr dies nicht unbemerkt blieb. Es dauerte eine Weile, bevor Hiroshi seine Stimme wiederfand: „Diese Frage scheint jetzt merkwürdig für dich klingen, aber… du magst Masaru-senpai sehr, oder? Es war mir jetzt in den beiden Tagen aufgefallen, deshalb…“ Mit großen roten Augen sah die Oberschülerin ihn an und lief plötzlich so rot an, dass ihr Gesicht dieselbe Intensität wie ihre Augen annahmen und der Blonde es sogar bei dem spärlichen Licht sehen konnte. Diese Reaktion versetzte ihm erneut einen Stich, obwohl er sie bereits erwartet hatte. Trotzdem tat sie ihm weh. Die Violetthaarige unterdessen drehte sich schlagartig von ihm weg und fragte, ob das wirklich so auffällig war. Hiroshi schluckte kurz, um mit fester Stimme sprechen zu können und sich nichts anmerken zu lassen. „Das muss dir doch nicht peinlich sein. Das ist doch etwas natürliches.“, lachte er anschließend gespielt, „Wir alle werden dich dabei so gut es geht unterstützen.“ Er zwinkerte, als ihn sein Schwarm plötzlich wieder ansah. Sie schien erst in diesem Moment zu begreifen, dass es anscheinend bereits alle wussten, wodurch ihr Gesicht noch mehr begann zu glühen. „Mach dir also darüber keine Gedanken. Okay? So ich mach mich dann, bevor mich ein feuerspeiender Hausdrache zu Hause erwartet.“, lachte der Blonde erneut, doch stoppte noch einmal, bevor er ging, „Ach so. Noch was. Bitte pass auf dich auf. Ja? Das heute Nachmittag hat mir einen echten Schreck eingejagt. Wir machen uns alle Sorgen um dich, also achte auf dich.“ Noch einmal zwinkerte er, bevor er sich nun endlich verabschiedete und Richtung U-Bahn davon stolzierte, sich dabei selber dafür scheltend, dass er Mirâ seine Unterstützung in Bezug auf Masaru angeboten hatte. Kapitel 71: LXXI - Kindheitsfreunde ----------------------------------- Samstag, 29.August 2015 - Vollmond Leise vor sich hin summend stieg Mirâ aus der U-Bahn, welche sie zur Zentralstation von Jugoya-ku gebracht hatte, und sah sich nach Kuraiko um. Diese hatte ihr am Abend noch eine Nachricht geschickt und angefragt, ob sie ihr noch einmal helfen könnte. Da sie sich für diesen Tag noch nichts vorgenommen hatte, sprach nichts dagegen und so verabredeten sie sich für diese Zeit an der Station. Nach nicht einmal einer Minute hatte sie Besagte auch bereits durch die wenigen Menschen, die unterwegs waren, entdecken können. Ihre Freundin stand etwas abseits an der Wand der Station und hob den Arm, damit sie sie schneller entdecken konnte. Schnellen Schrittes ging Mirâ auf die junge Frau zu und zog dabei ihre Kopfhörer aus den Ohren, die sie dann vorsichtig zusammenwickelte und in ihrer Tasche verschwinden ließ. „Guten Morgen.“, grüßte sie anschließend freundlich. „Morgen.“, entgegnete ihr die Schwarzhaarige, „Wollen wir?“ Mirâ nickte und folgte ihrer Freundin aus der Station, war jedoch etwas irritiert, als diese einen anderen Weg als den zur Schule einschlug. Eigentlich hatte sie gedacht, dass die Schwarzhaarige wieder Hilfe bei den Schulbeeten brauchte, jedoch schien sie sich geirrt zu haben. Zielstrebig machten sie sich stattdessen auf den Weg zu dem kleinen Park, welcher zwischen Jugoya-ku und Hansha-ku lag, woraufhin Mirâ eine Ahnung bekam, wohin ihre Freundin sie brachte. Wenn sie sich recht erinnerte war das der Park, in dem das Gewächshaus stand, in dem sich Kuraikos Dungeon befunden hatte. Zwar war sich die Violetthaarige nicht zu einhundert Prozent sicher, da die Spiegelwelt ja ein gespiegeltes Abbild dieser Welt war, jedoch fielen ihr einige Dinge ins Auge, an die sie sich erinnern konnte. Dabei fiel ihr auf, dass sie in den letzten Monaten, die sie hier lebte, noch nie in diesem Park gewesen war. Sie war einige Male daran vorbeigelaufen, jedoch hatte sie es nie für nötig empfunden ihn einmal zu betreten. Nun ärgerte sie sich etwas darüber, denn als sie die Parkanlage betraten fiel ihr auf, wie ruhig und harmonisch es hier war. Die Bäume, welche wie ein kleiner Wald um das Gelände herum gepflanzt und gewachsen waren, hielten den Lärm der Stadt wirklich gut von diesem Ort fern. Staunend sah sich die junge Frau um, während Kuraiko sie die Wege entlangführte, über die sie wenige Minuten später ihr Ziel erreichten. Nun standen sie vor einem alten Gewächshaus, was ein wenig fehl am Platz wirkte. Die Natur versuchte hier bereits mit aller Macht, sich zurück zu holen, was ihr einst genommen wurde, denn um das gläserne Gebäude wuchs allerhand Unkraut. Zwar erkannte Mirâ, dass bereits hier und da etwas gemacht wurde, jedoch nicht viel. „Da wären wir.“, sagte Kuraiko. „Das ist das Gewächshaus aus dem wir dich gerettet haben. Oder?“, stellte Mirâ fest. Kuraiko nickte und erklärte, dass es das Gewächshaus ihrer Großeltern war, um welches sie sich kümmerte. Ihre Eltern wollten es verkaufen, da sie keine Zeit hatten etwas daran zu machen, aber sie wollte ihnen beweisen, dass sie es alleine bewirtschaften konnte. Allerdings… Sie machte eine kurze Pause und sah sich um: „Ich komme nicht hinterher, zumal ich auch nicht ständig die Zeit habe herzukommen. Trotzdem möchte ich nicht aufgeben. Deshalb… Danke für deine Hilfe.“ Überrascht sah die Violetthaarige ihre Freundin an und lächelte dann: „Ist doch kein Problem. Ich helfe gern. Was sollen wir heute machen?“ Während die Schwarzhaarige auf das Gebäude zuging, um dort das Schloss vor der Tür zu entfernen, erklärte sie was sie sich für heute vorgenommen hatte. So war es für sie vorrangig wichtig endlich das Unkraut zu entfernen, dass um das Gewächshaus wuchs und dem sie alleine nicht Herr werden konnte. Es wuchs einfach schneller, als sie es entfernen konnte. Sie öffnete die Tür und trat in das gläserne Haus, in welchem eine drückende Hitze herrschte. Die Pflanzen, die dieser Hitze nicht standhielten und bereits verbrannt oder verwelkt waren, hatte sie schon beim letzten Mal restlos entfernt. Aus diesem Grund war es im Inneren eher trist und karg. Sie hatte sich vorgenommen neue Pflanzen hineinzustellen, wenn es etwas kühler wurde. Doch vorher wollte sie alles in Ordnung bringen. Mirâ trat hinter ihr in das Gebäude und sah sich um, bevor sie sich den plötzlich auftretenden Schweiß von der Stirn wischte. „Das ist ja wie in einer Sauna hier drin.“, meinte sie. Kuraiko musste schmunzeln: „Das ist eigentlich der Sinn dahinter. Aber wir arbeiten heute eh nicht hier drin.“ Sie bewegte sich auf einen Tisch zu und griff nach einem Stapel Stoff, welchen sie der Violetthaarigen reichte. Diese nahm den Haufen entgegen, der sich als eine Schürze und Handschuhe entpuppte, welche sie sich überzog. Gleichzeitig kramte die Schwarzhaarige gleiches aus ihrer großen Tasche, die sie anschließend unter dem Tisch verstaute. Auch Mirâ legte ihre Tasche dazu, da diese sie nur bei der Arbeit behindern würde. Währenddessen holte ihre Freundin aus einer Ecke des Gebäudes Schaufeln, Rechen, Harken und Eimer, mit denen sie dem Unkraut an den Kragen wollte. Nachdem beide Mädchen das Glashaus wieder verlassen hatten, legte Kuraiko wieder das Schloss an, damit niemand heimlich an ihre Sachen gehen konnte, während sie beschäftigt waren. Dann erklärte sie Mirâ, wie sie dem Unkraut am besten Herr wurde und es aus der Erde entfernte, bevor sie sich endgültig an die Arbeit machen konnte. Währenddessen herrschte zwischen den beiden Stille, welche die Violetthaarige allerdings nicht als unangenehm empfand. Und obwohl sie hier und da einige Pflanzen hatten, die sich wirklich vehement wehrten und denen sie sogar ohne Werkzeuge mit gebündelter Kraft an den Kragen mussten, kamen sie recht zügig voran. Plötzlich musste Mirâ kichern, als ihr ein lustiger Gedanke kam, weshalb sie von ihrem Gegenüber skeptisch angeschaut wurde: „Nächstes Mal sollten wir auch die anderen fragen, ob sie mithelfen. Das könnte lustig werden, außerdem wären wir dann noch schneller.“ „Nee du, lass mal. Akane vielleicht, aber nicht die Jungs. Außerdem versalzen zu viele Köche den Brei.“, meinte die Schwarzhaarige anschließend und harkte weiteres Unkraut aus dem Boden, welches sie in den Eimer neben sich schmiss. Mirâ kam die Erinnerung daran hoch, das Kuraiko ja schon einmal mit den Jungs vom Fußballclub die Beete wieder herrichten musste, nachdem diese sie zerstört hatten und fragte diesbezüglich nach, ob sie deshalb noch sauer war. Angesprochene schnaufte nur einmal leicht verächtlich und erklärte, dass das die reinste Katastrophe war, weil der Club nur Dummheiten im Kopf und sie deshalb mehr Arbeit hatte. Dadurch wäre sie alleine wesentlich schneller gewesen. „Nur Hiroshi und Nagase haben wirklich ernsthaft mitgemacht. Zumindest das muss ich den beiden zugute halten.“, murmelte sie anschließend, „So nett die Aktion von Masaru gemeint war, so sinnfrei war sie am Ende.“ Mirâ hörte schweigend zu und lächelte dann, als ihr etwas anderes einfiel: „Mir fällt ein, dass ihr euch gestern wieder vertragen habt. Oder? Du und Nagase-kun meine ich.“ Die Schwarzhaarige schnaufte wieder: „Ach er ist einfach ein riesiger Idiot. Echt nervig, dass er ständig an meinem Rockzipfel hängt.“ Die Violetthaarige musste schmunzeln: „Sei ehrlich. Eigentlich magst du ihn. Hey!“ Plötzlich traf sie etwas Unkraut, was sie kurz aufschrecken und dann erschrocken zu ihrer Freundin schauen ließ. „So ein Quatsch. Wer könnte so einen Weiberhelden schon mögen? Ständig schwärmen irgendwelche Weiber um ihn herum und er lässt es sich gefallen.“, meinte sie recht aufgebracht, während sie sich wieder ihrer Arbeit widmete und sich dabei wieder zu beruhigen schien, „Aber wenigstens zeige ich ihm, dass ich kein Interesse habe, auch wenns irgendwie nichts bringt.“ Überrascht sah Mirâ ihre Freundin an, als sie das ihr zugeworfene Unkraut aufhob und in ihren Eimer schmiss. Doch als Kuraiko den Blick bemerkte, schüttelte sie nur den Kopf und meinte, dass sie nur laut gedacht hatte. Die Violetthaarige legte den Kopf schief, doch beließ es dann erst einmal dabei und kümmerte sich dann weiter um ihre Arbeit. „Kuro-chan?“, ließ Mira jedoch plötzlich eine männliche Stimme aufschauen. In Richtung dieser erkannte sie einen jungen Mann ungefähr in ihrem Alter mit ungewöhnlich heller Haut und tiefroten Augen, die ihren eigenen glatt Konkurrenz machen konnten. Sein kurzes, schwarzes, durchgestuftes Haar wirkte an ihm irgendwie falsch, da es so gar nicht zum Gesamtbild passte. Seine extrem helle Haut wirkte dadurch schon fast weiß. Er trug trotz der Wärme ein langes weißes Sweatshirt, dessen Ärmel schwarz-weiß kariert waren, eine schwarze lange Hose und schwarz-weiß karierte Stoffslipper. Allein bei seinem Anblick begann die Oberschülerin bereits zu schwitzen. „Was willst du hier?“, ließ sie die Stimme von Kuraiko neben sich schauen. Diese war mittlerweile aufgestanden, hatte ihren Blick aber weiterhin auf ihren Eimer gerichtet, in welchen sie das herausgerupfte Grünzeug versenkte. Der junge Mann zuckte merklich getroffen zusammen, sah dann seine Schuhe an und schien zu überlegen, was er darauf antworten sollte. Irritiert schaute Mirâ zwischen den beiden Parteien hin und her und spürte regelrecht diese unangenehme Spannung, welche zwischen ihnen in der Luft hing. Dabei ging die größte Spannung von Kuraiko aus, welche mittlerweile einen abwertenden Blick auf den Gleichaltrigen gerichtet hatte, was diesen nur noch mehr in sich zusammenrutschen ließ. „Wie ich sehe lässt du dir von deinem Alten immer noch vorschreiben, wie du herumrennen sollst.“, murmelte die Schwarzhaarige stattdessen, „Kein Wunder also, dass du dich seit längerer Zeit nicht mehr im Club hast blicken lassen.“ „N-naja… T-tut mir leid, Kuro-chan…“, stotterte ihr Gegenüber eingeschüchtert. „Kche… Nenn mich nicht so! Du kotzt mich echt an, weißt du das? Verschwinde!“, schimpfte sie plötzlich und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Der Schwarzhaarige zuckte erschrocken zusammen, verbeugte sich dann kurz mit einer weiteren leisen Entschuldigung und ging. Mirâ sah ihm besorgt nach, da sie den Anranzer von ihrer Freundin schon etwas heftig fand. Diese schien den Jungen zu kennen, allerdings wirkte es so, als sei etwas Unangenehmes zwischen ihnen vorgefallen. Fragend richtete die Oberschülerin wieder den Blick auf ihre Freundin, die ihrem Bekannten ebenfalls nachsah und dann Mirâs Gesichtsausdruck zu bemerken schien. Sie schaute wieder auf ihre Hände, die damit beschäftigt waren das nächste Unkraut aus der Erde zu entfernen: „Das war Shirota Tsukiyama. Er geht ins erste Jahr und ist einer von den Schwänzern, die nie zum Botanik-Club kommen und nur auf dem Papier Mitglieder sind.“ Bei dem Namen Tsukiyama regte sich etwas bei Mirâ, da sie das Gefühl hatte diesen schon einmal gehört zu haben. Jedoch fiel ihr auf die Schnelle auch nicht ein woher, weshalb sie es erst einmal dabei beließ und wieder in die Richtung sah, in die der Schwarzhaarige verschwunden war. „Sei mir nicht böse, aber war der Anranzer nötig? Das schien ihn ziemlich getroffen zu haben, immerhin scheint ihr euch länger zu kennen. Ich meine, er hat dich Kuro-chan genannt. Das macht man doch nur, wenn man sich richtig gut kennt.“, sagte sie anschließend. „Ach was weißt du schon?“, ließ sie die laute Stimme ihrer Freundin kurz aufschrecken. Diese jedoch merkte schnell, dass sie wohl unbeabsichtigt wieder laut geworden war und senkte wieder die Stimme, während sie erklärte, dass sie Shirota mehr oder weniger aus dem Kindergarten kannte. Ihre Großeltern waren befreundet gewesen. Während seine das Gartencenter „Kurushima“ in Hansha-ku betrieben, gingen ihre Großeltern dort immer einkaufen, wenn sie etwas für das Gewächshaus brauchten. Die Schwarzhaarige hatte sie dann meistens begleitet und sich dort mit dem dem jungen Mann angefreundet, allerdings fügte sie im Anschluss noch hinzu, was für ein Weichei er sei. Wieder traf Kuraiko ein fragender Blick, weshalb sie etwas genervt weitersprach: „Dir ist doch sicher auch aufgefallen, dass seine Haarfarbe absolut nicht zu seiner hellen Haut passt. Oder? Dieser Vollidiot hat eigentlich sehr helle Haare und lässt sich von seinem Vater einbläuen, sie sich zu färben, damit er nicht auffällt. Und er setzt sich nicht durch und ist wie er ist. Sowas kotzt mich einfach an.“ Es war schon etwas erschreckend die junge Frau so oft fluchen zu hören. Mirâ wusste, das Kuraiko schnell aufbrausend war, doch so hatte sie diese noch nie so erlebt. Sie hatte auch das Gefühl, dass es noch mehr in dieser Angelegenheit gab, was ihr die Schwarzhaarige nicht erzählen wollte. Zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht. Zwar interessierte es die Violetthaarige schon sehr, doch wollte sie ihre Freundin nicht noch wütender machen und machte stattdessen endlich mit ihrer Arbeit weiter. Trotzdem fühlte sie sich der jungen Frau wieder etwas näher. Besonders stark wurde dieses Gefühl als sie für einen kurzen Moment eine angenehme Wärme in sich spürte. Als sich die beiden Mädchen am späten Nachmittag auf den Heimweg machten, führte Kuraiko sie dieses Mal auf einem anderen Weg durch den Park. Dabei kamen sie an einem Spielplatz vorbei, welcher von kleinen Kindern in Beschlag genommen wurde. Auf den Bänken rings um den Spielplatz herum erkannte Mirâ mehrere Erwachsene, welche wohl die Eltern der Kleinen waren und diese mit Adleraugen beobachteten. Doch nicht nur Erwachsene und kleine Kinder waren hier unterwegs. Überrascht schaute Mirâ auf einen ihr bekannten jungen Mann mit schulterlangem blau-violettem Haar. Dieser hatte sie noch nicht bemerkt und unterhielt sich stattdessen mit einem Mädchen in ihrem Alter, welches erstaunlich lange blaue Haare hatte, wie Mirâ fand. Soviel die Violetthaarige erkannte, trug die junge Frau, die mit dem Rücken zu ihr stand, ein gelb-schwarzes Oberteil und einen grau karierten Faltenrock. Dazu schwarze Overknees und gelbe knöchelhohe Chucks. Ihre Arme zierten schwarze Armstulpen und auf ihrem Kopf erkannte Mirâ eine schwarz-graue Cappi. Die Blauhaarige lachte plötzlich auf. Auch der junge Mann musste lachen und ließ seinen Blick über die Schulter seiner Begleiterin hinweg schweifen, weshalb dieser auf Mirâ fiel. Grinsend hob er den Arm, woraufhin sich die junge Frau bei ihm ebenfalls umdrehte und fragend in die Richtung der Violetthaarigen blickte. Auch Kuraiko schien Shuya nun bemerkt zu haben und stöhnte nur genervt auf, doch war es bereits zu spät um abzuhauen, da der Ältere nun mit seiner Begleitung auf die beiden Oberschülerinnen zukam. „Das ist ja eine freudige Überraschung euch hier zu sehen.“, grinste der junge Mann breit. „Von wegen freudig.“, schnaufte Kuraiko nur genervt und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie die Blauhaarige ihr gegenüber musterte. Diese bemerkte den Blick auf sich, doch lächelte nur etwas verlegen darauf, da sie nicht so recht wusste, was sie davon halten sollte. „Was verschafft uns die Ehre?“, fragte die Schwarzhaarige sichtlich genervt, was der junge Mann ihr gegenüber jedoch gekonnt zu ignorieren schien. „Ich zeige Rinacchi die Stadt.“, erklärte er stattdessen immer noch breit grinsend und zeigte dabei auf seine Begleitung. Diese lächelte nur fröhlich und stellte sich als Rin Aikawa vor. Mirâ erwiderte das Lächeln und wollte sich ebenfalls vorstellen, wurde jedoch unterbrochen, als sich Kuraiko plötzlich wegdrehte und mit den Worten „ich gehe“ verschwand. Überrascht sahen die drei anderen ihr nach, während sie schnellen Schrittes den Weg zum Ausgang nahm. Die Violetthaarige wollte ihr nach, aber bevor sie sich in Bewegung gesetzt hatte sah sie bereits ein paar blau-violette Haare an sich vorbeihuschen. Kurz darauf tauchte auch bereits Shuyas Rücken in ihrem Sichtfeld auf. Dieser drehte sich nur noch einmal kurz zu den beiden übrigen Mädchen um und bat Mirâ kurz mit Rin an dieser Stelle zu warten. Dann war er in die gleiche Richtung verschwunden wie Kuraiko. Etwas verlassen standen die beiden Oberschülerinnen nun da und wussten nicht so recht, was sie dazu sagen sollten. Sie sahen dem jungen Mann noch eine Weile nach, bevor sie die Blicke aufeinander richteten und sich etwas schüchtern anlächelten. Die Violetthaarige war die Erste, die ihre Stimme wiederfand und dabei die Arme hinter dem Rücken verschränkte: „Entschuldige bitte meine Freundin. Sie ist etwas… speziell, wenn es um Nagase-kun geht. Mein Name ist im übrigen Mirâ Shingetsu. Es freut mich wirklich sehr, Aikawa-chan.“ Sie hielt der Blauhaarigen die Hand hin, welche sie kurz überrascht anblickte und dann grinsend einschlug: „Schon okay. Aber nenn mich bitte Rin. Ich kann mit solch höflichen Floskeln nicht viel anfangen.“ Als Rin Mirâs Hand berührte spürte diese eine angenehme Wärme in sich aufsteigen. Kurz darauf bemerkte sie eine vertraute blaue Aura um die junge Frau ihr gegenüber. Diese jedoch war irgendwie besonders. Die Violetthaarige hatte das Gefühl, als würde sie aus vielen kleinen blauen Schmetterlingen bestehen, welche sich nach und nach in Luft auflösten, bis das Licht wieder verschwunden war. Als sie der Blauhaarigen daraufhin wieder ins Gesicht sah, fiel ihr auf, dass diese sie genauso verwundert ansah, wie sie es mit ihr gemacht hatte. Doch kaum hatte Rin dies bemerkt, lächelte sie nur etwas verlegen, was Mirâ ebenso erwiderte. „Dann kannst du mich Mirâ nennen.“, sagte sie anschließend. Ihre neue Bekanntschaft grinste nur und sah dann wieder in die Richtung, in welche Shuya und Kuraiko verschwunden waren: „Ich nehme mal an, dass dieses Mädchen Fuka-chan ist, von der Shû-chan immer erzählt. Bei dem Namen hab ich aber eher an ein niedliches Mädchen gedacht.“ Sie konnte sich ein kleines Kichern nicht verkneifen: „Aber irgendwie passt sie zu Shu.“ „Ich würde mal sagen, dass sich Nagase-kun einen ganze schön harten Brocken ausgesucht hat.“, lachte Mirâ, „Kennt ihr euch länger?“ „Du meinst Shû-chan und ich? Bemerkt man das?“, fragte die Blauhaarige, bis sie zu registrieren schien, wie ihr Gegenüber darauf kam, „Ach so. Wegen dem Spitznamen.“ Sie klatschte sich leicht an die Stirn und streckte kurz die Zunge heraus, bevor sie kicherte und weitersprach: „Ja. Wir kennen uns schon sehr lange. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie lange eigentlich. Irgendwie war Shû-chan schon immer da. Er ist so ein guter Mensch und steht immer für alle ein.“ „Ja das ist mir auch schon aufgefallen.“, meinte die Violetthaarige. Ein kleines Lächeln umspielte das Gesicht der anderen jungen Frau: „Ich bin wirklich froh, dass er immer noch der Alte ist. Nachdem seine Schwester gestorben war hatte ich schon meine Bedenken, aber zum Glück hatte er sich wieder gefangen, bevor er hierherkam. Ich hatte nur Angst, dass ihn das vielleicht wieder einholen und verändern könnte. Zum Glück habe ich mich geirrt.“ Mirâs Blick schnellte zu ihrem Gegenüber, als sie hörte, dass Shuyas Schwester bereits tot war: „M-moment. Nagase-kuns Schwester ist schon…!?“ Überrascht sah Rin sie an und nickte: „Ja. Hat er das nicht erwähnt?“ Die Violetthaarige senkte den Blick und schüttelte den Kopf, während sie erklärte, dass sie selber auch erst vor zwei Tagen von seiner Schwester erfahren hatte, er aber nichts dergleichen erwähnt hatte. Ein schlechtes Gewissen plagte sie, weil sie leichtfertig zu ihm gesagt hatte, dass er sie mit Sicherheit bald wiedersehen würde. Taktloser hätte sie in dem Moment wirklich nicht sein können. „Mach dir darüber keine Gedanken.“, sagte ihre neue Bekanntschaft plötzlich, während diese ihr die Hand auf die Schulter legte, „Shû-chan redet nicht gerne darüber und ich bin mir sicher, dass er euch das nicht erzählt hat, weil er euch keine Sorgen bereiten wollte. Er ist eben so. Und er ist dir deshalb auch nicht böse, immerhin konntest du es nicht besser wissen. Shû-chan ist kein nachtragender Mensch.“ „Meinst du?“, fragte Mirâ vorsichtig nach, woraufhin Rin nickte und sie sich wieder etwas beruhigen konnte, „Gut. D-danke.“ Währenddessen hatte Shuya Kuriko endlich erreicht, doch egal wie oft er sie rief, selbst mit ihrem verhassten Spitznamen, war sie nicht stehengeblieben. Nur mit Mühe hatte er es kurz vor dem Ausgang geschafft ihr Handgelenk zu fassen und sie somit zum Stehen zu bewegen. Wütend drehte sich die Schwarzhaarige um, als seine Hand nach ihr griff und versuchte sich zu befreien, doch ohne Erfolg: „Lass mich los, du Idiot!“ „Jetzt warte doch mal, Kuraiko.“, sagte er ernst, woraufhin sie ihn überrascht ansah, da er bisher noch nie ihren richtigen Namen verwendet hatte, „Warum bist du denn gleich weggerannt?“ „Das geht dich nichts an!“, schimpfte sie und zog erneut an ihrem Handgelenk, doch wieder ohne sichtlichen Erfolg. Der junge Mann ließ sie einfach nicht los. „Wegen Rinacchi?“, fragte er stattdessen und beobachtete genau, wie die junge Frau reagiert, was ihm sofort verriet, dass er Recht hatte. Erst sah die Schwarzhaarige ihn überrascht mit ihren violetten Augen an und wandte dann den Blick ab. Er musste ein Schmunzeln unterdrücken, da er dies wirklich süß fand, aber auch nicht wollte, dass sie noch wütender auf ihn wurde. Dass sie jedoch eifersüchtig zu sein schien, machte ihn irgendwie glücklich und verriet ihm zugleich, wie viel er ihr wohl doch bedeuten musste. Schade nur, dass sie ihm das nie so offen zeigte. Doch auch dass mochte er ja an ihr. Er schluckte kurz, um das Schmunzeln zu unterdrücken und ernst zu bleiben: „Oh je. Da hast du was falsch verstanden. Rin ist doch nur eine Kindheitsfreundin aus Aehara, wo ich früher gelebt habe. Du kleines Dummchen brauchst doch nicht gleich eifersüchtig werden. Au!“ Endlich hatte sich die Schwarzhaarige aus seinem Griff befreit und ihm daraufhin mit voller Wucht auf den Arm geschlagen: „Wer ist ihr ein Dummchen? Und noch dazu eifersüchtig? Bilde dir mal nicht zu viel ein, du Volltrottel!“ Nun konnte sich Shuya ein Lachen nicht mehr verkneifen: „So kenn ich dich. Das ist die Fuka-chan, die ich mag.“ Kuraiko verzog das Gesicht: „Sag mal, bist du irgendwie masochistisch veranlagt?“ „Vielleicht?“, lachte der Violetthaarige nun lauthals los, was der jungen Frau jedoch nur ein Schnaufen entlockte. Kurze Zeit später hatte er sich wieder beruhigt und zwinkerte der Schwarzhaarigen nur zu: „Komm, lass uns zurückgehen.“ „Wieso sollte ich?“, kam es nur genervt zurück. „Erstens: Weil Shingetsu noch immer dort steht und du sie einfach hast stehenlassen. Und zweitens: Weil du mich hinführen musst, sonst verlaufe ich mich.“, kam nur eine grinsende Antwort. Stöhnend fasste sich die junge Frau an die Stirn und setzte sich danach wieder in Bewegung, in die Richtung aus welcher sie gekommen waren, woraufhin ihr Shuya folgte. Beide kamen just in dem Moment zurück, als Rin Mirâ die Hand auf die Schulter gelegt und ihr gut zugesprochen hatte. Die Violetthaarige hatte noch etwas zu der jungen Frau gesagt, doch bevor diese antworten konnte, waren Shuya und Kuraiko bereits wieder zu ihnen gestoßen. „Entschuldigt bitte.“, entschuldigte sich der junge Mann. „Schon okay, Shû-chan.“, grinste Rin nur, was den Violetthaarigen wissen ließ, dass sie genau wusste, wo der Hase langlief. Dieser erwiderte nur mit einem schiefen Grinsen, doch beließ es ansonsten erst einmal dabei. Auch Kuraiko entschuldigte sich wiederwillig dafür, dass sie einfach gegangen war. Da Mirâ jedoch genau wusste, wieso sie gegangen war, schüttelte sie nur den Kopf, als Zeichen, dass es okay sei. Noch kurz unterhielten sich die vier Oberschüler, bevor sich Shuya und Rin verabschiedeten und sich auch Mirâ und Kuraiko endlich auf den Heimweg machten. Am Abend - ??? Schritte hallten durch die langen dunklen Gänge des Gebäudes. Eine kleine Gestalt erschien und wurde nur spärlich von dem hineinscheinenden Licht des Mondes beleuchtet. Die Person schluckte einmal, bevor sie um die nächste Ecke bog. Ein leises Lachen war aus der Ferne zu hören und er wusste genau, dass es sich dabei um seine Freunde handelte, die am Eingang standen und auf ihn warteten. Dass er sich um diese Zeit noch hier aufhielt und herumstreunte war nur ihre Schuld und doch hatte er den Ehrgeiz ihnen zu zeigen was er konnte. Dann würden sie ihn vielleicht endlich als einen von ihnen akzeptieren und in Ruhe lassen. Er setzte alle seine Hoffnungen in diese dämliche Mutprobe, die ihm einiges abverlangte. Ganz davon abgesehen, dass er mit einem Schulverweis rechnen musste, wenn er erwischt werden würde, so machten ihm diese dunklen Gänge Angst. Er wollte es nicht zeigen und versuchte es zu unterdrücken, doch ganz deutlich spürte er, wie ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Zudem hatte er das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Es lag etwas Bedrohliches in der Luft, was er nicht wirklich einschätzen konnte. Doch er wusste, dass es nicht normal war. Ein lautes Knallen ließ ihn plötzlich herumfahren und in die Dunkelheit lauschen, doch es folgte nur noch Stille. Ihn beschlich das Gefühl, dass seine Freunde für dieses Geräusch verantwortlich waren, um ihn zu erschrecken, weshalb er nur mit der Zunge schnalzte und sich wieder umdrehte. Dabei fiel sein Blick auf eine der unzähligen verglasten Schaukästen, in dem er sich dank des Mondlichts spiegeln konnte. Plötzlich schreckte er zurück, als er in zwei stechend gelbe Augen blickte. Doch noch erschreckender war, dass diese zu seinem Spiegelbild gehörten, welches plötzlich hämisch grinste und nach ihm griff. Er wollte reißausnehmen, doch seine Beine waren wie festgewurzelt und als er endlich die Kontrolle über diese wiedererlangte war es bereits zu spät. Die Gestalt im Schaukasten griff nach ihm. Ein erstickter Schrei ertönte und dann war der dunkle Gang, der vom Mondlicht erhellt wurde, leer. Kapitel 72: LXXII - Der geheimnisvolle Tempel --------------------------------------------- Samstag, 30.August 2015 Seufzend schlug Mirâ das vor sich liegende Buch zu und richtete ihren Blick dann auf das Fenster, während sie den Kopf auf ihrem rechten Arm abstützte. Kleine Rinnsale hatten sich an der glatten Oberfläche gebildet und sammelten nach und nach weitere Tropfen ein, die daran hafteten, während der Regen leise und stetig gegen die Scheibe und das Dach klopfte. In der Nacht war ein starkes Unwetter über die kleine Stadt gezogen und hatte Gewitter und Sturm mit sich gebracht. Die Gewitter waren mittlerweile weitergezogen, der Regen jedoch war geblieben und verwandelte die Landschaft in tristes Grau. Man hatte das Gefühl, als würde es an diesem Tag nicht mehr so richtig hell werden. Und Besserung war laut Wetterbericht erst am nächsten Tag zu erwarten. Ein erneutes Seufzen entwich der jungen Frau und sie schaute wieder auf das Buch mit dem blau-weißen Einband vor sich, welches mit einem Schmetterling verziert war. Nach langer Zeit hatte sie das schlechte Wetter genutzt, um endlich einmal weiterzulesen. Nicht ganz uneigennützig, denn sie hatte sich erhofft noch ein paar Informationen zu erhalten, um ihre aktuelle Situation weiter voranzutreiben. Doch leider vergebens. Zwar hatte sie das Buch nun beendet, aber viel mehr hatte sie nicht erfahren. Jedenfalls nichts, was ihr half. Amano-san war hauptsächlich noch etwas tiefer in die Bedeutung der Shadows und Personas eingegangen, aber das brachte Mirâ nicht weiter. Das letzte Kapitel war noch einmal etwas interessanter gewesen, da sich die Autorin darin mit dem Velvet Room beschäftigt hatte. Interessanterweise hatte die Oberschülerin darin erfahren, dass sich selbst dieser Raum seit der Zeit, als Amano-san eine Userin war, verändert hatte. Zu deren Zeit konnten alle User den Raum gleichermaßen betreten und nutzen, sowie mit Igor sprechen, was sich stark von dem jetzigen Velvet Room unterschied, den Mirâ kannte. Zwar hatte die Autorin keine Erklärung dafür, jedoch hatte sie beschrieben, dass seit einigen Jahren nur noch die Wild Card in der Lage war diesen Raum zu betreten. Zudem spiegelte der Raum nun das Herz der jeweiligen Wild Card wider. Diese Aussage hatte die junge Frau ins Grübeln gebracht. Ihr Velvet Room bestand aus vielen aneinandergereihten Spiegeln. Zudem erinnerte sie sich, dass sie sich am Anfang nicht darin erkennen konnte. Doch wieso? Was hatten Spiegel mit ihrem Herzen zu tun? Egal wie oft sie darüber nachdachte, sie fand keine Antwort. Jedoch war ihr aufgefallen, dass alles an ihrer Situation irgendetwas mit den reflektierenden Glasflächen zu tun hatte. Die Welt in die sie eintauchten, war eine gespiegelte Version der kleinen Stadt, in der sie jetzt lebte. Betreten und verlassen konnten sie die Spiegelwelt auch nur durch einen riesigen Spiegel. Außerdem wurde sie über einen solchen von einem schwarzen Wesen angegriffen, als sie neu nach Kagaminomachi gezogen waren. So waren wahrscheinlich auch die ganzen Opfer dieser verqueren Welt dorthin gelangt. Jedenfalls konnte sich Mirâ nichts anderes vorstellen, immerhin schienen die Spiegel das Tor zu sein. Zu guter Letzt fiel ihr noch Mika ein, mit welcher sie über ihren Standspiegel kommunizieren konnte, die diese merkwürde Welt jedoch nicht verlassen konnte. Ihre Gedanken blieben an der Blauhaarigen hängen und sie erinnerte sich an die Situation in Mikadtzuki-cho, wo sie auf den Geist eines kleinen Mädchens getroffen waren. Die kleine hieß ebenfalls Mika und sah ihrer kleinen Freundin sehr ähnlich. Auch wenn vieles dafürsprach, so wollte Mirâ nicht so wirklich daran glauben, dass es sich dabei auch um die Blauhaarige handelte. Wieso wusste sie jedoch selber nicht. Ob es der Gedanke war, dass es bedeuten würde, dass Mika bereits tot war und sie nur mit deren Geist sprach oder sie sich einfach nur wünschte, dass es nicht so war, wusste sie nicht. Trotzdem war ihr bewusst, dass die Arcana des kleinen Mädchens wie die Faust aufs Auge zu Ersterem passen würde. Sie blickte in ihren Spiegel, der aber nur die Einrichtung des Zimmers reflektierte. Wie gerne sie mit der Kleinen darüber gesprochen hätte, auch wenn sie etwas Angst vor dem Thema hatte, immerhin wusste sie nicht, wie Mika darauf reagieren würde. Aber auf kurz oder lang würde sie an dem Thema sowieso nicht vorbeikommen, sofern sich ihre Freundin demnächst noch einmal blicken ließ. Ein plötzlicher Windstoß ließ den Regen stark gegen ihr Fenster trommeln, woraufhin sie ihren Blick wieder auf dieses richtete. Noch einen kurzen Moment klatschte das Wasser gegen die Glasscheiben, bevor der Wind wieder etwas abflaute und dadurch auch das Trommeln nachließ. Wieder seufzte Mirâ, während sie aufstand und sich dann auf ihren Futon fallen ließ. Daraufhin entstand ein kleiner Luftzug, welcher einen Stapel von Papier aufwirbelte, den Mirâ vor ihrem Ausflug in die Ecke gelegt hatte, um ihn später auszusortieren. Dieser verteilte sich nun auf dem Fußboden. Zunge schnalzend setzte sich die Oberschülerin wieder auf und verfluchte sich innerlich dafür, das ganze Papier nicht schon längst entsorgt zu haben. Genervt krabbelte sie zu dem verteilten Müll und wollte gerade nach einem Schriftstück greifen, als ihr ein Flyer auffiel, welcher neben ihrer sich aufstützenden Hand lag. Sie setzte sich zurück und griff nach dem Zettel, auf welchem in großen Schriftzeichen „Tsukinoyo“ stand. Es handelte sich dabei um einen Werbeflyer, welche in der Stadt verteilt wurden und den sie schon eine ganze Weile im Zimmer liegen hatte. Allerdings war es nicht die Aufschrift, die ihre Aufmerksamkeit erweckte, sondern das Design des Zettels. Auf diesem erkannte Mirâ neben der Überschrift die Umrisse eines Tempels, die in den Hintergrund gedruckt waren und mit diesem zu verschmelzen schienen. Gebannt starrte sie auf die Abbildung, während sich ganz langsam in ihr ein ungutes Gefühl breit machte. Sie erinnerte sich an ihre Visionen während des Festes und dass sie das erste Mal auftraten, als sie am Einkaufszentrum waren, wo einst ein alter Tempel stand. Der Tsukiyama Tempel! Wie von der Tarantel gestochen erhob sich die Oberschülerin und ließ dabei den Flyer fallen, bevor sie an ihren Schreibtisch zurückstürmte und den Laptop aufklappte, welcher bisher stumm auf der Arbeitsplatte lag. Doch noch bevor sie die Power-Taste bedienen konnte stoppte sie plötzlich, denn das beklemmende Gefühl wurde plötzlich wieder stärker. Zwar war es noch nicht so stark, wie bei ihren Visionen, jedoch reicht es aus, um sie an ihrem weiteren Handeln zu hindern. Langsam zog sie ihre Hand wieder zurück, welche noch immer über der Starttaste des kleinen Computers geschwebt hatte und legte sie sich an die Brust. Was sollte sie machen? Sie war sich sicher, dass sie endlich einen Anhaltspunkt gefunden hatte, der sie weiterbrachte und doch zögerte sie, weil sie Angst davor hatte wieder so einen Zusammenbruch zu erleiden, wie auf dem Tsukinoyo und während ihrem Ausflug. Was wenn ihr das bei ihrer Recherche wieder passierte? Dieses Mal war sie alleine und es war niemand bei ihr, der sie wieder zurückholen konnte. Sie dachte nach und blieb plötzlich an einem Gedanken hängen. Kurz biss sie sich auf die Unterlippe, bevor sich ihr Mund zu einem Strich formte und sie kurz darauf plötzlich nach ihrem Handy griff. Am frühen Nachmittag regnete es immer noch in Strömen. An die Wand hinter sich gelehnt hockte Hiroshi unter dem Vordach der Stadtbibliothek und starrte auf die grauen Wolken, welche sich über den Bergen, die die Stadt umgaben, sammelten und weiteren Regen brachten. Seinen Gedanken nachhängend dachte er an die Situation, welche ihn an diesen Ort geführt hatte und die alles andere als angenehm für ihn war. Noch vor etwas mehr als einer Stunde hatte er gemütlich auf seiner Couch vor dem Fernseher gesessen und eines seiner Videogames gespielt, bis plötzlich sein Handy geklingelt hatte. Genervt hatte er sein Spiel pausiert, nach seinem Smartphone gegriffen und abgenommen, weil er dachte, dass es sich wieder um Shuya handelte, der sich verlaufen hatte. Abwegig war dies keineswegs, immerhin war er bereits am Vortag für seinen besten Kumpel unterwegs gewesen, um diesen zu „retten“, weil er wieder nicht wusste, wo er überhaupt war. So hatte er nicht einmal mehr auf seinen Display geschaut, um zu überprüfen wer anrief, und nur genervt gefragt, wo sich sein vermeintlicher Kumpel nun schon wieder verlaufen hatte. Umso erstaunter war er, als sich am anderen Ende der Leitung nicht Gedachter meldete, sondern plötzlich Mirâs verunsichere Stimme erklang. Erschrocken wäre ihm beinahe das Telefon aus der Hand gefallen, als diese ihn fragte ob sie ungelegen anrufen würde, woraufhin er dann doch einmal einen kurzen Blick auf sein Display riskiert hatte, um sicherzugehen, dass es sich wirklich um die junge Frau handelte. Jedoch machte es die Situation für ihn nicht besser, als er feststellte, dass es wirklich Mirâs Nummer war, die auf seinem Handy angezeigt wurde. Peinlich berührt war er bereits dabei sich das nächste Mäuseloch zu suchen, um sich darin zu verkriechen. Wieso hatte er nicht vorher nochmal nachgeschaut? So durcheinander wie der junge Mann in diesem Moment war, vergaß er vollkommen auf die Frage der Violetthaarigen zu antworten. Erst als er erneut leise ihre Stimme vernahm, die nachfragte, ob alles in Ordnung sei, erwachte er aus seiner Starre. Dieses Mal schneller reagierend, hatte er sich sofort bei der Oberschülerin entschuldigt und ihr erklärt, dass das nicht an sie gerichtet war und er sie eigentlich nicht anschnauzen wollte. Hiroshi seufzte und ließ seinen Kopf sinken, während er sich den Nacken rieb. Wenn er nun an diese Situation zurückdachte, war es sogar noch peinlicher. Trotzdem war er nun hier und wartete auf eben jenes Mädchen, welches ihn so aus dem Konzept brachte. Dieses hatte ihn nach dieser peinlichen Szene um einen ungewöhnlichen Gefallen gebeten, durch welchen er nun hier war. Er hob leicht den Blick und starrte auf das Gras, welches vor der Bibliothek wuchs und vom Regen durchnässt war, während er an ihre Worte dachte, die ziemlich ernst klangen. Sie hatte ihn gebeten sich mit ihr an der Stadtbibliothek zu treffen. Wofür genau wollte sie ihm jedoch erst vor Ort erklären und nicht am Telefon. Er fragte sich, worum es wohl gehen würde, doch musste sich noch gedulden. Die Hoffnung, dass Mirâ einfach nur Zeit mit ihm verbringen wollte, hatte er im Keim wieder erstickt. Viel mehr kam ihm der Gedanke, dass die junge Frau vielleicht etwas herausgefunden hatte, was sie nachprüfen wollte. Immerhin legte das einen Besuch der Bibliothek nahe. Jedoch fragte er sich, wieso dann gerade er ihr helfen sollte. Mirâ hätte die Chance nutzen und Masaru um seine Hilfe bitten können. Immerhin wäre das die Gelegenheit für sie gewesen, mit dem Älteren alleine zu sein. „Oh man…“, erneut rieb er sich im Nacken und senkte den Blick, um so seine Gedanken wieder zu verdrängen. Immerhin sollte er froh sein, dass er etwas Zeit mit der jungen Frau verbringen konnte, wenn auch nur als Freunde. Er war sich sicher, würde ihn Akane so sehen, sie hätte ihm sofort eine gescheuert und mit ihm geschimpft. Doch was sollte er machen? Solange Mirâ glücklich werden würde, machte es ihm nichts aus. Egal mit wem sie am Ende zusammenkam. Jedenfalls redete er sich das immer noch ein und verdrängte dabei wieder einmal seine aufkeimende Eifersucht. Das Geräusch platschender Schritte auf dem nassen Asphalt ließ ihn aufschauen, woraufhin er Mirâ erblickte, die, geschützt von ihrem roten Regenschirm, eiligen Schrittes auf ihn zugelaufen kam. Nicht einmal eine Minute später stand sie außer Atem neben ihm. „Entschuldige bitte die Verspätung. Ich musste Junko noch zu einer Freundin begleiten und hatte vergessen dir zu schreiben.“, entschuldigte sie sich anschließend. Beschwichtigend hob der Blonde die Hand: „Schon okay. Außerdem bin ich derjenige, der sich für die Aktion von vorhin bei dir entschuldigen muss.“ Überrascht sah die junge Frau ihn an, doch schüttelte dann den Kopf und begann damit ihren Regenschirm zusammenzuklappen und auszuschütteln: „Nein, schon gut. Ich war nur etwas erschrocken, aber du hast es ja nicht mit Absicht gemacht. Das kann passieren.“ Sie schloss nun endgültig ihren Schirm und lächelte den jungen Mann breit an, woraufhin ihm leichte Röte ins Gesicht stieg. Schnell wandte er den Blick ab und kratzte sich im Nacken: „Trotzdem. Ich hätte vorher mal schauen sollen, wer anruft. Aber nachdem mich Shuya gestern wegen seiner schlechten Orientierung quer durch die Stadt gejagt hat, dachte ich, er hat sich schon wieder verlaufen.“ Die Violetthaarige kicherte: „Ihr seid wirklich gute Freunde.“ „Naja…“, so wirklich wusste der junge Mann nichts drauf zu entgegnen, weshalb er das Thema wechselte und zum eigentlichen Punkt kam, „Aber sag, worum geht’s eigentlich? Du klangst am Telefon so ernst. Scheint also wichtig zu sein, wenn das heute noch erledigt werden muss.“ „Ja also…“, begann die junge Frau, „Ich wollte etwas über den Tsukiyama Tempel in Erfahrung bringen.“ „Aha? Und wieso?“, hakte der Blonde nach. Mirâ schwieg kurz und überlegte, wie sie das erklären sollte. Immerhin hatte sie selber keine wirkliche Erklärung dafür. Eigentlich waren es nur diese Visionen, die sie das denken ließen. Diese wollte sie aber unter keinen Umständen erwähnen. Sie wollte ihren Freunden und insbesondere ihm keine Sorgen machen. Nicht solange sie nicht wusste, wieso sie diese Bilder sah. Auch wenn sie dafür ihre Freunde anlügen musste. Sie wusste, dass es falsch war, trotzdem hatte sie ihre Entscheidung diesbezüglich getroffen und würde diese vorerst auch nicht ändern. „Ich habe das Gefühl, dass dieser Tempel uns weiterhelfen könnte in Bezug auf die Spiegelwelt. Frag mich bitte nicht wieso. Ich kann es selber nicht erklären. Es ist nur so ein Gefühl.“, versuchte sie um den heißen Brei herumzureden. Hiroshi zog die Augenbraue hoch und Mirâ hatte das Gefühl, als würde ihr Kumpel sie durchschauen und wissen, dass sie nicht ganz die Wahrheit sagte. Jedoch sprach er das Thema nicht weiter an. Stattdessen legte er den Kopf schief und sah sie anschließend grinsend an: „Okay. Aber sag, wäre Masaru da nicht besser geeignet gewesen als ich? Versteh mich nicht falsch. Ich freue mich, dass du mich gefragt hast und helfe dir auch wirklich gern, aber das wäre doch deine Chance gewesen. Außerdem weiß er sicher mehr über den Tempel als ich. Auch seine Eltern könnten dir sicher mehr Informationen geben.“ Innerhalb eines Wimpernschlags hatte sich Mirâs Gesicht in eine überreife Tomate verwandelt, sodass es ihre Augen zu verschlucken drohte, während sie gleichzeitig einen kleinen Stich in ihrem Herzen spürte. Schnell wandte sie den Blick ab und suchte nach einer plausiblen Ausrede, denn die Wahrheit konnte sie dem jungen Mann unmöglich sagen. Denn eigentlich hatte sie gerade ihn um diesen Gefallen gebeten, weil er bisher derjenige war, der sie aus ihrer Schockstarre zurückholen konnte. Nicht einmal Masarus Stimme war in Mikadzuki-chô zu ihr durchgedrungen, als sie wieder in einer dieser Visionen gefangen war. Nur Hiroshi war dazu in der Lage gewesen. Wieso das so war wusste sie nicht, aber es wiegte sie in Sicherheit zu wissen, dass er in ihrer Nähe war, wenn sie recherchierten. Doch das konnte sie ihm nicht sagen. Das würde er vollkommen falsch verstehen. Außerdem war es ihr zu peinlich das offen auszusprechen. Die Oberschülerin kaute auf ihrer Unterlippe herum, bis ihr eine doch eher einfallslose Ausrede einfiel: „Naja… ich weiß nicht genau wieso, aber du warst mir zu Erst in den Sinn gekommen. Vielleicht weil wir uns nach dem Konzert das erste Mal über diesen Tempel unterhalten hatten.“ Kurz herrschte Stille, in welcher die junge Frau deutlich ihren Herzschlag hören konnte, bevor Hiroshi verstehend nickte: „So ist das. Ich verstehe. Na dann lass uns reingehen und mal schauen, was wir finden.“ Er zwinkerte der Violetthaarigen zu, welche lächelnd nickte und dann gemeinsam mit ihm die Bibliothek betrat: „Vielen Dank für deine Hilfe, Hiroshi-kun.“ Ganz im Gegensatz zu der durch den Regen aufkommenden schwülwarmen Luft draußen, war es im inneren angenehm klimatisiert. Sofort stieg den beiden Oberschülern der Geruch von bedrucktem Papier in die Nase, der so typisch für eine große Ansammlung von Büchern war. Trotz der vielen vollgestopften Regale wirkte das riesige Rondell nicht beengend oder überfüllt, da die großen Fenster, welche das Gebäude fast vollständig umgaben, sehr viel Licht hineinließen. In den tiefen Fensterbrettern lagen bequeme große Kissen, die zum Hinsetzen und Verweilen einluden, während in der Mitte des Raumes eine Fläche ohne Regale war. In dieser standen mehrere Tische, die teilweise sogar abgetrennt waren, sodass man auch in Ruhe daran lernen oder lesen konnte. Umrundet wurde diese freie Fläche von zwei Treppen, die rechts und links hinauf auf eine Art riesige Terrasse führten, auf welcher weitere Bücherregale standen. Als Mirâ ihren Blick nach links richtete erkannte sie einen langen Schalter, an welchem drei Mitarbeiter saßen und über denen jeweils ein Schild hing. „Abgabe“, „Ausleihen“ und „Info“ standen auf diesen und wiesen darauf hin, wofür sie vorgesehen waren. Hiroshi führte die junge Frau tiefer in den Saal hinein, während diese sich noch immer umsah. Obwohl die Bibliothek an diesem Tag sehr gut besucht war, herrschte hier eine angenehme Stille, welche maximal durch leises Husten gestört wurde. Schließlich ließen sie sich an einem Tich in einer ungestörten Ecke nieder. „Also… wo fangen wir an?“, fragte Hiroshi leise. Überrascht sah Mirâ den Blonden an und schwieg, während sich ihre Lippen zu einem Strich formten. Darüber hatte sie sich gar keine Gedanken gemacht. Sich selbst dafür scheltend, dass sie den jungen Mann unvorbereitet hierher bestellt hatte, wandte sie leicht den Blick ab. „Tja…“, begann sie schließlich, „Ehrlich gesagt bin ich vollkommen planlos hergekommen.“ Ein überraschter Blick Hiroshis traf sie, woraufhin sie ihr Gesicht in ihren Händen vergrub. Das war ihr doch ziemlich peinlich. Der Blonde jedoch lachte plötzlich leise, woraufhin sie wieder vorsichtig mit gerötetem Gesicht aufschaute. „Ach je. Dabei klang es am Telefon so wichtig.“, meinte er anschließend und sah sich dann um. Kurz darauf klopfte er der jungen Frau vorsichtig auf die Schulter und stand auf: „Ich hab eine Idee. Warte kurz.“ Die Oberschülerin folgte ihm mit ihrem Blick, während er zu dem langen Tresen hinüberging und dort mit einer jungen Frau sprach. Erleichtert atmete sie auf, als ihr ein riesiger Stein vom Herzen fiel. Sie hatte schon Angst, dass ihr Kumpel sauer auf sie sein würde, weil sie ihn so aus heiterem Himmel bei diesem Wetter herbestellt hatte und dann selber unvorbereitet kam. Umso erleichterter war sie darüber, dass der junge Mann es so locker aufnahm. Sie senkte den Blick und starrte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. Wenn sie so darüber nachdachte, dann hatte der junge Mann bisher immer für sie Verständnis gezeigt und war nie wütend geworden, selbst wenn ihr mal Fehler unterlaufen waren. Bei der Sache mit Kyo hatte er sie sogar gegenüber Masaru und Kuraiko verteidigt und versucht die Situation zu entschärfen. Und in Mikadzuki-chô hatte er sich mit dem älteren Schüler angelegt, als dieser böse darüber war, dass sie ihre Zusammenbrüche verheimlichte. Eigentlich war der Blonde bisher immer für sie da gewesen, egal in welcher Situation und das, obwohl er ja selber Probleme zuhause hatte. Langsam legte die Violetthaarige ihre Hand an ihre Brust, als sie merkte wie ihr Herz begann schneller zu schlagen, je länger sie darüber nachdachte. Doch noch bevor sie sich in diesen Gedanken weiter verlieren konnte, schrak sie auf, als neben ihr ein Schatten erschien und kurz darauf mehrere Bücher auf den Tisch gelegt wurden. Etwas erschrocken blickte sie auf und in die blauen Augen von Hiroshi, welcher sie überrascht ansah. „Hab ich dich erschreckt? Entschuldige. Das war nicht meine Absicht.“, lächelte er anschließend lieb und unterbrach somit den Blickkontakt zwischen ihnen. Einen Moment später saß er wieder neben der jungen Frau, welche verwundert über die Bücher blickte, die er kurz zuvor vor sie gelegt hatte. Vorsichtig nahm ihr Kumpel den Stapel auseinander und verteilte die Bücher auf dem Tisch, während er erklärte worum es sich bei diesen handelte. Das erste Buch, ein ziemlich dicker Wälzer, war die aktuelle Stadtchronik, in welcher die Geschichte Kagaminomachis niedergeschrieben war. Das zweite Buch war wesentlich dünner und auf dem Einband stand „Die Tempel Kagaminomachis“. Hiroshi erklärte, dass in diesem Buch wohl alle Tempel der Stadt eingetragen seien, auch jene, die es schon lange nicht mehr gab. Mirâ erinnerte dieses Buch eher an einen Stadtführer, aber sie sagte nichts dazu, sondern blickte auf das letzte Buch, welches von der Stärke her irgendwo zwischen dem Ersten und dem Zweiten lag. „Das ist ein Buch über die alten ansässigen Familien der Stadt, zu denen wohl auch die Tsukiyamas gehören.“, sagte der Blonde, „Ich hab an der Info direkt nach dem Tempel gefragt. Die junge Frau dort schien ziemlich erstaunt darüber, dass ich gerade etwas über diesen Tempel wissen wollte. Aber sie hat mir trotzdem freundlicherweise erzählt in welchen Büchern etwas darüber stehen könnte. Und wo ich diese finde.“ „Cool.“, war das einzige, was der Violetthaarigen dazu einfiel. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie Hiroshi die Bücher herausgesucht hatte. Wieder einmal war sie so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass ihr das Wesentlichste gar nicht aufgefallen war. Schnell schüttelte sie leicht den Kopf, als sie bemerkte, dass sie wieder drohte abzudriften. Als sie den irritierten Blick Hiroshis bemerkte, lächelte sie jedoch nur und griff sich das Buch mit der Auflistung der Tempel der Stadt. „Dann fange ich hiermit an.“, sagte sie und öffnete das Buch. Auch das Gesicht des Blonden umspielte nun ein Lächeln, während er sich die dicke Stadtchronik schnappte und sie aufschlug. Daraufhin wurde es still zwischen den beiden, während jeder in den vor sich liegenden Text vertieft war und nach Hinweisen suchte. Das Buch, welches sich Mirâ gegriffen hatte, entpuppte sich letzten Endes wirklich mehr als Reiseführer, anstatt einer informativen Quelle. Zwar stand der Tsukiyama Tempel noch darin, jedoch nichts Wichtiges darüber. Jedenfalls nichts, was Mirâ weiterbrachte. Eigentlich erzählte das Buch nur, wo dieser Tempel einst stand, welche Gottheit dort verehrt wurde und dass er im Jahr 2008 abgerissen wurde, um Platz für das heutige Einkaufszentrum zu schaffen. Seufzend schloss sie letzten Endes das Buch wieder und wollte schon nach dem Buch mit den alten Familien greifen, als der junge Mann neben ihr plötzlich aufschreckte und somit ihre Aufmerksamkeit weckte. „Ich hab etwas.“, sagte er plötzlich etwas zu laut, woraufhin aus Richtung des Empfangs ein langgezogenes „shhhhh“ kam. Erschrocken über sich selbst zog der Blonde kurz den Kopf ein und riskierte einen Blick über seine Schulter, bevor er sich wieder Mirâ zuwandte, welche ihn überrascht ansah. Daraufhin schob er der jungen Frau das Buch zu und zeigte auf die Seite die er aufgeschlagen hatte. Die Violetthaarige zog das Buch noch etwas zu sich, um besser sehen zu können, was ihr Kumpel meinte, woraufhin sie ein altes Foto erblickte, das den Tempel zeigte. Ein kalter Schauer lief ihr plötzlich über den Rücken, als sie bemerkte, dass es genau dieses Gebäude war, welches sie während des Tsukinoyos in ihrer Vision gesehen hatte. Ein Frösteln ging durch ihre Glieder, während schon wieder diese unsägliche Panik in ihr aufstieg, die sie die letzten Male schon einmal in ihre Gewalt genommen hatte. Was war das nur? Wieso überkam sie immer diese Angst, wenn sie den Tempel erblickte oder auch nur daran dachte oder sprach? Wieso sah sie diese Visionen? Sie konnte den Tsukiyama Tempel doch gar nicht kennen, immerhin lebte sie erst einige Monate hier. Andererseits war sie sich aber auch sicher, dass es genau dieser Tempel war, den sie in ihren Visionen gesehen hatte. Zwar sahen sich die alten traditionellen Gotteshäuser alle sehr ähnlich, jedoch hatte auch jeder seine Eigenheiten. Das machte die junge Frau so sicher, dass es sich dabei genau um diesen hier handeln musste. Doch wieso? Mirâ drohte wieder von der Panik vollkommen eingenommen zu werden, als sie plötzlich einen angenehm süßlichen Duft vernahm, der sie wieder in das Hierund Jetzt zurückholte. Leicht erschrocken sah sie auf und lief sogleich rot an, als sie nur weniger Zentimeter von sich entfernt Hiroshis Gesicht erblickte. Dieser war von seinem Stuhl aufgestanden und hatte sich neben sie gestellt, um so wieder besser in das Buch blicken zu können. Sein Blick war auf das Bild in dem Buch gerichtet, weshalb er ihre Reaktion zum Glück gar nicht wahrnahm. Sofort richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Seite und bemerkte dann auch, dass es noch einen Text dazu gab. Schnell versuchte sie sich auf diesen zu konzentrieren, jedoch fiel ihr das in dieser Situation ziemlich schwer. Noch immer glühte ihr Gesicht und ihr Herzschlag raste förmlich, während sie hoffte das der Blonde es nicht bemerkte. Sie schluckte, während sie auf den Text starrte und ihn doch nicht verstand. Plötzlich setzte sich Hiroshi und nahm somit wieder Abstand von der jungen Frau: „Hm…“ Grübelnd legte er sich die Finger ans Kinn und schien in seinen Gedanken versunken, woraufhin Mirâ ihre Chance nutze den Text nun endlich selber zu lesen. „Der Tsukiyama Tempel war einst das älteste Gebäude in der Stadt und wurde im Jahr 1565 errichtet. Seine Gründer, der Tsukiyama Clan, entstammte dem Samejima Clan, dessen Tempel in Gyakuten-maru zu finden ist, welches als Ursprung von Kagaminomachi gilt.“, erfuhr sie darin. Auch welche Größe das Gelände eins hatte, sowie welche Gottheit hier verehrt wurde, konnte sie aus dem Text entnehmen. Dazu einige Legenden, welche man sich über den Tempel erzählte und die sie eher beiläufig interessierten. Eine dieser Legenden jedoch erweckte nun doch wieder ihre Aufmerksamkeit: „Es begab sich, dass einer der Gründerväter in einer Vollmondnacht einen dunklen Schatten in seinem Spiegel sah, welcher ihn beobachtete. Der Mönch tat dies zu Beginn als Einbildung ab, doch wollte es genauer wissen. So trat er an den Spiegel heran, um nachzusehen, worum es sich bei dem Wesen handelte. Plötzlich jedoch erschien eine Hand, packte den Mann am Bein und versuchte ihn in den Spiegel zu ziehen. Ängstlich wehrte sich der Mönch und entkam so nur knapp seinem Schicksal. Der Schatten verschwand daraufhin und der Mann verhüllte den Spiegel mit einem Tuch, sodass er nicht mehr hineinsehen konnte. Als er dieses Ereignis am nächsten Tag den anderen Mönchen erzählte glaubten sie ihm kein Wort und lachten ihn aus. Doch bald darauf, zur nächsten Vollmondnacht geschah es erneut. Dieses Mal war es ein anderes Mitglied des Clans, welches nur knapp dem Wesen entkam. So kam es, dass die Mönche dem Mann doch glaubten und sie beschlossen diesem Schatten Herr zu werden. So erschufen sie ein Ritual, dass immer an Vollmondnächten ausgeübt wurde, um so das Wesen zu vertreiben. Daraufhin ward dieses nie wiedergesehen. In heutiger Zeit wird dieses Ritual nur noch einmal im Jahr ausgetragen. Immer in der ersten Vollmondnacht im August, in welcher auch das Tsukinoyo stattfindet.“ „Das klingt wie das Spiegelspiel.“, sagte Mirâ aufgeregt. Hiroshi setzte sich wieder bequem hin: „Ja dachte ich mir auch. Es klingt schon sehr ähnlich der Situation, als du das erste Mal auf den Shadow getroffen bist. Auch wenn es nur eine Legende ist… aber es klingt, als wäre etwas Ähnliches wie jetzt schon einmal passiert.“ „Mit dem Unterschied, dass das Tsukinoyo es nicht aufhalten konnte.“, meinte die junge Frau mit gesenktem Kopf. Irgendwas an diesem Text kam ihr merkwürdig vor. Ihr war so, als hätte sie diese Legende schon einmal gehört. Weit in der Vergangenheit, sodass sie sie schon wieder vergessen hatte. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, wo sie diese Sage gehört haben sollte, immerhin war es eine aus dieser Stadt, in welcher sie gerade einmal ein paar Monate lebte. „Urgh…“, ihr Kopf schmerzte plötzlich, weshalb sie ihre kühle Hand an die Stirn legte. „Alles in Ordnung?“, hörte sie Hiroshis Stimme, „Geht es dir nicht gut? Warte ich hole dir etwas zu trinken.“ Daraufhin war der junge Mann in Richtung Eingangsbereich verschwunden, wo Mirâ beim Eintreten mehrere Getränkeautomaten gesehen hatte. Sie zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz durch ihren Kopf ging und sie fragte sich, wieso es ihr plötzlich wieder so schlecht ging. Vorsichtig hob sie wieder den Blick, woraufhin ihr eine weitere Textzeile auffiel, welche ganz am Ende der Seite stand: „Aufgrund mehrerer Schicksalsschläge im Tsukiyama Clan wurde der Tempel im Jahr 2000 verlassen und zerfiel zusehends. 2008 musste er aufgrund eines Vorfalls abgerissen werden, um so die Sicherheit der Allgemeinheit zu gewähren.“ „Stimmt… von diesem Vorfall hatte Hiroshi-kun erzählt.“, ging der jungen Frau durch den Kopf, bevor sie erneut zusammenzuckte: „Argh!“ Etwas Kaltes berührte ihre Stirn und vertrieb den Schmerz in ihrem Kopf. Erleichtert atmete sie auf und hob wieder den Blick, sodass sie auf Hiroshi schaute, welcher ihr wieder gegenübersaß und ihr eine kalte Flasche an die Stirn hielt. Sich bei ihm bedankend, nahm Mirâ ihm diese ab und drehte sie auf, bevor sie einen Schluck daraus nahm. „Es gab leider nur stilles Wasser, aber das sollte erstmal helfen.“, meinte der Blonde daraufhin und blickte sie dann besorgt an, „Mirâ, du machst mir langsam Sorgen. Erst diese Schwächeanfälle, dann die Übelkeit und nun diese Kopfschmerzen. Du solltest damit zum Arzt gehen.“ Die Oberschülerin nickte zaghaft, versuchte jedoch den jungen Mann zu beruhigen, indem sie ihm wieder erklärte, dass die Sommerhitze ihr einfach nicht guttat. Ein Blick in sein Gesicht verriet ihr, dass er ihr nicht wirklich Glauben schenken wollte. Verübeln konnte sie es ihm nicht. Sie würde immerhin auch nicht anders reagieren, wenn es einem ihrer Freunde genauso ergehen würde wie ihr. Trotzdem wollte sie ihm keine weiteren Sorgen machen, zumal sie ja selber nicht wusste, wieso ihr das ständig passierte. Hiroshi stand plötzlich auf und ließ somit auch die junge Frau wieder aufschauen: „Lass uns für heute Schluss machen. Okay? Ich bringe schnell die Bücher zurück.“ Mehr als ein Nicken schaffte die Oberschülerin nicht mehr, bevor der Blond mit den Büchern davonstolziert war. Traurig sah sie ihm nach und entschuldigte sich im Stillen bei ihm. Sie wusste, dass sie ihm Unrecht tat, indem sie ihm einfach nicht die Wahrheit sagte, aber sie redete sich ein, dass es vorerst so das Beste war. Ein Tippen auf ihre Schulter ließ sie plötzlich aufschrecken und in ein violettes Auge blicken, das sie etwas erschrocken ansah. Das andere Auge war unter einer blonden Haarpracht versteckt. Mirâ blinzelte kurz und erkannte kurz darauf Shio, welche, ein Buch an die Brust gepresst, vor ihr stand und sie anlächelte. „A-ach du bist es, Shio. Du hast mich erschreckt.“, atmete die Violetthaarige erleichtert auf. Die Blond-schwarzhaarige klopfte sich leicht gegen die Stirn und streckte die Zunge raus: „Sorry. Das war nicht meine Absicht.“ Überrascht sah Mirâ ihre Freundin wieder an, als sie feststellte, dass ihr Japanisch wieder besser geworden war und nun schon fast fließend klang. Shio musste wirklich jeden Tag üben, damit sie die Sprache so schnell wieder lernen konnte. „Dein Japanisch ist wieder besser geworden.“, lobte sie die junge Frau, woraufhin diese nur zum Dank lächelte, „Bist du hier um zu lernen?“ Erneut nickte die Blond-schwarzhaarige: „Ja, gemeinsam mit Naru und Maria. Sie brauchten… help… ähm… Hilfe in Englisch.“ Mirâ legte den Kopf schief, als sie die Namen hörte, da sie ihr gänzlich unbekannt waren. Ihre Freundin schien dies zu bemerken und klopfte sich erneut kurz gegen die Stirn, bevor sie sich leicht umdrehte und auf zwei Mädchen zeigte, die etwas weiter entfernt an einem Tisch saßen und zu ihnen herübersahen. Als sie bemerkten, dass Shio sich zu ihnen drehte, schraken sie kurz auf, doch winkten dann freundlich. Eines der Mädchen hatte wie Mirâ dunkelviolette Haare, die sie zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten hatte und ihr locker über die Schulter fielen. Die andere junge Frau hatte schwarze Haare mit blonden und blauen Strähnchen darin, bei welchen die Oberschülerin überlegte, ob diese natürlich oder gefärbt waren. Jedoch hakte sie nicht weiter nach, da sie wusste, dass es sie nichts anging. Während sie sich sicher war, die Violetthaarige schon einmal in der Schule gesehen zu haben, war ihr das schwarzhaarige Mädchen gänzlich unbekannt. Mirâ richtete den Blick wieder auf die junge Frau mit den violetten Augen, welche ihren Freundinnen noch einmal zulächelte und sich dann ebenfalls wieder an sie wendete: „Scheint, als hättest du schnell viele Freunde gefunden.“ Shio nickte: „Ja. Naru geht in meine Klasse. Sie hat mir am Anfang viel geholfen. Und Maria ist… ähm… die kleine Schwester von… my brothers best friend.“ Dieses Mal klatschte sie sich regelrecht die Hand gegen die Stirn, als ihr auffiel, dass sie wieder ins Englische verfallen war: „Warte… ähm… der beste Freund von meinem Bruder.“ „Richtig.“, lachte Mirâ, weil sie die Aktion schon etwas amüsant fand, „Aber ich hätte es auch so verstanden.“ Verlegen kratzte sich ihr Gegenüber im Nacken: „Gewohnheit. Mein Bruder… ähm… reagiert nicht mehr, wenn ich englisch spreche. Also… er kann sehr gut Englisch, aber er will, dass ich lerne wieder fließend japanisch zu sprechen. Deshalb…“ „Von der Methode hab ich mal gehört. Damit soll man Kinder animieren wirklich in der jeweiligen Sprache zu sprechen. Ich habe das von Familien gehört, die zweisprachig leben. Damit die Kinder lernen beide Sprachen zu beherrschen.“, erklärte die Violetthaarige. „Ja ich glaube, das ist diese Methode. Er zwingt auch immer Papa mit ihm japanisch zu sprechen.“, seufzte die Blond-schwarzhaarige, „Er ist ein echter Sturkopf. Aber ich bin froh, ihn zu haben.“ „Geschwister sind schon was Feines. Was? Wenn auch manchmal anstrengend.“, lachte Mirâ, woraufhin Shio nickte. „Sag mal. Hättest du Lust mich morgen zu besuchen? Eigentlich wollte ich dich die ganzen Sommerferien anschreiben, aber dann habe ich bemerkt, dass ich weder deine Nummer noch deine Chat-ID habe.“, meinte die junge Frau plötzlich. Erstaunt sah Mirâ sie an, doch lächelte dann und stimmte zu, während sie ihr Smartphone herauskramte, um kurz darauf mit ihrer Freundin die Nummern zu tauschen. Freudig nahm diese das Angebot an und versprach der Oberschülerin ihr am Abend eine Nachricht mit Zeit und Treffpunkt zu schreiben, bevor sie sich langsam von ihr verabschiedete und wieder zu ihren Freundinnen ging. Lächelnd sah Mirâ ihr nach. Dabei bemerkte sie nicht einmal, dass Hiroshi wieder neben sie getreten war. „War das nicht Hamasaki?“, fragte er plötzlich und ließ dabei die junge Frau erneut aufschrecken. „J-ja. Sie ist mit ihren Freundinnen hier und hat gelernt.“, erklärte sie anschließend. „Ach so. Jetzt wo du es sagst. Hab mich schon gewundert, was Haruna hier macht.“, murmelte der Blonde nur, woraufhin ihn die junge Frau fragend ansah, „Das Mädchen mit den lila Haaren… das ist Naru Haruna. Sie ist Kapitänin der Mädchen-Basketballmannschaft in unserer Schule. Ab und an spielen Shuya, Naoto und ich in der Pause gegen sie und ein paar andere aus den Clubs Basketball.“ „Ach so…“, nickte Mirâ, während sie merkte, wie ihr plötzlich leichter ums Herz wurde. Wieder hatte sie kurz das beklemmende Gefühl der Eifersucht eingenommen und sie schämte sich dafür, weil sie eigentlich auch keinen Grund darin sah. Immerhin war Hiroshi für sie nur ein guter Kumpel. Oder? „Lass uns gehen. Es wird langsam spät.“, meinte Hiroshi, woraufhin Mirâ nun nickte und sich ebenfalls erhob. Doch gerade, als sich beide auf den Weg machen wollten, klingelte das Handy der Violetthaarigen. Erschrocken hatte sie es schnell in ihren Rock eingewickelt, weil sie vergessen hatte den Ton auszuschalten und es nun laut vor sich hin schellte. Böse Blicke der Anwesenden trafen sie, weshalb sie sich beeilte aus dem Gebäude zu verschwinden. Draußen angelangt hatte das Klingeln bereits aufgehört. Irritiert blickte die junge Frau auf ihr Handy und war überrascht Matsurikas Nummer zu sehen. Bisher hatte die Jüngere sie noch nie angerufen, sondern nur Nachrichten geschickt. Ihr Chat ploppte plötzlich auf, weshalb die Violetthaarige beinahe erschrocken ihr Smartphone fallen ließ, es aber gerade so noch auffangen konnte. Auch diese Nachricht war von Matsruka und klang dringend. „Bitte ruf mich so schnell wie möglich an, Senpai!“, stand in der Nachricht. Mirâ hob eine Augenbraue und blickte kurz zu Hiroshi, welche neben ihr stand und die Nachricht ebenso gelesen hatte. Auch er wirkte ratlos und zuckte nur mit den Schultern. Die Violetthaarige zuckte ebenso kurz mit den Schultern und rief die Jüngere dann zurück. Es dauerte auch nur ein Freizeichen bis die Schwarzhaarige abnahm. „Senpai, ein Glück!“, sprach sie völlig aufgelöst ohne eine weitere Begrüßung. „Was ist denn passiert?“, fragte Mirâ irritiert. „Megumi ist verschwunden!“, kam eine ebenso aufgelöste Antwort zurück, „Sie wollte gestern etwas in der Schule im Kunstclub für das zweite Trimester vorbereiten. Heute waren wir verabredet, aber sie kam nicht und als ich bei ihren Eltern nachgefragt habe, wurde mir gesagt, dass sie gestern Abend nicht nachhause gekommen ist. Ihre Eltern haben auch schon überall nach ihr gesucht, sie aber nicht gefunden. Sie haben auch schon die Polizei verständigt, aber… ich mache mir solche Sorgen.“ Mit großen Augen sah Mirâ kurz zu Hiroshi, welcher sie nur fragend anschaute und wandte sich dann wieder an Matsurika: „Beruhige dich erst einmal, Matsurika. Wo bist du gerade?“ „An der Schule. Ich wollte schauen, ob ich einen Anhaltspunkt finde. In der Schule war sie gestern definitiv, weil ich sie noch herbegleitet habe. Ich hätte sie noch in den Clubraum begleiten sollen…“, kam es vom anderen Ende der Leitung. „Bleib dort. Wir kommen hin. Okay?“, damit hatte Mirâ aufgelegt, ihr Smartphone weggepackt und ihren Schirm aufgespannt. Gerade als sie los wollte hielt ihr Kumpel sie jedoch zurück: „Warte doch mal. Wohin kommen wir?“ „Zur Schule. Matsurika wartet dort. Megumi ist gestern Abend verschwunden.“, erklärte die Violetthaarige nur knapp und rannte dann los. „H-Hey warte!“, rief Hiroshi, während er seinen Schirm ebenfalls aufspannte und der jungen Frau folgte. Eine halbe Stunde später kamen beide Zweitklässler an der Jugoya High an und trafen vor dem Tor auf Matsurika. Diese war vollkommen durchnässt, obwohl der Regen schon eine ganze Weile aufgehört hatte, was den Älteren verriet, dass sie wirklich schon länger hier war. „Senpai!“, sofort als sie die beiden erblickt hatte, kam sie auf sie zu gerannt, „Ein Glück seid ihr da. Ich weiß nicht mehr was ich machen soll. Was soll ich nur tun?“ „Beruhige dich erst einmal.“, versuchte Mirâ die aufgebrachte Schülerin zu beruhigen, „Erzähl nochmal in Ruhe, was genau passiert ist.“ Matsurika atmete kurz durch, ehe sie versuchte ruhig weiterzusprechen: „A-also… gestern war ich schon mit Megumi unterwegs, als ihr einfiel, dass man mittlerweile schon wieder in die Schule kann und sie noch etwas für den Kunstclub vorbereiten wollte. Deshalb habe ich sie hierher begleitet und mich hier von ihr verabschiedet. Naja… u-und heute wollten wir uns wieder treffen, aber sie kam vorhin nicht. D-Deshalb habe ich bei ihr Zuhause angerufen, wo mir gesagt wurde, dass sie am Abend nicht nachhause gekommen war. Ich… ich mache mir solche Sorgen. Hätte ich sie doch nur weiter begleitet.“ Mirâ war etwas überrascht, da sie die Jüngere bisher noch nie so aufgelöst erlebt hatte. Nach den letzten Monaten hatte sie eigentlich immer das Gefühl gehabt, dass sich die Schwarzhaarige kaum Gedanken um die kleine Megumi machte. Nun musste sie jedoch feststellen, dass deren Freundschaft wohl doch tiefer war, als sie vermutet hatte. Matsurika machte sich ernsthafte Sorgen, um die Kleine, das merkte man ihr an. Beruhigend strich die Violetthaarige der Erstklässlerin über den Rücken und überlegte, wie sie ihr helfen konnten, während sie eine angenehme Wärme in ihrer Brust spürte. Zwar war sie so schnell wie möglich hierhergekommen, jedoch eher kopflos, denn eigentlich hatte sie keinen Plan, was sie tun sollte. „Oh nein…“, holte sie die Stimme von Hiroshi aus ihren Gedanken und ließ sie zu ihm schauen. Der junge Mann hatte sein Smartphone in der Hand, welches er ihr vorhielt. Darauf zu sehen war eine Art Mondkalender, welcher ihr plötzlich auch die Farbe aus dem Gesicht weichen ließ, als sie auf das Datum vom gestrigen Tag schaute. Hiroshi sprach letzten Endes aus, was sie nur mit Schrecken dachte: „Gestern hatten wir Vollmond.“ Kapitel 73: LXXIII – About Boyfriends ------------------------------------- Sonntag, 30.August 2015 Es war bereits dunkel geworden, als Mirâ endlich zuhause ankam und ihr Zimmer betrat. Seufzend schaltete sie das Licht ein und ließ sich dann erschöpft auf ihren Schreibtischstuhl fallen. Gedankenverloren lehnte sie sich zurück und starrte an die Wand ihr gegenüber. Matsurika hatte sie zur Schule bestellt, weil Megumi verschwunden war, doch die anschließende Suchaktion der drei Oberschüler hatte nichts gebracht. Die Jüngere blieb verschwunden. Sie waren dabei einmal über das gesamte Schulgelände gelaufen, hatten in jeder Halle und jedem Raum gesucht, jedoch nichts gefunden. Als sie in den Kunstraum wollten, mussten sie feststellen, dass dieser abgeschlossen war, weshalb ihnen kurzzeitig der Gedanke kam, dass Megumi nach dem Verlassen der Schule verschwunden sein musste. Jedoch erfuhren sie dann im Lehrerzimmer, dass der Hauptschlüssel für diesen Raum ebenfalls verschwunden war, als sie dort nachfragten. Mit einem Ersatzschlüssel hatte der diensthabende und ziemlich erboste Aufsichtslehrer ihnen die Tür aufgeschlossen, damit sie sich darin umschauen konnten. Dabei fanden sie dort, einen großen Spiegel, welcher zum Eigenstudium für Anatomie genutzt wurde. Sofort waren Mirâ und Hiroshi allarmiert, da sie beide den Gedanken hatten, dass die Jüngere durch diesen in die Spiegelwelt gelangt sein musste. Anders konnten sie es sich nicht erklären. Doch auf dem Rückweg nachhause kamen Mirâ die ersten Zweifel. Was wenn Megumi gar nicht in der Spiegelwelt war, sondern auf dem Heimweg entführt wurde? Immerhin war der Kunstraum abgeschlossen gewesen und der Schlüssel verschwunden. Wieso sollte die Jüngere den Raum von innen absperren? Das ergab keinen Sinn. Auch wenn es makaber klang, so hoffte die Violetthaarige jedoch trotzdem, dass sich die Braunhaarige in der Spiegelwelt befand, denn dort war die Chance wesentlich höher, sie unbeschadet zurückzuholen, als wenn sie verschleppt worden war. Seufzend senkte Mirâ den Blick und massierte ihre Nasenwurzel. Wieso passierte das nur alles? „Du siehst erschöpft aus.“, ließ sie eine bekannte Stimme aufschauen und sich ruckartig zu ihrem Spiegel drehen, wo sie in das lächelnde Gesicht Mikas blickte. Mit einem kräftigen Tritt hatte sie sich abgestoßen und war zu ihrem Spiegel herübergefahren: „Mika! Es geht dir gut. Ein Glück.“ Angesprochene lächelte etwas schüchtern: „Ja mir geht es gut. Entschuldige, wenn ich dir wieder Sorgen gemacht habe.“ Mirâ schüttelte den Kopf: „Nein, schon gut. Hauptsache mit dir ist alles in Ordnung. Das ist wichtig.“ „Wie war dein Ausflug?“, fragte die Blauhaarige nach, um offensichtlich das Thema zu wechseln. „Er war schön…“, begann Mirâ und überlegte daraufhin, ob sie das Thema mit dem Geistermädchen ansprechen sollte. „Schön.“, kam es nur lächelnd zurück, bevor sie überhaupt weitersprechen konnte, während die Kleine schon wieder das Thema wechselte, „Und wieso hast du so schwer geseufzt? Ist etwas passiert?“ Aus ihren Gedanken gerissen sah die Violetthaarige Mika kurz etwas irritiert an, bevor sie den Blick senkte: „Eine Freundin von mir ist verschwunden. Wir haben sie in der ganzen Schule gesucht, aber keine Spur von ihr gefunden. Aber gestern war Vollmond, deshalb… sag Mika, ist dir etwas aufgefallen? Ist jemand bei dir drüben?“ „Hm…“, die Blauhaarige legte den Kopf schief und überlegte, „Also… ich habe gestern Abend etwas Merkwürdiges gespürt, allerdings war es nur einen ganz kurzen Moment, danach war alles wieder normal. Deshalb habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht und kann dir auch nicht genau sagen, ob wirklich jemand hier ist. Ich kann dem aber gerne nachgehen.“ „Das wäre lieb, aber bitte sei dabei vorsichtig.“, meinte die Ältere. Mika nickte lächelnd: „Sicher. Aber das interessiert mich jetzt noch. Wieso wart ihr in der Schule? Sind die Sommerferien schon vorbei?“ Überrascht sah die Oberschülerin die Kleine an und kicherte dann: „Nein. Ich war auch irritiert, dass man während der Sommerferien in die Schule kann, aber Hiroshi-kun hat mir erklärt, dass die Jugoya immer schon ungefähr eine Woche vor Ende der Ferien wieder öffnet, damit sich die Schulklubs auf das zweite Trimester vorbereiten können.“ „Ach so. Und da geht echt jemand freiwillig hin?“, verständnislos zog Mika die Augenbraue nach oben, was Mirâ jedoch nur mit einem Lachen kommentierte, „Wenigstens lachst du jetzt wieder. Du sahst vorhin so betrübt aus. Na dann mach ich mich gleich mal auf den Weg.“ „Willst du dich nicht erst einmal ausruhen?“ „Nein, alles gut. Außerdem möchtest du doch so schnell wie möglich erfahren, ob jemand hier ist. Oder?“, grinste die Kleine breit und wollte sich dann zum Gehen wenden, als die Ältere sie noch einmal zurückhielt. Sie hatte sich nun doch dafür entschieden kurz mit ihrer Freundin über die Erscheinung in Mikadzuki-chô zu reden und berichtete ihr von dem Geist der kleinen Mika. Dabei erwähnte sie auch, dass diese der Blauhaarigen extrem ähnlichsah. Die Jüngere hörte geduldig zu, während die Oberschülerin ihr alles erzählte und auch ihre Bedenken erwähnte, dass es sich um den Geist wirklich um Mika selbst handeln könnte. Als die Violetthaarige geendet hatte nickte Mika: „Das klingt wirklich sehr interessant, was du mir da erzählt hast. Aber… leider kann ich dir dazu nichts sagen. Wie du weißt erinnere ich mich nicht mehr an das was passiert ist, bevor ich hier aufgewacht bin. Von daher…“ „Ja, ich verstehe. Tut mir leid, wenn ich dir damit Angst gemacht habe.“, entschuldigte sich die Oberschülerin. Mika jedoch schüttelte nur den Kopf: „Nein schon gut. Ich bin froh, dass du dein Versprechen nicht vergessen und mit mir darüber gesprochen hast. Immerhin könnte es ja wirklich ein Hinweis sein, auch wenn er irgendwie erschreckend ist. Deshalb danke, dass du diese Information mit mir geteilt hast.“ Eine angenehme Wärme breitete sich in Mirâs Brust aus, während sie im Hintergrund den Sound der Persona-App auf ihrem Smartphone vernahm. Sie hatte mit Mika eine weitere Stufe erreicht und ihre Freundschaft zu dieser um ein weiteres Stück vertieft. „Also dann. Ich mach mich los. Sobald ich mehr weiß, melde ich mich bei dir. Bis später.“, verabschiedete sich die Jüngere daraufhin und verließ das Zimmer, noch ehe Mirâ sich selbst verabschieden konnte. Sich den Kopf haltend trat Mika aus dem Haus und stützte sich an den Türrahmen, da sie drohte sonst zusammenzubrechen. Erneut hatte sie das Gefühl ihr Kopf würde jeden Moment zerspringen und wieder kam dieser Zustand nach einem Gespräch mit Mirâ. Sie schüttelte vorsichtig den Kopf und versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Für solche Dinge hatte sie gerade keine Zeit… sie musste sich doch in der Jugoya umsehen, wie sie es ihrer Freundin versprochen hatte. Sie wollte sich nützlich machen, wenn sie schon nicht mitkämpfen konnte, doch mit diesen Kopfschmerzen konnte sie das nicht. Mika schloss kurz die Augen und atmete tief durch, woraufhin das Stechen hinter ihrer Stirn langsam abnahm. Vorsichtig öffnete sie ihre Rubine daraufhin wieder und sackte plötzlich auf den Boden, als ihre Beine nachgaben. Sie wusste nicht wieso, aber urplötzlich hatte sie das Gefühl ihre Beine nicht mehr zu spüren. Doch noch schockierender, als das, waren die Bilder, welche sich vor ihren Augen abspielten. Zuerst sah sie nur eine sterile weiße Decke und nichts anderes. Zwar hatte sie das Gefühl zu ihrer Rechten ein paar weiße Vorhänge zu erkennen, doch egal was sie versuchte, sie konnte ihren Kopf nicht drehen, um sich umzuschauen. Plötzlich tauchte vor ihr das Gesicht eines Mannes auf, den sie noch aus einigen der anderen Visionen kannte. Es war ihr Vater, welcher allerdings wesentlich älter und auch etwas müde wirkte, als noch bei den letzten Träumen. Seine blau-violetten Haare waren heller geworden und von grauen Strähnen durchzogen. Doch seine freundlichen roten Augen, um welche sich kleine Fältchen gebildet hatte, erkannte sie sofort wieder, auch wenn sie in diesem Moment eher erschrocken wirkten. Auf einmal wurde es turbulent um sie herum, als sie neben sich noch eine weitere Person bemerkte. Aufgrund ihrer Unbeweglichkeit jedoch, konnte sie sich dieser nicht vergewissern. Trotzdem merkte sie, wie es um sie herum plötzlich hektisch wurde. „Kannst du mich hören?“, hörte sie dumpf die aufgeregte Stimme ihres Vaters, welcher noch über sie gebeugt war, „Mika!?“ Mit einem Schreck erwachte die Blauhaarige aus ihrem Traum und starrte auf die dunkle Straße vor sich. Was war das? Was hatte sie da gerade gesehen? Erschrocken blickte Mika auf ihre zitternden Hände. Diese Vision war anders, als die anderen zuvor. Sie schluckte schwer. Was hatte das zu bedeuten? Was geschah mit ihr? Sie schüttelte den Kopf und ballte ihre Hand zu einer Faust, um damit dem Zittern Einhalt zu gebieten, bevor sie wieder vorsichtig aufstand. Dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Über das warum und wieso konnte sie sich später immer noch Gedanken machen. Zuerst musste sie ihren Freunden helfen. Mika brauchte eine Weile, bis ihre Beine ihr wieder vollständig gehorchten, doch gleich darauf rannte sie bereits los und versuchte dabei nicht weiter an diese Vision zu denken. Montag, 31.August 2015 Seufzend verließ Mirâ die U-Bahn, welche sie an diesem Tag erneut nach Kyôzô-kū gebracht hatte. Wie versprochen war sie Shios Einladung gefolgt sie zu besuchen. Umso erstaunter war sie am gestrigen späten Abend, als diese ihr den Treffpunkt für den heutigen Tag nannte. Ehrlich gesagt musste sie sogar zweimal nachschauen, ob sie sich verlesen hatte, nachdem sie erfahren hatte, dass sich genannte Haltestelle wieder im Bonzen-Viertel der Stadt befand, welches sie bisher nur einmal mit Kyo besucht hatte. Dieses Mal musste sie zwar nicht so weit fahren, wie das letzte Mal, jedoch war es nicht weniger unangenehm. Wieder wurde sie mit komischen Blicken gestraft, als würden die Leute in der U-Bahn sofort bemerken, dass sie nicht hierhergehörte. Wahrscheinlich war es einfach nur Einbildung, jedoch nicht wirklich beruhigender. Dazu kam, dass sie, kurz bevor sie losgegangen war, von Mika erfahren hatte, dass anscheinend wirklich jemand in der Spiegelwelt gefangen war. Merkwürdig fand die Kleine jedoch, dass sich die Aura, welche rund um die Schule hing, komisch war. Einerseits schwach und andererseits bedrohlich. Allerdings konnte Mika nicht sagen woher es kam, jedoch versicherte sie, dass sie so etwas vorher noch nie gespürt hatte. Der Gedanke, das Megumi wahrscheinlich wirklich in der Spiegelwelt war, bereitete Mirâ Unbehagen und sorgte dafür, dass sie nun eigentlich keine richtige Lust hatte durch die Gegend zu fahren. Lieber hätte sie alles sofort mit ihren Freunden besprochen und sich auf den Abend vorbereitet. Jedoch hatte sie Shio bereits versprochen, sie zu besuchen und die Violetthaarige war niemand, der seine Versprechen brach. Während der Fahrt mit der Bahn besprach sie alles Wichtige mit ihrem Team über den Gruppenchat, sodass sie für den Abend gewappnet waren. Mirâ war froh, als sie den Wagen endlich verlassen konnte und feststellte, dass der Bahnsteig extrem leer war, immerhin war die Fahrt hierher alles andere als entspannt. Die junge Frau sah sich um und bemerkte, dass außer ihr niemand an dieser Station ausgestiegen war und sie nun alleine am Bahnsteig stand. „Mirâ, hierher!“, ließ sie die Stimme ihrer Freundin zum Ausgang schauen, wo die Blond-schwarzhaarige stand und ihr freudig zuwinkte. Schnellen Schrittes ging die Violetthaarige zu Shio hinüber und grüßte sie freundlich: „Hallo Shio.“ „Hattest du eine gute Fahrt?“, fragte ihr Gegenüber sie grinsend. „J-ja. Ich war erstaunt, als ich gelesen habe, dass du in Kyôzô-kū lebst.“, erklärte Mirâ vorsichtig, „Da habe ich mich gefragt, wieso du dann auf die Jugoya gehst, anstatt auf die Diamond.“ Shio verschränkte die Arme hinter dem Rücken und blickte an die Decke der Station: „Mein Bruder meinte, dass er mich… ähm… never… niemals auf diese Bonzen-Schule schicken würde.“ „A-ach so.“, ein kleines Lächeln umspielte das Gesicht der Violetthaarigen, da sie sich ihre Freundin wirklich nicht an solch einer Schule vorstellen konnte. Jedenfalls so, wie sie sich die Schule aktuell vorstellte. „Wollen wir dann?“, fragte das andere Mädchen plötzlich und stolzierte daraufhin ohne weitere Worte die Treppen der Station hinauf. Mirâ folgte ihr. Die Treppe endete in einem großen Karree, welches von einem großen Gebäude und einem schmalen Grünstreifen umgeben war, wie ein Hexagon. Und es wimmelte hier regelrecht von Menschen. Erst bei genauerem Hinsehen wusste Mirâ auch wieso, denn sie befand sich mitten in einem Einkaufsviertel. Rund um sie herum erkannte sie verschiedene Geschäfte und Cafés. Ohne weiter darauf zu achten stolzierte Shio jedoch weiter, genau auf eine der Geraden des Hexagons zu, an welcher ebenso ein Geschäft an das andere grenzte. Dabei erkannte Mirâ, dass es sich hierbei hauptsächlich um teure Markengeschäfte handelte, was in diesem Viertel jedoch auch nicht anders zu erwarten war. Kurze Zeit später fiel der jungen Frau ein Durchgang zwischen den ganzen Geschäften auf, welchen Shio geradewegs ansteuerte und den die beiden einen Moment später durchquerten. Nicht mal einen Wimpernschlag drauf befanden sie sich außerhalb der Shoppingmal und inmitten eines riesigen Wohnviertels, welches von hohen Lofts umzingelt war. Erstaunt sah Mirâ sich um, während sie versuchte ihrer Freundin weiter zu folgen. „Darf ich dich fragen, was dein Bruder beruflich macht, wenn er es sich leisten kann hier zu leben?“, fragte sie, nachdem sie endlich ihren Blick von den Gebäuden rund um sich herum abwenden konnte. „Mein Bruder ist Sänger und Songwriter einer Band. Aber er schreibt auch für andere Songs.“, erklärte Shio kurz, als sei es das normalste der Welt, „But… die Wohnung hat er von unseren Eltern übernommen, after… ähm… nachdem Papa mit mir in die USA ausgewandert ist. Dadurch musste er sich keine eigene Wohnung suchen und Papa kommt sowieso eher selten her.“ „M-moment. Heißt das, die Wohnung gehört euch?“, hakte Mirâ noch einmal nach, woraufhin Shio nickte, „U-Und was macht dein Vater beruflich?“ „Er ist Musikmanager.“, grinste Shio schief. „Und deine Mutter?“, auf die Frage hin wurde Miroshiro etwas langsamer und senkte den Blick. „Sie… ist vor etwas mehr als zehn Jahren gestorben.“, erklärte sie daraufhin, woraufhin sich Mirâ geschockt entschuldigte, „No, schon gut. Das konntest du nicht wissen. Sie hatte eine… angegriffene Gesundheit. That’s why… nach ihrem Tod bin ich mit Papa in die Staaten gezogen. Mein Bruder wollte nicht mit, weil… er seinen Abschluss hier machen wollte.“ „Trotzdem, das war taktlos von mir.“, entschuldigte sich die Violetthaarige erneut, doch Shio schüttelte nur lächelnd den Kopf und beließ es dabei. „Da sind wir.“, sagte sie jedoch einen Moment später und blieb vor einem der Gebäude stehen. Es handelte sich dabei, um eine riesige Lagerhalle, welche von Grund auf renoviert und mit Wohnungen ausgestattet wurde. In diesem Viertel hatte Mirâ mehrerer dieser Gebäude gesehen, was ihr verriet, dass dieses Viertel wohl ursprünglich ein großes Industriegebiet gewesen sein musste. Sie selbst hatte jedoch noch nie einen Loft von innen gesehen, da diese viel zu teuer waren. Ihre Mutter verkaufte ja selber solche Wohnungen, wodurch sie sich etwas mit den gängigen Preisen auskannte. Das Klimpern eines Schlüssels ließ Mirâ wieder zu ihrer Freundin schauen, welche das Bündel aus ihrer Tasche gezogen hatte. Gemeinsam mit ihr trat sie an die Eingangstür, an der sie jedoch kein typisches Schloss für einen Schlüssel finden konnte. Auch normale Klingeln konnte sie nicht finden, stattdessen war neben der Tür ein großes Nummernfeld. Von so etwas hatte die junge Frau schon einmal gehört, jedoch bisher noch nie live gesehen. Um bei einer Wohnung klingeln zu können, musste man den jeweiligen Zahlencode beziehungsweise die Wohnungsnummer wissen und diese in das Nummernfeld eingeben. Shio jedoch gab nichts dergleichen ein, sondern hielt über das Feld einen kleinen schwarzen Chip. Dann dauerte es einen winzigen Moment, bevor ein Piepen ertönte und die Tür sich kurz darauf mit einem Summen öffnete. Miroshiro griff nach dem Knauf, zog die Eingangstür auf und winkte Mirâ hinter sich her, welche tat wie ihr geheißen. Dann folgte sie der Blond-schwarzhaarigen durch das Erdgeschoss des riesigen Gebäudes, welche sie zu einem Fahrstuhl führte, der sie in die dritte Etage führte, für welche die junge Frau die Fahrt jedoch als ziemlich lang empfand. Dort angekommen lief ihre Freundin schnurstracks auf eine Wohnungstür zu, welche sie dieses Mal mit einem richtigen Schlüssel öffnete. „Da wären wir. Komm rein.“, wurde sie hereingebeten. Drinnen bemerkte man nicht mehr viel von dem alten Charme des Lagerhauses. Viel mehr wirkte die Wohnung wie eine typische, im westlichen Stil errichtete, Wohnung. Der Eingangsbereich war, wie in den meisten Wohnungen mit einem Absatz getrennt, sodass man wusste, wo man seine Schuhe abzustellen hatte. Ansonsten wirkte die Wohnung völlig normal. Schnell zog Mirâ ihre Schuhe aus und schlüpfte in die ihr angebotenen Hausschlappen, bevor sie den eigentlichen Flur betrat und von Shio weiter in die Wohnung geführt wurde. Doch kaum hatten die beiden Mädchen das Wohnzimmer betreten, blieb der Violetthaarigen beinahe die Spucke weg, als sie auf eine große Fensterfront blickte, durch welche sie einen sehr guten Blick über das Stadtviertel hatte. Als sie sich weiter umblickte, wusste sie nun auch, wieso sie die Fahrstuhlfahrt als zu lang für die angegebene Etage empfand. Das Wohnzimmer hatte eine übertrieben hohe Decke, welche sich jedoch dadurch erklärte, weil der Raum in zwei Etagen unterteilt war. An der Wand zu Mirâs Rechten führte eine Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo eine Art Balkon an der Wand entlangführte, über den man weitere Zimmer erreichen konnte. Wenn jede Wohnung so aufgebaut war, so war es nur klar, dass die Fahrt bis in die dritte Etage ewig dauerte, immerhin war es so eigentlich das vierte Obergeschoss, wenn man das Erdgeschoss mitrechnete. „Cool oder?“, fragte Shio und holte die Oberschülerin so aus ihren Gedanken. Diese nickte nur und wusste nicht so genau, was sie überhaupt sagen sollte. Sie war in einer ihr vollkommen unbekannten Welt gelandet und musste diese Eindrücke erst einmal richtig verdauen. „Lass uns in mein Zimmer gehen. There… ähm… dort können wir in Ruhe reden.“, meinte ihre Freundin und wollte gerade die Treppe ansteuern, als aus der Tür direkt neben dieser ein junger Mann stürmte, „Onii-chan. Don’t scare me like that!“ „Gomen. Hab gar nicht bemerkt, dass du wieder da bist.“, sagte der junge Mann, dessen schwarzes wüstes Haar von einem leichten magentafarbenen Schimmer durchzogen war, erstaunt, während er sich eine schwarze Jacke überzog. Dann wandte er sich lächelnd an Mirâ: „Dann musst du Shios Freundin sein. Freut mich sehr. Mein Name ist Yami.“ „E-Es freut mich ebenso. M-mein Name ist Mirâ Shingetsu.“, stellte sich die Violetthaarige rasch vor. „Ich muss dann los, Shio. Falls du Tee oder irgendwas machen möchtest, tu mir einen Gefallen und setz die Küche nicht in Brand.“, sagte der junge Mann daraufhin nur grinsend und ging, „Also dann Mädels. Viel Spaß.“ Noch während die Tür ins Schloss fiel, rief Miroshiro ihrem Bruder auf englisch nach wie doof er doch sei für seinen Kommentar und dass er das hätte stecken lassen können. Allerdings war sich Mirâ sicher, dass er das nicht mehr hören konnte. „Such an idiot!“, schimpfte die Blond-schwarzhaarige anschließend und ging nun endlich auf die Treppe zu, „Lass uns hoch gehen, bevor ich mich noch mehr über ihn aufrege.“ Mirâ jedoch konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, da sie die Situation wirklich amüsant fand, folgte dem anderen Mädchen aber dabei in das obere Stockwerk. Als die Oberschülerin das Zimmer ihrer Freundin betrat blickte sie direkt auf ein großes Fenster ihr gegenüber, unter welchem ein großer Schreibtisch stand. Auf dessen Arbeitsfläche lag ein zugeklappter Laptop und ein Tablet, ansonsten war er penibel aufgeräumt. Rechts neben dem Tisch stand ein fast schon riesiger Eckschrank, der wirkte, als könne man ihn sogar betreten. An diesen schlossen sich brusthohe Regale an, die an der Wand rechts neben der Eingangstür standen. Auf diesen befanden sich mehrere Bilderrahmen, in denen Fotos von Shio mit verschiedenen Personen eingerahmt waren, die fröhlich in die Kamera lächelten. Auch ein Foto mit den beiden Mädchen vom Vortag und eines mit dem jungen Mann von vorhin erkannte die Oberschülerin. Die anderen Personen jedoch waren ihr gänzlich unbekannt. Sie löste ihren Blick von den Fotos und sah sich weiter um. Links neben dem Schreibtisch stand ein großes Bett, auf dem mehrere Plüschtiere lagen. Gleich daneben und somit an der Wand zu Mirâs Linker, erstreckte sich eine große Fensterfront, welche auf eine Art kleinen Balkon führte. Dort erkannte die Violetthaarige auch eine Treppe, die nach unten führte. Um sich weiter umsehen zu können, musste sie noch einen Schritt in das Zimmer treten, denn direkt links neben ihr stand ein Raumtrenner, welcher so hoch war wie sie selbst. Dieser war gefüllt mit verschiedenen englischsprachigen Büchern und Mangas, sowie einigen Dekorationen. Weiter in den Raum getreten sah die junge Frau hinter dem Regal ein kleines bequemes Sofa mit einem Couchtisch, einen großen dunkelblauen Sitzsack und davor ein Lowboard mit einem großen Fernseher darauf. Alle Möbel waren in Elfenbein gehalten, wodurch das Zimmer trotz der vielen Schränke nicht beengt wirkte. „Du hast wirklich ein schönes Zimmer.“, sagte sie anschließend hin und weg, obwohl sie nach dem Zimmer von Shuya nichts mehr hätte schocken sollen. Shio lächelte und bot Mirâ einen Sitzplatz auf dem Sofa an, wo diese einen Moment später platznahm, während sich die Gastgeberin auf ihren Sitzsack plumpsen ließ. Im Augenwinkel fiel der Violetthaarigen etwas in den Blick, weshalb sie sich leicht umdrehte und auf ein weiteres Foto schaute. Dieses stand in einem der Fächer des Raumtrenners, wurde von der anderen Seite jedoch von einer Kerze verdeckt, weshalb es ihr beim Umsehen nicht aufgefallen war. Darauf sah man Shio welche in den Arme eines jungen Mannes lag und fröhlich lächelnd in die Kamera schaute. Auch der junge Mann hinter ihr, mit seinen blau-grünen kurzen Haaren, welcher die junge Frau umarmte wirkte auf dem Foto sehr glücklich. Mit seinen freundlichen dunkelblauen Augen lächelte auch er in die Kamera, während er seine Wange an die von der Blond-schwarzhaarigen schmiegte. Diese schien den Blick ihrer Schulkameradin zu bemerken und schaute nun ebenfalls auf das Bild, woraufhin ihr Blick weich wurde und sie lächeln musste. „That’s my… Freund, Noah.“, erklärte sie anschließend, „Das Foto haben wir vor zwei Wochen aufgenommen, als er zu Besuch war.“ Erstaunt sah ihr Gegenüber sie an: „Du hast einen Freund? Und er war zu Besuch? Hier? Dein Bruder hat das erlaubt?“ Kurz schaute Mioshirô überrascht, doch lachte dann: „Ja. Mein Bruder sieht… das nicht so eng. He knows… dass er mir vertrauen kann. Beside that… Noah ist ein anständiger Junge.“ „Ich verstehe. Ihr gebt ein hübsches Paar ab.“, murmelte Mirâ, während sie nochmal auf das Foto blickte. „Thanks. Aber du und dein Freund auch.“ Vollkommen überrumpelt schaute die Violetthaarige ihr Gegenüber mit großen Augen an und schien für einen Moment nicht zu wissen, was diese damit meinte. Erst nach einigen Minuten fiel ihr ein, dass Shio nur die Situation vom Vortag meinen konnte. Immerhin hatte diese sie zusammen mit Hiroshi in der Bibliothek gesehen. Sofort lief sie knallig rot an und schüttelte heftig den Kopf, während sie mit ihren Händen gestikulierte: „N-Nein. Das verstehst du falsch. Hi-Hiroshi-kun ist nicht mein Freund… also schon, a-aber nicht wie du denkst. E-Er ist nur ein guter Kumpel. Au-außerdem gehen wir in die gleiche Klasse… und…“ Miroshiro legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch, da das, was sie am gestrigen Tag gesehen hatte, nicht zu dieser Aussage passte… irgendwie. Doch plötzlich musste sie lachen, als sie diese Situation an früher erinnerte. Irritiert schaute ihr Gegenüber sie an, doch sagte nichts, bis die Blond-schwarzhaarige sich beruhigt hatte. „I’m so sorry. But… das erinnert mich an damals, bevor ich… mit Noah zusammenkam.“, kam es nur lachend von der jungen Frau, was Mirâ jedoch noch mehr verwirrte. Das Lachen verebbte und Shio wischte sich eine Träne aus den Augen, bevor sie weitersprach: „Weißt du… When… als Noah und ich uns kennenlernten, da konnten wir uns absolut nicht leiden. Du musst wissen, dass wir beide ziemlich gut in der Schule waren und uns auch beide sehr stark für IT interessieren. Als wir in eine Klasse kamen, standen wir auf Kriegsfuß. Keiner von uns beiden wollte hinter dem Anderen stehen. Because of that… haben wir einen regelrechten Wettkampf geführt und uns nur gestritten. Trotzdem meinten die Leute immer, dass wir ein hübsches Paar wären. Und wir haben es immer abgestritten… just like you now.“ Mirâ blähte leicht beleidigt die Wangen auf, da sie diese Situation auf sich bezogen überhaupt nicht lustig fand. Immerhin waren sie und Hiroshi kein Paar. Doch kurz darauf wurde ihr Blick wieder weich und sie lächelte: „Darf ich fragen, wie ihr dann zusammengekommen seid?“ Ihre Freundin lächelte und zog ihre Beine an die Brust, während sie den Kopf auf die Knie legte: „Während eines Weihnachtsfestes habe ich mich ganz böse mit meinem Vater gestritten und saß vollkommen verlassen auf einer Bank auf einem Weihnachtsmarkt. Noah was… zufällig mit seiner Familie dort. Er hat mich gesehen und mich mit seiner unbeholfenen Art aufgemuntert. Da habe ich mich in ihn verliebt. Naja… und dann irgendwann hat‘s mit uns beiden geklappt.“ „Das klingt wirklich romantisch.“, ungewollt begann Mirâ zu schwärmen, „Es war sicher schwer ihn in Amerika zurückzulassen.“ Die Blond-schwarzhaarige nickte und setzte ein trauriges Lächeln auf: „Ja, but… wenn ich meinen Abschluss habe und ich… an Adult bin, dann gehe ich zurück.“ „Ich bin mir sicher, dass du bald wieder mit deinem Freund vereint sein wirst.“, sagte die Violetthaarige, woraufhin sie ein breites Lächeln traf. In ihrer Brust breitete sich eine angenehme Wärme aus und aus ihrer Tasche hörte sie leise ihr Smartphone, welches kurz vibrierte. Auch ohne drauf zu schauen wusste sie, dass sich die Freundschaft mit Shio weiter vertieft hatte. Kapitel 74: LXXIV - Rettungsversuch ----------------------------------- Montag, 31.August 2018 – später Abend Als die sechs Oberschüler an diesem Abend die Spiegelwelt betraten, wurden sie von einer tiefen Dunkelheit empfangen. Nur spärlich waren Gebäude und Gegenstände zu erkennen. Grund dafür war der Mond, welcher sich zu diesem Zeitpunkt nur als dünne Sichel am Himmel abzeichnete und dadurch kaum Licht spendete. Die Gruppe kannte diesen Zustand in dieser Welt bereits zur Genüge, trotzdem war es jedes Mal ein unheimlicher Anblick und zudem äußerst gefährlich. Während dieser Zeit hatten die Shadows durch die Dunkelheit einen entscheidenden Vorteil, weil sie hinter Gegenständen und Gebäuden, ja sogar auf der Straße, kaum zu erkennen waren. Es war also höchste Vorsicht geboten. „Egal wie oft ich das hier sehe, es ist jedes Mal unheimlich.“, sagte Akane, während sie sich ihre Oberarme rieb, „Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen können.“ „Ja da gebe ich dir recht.“, murmelte Masaru, während er sich aufmerksam umsah. Auch Mirâ sah sich um, jedoch nicht nach potentiellen Gegnern, sondern nach ihrer kleinen Freundin Mika. Eigentlich hatte sie mit der Kleinen bereits am Morgen abgemacht, dass sie sich am späten Abend hier treffen würden. Normalerweise begrüßte die Blauhaarige die Gruppe immer, sobald sie die Spiegelwelt betraten, doch heute nicht. Egal in welche Richtung Mirâ schaute, es war keine Spur von der Kleinen zu sehen. Wo war sie nur? Die Oberschülerin hoffte, dass ihr nichts passiert war, während sie die Schule beobachtet hatte. Was wenn sie angegriffen wurde? Der Violetthaarigen kam der Gedanke, dass Mika auf den Reaper getroffen sein könnte und nun verletzt war, immerhin war er der einzige Shadow, der das kleine Mädchen aktiv registrierte. Selbst Mirâ und ihre Freunde hatten mit ihren Personas keine Chance gegen diesen übermächtigen Gegner. Wie sollte sich also Mika ohne jegliche Fähigkeiten gegen ihn verteidigen können? Sie würde kläglich untergehen. „Entschuldigt die Verspätung!“, hörte sie jedoch plötzlich deren Stimme. Kurz darauf sah sie eine dunkle Gestalt, welche auf sie zugerannt und einen Moment später vor der Gruppe zum Stehen kam. Ein riesiger Stein fiel der jungen Frau vom Herzen, als sie Mika erkannte, die ihre Arme nach Luft ringend auf ihre Oberschenkel abgestützt hatte und erst einmal durchatmete. „Ich dachte schon dir ist etwas passiert.“, stürmte die Violetthaarige auf das Mädchen zu, woraufhin sie erstaunte und leicht erschrockene Blicke kassierte. Auch ihre Freundin sah sie überrascht und erschrocken an, doch richtete sich dann komplett auf und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, während sie erklärte, wieso sie zu spät kam: „Entschuldigt bitte. Ich habe die Zeit vergessen, während ich das Schulgelände beobachtet habe. Wisst ihr, vor dem Tor stehen zwei Shadows. Aber anders als bei Akisu sind es keine kleinen Fische. Ich fand das merkwürdig, allerdings haben sich die beiden bis zum Schluss keinen Millimeter bewegt.“ „Ich hab mir schon Sorgen gemacht.“, sagte Mirâ in einem nun ruhigeren Ton. „Tut mir leid.“, entschuldigend wandte die Kleine ihren Blick ab. Es war nicht ihre Absicht gewesen, ihren Freunden Sorge zu bereiten. Eine unangenehme Stille breitete sich daraufhin aus. Hiroshi trat an die beiden Mädchen heran und legte Mirâ eine Hand auf die Schulter: „Nun ist Mika ja da. Also keinen Grund mehr zur Sorge. Alles ist gut. Oder?“ Er blickte zur Blauhaarigen und zwinkerte ihr kurz mit einem Lächeln zu, bevor er sich an Mirâ wandte. Diese sah noch einmal kurz zu dem Mädchen, doch nickte dann ebenfalls mit einem kleinen Lächeln: „Ja. Alles gut.“ „Dann sollten wir langsam los.“, mischte sich Kuraiko ein, „Auf dem Weg kann uns Mika nochmal genau erklären, was das für Shadows sind, die sie beobachtet hat.“ „Beschäftigt dich etwas?“, hakte Masaru nach. Die Schwarzhaarige legte ihren Finger ans Kinn: „Ich weiß nicht, irgendwas ist doch daran faul. Oder meint ihr nicht? Wir wurden zwar bei Akisu von mehreren Shadows angegriffen, die vor deren Dungeon gelauert haben, aber sie war ein Idol. Und Shadows sind die geheimen Begierden der Menschen. Dass sie sich also vor dem Park getummelt haben, um Akisu zu sehen verstehe ich. Aber wieso sollten zwei Shadows vor der Schule stehen, wenn ein einfaches Mädchen darin ist? Versteht ihr was ich meine?“ „Du meinst, weil Megumi-chan eher unscheinbar ist. Oder?“, mischte sich nun auch Akane in das Gespräch ein, woraufhin sie ein Nicken als Antwort erhielt und nun ebenfalls nachdenklich den Finger ans Kinn legte, „Jetzt wo du es sagst. Ist ja nicht so, als würden ihr die Jungs in Scharen hinterherrennen… oder allgemein irgendwelche Leute.“ „Genau das. Wieso sollten also zwei Shadows vor der Schule stehen? Ich glaube kaum, dass sie sie beschützen wollen…“, meinte Kuraiko. „Du sagtest Shadows sind die Begierden der Menschen… vielleicht wünscht sich Megumi einen Beschützer?“, warf Akane in die Runde, kassierte dafür von der Schwarzhaarigen jedoch nur einen skeptischen Blick, was sie zusammenzucken ließ, „Ich meine ja nur. Solche Menschen gibt es immerhin…“ Hiroshi hatte das Gespräch bisher nur still mitverfolgt, doch währenddessen hatte er bereits ein ungutes Gefühl gehabt und sprach nun das aus, was ihm als erstes dazu in den Sinn kam: „Vielleicht wollen sie auch gar nicht verhindern, dass jemand IN den Dungeon geht, sondern dass ihn jemand wieder verlässt.“ „Du meinst, dass sie darauf achten, dass die Kleine nicht einfach fliehen kann?“, fragte Yasuo plötzlich und bekam als Antwort ein Nicken, „Gut möglich. Heißt jedoch nicht, dass wir sie nicht trotzdem bekämpfen müssen, um in die Schule zu kommen.“ „Wahrscheinlich…“, murmelte der Blonde, dessen ungutes Gefühl immer stärker wurde, je mehr er darüber nachdachte. Akane sah Hiroshi einen Moment besorgt an, doch versuchte dann wieder Elan zu verbreiten: „Worauf warten wir dann noch? Dann sollten wir uns darum kümmern.“ „Ja, lasst uns losgehen.“, sagte Masaru und setzte sich als erster in Bewegung, gefolgt von Kuraiko und Akane. Auch Hiroshi wollte sich daraufhin in Bewegung setzen, wurde jedoch kurz von Yasuo aufgehalten. „Du scheinst dich mit solchen Situationen auszukennen.“, meinte dieser ruhig. Der Blonde schwieg kurz: „Nur bedingt…“ Damit schien für ihn das Gespräch beendet, denn er setzte sich in Bewegung und folgte nun ebenfalls seinen Freunden. Zurück blieben Mirâ, Yasuo und Mika, welche ihm hinterhersahen. In dem Blick der Violetthaarigen spiegelte sich leichte Sorge, da sie wieder das Gefühl hatte, dass es etwas gab, worüber Hiroshi nicht reden wollte. Es war nicht das erste Mal, dass sie dieses Gefühl hatte, jedoch kam es meisten bei Gesprächen, an denen auch Shuya beteiligt war. „Ich glaube, da hab ich wohl nen wunden Punkt getroffen…“, holte Yasuo sie aus ihren Gedanken, welcher sich am Hinterkopf kratzte und den anderen daraufhin hinterhertrottete. „Wir sollten auch los, sonst verlieren wir den Anschluss.“, sagte Mika. Mirâ nickte und wollte sich in Bewegung setzen, als ihr plötzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Ruckartig blieb sie stehen und drehte sich um, woraufhin sie zurückschreckte, als sie wieder auf diesen schwarzen Schatten blickte. Zu erkennen war er nur durch seine roten Augen und die leicht rot schimmernde furchteinflößende Aura, welche bei ihr einen unangenehmen Schauer auslöste. Er sagte nichts, sondern schien sie nur aus der Ferne zu beobachten, doch das reichte, um die Violetthaarige wie gelähmt stehenzulassen. Plötzlich wurde sie an der Hand gepackt und von der Stelle gezogen. Erschrocken hatte sie ihren Blick wieder auf Mika gerichtet, welche sie sich gegriffen hatte und losgerannt war. Ihr Gesicht war so bleich, dass es die Oberschülerin sogar bei dieser Dunkelheit erkennen konnte. Dies verriet ihr, dass auch Mika das Wesen gesehen haben musste. Noch einmal blickte sie kurz zurück, während sie der Kleinen rennend folgte, jedoch war der Schatten nun verschwunden. Nur wenige Minuten später hatten die beiden Mädchen zu ihrer Gruppe aufgeschlossen und folgten dieser in einem normalen Tempo. Beide sprachen kein Wort, sondern liefen nur schweigend nebeneinander her, während sich jeder von ihnen seine Gedanken zu dem eben Erlebten machte. Mirâ war die erste, die nach einiger Zeit die Stille brach: "Du hast ihn auch gesehen, oder? Den Schatten meine ich..." Mika nickte, sagte jedoch nichts weiter dazu. "Ich frage mich, was das für ein Schatten ist. Und wieso nur wir beide ihn sehen können.", sprach die Oberschülerin weiter, "Irgendwie merkwürdig..." "Was ist merkwürdig?", ließ sie plötzlich Hiroshis Stimme aufschauen. Erschrocken blickte sie den Blonden an, der ebenso überrascht wirkte, als ihn ihr Blick traf. "Ähm...", begann die Violetthaarige, wusste jedoch nicht, wie sie weitersprechen sollte, während sie hoffte, dass er von dem Gespräch nicht mehr als das mitbekommen hatte. "Ich werde mal zu den anderen vorgehen.", sagte plötzlich Mika und schloss zum Rest der Gruppe weiter vorn auf. Überrascht sah Mirâ ihr nach, da sie mit dieser Reaktion absolut nicht gerechnet hatte. Irgendetwas war komisch. Jedenfalls empfand es die Oberschülerin so. Wirkte Mika nicht plötzlich etwas distanziert? Oder bildete sie sich das nur ein? Hatte sie etwas getan, was der Kleinen missfiel? So sehr sie es auch versuchte, ihr fiel keine Situation ein, in der sie die Blauhaarige hätte verärgern können. "Sag mal. Ist etwas passiert? Ihr beide saht irgendwie ziemlich blass aus.", fragte Hiroshi plötzlich nach und holte Mirâ damit zurück ins Hier und Jetzt, "Und sag mir nicht, dass du wieder mit der Sommerhitze zu kämpfen hast. Das glaube ich dir dieses Mal nämlich nicht." Ertappt zog die junge Frau kurz den Kopf ein, als sie die versteckte Schelte ihres Kumpels vernahm. Wie sie sich schon gedacht hatte, war ihr der junge Mann auf die Schliche gekommen und nahm ihr nicht ab, dass ihre Zusammenbrüche mit den Temperaturen einhergingen. Man konnte ihn einfach nicht täuschen. Jedoch wollte sie ihm noch nicht die Wahrheit sagen. Auch nicht in Bezug auf den merkwürdigen Schatten, der sie zu beobachten schien. So sehr es ihr auch leidtat, aber zuerst wollte sie sich der ganzen Sache sicher sein. Tief in ihrem Inneren wusste sie natürlich, dass dieses Problem wahrscheinlich einfacher gelöst werden würde, wenn sie sich ihren Freunden anvertraute. Trotzdem redete sie sich weiter ein, dass sie den Anderen diesbezüglich keine Sorgen bereiten wollte. Ein Seufzen neben ihr ließ sie wieder zu dem jungen Mann schauen, welcher sich nur im Nacken kratzte: "Ich zwinge dich nicht dazu, mit mir oder den anderen darüber zu sprechen. Ich bin sicher, dass du von selbst auf uns zukommen wirst, wenn du der Meinung bist, dass du darüber sprechen möchtest. Aber bitte versprich mir, dass du auf dich aufpasst. Ja?" "Ähm... J-ja.", stotternd wandte Mirâ den Blick ab, in der Hoffnung, dass ihrem Gegenüber die Röte in ihrem Gesicht nicht auffiel. "Na gut...", seufzte Hiroshi, während er seine Stimme senkte, "Themenwechsel... Die Sache mit dem Tempel gestern ist mir den Abend über nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Mich hat die ganze Zeit beschäftigt, wieso der Tempel abgerissen wurde. Also dieser Vorfall von dem mein Vater gesprochen hat. Deshalb habe ich mal etwas im Internet nachgeforscht." Überrascht starrte die Violetthaarige ihren Kumpel wieder an und wartete gespannt darauf zu erfahren, was genau er herausgefunden hatte. Der Blonde verschränkte die Arme vor der Brust und starrte in die Ferne, während er erklärte was seine Recherche ergab: "Während des Tsukinoyos vor sieben Jahren waren mehrere Kinder plötzlich spurlos verschwunden. Es hat wohl bis zum Morgengrauen gedauert, bis man sie wiedergefunden hatte." "U-und?", hakte Mirâ vorsichtig nach. Hiroshi sah sie wieder an und erzählte weiter: "Weißt du wo man sie gefunden hat? Im Inneren des Tsukiyama Tempels. Der Artikel war ziemlich ausführlich. Sie müssen wohl während des Festes irgendwie auf das Gelände gelangt und dabei durch den Boden im Haupthaus gebrochen sein. Kein Wunder also, dass man sie mehrere Stunden nicht gefunden hat. Dabei haben sie sich wohl verletzt. Eines der Kinder muss so schwer verletzt worden sein, dass es im Krankenhaus behandelt werden musste. Sein Zustand war laut Bericht sehr kritisch." „H-Hat das Kind den Unfall überlebt?“, fragte Mirâ erschrocken, doch der Blonde neben ihr schüttelte nur den Kopf und erklärte, dass er darüber nichts weiter gefunden hatte. Er konnte ihr diese Frage also nicht beantworten. Allerdings hatte er herausgefunden, dass der Stadtrat nach diesem Vorfall beschloss den Tempel abzureißen und das Gelände für den Bau eines neuen Einkaufszentrums zu nutzen. Das Einkaufszentrum, durch welches sie nun in die Spiegelwelt gelangten. Bedrückt ließ die Violetthaarige den Kopf sinken, während sich ein beklemmendes Gefühl in ihr ausbreitete. Ihr war so, als würde an der Situation etwas nicht stimmen. Ihr Blick ging zu Mika hinüber, welche sich mit Akane zu unterhalten schien, woraufhin das Gefühl stärker wurde. Konnte es sein? Bevor sie diesen Gedanken weiterführen konnte schrak die Oberschülerin plötzlich auf, als sie in die roten, etwas besorgten Augen der Blauhaarigen blickte. Jedoch dauerte dieser Augenkontakt nur einen winzigen Moment, denn kaum hatte Mika bemerkt, dass sich ihre Blicke trafen, wandte sie den ihren schon wieder ab. Irritiert legte die Ältere den Kopf schief, doch kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn Hiroshi erhob wieder seine Stimme: „Wir sollten die Sache langsam angehen, Mirâ.“ Überrascht sah Angesprochene zu dem Blonden, welcher jedoch unbeirrt weitersprach: „Wenn wir gemeinsam darüber nachdenken, dann werden wir ganz sicher nach und nach alles aufdecken. Wir sollten es nur nicht überstürzen. Nicht das wir uns am Ende noch verrennen. Oder was meinst du?“ Ein Lächeln traf sie, welches ihr wieder einmal eine leichte Röte ins Gesicht schießen ließ, sie aber auch dazu verleitete ebenfalls zu Lächeln. Zustimmend nickte sie dem jungen Mann zu und war froh, ihn als Unterstützung an ihrer Seite zu wissen. Nach einiger Zeit erreichten sie endlich die Jūgôya Highschool, deren Tor zum Innenhof sperrangelweit offen stand und somit schon beinahe zum Eintreten einlud. Wären da nicht die beiden riesigen Shadows gewesen, welche vor eben diesem Wache hielten und die man trotz des schwachen Lichtes ziemlich gut erkennen konnte. Beide waren wesentlich höher als die Mauer, welche das Schulgelände umgab und sehr gedrungen. Sie standen auf jeweils zwei pfahlähnlichen Beinen, während sich um ihren dicken Körper eine Art Weg nach oben schlängelte und in einer Burg endete. Aus dessen Mitte erstreckte sich ein kräftiger Hals, welcher in einem ebenso kräftigen Kopf endete, auf dessen Stirn eine violette kronenähnliche Maske saß. Beide Gegner bewegten sich nicht. Sie wirkten wie zwei Statuen, sodass man nicht sagen konnte, ob sie ihre Umgebung beobachteten oder nicht. „Das sind sie also…“, murmelte Masaru, während die Gruppe die beiden von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachteten. Mika nickte: „Ja. Keine Ahnung, was sie dort machen, aber seit ich sie beobachte haben sie sich nicht bewegt.“ „Es scheint aber wirklich so, als wollten sie niemanden hineinlassen… oder auch hinaus.“, sagte nun auch Mirâ. „Worauf warten wir dann noch? Lasst sie uns aus dem Weg räumen und dann nach Megumi-chan suchen!“, rief Akane und stürmte ohne Weiteres vor. „Hey!“, noch im letzten Moment hatte Kuraiko versucht nach der Brünetten zu greifen, jedoch ohne Erfolg, „Urgh! Die macht mich fertig!“ „So ein Hitzkopf!“, schimpfte Hiroshi, während er seiner Sandkastenfreundin folgte. Diese hatte die beiden Shadows mittlerweile erreicht und ohne weiter darüber nachzudenken ihre Persona gerufen, mit welcher sie einen Angriff deklarierte. Wadjet erhob sich in die Luft und visierte einen der Gegner an, den sie mit einem gekonnten Tritt angriff. Doch genau in diesem Moment bildete sich um diesen eine Barriere, welche die Attacke reflektierte und die rothaarige Persona an ein gegenüberliegendes Haus schleuderte. Diese löste sich in blauem Nebel auf und ließ Akane mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammensacken. Im selben Moment leuchtete um den anderen Shadow ein blaues Licht, welches daraufhin wies, dass auch dieser nun in den Angriff überging. Ein lautes Donnern ließ die Brünette aufschauen und ihr jegliche Farbe aus dem Gesicht weichen, als sich über ihr eine blitzende Kugel bildete, welche einen Moment später auf sie herabging. Verzweifelt schloss die junge Frau die Augen und ärgerte sich bereits darüber wieder so ungestüm gewesen zu sein, den vermeintlichen Schmerz abwartend. Doch dieser blieb aus. Überrascht hob sie vorsichtig den Blick und erkannte Yasuos Persona Geb vor sich, welche als Schild diente und die Elektroattacke abfing. „Ist alles in Ordnung?“, einen Moment später kam Hiroshi neben ihr zum Stehen. „J-ja.“, nickte Angesprochene nur erleichtert. „Du verdammter Hitzkopf! Kannst du nicht einmal erst deinen Kopf benutzen?“, schimpfte der Blonde und half seiner Freundin auf, bevor er seine Persona rief und diese ebenfalls mit Mazioga angreifen ließ. Als die Blitze jedoch auf die beiden Gegner trafen passierte nichts. Viel mehr wirkte es, als seien die Gegner dadurch noch stärker geworden. „Was zum…!?“, vor den beiden Oberschülern bildete sich ein Eiskristall, welcher den Blonden dazu verleitete Akane mit sich zu ziehen. Einen Moment später zersplitterte ein riesiger Eisblock an eben jener Stelle, welcher die Brünette definitiv hart getroffen hätte. „D-danke.“, murmelte die junge Frau, als ihr Kumpel sie wieder losließ. Dieser seufzte: „Schon gut. Aber hör auf solchen Schwachsinn zu machen.“ Angesprochene nickte, während auch der Rest der Gruppe zu ihnen stieß und sich nach ihrem Befinden erkundigte. Einzig und alleine Kuraiko hatte mal wieder etwas zu meckern, jedoch war der Brünetten bewusst, dass sie das zu Recht konnte. „Danke für die Hilfe, Senpai.“, bedankte sich Akane auch noch bei Yasuo, welcher jedoch nur nickte, „Und es tut mir leid. Ich war wohl zu impulsiv.“ „Lässt sich jetzt nicht ändern. Ein Kampf war eh unausweichlich.“, sagte Masaru und stürmte kurz darauf auf die beiden Gegner zu. Er zog sein Schwert und versuchte damit Schaden zu verursachen, doch auch diese Attacke prallte an den Gegnern nur ab und ließ den Schwarzhaarigen wieder zurückweichen. „Physische Angriffe scheinen nichts zu bewirken.“, stellte er daraufhin fest. „Dann probieren wir es eben hiermit.“, rief Kuraiko und zückte ihr Handy, „Kadej, Mudo!“ Kadej erschien auf der Bildfläche und schwang ihre Peitsche, woraufhin sich um einen der Gegner eine dunkle Aura bildete, welche diesen kurz darauf zu verschlingen drohte. Doch kurz bevor der Angriff Wirkung zeigen konnte erschien erneut die Barriere. Einen Moment später bildete sich um die Schwarzhaarige der dunkle Nebel, der ihr jedoch nichts anhaben konnte, da ihre Persona ihr Dunkelheit gegenüber Immunität bot. „Kche… selbst das hat er reflektiert.“, knirschte die junge Frau mit den Zähnen. Auch die anderen Gruppenmitglieder versuchten ihr Glück mit ihren jeweiligen Angriffen, doch es war immer das gleiche Ergebnis. Immer wieder wurden die Angriffe auf sie zurückgeworfen und jedes Mal hatten sie Glück, dass ihre Persona den jeweiligen Angriff wieder abschmettern konnte. „Das ist doch unfair. Wie soll man die denn besiegen, wenn die alle Angriffe zurückschleudern.“, schimpfte Akane verzweifelt, „Wenn wir sie nicht besiegen, dann können wir doch Megumi-chan nicht suchen.“ Besorgt blickte Mirâ auf die beiden Gegner vor sich und musste feststellen, dass ihre beste Freundin recht hatte. So konnten sie ihre Gegner nicht besiegen und auch nicht in das Schulgebäude gelangen. Doch auch weiter angreifen hielt sie hier für unsinnig, denn so verbrauchten sie sinnlos ihre Kraft, die sie später mit Sicherheit noch gebrauchen würden. Also entschloss sich die Violetthaarige schweren Herzens zu der einzig noch möglichen Option: Rückzug. Es schmeckte ihr nicht, aber eine andere Wahl blieb ihnen aktuell nicht. Sie mussten sich zurückziehen und noch einmal über die Situation beraten. Vielleicht würde ihnen dann eine Idee kommen, wie sie die beiden Shadows aus dem Weg räumen konnten. So schluckte sie noch einmal und gab dann ihre Entscheidung der Gruppe bekannt: „So hat das keinen Sinn. Treten wir erst einmal den Rückzug an und beraten uns noch mal. Solange wie diese Shadows unsere Angriffe reflektieren können wir nicht gewinnen. Vielleicht fällt uns ja etwas ein, wie wir sie besiegen können.“ Ihre Stimme bebte, aber sie versuchte nach außen hin ruhig zu bleiben. Innerlich jedoch war sie extrem aufgewühlt und wütend. Darüber, dass sie ihre Freundin in diesem Zustand nicht retten konnten. Wütend darüber, dass sie machtlos waren. Jedoch half es nichts. Es gab keinen anderen Weg. Erstaunt sahen ihre Teamkameraden sie an, doch stimmten dann zu, sodass sie sich alle geschlossen zurückzogen. Da sich beide Shadows nicht weiter rührten war der Rückzug kein großes Problem, sodass die Gruppe einige Minuten später einen guten Abstand zum Schulgelände eingenommen hatte. Noch einmal blickte Mirâ hinüber zum Schulgelände auf die beiden Wesen, welche jedoch nun wieder still verharrten. Diese Situation erinnerte sie an das Tor zu Akisus Dungeon, welcher sie auch nur mit einem Schlüssel hereingelassen hatte, weshalb der jungen Frau eine Idee kam. „Vielleicht müssen wir einen Schlüssel finden.“, sagte sie ohne jegliche Vorwarnung, weshalb sie irritierte Blicke trafen, „Naja… ich meine so wie bei Akisu mit dem Anhänger. Vielleicht müssen wir einen Schlüssel finden, der uns die Schwachstelle der beiden Shadows verrät.“ „Du meinst, wir müssen den Grund finden, wieso sie vor dem Tor stehen und niemanden hineinlassen?“, fragte Masaru, woraufhin die junge Frau nickte, „Klingt einleuchtend.“ Noch immer ruhte ihr Blick auf dem Schulgelände der Jūgôya, als sie plötzlich zusammenzuckte, während ihr wieder ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Vor den beiden Shadows erkannte sie zwei tiefrote Augen, welche wirkten, als würden sie grinsen. Sie wusste sofort, dass es sich dabei um den Schatten handelte, welcher sie verfolgte. Zudem vernahm sie ein tiefes Lachen, welches ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. „Lasst uns erst einmal zurückkehren und uns dann noch einmal besprechen.“, versuchte sie so ruhig wie möglich zu sagen. Sie wollte so schnell wie möglich hier weg. Dieser Schatten machte ihr Angst. Und noch mehr Angst machte ihr, dass niemand außer ihr und Mika ihn sehen konnte. Jedoch wollte sie das ihren Freunden nicht zeigen, immerhin würden diese sich sonst noch Sorgen machen. Aus diesem Grund versuchte sie sich nicht zu viel anmerken zu lassen, lief jedoch, ohne auf eine Antwort zu warten, schnurstracks in Richtung des Einkaufszentrums zurück. Mit Sicherheit kam das ihren Freunden merkwürdig vor, jedoch schien jeder es erst einmal so hinzunehmen und ihr zu folgen. Als Mirâ später am Abend auf ihren Futon fiel, fühlte sie sich völlig ausgelaugt. Ihr Kopf dröhnte und ihre Augenlider waren schwer. So dauerte es nicht einmal einen Wimpernschlag und sie fiel in einen unruhigen Schlaf. „…ira…“, hörte sie eine Stimme nach ihr rufen. Anfangs noch sehr dumpf, als würde sich eine Schicht Wasser zwischen ihnen befinden, doch nach und nach wurde sie klarer. Angestrengt versuchte sie zu erkennen, wem diese Stimme gehörte, doch je klarer diese wurde, desto verzerrter klang sie, sodass sie keinen Rückschluss darauf schließen konnten. „Mirâ!“, ließ sie die verzerrte Stimme aufschrecken und sich umdrehen, woraufhin sie auf eine Person blickte. Doch auch diese war nicht zu erkennen. Obwohl ihre Umgebung, welche aus Bäumen und Sträuchern bestand, klar erkennbar war, so war derjenige genau vor ihr vollkommen verschwommen. Sie konnte nicht einmal sagen, ob es sich dabei um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Eine Hand griff nach der ihren: „Was ist los? Komm, lass uns von hier verschwinden. Hier ist es gefährlich. Und wir bekommen noch Ärger.“ Ihr Gegenüber zog vorsichtig an ihr, doch sie blieb wie angewurzelt stehen. Plötzlich spürte sie einen Hauch in ihrem Nacken, welcher sie leicht frösteln und umdrehen ließ. Daraufhin blickte sie auf ein altes zerfallenes Gebäude. Obwohl sie ein ungutes Gefühl beim Anblick dieser bizarren Umgebung hatte, so kam der Drang in ihr auf, dieses Gebäude zu betreten. Es kam ihr so vor, als würde sie jemand rufen und ihr Körper würde automatisch darauf reagieren. Deshalb ignorierte sie auch weitere Warnungen der Person hinter sich und betrat das vor ihr liegende Gebäude. Die morschen Holzdielen unter ihren Füßen knarzen bedrohlich, als würden sie jeden Moment nachgeben. Doch glücklicherweise hielten sie. Sie hörte noch, wie ihre Begleitung ihr schimpfend folgte, ignorierte jedoch weitere Worte dessen und lief immer weiter in das alte Gebäude, in welchem ein heilloses Chaos herrschte. Hier hatte schon seit vielen Jahren niemand mehr gewohnt. Hier und da wuchsen bereits Pflanzen aus dem Boden durch das Holz hindurch und holten sich zurück, was ihnen einst genommen wurde. Immer tiefer ging es hinein und Mirâ hatte das Gefühl, als würde dieses Haus unendlich groß sein. Dann betrat sie einen großen leeren Raum. In diesem stand nichts weiter als ein alter Standspiegel. Seine große Glasfläche war einmal diagonal gerissen, sodass der gespiegelte Raum darin wie geteilt wirkte. Erneut wurde sie am Handgelenk gepackt und leicht zurückgezogen, woraufhin sie sich umdrehte und wieder auf die verschwommene Person blickte. „Schluss jetzt! Lass uns verschwinden. Hier stimmt etwas nicht.“, schimpfte diese und versuchte sie aus dem Raum zu zerren, doch Mirâ blieb standhaft. Vielmehr verursachte diese Aktion, dass sie wütend wurde. Sie wollte nicht auf diese Person hören, sondern endlich mal das tun, was sie wollte. Erneut spürte sie einen kalten Hauch im Nacken, welcher ihr dieses Mal jedoch eine unangenehme Gänsehaut verursachte und ihre Nackenhaare aufstellen ließ. Plötzlich erstarrte sie, als sie auch eine mörderische Absicht spürte, die sich genau hinter ihr zu versammeln schien. Ein unheimliches Lachen ertönte. Eigentlich wollte sie sich nicht umdrehen, um nachzusehen, um was es sich dabei handelt, doch ihr Körper reagierte von alleine. So dauerte es nicht einmal einen Wimpernschlag, bis Mirâ plötzlich auf einen dunklen Schatten blickte, der von einer roten Aura umgeben war und sie mit seinen stechend roten Augen beobachtete. Das Lachen wurde lauter und… Mit einem Ruck saß Mirâ aufrecht in ihrem Futon. Kalter Schweiß rann ihr die Stirn hinunter, während ihr Puls raste. Nur langsam wurde ihr Bewusst, dass sie nur geträumt hatte, woraufhin sie sich vorsichtig umsah. Sie war wieder in ihrem dunklen Zimmer und das Gefühl von drohender Gefahr war verschwunden. Ein Blick auf ihre Digitaluhr verriet ihr, dass es bereits nach Mitternacht war. Sie setzte sich zurück und atmete erst einmal durch, um sich wieder zu beruhigen. Nur langsam reduzierte sich ihr Herzschlag wieder auf ein normales Niveau und ließ auch den Puls wieder sinken und sie merkte, wie die Anspannung in ihren Muskeln langsam nachließ. Vorsichtig wischte sie sich einige Schweißperlen von der Stirn und blickte dabei an sich herunter, wobei ihr auffiel, dass sie noch immer ihre Ausgangssachen anhatte. Sie musste direkt eingeschlafen sein, als sie nachhause gekommen war. Zum Baden jedoch war es nun definitiv zu spät, weshalb sie sich entschloss sich nur umzuziehen. Nachdem sie wieder in ihrem Futon lag dachte die junge Frau noch einmal über ihren Traum nach. Die Erinnerungen daran waren mittlerweile nur noch schwach, aber an diese mörderische Aura konnte sie sich genau erinnern. Es war die gleiche, die sie auch spürte, wenn der Schatten in der Spiegelwelt auftauchte. Jedoch war die, welche sie im Traum gespürt hatte, um ein Vielfaches größer gewesen. Sie spürte wie ihr Puls allein bei dem Gedanken daran wieder begann in die Höhe zu steigen und schloss kurz die Augen, um sich wieder zu beruhigen. Was für ein merkwürdiger Traum. Was hatte das nur zu bedeuten? War es nur ein Traum gewesen oder hatte es eine tiefere Bedeutung? Und wer war die Person, die vehement versucht hat sie aus dieser gefährlichen Situation zu ziehen? So viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf und brachten ihn zum Dröhnen, weshalb sich die junge Frau murrend umdrehte, an die Wand starrte und versuchte an nichts mehr zu denken. Doch in diesem Moment spürte sie bereits, wie ihre Augenlider erneut schwer wurden und kurz darauf war sie bereits wieder eingeschlafen. Kapitel 75: LXXV – Freundschaftsbande ------------------------------------- Dienstag, 01.September 2015 Seufzend lugte Akane unter ihrem schwarzen Schirm hervor in den verregneten grauen Himmel. Am Morgen hatte es erneut angefangen zu regnen und wieder schien kein Ende in Sicht. Auch der Wetterbericht machte keine wirklichen Hoffnungen; besagte dieser doch, dass es auch die nächsten Tage immer wieder zu mäßigen bis starken Regenfällen kommen würde. Rückblickend hatten sie also mächtiges Glück, dass sie während ihrer Sommerferien so schönes Wetter hatten. Nun waren diese jedoch fast wieder vorbei. Die Brünette wandte ihren Blick von dem Grau ab und blickte auf ein goldenes Schild, welches an einem steinernen Pfeiler neben ihr befestigt war. „Jugoya Private High School“ stand in filigranen eingravierten Zeichen darauf geschrieben. Sie zog eine Augenbraue in die Höhe, während sie sich selbst als bekloppt abstempelte. Kurz überlegte die junge Frau, wann sie das letzte Mal während der Ferien in der Schule war, doch konnte sich nicht erinnern. Vielleicht in der Mittelschule, als sich ihr damaliger Judo-Klub auf die Mittelschulmeisterschaften vorbereitet hatte, aber sicher war sie sich nicht. Unter normalen Umständen wäre sie wohl auch niemals hergekommen. Aber es herrschten aktuell keine normalen Umstände und deshalb stand sie heute hier, vor dem Tor der Schule und das mehr oder weniger freiwillig. Akane richtete ihren Blick auf die Straße vor sich und ließ ihre Gedanken weiter schweifen. Nachdem die Gruppe am Vorabend nicht an den beiden Shadows vorbeigekommen war, hatten sie sich noch einmal in ihrem Chat darüber beraten. Mirâ war der Meinung, dass es einen Schlüssel geben musste, mit dem sie die Gegner besiegen konnten und diesen fanden sie wahrscheinlich nur mit Informationen. Um genau diese einzuholen war sie nun hier, mehr oder weniger freiwillig. Nach einiger Diskussion, dass sie nicht alle zusammen hier aufkreuzen konnten, da es zu auffällig wäre, war die Entscheidung auf sie und Hiroshi gefallen. Immerhin konnten sie notfalls immer noch vorschieben, etwas für Ihre Klubs erledigen zu wollen. Zudem hatten die beiden an diesem Tag nichts Besseres zu tun. Ein erneutes Seufzen entwich der jungen Frau, während sie zwei Personen auf sich zukommen sah, die sich zu unterhalten schienen. Der eine recht groß und mit auffälligen blonden, nackenlangen Haaren und der zweite etwas Kleinere, mit blau-violetten, welligen und schulterlangen Haaren. Sie lachten und schienen Spaß zu haben, obwohl Akane selbst die aktuelle Situation alles andere als witzig fand. Bei den beiden Herren handelte es sich um Hiroshi und Shuya, welche nun beinahe bei ihr angekommen waren. Nachdem bekannt war, dass sie gemeinsam mit ihrem Sandkastenfreund nach Informationen suchen sollte, hatte sich auch Shuya mit eingeklinkt. Anfangs war sie eigentlich dagegen gewesen und sie dachte, dass es auch Hiroshi war, doch dieser erklärte ihr, dass es gar keine schlechte Idee wäre. Dabei meinte er, dass sein Kumpel viele Kontakte hätte, weil er einfach mit fast allen super auskam. So würden sie vielleicht eher an Informationen kommen. Akane beobachtete die beiden jungen Männer, während sich in ihrem Hals ein dicker Kloß bildete. Sie schluckte und versuchte so das störende Etwas zu entfernen, doch es half nichts. In ihrem Inneren regte sich etwas und ihr gefiel dieses Gefühl überhaupt nicht. Sie wusste was es war: Eifersucht. Ja, sie war eifersüchtig auf Shuya. Weil dessen Freundschaft zu Hiroshi mittlerweile tiefer ging, als ihre. Ihr war bewusst, dass ihre Freundschaften nach der Trennung in der Mittelstufe und dem holprigen Anfang in der Oberstufe nie wieder so ein würde, wie in ihrer Kindheit. Sie wusste auch, dass sich ihr bester Kumpel verändert hatte und nicht mehr der war, den sie von früher kannte – und das war auch gut so. Trotzdem wurde sie wehmütig, als sie die beiden so sah und dabei an ihre Kindheit denken musste. Damals hatten sie und Hiroshi fast nur aufeinander gehockt. Sie hatten sich blind verstanden und waren für einander da gewesen. Oder besser... „Yo, Chiyo. Hast du lange warten müssen?“, holte sie Shuyas Stimme aus den Gedanken. Sie schrak auf und brauchte einen Moment, um wieder ins Hier und Jetzt zu kommen, doch lächelte dann: „N-Nein. Grüßt euch Jungs.“ „Ist alles in Ordnung, Akane? Du siehst irgendwie blass aus.“, hakte Hiroshi nach. „Nein. Alles gut. Wir sollten nicht so viel Zeit verplempern und gleich anfangen. Wie gehen wir vor?“, winkte die Brünette ab. Der blonde junge Mann legte den Kopf leicht schief und zog eine Augenbraue nach oben, doch beließ es erst einmal dabei: „Shuya und ich haben uns soweit abgesprochen, dass wir einfach einige Schüler befragen, ob sie etwas gesehen haben. Wir sollten uns nur noch einig werden, wie wir uns aufteilen. Es wäre merkwürdig, wenn zwei Schüler unabhängig voneinander die gleiche Frage zu einer Schülerin stellen.“ Akane nickte. Das klang einleuchtend, obwohl sie sich nicht sicher war, ob es nicht auch merkwürdig rüberkommen würde, wenn sie so herumschnüffelten. Andererseits hatten sie aber auch keine andere Wahl. So unangenehm es auch sein möge. So besprachen die drei Oberschüler ihr nächstes Vorgehen. Shuya wollte sich die Sportklubs vornehmen, was für Hiroshi am einleuchtendsten war. Da er immer mal hier und dort aushalf hatte er einen guten Draht zu den meisten Sportklubs, weshalb es für ihn kein Problem darstellen sollte ein paar Informationen zu ergattern. Akane und Hiroshi übernahmen das Schulgebäude. Der blonde junge Mann wollte sich in den Räumlichkeiten der anderen Klubs umsehen, während sich Akane die Klassenräume vornehmen sollte. So teilten sie sich auf, in der Hoffnung etwas herauszufinden. Nach gut einer Stunde hatte Akane die kompletten Räumlichkeiten abgesucht und mit mehreren Schülern gesprochen, die ihr zufällig über den Weg gelaufen waren. Viel hatte sie jedoch nicht herausgefunden. Die meisten Schüler hatten sie nur merkwürdig angeschaut und sie gefragt, ob sie noch ganz bei Trost sei. Andere hatten einfach nichts gesehen oder waren zufällig nur heute anwesend. „Im Großen und Ganzen also ein totaler Reinfall.“, dachte sich die junge Frau und seufzte, während sie sich an die Wand des Eingangsbereiches lehnte, „Ob die Jungs mehr Glück hatten?“ Sie starrte auf die unzähligen Regale, in welchem die Schüler der Jugoya ihre Schuhe aufbewahrten, ohne diese jedoch wirklich zu registrieren. Dabei war sie so in Gedanken versunken, dass sie die Person, welche sich ihr von der Seite näherte, gar nicht bemerkte. „Das ist ja eine Überraschung. Was machst du denn hier Chiyo?“, ließ sie plötzlich eine männliche Stimme aus ihren Gedanken fahren. Erschrocken machte sie einen Satz zur Seite und schaute auf den jungen Mann neben sich, welcher sie nur freundlich anlächelte und die Hand hob. Er hatte mittelbraune etwas längere Haare, welche er mit einem breiten Stoffband davon abhielt in sein Gesicht zu fallen. Seine grünen Augen strahlten freundlich unter der schmalen Brille hervor und stachen durch seine etwas dunklere Haut mächtig hervor. Kurz überlegte Akane seit wann ihr Gegenüber eine Brille trug, doch schüttelte dann gedanklich den Kopf, während sich ihr Blick verfinsterte. Eigentlich konnte es ihr egal sein, denn mit diesem Typen wollte sie nichts zu tun haben. Der Name des jungen Mannes war Naoto Obata und er ging in eine ihrer Parallelklassen. In welche wusste sie nicht und es war ihr auch vollkommen egal, denn seit der Mittelschule konnte sie diesen aufgeblasenen Affen nicht leiden. Ständig waren sie aneinandergeraten und hatten sich einige Male beinahe geprügelt. Es war für sie eine sehr anstrengende und nervenaufreibende Zeit gewesen. Sicher, er war damals nicht alleine und wahrscheinlich eher ein Mitläufer, aber das macht die Sache trotzdem nicht besser. Sie jedenfalls hatte entschieden, dass sie ihn nicht leiden konnte und auch niemals mit ihm auskommen würde. Ruckartig drehte sie sich um: „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ Naoto seufzte mit einem kleinen Lächeln: „Du nimmst mir das immer noch krumm. Oder?“ „Als wüsstest du nicht genau, wieso.“, meinte die junge Frau nur knurrend. Sie hörte ein erneutes Seufzen und hatte das Gefühl, dass der Brünette zu einer Erwiderung ansetzte, allerdings wurde er kurz vorher unterbrochen. „Nao. Du hier?“ Überrascht riss Akane die Augen auf, als sie Hiroshis Stimme vernahm, welche den Namen dieses Idioten so vertraut, ja sogar als Spitznamen, aussprach. Ruckartig drehte sie sich um und sah ihren Kumpel mit großen Augen an, als dieser sich zu der kleinen Gruppe gesellte und den Braunhaarigen mit einem freundschaftlichen Handschlag begrüßte. Dann blickte auch er die junge Frau mit einem leicht überraschten Gesicht an. Anscheinend hatte er sie erst jetzt richtig bemerkt. „Echt jetzt?“, war das einzige, was sie zu Hiroshi sagte, „Du hast echt nen Knall! Ich glaubs nicht!“ Mit diesen Worten ließ sie die beiden Jungs einfach so stehen und verließ das Schulgebäude. Hiroshi sah ihr besorgt hinterher, bis er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Erst dann wandte er den Blick zur Seite und in die grünen Augen seines Gegenübers. „Sorry, ich wollte nicht, dass sie jetzt sauer auf dich ist, Hiro.“, versuchte Nao sich zu entschuldigen. Der Blonde jedoch schüttelte nur den Kopf und schenkte seinem Kumpel ein Lächeln: „Sie beruhigt sich schon wieder. Ich werde es ihr bei Gelegenheit erklären. Was machst du hier?“ Der Brünette lachte: „Eigentlich müsste ich das DICH fragen. Du hast die letzten Jahre doch tunlichst Abstand davon genommen in den Sommerferien hier aufzutauchen. Aber egal. Ich war zur Orchesterprobe.“ Der junge Mann hob den Koffer, welchen er in seiner Hand hielt und sprach weiter: „Zum Schulfest sollen wir mehrere Stücke aufführen, deshalb proben wir fleißig. Während der Ferien haben wir hier einfach mehr Ruhe.“ Erst jetzt fiel Hiroshi der schwarze Koffer auf, in welchem sich ein Saxophon befand. Soweit er wusste, hatte sein Kumpel das Instrument zum Eintritt in die Mittelstufe von seiner Mutter geschenkt bekommen. Diese hatte damals wohl ein kleines Vermögen dafür bezahlt, obwohl sie selber nur knapp über die Runden kamen. Aus diesem Grund, so hatte Nao ihm einmal erzählt, spielte er im Schulorchester. Er wollte seiner Mutter damit eine Freude machen, denn sonst hätte er nie damit angefangen. Ein wenig beneidete Hiroshi seinen Kumpel für seine aufopferungsvolle Mutter. Er selbst hatte sie als sehr nette und zuvorkommende Frau erlebt, die für ihren Sohn alles machen würde. Von solch einer Mutter konnte er selbst nur träumen. „Ich verstehe.“, nickte der junge Mann mit einem Lächeln, „Da bin ich ja mal auf euren Auftritt gespannt.“ Naoto grinste: „Das kannst du. Aber jetzt zu dir. Was machst du eigentlich hier? Wegen des Fußballklubs wird es nicht sein. Jedenfalls ist mir nichts bekannt.“ Ertappt kratzte sich Hiroshi im Nacken und überlegte, wie er die Sache seinem Kumpel plausibel erklärte. Es reichte, dass Shuya bereits in der Sache mit drinsteckte. Nao wollte er da ganz heraushalten. Er blickte sich etwas unschlüssig um, da ihm keine wirklich gute Ausrede einfallen wollte. Dabei fiel sein Blick auf den offenen Eingang des Schulgebäudes. Der Regen hatte mittlerweile eine Pause eingelegt, sodass er sofort den jungen Mann mit den blau-violetten Haaren erkannte, welcher am Schultor stand und mit einem Erwachsenen redete. Plötzlich wich ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht, als er erkannte mit welcher Person sich Shuya da unterhielt. Es war der Kommissar, welcher die Gruppe um Mirâ schon länger auf dem Schirm hatte. Mit verschränkten Armen stand er vor dem Oberschüler, welcher mit den Händen gestikulierend etwas erklärte. „Verdammt. Entschuldige mich, Nao.“, ohne eine Antwort seines Kumpels abzuwarten, war Hiroshi bereits aus dem Schulgebäude in Richtung Tor gerannt. „Ich versteh nicht, was Sie von mir wollen.“, sagte Shuya etwas genervt, „Es wird ja wohl erlaubt sein, in die Schule zu gehen und etwas für seinen Klub zu erledigen. Oder? Dafür ist die Schule immerhin jetzt schon geöffnet worden.“ Seit einer gefühlten Ewigkeit versuchte er nun schon diesen Kommissar abzuschütteln, jedoch ohne Erfolg. Nachdem er sich in den Sportklubs umgesehen hatte, wollte er zurück zum Eingangsbereich gehen, wo sich die drei Oberschüler verabredet hatten, um über ihre Ergebnisse zu sprechen. Dabei war ihm allerdings aufgefallen, dass er beobachtet wurde. Wie sich nun herausstellte von Tatsuya Suou, dem Kommissar, welcher sich um die Fälle mit den verschwundenen Schülern kümmerte und der ihn auch befragt hatte, nachdem er Akisu „gefunden“ hatte. Seitdem hatte ihn der Kommissar auf dem Schirm. Das wusste er und sein Kumpel hatte ihn diesbezüglich auch gewarnt, trotzdem war es lästig, auch wenn er wusste, dass er sich selber in diese Lage katapultiert hatte. Kurz bevor er es geschafft hatte das Schulgebäude zu betreten, wurde er von dem Polizisten aufgehalten und gefragt, was er hier zu suchen hatte. „Shuyan was ist los?“, hörte er plötzlich die Stimme seines besten Kumpels, woraufhin er sich umdrehte. Auch der Kommissar hob den Blick und sah zu dem blonden Oberschüler: „Na welch ein Zufall aber auch...“ Shuya sah wieder zu dem älteren Mann, während sein Blick böse wurde: „Was soll dieser Kommentar? Wir sind beide im Fußballklub und haben hier was zu erledigen. Ich sagte Ihnen das letzte Mal bereits, dass ich keine Ahnung habe, was sie von mir wollen.“ Der Kommissar hob eine Augenbraue: „Du würdest es also nicht merkwürdig finden, wenn derjenige, der das Idol gefunden hat, zufällig auch noch mit der Gruppe befreundet ist, deren Mitglieder fast alle als vermisst galten und wie durch ein Wunder wiederaufgetaucht sind?“ „Wir haben Ihnen bereits gesagt, dass wir nichts wissen.“, mischte sich Hiroshi nun ein, „Wir kennen uns eben alle. Lassen Sie uns endlich in Ruhe, ansonsten werde ich mich bei ihrer Dienststelle beschweren.“ Ein kaum wahrnehmbares Grinsen zierte das Gesicht des Erwachsenen, welches die beiden Oberschüler fragen sollte, was sie schon ausrichten konnten. Immerhin waren sie es, die verdächtig waren. Natürlich wussten das die beiden, jedoch versuchten sie sich das nicht anmerken zu lassen. „Grinsen Sie nicht so. Hiros Vater ist Anwalt und ein ziemlich guter mit Kontakten. Sie sind schneller Ihren Job los, als ihnen lieb ist.“, meinte Shuya nur. Nur schwer konnte Hiroshi einen verwunderten Blick unterdrücken und sah den Kommissar weiterhin ernst an. Dieser schien nun doch etwas erstaunt und hob einen Moment später beschwichtigend die Hände: „Schon gut.“ „Hey Jungs. Ist alles in Ordnung? Beeilt euch, sonst wird der Kapitän wieder sauer, dass ihr zu spät kommt“, ließ ihn die Stimme eines weiteren jungen Mannes aufblicken, welcher auf die Kleingruppe zukam. „Entschuldigen Sie uns jetzt. Wir müssen zu einer Klubbesprechung.“, meinte Shuya letztendlich und ging an Tatsuya vorbei. Hiroshi und Nao folgten ihm, während sie aufmerksam von dem Braunhaarigen beobachtet wurden. „Na dann viel Spaß. Im Übrigen, Ich wusste gar nicht, dass man beim Fußball ein Instrument braucht.“, mit diesen Worten hatte Tatsuya sich umgedreht und die drei jungen Männer etwas überrumpelt zurückgelassen. „Komischer Kauz. Wer war das? Habt ihr was angestellt, dass ihr Probleme mit der Polizei habt?“, hakte Nao nach, nachdem der Kommissar außer Sichtweite war. Überrascht sah er seine Kumpels an, welche erst einmal tief durchatmen mussten. „Musstest du mit meinem Vater so übertreiben?“, fragte Hiroshi anschließend, ohne auf Naotos Frage einzugehen. Verlegten kratzte sich Shuya an Hinterkopf und lachte: „Sorry...“ Mit einem Brummen ließ der Blonde seinen Kopf sinken: „Oh man...“ Ein Räuspern ließ ihn aufschauen und in diesem Moment schien er erst wieder zu bemerken, dass Naoto neben ihnen stand. Dieser beobachtete seine beiden Kumpels genau. Eine Augenbraue in die Höhe gezogen, wartete er auf eine Reaktion. Ertappt schlucken die beiden jungen Männer und überlegten, wie sie das dem Braunhaarigen erklären sollten. „Ich werde nicht weiter nachfragen, was hier los ist. Wahrscheinlich hat das irgendwas mit Shingetsu zu tun, um die ihr beide und auch andere neuerdings herumschwänzelt. Es würde mich zwar interessieren, aber euren Blicken und der Reaktion des Polizisten zu Folge, ist es wohl besser wenn ichs nicht weiß. Deshalb misch ich mich da nicht ein.“, seufzte dieser einen Moment später jedoch nur und sah seine Freunde dann wieder ernst an, „Aber egal worin ihr da verstrickt seid, passt bitte auf euch auf.“ Erleichtert atmeten die Angesprochenen auf und nickten dann mit einem Lächeln. „Gut. Steht bei euch jetzt noch was an?“, fragte Nao anschließend. Fragend sahen die beiden erst ihn und dann sich gegenseitig an. „Naja eigentlich...“, begann Hiroshi. „Wo ist eigentlich Chiyo?“, fragte plötzlich Shuya, „Wir wollten uns doch hier treffen.“ Sein blonder Kumpel kratzte sich am Hinterkopf und meinte, dass sie mit Sicherheit bereits nachhause gegangen war. Nebenbei angelte er aber bereits sein Smartphone aus der Hosentasche, um seine Sandkastenfreundin anzuschreiben. Irritiert sah Shuya ihn an, bis Naoto erklärte, dass es wohl seine Schuld war. Der Blau-violetthaarige wirkte einen Moment irritiert, da er sich anscheinend keinen Reim darauf bilden konnte, wieso es die Schuld seines Kumpels sein sollte. Dann jedoch schien der Hammer zu fallen und er nickte verstehend. Währenddessen hatte Hiroshi Akane eine Nachricht geschrieben, auf welche just in dem Moment, als Shuya zu ihm blickte, eine Antwort kam. Kurz überflog er die Nachricht, bevor er sein Smartphone mit einem Seufzen so anhob, dass seine beiden Freunde die Antwort lesen konnten. „Bin schon fast zuhause. Hat eh nichts gebracht. Macht was ihr wollt... Idiot!“, stand darin. Shuya pfiff einmal: „Wow. Sie ist echt sauer.“ Der Blonde ließ den Kopf sinken: „Ja... Die macht mich fertig.“ Entschuldigend legte Nao ihm die Hand auf die Schulter: „Sorry. Das alles wegen mir. Dabei hattet ihr euch doch gerade erst wieder vertragen.“ Angesprochener schüttelte den Kopf und erklärte noch einmal, dass sich Akane wieder beruhigen und er ihr nochmal alles in Ruhe erklären werde und Nao sich deshalb keine Gedanken machen musste. Viel wichtiger sei, dass sie anscheinend nichts herausgefunden hatte. Dabei erklärte auch er, dass er nichts aus den Schülern herausbekommen hatte. Irritiert sah Nao ihn an, doch kam nicht dazu eine Frage zu stellen, da sich bereits Shuya einmischte. Grinsend erzählte er von seinem Erfolg. Einige Mädchen hätten ihn erzählt, dass sie unheimliche Gesichter in den Spiegeln der Schule gesehen hätten. Vor den Sommerferien jedoch sollen diese nie aufgefallen sein. „Sie fanden es einerseits unheimlich, andererseits spannend und spekulierten über irgendwelche Geistergeschichten.“, meinte Shuya schulterzuckend, „Jedenfalls scheint das ne ziemlich heiße Spur zu sein.“ „Meinst du nicht, dass das nur eine Masche der Mädchen war, damit du ihnen sagst, dass du sie beschützt?“, fragte Hiroshi mit hochgezogener Augenbraue, woraufhin ihn sein Kumpel nur mit großen Augen anblickte, „Wirklich weiter bringt uns das aber nicht.“ „Jetzt muss ich mich doch mal einmischen. Worum geht‘s?“, hakte ihr dunkelhäutiger Kumpel nun doch nach, „Vielleicht kann ich euch helfen. Seit die Schule wieder offen ist, war ich jeden Tag hier.“ Überrascht sahen die beiden Freunde ihn an, doch erklärten ihm dann, dass sie nach Informationen über merkwürdige Vorkommnisse suchten, die seit der Öffnung der Schule von statten gingen. Nao überlegte kurz und erzählte dann, dass er wirklich etwas Merkwürdiges gehört hatte. So ging das Gerücht um, dass einige Schüler sich in der Schule einschließen ließen, um irgendwelche dämlichen Mutproben zu veranstalteten. Dabei sollten zwei Jungs verschwunden sein. Jedenfalls fehlte seit der angekündigten Mutprobe jede Spur von ihnen. „Jemand aus dem Orchester hat das erzählt. Er ist wohl mit den verschwundenen Jungs befreundet.“, erklärte der junge Mann weiter, „Da gab's nur was, was mich echt sauer gemacht hat.“ Fragende Blicke trafen ihn, woraufhin er weitererzählte. Ihm war zu Ohren gekommen, dass die beiden Jungen wohl kurz vor ihrem Verschwinden rumgewitzelt hätten, dass sie jemanden im Kunstraum eingeschlossen hatten. Zudem sollte noch jemand an der Mutprobe teilnehmen, dem sie mal einen richtigen Schrecken einjagen wollten. „Ja und am nächsten Tag hat der Junge aus dem Orchester nichts mehr von deinen Kumpels gehört.“, endete Nao, während sein Blick auf Hiro lag, der mit einem Mal total angespannt wirkte. Auch Shuya sah seinen blonden Kumpel kurz an, doch wandte sich dann wieder an den Brünetten: „Klingt für mich nach echt krassem Mobbing. Aber das würde einiges erklären...“ „Sowas konnte ich mir schon denken. Solche Idioten.“, Hiroshi hatte die Hände zu Fäusten geballt und den Blick gen Boden gerichtet, „Aber damit sollten wir weiterkommen. Danke Nao.“ Langsam löste sie sich Verspannung in seinem Körper, während er seinen brünetten Kumpel leicht anlächelte. Dieser erwiderte das Lächeln und legte ihm erneut seine Hand auf sie Schulter: „Wenns euch weiterhilft, dann ist ja gut. Dann nochmal zurück zu meiner Frage von vorhin: Steht bei euch noch etwas an? Meine Orchesterprobe ist vorbei, Paukschule ist heute nicht und ich werde heute auch nicht in der Tankstelle gebraucht. Das heißt, ich hab den Nachmittag frei. Wir könnten also irgendwo was trinken gehen oder so.“ Überrascht sah der Blonde seinen Kumpel an, während ihm erst jetzt so wirklich auffiel, dass er mit diesem die Sommerferien kaum etwas unternommen hatte. Natürlich hatte er das vor, allerdings war Naotos Zeit sehr begrenzt. Um seiner Mutter auszuhelfen hatte er bereits im ersten Jahr der Oberschule einen Nebenjob an einer Tankstelle angenommen. Dabei ließ er sich so viele Schichten wie möglich geben, um etwas mehr Geld dazuzuverdienen. Nebenbei besuchte sein Kumpel noch eine Paukschule, damit seine Noten neben den Klubs und dem Nebenjob nicht schlechter wurde und zu dieser ging er auch während der Sommerferien. Hiroshi wusste, dass Nao alles dafür tat um ein Stipendium an einer guten Uni zu bekommen, um seiner Mutter nicht noch mehr zur Last zu fallen. Er hoffte jedoch, dass sein Kumpel es nicht übertreiben würde. „Hey das klingt super. Die Ferien über hatten wir ja kaum die Gelegenheit dazu. Hab ich recht Hiro?“, holte ihn Shuyas Stimme wieder aus seinen Gedanken. Lächelnd nickte er: „Ja stimmt. Dann lasst uns in ein Diner gehen und was essen. Ich bekomme Hunger.“ Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht, während seine Kumpels nur lächelnd zustimmten. Eine halbe Stunde später saßen die drei jungen Männer in einem Diner in der Innenstadt und warteten auf ihr bestelltes Essen, während sie an ihren Getränken nippten. „Noch mal sorry wegen der Sache mit Chiyo. Ich weiß, wie viel dir ihre Freundschaft bedeutet, Hiro.“, sprach Nao noch einmal das Thema an. Anscheinend bereitete ihm die Sache wirklich ein schlechtes Gewissen. „Jetzt lass gut sein. Schon okay.“, winkte der Blonde wieder nur ab, während sein Gesicht eine leichte Röte zierte. Das Thema war ihm peinlich. Natürlich war ihm die Freundschaft zu Akane wichtig, immerhin kannten sie sich bereits seit dem Kindergarten und er hatte ihr viel zu verdanken. Trotzdem würde er das niemals so offen zugeben, wobei ihn seine Reaktion wahrscheinlich eh verraten hatte. „Uh Hiro wird rot.“, grinste Shuya und bekam dafür gleich einen Klaps auf den Hinterkopf, „Au.“ „Ich meine nur. Hoffentlich vertragt ihr euch wieder. Wobei ich mich schon eine ganze Weile frage, wie es überhaupt dazu kam, dass ihr euch wieder zusammengerauft habt. Im ersten Jahr hast du immerhin damals behauptet du kennst sie nicht. Ich hab nichts dazu gesagt, weil ich nicht wusste, was zwischen euch vorgefallen war, aber erstaunt hat es mich schon. Zumal sie das augenscheinlich damals echt verletzt hat.“, meinte der Braunhaarige, während er an seiner Cola nippte, „Vor allem, weil du früher immer an ihrem Rockzipfel gehangen hast.“ Ein breites Grinsen legte sich auf Naos Lippen, woraufhin die Röte in Hiroshis Gesicht einen noch intensiveren Ton annahm. „Ach echt? Hat er das?“, hakte sein violetthaariger Kumpel nach, bevor er mit allessagendem Blick zu dem Blonden sah. Der junge Mann mit dem Bandana nickte grinsend: „Ja. Die beiden waren wie Pech und Schwefel. Du warst doch in sie verknallt, oder Hiro?“ Erschrocken spuckte Angesprochener seine Cola wieder aus, welche er trinken wollte, um sein Unbehagen zu kaschieren. Nun landete der Großteil davon wieder in dem Glas und auf seinen Klamotten. Hustend schnappte er sich ein paar Servietten, um die Schweinerei zu beseitigen, während er den stechenden und abwartenden Blick Shuyas auf sich ruhen spürte. Doch er antwortete nicht. Vorerst jedenfalls. Stattdessen tupfte er schweigend seine Klamotten trocken und überlegte sich, wie er das diplomatisch beenden konnte. Das Thema wurde immer peinlicher für ihn und er wollte nicht darüber sprechen. Warum konnte Nao auch nicht die Klappe halten? Jetzt hatte auch Shuya davon erfahren. Es war nicht so, dass er seinen Kumpel nicht vertraute, allerdings wusste er auch, dass dieser manchmal einfach drauflosplapperte. Was also, wenn Akane dadurch davon erfuhr? Sie wusste nichts davon, immerhin hatte er ihr nie davon erzählt. Mittlerweile hatten sich seine Gefühle natürlich verändert und er liebte Mirâ, jedoch würde es trotzdem für alle beteiligten peinlich werden, wenn das rauskam. Er räusperte sich: „Das... Ist alles schon lange her. Und ich will auch nicht, dass sie das erfährt. Das wäre nur peinlich.“ Während er das sagte, sah er Shuya eindringlich an, welcher sofort zu verstehen schien, was sein Freund damit ausdrücken wollte. Stattdessen grinste er nur: „Auch wieder wahr. Mittlerweile ist er total Shingetsu verfallen.“ Erneut wurde Hiroshi rot und wollte etwas erwidern, jedoch kam ihm Naoto grinsend zuvor: „Ernsthaft? Ich dachte er steht auf dieses schwarzhaarige Mädchen, was ihn immer beim Training so schön anfeuert.“ Die Gesichtsfarbe des blonden jungen Mannes war mittlerweile feuerrot, während er aufsprang und seine beiden grinsenden Kumpels ausschimpfte: „Hört endlich auf mich zu verarschen ihr beiden!“ Kapitel 76: LXXVI – Kindisches Verhalten [edited] ------------------------------------------------- Dienstag, 01.September 2015 - später Abend Als sich die Gruppe an diesem Abend versammelte war die Stimmung zwischen Hiroshi und Akane noch immer unverändert, was vor allem von der Braunhaarigen ausging. Natürlich blieb das unter den anderen nicht unbemerkt, doch als Mirâ sie darauf ansprach, winkte ihre beste Freundin nur ab und betrat ohne weiteres die Spiegelwelt. Ein kollektiv fragender Blick traf Hiroshi, welcher nur seufzte und mit dem Kopf schüttelte, bevor auch er durch die verglaste Wand in die andere Welt gehen wollte. Doch ehe dies überhaupt geschehen konnte, wurde er plötzlich am Arm gepackt und von seinem Vorhaben abgehalten. Fragend drehte er den Kopf und blickte kurz darauf in zwei braune Augen, welche ihn ernst ansahen. Erschrocken wäre der Blonde beinahe einen Schritt zurückgewichen, was ihm allerdings nicht gelang, da er ja festgehalten wurde. "Hör mal. Normalerweise interessieren mich eure Streitereien nicht im Geringsten, weshalb ich mich da nicht einmische. Aber wenn sich dieses kindische Gehabe auf unsere Missionen auswirken, kann ich das nicht mehr ignorieren. Immerhin ist das hier kein Spiel.", sprach Masaru in einem ernsten Ton, der keine Widersprüche erlaubte, "Du weißt genauso gut wie ich, dass wir hier alle drauf gehen können, wenn wir nicht zusammenhalten. Und trotzdem bekommt ihr beiden euch ständig wegen Kleinigkeiten in die Haare. So kann das nicht weitergehen." Alle noch Anwesenden schauten verwundert und auch etwas erschrocken auf den Älteren, welcher zum ersten Mal so wirklich ein Machtwort gegen die Zankereien der beiden Jüngeren gesprochen hatte. Mirâ machte einen Schritt auf die beiden zu und hob die Hand, als wolle sie etwas sagen, doch stoppte noch inmitten ihrer Bewegung. Sie senkte wieder den Arm und wandte den Blick gen Boden. Sie hatte den gleichen Gedanken gehabt wie ihr Senpai, jedoch nicht den Mut gefunden es auszusprechen. Deshalb war sie einerseits froh, dass es jemand anderes getan hatte, aber gleichzeitig machte ihr diese Situation auch Angst. Sie erinnerte sich an den Tag in Mikadzuki-chô, als Hiroshi und Masaru sich wegen ihr beinahe gestritten hatten. Deshalb wusste sie auch, wie impulsiv der Blonde in solchen Situationen werden konnte, selbst wenn das sonst nicht seine Art war. Aber zwischen ihm und ihrem Senpai schien seither etwas zu stehen, was das Verhältnis beider zueinander störte. Jedoch wusste sie nicht, was es war und das machte ihr Sorgen. Aber die beiden zu fragen war für sie auch keine Option. Nach Masarus Ansprache war es kurz still zwischen den noch übrig gebliebenen, während sich die beiden jungen Männer fest in die Augen blickten. Plötzlich zog Hiroshi seinen Arm aus dem Griff des Älteren und wandte den Blick ab, um so den Augenkontakt zu unterbrechen. Er seufzte und griff sich in den Nacken, bevor er nur ein leises murmeln von sich gab: "Jetzt fängst du wieder damit an dich aufzuspielen..." Masaru zog eine Augenbraue hoch und versuchte zu verstehen, was der Jüngere gesagt hatte. Jedoch wollte es ihm nicht gelingen, da dieser den Blick immer noch von ihm abgewandt hatte. Allerdings nur für einen Moment, denn kurz darauf blickten wieder zwei blaue Augen auf ihn, welche zu einem leicht lächelnden Gesicht gehörten. "Macht euch darüber keine Gedanken. Das hier hat nichts mit unserer Mission zu tun und es wird auch keine Auswirkungen haben. Ich verstehe warum Akane wütend auf mich ist, deshalb werde ich das noch mit ihr klären, aber erst, wenn wir das hier beendet haben.", erklärte er erstaunlich ruhig, "Und bevor ihr fragt, wieso sie sauer ist... Das geht nur uns beide etwas an, deshalb..." "Hauptsache es hat keine Auswirkungen auf unsere Mission.", unterbrach ihn plötzlich Kuraiko, welche an ihm vorbeistapfte und durch den Spiegel die andere Welt betrat. Überrascht sah der Blonde ihr kurz nach und starrte auf die verglaste Wand, bevor er wieder zu den anderen, insbesondere Masaru, sah. Yasuo zuckte nur seufzend mit den Schultern und folgte der Schwarzhaarigen einen Moment später. Zurück blieben Mirâ, Hiroshi und Masaru, zwischen welchen sich nun Stille ausbreitete. Die junge Frau starrte auf ihre beiden Freunde, die sich immer noch ansahen, und kaute auf ihrer Lippe herum. Die Spannung zwischen den beiden war immer noch regelrecht zu spüren. Was sollte sie tun? Sollte sie die beiden darauf ansprechen? Doch was für eine Antwort erwartet sie? Sie wusste es nicht und das beunruhigte sie. Plötzlich löste sich die angespannte Stimmung wieder, als Masaru die Augen schloss und seufzte, ehe er einen Schritt zurück machte: "Wie du meinst. Ich hoffe du hast Recht und es hat keine Auswirkungen auf unsere Aufgabe heute Abend." Er ging um den Jüngeren herum und betrat ohne weitere Worte die andere Welt hinter den Spiegeln. Mirâ und Hiroshi sahen ihm nach. "Sorry...", holte die Stimme des Blonden Mirâ aus ihren Gedanken, "Ich weiß, du hast so schon viel um die Ohren mit dem ganzen Mist und dann machen wir dir auch noch zusätzlichen Ärger. Ich kläre das mit Akane, versprochen." Sie blickte in die zwei Saphire ihres Gegenübers, welche ihr ein kleines entschuldigendes Lächeln schenkten und sich dann von ihr abwandten. Bevor sie jedoch etwas auf die Aussage ihres Kumpels erwidern konnte war dieser bereits durch den Spiegel getreten und aus ihrem Blickfeld verschwunden. Mit besorgt wirkenden Rubinen blickte sie ihm nach und ließ seine Worte noch einen Moment auf sich wirken, bevor sie leicht den Kopf schüttelte und ebenfalls endlich die andere Welt betrat, wo sie bereits erwartet wurde. "Was ist denn heute los, dass ihr alle so kleckerweise kommt?", fragte Mika leicht irritiert. Mirâ lächelte jedoch nur und schüttelte den Kopf als Zeichen, dass es erstmal nicht so wichtig sei. Ohne weitere Worte setzte sie sich in Bewegung, woraufhin ihre Freunde ihr in kleinen Grüppchen folgten. Schweigend lief die Gruppe durch die dunkle gespiegelte Version der Stadt. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten an diesem Abend hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Es war eine drückende und unheimliche Atmosphäre, wie Mika sie noch nie erlebt hatte. Still lief sie neben Mirâ her und richtete kurz ihren Blick auf diese, welche jedoch gedanklich ganz woanders schien. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, doch sie wirkte nicht geistig anwesend. Vorsichtig blickte Mika auf die anderen, die leicht versetzt hinter ihr und der Violetthaarigen liefen. Hiroshi war für sich alleine und führte das Feld an. Dahinter liefen Kuraiko und Masaru. Auch sie schwiegen sich an, allerdings wirkte die Stimmung zwischen ihnen eher entspannt. Sie hatten sich wohl einfach nichts zu erzählen. Das Schlusslicht bildeten Yasuo und Akane. Mika blieben die Blicke, welche die Brünette ihrem blonden Kumpel weiter vorn zuwarf, nicht unbemerkt, weshalb sie das Gefühl nicht loswurde, dass diese gedrückte Stimmung einem Streit der beiden Freunde zugrunde lag. Ohne das Mirâ es wirklich registrierte hatte sich die Blauhaarige von ihr abgesetzt und war zu Akane und Yasuo zurückgefallen, welche ihr nur einen fragenden Blick zuwarfen. "Habt ihr euch schon wieder gestritten? Du und Hiroshi meine ich", fragte Mika vorsichtig nach. Sie hörte ein leises Schnauben neben sich: "Wie kommst du darauf?" "Ach... Nur so", die Blauhaarige zuckte mit den Schultern, "Du schaust Hiroshi halt so an, als hätte er etwas ausgefressen." "Er ist ein Idiot. Das ist alles", kam es nur erneut schnaubend von der Älteren, "Wie sonst kann man erklären, dass er sich mit dem Feind verbündet?" Zwei fragende Blicke trafen die junge Frau, welche nur seufzte und erklärte wieso sie sauer auf ihren Kumpel war. Dass er sich mit jemanden angefreundet hatte, der ihnen in der Mittelschule nur Probleme bereitet hatte. "Ich glaubs einfach nicht. Als hätte er vergessen, was der Typ getan hat", schimpfte sie, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. "Sei mir nicht böse, aber denkst du nicht, dass du etwas überreagierst?", fragte Mika ohne Umschweife, woraufhin sie ein perplexer Blick der Brünetten traf, "Ich meine, du bist sauer auf ihn, weil er mit jemandem befreundet ist, den du nicht leiden kannst?" "Das... Finde ich auch etwas kindisch", sagte nun auch Yasuo. Getroffen blickte sie zu ihrem Senpai, welcher erklärte, dass Hiroshi mit Sicherheit seine Gründe hatte sich mit diesem Jungen anzufreunden, immerhin änderten sich Menschen auch. "Vielleicht haben sie ihre Differenzen beiseitegelegt und gemerkt, dass sie sich doch verstehen", erklärte Yasuo, "Ich weiß nun nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber nur daran fest zu machen, dass dein bester Kumpel nicht mit demjenigen befreundet sein darf ist... Naja, das ist kindisch. Du kannst ihm ja nicht vorschreiben mit wem er befreundet sein will." Mit großen grünen Augen blickte die Jüngere den großgewachsenen jungen Mann an, welcher sich am Nacken kratzte und in die Ferne blickte, als wolle er den Augenkontakt mit ihr meiden. Diese Aussage traf sie, denn gerade von ihm hätte sie sich gerne Zustimmung gewünscht. Dabei hatte sie doch ihre Gründe, wieso sie auf Naoto sauer war. Sie war doch im Recht. Oder etwa nicht? Tat sie diesem Idioten wirklich Unrecht und urteilte voreingenommen? Sie biss sich auf die Lippe. Innerlich wusste sie natürlich, dass Yasuo Recht hatte und sie keinen Grund hatte auf Hiroshi sauer zu sein. Trotzdem hätte sie sich gerade von ihm Zuspruch gewünscht. Sie senkte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe, als ihr selber klar wurde, wie sie sich gerade benahm. "Kche...", ohne ein weiteres Wort wurde sie plötzlich schneller und setzte sich von den anderen Beiden ab. Irritiert blickte der Ältere ihr hinterher und fragte sich, was diese Aktion gerade sollte. Hatte er etwas Falsches gesagt? Fragend sah er zu Mika hinunter, welche in diesem Moment gerade den Blick von der Brünetten nahm und dabei den des Älteren bemerkte. „Ich glaube von dir hat sie sich etwas mehr Zuspruch gewünscht“, meinte die Kleine nur, woraufhin der Blauhaarige jedoch nur den Kopf schieflegte und seine Augenbraue in die Höhe hob. Mika seufzte: „Ach egal. Das solltet ihr vielleicht besser unter euch klären.“ In dem Moment, als die Blauhaarige geendet hatte, erreichte die Gruppe das Schultor, welches sich zum Vorabend nicht verändert hatte. Noch immer stand es weit offen, wurde aber von den beiden riesigen Shadows versperrt. Noch hatten die beiden die Oberschüler nicht bemerkt, doch sie wussten alle, dass dies nur eine Frage der Zeit war. Aus diesem Grund hielten sie vorerst einen sicheren Abstand, zumal sie sich bisher noch keine Strategie zurecht gelegt hatten. Wie auch? Zwar hatte Hiroshi ihnen geschrieben, dass er etwas herausgefunden hatte, jedoch nicht genau was es war. Er hatte alle nur angewiesen sich am Abend zu treffen, doch aufgrund der angespannten Situation waren sie nicht mehr dazu gekommen schon einmal darüber zu sprechen, wie sie vorgehen würden. Nun standen sie also hier… und das ohne wirklichen Plan. „Also, nun erzähl mal. Was hast du herausgefunden? Und wie sollen wir vorgehen?“, fragte Masaru an Hiroshi gerichtet. Dieser hatte seinen Blick auf die Shadows gerichtet und setzte sich plötzlich in deren Richtung in Bewegung: „Lasst mich vorher etwas ausprobieren.“ Überrascht blickte die Gruppe dem jungen Mann nach, welcher sich mit jedem Schritt weiter den beiden Gegnern näherte. So dauerte es auch nicht lange, bis diese seine Anwesenheit mitbekommen hatten und plötzlich einen Angriff deklarierten. Kurz darauf schlug dicht neben dem jungen Mann ein Blitz ein. Er war nicht sonderlich stark und hätte ihn mit Sicherheit auch nicht wirklich verletzt, trotzdem war er erschrocken einen Schritt zur Seite gewichen und blickte einen Moment auf die Einschlagstelle, die sich schwarz vom Boden abhob. Mira war drauf und dran aufzuspringen und ihrem Kumpel zu Hilfe zu eilen, doch stoppte plötzlich als eine Stimme erklang. „Bleib weg!“, raunte eine verzerrte Stimme, welche an die eines Jungen erinnerte. Noch einen Moment betrachtete Hiroshi die schwarze Stelle neben sich und wandte dann seinen Blick wieder auf die beiden Gegner. „Dachte ich es mir doch“, nuschelte er kurz und erhob dann die Stimme, „Wieso sollte ich? Gibt es dort drinnen etwa etwas, was nicht entdeckt werden darf?“ „Das geht dich nichts an“, raunte nun eine andere verzerrte Stimme, die allerdings ebenso jung klang, „Verschwinde!“ Erneut schlug ein Blitz in unmittelbarer Nähe des Blonden ein, welcher nur schnaufend die Arme vor der Brust verschränkte, während seine Freunde das Geschehen erschrocken beobachteten. Was war da los? Es wirkte, als wollten die Shadows den Oberschüler gar nicht verletzten, sondern ihn nur warnen und damit abhalten näher zu kommen. Aber wieso? Was war anderes zu gestern? Auch die neue Einschlagstelle beobachtete Hiroshi kurz, bevor er seinen Blick wieder auf die beiden Gegner vor sich richtete: „Ich weiß wieso ihr hier seid und was ihr verstecken wollt. Hat es euch Spaß gemacht, als ihr die Schülerin im Kunstraum eingeschlossen habt?“ Plötzlich wirkte es kurz so, als würden die Shadows zusammenzucken: „Woher…?“ „Das tut nichts zur Sache, allerdings war es auch nicht schwer zu erraten“, sprach der blonde Schüler ruhig weiter, „Und? Hat es Spaß gemacht? Habt ihr euch groß und stark gefühlt? Es ist ein tolles Gefühl auf Schwächeren herumzuhacken, nicht wahr? Da hat man das Gefühl selber bedeutend zu sein, obwohl man eigentlich nur ein kleines Licht in der Masse ist.“ „Was zum Geier macht der Idiot da?“, fragte Kuraiko, „Wieso redet er mit den Shadows? Und wieso verdammt nochmal antworten sie?“ Masaru wandte sich an Akane, welche das Geschehen mit Sorge beobachtete: „Akane, weißt du, was Hiroshi herausgefunden hat? Und wieso er das jetzt macht?“ Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein… keine Ahnung. Ich muss weg gewesen sein, als er es herausgefunden hat.“ Sie wandte den Blick ab, als ihr bewusst wurde, dass sie abgehauen war, bevor sie sich mit Shuya und Hiroshi hatte besprechen können. Und wieder einmal wurde ihr klar, wie kindisch sie sich verhalten hatte, nur weil sie Naoto nicht leiden konnte. Alles wäre jetzt viel klarer, wenn sie alle wüssten, was ihr Sandkastenfreund wusste. Sie richtete ihren Blick wieder auf diesen, besorgt darüber, dass er eine Dummheit begehen könnte, aber auch darüber, worüber er sprach. „Na wie sieht es aus?“, hakte der junge Mann nach, als er keine Antwort auf seine gestellte Frage bekam, „Das ist ein tolles Gefühl oder? Über jemand anderem zu stehen und diesen runtermachen zu können. Hab ich Recht? Nicht umsonst würdet ihr es immer und immer wieder machen. Aber irgendwann wird euch das auf die Füße fallen.“ Erneut knallte ein Blitz mit lautem krachen auf den Boden, dieses mal nur wenige Zentimeter von seinen Füßen entfern. Dieses Mal jedoch war der Blonde keinen Millimeter gewichen. Es folgte ein erneutes Raunen: „Was weißt du schon? Wer nicht mitzieht ist selber dran und wer sich nicht wehrt ist selber Schuld.“ Hiroshi knirschte hörbar mit den Zähnen, doch versuchte sich ansonsten nichts anmerken zu lassen: „Schon klar. Ihr denkt, wer sich nicht wehrt möchte runtergemacht werden. Was in denjenigen vor sich geht interessiert euch nicht… auch nicht welche Konsequenzen es hat. Euer eigenes Ego und der Drang dazuzugehören ist euch wichtiger, als das seelische Wohl eines anderen. Aber… was wollt ihr machen, wenn der Spieß umgedreht wird und den anderen in den Sinn kommt, dass ihr die Opfer seid, die es verdient haben fertig gemacht zu werden?“ Ein Grollen ertönte: „Das wird nicht geschehen!“ Dieses mal bildete sich merklich ein blaues Licht um die beiden Shadows und einen Moment später krachte ein starker Blitz auf den Blonden hernieder. Dieser hatte instinktiv reagiert und war beiseite gesprungen, sodass ihn der Angriff nur ganz knapp verfehlte. Zum Glück, denn dieser Angriff hätte sicher wehgetan, wenn er ihn nicht sogar ausgeknockt hätte. Ein Grinsen bildete sich auf den Lippen des Oberschülers. „Ach sagt bloß es ist bereits soweit? Seit ihr bereits dabei zu den Opfern zu verkommen? Habt ihr deshalb die Schülerin hier drin eingesperrt und in diese Situation gebracht? Nur um euch zu profilieren und eure Stellung zu behalten?“, schrie er die Shadows an und wich einem erneuten Angriff aus, welcher ebenso stark war wie der vorherige. Es folgten weitere dieser starken Angriffe, welche Hiroshi immer wieder zwangen auszuweichen. „Sei still!“, forderten ihn die Shadows immer wieder auf, doch der Blonde dachte nicht daran. Erneut wich er einem Blitz aus und blickte wieder auf die Shadows: „Ihr folgt dem falschen Weg, um aus dieser Situation heraus zu kommen. Nicht das profilieren vor den anderen wird euch helfen, sondern nur die Unterstützung von Freunden. Und wenn ihr diejenigen vergrault, die sich eure Freunde nennen, steht ihr ganz alleine da und dann als richtige Opfer!“ „Was weißt du schon?“, wieder ließen die Shadows Blitze regnen, doch Mika fiel plötzlich eine Veränderung auf. Es war wie eine plötzliche Eingebung, die sie traf. Je länger der Oberschüler auf die beiden Gegner eingeredet hatte, desto intensiver wurde das Gefühl in ihr. Schnell wandte sie sich an ihre Freunde und gab ihnen die Anweisung anzugreifen. Überrascht blickten die verbliebenen fünf auf Oberschüler auf das kleine Mädchen. Erst als diese eindringlicher wurde reagierten sie endlich und griffen die beiden Shadows an. Einen Moment später frischte plötzlich der Wind auf, woraufhin Hiroshi seinen Blick hob und auf einen grünen Tornado sah, welcher krachend auf die beiden Gegner traf und sie endlich zurückweichen ließ. Viel zu perplex, um zu reagieren, schafften es die beiden es nicht erneut eine Barriere zu errichten, weshalb sie den Angriffen der Persona-User regelrecht ausgeliefert waren. Mit krachendem Lärm schlug ein Blitz genau in sie ein und ließ sie noch weiter zurücktaumeln, bevor sie eine Feuerwand traf und zu Boden riss. Ein Regen aus riesigen Eiskristallen rieselte auf sie hernieder, welchem ein schwarzer Strudel folgte, der mit violetten Runen verziert war. Als dieser sie kurz darauf einhüllte, entrann ihnen nur noch ein lauter Schrei, bevor sie endlich zusammenbrachen und begannen sich langsam in schwarzem Nebel aufzulösen. Schweigen blickte Hiroshi auf den sich ausbreitenden Nebel, wodurch er nicht einmal bemerkte, wie die Gruppe sich ihm langsam näherte. „Sag mal, was sollte das du Idiot?“, holte ihn die aufgebrachte Stimme von Kuraiko aus seinen Gedanken. Schnell wandte er seinen Blick auf seine Freunde, welche nun neben ihn traten. „Das war leichtsinnig von dir“, meinte Masaru mit verschränkten Armen, „Du hättest das vorher mit uns besprechen sollen.“ „Sorry“, entschuldigte sich der Blonde und sah wieder zurück zu dem schwarzen Nebel, welcher langsam begann sich aufzulösen, „Aber wir waren nicht dazu gekommen. Außerdem musste ich mir erst klar werden, ob meine Vermutung richtig war. Das konnte ich nur, in dem ich mit den beiden spreche.“ Mirâ trat neben ihn und blickte ebenfalls auf die Stelle vor sich: „Welche Vermutung hattest du denn, Hiroshi-kun?“ In diesem Moment löste sich der Nebel auf und gab den Blick auf zwei Jungs frei, welche Rücken an Rücken auf dem Boden hockten und bewusstlos schienen. Erschrocken wich Mirâ einen Schritt zurück, als sie bemerkte wer sich hinter den beiden Shadows verbarg und blickte dann überrascht zu ihrem Kumpel. „Ein Kumpel von mir hat mir heute Vormittag von einem Gerücht erzählt, dass er während der Sommerferien im Orchester aufgeschnappt hatte. Dabei sollen Schüler sich in der Schule verstecken, um dann zur Schließzeit eingeschlossen zu werden und dann irgendwelche Mutproben durchzuführen. Er erzählte, dass seit einer angekündigten Mutprobe zwei Jungs verschwunden seien und dass sie wohl vorher jemanden in den Kunstraum eingeschlossen hatten.“, erklärte der junge Mann ruhig, ohne den Blick von den beiden Jungs zu nehmen. „Daraus hast du geschlussfolgert, dass es sich bei den beiden Shadows um die beiden Schüler handeln musste“, mischte sich Masaru ein, woraufhin Hiroshi nickte, „Nicht schlecht. Scheint so, als hätte ihr eigener Streich sie in diesem Fall selber erwischt. Wobei sich mir die Frage stellt, wie sie hierhergekommen sind.“ „Das können sie uns vielleicht gleich persönlich beantworten“, murmelte der Blond und ging auf die beiden Jungs zu, nur um sich einen Moment später vor die beiden zu knien. Diese zuckten kurz und öffneten dann einen Moment später die Augen, woraufhin sie sich verwirrt umblickten und erschrocken fragten, wo sie seien. Doch darauf ging der ältere Schüler nicht weiter ein, sondern fragte frei heraus, ob sie sich noch erinnern konnten, was geschehen war. Zwar versuchte einer der beiden zu antworten, doch überkam ihn gleich darauf ein Schwächeanfall, welcher wohl auf die Energie in dieser Welt zurückzuführen war. Deshalb entschloss sich die Gruppe ihre Mission hier erneut zu unterbrechen und die beiden jungen Männer erst einmal aus dieser Welt herauszuschaffen. Mit gemeinsamer Kraft brachten sie die beiden somit erst einmal außer Gefahr und hofften, danach endlich Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Wenig später saßen sie alle auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum. „Also nochmal. Könnt ihr euch erinnern, wie ihr dorthin gelangt seid?“, hakte Hiroshi noch einmal nach. Einer der Jungs hob leicht den Blick: „Mich würde ja eher interessieren was das war…“ „Das tut nichts zu Sache. Antworte mir lieber auf meine Frage“, der Blonde wurde langsam sauer, woraufhin sein Gegenüber zusammenzuckte und endlich antwortete. „N-naja… i-ich erinnere mich noch, dass wir diese Kleine im Kunstraum eingeschlossen und uns dann im Schulhaus versteckt haben, damit der Hausmeister uns nicht findet. Und dann… Ugrh…“, er schüttelte den Kopf, doch schien sich nicht erinnern zu können, „Plötzlich war alles dunkel…“ „I-ich…“, begann plötzlich der andere junge Mann und begann leicht zu zittern, „I-ich erinnere mich noch an… an einen dunklen Schatten. Er griff nach uns u-und dann wurde es kalt. D-danach erinnere ich mich nicht mehr…“ „Ein dunkler Schatten?“, wiederholte Mirâ leise, während sie unbemerkt einen Schritt zurück machte und kreidebleich anlief. „I-ich glaube… nein ich bin sicher… ich habe sogar eine Stimme gehört. S-Sie sagte sowas wie „Das zahle ich euch heim“ oder so.“, sprach er plötzlich weiter, bevor er sich zitternd an den Kopf fasste und nichts mehr aus ihm herauszubekommen war. Schweigen breitete sich zwischen den Anwesenden aus, bevor Masaru den Vorschlag machte, die beiden Schüler nachhause zu bringen. Zielgerichtet wandte er sich an Yasuo, welcher ihm helfen sollte die beiden sicher nachhause zu bringen. Zwar wollte der Blauhaarige protestieren, doch gab sich seinem Schicksal letzten Endes geschlagen. Nachdem sie irgendwie aus den Jungs herausbekommen hatten, wo sie hinmussten, stützten die beiden Älteren jeweils eines dere Opfer und machten sich auf den Weg. Auch Kuraiko verabschiedete sich daraufhin und machte sich in Richtung Einkaufsstraße auf den Weg, während Mirâ, Akane und Hiroshi sich auf den Weg zum Bahnhof machten. Schweigend hatten sie ihren Weg zur U-Bahn zurückgelegt und auch, als sie alle gemeinsam in der Bahn saßen sprach niemand ein Wort, während die grauen Wände des Tunnels an ihnen vorbeisausten. Eine Gewichtsverlagerung zu ihrer linken ließ Akane neben sich schauen, woraufhin sie bemerkte, dass Mirâ eingedöst war und nun ihren Kopf an die Griffstange neben sich gelehnt hatte. „Wir sollten nachher dran denken sie zu wecken, bevor wir aussteigen. Nicht, dass sie bis zur Endstation fährt.“, murmelte die Brünette nur mit einem kleinen Lächeln. „Ja, aber lass sie noch ein bisschen. Mirâ ist sicher fertig. Bei dem ganzen Chaos die letzten Monate ist es kein Wunder, dass sie fertig ist. Zumal sie das alles noch viel mehr belastet als uns.“, meinte Hiroshi leise, woraufhin seine Freundin nickte und es wieder ruhig wurde zwischen ihnen. Jedenfalls bis Akane die Stille wieder brach: „Ich wollte mich noch entschuldigen… für mein kindisches Verhalten heute. Ich weiß, dass ich dir nicht vorschreiben kann, mit wem du befreundet bist. Auch wenn ich nicht verstehen kann, wie du dich mit diesem Idioten Obata anfreunden konntest. Aber du wirst deine Gründe haben. Ich hoffe nur, dass das kein Fehler war.“ „Mach dir darüber keine Gedanken. Nao ist ein netter Kerl. Das was in der Mittelschule vorgefallen ist, tut ihm heute mehr als leid. Das macht es nicht besser, aber hilft ihm vielleicht etwas zu verzeihen. Man kann ihm vertrauen.“, erklärte ihr Kumpel ruhig, „Er war es auch, der mir die Informationen gegeben hat.“ Die Brünette nickte: „Ich verstehe. Trotzdem… Auch wenn ich akzeptiere, dass du mit diesem Trottel befreundet bist, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn leiden kann oder mich gar mit ihm verstehen werde.“ Der junge Mann neben ihr lachte: „Schon klar, das verlange ich auch nicht von dir.“ In ihr Gespräch vertieft bemerkten die beiden nicht einmal, wie ich auf dem Gesicht von Mirâ mittlerweile ein kleines Lächeln gebildet hatte, dass verriet, wie froh sie war, dass der Streit nun beendet war. Kapitel 77: LXXVII – Überraschende Begegnungen [edited] ------------------------------------------------------- Mittwoch, 02.September 2015 Das Geräusch des laufenden Fernsehers ertönte aus dem Wohnzimmer, als Mirâ gähnend die letzte Stufe der Treppe herunterkam und damit in den kleinen Flur trat. Sie strich sich durch ihre offenen Haare, die in wilden Strähnen auf ihre Schultern fielen und betrat dann den großen Raum am Ende des Ganges, während sie den dort Anwesenden einen guten Morgen wünschte. Ihre Mutter, welche auf dem Sofa saß und Wäsche zusammenlegte, blickte von ihrer Arbeit auf und lächelte die Violetthaarige freundlich an. Junko, die vor der Flimmerkiste saß und auf ihre Lieblingsserie fixiert war, rief ihr nur ein einfaches "morgen" zu und ließ sich dann nicht weiter stören. "Scheint gestern wieder spät geworden zu sein. Was?", begann Haruka und konzentrierte sich dann wieder auf ihre Wäsche vor sich, "Ich hab dir dein Frühstück auf den Tisch gestellt." "Danke, Mama", dankte die junge Frau und setzte sich an den Tisch, auf welchen ihr abgedecktes Essen stand. Vorsichtig nahm sie die Folie von dem Geschirr und schnappte sich ihre Stäbchen, die fein säuberlich auf dem Tablett drapiert waren. Sie legte die Hände zusammen, wünschte einen guten Appetit und ließ sich dann ihr Frühstück schmecken. Dabei bemerkte sie nicht einmal, dass sie von Haruka beobachtet wurde. Aber auch so wäre es ihr in diesem Moment gar nicht aufgefallen. Sie war noch viel zu müde, dabei war es bereits kurz nach Mittag. Die Besuche in der Spiegelwelt schlauchten sie wirklich, selbst wenn sie keine schweren Kämpfe bestreiten mussten. Mit den Stäbchen fischte sie eine Portion Reis aus ihrer Schüssel und wollte ihn gerade in den Mund stecken, als die Stimme ihrer Mutter sie in der Bewegung stoppen ließ. "Sag mal Mirâ, was macht ihr eigentlich die ganze Zeit, wenn ihr euch so spät am Abend trefft?", fragte Haruka plötzlich. Die beiden Frauen sahen sich kurz an, bevor Mirâ den Blickkontakt wieder unterbrach und ihre Bewegung fortsetzte. Mit einem Happs war der kleine Klumpen Reis in ihrem Mund verschwunden und sie konzentrierte sich darauf das Nächste auszusuchen. "Na... Lernen, immerhin beginnt bald das zweite Trimester. Oder einfach nur quatschen. Manchmal können wir uns nicht eher treffen, weil Hiroshi und so noch Nebenjobs haben.", erklärte sie anschließend und versuchte dabei so locker zu wirken wie sonst auch. Ihr war bewusst, dass sie sich nichts anmerken lassen durfte, da ihre Mutter sonst Verdacht schöpfen und ihr weitere späte Ausflüge verbieten könnte. Die Blauhaarige wandte den Blick nun wieder auf ihre Wäsche und legte noch die restlichen Kleidungsstücke zusammen, bevor sie diese in einen Korb packte und aufstand: "Ich verstehe. Hör mal Mirâ, ich kann dich nicht einsperren, das ist mir bewusst. Und ich möchte dir auch nicht hinterherspionieren. Ich hoffe nur, dass ihr euch nicht in irgendwelche Schwierigkeiten bringt. Okay?" Mit diesen Worten verließ die Ältere den Raum und verschwand mit dem Wäschekorb in der nächsten Etage. Mirâ sah ihr kurz nach und schluckte, als ihr bewusst wurde, dass ihre Mutter langsam anfing Verdacht zu schöpfen. Zwar verging die Zeit in der Spiegelwelt anders, sodass in der realen Welt kaum Zeit schwand, jedoch mussten sie trotzdem gerade in dieser Jahreszeit sehr spät los. Sie mussten sich etwas einfallen lassen, um weniger Verdacht auf sich zu lenken. Noch während Mirâ in ihre Gedanken versunken nach einem Stück Omelette angelte merkte sie nicht, dass Haruka wieder aus dem oberen Stockwerk zurückkam und neben sie trat. "Könntest du mir einen Gefallen tun?", ließ deren Stimme die junge Frau zusammenzucken und sich an ihrem Omelette verschlucken. Hastig griff Mirâ nach einem Becher mit Tee und spülte ihn mit einem Hieb herunter, ohne auch nur darauf zu achten, dass er noch heiß sein könnte. Zu ihrem Glück war er bereits abgekühlt und so schaffte sie es wieder langsam zu Atem zu kommen. "Was denn?", fragte sie mit erstickter Stimme. Ihre Mutter hielt ihr eine Liste vor die Nase: "Könntest du für mich einige Besorgungen machen? Ich habe nachher noch einen Termin außerhalb und werde es nicht mehr schaffen, bis die Geschäfte schließen." Die Violetthaarige griff nach dem Papier und überflog es einmal kurz: "Ähm sicher..." "Und könntest du Junko zu ihrer Freundin bringen?", schob die Blauhaarige eine Frage hinterher und zeigte einen weiteren Zettel vor, "Hier ist die Adresse." Überrascht hob Mirâ den Blick, als sie bemerkte, dass es sich dabei um eine andere Adresse als das letzte Mal handelte: "Eine andere Freundin?" "Ja, Mimi-chan feiert heute Geburtstag.", mischte sich plötzlich Junko mit ein, welche sich vom Fernseher entfernt hatte. "Ich verstehe. Ja sicher kann ich Junko dorthin bringen.", stimmte die Oberschülerin zu. Erleichtert atmete Haruka auf und wandte sich dann zur Küche: "Vielen Dank, Mirâ. Du bist ein Schatz. Du brauchst Junko auch nicht abholen. Sie übernachtet dort." Überrascht sah die Oberschülerin zu ihrer kleinen Schwester, welche nur breit grinste und dann nach oben ging, um ihre Sachen zu packen, die sie benötigen würde. Seufzend sah die Violetthaarige der Kleinen nach und lächelte. Es war schön zu sehen, dass Junko mittlerweile so viele Freunde gefunden hatte und aufblühte. Durch die vielen Umzüge zuvor hatte die Kleine nie wirklich die Chance gehabt tiefe Freundschaften zu schließen. Mirâ hoffte inständig, dass es dieses Mal der letzte Umzug gewesen war. Auch damit Junko nicht wieder Abschied nehmen musste. Sie selber hatte darauf auch keine Lust mehr. Ihre Freunde waren ihr sehr ans Herz gewachsen und es würde schmerzhaft werden Lebewohl zu sagen. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken und schüttelte deshalb den Kopf, bevor sie sich dem Rest ihres Frühstücks widmete. Während sie sich den nächsten Happen in den Mund schob wanderte ihr Blick hinüber zum Fernseher, welcher immer noch lief. Mittlerweile war Junkos Serie zu Ende und den Nachrichten gewichen, in welchen eine Frauenstimme erklärte, dass der Bürgermeister von Kagaminomachi neue Fördermittel zum Aus- und Umbau der Stadt bewilligt bekommen hatte. Zur Untermalung wurden dabei Aufnahmen mehrerer älterer Männer gezeigt, welche sich die Hände schüttelten. Hideaki Tsukiyama stand dabei neben dem Herrn, welcher als Oberbürgermeister von Kagaminomachi betitelt war. Irritiert hob Mirâ die Augenbraue an, als sie den Nachnamen las. Innerhalb weniger Tage kam ihr nun mehrmals der Name Tsukiyama zu Ohren. Zwar war der Name in Japan relativ verbreitet, jedoch glaubte die junge Frau mittlerweile nicht mehr an einen Zufall. Irgendwas hatte es sowohl mit dem Namen, als auch mit dem Tempel auf sich und es gab einen Zusammenhang zu den Dingen, die um sie herum passierten. Da war sie sich mittlerweile ganz sicher. "Jetzt hat dieser Kerl es doch so weit geschafft...", hörte sie plötzlich ihre Mutter murmeln, welche sich die Hände abtrocknend wieder ins Wohnzimmer trat. "Hm?", fragend sah Mirâ Haruka an, welche den Blick kurz darauf bemerkte. "Hm?", die Blauhaarige legte den Kopf schief und erwiderte den Blick ihrer Tochter, "Was ist?" "Kennst du den Oberbürgermeister? Es klang so...", hakte die Oberschülerin nach. Der leicht überraschte Blick ihrer Mutter blieb ihr nicht unbemerkt, doch bevor sie noch einmal nachhaken konnte, klingelte plötzlich Harukas Handy. Erschrocken war die Blauhaarige aus ihrer Starre erwacht und direkt zu dem klingenden Smartphone gelaufen, nur um einen Moment später das Gespräch entgegenzunehmen. Mirâ beobachtete wie die Ältere durch den Raum lief und dabei mit demjenigen am anderen Ende der Leitung sprach. Sie nickte mehrmals und sagte, dass sie sich gleich auf den Weg machen würde, bevor sie auflegte und die Violetthaarige anlächelte. "Entschuldige, mein Schatz. Ich muss dann zu meinem Termin", hastig sammelte Haruka ihre Ordner zusammen und blickte noch einmal in ihre Handtasche, ob sie auch alles dabeihatte, "Also dann. Mach dir einen schönen Tag und vergiss bitte den Einkauf nicht." Einen Moment später fiel die Eingangstür ins Schloss und zurück blieb eine völlig verwirrte Teenagerin. Während die junge Frau noch die geschlossene Tür beobachtete, kam sie nicht umher zu denken, dass ihre Mutter ganz froh war so schnell verschwinden zu können. Sie hatte das Gefühl, dass es irgendetwas gab, was ihre Mutter ihr nicht sagen wollte. Dieses Gefühl kam nicht von ungefähr. Sie hatte es schon seit der komischen Bemerkung ihres Vaters in Bezug auf Kagaminomachi. Damals hatte sie nach ihrem Besuch in Osaka ihre Mutter darauf angesprochen und auch damals wirkte sie angespannt, doch hatte sich damit herausgeredet, dass Mirâ ihren Vater wahrscheinlich nur missverstanden hätte. Zu dem Zeitpunkt kam ihr das schon merkwürdig vor und mit dieser Aktion jetzt war sie sich ganz sicher, dass etwas nicht stimmte. Geistesabwesend verspeiste sie noch den Rest ihres Frühstücks, bevor sie das Geschirr in die Küche brachte und in den Geschirrspüler räumte. Noch während sie damit beschäftigt war, hörte sie bereits schnelle Schritte die Treppe herunterkommen. Mit einem Satz sprang Junko von der letzten Stufe der Treppe. Auf ihren Rücken hatte sie einen bunten Rucksack geschnallt, dessen Riemen sie mit ihren Händen umklammerte. Voller Erwartung sah sie ihre ältere Schwester an: "Ich wäre dann soweit..." Leicht überrumpelt sah Mirâ die Blauhaarige an, da sie selbst noch immer in ihren Freizeitklamotten und mit unfrisierten Haaren dastand. Auch Junko schien dies nun zu bemerken und ergänzte ihren Satz damit, dass sie loskönnten, sobald die Ältere fertig war. Eine Viertelstunde später radelten beide Mädels durch die Straßen von Tsukimi-kū, dem Stadtviertel in welchem sie lebten in Richtung des Stadtzentrum Hansha-kū, wo Junkos Freundin wohnen sollte. Mirâ hatte sich dazu entschieden die Einkäufe ihrer Mutter mit dem Fahrrad zu erledigen, so musste sie diese nicht tragen und konnte sie an das Zweirad hängen. Jedenfalls war das ihr Plan gewesen. Ob es so aufgehen würde, wie sie es geplant hatte, würde sich erst noch herausstellen. Junko saß hinter ihr auf dem Gepäckträger und krallte sich mit dem linken Arm an ihrer älteren Schwester fest, während sie in ihrer rechten Hand Mirâs Smartphone hielt, welches die Richtung vorgab. Zwar hatte die Oberschülerin vorher in ihrer Navigationsapp nachgeschaut, wo sie hinmussten, jedoch war sie sich dann doch nicht sicher genug ob sie den gesuchten Ort auch finden würde. Doch dank der modernen Technik war dies ja das geringste Problem und so kamen die beiden Mädchen ungefähr zwanzig Minuten später am Ziel an. Dieses stellte sich als sehr modernes Wohnhaus heraus, welches auf einem doch recht großen Grundstück stand. Das Haus war in einem Stil gebaut, der sich stark von den restlichen Gebäuden der Gegend abhob schon fast etwas fehl am Platz wirkte. Auffallend daran waren vor allem die riesigen runden Fenster, die einen Blick auf eine hölzerne Treppe boten, welche sich innen an der Wand nach oben schlängelte und mit verschiedenen Topfpflanzen verziert war. Unten rechts schien die Treppe zu enden und nahtlos in den Eingangsbereich des Hauses zu münden. Jedenfalls sagte das Mirâs Gefühl, als sie auf die schwarze Eingangstür und das schmale Fenster links daneben blickte, wo sie das Ende der Treppe erkennen konnte. "Junko kann Freunde haben...", ging der jungen Frau durch den Kopf, als sie von Junko an der Hand gepackt und mitgezogen wurde. Sie erwachte erst wieder aus ihren Gedanken, als sie von innen die Klingel hören konnte, die die Blauhaarige betätigt hatte. Nur wenige Sekunden später hörte sie ein lautes Rumpeln, welches sie leicht aufschrecken ließ. "Das ist Junko-chan!", hörte sie von innen rufen, "Los beeil dich, Nii-chan! Hüh!" "Lass das! Ich bin doch nicht dein Pferd! Und geh endlich runter von mir!", erklang eine männliche Stimme, die zwar gedämpft war, der jungen Frau jedoch bekannt vorkam. Kurz darauf öffnete sich die Haustür und sie blickte in zwei dunkelblaue Augenpaare. "Nanu... Shingetsu?", erklang erneut die männliche Stimme, dieses Mal jedoch überrascht. Nun wusste Mirâ woher sie die Stimme kannte und erkannte nun auch die Person vor sich, welche in gebeugter Position ein kleines Mädchen auf dem Rücken sitzen hatte. "Kazuma-senpai!?", überrascht wich die Violetthaarige einen Schritt zurück. Die Situation war ihr etwas unangenehm, denn mit ihrem Senpai und Kapitän hatte sie so gar nicht gerechnet. Aus diesem Grund blieb ihr auch jedes weitere Wort im Hals stecken, jedenfalls wäre es so gewesen, wenn sie gewusst hätte, was sie sagen sollte. Auch Dai schien in diesem Moment nicht zu wissen was er sagen sollte, sodass sich kurzzeitig eine unangenehme Stille zwischen den beiden ausbreitete. "Mimi-chan, alles Gute zum Geburtstag!", holte sie jedoch Junkos Stimme aus den Gedanken. Das kleine Mädchen, welches sich noch immer an Dais Rücken klammerte, löste nun auch endlich ihren Blick von Mirâ und wandte ihn der Blauhaarigen zu, bevor sie sich vom Rücken ihres älteren Bruders löste. "Vielen Dank, Junko-chan", bedankte sie sich schließlich, während sie um den jungen Mann herum ging, "Ist das deine ältere Schwester?" Junko nickte: "Hai!" Das kleine Mädchen namens Mimi wandte sich nun noch einmal Mirâ zu und verbeuge sich höflich: "Hallo. Ich heiße Minami Kazuma. Es freut mich sehr dich kennenzulernen." Überrascht von der doch sehr höflichen Vorstellung verschlug es Mirâ noch einmal kurz die Sprache: "Ähm... D-die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich heiße Mirâ." Minami lächelte lieb und griff dann nach Junkos Hand, ehe sie diese an Dai vorbeizog. Während die Blauhaarige an ihrer Schwester vorbeilief, rief sie ihr noch eine Verabschiedung zu, bevor die beiden Grundschüler im Haus verschwunden waren. Dai sah den beiden nach und seufzte dann: "Oh man..." "Ich... Wusste gar nicht, dass du eine kleine Schwester hast, Senpai", sprach Mirâ ihre Gedanken vorsichtig aus. Fragend sah der Ältere sie an und kratzte sich dann im Nacken, während er den Blick abwandte und seiner kleinen Schwester kurz nachblickte: "Ja, sie war ein kleiner Nachzügler. Und manchmal ist sie echt anstrengend." "Ja ich weiß was du meinst", kicherte die Jüngere. "Ich wusste gar nicht, dass Junko-chan deine Schwester ist. Ihr Nachname hat zwar was klingeln lassen, aber irgendwie hab ich das gar nicht so für voll genommen", murmelte der Braunhaarige und wandte sich wieder der junge Frau zu, "Ähm... Was machen denn meine Manieren. Möchtest du vielleicht kurz reinkommen und ein Stück Kuchen? Meine Mutter hat so viel gekauft, dass wir damit die ganze Nachbarschaft versorgen könnten." Einen Moment war Mirâ vollkommen überrumpelt, da sie mit dieser Einladung nicht gerechnet hatte. Doch dann fing sie sich wieder und lehnte höfflich ab, indem sie Dai erklärte, dass sie noch einige Einkäufe zu erledigen hatte. Außerdem war es ja der Geburtstag seiner kleinen Schwester und sie wollte sich da nicht einfach einladen. Deshalb verabschiedete sie sich von ihrem Senpai und machte sich dann auf den Weg in die Innenstadt. Zwar gab es auch in Tsukimi-kū eine Einkaufsstraße, in der sie mit Sicherheit alles bekommen hätte, jedoch lag diese in die genau entgegengesetzte Richtung. Dem zu war sie nun eh einmal in Hansha-kū, weshalb die junge Frau es sinnvoller fand gleich hier alles zu erledigen. Auf ihrem Weg kam sie am Shinzaro Tempel vorbei und entschloss sich kurzfristig diesem noch einen kleinen Besuch abzustatten. Natürlich nicht ganz ohne Hintergedanken, denn sie hoffte darauf, dass Masaru da war und sie noch etwas Zeit mit ihm verbringen könne. Vielleicht würde er sie ja sogar auf ihrer Tour begleiten. So stoppte sie an den Treppen, welche hinauf zum Tempel führten und schloss ihr Fahrrad an einer Laterne an, bevor sie den Aufstieg begann. Wenige Minuten später erreichte sie dann das weiträumige Gelände und schnaufte erst einmal richtig durch. Egal wie oft sie bereits hier hochgegangen war, der Aufstieg war immer noch anstrengend und sie zollte Masaru größtem Respekt, dass er diesen Weg jeden Tag ging. Wobei sie sich auch fragte, ob es nicht auch einen anderen, einfacheren Weg gab. Immerhin besaßen seine Eltern mit Sicherheit auch ein Auto und mit diesem mussten sie ja auch bis aufs Gelände kommen. Noch während sie darüber nachgrübelte, sah sie in der Ferne bereits die Person ihrer Träume und verwarf augenblicklich ihre Gedanken. Freudig setzte sie sich in die Richtung des Schwarzhaarigen in Bewegung, welcher auf den Besen gestützt auf sein Handy blickte und etwas einzutippen schien. Doch kurz bevor sie bei ihm angekommen war, blickte dieser auf: "Oh hallo Mirâ. Was für ein Zufall." Er steckte sein Handy in eine Tasche seines dunkelblauen Hakamas und lächelte sie junge Frau freundlich an: "Ich hatte gerade eine Nachricht in die Gruppe geschrieben. Was führt dich denn her?" "Hallo Senpai. Ich kam gerade zufällig vorbei.", grüßte die Violetthaarige und sah den Älteren fragend an, während sie ihr Smartphone aus der Tasche kramte, "Wegen was hattest du denn geschrieben?" Masaru antwortete noch ehe die junge Frau den Chat überhaupt offen hatte: "Heute Abend findet eine Zeremonie statt, bei der meine Eltern mich brauchen. Ich weiß nicht, wie lange es gehen wird, deshalb hatte ich gefragt, ob wir unseren Ausflug in die Spiegelwelt auf morgen verschieben könnten. Ich weiß, dass es Priorität hat Megumi-chan zu retten, aber wenn ich nicht helfe, wird mein Vater echt sauer. Ich hatte die Zeremonie vollkommen vergessen." Überrascht sah die Jüngere den Schwarzhaarigen an und musste unweigerlich kichern. Dass er einen wichtigen Termin vergaß kam bei dem jungen Mann selten vor, aber genau das fand sie in diesem Moment einfach süß an ihm. Das Kichern der Jüngeren irritierte Masaru, weshalb er sie mit schief gelegtem Kopf ansah. Natürlich blieb das Mirâ nicht unbemerkt, weshalb sie sich kurz räusperte und dann abwinkte: "Das sollte kein Problem sein. Die Anderen werden es mit Sicherheit auch verstehen." "Das hoffe ich. Tut mir wirklich leid", entschuldigte sich der Ältere. Die Oberschülerin schüttelte den Kopf und lächelte: "Schon okay." Erleichtert seufzte Masaru auf und lächelte die junge Frau dann lieb an: "Ich danke dir." Sofort stieg der Angesprochenen die Röte ins Gesicht, jedoch kam sie nicht umher dem Älteren weiter ins lächelnde Gesicht zu schauen. Es war einfach nur süß und ließ ihr Herz höherschlagen. Doch noch etwas anderes spürte sie in ihrem Inneren: Der Social Link, welcher sich um eine weitere Stufe vertieft hatte. "Masaru-san, dein Vater ruft nach dir wegen der Zeremonie", hörten beide plötzlich eine weibliche Stimme. Mirâ blickte auf und erkannte wieder die junge Miko mit den türkisgrünen Haaren, welche auf die beiden Oberschüler zugelaufen kam. Sie hatte das Gefühl eines Déjà-vus, denn eine ähnliche Situation hatte sie bereits vor einiger Zeit erlebt. Auch an dem Tag hatte sie mit Masaru gesprochen und wurde dann von dem Mädchen in der Mikotracht gestört. Deshalb kam sie nicht umher dies kurz für pure Absicht zu halten, doch verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Mit Sicherheit war es nur Zufall. "Ah Chisato-chan, alles klar. Ich mach mich gleich auf den Weg", lächelte der Schwarzhaarige und wandte sich dann wieder Mirâ zu, "Ich muss dann los. Nochmal sorry, dass ich euch heute Abend versetzen muss." Angesprochene schüttelte den Kopf und lächelte, während sie sie Hand zum Winken hob: "Nein schon gut. Dann viel Erfolg für die Zeremonie. Wir schreiben dann." "Ja sicher. Machs gut", damit drehte sich der junge Mann um und verschwand kurz darauf hinter einem der Tempelgebäude. Zurück blieben die beiden jungen Frauen, welche dem Älteren nachblickten. "Schlag ihn dir lieber aus dem Kopf...", sagte die Grünhaarige plötzlich unvermittelt. Überrascht schrak Mirâ aus ihren Gedanken und sah die Jüngere irritiert an, welche ihren Blick nun auch ihr zuwandte und sie mit stechend violetten Augen ansah. Auf einmal wurde es ganz still zwischen den beiden, sodass nur noch das Rauschen der Blätter zu vernehmen war. Plötzlich jedoch konnte Mirâ nicht mehr an sich halten und begann zu prusten, was die eindeutig Jüngere merklich irritierte. "W-was ist denn jetzt so lustig daran?", fragte sie leicht gereizt. "Entschuldige", beruhigte sich die Violetthaarige ganz langsam und blickte dann wieder auf, direkt in Chisatos Augen, "Dein Name ist Chisato. Hab ich Recht? Kann es sein... Dass du auch in Masasu-senpai verliebt bist?" Angesprochene machte erschrocken einen Satz zur Seite und lief augenblicklich knallig rot an: "W-was soll diese Frage? Spinnst du?" Anstatt einer Antwort überkam Mirâ jedoch erneut ein Kichern, was die Jüngere allerdings nur noch mehr provozierte: "Hör auf zu lachen! Urgh... Mein Name ist Chisato Samejima! Merk ihn dir, denn ich werde diejenige sein, die Masaru-sans Herz für sich erobern wird!" Das Kichern der Älteren erstarb, während sie Chisato vollkommen überrascht anblickte. Diese hatte den Finger auf sie gerichtet und sah sie mit total ernstem Blick an, während sich wieder tiefe Stille ausbreitete. Plötzlich jedoch nahm die Gesichtsfarbe der Grünhaarigen einen tiefroten Ton an, woraufhin sie sich ruckartig umdrehte und ohne weitere Worte davonstolzierte. Zurück blieb eine völlig überrumpelte und irritierte Oberschülerin, welche keine Ahnung hatte, was sie überhaupt darauf erwidern sollte und die nicht einmal mitbekam, wie ihr Handy vibrierte, während eine ihr eigentlich Bekannte Stimme die ihr bekannten Worte zuflüsterte: "Ich bin du und du bist ich..." Kapitel 78: LXXVIII – Entspannter Abend --------------------------------------- Mittwoch, 02.September 2015 Seufzend erreichte Mirâ die letzte Stufe der Treppe, welche zum Tempel führte, und drehte sich noch einmal um, um einen letzten Blick auf diesen zu werfen. Ihr Plan ging ja wohl voll in die Hose. Zwar hatte sie von vornherein nicht damit gerechnet, dass Masaru sie begleiten würde, immerhin war er im Tempel immer beschäftigt, aber sie hatte auf etwas mehr Zeit mit ihrem Schwarm gehofft. Dass sie wieder einmal dabei gestört wurde ärgerte sie ein wenig. Trotzdem bildete sich auf ihren Lippen ein Lächeln, als sie an die Begegnung mit Chisato denken musste. Zwar hatte sie deren Verhalten am Ende doch ziemlich aus der Bahn geworfen, jedoch fand sie ihre Reaktion trotzdem irgendwie süß und auch etwas nachvollziehbar, immerhin wusste sie, wie sich die Grünhaarige fühlte. Trotzdem wusste sie, dass diese nun wohl ihre Konkurrentin sein würde, wenn es um die Gefühle von Masaru ging. Ein erneutes Kichern huschte über ihre Lippen ihr, als sie diese Situation an eine typisch kitschige Szene aus einem Shoujo-Manga erinnerte, in welcher sich zwei Mädchen um einen Kerl stritten. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich vom Tempel ab, um zu ihrem Fahrrad zu gehen, welches immer noch angeschlossen an der Laterne lehnte. Doch noch ehe sie dieses erreichte kramte sie ihr Smartphone aus der Tasche, um einen Blick darauf zu werfen. Die Persona App zeigte an, dass es etwas Neues gab und auch ihr Chatprogramm hatte einen kleinen Haken oben in der rechten Ecke, welcher ihr anzeigte, dass sie mehrere Nachrichten hatte. Neben ihrem Zweirad blieb die junge Frau stehen und öffnete als erstes die Persona App, worauf ihr gleich angezeigt wurde, dass sich etwas bei ihren Social Links getan hatte. Wie zu erwarten war Masarus Link um eine Stufe gestiegen. Doch als sie zurück zum Menü mit den Links ging fiel ihr auf, dass sich eine weitere Arcana aufgedeckt hatte, welche zusätzlich mit einem kleinen Ausrufezeichen versehen war. Sie tippte auf die Karte, die sich öffnete und ein Bild mit einer schwarzen Silhouette zeigte. Eine Augenbraue angehoben hielt Mirâ ihr Smartphone noch etwas näher ans Gesicht, und glaubte dann in der Silhouette die Umrisse einer Frau erkennen zu können, welche einen hohen Hut und ein Gewand mit weitem Kragen trug. Ganz so sicher war sie sich jedoch nicht. Am Hut der Figur war ein Mond zu sehen, der sich mit seiner gelben Farbe doch recht stark von dem Rest des Bildes abhob, das eher in dunkelrot und schwarz gehalten war. Sie senkte ihre Hand wieder und brachte sie einen normalen Abstand zwischen ihre Augen und dem Gerät, während sie die Seite nach unten scrollte, sodass sie den Namen der Karte erkannte: "Die Hohepriesterin". Sofort war ihr klar, mit wem sie diesen Link geschlossen hatte und richtete ihren Blick noch einmal hinauf zum Tempel, bevor sie seufzte und die Persona-App wieder schloss. Das konnte ja heiter werden, wenn Chisato sie als Rivalin sah. In ihren Gedanken versunken öffnete sie ihr Chatprogramm und dann die Nachricht ihrer Mutter, welche ganz oben stand. Wie immer hielt sich die Ältere kurz und bündig, sodass die Nachricht nur beinhaltete, dass sie an diesem Abend erst sehr spät nachhause kommen würde und Mirâ nicht auf sie warten müsste. Solche Nachrichten waren für die Oberschülerin keine Überraschung mehr. Es kam häufiger vor, dass ihre Mutter einen Termin außerhalb hatte und erst spät wiederkam, weil sich ihr Termin verspätete oder sie nicht zu Potte kamen. Manchmal übernachtete sie dann auch in einem Hotel in der Nähe, wenn es für den Heimweg bereits zu spät war. Am Anfang fand die Violetthaarige das wirklich nervig, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt und genoss die Zeit alleine zu Hause sogar. Ihr kam eine Idee, als sie daran dachte, dass sie an diesem Abend ganz alleine war und nahm sich vor Akane und Kuraiko zu schreiben, sobald sie die anderen Nachrichten gelesen hatte. Also beendete sie den Chat von ihrer Mutter und öffnete den Gruppenchat, in welchem mehrere Nachrichten angekommen waren. Die Eröffnung machte Masaru mit seiner Bitte die Mission heute zu verschieben, da er seinen Eltern bei der Zeremonie helfen musste. Die Antworten hatten nur wenige Minuten daraufgefolgt. Akane »Ja klar, kein Problem. :-)« Hiroshi-kun »Ich habe auch nichts dagegen, bin eh noch platt von gestern...« Yasuo-senpai »Bin auch dafür...« Kuraiko »Ja meinetwegen. Kommt ja nicht oft vor, dass du was vergisst.« Es schien eindeutig, dass keiner so wirklich Lust hatte an diesem Abend die Spiegelwelt zu betreten, auch wenn sie wussten, dass die Rettung von Megumi oberste Priorität besaß. Andererseits wäre es auch nicht gut, wenn sie alle noch zu fertig waren und deshalb ihre Kräfte nicht vollends nutzen konnten. Deshalb war die kurze Pause vielleicht gar nicht so schlecht. Mirâ brachte dies jedoch in eine kleine Zwickmühle, denn sie hatten sich ja mit Mika verabredet und diese würde nun auf sie warten. Inständig hoffte die Oberschülerin, dass sie das kleine Mädchen an diesem Tag noch einmal an ihrem Spiegel antreffen würde, um sie über ihre Entscheidung zu informieren. Es wäre wirklich einfacher, wenn sie auch anderweitig mit der Kleinen in Kontakt treten könnte, allerdings hatte sie keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Noch einen Moment blieb sie an diesem Gedanken hängen, doch schüttelte dann den Kopf. Es brachte nichts sich jetzt den Kopf zu zerbrechen. Ihr würde schon irgendetwas einfallen und für den Moment konnte sie sowieso nichts anderes machen, als hoffen noch einmal mit Mika reden zu können. So schrieb sie noch schnell eine kurze Antwort in den Chat, selbst wenn Masaru ihre Antwort bereits kannte, sowie eine Nachricht an Akane und Kuraiko und steckte ihr Handy dann wieder in ihre Tasche, bevor sie ihr Fahrrad abschloss und sich dann weiter auf den Weg in die Innenstadt machte. Zwei Stunden später radelte die junge Frau, mit jeweils einer vollgepackten Tasche an jeder Seite ihres Lenkers, zurück nachhause. Sie grinste, während sie an den kleinen Gegenstand dachte, den sie während ihres Stadtbummels durch Zufall gefunden und nun in ihrer Handtasche hatte. Sie würde ihn bei ihrem nächsten Besuch in der anderen Welt Mika überreichen und hoffte, dass er ihr helfen würde mit dieser auch außerhalb ihrer vier Wände zu kommunizieren. Wenn sie ehrlich war glaubte sie nicht daran, dass ihr Plan aufgehen würde. Sie fand die Idee selber irgendwie zu verrückt. Trotzdem wollte sie es ausprobieren. "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt...", dachte sie sich und bog in eine ruhige Straße ein, in welcher sie kaum Häuser vorfand. Die wenigen Gebäude, die sie sah waren von Bäumen umgeben und so ziemlich gut versteckt. Aber was sie erkannte war, dass es sich dabei um alte traditionelle Häuser handelte, welche auf großen Grundstücken standen und große Höfe besaßen. Die Gegend wirkte sehr idyllisch und Mirâ genoss die Ruhe, welche sie begleitete. Plötzlich jedoch ließen sie Geräusche aufhorchen, die ihr bekannt vorkamen. Sofort stoppte sie ihr Rad und lauschte noch einmal in die Stille. Und tatsächlich hatte sie sich nicht getäuscht. Einen Moment später erklangen diese Geräusche nämlich erneut. Erst ein Schnappen, dann ein Zischen und zuletzt ein dumpfes Ploppen. Sie kannte diese Töne nur zu gut und lauschte in die Umgebung, bis sie die Richtung ausmachen konnte, aus welcher diese kamen. Den Blick genau dorthin gerichtet, stieg sie langsam von ihrem Gefährt und schob dieses auf einen kleinen Weg, der zwischen einigen Bäumen hindurchführte. Kurz darauf erreichte sie ein großes ummauertes Gebäude, dessen Eingangstor verschlossen war. Unbeirrt dessen folgte sie dem Weg um die Mauer herum und erkannte dann ein Gebäude, welches etwas abseitsstand. Überrascht weiteten sich ihre Augen, denn sie kannte die Form dieses Gebäudes nur zu gut. Und nicht nur dass, denn in ihr regte sich etwas Vertrautes. Als hätte sie genau dieses Gebäude schon einmal gesehen, allerdings war sie sich sicher, dass dies nicht der Fall sein konnte. Die junge Frau näherte sich dem länglichen Haus und stellte ihr Fahrrad an einen der Bäume, als sie nah genug dran war. Anstatt das Gebäude jedoch zu betreten ging sie auch um dieses herum und erkannte, was sie erwartet hatte: Ein längliches umzäuntes Feld, an dessen Ende eine Art überdachte Wand war. Eine einzelne schwarz-weiße Zielscheibe war an der, wie sie wusste, aus Erde bestehenden Wand befestigt und mehrere Pfeile steckten bereits darin. Sie drehte ihren Blick und wandte sich dem langen Gebäude zu, um das sie zuvor herumgegangen war. Dieses stellte sich als offene Halle heraus. In der Mitte dieser kniete eine ältere Frau in einem schwarzen Hakama und einem weißen Gi, dem kurzärmeligen Oberteil, welches man typischerweise zum traditionellen Hosenrock trug. Über ihrer Brust war ein schwarzer Muneate gespannt, ein Brustschutz, den häufig nur die Frauen in diesem Sport trugen. In ihrer Hand hielt sie einen großen Bogen und mehrere Pfeile. Anmutig erhob sich die Frau und drehte ihren Körper leicht nach links, bevor sie mehrmals kleine Schritte vor und zurück machte und dann stehen blieb. Dabei hatte sie immer den Blick auf die Scheibe am anderen Ende des Feldes gerichtet. Sie legte mit der Rechten einen Pfeil an und hob dann so den Bogen mit beiden Händen über ihren Kopf. Dann spannte sie den Bogen, während sie ihre Arme auf der richtigen Höhe positionierte. Am Zittern ihres rechten Armes erkannte man, wie viel Kraft es kostete den Bogen so zu halten. Doch plötzlich erstarb das Zittern und die Frau wirkte wie erstarrt. Dann erklang das Schnappen und kurz darauf auch das typische Ploppen. "Tsurune...", murmelte Mirâ geistesabwesend. Ihr Blick war dabei weiterhin auf die Frau gerichtet, die nun einen Schritt zurücktrat, sich wieder nach rechts drehte und hinkniete. Der Pfeil, welcher in der Mitte der Zielscheibe steckte, interessierte die Violetthaarige gar nicht. Sie war so gefangen von dem Bild, das sich ihr wenige Sekunden zuvor geboten hatte. Eine solche Anmut beim Kyudo hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Sie wusste wie schwierig es war eine schöne Form beim Kyudo zu haben und dabei auch noch das Ziel treffsicher zu erwischen. Eigentlich war es sogar fast unmöglich. Es gab nur wenige, die das beherrschten. Ein vertrautes Gefühl überkam sie und sie erinnerte sich wieder daran, wieso sie damals als Kind überhaupt mit dem Bogenschießen angefangen hatte. Ihr Vater hatte damals in einem Verein diesen Sport ausgeübt und sie hatte ihn mehrmals zu Turnieren begleitet. Dabei hatte sie bei einer Veranstaltung eine Kyudoka gesehen, welche genau solch eine Anmut ausstrahlte, wie die Frau in diesem Dojo. Nachdem sie das gesehen hatte, war sie Feuer und Flamme gewesen und ihr Entschluss diesen Sport ausüben zu wollen stand fest. Plötzlich schwankte Mirâ. Dem warmen vertrauten Gefühl, folgte ein stechender Schmerz in ihren Schläfen, welcher sie dazu zwang in die Knie zu gehen: "Urgh!" "Ist alles in Ordnung?", fragte eine weibliche Stimme und ließ die Violetthaarige aufschrecken. Vollkommen überrumpelt fiel sie vor Schreck auf ihren Hintern und starrte die ältere Dame an, die ihr gegenüber hinter dem niedrigen Zaun stand. Augenblicklich waren auch ihre Kopfschmerzen verschwunden, doch wirklich Zeit sich darüber zu wundern hatte die Oberschülerin nicht. "Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken", sprach die Dame erneut, "Es wirkte aber so, als würde es dir nicht gut gehen." "Ähm... N-nein, m-mir geht es gut. Ich hatte nur etwas Kopfschmerzen, aber die sind schon wieder vorbei", stotterte Mirâ zusammen, um irgendwie wieder ihre Sprache zu finden. Die Fremde lächelte freundlich: "Ich habe gesehen, wie du mich beobachtet hast. Interessierst du dich für Kyudo?" Die Oberschülerin erhob sich langsam wieder und klopfte sich den Staub von den Sachen, bevor sie antwortete: "Ja. Um ehrlich zu sein besuche ich in der Schule einen Kyudo-Klub." "Oh, dann besuchst du sicher die Jūgôya. Habe ich recht?", auf den verwunderten Blick der Jüngeren sprach die Frau weiter, "Das ist die einzige Schule hier in der Stadt, die diesen Sport anbietet. Mein Enkelsohn war während seiner Oberschulzeit auch in diesem Klub. Er hatte sich extra für die Jūgôya entschieden, weil sie den Sport anbietet. Mittlerweile ist er Student an der Universität. Ach was erzähle ich da... Das wird dich sicher nicht interessieren." Mirâ lächelte, da ihr die alte Dame sehr sympathisch war: "Nein schon gut. Ich wusste gar nicht, dass die Jūgôya die einzige Schule ist, die Kyudo anbietet. Wissen Sie, ich bin dieses Jahr erst hierhergezogen." "So? Dabei hätte ich schwören können...", begann die Ältere, doch schüttelte dann den Kopf, "Ach nein, vergiss es. Das kann nicht sein." Als die Oberschülerin jedoch den Kopf schieflegte, sprach die alte Dame weiter und erklärte, dass Mirâ sie an ein Mädchen von früher erinnerte. Genau wie bei ihr damals hatten Mirâs Augen gestrahlt, als sie zugesehen hatte. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass die junge Frau dem Mädchen sehr ähnelte, auch äußerlich. "Aber wahrscheinlich spielt mir meine Fantasie einen Streich. In meinem Alter verwechselt man schon mal einige Dinge.", lachte sie anschließend, "Darf ich dich denn fragen, wie du heißt?" "Ähm... J-ja sicher. Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Es freut mich.", stellte sich die Jugendliche mit einer leichten Verbeugung vor, woraufhin ihr Gegenüber noch einmal so wirkte, als wäre ihr etwas vertraut. Doch sie schüttelte dann wieder den Kopf und lächelte freundlich: "Mein Name ist Moe Kawasami. Es freut mich auch. Nun sag Shingetsu-chan, du meintest du würdest Kyudo machen. Hättest du denn Lust mir dein Können mal zu zeigen?" Völlig überrumpelt schrak die Schülerin auf und überlegte, wie sie freundlich ablehnen konnte, ohne dass sich die alte Frau vor den Kopf gestoßen fühlte. Eigentlich wollte sie niemandem zeigen wie sie Kyudo machte, außer ihren Mitschülern im Klub, vor allem aber keiner Meisterin. Mirâ war sich nämlich mehr als sicher, dass vor ihr eine Meisterin im Kyudo stand. Sie selbst führte diesen Sport schon seit einiger Zeit nicht mehr ohne Hintergedanken aus oder weil sie einfach Lust dazu hatte. Natürlich nutzte die das Training, um vor allem in der Spiegelwelt gewappnet zu sein. Aus diesem Grund war ihre Form einfach nur grottig. Das wusste sie, zumal ihr Trainer sie oft genug darauf hinwies, dass sie daran arbeiten musste. Kyudo musste man mit vollem Herzen ausführen und nicht so halbherzig wie sie. Kawasami-san würde sofort merken, dass sie nicht mit ganzer Seele dabei war und das wollte sie nicht. Aus einem ihr unerfindlichen Grund wollte sie die alte Dame nicht enttäuschen. Aber sie gegen den Kopf stoßen wollte sie auch nicht, also brauchte sie eine Ausrede, um so schnell wie möglich zu verschwinden. In ihrem Augenwinkel erkannte sie ihr Fahrrad, welches etwas entfernt an einem Baum lehnte. Dann lächelte sie und hob die Hände: "T-Tut mir leid, a-aber ich muss erstmal weiter. Ich habe noch Einkäufe..." Kawasami hob kurz überrascht eine Augenbraue an, doch grinste dann: "Ich verstehe. Dann ein anderes Mal. Du kannst gerne jederzeit vorbeikommen, wenn du magst. Unser Dojo steht jedem offen. Seit mein Mann und ich keinen Unterricht mehr geben, ist unser Haus sehr verwaist. Ich freue mich deshalb über Besuch." "Ähm gerne. D-dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.", höflich verbeugte sich die Oberschülerin und versuchte dann halbwegs normal, aber doch zügig zu ihrem Fahrrad zu gelangen. Erst als sie dieses erreicht und damit ein Stück von dem Grundstück weggeradelt war, atmete Sie erleichtert auf. Noch einmal warf sie einen kurzen Blick auf das Grundstück, auf welchem sie das alte Kyudo Dojo gefunden hatte. Innerlich entschuldigte sie sich für ihr unmögliches Verhalten und machte sich dann endlich auf den Heimweg. Doch ihre Gedanken hingen noch eine Weile an dem Ort, den sie so fluchtartig verlassen hatte. Auch am frühen Abend, als Mirâ durch die Wohnung lief und einige Vorbereitungen traf, hingen ihre Gedanken noch immer bei Kawasami. Sie wusste nicht warum, aber die alte Frau kam ihr bekannt vor. So vertraut. Doch eigentlich konnte das nicht sein und sie überlegte, ob sie sie nur mit jemandem verwechselte. Aber kannte sie eine alte Kyudomeisterin persönlich? Sie war sich nicht sicher, zumal einige ihrer Erinnerungen sowieso verschwommen waren, seit sie als Kind mal im Krankenhaus aufgewacht war. Was genau damals passierte und wie sie dorthin gekommen war, wusste sie auch nicht mehr. Und ihre Eltern konnten es ihr irgendwie auch nicht wirklich beantworten. Bisher hatten sie diese fehlenden Erinnerungen allerdings nicht gestört. Sie hatte sie einfach nicht gebraucht, doch nun hatte sie nach und nach das Gefühl, dass etwas Wichtiges in ihnen verborgen lag. Ob sie sich jemals wieder daran erinnerte? Gedankenversunken merkte die junge Frau nicht einmal, wie sie stumm vor dem Esstisch stand und diesen anstarrte, anstatt das Geschirr in ihrer Hand einzudecken. Erst ein schrilles Klingeln an der Tür ließ sie aufschrecken und dabei beinahe den Inhalt ihrer Hände fallen. Gerade noch so konnte sie ein großes Chaos verhindern und das Porzellan auf den Tisch stellen, bevor sie sich auf den Weg zur Haustür machte und diese öffnete. Unverzüglich blickte sie in zwei strahlend grüne Augen, welche von braunen langen Haaren eingerahmt waren. "Yo! Da bin ich", grüßte Akane fröhlich, während sie sich ähnlich wie ein Soldat die Hand an die Stirn hielt und das linke Auge zukniff, "Ich habe auch ein paar Knabbereien dabei." Grinsend hob sie die weiße Tüte an, durch dessen teilweise transparentes Material Mirâ mehrere Leckereien erkennen konnte. Lächelnd trat sie Violetthaarige zur Seite und ließ ihre beste Freundin eintreten. Nachdem ihre Mutter ihr geschrieben hatte, dass sie wahrscheinlich erst sehr spät am Abend nachhause kommen würde, hatte Mirâ ihre beiden Freundinnen Akane und Kuraiko angeschrieben, ob sie Lust hatten zu ihr zu kommen und gegebenfalls dort zu übernachten. Die Braunhaarige hatte sofort begeistert zugestimmt, während Kuraiko ablehnte, da sie am nächsten Morgen in der Bäckerei aushelfen wollte. Auch wenn die Violetthaarige die Absage schade fand, so freute sie sich umso mehr über die Zustimmung von Akane. Nachdem diese ihre Turnschuhe abgestellt und in die Hausschlappen geschlüpft war, die ihre Freundin ihr hingestellt hatte, betraten beide das Wohnzimmer. "Das war ne coole Idee, Mirâ. Aber ist das in Ordnung? Auch von deiner Mutter aus?", fragte Akane nochmal etwas verunsichert nach. "Ja, solange wir kein allzu großes Chaos verursachen, sollte das kein Problem sein", antwortete Mirâ lächelnd. Die Brünette grinste: "Dann ist ja gut. Schön, dass wir unseren Abend mal mit anderen Dingen verbringen, als mit der Shadowjagd." Die Violetthaarige nickte und wollte zustimmen, als ihr plötzlich etwas Wichtiges einfiel. Wie von der Tarantel gestochen stürmte sie plötzlich die Treppen hinauf und ließ ihre beste Freundin irritiert zurück. Sie stürmte in ihr Zimmer, schloss nicht einmal die Tür, sondern stellte sich gleich vor ihren Spiegel und rief nach Mika, in der Hoffnung, dass sie noch da war. Sie hatte vollkommen vergessen der Kleinen mitzuteilen, dass sie diese Nacht nicht zu ihr hinüberkommen würden und nun hatte sie Angst, dass Mika auf sie warten würde. Ihre Vermutung, dass die Blauhaarige bereits losgegangen war erhärtete sich, als aus dem Spiegel keine Reaktion kam. Irritiert stand Akane in der Tür zum Zimmer der jungen Frau und beobachtete diese, wie sie verzweifelt versuchte Mika zu erreichen, jedoch nichts geschah. Frustriert ließ die Oberschülerin den Kopf hängen und ärgerte sich über ihr eigenes Unvermögen. Sie hätte der Kleinen direkt mach ihrer Rückkehr Bescheid sagen sollen, doch nun schien es zu spät. Plötzlich jedoch ertönte eine müde Stimme und ließ die Violetthaarige erschrocken zurückweichen. Einen Moment später erkannte sie das blauhaarige Mädchen in ihrem Spiegel, welches ziemlich fertig aussah. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab und sie rieb sich wie ein kleines Kind die Augen. "Was soll denn der Lärm? Hab ich verschlafen?", fragte sie vollkommen müde und gähnte zur Untermauerung noch einmal genüsslich. Noch einige Sekunden verweilte Mirâ in ihrer aktuellen Position und starrte Mika an, die sich nun durch die Haare fuhr und dabei zu bemerken schien, dass sie ein Eigenleben führten. Leicht genervt versuchte sie die widerspenstige Strähne auf ihren Platz zu drücken, doch ohne Erfolg, woraufhin sie entnervt seufzte und dann wieder zu der Älteren sah. Erleichtert atmete diese auf. Die Blauhaarige war also doch noch da und hatte nur geschlafen. "Ein Glück", dachte sie sich und wandte sich dann mit einem sanften Lächeln an die Jüngere: "Entschuldige, wenn ich dich geweckt habe. Es geht um heute Abend. Wir müssen leider die Mission auf morgen verschieben. Masaru-senpai ist etwas dazwischengekommen." Es schien eine Weile du dauern, bis diese Information bei der Kleinen angekommen waren und sie darauf müde antwortete: "Oh. Ja ist okay. Danke, dass du mir Bescheid sagst." "Ich habe mir Gedanken gemacht, weil ich Angst hatte, dass ich dich schon verpasst habe. Zum Glück warst du noch da. Das wir nur hier kommunizieren können ist wirklich dumm. Ich hab aber schon eine Idee, wie es anders gehen könnte.", grinste sie Violetthaarige, woraufhin Mika sie irritiert ansah, "Ich erkläre es dir morgen. Okay?" Die Jüngere nickte und bemerkte nun auch Akane, die ebenfalls vor den Spiegel trat und sie mit großen Augen ansah: "Ihr redet also immer so miteinander? Ist ja spooky. Ich bin fast an einem Herzkasper gestorben, als Mika das eine Mal bei mir aufgetaucht war." "Tut mir leid.", kam die Entschuldigung prompt, welche Akane jedoch nur mit einem Lachen quittierte, "Seid mir nicht böse. Aber wenn wir heute Abend nicht in den Dungeon gehen, würde ich mich noch etwas hinlegen. Ich bin wirklich fertig." Besorgt sah Mirâ zu dem kleinen Mädchen: "Ja sicher. Mach das. Dann schlaf gut, Mika." "Ja, ihr nachher auch. Gute Nacht.", ein Gähnen war noch zu vernehmen, bevor sich der Spiegel wieder wandelte und die beiden Schülerinnen nur ihr eigenes Spiegelbild sahen. "Sie schien wirklich K.O. zu sein.", murmelte Akane. "Ja, Ich hoffe es ist alles in Ordnung.", meinte Mirâ besorgt, doch spürte plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Als sie aufschaute sah sie in die grünen Augen ihrer besten Freundin, welche breit grinste und meinte, dass mit Sicherheit alles gut war. Immerhin hatte sie mehrere anstrengende Tage hinter sich. Dass einen das schlauchte war doch vollkommen normal. Die Violetthaarige seufzte und lächelte immer noch leicht besorgt, nickte aber, weil sie vorerst zu dem gleichen Schluss wie ihre beste Freundin gekommen war. "Yosh! Dann wollen wir mal so richtig auf die Pauke hauen.", sagte Akane plötzlich grinsend und verließ dann Mirâs Zimmer, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo das ganze Knabberzeug lag. Lächeln und mit einem kleinen Seufzer sah Mirâ ihr nach und folgte ihr, jedoch nicht ohne noch einmal einen kurzen Blick auf den Spiegel zu werfen, der jedoch immer noch ihr Zimmer reflektierte. Später am Abend hatten es sich die beiden Mädchen auf dem Fußboden im Wohnzimmer bequem gemacht. Das Knabberzeug zwischen sich gelegt, hatten sie einen Film geschaut und sich darüber ausgetauscht, was sie die letzten Tage so erlebt hatten, wenn sie nicht in der Spiegelwelt waren. Diese Situation war für Mirâ erfrischend, da bei ihr noch nie Freunde übernachtet hatten. Die letzten Jahre bevor sie nach Kagaminomachi kam hatte sie ja sowieso vehement jeglichen Kontakt zu ihren Klassenkameraden gemieden und bei den Jahren davor konnte sie sich nicht erinnern, dass sie jemals eine Freundin über Nacht bei sich hatte. Aber es gefiel ihr. In aller Ruhe und nur unter sich mit der besten Freundin zu reden machte Spaß und sie nahm sich vor, dass dies nicht das letzte Mal sein würde. Das synchrone vibrieren beider Smartphones, welche auf dem Boden lagen, ließ sie jedoch aus ihrem ausgelassenen Gespräch schrecken und die kleinen Geräte aufnehmen. Mit flinken Bewegungen waren beide Displays entsperrt und kurz darauf auch der Gruppenchat geöffnet, von welchem das Stören ausging. Es war bisher nur eine einzige neue Nachricht eingegangen, doch diese ließ Akane aufstöhnen, während Mirâ eher irritiert wirkte. Yasuo-senpai »Mir fällt gerade ein... Sagt euch der Name Ryu Arabai etwas? Der Junge, den ich heimgebracht habe, sagte dieser Ryu hätte die Mutprobe gemacht, als der schwarze Schatten erschien...« Hiroshi-kun »Ist das nicht der Knirps aus dem ersten Jahr? Lernt der eigentlich nichts dazu? 눈_눈« Yasuo-senpai »Ihr kennt ihn also?« Kuraiko »Wieso fällt dir das ausgerechnet JETZT ein? Warum hast du das nicht schon gestern gesagt?« Yasuo-senpai »Vergessen...« Ein Seufzen ließ Mirâ aufschauen und zu Akane blicken. Diese schaute mit einem kleinen Lächeln auf ihr Smartphone und man merkte ihr an, wie sie dachte, dass diese Situation typisch für Yasuo war. Ihre Gedanken waren ihr schon fast in Großbuchstaben auf die Stirn geschrieben. Auch die Violetthaarige musste lächeln und wandte sich wieder ihrem eigenen Telefon zu, in welches sie eine Nachricht eintippte und damit dazwischen ging, bevor Kuraiko noch wirklich auf die Art des Älteren durchdrehte. Sie schrieb, dass sie sich am nächsten Tag darüber unterhalten würden. Dann konnten sie auch abklären, wie sie weiter vorgingen. Auch wenn sie sich selber Sorgen machte, so konnten sie in diesem Moment ja doch nichts ändern. Die junge Frau schaltete das Display wieder aus und legte das Telefon beiseite, bevor sie Akane mit einem allessagenden Blick ansah. Diese bekam es jedoch nicht einmal mit, da sie noch immer auf ihr Smartphone starrte. "Hast du vor es ihm zu sagen?", fragte Mirâ so unvermittelt, dass ihr Gegenüber erschrocken das Gerät aus ihren Händen fallen ließ. "Ähm... Was?", kam nur eine irritierte Gegenfrage. Die Violetthaarige lächelte, zog ihre Knie an sich ran und legte ihren Kopf darauf, ohne den Blick von ihrer besten Freundin zu nehmen: "Ob du vorhast, Yasuo-senpai deine Gefühle zu gestehen?" Die Gesichtsfarbe der Braunhaarigen wechselte von einem zum nächsten Moment in ein tiefes Rot und sie versuchte sich sofort herauszureden, dass Mirâ das vollkommen falsch verstand. Doch für diese verriet sich die Brünette durch ihre Reaktion nur noch mehr, weshalb sie grinste: "Schon okay. Ist doch in Ordnung." "M-meinst du?", Akane senkte den Blick, "Aber das geht doch nicht. Wir sind ein Team." "Was hat das damit zu tun?", kam eine irritierte Frage, "Wer sagt, dass das nicht geht?" Ihre Freundin senkte den Blick und erklärte, dass Pärchenbildung in ihrer Gruppe mit Sicherheit zu Komplikationen führen würde. Und das wollte sie nicht. Dabei war sie sich innerlich natürlich bewusst, dass sie sich damit selber widersprach, immerhin drängte sie auch Hiroshi jedes Mal dazu, Mirâ seine Gefühle zu gestehen. Natürlich sprach sie das der Violetthaarigen gegenüber nicht an, immerhin würde das erstrecht zu Komplikationen führen. Ein Seufzen holte sie aus ihren Gedanken und ließ sie zu ihrer Freundin schauen. Diese hatte sich wieder bequem hingesetzt und lächelte Akane nun lieb an: "Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich unterstütze dich gern. Also wenn du Senpai deine Gefühle gestehen willst, dann werde ich dir den Rücken stärken." Überrascht und immer noch mit rotem Gesicht sah die junge Frau ihr Gegenüber an und lächelte dann leicht: "Danke Mirâ..." Kapitel 79: LXXIX – Auf ins Gefecht ----------------------------------- Donnerstag, 03.September 2015 „Ghn“, genüsslich streckte sich Akane und reckte ihr Gesicht gen Himmel, „Was für ein angenehmer Morgen.“ Nickend beobachtete Mirâ ihre beste Freundin, bevor sie ihren Blick ebenfalls Richtung Himmel hob. Ein angenehm kühler Wind kam auf und strich ihr durch die Haare. Es war wirklich ein sehr erfrischender Morgen an diesem Tag. Von der drohenden Hitze, welche sich über den Tag noch ausbreiten würde, war noch nichts zu spüren. So war es auch nicht verwunderlich, dass ihnen nicht mal wenige Menschen entgegenkamen, die die frische Morgenluft für Ihre Besorgungen nutzten, bevor es wieder zu heiß sein würde, um sich überhaupt zu bewegen. So auch Akane und Mirâ. Erstere wollte sich relativ früh auf den Heimweg machen, um noch einige Dinge zu erledigen, bevor sie am späten Abend wieder in die Spiegelwelt gingen. Und die Violetthaarige wollte sie noch ein Stück begleiten, bevor sie Junko bei ihrem Kapitän abholen würde. Die Braunhaarige wandte sich an ihre Freundin und blieb plötzlich stehen: „Das war wirklich ein toller Abend. Nächstes Mal laden wir noch Kuraiko und Megumi-chan mit ein, dann wird es noch lustiger.“ „Sicher.“, lächelte Mirâ, als sie neben Akane zum Stehen kam. Diese grinste: „So ich muss jetzt hier lang. Wir sehen uns dann heute Abend.“ „Ja, bis nachher.“, winkend sah das violetthaarige Mädchen ihrer besten Freundin nach, während diese sich immer weiter von ihr entfernte. Nach wenigen Minuten war diese dann aus ihrem Sichtfeld verschwunden, sodass sich nun auch die junge Frau abwandte und ihren Weg fortsetzte. Dabei kreisten ihre Gedanken um die an diesem Tag stattfindende Rettungsaktion. Wenn alles gut lief würden sie es dieses Mal bis zum Zwischenboss schaffen und das war auch das mindeste, was an diesem Abend drinnen sein musste. So tief in ihren Gedanken versunken bemerkte Mirâ nicht, dass sich ihr jemand von vorn näherte, der ebenfalls mit seinem Kopf ganz woanders war. So war es nicht verwunderlich, dass es nicht lange dauerte und beide ineinanderliefen. Mit einem dumpfen Geräusch knallten beide Personen gegeneinander und stolperte daraufhin einige Schritte zurück. Sofort schrak Mirâ aus ihren Gedanken und sah auf die Person ihr gegenüber, welche sie mit einem verängstigten Blick ansah und die sie mittlerweile vom Sehen her recht gut kannte. „Oh... Kamiya-kun. Was für ein Zufall“, lächelte die Ältere den Braunhaarigen an, „Entschuldige, ich war in Gedanken versunken und hab dich deshalb nicht gesehen. Alles in Ordnung?“ Der Jüngere sah sie immer noch mit weit aufgerissenen Augen an und kam nur langsam wieder zurück in die Realität, wo er erst zu bemerken schien, wen er umgerannt hatte. „Ah... Ähm... Shingetsu-san. Hab ich Recht? B-bitte entschuldige“, entschuldigte sich Satoshi und wollte sich dann wieder zum Gehen wenden, als er von der Violetthaarigen wieder abgehalten wurde. „Hey warte doch mal“, begann sie, woraufhin der Jüngere stehen blieb, „Du sahst eben so blass aus. Hast du wieder etwas gesehen? Letztes Mal bist du ja auch plötzlich weggelaufen. Ich würde gerne wissen, was du gesehen hast.“ „N-Nein es ist vielleicht besser, wenn du das nicht erfährst“, versuchte Satoshi abzulenken, doch die Oberschülerin ließ nicht locker und stellte sich ihm in den Weg. Kurz sah sie ihm eindringlich an, doch grinste dann: „Ich möchte es aber gerne wissen. Woher soll ich denn wissen wovor ich mich in Acht nehmen muss, wenn du nichts sagst? Komm, ich lade dich auch auf ein Eis ein. Hm?“ Wenige Minuten später hatten sich beide, mit einem Eis am Stiel, bei einem kleinen Spielplatz auf eine Bank gesetzt. „Also?“, fragte die Ältere grinsend. Satoshi sah sie kurz von der Seite aus an und zögerte, bevor er seufzte und anfing mit zittriger Stimme zu erzählen, was genau er gesehen hatte. So erfuhr Mirâ, dass der junge Mann bei ihr keine direkten Visionen mehr hatte, sondern das was er sah ganz anders war. Eine bedrohliche rote Aura soll um sie herum zu erkennen sein, welche sie zu verschlingen drohte. Mirâ hörte aufmerksam zu und schluckte kurz, um das, was sie erfahren hatte, irgendwie zu verarbeiten. Es klang eigentlich eher wie in einem Horrorfilm und wirkte nicht real, aber er hatte sie einmal gerettet nachdem er eine Vision in ihrer Gegenwart hatte. Außerdem wirkte Satoshi nicht so, als würde er lügen. Eher so, als sei diese Kraft, die er besaß, eine Last für ihn. „Ich weiß, dass klingt alles echt komisch. Ich kann verstehen, wenn du mir nicht glaubst. Sowas bin ich gewöhnt. In meiner Familie glaubt mir das auch keiner“, nuschelte Der Jüngere mit gesenktem Blick, „Ich würde dich nur bitten gut auf dich aufzupassen. Irgendwas daran ist wirklich merkwürdig.“ Sicher, es klang wirklich komisch, trotzdem hätte Mirâ keinen Grund ihm nicht zu glauben. Zumal sie eh schon einige Zeit das Gefühl hatte beobachtet zu werden, seit sie diesem unheimlichen Schatten das erste Mal in der Spiegelwelt begegnet war. Deshalb schüttelte sie nur den Kopf: „Nein ich glaube dir.“ Überrascht sah der junge Mann sie an, woraufhin sie ihm erklärte, dass sie bereits so eine Ahnung hatte und glaubte, dass sie jemand beobachtete. Satoshis Augen wirkten, als würden sie jeden Moment herausfallen. So groß waren sie, während er die Violetthaarige betrachtete. Diese setzte ein leicht besorgtes Lächeln auf und nickte dem jungen Mann zu, als Zeichen, dass sie ihm wirklich glaubte. Doch plötzlich wandelte sich dieses in ein Grinsen und die junge Frau blickte nach oben in den Himmel. „Aber gut. Dann weiß ich ja, worauf ich achten muss. Danke dir, Kamiya-kun.“, lachte sie anschließend und versuchte so die angespannte Stimmung etwas aufzulockern, auch wenn ihr selber nicht so danach war. Der Angesprochene wirkte leicht überfordert und wandte deshalb den Blick wieder gen Boden, während er nickte: „Schon gut. U-und du kannst mich Satoshi nennen.“ Die Ältere lächelte: „Gut... Dann Satoshi-kun. Du kannst mich ruhig Mirâ nennen.“ Ein angenehm warmes Gefühl breitete sich in Mirâs Brust aus und in ihrer Tasche spürte sie ein leichtes Vibrieren. Fragend sah die junge Frau auf diese und gerade als sie nachsehen wollte, stoppte sie, als sich Satoshi von der Bank erhob. „I-ich muss dann los. D-danke für das Eis, Mirâ-senpai.“, sagte er zurückhaltend und wollte gerade gehen, als ihn die junge Frau noch einmal kurz zurückhielt. „Warte mal. Wie alt bist du eigentlich?“ Überrascht sah der Braunhaarige sie an und antwortete nur zögerlich: „14...“ Die Ältere lächelte. Er war also noch in der Mittelstufe. So etwas hatte sie sich schon gedacht, immerhin sprach sein Verhalten sehr dafür. Zudem hatte ihn sein Auftreten ihr gegenüber verraten. Sie nickte: „Das konnte ich mir schon denken. Dann pass auf dem Heimweg gut auf dich auf. Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, versuch nicht wieder gleich wegzurennen. Hm?“ Lächelnd warf sie dem jüngeren ein Zwinkern entgegen, auf das er etwas irritiert wirkte, doch dann ebenfalls lächelte, bevor er nickte und schlussendlich ging. Die Oberschülerin sah ihm kurz nach, ehe sie leise seufzte und nach ihrem Smartphone tastete. Mit einer gekonnten Bewegung hatte sie das kleine Gerät gegriffen, entsperrt und darauf die Persona App geöffnet. Sie tippte auf ihre Social Links und erkannte, dass sich die Arcana des Schicksals erweitert hatte. Noch einmal blickte sie in die Richtung, in die Satoshi verschwunden war und nickte dann leicht. Das letzte Mal hatte sie schon so eine Ahnung gehabt, doch nun hatte sie Gewissheit. Satoshi war die Fortune Arcana, welche sie bei ihrem letzten Treffen mit ihm geschlossen hatte. Am frühen Nachmittag hatte sich die Oberschülerin zu einer Schicht im Shādo eingefunden. „Herzlich willkommen.“, grüßte Mirâ, als sie die Türglocke vernahm, die ankündigte, dass jemand die Karaokebar betreten hatte. Sie selbst war gerade im Wartebereich zu Gange und kümmerte sich um die vorgeschriebene Ordnung. Dass jemand um diese Zeit bereits in die Bar kam irritierte sie schon etwas. Die meisten kamen eigentlich erst am Abend, doch andererseits waren Ferien. Wieso also auch nicht? Immerhin hatte das Shādo genau deshalb bereits geöffnet. Unter normalen Umständen würde die Bar erst gegen 17 Uhr öffnen, da es sich vorher gar nicht lohnen würde. Nur in den Ferien machten sie bereits gegen Mittag auf, weil es viele Schüler gab, die die Zeit nutzten und ihnen einen Besuch abstatteten. Sie wischte den letzten Rest von dem blauen Glas auf dem Tisch ab, erhob sich wieder und drehte sich in Richtung des vermeintlichen Gastes. Da um diese Zeit eher selten Besuch kam war der Tresen nicht dauerhaft besetzt. Falls Gäste kamen, konnten sie sich an einen der Kellner oder den Barkeeper wenden, sodass es nicht von Nöten war, dass dauerhaft jemand vorne saß. Doch als Mirâ sich aufgerichtet hatte und den vermeintlichen Gast sah, stoppte sie überrascht in ihrer Bewegung. Vor ihr stand ein junges Mädchen in ihrem Alter mit auffällig blonden Locken, welche unter einer etwas zu groß wirkenden Mütze hervorschauten. Ihre Kopfbedeckung saß ihr tief im Gesicht, wodurch Mirâ dieses nicht erkennen konnte. Sie trug ein legeres dunkelrosanes Shirt, dessen oberes Bündchen so weit offen war, dass es über ihre linke Schulter fiel und den Blick auf den schwarzen Träger eines BHs freigab. Das Oberteil war vorn locker in den Bund einer schwarzen Hotpants gesteckt, während es hinten herunterhing und fast über den Po reichte. Auf der Vorderseite stand etwas in goldener Schrift geschrieben, was Mirâ jedoch nicht richtig lesen konnte, da der Stoff zu sehr in Falten fiel. Dazu trug die Blonde ein paar schwarz-goldene Flipflops. Alles im allen wirkte dieses Outfit modisch, jedoch auch sehr leger. Mit großen Augen sah die Violetthaarige ihr Gegenüber an und legte den Kopf schief: „Kann ich dir helfen?“ Die Blonde sah sich kurz um und wirkte so, als wolle sie sicher gehen, dass niemand in der Nähe war, der sie erkennen konnte. Langsam hob sie ihre Mütze an, wodurch zwei goldgelbe Augen zum Vorschein kamen: „Hättest du einen Moment Zeit? Ich würde gerne mit dir sprechen.“ Vollkommen überrumpelt hätte Mirâ beinahe den Wassereimer in ihrer Hand fallen lassen, als ihr auffiel, dass niemand geringeres als Akisu vor ihr stand. Doch bevor dies geschah konnte sie sich noch fangen und nickte, während sie der Blonden bedeutete ihr zu folgen. Schnell sagte sie an der Bar Bescheid, dass sie für einen Moment hinten sei und führte das blonde Idol dann in einen der leeren Karaoke-Räume, wo sie ungestört waren. Als Akisu den Raum betrat sah sie sich kurz um, bevor sie sich die Mütze von Kopf riss und daraufhin ihre blonden, nun offenen Haare zum Vorschein kamen und ihr locker auf die Schulter fielen. Dann setzte sich die junge Frau auf die Bank und bedeutete Mirâ es ihr gleich zu tun. Die Violetthaarige tat wie geheißen und setzte sich dem Popsternchen gegenüber. „Also... Was möchtest du von mir?“, fragte sie anschließend. „Ich wollte dir danken“, sagte die Blondine ohne weitere Umschweife, was zu einem verwirrten Blick bei Mirâ führte, „Wegen Kyoyo.“ Die Fragezeichen auf dem Gesicht der Violetthaarige wurden immer mehr, was Akisu erst nach einer kleinen Ewigkeit zu bemerken schien und sich dann räusperte. „Entschuldige... Ich meinte wegen Kyo. Ich weiß nicht, wie du das angestellt hast, aber... Er kam mich einen Tag vor meiner Entlassung im Krankenhaus besuchen. Ich habe mich riesig gefreut, auch wenn man ihm angemerkt hat, dass es ihm unangenehm war.“ Nun verstand Mirâ und lächelte leicht: „Ach so. Aber um ehrlich zu sein habe ich gar nichts gemacht. Eigentlich wollte ich ihn an dem Tag, als ich bei dir war darum bitten dich zu besuchen. Aber dann habe ich gesehen, wie er sich mit eurer Mutter gestritten hat und deshalb habe ich das lieber gelassen. Er war danach sowieso schon gereizt.“ Das Idol senkte den Blick: „Ich verstehe. Kyos Verhältnis zu unserer Mutter war schon immer sehr angespannt. Weißt du... Unserer Familie gehört ein Modelabel. Unser Vater war ein begnadeter Designer. Kyo wollte in seine Fußstapfen treten... Und das könnte er mit seinen Fähigkeiten auch. Aber Mutter lässt das nicht zu. Sie will nicht, dass ein Mann den Konzern leitet. Ironisch oder? Wo unser Vater doch auch einst Chef war.“ „Ist er...?“, Mirâ konnte den Satz nicht beenden, doch die Blonde ihr gegenüber beantwortete ihn trotzdem: „Er ist vor einigen Jahren gestorben. Seitdem führt unsere Mutter das Unternehmen. Sie möchte, dass ich Design studiere, aber ich kann das nicht. Ich kann weder zeichnen, noch habe ich das Talent für sowas. Kyo wiederum kann es und darf nicht. Das führte bei uns immer wieder zu Reibereien, weshalb Kyo gegangen ist.“ Die Violetthaarige nickte. Jetzt ergab alles irgendwie einen Sinn. Akisus Dungeon, die dort aufgetauchten Bilder, Kyos Verhalten, seine Zeichenmappe und der Streit zwischen ihm und seiner Mutter. Nun verstand sie, wieso in Akisus Dungeon die Kleider und Blätter zerrissen waren und wieso sie immer das Gefühl hatte, das Idol würde in ihren Liedern nach jemandem suchen. Sie spürte eine angenehme Wärme in ihrer Brust und hatte das Gefühl Kyo nun etwas besser zu verstehen. Am späten Abend traf sie sich mit ihren Freunden in der Spiegelwelt vor dem Einkaufszentrum. Bevor sie sich endlich daran machten den Dungeon zu erkunden, wollten sie sich dieses Mal besprechen. Auch wenn sie es bei ihrem letzten Besuch geschafft hatten die Gegner zu besiegen, so war es im Nachhinein unverantwortlich gewesen ohne genaue Absprache in den Kampf zu gehen. Auf dieser Mission wollten sie vorbereitet sein, zumal sie am vergangenen Abend überraschend erfahren hatten, dass augenscheinlich auch Arabai vermisst wurde. Das bedeutete sie mussten sich nun höchstwahrscheinlich um zwei Opfer kümmern. Jedenfalls richtete sich die Gruppe nun darauf ein. Was genau sie jedoch erwarten würde wussten sie nicht, doch sie mussten auf alles vorbereitet sein. „Wo das geklärt wäre sollten wir los“, meinte Kuraiko, nachdem sich die sieben besprochen hatten. Ein kurzer Blick in die Runde verriet Mirâ, dass alle soweit waren. Also nickte sie mit fest entschlossenem Gesichtsausdruck und wandte sich dann um, woraufhin sich auch der Rest der Gruppe in Bewegung setzte. Einen Moment später lief auch schon Mika neben Mirâ her und bedachte sie mit einem fragenden Blick. „Du sagtest gestern, dass du etwas für mich hättest, damit wir besser miteinander sprechen können“, sagte sie mit neugierigem Unterton. Ein etwas irritierter Blick traf die Jüngere und es schien einen Moment zu dauern, bis Mirâ begriffen hatte, was sie von ihr wollte. Doch dann lächelte sie und griff mit einem Nicken in ihre Gürteltasche, welche um ihre Hüfte hing, nur um einen Moment später einen kleinen runden Gegenstand herauszuholen. Fragend sah Mika den runden Gegenstand an, den die Oberschülerin ihr entgegenhielt und griff dann danach. Kaum hielt sie das Runde etwas in der Hand, betrachtete sie es eingängig. An einer Seite erkannte sie ein schmales Scharnier, während dem gegenüber leicht versteckt eine Art Knopf war. Als die Blauhaarige diesen betätigte, sprang der Gegenstand auf. Erschrocken hätte sie ihn beinahe fallen lassen, doch konnte das rechtzeitig verhindern. Zum Glück, denn kaum war die runde Dose offen erkannte man, um was es sich handelte: ein kleiner Handspiegel. Mit großen, fragenden roten Augen sah Mika zu der Älteren, welche den Blick bemerkte und dann grinste: „Ich dachte, wenn wir uns über meinen Spiegel unterhalten können, dann vielleicht auch so. Als eine Art Handy oder so. Ich weiß nicht ob es funktioniert, aber einen Versuch ist es wert. Ich habe im Übrigen den gleichen. Wir sollten das später also mal testen. Wenn es funktioniert können wir uns immer und überall erreichen, was vor allem bei solchen kurzfristigen Änderungen wie gestern praktisch wäre.“ Die Jüngere wirkte etwas irritiert, doch nickte dann. Einen Versuch war es mit Sicherheit wert. Und wenn es klappte, wäre es umso besser. „Danke dir, Mirâ“, bedankte sich die Blauhaarige mit einem Lächeln, während sie den Spiegel wieder zusammenklappen, ihn kurz an ihre Brust drückte und dann in den Ärmeln ihres Kimonooberteils versteckte. Das Lächeln der Älteren wurde breiter: „Gern geschehen.“ Einige Minuten später erreichte die Gruppe das Schulgelände der Jûgoya High School, deren Tore noch immer sperrangelweit offenstanden. Dieses Mal jedoch versperrten keine Shadows den Weg, sodass sie ohne weitere Zwischenfälle das Gelände betreten konnten. Anfangs dachten sie noch, dass sich, wie bei Akisu, der Dungeon vor ihnen erstrecken würde, sobald sie durch das Tor getreten waren, doch dem war nicht so. Etwas irritiert sahen sich die sieben um, doch kam ihnen gleich darauf derselbe Gedanke. Ihre Blicke richteten sich direkt auf die Eingangstür des Hauptgebäudes der Schule, was ihre Vermutung verstärkte. Auch die Tür stand weit offen, als wollte sie jemand einladen einzutreten. So war klar, dass wohl erst dort der eigentliche Dungeon beginnen würde. Etwas nervös, was sie denn erwarten würde traten sie an den Eingang heran und zögerte dann einen Moment. „Jetzt geht es also los“, sagte Akane mit gespieltem Elan, der allerdings nur ihre Unsicherheit überspielen sollte. Mirâ nickte und sah hinauf in Richtung Dach. Etwas hier war anders. Die ganze Atmosphäre war surreal. Es war nicht so, als wäre ihr in dieser Welt etwas nicht merkwürdig vorgekommen, immerhin war sie so oder so total verdreht. Aber hier war es noch einmal anders. Eine bedrohliche Aura umgab das Gebäude. Sie war anders, als die, welche sie bei dem Schatten verspürte, aber auch nicht weniger gefährlich. Konnte diese Aura wirklich von Megumi ausgehen? So richtig glauben konnte die Violetthaarige das nicht. Sie hatte Megumi als zurückhaltenden Menschen kennengelernt, der sich ungern in den Vordergrund drängte. Lieber hielt sie sich im Hintergrund und versuchte alles, um nicht aufzufallen. Konnte so jemand eine so bedrohliche Aura entwickeln? Nun, sie wusste natürlich nicht, was in der Kleinen vorging, vor allem nicht, wenn sie mal wieder gemobbt wurde. Zumal sie auch das Gefühl des gemobbt seins nicht nachvollziehen konnte, immerhin hatte sie eine solche Situation nie am eigenen Leib erlebt. Vielleicht war es deshalb auch nicht ganz abwegig einen solchen Hass zu entwickeln. Trotzdem blieben einige Zweifel, denn so ganz konnte sie es nicht mit Megumi in Einklang bringen. Aber wahrscheinlich machte sie sich zu viele Gedanken. In dieser Welt war nichts wie es schien und deshalb wirkte wahrscheinlich auch diese Aura viel bedrohlicher. Sie schüttelte den Kopf und konzentrierte auf ihre vor sich liegende Aufgabe. Oberste Priorität war es Megumi und höchstwahrscheinlich auch Arabai zu retten. Demnach mussten sie es heute unbedingt schaffen den Zwischenboss zu erreichen. Bis zum Vollmond in dieser Welt blieb ihnen nicht mehr allzu viel Zeit, deshalb durften sie keine Zeit mehr verschwenden, egal was sich ihnen in den Weg stellte. So richtete Mirâ ihren Blick noch einmal auf ihre Kameraden, die sie geschlossen mit entschlossenen Gesichtsausdrücken ansahen und ihr damit die nötige Kraft gaben den Dungeon zu betreten. Noch einmal nickte die Oberschülerin, jedoch mehr zu sich, als zu den anderen, umfasste dann ihren Bogen etwas stärker und betrat schlussendlich das Schulgebäude. Dunkelheit und eine unheimliche Kälte umgaben die Gruppe nachdem sie durch die Eingangstür in das Schulgebäude eingedrungen waren. Mirâ versuchte sich zu orientieren, doch fiel ihr dies unglaublich schwer, denn mehr als Schwärze konnte sie um sich herum nicht erkennen. Was war das nur für ein Dungeon. „Müssen wir jetzt etwa im Dunkeln hier durch?“, hörte sie Akanes zittrige Stimme, „Wo seid ihr alle? Ah!“ „Hey! Hör auf zu klammern!“, schimpfte plötzlich Kuraiko, „Benimm dich endlich etwas erwachsener!“ „T-tut mir leid...“, jammerte die Braunhaarige, woraufhin nur ein genervtes Stöhnen folgte. Plötzlich erklang eine Art Ploppen und es wurde Hell. Eine Kerze hatte sich entzündet und nach und nach leuchteten immer mehr auf und gaben den Blick auf einen Gang frei. „Nee oder? Das ist doch nicht euer Ernst!?“, jammerte Akane, während sie in den Gang blickte. Vor ihnen erstreckte sich ein langer dunkler Gang, welcher einzig und allein durch wenige Kerzen schwach beleuchtet wurde. Die waren über alte schwarze Halterungen an der Wand befestigt, welche aus roten teilweise abgenutzten Ziegeln bestand. Der Mörtel in den Fugen rieselte bereits heraus und einige der Ziegel waren schon rissig. Auch der Boden bestand aus diesen stellenweise kaputten Ziegeln. An den Kerzenhaltern befanden sich große Spinnennetze, die sich teilweise von einem zum nächsten zogen und von denen sich hier und da eine Spinne abseilte. Alles in allem wirkte der Gang wie die Gemäuer eines alten, baufälligen Hauses, welches perfekt für Gruselgeschichten war. Und genau das war etwas, was Akane das Blut in ihren Adern gefrieren ließ: „Ich will hier wieder weg!“ Kapitel 80: LXXX - Gruselkabinett --------------------------------- Donnerstags, 03.September 2015 - im Dungeon "Ich will hier weg!", jammerte Akane, nachdem sie erkannt hatte in was für einer Umgebung sie gelandet waren, "Was stimmt denn mit Megumi-chan nicht, dass sie so einen Dungeon hat!?" Sie hatten endlich den vor ihnen liegenden Dungeon betreten können, doch was sie erwartete war nichts für schwache Nerven. Der Gang in dem sie standen erinnerte an den eines der Häuser, welche in Horrorfilmen gerne gezeigt wurden und in denen häufig die Opfer verschwanden. Das flackernde Licht der Kerzen machte die ganze Sache nicht wirklich besser. Wenn man es genau nahm, so passte dieser Dungeon so gar nicht zu Megumi, welche eher introvertiert und schüchtern wirkte. Natürlich war diese Welt arg verdreht, aber das passte wirklich nicht ins Bild. Trotzdem glaubten sie in Megumis Dungeon zu sein, egal wie wenig es mit ihrem Bild der Kleinen übereinstimmte. Sie würden weiter vordringen müssen, um herauszufinden, wieso alles so wirkte, wie es war. Doch als Mirâ noch einen Blick zurückwarf, merkte sie, dass sich dies als schwerer herausstellen dürfte als sie dachte. Seufzend nahm sie zur Kenntnis, dass sich ihre beste Freundin wieder an Yasuo gekrallt hatte, welcher das relativ locker hinzunehmen schien. Als würde neben ihm ein kleines Kind stehen, strich er der Braunhaarigen über den Kopf und sprach ihr beruhigend zu, dass sie keine Angst haben brauchte. Allerdings brachte es nicht viel, denn trotzdem wehrte sich die junge Frau energisch dagegen weiterzugehen. Dieser Gang war ihr eindeutig zu unheimlich und sie hasste so etwas. Sie wollte so schnell wie möglich wieder weg von hier, doch sie wusste auch, dass dies so schnell nicht möglich war. Der Eingang hinter ihnen war kurz nach ihrem Eintreten verschwunden und einer starren Wand gewichen. Es gab also nur den Weg nach vorn, doch Akanes Beine versagten ihr den Dienst. Sie wusste selbst, dass es kindisch war, trotzdem konnte sie nichts dagegen machen. Das Einzige, was ihr ein wenig Halt gab, war Yasuo, welcher es zuließ, dass sie sich an ihn klammerte. "Nun hör auf zu jammern und beweg dich!", schimpfte Kuraiko und versuchte die Braunhaarige zum Laufen zu bewegen. Doch egal was sie tat, die Brünette bewegte sich von Yasuo keinen Millimeter weg. Auch dieser konnte sie trotz gutem Zureden nicht dazu bringen. "Urgh... Du weißt genau, dass wir hier weitermüssen. Sonst können wir Yoshiko nicht retten", gab die Schwarzhaarige nach und verschränkte stattdessen die Arme vor der Brust. "Das weiß ich doch. Aber meine Beine wollen sich nicht bewegen", jammerte die Braunhaarige, "Ich kann doch nichts dafür, dass mir sowas Angst macht." "Bist du ein Kleinkind oder was?", schimpfte Kuraiko. Hiroshi trat an die drei heran und legte Akane eine Hand auf die Schulter: "Beruhige dich erstmal. Atme mal tief durch. Ich weiß, dass du Angst hast, aber du willst Megumi-chan doch auch retten oder? Das solltest du als Fokus haben und nicht deine Umgebung. Und ganz ehrlich, bei diesem Setting wird mir auch anders. Es geht also nicht nur dir so." "Wirklich?", fragte seine Sandkastenfreundin vorsichtig. Dieser nickte lächelnd und sah zu den Anderen. Auch wenn die meisten versuchten es zu verbergen, so sah man auch ihnen die Nervosität an. Selbst Kuraiko wirkte angespannt, versuchte dies aber in ihrer üblichen Art zu überspielen. Die einzige Ausnahme bildete Masaru, welchem diese Umgebung zu gefallen schien. Aufgeregt sah er sich um und tastete die Wand neben sich ab. Innerlich schüttelte Hiroshi den Kopf und wandte sich wieder seiner Freundin zu, welche sich langsam zu beruhigen schien. Das Zittern in ihrem Körper ließ nach und sie entspannte sich etwas. "Gehts?", fragte der Blonde vorsichtig, woraufhin ein Nicken der Braunhaarigen folgte, "Gut. Dann sollten wir uns auf den Weg machen." Ein erneutes Nicken der jungen Frau gab ihm die Bestätigung, sodass er sich an Mirâ wandte. Diese nickte ebenfalls und machte sich dann auf den Weg, woraufhin ihr die anderen folgten. Gerade als sich auch Yasuo in Bewegung setzten wollte, wurde er kurz zurückgehalten, als er merkte, wie jemand an seinem Shirt zog. Überrascht blieb er wieder stehen und drehte sich leicht zur Seite, wo er Akane erkannte, welche ein Stück Stoff seines Oberteils zwischen den Fingern hatte und nach unten sah. Fragend legte er den Kopf schief und drehte sich noch ein Stück in ihre Richtung. Mit gesenktem Blick sah die Braunhaarige zur Seite, als sie merkte, wie der Ältere sie ansah. "Kann ich in deiner Nähe bleiben?", fragte sie kleinlaut. Es was ihr zwar peinlich zu fragen, aber in seiner Nähe fühlte sie sich sicher. Allerdings wollte sie auch nicht, dass Yasuo es falsch verstand. Mit ihren Gefühlen wollte sie ihn nicht überrumpeln, zumal sie gar nicht wusste, wie er sie sah. Innerlich hatte sie natürlich die Hoffnung, dass sie ihm mehr bedeutete, als nur eine Kameradin, doch fragen wollte sie ihn nicht. Sie traute sich auch nicht, aus Angst vor einer unerwünschten Antwort. Eine Hand auf ihrem Kopf ließ sie aus ihren Gedanken schrecken und aufschauen. Daraufhin blickte sie in die sanft lächelnden braunen Augen ihres Senpais, welcher plötzlich nur still nickte. Sofort spürte sie eine aufsteigende Hitze in ihrem Gesicht, die bis in ihre Ohren zog. Schnell wandte sie den Blick wieder ab und bedankte sich kleinlaut. Daraufhin setzte sich nun auch Yasuo in Bewegung, mit Akane an seiner Seite. Mirâ schaute über ihre Schulter zurück zu ihrer Freundin und dem älteren Schüler und lächelte, bevor sie sich wieder auf den Weg vor sich konzentrierte. Just in diesem Moment sah sie plötzlich eine rote Flamme auf sich zufliegen und schaffte es gerade so dieser auszuweichen. Leider nicht ganz, denn ein Teil der Flamme erwischte sie an der Wade, weshalb sie zurückstolperte und dann auf dem Boden landete. Erschrocken blickte sie wieder auf, in einen Teil des Ganges, welcher noch im Dunkeln lag, und erkannte kurz darauf einen runden Shadow aus dessen Maul eine schwarze Zunge hing. Er erinnerte die junge Frau an die Sleeping Hablerie, auf die sie ganz am Anfang ihres Abenteuers gestoßen waren, und doch sah er etwas anders aus. Während die Sleeping Hablerie schwarz-lila gestreift waren, war dieser knallig rot mit türkisen Lippen. Er schwebte in der Luft und machte eine Art Salto, als würde er sich freuen die junge Frau getroffen zu haben. "Alles In Ordnung?", fragte Masaru, der neben sie trat und sich zu ihr herunterhockte. "J-ja. Nur ein Kratzer", antwortete Mirâ. Ein grünes Licht legte sich über die verwundete Stelle an ihrem Bein und heilte diese augenblicklich, was sie aufschauen und zu Hiroshi blicken ließ. Dieser war ebenfalls an sie herangetreten, sah allerdings, sein Handy fest in der Hand haltend, auf den Gegner vor sich. Kaum hatte seine Persona die Wunde der jungen Frau geheilt, erteilte der Blonde ihr bereits den Befehl zum Angriff. Unter dem Shadow erschien ein gelbes Feld, welches mit Bannzetteln bestückt war. Dieses baute sich nach oben auf und zog die Zettel mit, welche sich um den roten Ball legten und einen Moment später in einem hellen Schein aufleuchtete. Doch es geschah nichts. Der Shadow machte nicht einmal Anstalten, als würde ihm der Angriff etwas anhaben können. Stattdessen wirkte es so, als würde er sich über den Oberschüler lustig machen. Er machte wieder einen Salto und Mirâ hatte sogar das Gefühl ein überlegenes Kichern zu vernehmen. Aus ihrem Augenwinkel erkannte die Violetthaarige eine Bewegung und sah kurz darauf Wadjet, welche an ihr vorbeihuschte und ebenfalls zu einem Angriff ansetzte. Sie hob den Arm und kurz darauf erwischte den Shadow eine Feuerwalze. Doch auch dieser Angriff brachte nichts, stattdessen rollte die Feuerwand zurück zu den Angreifenden, sodass sogar die anderen ausweichen mussten, um nicht getroffen zu werden. "Schon wieder so einer, der Angriffe Reflektiert", schnalzte Akane mit der Zunge. Ihre Umgebung hatte sie wieder vollkommen ausgeblendet und war nun total auf den Gegner vor sich fokussiert. Ein Wandel, der bereits in Akisus Dungeon zu beobachten war. "Na lass mich mal", sagte Kuraiko, die ihre Sense einmal kurz um sich wirbelte, um sie dann erst einmal ein Stück in den Boden zu rammen. Danach zückte sie ihr Smartphone und rief Kadej, welche kurz darauf einen Mudo Angriff startete. Um den Shadow legte sich ein schwarz-violettes Feld, dass mit Runen bestückt war und einen Moment später zu explodieren schien. Doch auch dieses Mal schien der Shadow sie nur zu verspotten, bevor sich auch um ihn wieder ein blauer Schimmer bildete. Kurz darauf erschien vor der Gruppe eine Feuersäule, die erneut auf Mirâ zusteuerte. Wieder schaffte es die junge Frau nur knapp auszuweichen, doch befahl ihrer Persona dann, den Gegner ebenfalls anzugreifen. Hemsut erschien auf der Bildfläche und griff den roten Ball mit einer Bufu Attacke an. Plötzlich ging der Shadow zu Boden. Vollkommen überrascht vergaß die junge Frau fast erneut anzugreifen, erwachte jedoch aus ihren Gedanken, als ihre Freunde einen Angriff starteten. Auch sie mischte sich mit ein und einen Moment später löste sich ihr Gegner in schwarzem Nebel auf. Doch gerade, als die Gruppe aufatmen wollte, erschienen mehrere weitete Feuersäulen, die sie auseinandertrieben. Kaum hatte sich die Gruppe wieder aufgerafft, sahen sie sich einer Horde weiterer dieser roten Shadows entgegen. "Nicht euer Ernst. Oder?", stöhnte Hiroshi, als er die Masse an Gegnern vor sich sah. Völlig außer Puste hatte es die Gruppe nach einer Weile geschafft alle Gegner zu besiegen und etwas vorwärts zu kommen. Zu den roten Bällen waren nach einiger Zeit sogar noch weitere Shadows dazugestoßen, welche weitaus stärker waren. Der Kampf hatte dadurch seinen Tribut gezollt, denn alle waren nun total fertig mit der Welt. Am liebsten wären sie sofort wieder umgekehrt, doch für sie gab es aktuell nur den Weg nach vorne. Sie mussten nun mindestens bis zum Zwischenboss gelangen, um dann wieder in ihre Welt zu kommen. So schwer es auch sein möge. Sie konnten nur hoffen, dass sie sich nicht noch einmal dieser Horde an Gegnern gegenübersehen mussten. Ärgerlich war an der Situation auch, dass Mika ihnen darüber keine Auskunft geben konnte. Diese Art von Shadows kannte sie gar nicht. Zwar sahen sie einigen Gegnern, denen sie bereits gegenüberstanden, sehr ähnlich, jedoch hatten sie alle andere Angriffe und wirkten auch so wesentlich stärker. Dass es nicht leichter werden würde, war ihnen klar, jedoch machte es die Tatsache, dass ihre kleine Freundin ihnen keine Aussage geben konnte, nicht einfacher. Andererseits konnten sie der Kleinen auch keine Vorwürfe machen, immerhin hatte sie ihnen vorher schon so oft geholfen und wissen konnte sie auch nicht alles. Zumal sie nicht einmal eine Persona hatte. "Was ist hier nur los? So viele Gegner auf einmal hatten wir doch noch nie", schimpfte Kuraiko, die sich an der Wand abstützte und in den Gang hineinblickte, der nach hinten weg immer dunkler wurde. Genervt wischte sie sich den Schweiß vom Kinn und richtete dann ihren Blick auf die anderen, die ebenfalls erstmal nach Luft rangen. Ein Geräusch ließ sie alle jedoch plötzlich aufschrecken. Sofort hielten alle die Luft an und lauschten in die Dunkelheit hinein. Ängstlich griff Akane nach dem Arm von Yasuo, dem sie seit Beginn des Dungeons nicht von der Seite gewichen war, während sich Hiroshi und Masaru schon fast schützend vor Mirâ stellten, die auf dem Boden hockte. Das Geräusch kam näher und nach und nach kristallisierte sich daraus das Klimpern von Ketten. Den sechs Persona-Usern und Mika wich jegliche Farbe aus dem Gesicht, als ihnen bewusstwurde, welcher Shadow sich ihnen in diesem Moment näherte. Jedem war klar, was Sache war: Sie mussten sofort hier weg, denn diesem Gegner waren sie nicht gewachsen. Das Klimpern kam näher und kurz darauf erkennte die Gruppe bereits Fetzen eines langen Mantels, welcher hinter einer Mauer hervorkam. Ängstlich blickte die Gruppe auf den übermächtigen Gegner, welcher sich ihnen näherte und keiner von ihnen war in der Lage auch nur einen Schritt zu tun. Jedenfalls für den Augenblick, denn Yasuo war der erste der wieder reagieren konnte. Schnell griff er nach den Armen von Akane und Kuraiko und zog sie mit sich davon. Sofort erwachten auch Masaru und Hiroshi aus ihrer Starre. Im nächsten Moment wurde Mirâ bereits auf die Beine und mitgezogen, während Mika plötzlich von dem Blonden über die Schulter gehoben wurde. Anschließend rannten die Persona-User durch den Gang des Dungeons, ohne darauf zu achten wohin es überhaupt ging. Hauptsache weg von dem Shadow, dessen klimpernde Geräusche immer mal wieder näherkamen und dann wieder leiser wurden. Wie durch Zufall rannten sie in keine Sackgasse, aber dieser Teil des Dungeons schien sowieso eher geradlinig und ohne versteckte Gänge und Türen zu verlaufen. Der Gang machte endlich eine Biegung, welcher die Gruppe folgte und kurz darauf vor einer Treppe stand, die nach oben führte. Sie erinnerte an die Treppen im Schulgebäude, wirkten jedoch schon ziemlich morsch. Zögernd standen sie eine Weile vor den Stufen, doch gingen dann ohne weiter darüber nachzudenken hinauf, als ihnen bewusstwurde, dass der Reaper sie beinahe eingeholt hatte. Das Geräusch der Ketten verstummte, als sie das nächste Stockwerk erreicht hatten. Angespannt lauschte die Gruppe noch einen Moment in die Umgebung, um festzustellen, ob der Reaper ihnen nicht doch folgte. Erst als sie nach einer gefühlten Ewigkeit kein weiteres Klimpern mehr vernahmen atmeten sie erleichtert auf. Der Reaper war wirklich furchteinflößend und Mirâ war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt irgendwann besiegen würden. In ihrem aktuellen Level kam eine Konfrontation einem Selbstmord gleich und ob sich das ändern würde, stand in den Sternen, immerhin kannte sie das Level dieses Gegners nicht. Sie seufzte erleichtert darüber auf, entkommen zu sein und warf dann einen Blick in den Gang vor sich. Sofort zog sie scharf die Luft ein, was auch ihre Freunde dazu verleitete sich umzusehen. Ein Jammern erklang: "Nee oder?" Vor ihnen erstreckte sich ein typischer Schulgang, welcher sich einzig und alleine an den Wänden von denen aus der realen Welt Unterschied. Diese bestanden genau wie im vorherigen Stockwerk aus den alten rissigen Ziegeln. Das Licht, welches den Gang mehr oder weniger erhellte, kam einzig und allein von Kerzen, die an der Wand angebracht waren. Der Rest war wie in der realen Welt. Ein Stück von ihnen entfernt befand sich eine alte Schiebetür, über welcher sich ein schwarzes Schild mit der weißen, krakeligen Aufschrift 1-2 befand. Was noch auffiel war, dass nicht wie in der echten Welt bereits nach wenigen Metern die nächste Tür folgte, sondern dass danach eine Weile nichts kam. Doch sonst waren, abgesehen von der unheimlichen Atmosphäre, die Ähnlichkeiten unverkennbar. "Das wirkt ja wie zum Schulfest, wenn jede zweite Klasse ein Gruselhaus macht", murmelte Masaru, als er sich den Gang besah. "Allerdings nicht ganz so billig...", gab Kuraiko schnaufend ihren Senf dazu. "Egal ob billig oder nicht. Es ist unheimlich...", jammerte Akane, während sie sich wieder an Yasuo klammerte, der dies erneut als gegeben hinnahm. Die Schwarzhaarige verdrehte auf diese Aussage nur die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. "Der Gang wirkt anders als der letzte. Dort gab es keine Türen. Obwohl wir kopflos vor dem Reaper geflüchtet waren, haben wir uns nicht verlaufen oder sind in irgendeiner Sackgasse gelandet", sagte Mika erstaunt und sah zu dem Schild über der Tür, "Was bedeutet die Aufschrift?" "Das ist die Bezeichnung einer Klasse. Die Eins steht für den Jahrgang und die Zwei dahinter für die jeweilige Klasse. Das bedeutet wir sind im Gang für das erste Jahr", erklärte die violetthaarige Oberschülerin, "Aber wenn das hier das erste Jahr ist... Was für ein Gang war das vorher?" Kurzes Schweigen breitete sich aus, bis Masaru dieses brach. Er schien über etwas nachzudenken und sprach dann seine Gedanken aus: "In der Schule gehen einige Gerüchte um. So soll es irgendwo in der Jûgoya eine Tür geben, die in einen Keller führt. Keiner weiß genau wo diese Tür ist, weil das unterste Stockwerk gar nicht mehr verwendet wird. Aber es gibt Gerüchte, dass sich dort etwas schreckliches ereignet haben soll. Seither ist der Keller verriegelt, aber angeblich soll man abends noch unheimliche Geräusche aus dem untersten Stockwerk hören." Seine Stimme wirkte dabei düster, als würde er eine Gruselgeschichte erzählen. Und es schien ihm Spaß zu machen, denn ein leichtes Grinsen lag auf seinen Lippen. "Kyaaaaaah", ließ ein Kreischen die Gruppe aufschrecken und zu Yasuo blicken, an dessen Arm Akane klammerte und ihr Gesicht in seiner Seite vergrub. Hiroshi stöhnte auf und blickte dann zu Masaru: "Musste das jetzt sein, Senpai? Du weißt genau, dass Akane sowas Angst macht." Entschuldigend lächelte der Ältere: "Tut mir leid. Es kam gerade über mich." "Dir scheint sowas zu liegen", schnaufte Kuraiko. "Ich kann nicht leugnen, dass ich Horror mag", kam flink eine Antwort. "Ich aber niiiiiiicht", jammerte Akane, "Also erzähl nicht sowas!" "Aber dieses Gerücht gibt es wirklich", meinte Masaru trocken, was der Braunhaarigen erneut ein kurzes Quieken entlocken, "Es ist allerdings schon einige Jahre her, dass es mir zu Ohren gekommen ist. Das muss in meinem ersten Jahr gewesen sein. Ich habe das aber nicht überprüft." "Das heißt, der Gang unter uns könnte dieser Keller gewesen sein?", fragte Mirâ. Der Ältere zuckte mit den Schultern und meinte, dass er sich vorstellen könnte, dass Megumi dieses Gerücht aufgeschnappt hatte und deshalb das Gewölbe als Eingang erschienen ist. Merkwürdig war es allemal, aber in dieser Welt war ja sowieso alles anders. Die Violetthaarige nickte. So ganz unrecht hatte Masaru nicht, deshalb brachte es eigentlich auch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. "Wir sollten weitergehen. Lasst uns nachsehen, was hinter der Tür ist. Vielleicht finden wir etwas heraus", sprach sie letzten Endes ihre Gedanken aus und setzte sich in Bewegung, in Richtung der Tür zu ihrer Rechten. "Muss das sein?", fragte Akane kleinlaut mehr zu sich, als zu den anderen. Diese reagierten auch nicht weiter drauf, außer Yasuo, der ihr noch einmal kurz über den Kopf strich, bevor er sich ebenfalls in Bewegung setzte und dem Rest der Gruppe folgte. In der Zwischenzeit war Mirâ an der Schiebetür angekommen. Vorsichtig berührte sie den Griff und drückte die Tür dann zur Seite. Dabei musste sie einiges an Kraft aufbringen, da das Holz so sehr verzogen war, dass es sich nur noch schwer in der Schiene bewegte. Kurz darauf trat sie mit Vorsicht in einen abgedunkelten Klassenraum, in dem die Tische und Stühle vollkommen durcheinander standen. Es wirkte, als hätte es in diesem Raum einen Streit gegeben. Einige der Tische wurden umgeschmissen und auch ein Teil der Stühle lag quer durch den Raum verteilt. Es war ein heilloses Durcheinander und die Gruppe musste aufpassen, nicht über eines der verteilten Möbelstücke zu fallen. Plötzlich erklang ein lautes Rauschen, welches aus den Lautsprechern in der obersten Ecke des Raumes zu kommen schien. Das Rauschen wich einem sich überlagernden Ton, der fürchterlich in den Ohren klingelte, weshalb sich die sieben diese zuhalten mussten. Dann war plötzlich wieder Stille. Irritiert sahen sich die Oberschüler und das kleine Mädchen an, bevor sie erneut zusammenzuckten, als sie ein Lachen vernahmen. Auch dieses schien aus den Lautsprechern zu kommen und erinnerte an das Geräusch, wenn eine Klasse kollektiv lachen musste und man dies von außen hörte. "Haha. Seht euch das an", erklang die Stimme eines Mädchens. "So ein Freak", sagte eine weitere Stimme, die man einem Jungen zuordnen konnte. Eine weitere Jungenstimme erklang: "Hey Freak... Zeig mal was du da machst." Wieder erklang kollektives Lachen und man hörte einen lauten Knall. Dann war wieder Stille. Gegenseitig sahen sich die sieben Freunde an und ahnten, was es mit diesem Tonausschnitt auf sich hatte. Es klang eindeutig nach eiskaltem Mobbing. Sie wussten ja bereits, dass Megumi ihre Probleme in der Klasse hatte, doch dass es so schlimm war... Ein Zähneknirschen war zu vernehmen und ließ die anderen zu Hiroshi schauen, welcher die Hände zu Fäusten geballt hatte: "Wie können sie nur..." "Hiroshi... Bitte beruhige dich", Akane trat an ihren Kumpel heran und wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, doch dieser wimmelte sie nur mit einer Handbewegung ab. "Bei sowas kann ich nicht ruhig bleiben! Sowas regt mich auf!", schimpfte er und ließ die Brünette damit erschrocken einen Schritt zurückweichen. Die anderen beobachteten das Szenario mit interessierten und besorgten Blicken. Auch Masaru trat an den Blonden heran und wollte gerade zu einem Satz ansetzten, als er hinter seinem Gegenüber etwas Blaues blitzen sah: "Vorsicht!" Gerade so schaffte er es den Jüngeren an der Schulter zu packen und nach unten zu drücken, wodurch auch Akane, die neben den Jungs stand, zurückstrauchelte und auf ihrem Hintern landete. Erschrocken wollte sie protestieren, als plötzlich an der Stelle, wo die Drei vorher standen, ein riesiger Eiskristall entstand, der nur einen Moment später wieder zersplitterte. Sofort waren auch die anderen drei in Alarmbereitschaft, während sie Mika dazu aufforderten sich hinter einem der Tische zu verstecken. Zwar wollte die Blauhaarige protestieren, doch tat wie ihr geheißen. Sie konnte ja doch nichts ausrichten, so schwer es ihr auch fiel. Wieder hörten sie das Rauschen aus dem Lautsprecher und dann ein kurzes Klacken. "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Ich werde ihnen alles heimzahlen. Alles, was sie mir angetan haben", sprach eine verzerrte Stimme, von der man nicht genau sagen konnte, ob sie männlich oder weiblich war. Kaum hatte die Stimme geendet erschienen inmitten des Raumes drei große Shadows, welche auf dem Kopf eine rosa Narrenkappe mit violetten Sternen darauf trugen. Wo genau die Köpfe begannen und aufhörten konnte man nicht sagen, da ihr hinterer Teil, der wie ein Mantel wirkte, zu ihren Körpern zu gehören schien und bereits unter der Kappe begann. Doch die Gesichter erkannte man, denn diese waren mit einer violetten Maske bestückt. Der Teil des Mantels, welcher eigentlich auf dem Boden schleifen sollte, erinnerte an überdimensionale Hände, die weit aufgeschlagen aussahen wie Flügel. Die Mitte der Wesen sah dagegen schon fast normal aus und erinnerte an einen Körper, der in denselben Stoff gekleidet war wie die Mütze. Ihre richtigen mit rosa Stoff bezogenen Hände waren über ihren Brüsten überkreuzt. Sie schwankten etwas hin und her, bevor unter einem der drei ein blauer Schimmer erschien. Plötzlich wurde es kalt im Raum und unter den Füßen der Persona User bildete sich eine Eisfläche, welche kurz darauf begann zu wachsen und zu zerspringen. Dieses Mal war die Gruppe jedoch zu langsam und so wurden sie alle von der Eisattacke getroffen, was vor allem bei Akane große Wirkung zeigte. Noch bevor einer der anderen jedoch reagieren konnte, leuchtete er erneut unter den Shadows auf und der Boden begann zu leuchten. "Nicht mit mir!", schrie Kuraiko und sprang zur Seite, bevor der Angriff seine Wirkung zeigte. Wäre ihr nicht sofort aufgefallen, was Sache war, hätte diese Attacke sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeknockt, wenn nicht sogar getötet. Zwar hatten die anderen diesen Angriff voll abbekommen, jedoch zeigte er bei ihnen nur eine geringe Wirkung. Die Schwarzhaarige hatte jedoch plötzlich ein ganz anderes Problem. Bei ihrem Ausweichversuch war sie an einem der herumliegenden Stühle hängengeblieben und darüber geflogen, weshalb sie nun inmitten der Möbel auf dem Fußboden lag. In diesem Moment erkannte sie unter sich erneut das helle Licht, doch noch bevor sie einen Fluch aussprechen konnte, löste Hama plötzlich aus. Erschrocken schloss sie die Augen, doch spürte danach nichts, weshalb sie wieder aufschaute und sich daraufhin in der Luft befand. Sie hob den Blick und erkannte Aton, der sie geschnappt hatte und nun in der Nähe von Hiroshi absetzte. "Verlangst du jetzt ein Dankeschön?", fragte sie in ihrer üblichen Art. Der Blonde sprang darauf jedoch dieses Mal nicht an: "Das Einzige was ich verlange ist, dass du Mudo auf die drei ansetzt!" "Hör auf mir Befehle zu erteilen!", schimpfte die junge Frau, tat trotzdem wie geheißen und rief ihre Persona Kadej, die daraufhin mit einem Mudo-Angriff startete. Die Gegner wurden direkt erwischt und verschwanden in schwarzem Nebel. Jedoch hatte es einer der drei geschafft auszuweichen und wirkte nun so, als würde er die junge Frau verspotten. Natürlich machte das die Oberschülerin sauer, doch bevor sie reagieren konnte, explodierte vor ihr ein großer Eiskristall, der sie zu Boden riss. Masaru zog sein Schwert und stürmte auf den Gegner zu, welcher sich von dem Angriff jedoch nicht wirklich einschüchtern ließ. Zwar stolperte er etwas zurück, jedoch blieb ein stärkeres Ergebnis aus. Eine Frisbee flog an dem Schwarzhaarigen vorbei, streifte ihn dabei auch noch beinahe, und traf den Gegner genau an der Maske. Wieder torkelte der Shadow zurück, doch blieb ansonsten standhaft. Trotzdem hatte es eine Wirkung, denn die Maske begann leicht zu splittern. "Na warte!", Akane sprang in die Luft, machte dabei eine Drehung und trat den Gegner mit voller Wucht ins Gesicht, was ihn noch ein Stück torkeln ließ. Jedoch verschwand er erst, als ein Pfeil mit einem dumpfen Ploppen in seine Maske einschlug, genau an der Stelle, wo sie gesplittert war. Mit einem Klacken riss das Stück in zwei Teile und fiel zu Boden, während sein Besitzer sich in schwarzem Nebel auflöste. Kapitel 81: LXXXI – Tanz mit dem Feuer -------------------------------------- Donnerstag, 03.September 2015 - Dungeon Durchschnaufend starrte die Gruppe auf den Punkt, von welchem sie vor wenigen Minuten noch von drei Shadows angegriffen wurden. Der Kampf war im Grunde nicht anstrengend gewesen, jedoch kam er extrem überraschend. Zwar war es nicht so, als würden sich die Gegner alle ankündigen, doch hier schienen sie regelrecht auf einen Hinterhalt zu warten. Dazu kam noch, dass sich hier immer mehrere Gegner konzentrierten und nicht so verteilt, dafür aber häufiger angriffen. Wieder spiegelte sich hier ein Unterschied zu den anderen Dungeons ab. Während Mirâ zu ihren Freunden schaute, machte sie sich Sorgen darüber, ob sie es überhaupt wie geplant bis zum Zwischenboss schaffen würden. Ganz davon abgesehen, ob sie ihn in ihrer aktuellen Situation überhaupt besiegen konnten, wenn das so weiterging. Und sie wusste, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatten. Megumi machte ihnen die Sache nicht wirklich leicht. "Ist bei euch alles in Ordnung?", fragte Mika, als sie aus ihrem Versteck herauskam. "Ja es geht", murrte Kuraiko, während sie sich wieder erhob, "Dieser Drecksshadow." Überrascht blickte die Kleine die Schwarzhaarige an. Sie war es ja gewohnt, dass diese einen kurzen Geduldsfaden hatte und schnell meckerte. Dass sie jedoch fluchte, kam etwas überraschend. Der jungen Frau schien ihr Verhalten nicht einmal aufzufallen. Sie klopfte sich stattdessen den Staub von den schwarzen Sachen und warf dann einen Blick in den Raum, wobei ihr etwas ins Auge fiel. "Wollen wir dann weiter?", fragte Masaru in die Runde und bemerkte dabei gar nicht, das Kuraiko sich von der Gruppe absetzte. Hinter einem Stapel von Tischen und Stühlen, die wüst übereinandergeworfen schienen, sah sie etwas Glitzerndes. Um die Sache genauer zu betrachten war sie auf diesen Turm zugegangen und hatte einen Blick zwischen das Gebilde geworfen. "Helft mir mal", forderte sie die anderen auf, welche bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mitbekommen hatten, dass diese etwas entdeckt hatte. Masaru und Hiroshi tauschten einen kurzen Blick aus, bevor sie zu der Schwarzhaarigen hinübergingen und ihr dabei halfen die Möbel beiseite zu räumen. Gekonnt hatte sich Yasuo aus der Sache herausgehalten, indem er sich einen der herumliegenden Stühle genommen und sich daraufgesetzt hatte. Mit müden Augen beobachtete er, wie die anderen Drei nach und nach den Gegenstand freiräumten, den Kuraiko gefunden hatte. Auch Akane, Mirâ und Mika hielten sich vorerst aus der Sache heraus, da es sicher nicht hilfreich war, wenn zu viele auf kleinem Raum herumwuselten. Nach kurzer Zeit kam eine schwarze Truhe mit goldenen Verzierungen zum Vorschein, die an eine der Schatzkisten aus alten Piratengeschichten erinnerten. Überrascht blickten die Oberschüler auf die Truhe vor sich, bevor ein wenig Vorfreude auf den Inhalt aufkam. Wenn sie Glück hatten befand sich darin etwas Nützliches, um ihre Gesundheit wiederherzustellen. Doch sie wussten auch, dass sie diese Kisten mit Vorsicht genießen mussten. Immerhin kam es nicht selten vor, dass darin Shadows verborgen waren, wie sie bereits einige Male schmerzhaft feststellen mussten. Vorsichtig und in Alarmbereitschaft trat Kuraiko näher an den Gegenstand heran und öffnete dann langsam den Deckel, immer darauf bedacht sofort einen Gegenangriff starten zu können, falls ein Shadow darinsitzen sollte. Doch auch als der Deckel geöffnet war geschah nichts. Trotzdem blieben die Persona-User noch einen Moment in Alarmbereitschaft, bevor sie dann kollektiv in die Truhe schauten und darin mehrere kleine Ampullen vorfanden. Kuraiko griff nach den Fläschchen, die verschwanden kaum hatte die Schwarzhaarige sie berührt. Nicht einmal eine Sekunde später erklang aus den Smartphones der sechs User ein Signalton, woraufhin sie, wie automatisch gesteuert, nach diesen griffen und einen Blick in die Persona App warfen. In ihrer Item Liste standen nun zwei Gegenstände, die heller unterlegt und mit einem kleinen Ausrufezeichen versehen waren. "Medical Kit" und "Chewing Soul" waren diese Items benannt und hinter beiden stand jeweils 3x. Mirâ tippte länger haltend den Finger auf den ersten Gegenstand, um zu sehen, was genau dieser Gegenstand bewirkte, denn diesen hatten sie noch nie eingesammelt. Dabei erfuhr sie, dass er bei einer Anwendung einen Teil all ihrer Wunden wieder heilen konnte. Das andere Item half wohl dabei ihre Energie wiederaufzufrischen, allerdings nur bei je einer Person. Sie mussten also diplomatisch entscheiden, wer von ihnen diese Items nutzte. "Wow die Items sind echt nützlich", sagte Hiroshi, welcher wohl den gleichen Gedanken hatte wie Mirâ und nachgeschaut hatte, was ihre neuen Errungenschaften brachten. "Lasst uns erst einmal das Medical Kit nutzen", schlug Akane vor, was mit einem kollektiven Nicken einherging. Also tippte die Braunhaarige kurz auf das angesagte Item und kurz darauf legte sich ein angenehm grünes Licht um die ganze Gruppe, welches ihre Wunden großteils verschwinden ließ. "Was machen wir mit dem anderen? Von dem profitiert immer nur einer. Wir sind sechs, haben aber nur drei", sprach Masaru das aus, was die anderen beschäftigte. Schweigen breitete sich aus. Sie alle brauchten dieses Item, doch nicht jeder konnte eins bekommen, aber niemand sollte sich vernachlässigt fühlen. Mirâ dachte nach. Was sollte sie tun? Würden alle mit ihrer Entscheidung einverstanden sein, selbst wenn sie hinten runterfielen? Oder sollten sie diesen Gegenstand einfach aufsparen? Doch ohne zusätzliche Energie würden sie es sicher nicht mehr weiter schaffen. Und wer wusste schon, ob sie noch einmal einen solchen Gegenstand finden würden. Er war zu wertvoll, um ihn unbedacht einzusetzen. Die junge Frau biss sich auf sie Unterlippe. Was sollte sie tun? "Wie wäre es, wenn diejenigen das Item bekommen, die die Fähigkeit haben die anderen zu heilen? Das nützt uns doch allen. Sie haben wieder genug Energie und wenn wir anderen verletzt sind können sie uns heilen", holte sie Yasuos Stimme aus den Gedanken. Sofort waren alle Blicke auf ihn gerichtet, weshalb er kurz etwas erschrocken wirkte und dann mit den Schultern zuckte, bevor er meinte, dass es nur ein Vorschlag war. Mirâ dachte darüber nach. Eigentlich war das sogar eine gute Idee, aber wären die anderen auch damit einverstanden? Es war schwierig. Wieso musste sie diese Entscheidung treffen? Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, woraufhin sie aufschaute und in zwei dunkelblaue Augen sah, die sie freundlich anlächelten. "Mach dir keine Gedanken Mirâ. Entscheide, wie du es für richtig hältst. Niemand wird dich dafür verurteilen. Und das sage ich jetzt nicht, weil Aton die Fähigkeit zur Heilung hat. Selbst wenn du dich anders entscheidest wäre es noch so", sagte Hiroshi mit einem lieben Lächeln. "Hiroshi hat recht", pflichtete Masaru dem Blonden bei, "Egal wie du dich entscheidest, wir stehen hinter dir." Mit großen Augen sah sie ihren Senpai an und blickte dann zu Akane und Kuraiko, die den Jungs mit einem Nicken beipflichteten. Sie schaute noch einmal auf ihr Smartphone, dann wieder zurück in die Runde und entschied dann: "Wäre es dann in Ordnung, wenn ich Kuraiko und Hiroshi-kun zwei der Items gebe und das dritte aufbewahre?" Ein kollektives Nicken war die Antwort, woraufhin die junge Frau ihre Entscheidung in die Tat umsetzte. Kurz darauf legte sich ein gelbes Licht um die zwei Benannten, woraufhin sie spürten, wie ihre Energie wieder stieg. Erleichtert atmete die Violetthaarige auf. Sie hatte Angst, dass diese Entscheidung in einem Streit enden würde. Immerhin wäre es nur normal, dass man sich benachteiligt fühlte, zumal sie alle erschöpft waren. Nun war sie froh, dass sie sich doch einigen Konnten und dass ihre Freunde ihr bei dieser Entscheidung geholfen haben. Alleine hätte sie das nicht entscheiden wollen. Mika beobachtete ihre Freundin und lächelte, als sie merkte, wie die Anspannung von dieser abfiel. Sie wollte nicht in Mirâs Haut stecken und die ganzen Entscheidungen treffen. Auch wollte sie sich nicht ausmalen, welche Last damit auf den Schultern der Violetthaarigen lag. Das war mit Sicherheit nicht einfach für sie und sie hoffte, ihre Freundin würde nicht irgendwann unter dieser zusammenbrechen. "Lasst uns weiter gehen", sprach die junge Frau plötzlich und holte damit Mika aus ihren Gedanken. Ihr Fokus richtete sich wieder auf das ganze Geschehen und sie sah, dass sich die Persona-User bereits auf den Weg machten. Schnell schloss sie zu den anderen auf und folgte ihnen zurück in den Gang. Sofort schlugen sie den Weg nach rechts ein, um tiefer in den Dungeon vorzudringen. Wieder hatte sich Akane bei Yasuo untergehakt, weil es ihr zu unheimlich wurde, während sich die anderen nur bedingt von der Umgebung einschüchtern ließen. So liefen sie immer tiefer und tiefer und stellten verwundert fest, dass sie weder von Gegnern angegriffen wurden, noch eine weitere Tür fanden. Der Gang verlief einfach immer weiter geradeaus. Doch gerade, als die Gruppe glaubte in einer Endlosschleife festzustecken, bog der Weg abrupt nach links ab. Beinahe wäre Mirâ direkt in die Wand ihr gegenüber gelaufen, weil sie so auf ihre Gedanken fixiert war, dass sie die plötzliche Kurve vollkommen übersehen hatte. Nur ganz knapp bevor es geknallt hätte, wurde sie von ihren Freunden aus den Gedanken gerissen, die sie gewarnt hatten. Irritiert stand sie nun wenige Zentimeter vor der Wand und starrte diese mit großen roten Augen an, bevor sie einen Blick nach links warf und bemerkte, dass es erst dort weiterging. Dabei stellte sie auch fest, dass sich dort zu ihrer Linken eine weitere Tür befand. Sie warf noch einen kurzen Blick über ihre Schulter zu ihren Freunden, bevor sie ohne weitere Worte auf die Tür zuging und diese mit einem Ruck aufriss. Auch hier musste sie etwas mehr Kraft aufwenden, weil sie klemmte, doch dann ließ sie sich quietschend aufschreiben. Und schon befanden sie sich im nächsten Klassenzimmer, welches genauso aussah wie das letzte. Sofort sah sich Akane um, in der Hoffnung eine weitere Truhe hinter einem der Stapel zu entdecken, doch egal wo sie schaute, sie fand nichts dergleichen. Stattdessen befand sich in einer Ecke des Raumes ein altes Fernsehgerät, das schon ziemlich verstaubt war. In einem beinahe zusammengebrochenen Regal lagen verstreut verschiedene alte Kameras, welche auch schon lange bessere Tage gesehen hatten. An den Wänden hingen alte Filmplakate, die wirkten, als seien sie aus einem Jahrzehnt, welches schon lange vorbei war. Irgendwie war dieses Szenario sehr skurril. Ein lautes Rauschen ließ die Gruppe zusammenzucken und sich zu dem alten Fernseher umdrehen, auf welchem sich nun ein schwarz-weißer Fischregen abbildete, von dem das laute Geräusch auszugehen schien. Gespannt blickten die Persona-User auf den Bildschirm, der sich plötzlich aufklarte und einen Klassenraum zeigte, in dem sich einige Schüler tummelten. „Hey, ist das nicht die Uniform unserer Schule?“, fragte Akane neugierig. Keiner reagierte darauf, doch alle hatten sie den gleichen Gedanken, denn bei der Uniform der Schüler handelte sich eindeutig um die Uniform ihrer High School, die aus der markanten Farbkombination von schwarz, weiß und rot bestand. Genau in der Mitte des Bildes stand ein Pulk aus Schülern, die immer wieder in die Richtung der Kamera blickten, welche sich plötzlich kurz bewegte und einmal nach rechts und links schwenkte, sich dann aber wieder auf die Gruppe richtete. Irgendwas fand Mirâ an dem Szenario merkwürdig. War das wirklich eine Kamera? Und wenn ja, wieso wurde sie dort aufgestellt? Mit einem Mal wurden ihre Zweifel bestätigt, als sich zwei Schüler aus dem Pulk lösten und genau auf sie zukamen. Sie stellten sich leicht schräg daneben und grinsten breit. „Sag mal &%$/, was machst du da?“, fragte einer der beiden. Der Name, den er nannte, war so stark verzerrt, dass keiner der Persona-User ihn verstanden hatte. Aber es bestätigte der Violetthaarigen, dass es sich bei dem, was sie sahen nicht um eine Aufnahme handelte, sondern um die Sicht einer Person. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich bei dieser Person um Megumi. Plötzlich griff der andere Schüler nach etwas, was wohl vor ihr gelegen habe musste und blätterte kurz darauf durch einen Block. Dann lachte er und fragte, was das alles sei, bevor er die Schreibunterlage an seinen Freund weitergab, der ebenfalls einen kurzen Blick hineinwarf und lachte. Auch andere Schüler kamen nun dazu, weshalb das Schriftstück einmal die Runde machte und kurz darauf unter lautem Lachen aus dem Fenster flog. Erschrocken war der Besitzer aufgesprungen, zum Fenster gelaufen und hatte noch versucht die einzelnen Blätter aufzufangen. Doch es war bereits zu spät. Der Blick ging hinunter in den Hof, wo der Block nun in seine Einzelteile zerlegt, auf dem Boden lag. Einige andere Schüler, die zu diesem Zeitpunkt unter einem Baum auf dem Hof saßen und denen das Schriftstück regelrecht vor die Füße gefallen war, schauten irritiert nach oben. Peinlich berührt war der Beobachter zurückgewichen und hatte den Blick auf den Fußboden gerichtet, bevor er sich umdrehte und Richtung der Klassentür ging. Dann endete der Film und ein erneuter Fischregen begleitet von lautem Rauschen war zu sehen. Kurz darauf ertönte wieder die verzerrte Stimme aus den Lautsprechern: „Sie alle müssen dafür büßen. Sie alle werden dafür bezahlen.“ Der Fernseher schaltete sich wieder aus und Stille kehrte wieder in den dunklen Raum ein, während jeder erst einmal verarbeiten musste, was er eben gesehen hatte. Hiroshi war der erste, der sich wieder bewegte. Mit einem lauten Knall hatte er seine Faust auf das Lehrerpult geschlagen, welches neben ihm stand. Erschrocken waren seine Freunde zusammengezuckt und hatten ihre Blicke auf den Blonden gerichtet. „Das darf doch nicht wahr sein. Ich glaubs einfach nicht…“, sagte er mehr zu sich selbst und sah dabei zu Boden, sodass keiner der anderen sein Gesicht sehen konnte. Dass er jedoch mit den Zähnen knirschte war nur zu gut zu hören. Die Szene schien ihm mehr zuzusetzen, als es vermuten ließ. Besorgt sah Mirâ zu ihrem Kumpel und beobachtete wie Akane an ihn herantrat und etwas zu ihm sagte. Es dauerte eine Weile, bevor man merkte, wie etwas der Anspannung von ihm abfiel und er den Blick wieder hob. Kurz sah er zu seinen Freunden und noch einmal auf den Fernseher. Dann sagte er etwas zu Akane, was die Violetthaarige jedoch nicht verstand, und wandte sich von dieser ab, um zur Tür zu gehen. Doch in dem Moment, als er diese erreichte fiel diese ins Schloss. Erschrocken versuchte der junge Mann sie wieder zu öffnen, doch egal was er tat, die Tür war zu. Genervt trat er einmal kurz dagegen, doch auch das brachte nicht den erhofften Effekt. „Kche…“, er drehte sich wieder um und wollte etwas sagen, als sich vor ihm eine Feuersäule aufbaute und in die Höhe stieg. Viel zu überrascht, um überhaupt richtig reagieren zu können, schaffte es Hiroshi gerade noch so seine Hände vors Gesicht zu heben, um dieses zu schützen. Die Attacke traf ihn jedoch voll, wodurch er zurück gegen die Tür stolperte und dann zu Boden rutschte. „Hiroshi, ist alles in Ordnung?“, fragte Akane erschrocken und wollte zu ihrem Kumpel stürmen. Doch bevor sie auch nur einen Schritt machen konnte, baute sich auch vor ihr die Feuerwand auf. Zwar traf sie die Attacke genau, doch konnte sie ihr nichts anhaben, immerhin war Feuer ihr Element. Trotzdem kam sie erst einmal nicht vorwärts, da sie viel zu erschrocken von dem plötzlichen Angriff war. Die anderen Persona-User hatten sich sofort in Angriffsstellung gebracht und sahen sich um, dabei immer ein Auge auf ihre beiden Freunde. Doch egal wohin sie blickten, sie konnten nichts erkennen was auch nur annährend an einen Shadow erinnerte. Jedoch machte es ihnen der Dungeon auch nicht wirklich leicht, immerhin war der Raum so weit abgedunkelt, dass man zwar seine Umgebung erkennen konnte, jedoch auch nur recht schwer. Plötzlich schlugen in der Mitte zwischen Mirâ, Yasuo, Kuraiko und Masaru mehrere kleine Feuerbälle ein und ließen die vier zusammenzucken. Erleichtert, dass der Angriff sie nicht getroffen hatte, atmete die Violetthaarige auf und versuchte sich dann wieder auf ihren Gegner zu konzentrieren, den sie immer noch nicht sah. Doch irgendwo musste er sein. Die Frage war nur wo? Auch Mika sah sich um und hatte plötzlich das Gefühl eine Bewegung unter der Decke bemerkt zu haben. Jedoch war es zu dunkel, um etwas Genaueres zu erkennen. Sie konzentrierte sich auf den Fleck und kniff die Augen zusammen und war sich ganz sicher, dass sich dort etwas bewegte. Die anderen waren so sehr damit beschäftigt den Gegner auf ihrer Augenhöhe zu suchen, dass sie die Bewegung über sich gar nicht bemerkten. Mika kniff die Augen noch etwas mehr zusammen und erkannte etwas Rotes. War das eine Maske? Sie reckte den Hals, um noch mehr zu erkennen und in genau diesem Moment, bildete sich an der Stelle ein blaues Licht, welches den Gegner kurzzeitig sichtbar machte. Dabei war es kein Wunder, dass sie diesen Shadow nicht erkannten, denn er bestand nur aus einer rot-schwarzen Maske und einigen schwarzen Wölkchen, die in der Umgebung des Raumes einfach untergingen. Schnell reagierte Mika und rief ihren Freunden eine Warnung zu: „Vorsicht! Es greift wieder an! Alle auseinander!“ Erschrocken sahen alle zu der Blauhaarigen, doch befolgten den Befehl und sprangen auseinander. Gerade noch rechtzeitig, denn einen Moment später krachten erneut kleine Feuerbälle in die Mitte des Raumes ein. Genau an die Stellen, wo kurz zuvor noch die Persona-User verweilten. Masaru landete auf seinen Füßen und stützte sich mit der linken Hand am Boden ab, während er sich hektisch umsah. „Wo ist er, Mika? Kannst du ihn sehen?“, fragte er aufgeregt. „Er ist über euch. Genau in der Mitte des Raumes. Aber man erkennt ihn schlecht, weil er in der Umgebung untergeht“, erklärte das kleine Mädchen und beobachtete, wie sofort alle ihre Blicke gen Decke richteten. Angestrengt kniffen die kampfbereiten Persona-User die Augen zusammen und suchten verzweifelt nach dem Shadow, doch egal wie sehr sie sich anstrengten, es war einfach nichts zu erkennen. Das machte den Kampf schwerer, denn wenn sie nicht wussten, wo genau sich ihr Gegner befand waren sie ein leichtes Ziel. Dazu kam, dass sie nicht einmal wussten, um welchen Shadow es sich dabei handelte. „So ein Feigling!“, schimpfte Kuraiko und rekte den Kopf etwas mehr nach vorn, um etwas erkennen zu können, „Urgh… es ist zu dunkel hier. Wir bräuchten Licht!“ Als wäre dies eine Aufforderung gewesen, leuchtete es plötzlich inmitten der vier Persona-User hell auf, während sich eine goldgelbe Fläche bildete, in der mehrere weiße Bannzettel lagen. Die Papierfetzen stiegen plötzlich nach oben und der Bannkreis explodierte in einem gleißenden Licht. Endlich konnten die anderen erkennen, wer beziehungsweise was sie die ganze Zeit angriff. In dem Moment, als sich der Angriff auflöste wurde es jedoch wieder dunkel und der Gegner war wieder verschwunden. Sicher war jedoch, dass er nicht besiegt war, denn alle hatten erkannt, wie er der Attacke in letzter Minute ausgewichen und in eine andere Ecke des Raumes verschwunden war. Mirâ schnalzte mit der Zunge. Die Suche musste also von vorn beginnen. „Hat das Dornröschen ausgeschlafen?“, fragte Kuraiko sarkastisch und richtete ihren Blick auf Hiroshi, welcher sich den Kopf reibend erhob. „Sei froh, dass ich euch etwas Licht gemacht habe“, kam nur die gleichgültige Antwort. „Dafür ist der Feigling wieder verschwunden“, meinte Yasuo. Just in diesem Moment wurde die Gruppe erneut mit einem Schwall an Feuerbällen angegriffen. Verzweifelt versuchten alle auszuweichen, doch mittlerweile stand jeder in einer Ecke des Raumes, der so von Möbeln zugestellt war, dass dies nicht mehr möglich war. So musste es kommen, dass alle getroffen wurden und vor allem Mirâ hart zu Boden ging. „Mirâ!“, rief Akane erschrocken, „Ist alles in Ordnung?“ Langsam richtete sich die junge Frau wieder auf und rieb sich den Kopf: „Ja… denke schon. Habt ihr gesehen, woher der Angriff kam?“ „Aus der Ecke hinten Links am Fenster!“, rief Mika ihnen zu, „Dort habe ich ein Leuchten gesehen.“ Ein blaues Licht legte sich um Masaru und kurz darauf erschien Harachte über ihm, welcher sofort einen Wirbelsturm in genannte Richtung losließ. Der Angriff traf auf einen Widerstand und sie wussten sofort, dass sie den Shadow gefunden hatten. Doch so froh sie über die Erkenntnis waren, so überraschter waren sie, als der Sturm wieder genau auf den Schwarzhaarigen zurückschleuderte. Harachte stellte sich dem in den Weg und pustete das grüne Gebilde mit einer Handbewegung davon. Yasuo ließ keine weiter Zeit verstreichen und dem Gegner damit auch keine Chance sich erneut zu verstecken, sondern rief sofort Geb, der dem Arm hob. Krachend blitzte es in der Ecke auf und traf auf etwas, doch wurde wieder zurückgeworfen. Auch hier stellte sich die Persona zwischen den Angriff und ihren Herren und verhinderte damit, dass sie zurückgeworfen wurde. Ratlos sahen die Persona-User auf die dunkle Ecke, in welcher sich immer noch der Shadow befand. Schon wieder ein Gegner, der ihre Angriffe reflektierte. Dieses Mal würden sie jedoch mit Sicherheit nicht mit gutem Zureden an ihn herankommen. Jedenfalls war sich Mirâ da ziemlich sicher. Ihnen musste etwas einfallen, ansonsten waren sie geliefert. Sie hatte eine Vermutung, wusste jedoch nicht, ob es was bringen würde. Trotzdem erhob sich die junge Frau und rief Hemsut hervor, welche in einem blauen Lichterregen über ihr erschien. „Mehr als nicht funktionieren, kann es nicht. Also los Hemsut. Angriff mit Bufu!“, befahl sie, woraufhin sich die in weiß gekleidete Frau in die Lüfte erhob und einen Eis-Angriff startete. Eigentlich hatte die Violetthaarige bereits damit gerechnet, dass auch diese Fähigkeit zurückgeworden wurde. Umso überraschter war sie, als der kleine Eiskristall mit voller Wucht einschlug und der Gegner ihnen damit einen Moment später so gesehen vor die Füße fiel. Perplex schauten die sechs auf das kleine Wesen vor ihnen, welches so viel Ärger gemacht hatte und vergasen dabei vollkommen anzugreifen. „Worauf wartet ihr noch? Macht ihn fertig!“, rief Mika ihnen zu und holte die Gruppe damit aus ihren Gedanken. Wie vom Blitz getroffen reagierten die Oberschüler plötzlich wieder und stürmten gemeinsam auf den Shadow los, welcher sich einen Moment später in schwarzem Rauch auflöste. Stille breitete sich wieder im Raum aus, während alle schwer atmend auf den Fleck in ihrer Mitte blickten, wo kurz zuvor noch ihr Gegner lag. Ein Klicken erklang und ganz langsam glitt die Schiebetür wieder auf, doch das interessierte in diesem Moment niemanden. Kapitel 82: LXXXII – Verriegelt ------------------------------- Donnerstag, 03.September 2015 Mit schlurfenden Schritten liefen Mirâ und ihre Freunde durch den endlos wirkenden Dungeon. Wie lange sie sich mittlerweile in diesem Irrgarten aufhielten wussten sie nicht, aber sie hatten das Gefühl, dass es bereits mehrere Stunden waren. Ihnen allen war die Erschöpfung mehr als deutlich anzusehen und noch immer war kein Ende in Sicht. Nicht einmal eine Treppe, die sie in ein weiteres Stockwerk führte, hatten sie bisher gefunden. Stattdessen bogen sie nach links ab, dann wieder nach rechts. Kamen an verschiedene Kreuzungen und landeten letzten Endes doch immer mal in einer Sackgasse, die sie zum Umkehren zwang, oder einem der unzähligen Klassenräume, in denen sie jedes Mal von einem oder mehreren Shadows angegriffen wurden. Zwar fanden sie dabei häufig auch neue Gegenstände, die ihnen bei der Regeneration ihrer Energie halfen, allerdings bisher keinen weiteren Fernseher oder ähnliches, der ihnen Hinweise auf Megumi geben konnte. Dabei fiel ihnen jedoch auf, dass sie auf ihrem Weg nie in den Gängen von Gegnern angegriffen wurden, sondern immer nur in den genannten Räumen. Sie waren also vorerst sicher, sofern sie nicht eines der Zimmer betraten. Jedoch war ihnen bewusst, dass ihnen mit Sicherheit dann auch Hinweise verloren gingen, zumal sie nicht einmal wussten, ob nicht sogar die Treppe zum nächsten Stockwerk irgendwo hinter einer Tür versteckt war. Allgemein wurde es mit jedem Mal schwieriger die Dungeons wirklich zu durchschauen. Vor einiger Zeit hatte Akane bereits einmal angebracht, dass sie so etwas wie einen Navigator bräuchten. Immerhin gab es in RPGs immer jemanden, der die andern lotste. Murrend hatte Kuraiko sie damals darauf hingewiesen, dass sie sich nicht in einem Computerspiel befanden und das Thema wurde ad acta gelegt. Doch je mehr Mirâ darüber nachdachte, desto mehr kam ihr der Gedanke, dass ein Navigator eigentlich gar keine schlechte Sache war. Doch woher sollten sie so jemanden nehmen? Gab es denn überhaupt eine Persona, die solch eine Fähigkeit besaß. Sie selbst konnte ja mehrere dieser Wesen in sich aufnehmen, aber keine von ihnen konnte ihr Details über Dungeons oder den Gegnern geben. Sie waren also nur auf Angriffe spezialisiert. Ihr Blick richtete sich leicht seitlich auf Mika. Bisher hatte sie die Kleine immer recht gut durch die Dungeons gelotst beziehungsweise ihnen Tipps zu irgendwelchen Shadows gegeben. Jedoch musste sie feststellen, dass die Kräfte der Blauhaarigen immer mehr an ihre Grenzen stießen. Mirâ sah wieder nach vorn und hing weiter ihren Gedanken nach. Die Frage war ja auch, ob es überhaupt jemanden gab, der die Rolle eines Navigators in ihrer Gruppe einnehmen konnte. Auszuschließen war es natürlich nicht, jedoch befanden sie sich ja wirklich nicht in einem Spiel. Gedanklich schüttelte sie den Kopf. Wahrscheinlich brachte es gar nichts darüber nachzudenken. Sicher würde es einiges erleichtern, jedoch waren sie die letzten Male auch so zurechtgekommen. Es würde mit Sicherheit auch weiterhin so funktionieren. Etwas weiter vorn lief Hiroshi und hing seinen Gedanken nach. Dieser Dungeon beschäftigte ihn; in vielerlei Hinsicht. Er war sich sicher, dass auch die anderen mittlerweile mitbekommen hatten, dass ihn das ganze ziemlich mitnahm. Mobbing war ein schreckliches Thema. Das Schlimme daran war, dass es keinen sinnvollen Grund bedurfte, um zum Opfer zu werden. Ein Einziger wurde von allen anderen auserkoren und daraufhin im Verbund fertig gemacht, bis seine Psyche komplett gebrochen war. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die Schikane körperlich oder psychisch war. In den meisten Fällen war es nicht einmal so, dass der vorrangige Grund für das Mobbing das Brechen der Seele war. Häufig wussten es die Schüler einfach nicht besser und dachten, sie würden einfach nur ein paar dumme Streichen spielen. Das Thema wurde seit vielen Jahren in Japan totgeschwiegen. Lehrer und Eltern sprachen das Thema nicht an und spielten es herunter. Dementsprechend gab es auch keine Aufklärung dazu. Dabei war schon lange bekannt, dass das Land ein enormes Problem mit Mobbing hat. Doch solange wie nichts geschah, ging es eben weiter wie immer und diejenigen, die diese Schikane nicht mehr aushielten und sich deshalb das Leben nahmen, wuchs von Jahr zu Jahr. Zu sehen und zu hören, dass Megumi solch eine Grausamkeit durchmachen musste, machte ihn wütend. Sicher war, dass sie ihr helfen mussten, sobald sie wieder in der realen Welt waren. Er jedenfalls würde sich auf alle Fälle dafür stark machen und er war sich sicher, dass die anderen ihm helfen würden. „Kommst du klar?“, holte ihn die Stimme von Akane aus seinen Gedanken, woraufhin er sie überrascht ansah, „Mit diesem Dungeon und der Situation meine ich…“ Der Blonde grinste leicht: „Sollte ich das nicht dich fragen? Du bist so blass wie Mehl. Wenn das hier ne Geisterbahn wäre, würdest du perfekt ins Inventar passen.“ Seine Sandkastenfreundin blähte beleidigt die Wangen auf und boxte ihn leicht in die Seite: „Lass den Quatsch!“ „Au…“, lachte der junge Mann und rieb sich die getroffene Stelle, „Ich komm schon klar. Aber danke der Nachfrage.“ „Ich weiß, wie du dich gerade fühlst, Hiroshi. Wenn etwas ist…“, begann sie, wurde jedoch von ihrem Kumpel abgehalten weiterzusprechen. „Das ist lieb von dir. Aber es geht schon.“, meinte er mit einem kleinen Lächeln und blickte dann wieder nach vorn in den Dungeon, wo ihm etwas auffiel, „Hey Leute seht mal. Eine Tür.“ „Oh wow! Eine Tür… welch Überraschung“, der sarkastische Unterton in Kuraikos Stimme war nicht zu überhören, doch der Blonde ignorierte ihn gekonnt. Stattdessen trat er an den Durchgang heran und versuchte ihn zu öffnen. Wiedererwartend bewegte sie sich jedoch nicht. „Abgeschlossen…“, murmelte er. Akane beobachtete ihren Kumpel dabei, wie er versuchte die Tür irgendwie aufzubekommen und hing dabei ihren Gedanken nach. Sicher machte sie sich Sorgen Aufgrund der Situation und wie er sich verhielt, sobald sie einen weiteren Hinweis bekamen. Sie wusste, dass es ihn fertig machte, wenn er hören und sehen musste, wie seine Freunde gemobbt wurden und dass er ihnen am liebsten sofort helfen würde. Nun zu erfahren, dass eine gute Freundin so etwas durchmachen musste, ohne dass er es mitbekommen hatte, war sicher schrecklich für ihn. Andererseits war er aktuell ziemlich gefasst. Sie seufzte und schüttelte dann den Kopf. Wahrscheinlich machte sie sich zu viele Gedanken. Irgendwie sah sie in ihm immer noch den Jungen aus der Mittelstufe, dabei war er mittlerweile erwachsen geworden. Er kam also auch klar, ohne dass sie ihm unter die Arme greifen musste. Noch einmal seufzte sie, um ihre Gedanken zu verbannen und trat dann an ihren Kumpel heran, welcher mittlerweile von der Tür abgelassen hatte und meinte, dass diese wohl einfach nur Deko und deshalb nicht zugänglich war. Gerade in dem Moment, als Akane neben den Blonden trat, gab es einen lauten Knall neben ihr. Der Durchgang wackelte in den Angeln und ließ die Brünette mit einem lauten Schrei zurückweichen. Auch die anderen waren erschrocken, als es plötzlich knallte, jedoch weniger als die junge Frau. „H-Hallo. Ist da jemand?“, hörten sie eine zarte Stimme aus dem verschlossenen Zimmer, welche ihnen mehr als bekannt vorkam. Sofort war Mirâ an die Tür gestürmt: "Megumi-chan. Bist du das? Geht es dir gut?" "Mi-Mirâ-senpai? J-ja mir geht es gut. I-ich wüsste nur gerne wo ich hier bin...", kam prompt eine Antwort. Erleichtert atmete die Ältere auf, als ihr bewusst wurde, dass es der jüngeren Schülerin anscheinend gut ging. „Halte durch Megumi-chan. Wir holen dich da raus“, sagte die Violetthaarige und griff nach ihrem Smartphone. Wenn sie die Tür auf herkömmliche Weise nicht aufbekamen, dann mussten sie halt unkonventionelle Methoden anwenden. Doch noch bevor sie ihre Persona rufen konnte, wurde sie von Kuraiko zurückgehalten, welche nach der Hand mit ihrem Telefon gegriffen hatte. Irritiert sah die junge Frau ihre Freundin an: „Was soll das, Kuraiko?“ Verzweifelt versuchte sie sich aus dem Griff ihrer Freundin zu befreien. Wieso hielt sie sie denn überhaupt ab? Immerhin waren sie doch extra hierhergekommen um Megumi zu retten. Sie verstand nicht, wieso sich Kuraiko auf einmal so verhielt. Wollte sie die Kleine etwa nicht retten? Sicher, das Verhältnis der beiden war bisher eher angespannt, da sie so komplett gegensätzlich waren. Aber war das ein Grund sie nicht retten zu wollen? Endlich schaffte es Mirâ ihre Hand zu befreien und blickte die Schwarzhaarige mit einem düsteren Blick an. „Unser Ziel ist es Megumi hier rauszuholen. Das sollte unsere Priorität sein. Wieso willst du das jetzt verhindern?“, schimpfte sie. Die Schwarzhaarige sah sie eine ganze Weile eindringlich an, schwieg aber vorerst und ließ die Schimpftirade über sich ergehen. Doch plötzlich klatschte es laut, woraufhin alle Anwesenden scharf die Luft einzogen. Mirâs Blick war mit geröteter Wange seitlich zu Boden gerichtet, während ihre Freundin sie immer noch ernst ansah und langsam ihre Hand wieder sinken ließ. „Was sollte das denn?“, kam Hiroshi dazu, doch stoppte, als er die wütend dreinblickenden violetten Augen der jungen Frau bemerkte, die ihn für einen Moment fixierten. „Hast du dich jetzt wieder beruhig?“, fragte sie in einem doch recht ruhigen Ton, während sie ihre Augen wieder auf Mirâ richtete, „Versteh mich nicht falsch. Es mag stimmen, dass mich dieses kleine Mauerblümchen mit ihrer Art echt aufregt. Das heißt aber nicht, dass ich unser Ziel deshalb aus den Augen verliere oder sie hier zurücklassen will. Aber du scheinst das Ziel aus den Augen verloren zu haben.“ „Was meinst du?“, fragte Mirâ, die ihren Blick wieder hob und die Schwarzhaarige mit einem bösen Blick musterte. Diese seufzte: „Oh man. Merkst du es nicht selber? Findest du es nicht merkwürdig, dass wir mit Yoshiko so plötzlich reden können, obwohl wir uns doch angeblich in ihrem Dungeon befinden? Was, wenn das eine Falle ist?“ Mirâs rote Augen wurden groß und wirkten, als würden sie jeden Moment aus den Augenhöhlen fallen. Nun schien auch ihr aufzufallen, dass diese Situation merkwürdig erschien. Es war noch nie vorgekommen, dass sie mit dem Besitzer eines Dungeons normal sprechen konnte, bevor sie in dessen Raum gelangt waren. Ganz zu schweigen davon, dass sie meistens bewusstlos waren. Auch den anderen schien es nun aufzufallen. Nachdenklich richteten sie alle ihre Blicke auf die verschlossene Tür hinter welcher sich das vermeintliche Mädchen aufhalten sollte. Doch war sie es wirklich? Wieso konnten sie mit ihr sprechen, wenn sie in ihrem Dungeon waren? War sie nicht die Besitzerin? Oder war es wirklich nur eine Falle? Es war eine skurrile Situation. Einerseits wären sie am liebsten sofort in den Raum gestürmt, andererseits wussten sie nicht, was sie erwarten würde. Was sollten sie tun? „Ähm… Ist das Fukagawa-senpai? Mirâ-senpai, ist bei dir noch jemand? U-Und was soll das mit dem Dungeon?“, , hörten sie leise aus dem Raum und wussten nicht genau, was sie darauf antworten sollten, „Ha-Hallo? Seid ihr noch da?“ Kuraiko trat an die Tür: „Sei uns nicht böse, aber wir sind uns nicht ganz sicher, ob du nicht nur ein Shadow bist, der uns verarschen will.“ „Ei-Ein Shadow? Was ist das?“, , fragte die Jüngere verunsichert, als ihr plötzlich etwas einzufallen schien, „S-Sind das diese Wesen, die hier überall herumschleichen? Habt ihr etwa die besiegt, die plötzlich verschwunden sind?“ Irritiert blickte die gesamte Gruppe auf die verschlossene Tür. Woher wusste die Jüngere, dass sie die Shadows besiegt hatten? Für Kuraiko war das Beweis genug, dass es sich hierbei um eine Falle handelte. Wie konnte die Kleine immerhin davon wissen, wenn sie in diesem Raum eingesperrt war. Mirâ jedoch konnte immer noch nicht wirklich glauben, dass sie hier in die Irre geführt wurden. „Megumi-chan? Woher weißt du von den Shadows?“, fragte sie nach. „E-ehrlich gesagt habe ich den Namen gerade zum ersten Mal gehört. A-aber ich spüre wie sie sich bewegen. Bi-bitte fragt mich nicht wieso, i-ich weiß es einfach. Zu-zum Beispiel i-ist etwas weiter hinten e-ein Raum, in dem sich mehrere von ihnen tummeln. Ich habe nur das Gefühl, dass sie anders sind, als die, die ihr bisher besiegt habt. Irgendwas ist bei ihnen merkwürdig“, erklärte Megumi ruhig, wurde aber mit jedem Mal leiser, „I-ihr glaubt mir nicht, oder?“ Perplex sahen sich die einzelnen Mitglieder der Gruppe an. Sie verstanden nicht, wie es sein konnte, dass die jüngere Schülerin die Wesen dieser Welt spüren konnte. Eigentlich war das unmöglich. Es gab nur eine Möglichkeit, wie es sein konnte. „Megumi-chan… kann es sein, dass du eine Persona besitzt?“, fragte Akane geradeheraus. „Akane-senpai? Du bist auch hier?“, , Megumi schien mehr als verwirrt, doch antwortete dann auf die Frage der Brünetten, „Was ist eine Persona?“ Wieder sahen sich alle fragend an. Die jüngere Schülerin konnte die Shadows spüren, wusste aber nicht was eine Persona war. Bedeutete das sie hatte keine? Aber wie war dann diese Fähigkeit zu erklären? Oder hatte sie sie noch nicht bemerkt? Es bestand auch immer noch die Möglichkeit, dass es sich bei ihr wirklich um einen Shadow handelte, der sie in eine Falle locken wollte. Aber wieso sollte sie ihnen dann davon erzählen, dass sie die anderen herumschwirrenden Gegner spüren konnte. Wieso war aber dann die Tür verschlossen? Es wäre doch dann wesentlich einfacher sie einfach hineinzulassen, um sie anzugreifen. Was war hier nur los? „Hey Yoshiko. Bist du alleine? Oder ist noch jemand bei dir?“, fragte plötzlich Kuraiko. Ein kurzes Schweigen trat ein, dann antwortete die Jüngere noch verwirrter: „I-Ich bin allein. W-wer soll denn bei mir sein? M-meinst du etwa diese Wesen, die ihr Shadows nennt? So etwas ist hier nicht.“ „Und eine andere Gestallt?“, fragte Akane, „Wurdest du von etwas attackiert, woraufhin diese erschienen ist?“ „W-welches andere Gestallt?“, , kam eine Gegenfrage, „Ich verstehe nicht was du meinst, Senpai.“ Die Brünette verschränkte die Arme vor der Brust und sprach laut aus, was sie dachte: Dass die Jüngere anscheinend keine Persona hatte. Das machte die Sache natürlich noch verwirrender. „W-was ist denn eine Persona?“, kam erneut die Frage aus dem verschlossenen Raum. Nun mischte sich auch Hiroshi in das Gespräch ein und meinte, dass sie die Sache auch klären konnten, sobald sie die Schülerin da rausgeholt hatten. Kuraiko warf natürlich wieder ihr Veto ein und erinnerte ihn daran, dass sie seit einer gefühlten Ewigkeit darüber debattierten, ob es sich hier um eine Falle handeln könnte. Natürlich war das dem Blonden mehr als bewusst, aber solange sie an Ort und Stelle herumstanden und debattierten würden sie es niemals herausfinden. Der einzige Weg war, diese Tür irgendwie zu öffnen und nachzuschauen. Und wenn es sich doch um einen Shadow handelte, so würden sie es schon schaffen diesen zu besiegen. Er hatte einfach keine Lust mehr nur noch hier herumzustehen. Ohne auf eine weitere Antwort der Schwarzhaarigen zu warten hatte er sein Smartphone gezückt und Aton gerufen. „Megumi-chan, geh von der Tür weg. Wir versuchen sie aufzubrechen.“, rief er der Jüngeren zu und befahl Aton dann mit Agi anzugreifen. Die Persona erhob sich in die Luft und streckte seinen rechten Arm in Richtung der Tür. Kurz darauf traf diese ein Feuerball, doch wiedererwartend passierte nichts. Die Tür rückte kein Stück und sah auch nicht so aus, als hätte sie einen Kratzer abbekommen. Auch als ein starker Wind aufkam und kurz darauf ein Wirbelsturm dagegen prallte passierte nichts. Selbst Akanes Versuch die Tür aufzubrechen endete nur in einer Schmerzhaften Niederlage der Brünetten, welche sich daraufhin jammernd das Bein rieb. Ratlos standen die Persona-User kurze Zeit später vor der immer noch verschlossenen Tür und wussten sich keinen Rat mehr. Egal was sie versucht hatten, nichts hatte die Absperrung zerstören können. So als wollte jemand unter allen Umständen verhindern, dass sie sich der jüngeren Schülerin näherten. Aber einen Weg musste es ja geben. Mirâ dachte nach und erinnerte sich daran, was Hiroshi ihnen einige Tage zuvor erzählt hatte, als sie die beiden Shadows am Tor besiegt hatten. Er hatte erwähnt, dass er erfahren hatte, dass jemand im Kunstraum eingeschlossen wurde. „Wahrscheinlich brauchen wir auch hier einen Schlüssel“, sagte plötzlich Mika, bevor Mirâ auch nur ihre Gedanken aussprechen konnte. Überrascht sah sie die Blauhaarige an, welche die Hände hinter dem Rücken verschränkt hatte und mit großen roten Augen in die Runde starrte. Irgendwie sah sie so wirklich aus wie ein kleines Kind, auch wenn ihr Verhalten häufig dagegensprach, was der Violetthaarigen ein leichtes Schmunzeln entlockte. Aber abgesehen davon hatte Mika anscheinend den gleichen Gedanken gehabt. Sie war nur schneller damit ihn auszusprechen. „Ich musste daran denken, dass die Jungs gemeint hatten, sie hätten jemanden eingeschlossen. Vielleicht ist der Schlüssel hier irgendwo versteckt“, erklärte sie. „Guter Einwand. Die Frage ist, wo wir anfangen sollen zu suchen“, mischte sich nun auch Masaru ein. Die Kleine hatte jedoch schon eine Idee: „Ich bin mir sicher ein Shadow hat ihn. Ansonsten wäre es zu einfach. Wir müssen also nur den richtigen Shadow finden und besiegen.“ „Das klingt so einfach. Aber hier wimmelt es nur so davon. Wir werden ewig dafür brauchen“, gab Kuraiko als Einwand. „Vielleicht auch nicht…“, sagte nun auch Yasuo, „Yoshiko hat erzählt, dass sich in einem Raum etwas weiter entfernt von hier Shadows aufhielten, die sich merkwürdig verhielten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist der Schlüssel dort. Jedenfalls spricht einiges dafür.“ Die Schwarzhaarige wurde langsam ungehalten: „Das sind alles Vermutungen. Wollt ihr euch alle kopflos in einen Kampf stürzen?“ Sie blickte jedem einzelnen ins Gesicht und seufzte dann: „Oh man… ihr seid doch alle nicht mehr ganz dicht.“ Mit einem Mal wandte sie sich wieder der Tür zu: „Yoshiko!“ „Ha-Hai!“, kam es erschrocken zurück. „Kannst du uns sagen, wo genau sich dieser Raum befinden?“, fragte Kuraiko in einem Ton, der keine Widersprüche duldete. Wieder war es kurz still, bevor die Angesprochene antwortete: „Der Raum befindet sich einige Meter weiter südlich. Ihr müsst dem Gang nur folgen, dann werdet ihr die Tür finden. Aber seid bitte vorsichtig. Und… vielen Dank.“ Noch einmal blickte Kuraiko in die Runde, welche sie alle irritiert ansahen, drehte sich dann aber mit einem Ruck um und folgte dem Gang tiefer hinein. Völlig verwirrt sahen die anderen ihr nach, setzten sich jedoch dann auch in Bewegung und folgten der jungen Frau. Kapitel 83: LXXXIII - Unbekannte Kräfte --------------------------------------- Donnerstag, 03.September 2015 – Dungeon Genervt lief Kuraiko an der Spitze der Gruppe voran tiefer in den Dungeon, auf der Suche nach dem Zimmer, in welchem sie wahrscheinlich den Schlüssel für Megumis Verlies fanden. Es regte sie auf, dass sie sich von ihren Freunden hat breitschlagen lassen, denn das Unterfangen, welches sie vorhatten, grenzte schon beinahe an Selbstmord. Sie war sich sicher, dass es sich bei der Megumi in dem Raum um eine Falle handelte. Die Chance, dass es nicht so war, waren in diesem Dungeon mehr als gering. Doch egal was sie sagte, sie würde die anderen der Gruppe nicht umstimmen können. Sie alle hatten den Entschluss gefasst diesen verschlossenen Raum zu öffnen, egal wie und welche Konsequenzen sich daraus ergaben. Wahrscheinlich würden sie es letzten Endes bereuen. Aber was sollte sie machen? Sie hatte ihren Standpunkt deutlich klar gemacht, wurde aber einfach überstimmt. So war das wohl in einer großen Gruppe, selbst wenn es sie aufregte. Sie seufzte und warf einen kurzen Blick über ihre Schulter. Wann hatte sie eigentlich angefangen sich einer Gruppe unterzuordnen? Kuraiko richtete ihren Blick wieder nach vorn auf den Weg. Früher war sie doch auch immer eine Einzelgängerin gewesen und hatte nur das getan, was sie wollte. Immer hatte sie ihren Kopf durchgesetzt. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb es nie jemand länger mit ihr ausgehalten hatte. Wenn sie mal jemanden hatte, der sich Freund nannte, dann war er nie lange geblieben. Abgesehen von Shirota… sie schüttelte den Kopf. Dieser Idiot war eine Ausnahme, immerhin hatte er keinen eigenen Willen. Er hatte sich ihr einfach untergeordnet und war glücklich damit, solange sie ihn durchgeschleift hatte. Die Schwarzhaarige schnaufte, um den Gedanken an ihren Sandkastenfreund zu vertreiben. Das hatte hier gerade nichts zu suchen. Jetzt gab es Wichtigeres. Sie sah auf und erkannte etwas weiter entfernt eine Tür, weshalb sie stoppte. Ihre Freunde taten es ihr gleich und sahen sie fragend an. Sie hob den Arm: „Könnte das der besagte Raum sein?“ Mirâ blickte auf und zog sogleich scharf die Luft ein. Obwohl sie nicht genau neben der Tür stand konnte sie eine starke Macht spüren. Allerdings unterschied sie sich von den bisherigen Zwischenbossen, weshalb sie davon ausging, dass sich Genannter nicht hier befand. Für einen normalen Gegner war sie aber eindeutig zu stark und die junge Frau war sich selber nun gar nicht mehr so sicher, ob sie es schaffen würden diesen zu besiegen. Sie schluckte. Eine andere Wahl blieb ihnen aber nicht, um Megumi retten zu können. „Was ist los Mirâ? Du bist plötzlich so blass“, sprach ihre beste Freundin sie von der Seite her an und holte sie damit aus ihren Gedanken. Erschrocken sah sie die Brünette an: „Ähm also… Ich bin nur etwas überwältigt von der Kraft, die sich hinter der Tür verbirgt.“ „Ich weiß was du meinst, Mirâ. Diese Kraft ist einfach unglaublich“, sagte Mika, welche neben sie trat. Fragend sah Akane die beiden an: „Was meint ihr damit? Verbirgt sich dahinter der Zwischenboss?“ Mika schüttelte den Kopf: „Nein ich glaube nicht. Dafür ist die Kraft zu anders. Mir scheint es sind einfach nur extrem starke Shadows.“ Ein Seufzen von Kuraiko war zu hören: „Ich wusste, dass es eine doofe Idee war. Aber auf mich hört ja keiner. Zurück können wir jetzt nicht mehr. Also müssen wir wohl oder übel in die Höhle des Löwen.“ Schweigen breitete sich aus, als allen bewusst wurde, dass die junge Frau recht hatte und sie diese Wahl alle selber getroffen hatten. Ein wenig bereuten sie es schon, doch nun gab es wirklich kein Zurück mehr. Ob es ihnen gefiel oder nicht, sie mussten sich diesem Gegner nun stellen. Deshalb zog Mirâ ihr Smartphone aus der Tasche und öffnete in der Persona App die Option Items. Sie mussten sich vorbereiten und ihre Energie wieder auffüllen. Aus diesem Grund scrollte sie durch die Liste der gefundenen Gegenstände und wählte gezielt bestimmte aus, um sie an ihre Freunde zu verteilen. Auf dass sie irgendwie halbwegs unbeschadet durch diesen Kampf kommen mögen. Nachdem sie alle Vorbereitungen getroffen hatte schritt sie ohne weitere Worte auf den Raum zu und zog ohne Vorwarnung die Tür auf. Daraufhin landeten sie wieder in einem vollkommen chaotischen Klassenraum. Das Erste was ihnen dabei auffiel waren die beiden Shadows in der Mitte, deren Körper aus jeweils einem weißen Handschuh bestanden. Dabei fungierten die einzelnen Finger jeweils als Beine. An der Stelle, wo normalerweise das Handgelenk war, befand sich ein weißer Kopf, an dessen Front eine blaue Maske als Gesicht diente. Um seinen Hals hatte er eine Halskrause und ein Jabot, welches man vor allem aus dem europäischen Mittelalter kannte, während vor seinem „Bauch“ ein schwarzer Latz mit goldener Verzierung hing. Diese Art von Gegnern kannte die Gruppe bereits, wenn auch noch nicht in dieser Ausführung. Allerdings war es auch nicht das Aussehen der Shadows, welches die Gruppe in Erstaunen versetzte. Um die zwei Wesen lag eine tiefrote Aura, welche nur so vor Energie sprühte, dass selbst die anderen Persona-User sie spüren konnten. Mirâ lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Zwar kam diese Energie nicht dem Wesen gleich, welches sie zu verfolgen schien, jedoch war die Kraft der beiden einfach überwältigend und die Violetthaarige war sich erneut nicht sicher, ob sie das hier überstehen würden. Doch bevor sie überhaupt über Rückzug nachdenken konnte hatte einer der Gegner bereits einen Angriff eröffnet. Ein blaues Licht leuchtete um ihn, bevor der Boden begann zu vibrieren und plötzlich eine Welle von Energie auf die Gruppe zuraste. Im nächsten Moment wurde Mirâ bereits von den Beinen gerissen und zu Boden geschleudert. „Ah!“, hörte sie Masaru aufschreien. Doch ehe sie überhaupt dazu kam zu ihm zu schauen, erblickte sie im Augenwinkel bereits erneut das blaue Licht, welches einen Angriff ankündigte. Kurz darauf vibrierte der Boden erneut und wieder traf sie eine Welle von Energie. Dieses Mal jedoch so hart, dass sie auf den Rücken stürzte. Hustend und sich vor Schmerzen krümmend erhob sich Mirâ vorsichtig und versuchte ihre Freunde zu erblicken. Mit einem zugekniffenen Auge überblickte sie den Raum und erkannte, dass außer Akane alle zu Boden gegangen waren. Insbesondere sie und Masaru schien es richtig erwischt zu haben, während Yasuo, Kuraiko und Hiroshi dabei waren sich langsam wiederaufzurichten. Auch die Violetthaarige versuchte wieder auf die Beine zu kommen, was ihr mehr schlecht als recht gelang. Sie torkelte einen Moment, als sie wieder aufrecht stand, schaffte es jedoch sich zu halten und nicht noch einmal umzufallen. Akane warf einen kurzen Blick über ihre Schulter zu den anderen, bevor sie in Kampfstellung ging und kurz darauf einen der beiden Shadows angriff. Zwar ging ihre Attacke durch, jedoch schien das den Gegner nicht sehr zu beeindrucken. Stattdessen bildete sich um ihn ein blauer Strudel, aus welchem ein Eiskristall erwuchs und genau auf die Brünette traf, welche zurückgeschleudert wurde. Mit einem harten Aufprall landete sie einen Moment später zu Mirâs Füßen und krümmte sich vor Schmerzen. „Na warte!“, die junge Frau zückte ihr Smartphone und rief Hemsut herbei, welche sofort zum Angriff überging. Ein Eiskristall traf den Shadows, welcher jedoch auf eine Art Barriere prallte und eingesaugt wurde. Kurz darauf zappelte der Gegner freudig hin und her und es wirkte, als hätte die Attacke seine Energie wieder aufgefüllt. „Was?“, erschrocken wich Mirâ zurück, als der Gegner plötzlich auf sie zugestürmt kam und sie mit einem Tritt in den Magen zu Boden brachte. Sich vor Schmerzen krümmend lag die junge Frau auf dem Boden und bemerkte dabei nicht die Persona, welche sich neben ihr in die Lüfte hob. Aton richtete seinen Arm auf die beiden Gegner, um welche kurz darauf ein weißer Strudel erschien, der einige Bannzettel mit sich riss und dann in einem hellen Licht explodierte. Doch zu aller Erschrecken brachte dieser Angriff nichts, denn die Shadows hatten sich keinen Millimeter bewegt. Sie wirkten vollkommen unbeeindruckt. Einer von ihnen wollte sich gerade zu einer weiteren physischen Attacke auf den Blonden vorbereiten, als ihn ein grüner Wirbelsturm traf, der ihn etwas zurückweichen ließ. Kurz darauf krachte ein greller Blitz auf die beiden Wesen hernieder, bevor sie die scharfe Klinge von Kuraikos Sense traf, die sich wiederaufrichten konnte und nach vorn gestürmt war. Zwar zeigte dies alles in Allem Wirkung, jedoch brachten sie nicht das gewünschte Ergebnis. Masaru versuchte es erneut, stürmte nach vorn, zog sein Schwert und sprang auf eines der beiden Wesen zu, doch bevor die Klinge ihr Ziel erreichte, traf den jungen Mann ein starker Schlag, der ihn gegen die Wand des Raumes schleuderte. Mit lautem Krachen rutschte der Schwarzhaarige an der Wand herunter in einen Stapel von Tischen und Stühlen und blieb dort reglos liegen. Währenddessen traf ein Ball und kurz darauf eine Frisbee die Gegner, welche nur leicht schwankten, jedoch weiter aufrecht standen. Völlig schockiert stand Mika am Rand des Schauplatzes und musste mit ansehen, wie ihre Freunde einer nach dem Anderen ausgeschaltet wurden. Zwar waren sie alle noch am Leben, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis dies nicht mehr der Fall war. Wieso funktionierten die Angriffe nicht? Diese Gegner mussten doch eine Schwäche haben. Verzweifelt legte sie die Hände vor die Augen und ging in die Hocke. Sie konnte das nicht mehr mit ansehen. Es musste doch eine Chance geben. Aber welche? Konnte sie denn gar nichts ausrichten? „Warum bin ich nur so nutzlos?“, ging ihr durch den Kopf, „Wieso nur?“ „Du willst ihnen helfen?“, hörte sie plötzlich eine Stimme in ihrem Kopf. Erschrocken blickte sie sich kurz um, doch senkte wieder den Blick, als sie niemanden sehen konnte: „Ja… aber ich bin zu schwach.“ Ein Lachen erklang, welches ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Jedoch war es kein Unangenehmer, wie sie ihn bei der Begegnung mit dem schwarzen Schatten hatte. Dieser wirkte schon fast vertraut. „Dann lass mich dir helfen!“, erklang erneut diese Stimme, „Dieses eine Mal!“ Mit einem Ruck sah Mika auf und starrte auf das Schlachtfeld, auf welchem nur noch die Shadows standen und konnte etwas erkennen, was vorher noch nicht da war. Ihre Sicht wirkte, als würde sie durch einen grauen Schleier schauen, doch dadurch erkannte sie etwas ganz Bestimmtes an den beiden Gegnern, was sie ohne diesen Schleier wohl niemals bemerkt hatte. „Kuraiko! Nutz die Kraft von Kadej und greif die Gegner mit Mamudo an!“, rief sie der Schwarzhaarigen zu, welche es gerade schaffte wieder aufzustehen. Überrascht schaute Kuraiko zu dem kleinen Mädchen und wich ein paar Millimeter zurück, als ihr die stechend goldgelben Augen der Blauhaarigen auffielen, die sie regelrecht anstarrten. Erschrocken blickte auch Mirâ zu ihrer kleinen Freundin. Diese gelben Augen… Was hatte das zu bedeuten? Normalerweise hatten doch nur die Augen der menschlichen Shadows diese Farbe. Wieso sahen also die von Mika nun genauso aus? War etwa ihr Shadow erwacht? Doch je länger sie die Augen der Blauhaarigen betrachtete, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass diese anders waren. Sie sprühten keine Kälte aus, wie sonst, sondern eher eine warme Vertrautheit. „Na los nun mach schon!“, rief Mika der Schwarzhaarigen zu und holte damit alle aus ihrer Starre. Erschrocken zuckte die junge Frau zusammen und rief daraufhin so schnell wie möglich Kadej, welche sofort einen Gruppenangriff auf die beiden Gegner startete. Eine schwarze Fläche mit violetten Runen bildete sich unter den Wesen, welche sie kurz darauf verschlang und sie sich endlich in schwarzen Nebel auflösten. Überrascht, dass dieser Angriff funktioniert hatte, starrte die Gruppe auf den Fleck, wo kurz zuvor noch die beiden Shadows standen. Nach und nach löste sich bei jedem Einzelnen die Anspannung und ließ sie nacheinander zu Boden sinken. Sie hatten es irgendwie überstanden. So richtig glauben konnte es noch keiner von ihnen, jedoch waren sie alle froh, dass sie diesen Kampf überlebt hatten. „Vielen Dank Mika. Du hast uns das Leben gerettet“, erleichtert richtete Mirâ ihren Blick auf ihre kleine Freundin, welche sie immer noch mit den goldgelben Augen anstarrte. Als hätte die Violetthaarige damit einen Schalter bei der Blauhaarigen umgelegt, schreckte diese hoch, worauf sich ihre Augen wieder tiefrot färbten. Doch kaum war sie wieder bei sich sackte sie auch schon wieder in sich zusammen und fiel zu Boden. „Mika!“, mit letzter Kraft, die die Oberschülerin noch aufbringen konnte, war sie zu Mika gestürmt. Vorsichtig drehte sie das kleine Mädchen auf den Rücken und überprüfte, ob sie noch atmete. Erleichtert musste sie feststellen, dass die Jüngere nur ohnmächtig war. Wahrscheinlich hatte diese Kraft, die sie zuvor überkam, vollends erschöpft. Lautstark atmete Mirâ aus und sank auf ihren Hintern. „Was ist los?“, fragte Akane, welche langsam auf sie zu geschlurft kam. Ihre Freundin lächelte nur leicht: „Mika ist ohnmächtig. Die ganze Sache hat sie wohl mächtig erschöpft.“ „Und uns fragt wohl keiner…“, murrte Kuraiko und kam nun ebenfalls auf die drei Mädchen zu, „Aber wenigstens hat es sich gelohnt.“ Überrascht blickten die beiden Oberschülerinnen zu der Schwarzhaarigen auf, welche einen Schlüssel in die Höhe hob. Einige Minuten später hatte sich die Gruppe wieder vor dem verschlossenen Raum eingefunden. Es war kein großes Problem gewesen den Weg zurück zu finden, denn der Dungeon veränderte dieses Mal nicht seine Form. Ein gehöriger Vorteil, denn niemand der Gruppe hatte nun noch Lust das Zimmer zu suchen, in dem die vermeintliche Megumi eingesperrt war. Außerdem war Mika noch nicht wieder aufgewacht und wurde nun von Hiroshi huckepack getragen. Es wäre zu umständlich gewesen, so noch einmal quer durch den Dungeon zu rennen. Sie konnten nur hoffen, dass sich die Kleine wieder erholte, bis sie weitermussten. Einen Ausgang hatten sie nämlich auch noch nicht gefunden, obwohl ihnen das jetzt sehr gelegen käme. Stattdessen standen sie nun im Pulk vor der Tür, während Mirâ vorsichtig den Schlüssel in das Schloss steckte. Angespannt drehte sie den kleinen Gegenstand herum und musste erleichtert feststellen, dass es sich dabei um den richtigen handelte. Doch kurz darauf baute sich ihre Anspannung wieder auf, denn nun würden sie erfahren, wer oder was sich wirklich hinter dieser Tür verbarg. Natürlich war ihre Hoffnung, dass es sich dabei um die Gesuchte handelte, jedoch war eine Falle durch einen Shadow auch nicht auszuschließen. Das Schloss öffnete sich mit einem Klacken und daraufhin konnte Mirâ auch endlich die Tür beiseiteschieben, was schon fast wie in Zeitlupe geschah. Immer größer wurde die Öffnung, welche ihnen einen Blick in den Raum ermöglichte und kurz darauf starrte die Gruppe in ein paar dunkelgrüne Augen, die sie nervös ansahen. Diese gehörten zu einem kleinen Mädchen mit mittelbraunen, schulterlangen, gelockten und leicht zerzausten Haaren, die ihr sanft ins Gesicht fielen. Zwischen den Strähnen ihres Haupthaares erkannte man einen grünen Haarreif, der eigentlich verhindern sollte, dass ihre Sicht beeinträchtigt wurde. Sie trug die Sommeruniform der Jugoya, jedoch über ihrer schwarzen Bluse den schuleigenen weiß-roten Pollunder, welcher an ihr viel zu groß wirkte. Auch der rote Faltenrock der Uniform wirkte viel zu lang, weil er ihr bis kurz über die Knie reichte. Alle ihre Sachen waren schmutzig und wirkten geknittert, doch alles im allen sah die Schülerin nicht so aus, als sei sie verletzt. Stille lag zwischen allen Anwesenden, während die Persona-User angespannt auf einen Angriff warteten. Dieser blieb jedoch auch. Stattdessen verbeugte sich die Brünette plötzlich höflich. „Vielen Dank, dass ihr mich hier herausgeholt habt.“, bedankte sie sich dabei standesgemäß. Erleichtert atmete Mirâ auf, als sie feststellte, dass es sich hierbei wirklich um ihre kleine Freundin Megumi handelte. Froh über diese Erkenntnis schloss sie die Jüngere in ihre Arme, welche erst etwas überfordert wirkte, ihr aber dann sanft auf die Schulter klopfte. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht, Megumi-chan. Ich hab mir echt Sorgen gemacht“, erklärte die Ältere, „Und Matsurika ist auch schon krank vor Sorge.“ „Tut mir leid. Ich wollte euch keine Sorgen bereiten.“, sagte die Kleine schüchtern und sah sich dann in dem Gang um, „Ähm… Wo genau sind wir hier?“ „Vorher habe ich eine andere Frage“, hob Akane vorsichtig die Hand, während sie Megumi eingängig studierte, „Wenn Megumi-chan hier ist und sie keinen Shadow hat, in wessen Dungeon befinden wir uns dann?“ Kapitel 84: LXXXIV - Die Kraft der Weissagung --------------------------------------------- Donnerstag, 03.September 2015 – Dungeon Endlich hatten Mirâ und ihre Freunde es geschafft Megumi aus ihrem Verlies zu befreien. Doch nun standen sie vor einem neuen Rätsel. Der Dungeon, in welchem sie sich seit einer gefühlten Ewigkeit aufhielten, konnte nicht Megumi gehören. Die sechs Oberschüler waren sich in diesem Thema ziemlich einig, denn bisher hatte sich noch kein Shadow gezeigt, der der Jüngeren zuzuordnen war. Und es schien auch nicht so, als würde dies noch der Fall sein. Doch wem gehörte dieser Ort dann? Das war nun die Frage der Fragen, der sie nachgehen mussten. Dafür mussten sie jedoch erst einmal am Zwischenboss vorbei, um später zum Bossraum zu gelangen. Vorerst brauchten sie aber alle erst einmal eine Pause, weshalb sie sich nach eingängiger Prüfung des Raumes, in welchem Megumi gefangen gehalten wurde, darin auf dem Boden im Kreis niederließen. Die kleine Mika, die immer noch bewusstlos vom letzten Kampf war, hatten sie neben sich gelegt. Sie mussten ohnehin warten, bis die Kleine wieder zu sich kam, also nutzten sie die Zeit, um sich wieder etwas zu regenerieren und die Lage noch einmal zu besprechen. Masaru lehnte sich zurück und legte den Finger ans Kinn: „Also sortieren wir nochmal: Wir befinden uns in einem Dungeon, von dem wir ausgegangen sind, dass er Yoshiko-chan gehört. Jedoch kann das nicht sein, da, wie wir wissen, Dungeons aus den dunklen Gedanken der Menschen entstehen und daher meistens auch mit einem persönlichen Shadow einhergehen. Richtig?“ Die Gruppe nickte, mit Ausnahme von Hiroshi, der seit der Erkenntnis, dass dies nicht Megumis Dungeon war, begonnen hatte zu Schweigen. Der Blonde saß im Schneidersitz auf dem Boden, während er seine im Schoß liegenden Hände betrachtete und nachzudenken schien. Der Schwarzhaarige setzte seine Schlussfolgerungen trotzdem fort: „Demnach gehörten die Erinnerungen, die wir vorhin gesehen und gehört haben, nicht Yoshiko-chan, sondern jemand anderem. Die Frage ist nun nur, von wem sie waren?“ „Es muss jemand sein, der mit seiner Klasse nicht gut auskommt“, warf Yasuo in die Runde, „Wobei das auf ziemlich viele in unserer Schule zutrifft. Es gibt immer wieder Rangeleien.“ „Nicht auskommen ist noch gelinde ausgedrückt“, meinte Kuraiko, die sich ebenfalls zurückgelehnt hatte und sich mit ihren Händen hinter dem Rücken abstützte. „Höchstwahrscheinlich“, begann Hiroshi, woraufhin sich alle Blicke auf ihn richteten, „ist es dieser Knirps aus dem ersten Jahr. Arabai…“ „Wie kommst du da drauf?“, hakte Masaru nach. „Ryu-kun?“, fragte Megumi, noch ehe Hiroshi überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte, und blickte dann auf den Boden vor sich, „D-das könnte sein. Unsere Klasse, vor allem die Jungs, haben ihm häufig übel mitgespielt…“ „Wohl eher übel gemobbt“, brachte der blonde Oberschüler an. Akane fiel etwas ein: „Jetzt wo du es sagst. Yasuo-senpai hatte doch gestern erwähnt, dass Arabai bei dieser Mutprobe mitgemacht hatte. Das würde auch erklären…“ „Wieso diese beiden Idioten sich in Shadows verwandelt haben“, beendete ihr Sandkastenfreund den Satz, „Das waren nämlich die beiden mit denen wir uns schon ein paarmal angelegt hatten. Die, die er Freunde nennt, obwohl sie ihn nur fertig machen.“ Die Dunkelbrünette nickte: „Das heißt Megumi-chan wurde zufällig mit reingezogen, als Arabai-kun in die Spiegelwelt verschleppt wurde.“ Kuraiko richtete ihren Blick auf die Jüngere: „Wo wir zu dem Thema kommen, wie Yoshiko hier hineingeraten ist.“ Alle Blicke richteten sich wieder auf die jüngere Schülerin, welcher die ganze Aufmerksamkeit dann doch ziemlich unangenehm wurde. Nervös spielte sie mit ihren Fingern, während sie den Boden vor sich beobachtete und begann zu erzählen, was an besagtem Tag passiert war. Sie wollte vor Beginn des nächsten Trimesters noch etwas für den Kunstklub vorbereiten, da sie die restlichen Tage dazu keine Zeit gefunden hatte. Also hatte sie sich nach einem Treffen mit Matsurika von dieser zur Schule begleiten lassen und sich dort von ihr verabschiedet. Da der Kunstraum abgeschlossen war hatte sie sich den Schlüssel aus dem Lehrerzimmer geholt und war dann zu besagtem Raum gegangen, um ihre Angelegenheiten zu erledigen. Bis dahin war auch alles noch normal. Dabei muss sie so vertieft gewesen sein, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sich anscheinend jemand in den Raum geschlichen und den Schlüssel vom Lehrerpult gestohlen hatte. Erst als die Tür des Raumes plötzlich zufiel und sie das Klicken eines Schlosses vernommen hatte, war sie aufgeschreckt und zur Tür gelaufen. Allerdings war es da schon zu spät und diese war abgeschlossen. Vom Gang her hatte sie noch ein lautes Lachen vernehmen können, weshalb sie gerufen und gebeten hatte sie wieder herauszulassen. Aber ihre Bitte war nicht erhört worden. „Ich war echt verzweifelt und habe geweint, weil ich nicht wusste, was das sollte“, sprach sie weiter, „Irgendwann muss ich plötzlich eingeschlafen sein. Als ich wieder zu mir kam, war es bereits dunkel draußen. Ich muss so tief geschlafen haben, dass ich nicht einmal mitbekommen habe, wie der Hausmeister durchs Schulhaus gegangen ist. Sonst hätte ich ihn um Hilfe bitten können.“ Megumi machte eine kleine Pause und atmete tief durch. Die ganze Sache machte ihr doch etwas zu schaffen, weil sie einfach nicht verstehen konnte, wieso ihre Klassenkameraden ihr immer wieder so etwas antun konnten. Als sie sich gesammelt hatte sprach sie jedoch weiter: „Irgendwann habe ich Schritte gehört, was ich merkwürdig fand, weil der Hausmeister ja schon weg sein musste. Dann gab es einen lauten Knall und es war wieder still. Ich habe gewartet und gelauscht, ob die Schritte vielleicht in meine Richtung kamen, aber nichts geschah. Plötzlich spürte ich einen eiskalten Hauch in meinem Rücken und als ich mich umdrehte…“ Sie begann zu zittern und rieb sich die Oberarme, während sie berichtete, dass hinter ihr plötzlich ein schwarzer Schatten mit tiefroten Augen stand, der sie gegriffen und in Richtung des Spiegels gezogen hatte, welcher in dem Zimmer stand. Als sie danach wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich in diesem Raum befunden. Ihr war sofort aufgefallen, dass etwas hier nicht stimmte, da der Raum so surreal wirkte und zudem spiegelverkehrt war. Anfangs dachte sie noch an einen bösen Traum, aber schnell hatte sie festgestellt, dass es keiner war. „Ich habe versucht diesen Raum zu verlassen, aber er war immer noch abgeschlossen. Also habe ich hier ausgeharrt. Irgendwann spürte ich die Anwesenheit dieser… Shadows. Es begann ganz plötzlich. Als ich dann mitbekam, dass ihre Macht an einigen Stellen erlosch, hatte ich schon die Hoffnung, dass jemand kommen würde. Und dann wart ihr hier“, endete Megumi mit ihrer Erzählung. Wieder breitete sich Schweigen aus. Die Erzählung der Jüngeren ähnelte eigentlich beinahe dem, was Kuraiko, Masaru und Yasuo erlebt hatten, mit dem Unterschied, dass sie keine Herrin eines Dungeons wurde. Das bedeutete, dass sie wirklich eher zufällig hier hineingeraten war. Jedoch war es bei ihr auch anders, als bei Kyo, der ihnen gefolgt war, oder den beiden Jungs, welche sich in Shadows verwandelt hatten. Einer von ihnen hatte allerdings auch von einem dunklen Schatten berichtet. Mirâ schaute auf ihre Hände, als sie daran denken musste. Ob es sich dabei um den Gleichen handelte, der auch ihre Freunde entführt hatte? Oder war es…? Die Nackenhaare der Violetthaarigen stellten sich plötzlich auf, als sie an das Wesen denken musste, welches sie zu verfolgen schien. Auch dieses hatte tiefrote Augen und war furchteinflößend. Allerdings schienen ihre Freunde dieses Wesen nicht sehen zu können, sobald es in dieser Welt auftauchte. Sie und Mika waren augenscheinlich die einzigen, die es sehen und hören konnten. Wieso und weshalb wusste die Oberschülerin nicht, aber es beschäftigte sie. Andererseits hatte sie das Gefühl, dass sich dahinter etwas so Schreckliches befand, dass sie es eigentlich auch gar nicht herausfinden wollte. Sie bemerkte eine Bewegung neben sich, weshalb sie den Blick auf Mika richtete, welche sich langsam wieder bewegte. Mit einem leisen Stöhnen richtete sich die Blauhaarige langsam auf und rieb sich die müden Augen, bevor sie fragend in die Runde blickte: „Was ist denn hier los? Wo sind wir?“ „Wir sind in dem Klassenzimmer, in dem Megumi-chan eingesperrt war. Hier sind wir vorerst sicher“, erklärte Mirâ in einem ruhigen Ton und rutschte vorsichtig an ihre kleine Freundin heran, „Ist bei dir alles in Ordnung? Du bist nach dem Kampf vorhin plötzlich zusammengebrochen. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“ Mit großen roten Augen sah die Jüngste im Kreis die Violetthaarige an und fasste sich an den Kopf, während sie versuchte ihre Gedanken zu sortieren. So wirklich wusste sie nicht, was da überhaupt passiert war. Sie war so verzweifelt, dass sie nicht helfen konnte und hatte plötzlich diese Stimme gehört. „Danach habe ich alles wie von einem Schleier verdeckt gesehen. Dadurch erkannte ich aber plötzlich die Schwachstellen der Shadows“, erklärte sie, doch konnte sich nicht erklären, was das für eine Stimme gewesen war und wieso sie ihr geholfen hatte, „Sie wirkte aber sehr vertraut…“ Fragend blickten sich die Persona-User an, bevor sie die Blauhaarige wieder besorgt ansahen. Es schien zwar, als würde es ihr gut gehen, jedoch machten sie sich natürlich trotzdem Gedanken. Sie wussten nicht wessen Stimme Mika da gehört hatte und wieso derjenige ihr diese Kraft geliehen hatte. Doch egal wie sie es sahen, ihnen wurde damit geholfen oder besser gesagt das Leben gerettet. Dazu kam, dass diese Fähigkeit wirklich hilfreich war. Sie sollten also eigentlich froh darüber sein. „Du hast uns damit wirklich das Leben gerettet“, sagte Mirâ, während sie die Hand ihrer kleinen Freundin nahm und sie lieb anlächelte, „Also vielen Dank.“ Mika wusste gar nicht was sie sagen sollte, während sich ihre Wangen zart rosa färbten, und nickte darauf nur zaghaft. „Meinst du, du kannst diese Kraft noch einmal einsetzen? Die war echt nützlich“, sprach Akane die Frage aus, die wahrscheinlich jedem auf der Zunge lag. Sie konnten nicht verleugnen, dass ihnen diese Fähigkeit auf ihrem weiteren Weg helfen würde. Jedoch wurden sie alle enttäuscht, als die Blauhaarige plötzlich mit dem Kopf schüttelte und meinte, dass sie nicht glaubte, dass es noch einmal funktionierte. „Die Stimme meinte zu mir, sie würde mir einmal helfen…“, sprach sie kleinlaut, „Tut mir wirklich leid.“ „Du brauchst dich für gar nichts entschuldigen“, eine Hand legte sich auf ihre Schulter und sie blickte kurz darauf in die blauen Augen von Hiroshi, der ihr ein freundliches Lächeln schenkte, „Du hast uns in dem letzten Kampf mehr als genug geholfen und dabei auch noch deine Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Also mach dir darüber keinen Kopf. Okay?“ Sie senkte den Blick, nickte jedoch. Eigentlich hätte sie ihren Freunden gern weitergeholfen, doch wie es schien sollte es einfach nicht sein. Kaum hörbar knirschte sie mit den Zähnen, weil sie der Gedanke, wieder nur Beiwerk zu sein einfach nur störte. In ihrem Augenwinkel erkannte sie ein paar braune Lederslipper, die ihr bisher noch unbekannt waren, weshalb sie den Blick hob und in zwei grüne Augen blickte. Diese gehörten zu einem Mädchen mit mittelbraunen gelockten Haaren, die ihren zierlichen Körper hinter augenscheinlich viel zu großen Klamotten versteckte. „Du bist Mika. Hab ich recht? Mirâ-senpai und die andern haben mir vorhin erzählt wer du bist. Mein Name ist Megumi Yoshiko. Es freut mich sehr dich kennenzulernen“, stellte sie sich höflich mit einer leichten Verbeugung vor. Irritiert blickte Mika sie an, doch nickte dann: „G-ganz meinerseits.“ „Wollen wir dann weiter? Mika ist aufgewacht und es scheint, als seien wir alle wieder etwas erholter“, erhob sich Masaru und streckte sich dann erst einmal durch, „Wir haben noch ein Stück vor uns.“ „Was machen wir mit ihr?“, fragte Kuraiko und zeigte auf Megumi, welche sofort zu Boden blickte. Wieder richteten sich alle Blicke auf die Jüngere, woraufhin sie am liebsten irgendwo untergetaucht wäre. Diese Aufmerksamkeit gefiel ihr überhaupt nicht. Zum Glück ruhten die Augen ihrer Freunde nicht allzu lange auf ihr, denn kurz darauf waren sie bereits in eine Diskussion vertieft. Dabei ging es darum, wie sie nun weiter verfahren sollten. Es war keine Frage, dass sie die Jüngere mitnehmen mussten. Sie hier zurückzulassen war gar keine Option. Das Problem war, dass sie sich nicht sicher waren, ob sie sie beschützen konnten, wenn Shadows sie angriffen. Immerhin war nicht klar, ob die Shadows sie genauso ignorierten wie Mika. Dazu kam, dass sie hoffentlich auch dem Reaper nicht erneut begegneten. Zwar tauchte er dann doch relativ selten auf, doch wenn, dann wurde es immer sehr gefährlich. Mirâ wäre es am liebsten gewesen, sie hätten Megumi über den Dungeon-Eingang wieder zurück in die reale Welt bringen können. Doch wie sie alle bitter feststellen mussten war dieser verschlossen. Es gab also gar keinen Weg mehr zurück. Sie mussten es also mindestens noch bis zum Zwischenboss schaffen, wenn sie nicht zufällig einen Ausgang fanden. Als ihnen bewusstwurde, dass es gar keine andere Option gab, als Megumi bis zum Zwischenboss mitzunehmen, war der Beschluss einstimmig. Also machte sich die nun wieder gewachsene Gruppe auf den Weg. Doch kaum hatten sie den Raum verlassen und waren in den Gang getreten, blieb die jüngere Schülerin plötzlich wie angewurzelt stehen. Ihr Körper begann schlagartig zu zittern, weshalb sie ihre Oberarme mit den Händen umklammerte. „Was ist los Megumi-chan?“, fragte Mirâ besorgt. „Da ist irgendwas. Einige Stockwerke über uns spüre ich eine unheimlich starke Kraft“, langsam ließ das Zittern wieder nach und sie blickte an die Decke, „Ich kann nicht genau sagen, wie weit über uns, aber ich spüre diese Kraft ganz deutlich.“ „Ist das vielleicht der Zwischenboss?“, fragte Akane nach, doch Megumi schüttelte den Kopf: „Nein. Ich glaube der ist im nächsten Stockwerk über uns. Dort ist auch eine große Ansammlung von Energie. Sie ist zwar stärker, als die der Shadows, von denen ihr den Schlüssel für den Klassenraum habt, jedoch nichts im Vergleich zu dem, was uns da noch weiter oben erwartet.“ Die Gruppenmitglieder sahen sich noch einmal gegenseitig an und sie wussten sofort, um was für eine Energie es sich dabei handelte. Das musste der Shadow von Arabai sein. Ihnen allen war jedoch bewusst, dass sie den Bossraum sowieso erst zum Vollmond in dieser Welt betreten konnten und bis sie dorthin gelangten hatten sie noch einen langen Weg vor sich. Außerdem mussten sie vorher eh am Zwischenboss vorbei und erst einmal Kraft in der realen Welt tanken. Also entschlossen sie trotz aller Widrigkeiten weiterzugehen und sich erst einmal dem nächsten Gegner zu stellen. Die oberste Priorität war es Megumi aus dieser Welt zu schaffen. Um alles andere konnten sie sich danach immer noch kümmern. Mit Megumis Hilfe schafften sie es ohne weitere größere Auseinandersetzungen mit irgendwelchen Shadows bis in die nächste Etage. Die Fähigkeit der Kleinen die Energie von den Wesen dieser Welt zu spüren vereinfachte die Sache enorm. So kamen sie sehr zügig voran und erreichten bald darauf eine große Doppeltür, von welcher eine unheimliche kalte Macht ausging, die sogar Mirâ spüren konnte. Noch einmal nutzte die Violetthaarige die letzten Reserven ihrer Items und versicherte sich bei ihren Freunden, dass auch wirklich alle bereit waren, bevor sie mit einem Ruck die große Doppeltür aufschob. Daraufhin gelangte die Gruppe in einen großen Saal, in welchem verschiedene Tische und Stühle kreuz und quer verteilt, teilweise sogar auf dem Boden liegend, herumstanden. Die Wände erinnerten weiterhin an die einer Gruselbahn. Sie waren mit mehreren alten Wandleuchten verziert von denen dichte weiße Spinnennetze herabhingen. Die Wände und der Boden bestanden wieder aus den alten kaputten Ziegelsteinen. Besonders auffallend war jedoch der riesige schwarze Kronleuchter, welcher in der Mitte des Raumes hing und diesen mit seinen unzähligen Kerzen erhellte. Auch an diesem hingen Spinnennetzte herab und verwandelten den Gegenstand in ein unheimliches Gebilde. Doch das eigentliche Ziel erblickten die Persona-User unter dem klobigen Stück. Genau darunter standen zwei großgewachsene Kreaturen, die fast ausschließlich in weiß gekleidet waren. Auf ihrem Kopf, befand sich eine große weiße Narrenkappe, welche nahtlos in einen Mantel überging, der zu zwei riesigen flügelähnlichen Gebilden geformt waren. Die Hauptkörper der Kreaturen waren in türkise Gewänder gehüllt, welche fast nahtlos mit dem langen Mantel verschmolzen. Hinter den Persona-Usern fiel die große Doppeltür mit lautem Krachen zurück ins Schloss, woraufhin die beiden Shadows ihre mit einer blaugrünen Maske verdeckten Gesichter auf sie richteten. Sofort brachte sich die Gruppe in Stellung, während sich Mika und Megumi ein sicheres Versteck suchten. Angestrengt beobachtete die Blauhaarige die beiden Gegner und versuchte, genau wie beim letzten Mal, deren Schwachstelle herauszufinden. Doch zu ihrem Ärger schaffte sie es nicht. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als zuzuschauen. Der Kampf begann gleich ziemlich hart. Die beiden Shadows gingen sofort in die vollen, indem sie zuerst ihre magische Energie aufluden und dann mit ihren stärksten Attacken angriffen. Zwar bestanden ihre Hauptfähigkeiten aus Angriffen mit Agi, jedoch waren diese durch die magische Verstärkung so stark, dass selbst Akane teilweise keine Chance gegen sie hatte. Zudem gaben die beiden Gegner den Persona-Usern nicht einmal wirklich die Zeit sich zu formieren oder auch nur einen Angriff zu deklarieren. Sobald sie eine Lücke fanden und auf die Gegner zustürmten, konterten diese sofort mit einer Attacke und drängten die Oberschüler wieder zurück. Auch magische Fähigkeiten zeigten nur bedingt bis gar keine Wirkung. Am gefährlichsten war die Annahme, dass der Gegner gegen das gegensätzliche Element seiner Angriffe schwach wäre. So hatte Mirâ versucht sie mit Bufu anzugreifen und musste dann schmerzlich feststellen, dass die Shadows das Eis reflektierten. Auch Angriffe mit Licht und Dunkelheit, wie es Hiroshi und Kuraiko versuchten, brachten nur den gleichen Effekt. Akane hatte es mit Feuerangriffen versucht, doch jedes Mal waren die beiden Wesen ausgewichen. Auf diese Weise nahmen sie nur wenig Schaden, während die Persona-User mit jedem Angriff schwächer wurden und ihnen irgendwann die Energie fehlte, überhaupt noch ihre Personas zu rufen. Schlussendlich blieben ihnen nur noch physische Attacken, doch genau diese ließen die Gegner nicht zu. Schwer atmend hatten sich die Sechs irgendwie in Position bringen können, als es plötzlich um einen der beiden Shadows blau leuchtete. Ein grelles Licht erhellte den Raum, während ein lauter Knall ertönte und kurz darauf die Oberschüler von den Beinen riss und durch den Raum schleuderte. Schmerzhaft kamen sie an verschiedenen Stellen des Saales zum Liegen und regten sich darauf nicht mehr. Geschockt blickten Mika und Megumi auf die Szene und konnten nicht glauben was eben geschehen war. Ihre Freunde wurden besiegt. Würde der Gegner noch einen solchen Angriff deklarieren, so waren sie alle dem Tode geweiht. Darüber waren sich die beiden Mädchen einig. Irgendetwas musste geschehen. Doch was? Während sich die Blauhaarige wieder darüber ärgerte nichts ausrichten zu können, sackte Megumi geschockt auf den Boden. Mit weit aufgerissenen Augen und zittrigem Körper blickte sie auf die beiden Shadows, welche nun auch die beiden Mädchen zu bemerken schienen. Sie machten sich nicht einmal die Mühe zu ihnen zu kommen. Stattdessen leuchtete ein blaues Licht um einen der beiden Shadows und kurz darauf flogen mehrere Feuerbälle auf die beiden zu. Völlig starr vor Angst konnte sich die Brünette keinen Millimeter rühren, doch wurde plötzlich zur Seite gerissen und landete dann schmerzhaft hinter einem der umgefallenen Tische. Erschrocken sah sie auf Mika, welche sie böse ansah. „Spinnst du? Du musst bei der Sache bleiben, sonst gehen wir hier alle drauf“, schimpfte sie. Das war Megumi bewusst. Doch was sollte sie machen? Sie war kein Persona-User und hatte nicht die Kraft zu kämpfen. Es war doch nur verständlich, dass man in solch einer Umgebung Angst bekam. Oder etwa nicht? Und ja! Sie hatte Angst. Riesige Angst. Zitternd kauerte sie sich zusammen und kniff die Augen zusammen. Sie wollte nicht sterben! Nicht hier, nicht so! Ein plötzlicher Stich durchzog ihren Kopf, weshalb sie zusammenzuckte und sich vor Schmerzen krümmte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Mika erschrocken, was die Brünette jedoch nur noch beiläufig mitbekam und nicht darauf antworten konnte. Ein Lachen erklang, bevor eine verzerrte weibliche Stimme zu ihr sprach, die ihrer eigenen Stimme stark glich: „Du willst also nicht sterben? Dann kämpfe!“ Wie sollte sie kämpfen? Sie hatte keine Ahnung wie das ging. Bisher war sie jedem Konflikt aus dem Weg gegangen, weil sie einfach nur ihre Ruhe haben wollte. Sie war auch körperlich nicht sehr stark. Wie also sollte sie das bewerkstelligen können? Es war einfach unmöglich. „Nichts ist unmöglich, wenn du es auch wirklich willst“, erklang die Stimme wieder in ihrem Kopf, „Du willst doch deine Freunde beschützen. Oder?“ „J-ja!“, brachte Megumi unter unerträglichen Schmerzen hervor. Wieder hörte sie das Lachen: „Dann akzeptiere die Macht in dir! Akzeptiere mich und du wirst die Kraft erhalten, die du brauchst um deine Freunde zu beschützen!“ Die Brünette riss die Augen auf, welche plötzlich einen goldgelben Schimmer besaßen und starrte einen Moment an die Decke. Überrascht beobachtete Mika, was als nächstes Geschah. Megumi richtete ihren Blick auf die Gegner, während sich um sie ein blauer Strudel bildete. Mit einem Ruck streckte sie den Arm von sich: „Erscheine! Nechbet!“ Der blaue Strudel stieg auf und über der Oberschülerin bildete sich eine weibliche Gestalt mit dunklem Körper, deren obere Gesichtshälfte von einer weißen Maske bedeckt war. Schwarze glatte Haare wehten um ihren schmalen Hals und berührten sanft ihre Schultern. Auf ihrem Haupt saß eine goldene Haube mit einem goldenen Geierkopf darauf. Ein weißes langes Gewand hüllte ihren gesamten Körper ein, welches an der Taille von einem goldenen Reif gehalten wurde und dabei noch ein blaues schräg verlaufendes Tuch hielt, welches ihr bis zu den Knien reichte. Ihre Hände hatte sie vor dem Körper verschränkt und ihre Handgelenke zierten goldene Reife, die miteinander durch eine Kette verbunden waren, sodass es ihr unmöglich war eine andere Haltung damit einzunehmen. Auf ihrem Rücken befand sich eine goldene Halterung, an welcher zwei riesige Geierschwingen befestigt waren, welche sie nun ausbreitete und damit einen starken Windstoß erzeugte, der die Gegner zurückdrängte. „Du hast mich also akzeptiert. Im Gegenzug dazu werde ich dir meine Kraft der Weissagung leihen!“ Kapitel 85: LXXXV – Auf Hilfe angewiesen ---------------------------------------- Donnerstag, 03.September 2015 - Dungeon „Du hast mich also akzeptiert. Im Gegenzug dazu werde ich dir meine Kraft der Weissagung leihen!“ Geschockt sah Mika auf die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte. Während des Kampfes mit den beiden Shadows, in dem alle ihre Freunde schwer verletzt zu Boden gegangen waren, hatte es Megumi auf wundersame Weise geschafft ihre Persona Nechbet zu erwecken. Jedoch war es anders verlaufen, als bei den anderen Persona-Usern zuvor. Während diese ihren Shadow besiegen mussten, um an ihr anderes Ich zu kommen, hatte es die Brünette ohne einen solchen Kampf geschafft. Anmutig schwebte die Persona über der Brünetten, welche immer noch auf die beiden Shadows starrte. Ihre Augen hatten wieder einen tiefen Grünton angenommen, blickten aber nicht minder wütend auf die Wesen, die ihren Freunden wehgetan hatte. Um die Brünette legte sich wieder ein blaues Licht, woraufhin Nechbet ihre Flügel, welche grün aufleuchteten, noch einmal aufspannte. Ein warmer grüner Schleier legte sich über die bewusstlosen Schüler und ließ die äußerlichen Verwundungen nach und nach verschwinden. Vorsichtig richtete sich Mirâ auf, als sie eine angenehme Wärme verspürte, die ihre Schmerzen linderte. Irritiert blickte sie auf ihre Arme, über welchen ein grüner Schleier hing, der die ganzen Schnitte und Blessuren langsam verschwinden ließ. Auch der Schmerz ließ immer mehr nach und sie spürte wie neue Energie ihren Körper durchströmte. Im Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung, woraufhin sie neben sich sah und auf Akane blickte, die sich den schüttelnden Kopf haltend langsam auf die Knie setzte. Auch sie wirkte irritiert über den plötzlichen Energieschub und die Heilung ihrer Wunden, weshalb sie sich fragend umsah und plötzlich die grünen Augen aufriss. Die Violetthaarige folgte dem Blick ihrer besten Freundin und verstand dann, wieso diese so überrascht wirkte. Dort in einer Ecke des Raumes stand Megumi in einem blauen Strudel gehüllt und hinter ihr eine anmutige weibliche Gestalt mit riesigen Flügeln. Die Brünette faltete ihre Hände vor der Brust und das blaue Licht um sie wurde stärker, während sich die Persona ihr von hinten näherte und sie plötzlich mit den riesigen Geierflügeln umschloss. Um die Augen der Schülerin legte sich ein silberner Reif, welcher auf den ersten Blick an eine VR-Brille erinnerte. „Akane-senpai, Hiroshi-senpai und Mirâ-senpai! Nutzt Feuerangriffe auf die beiden Shadows. Das ist ihr großer Schwachpunkt!“, rief ihnen die Jüngere plötzlich zu. „Aber Megumi-chan, das haben wir doch schon probiert. Da hat es nichts genützt“, konterte Akane. Ein leichtes Grinsen bildete sich auf den Lippen der Mittelbrünetten, während die Brille auf ihren Augen verschwand und sich das blaue Licht um sie herum erneut verstärkte. Nechbet nahm wieder etwas Abstand von ihrer Besitzerin und breitete erneut die Flügel aus, welche dieses Mal in einem zarten goldgelb leuchteten. Daraufhin legte sich ein zarter goldener Schimmer über die Persona-User, welche spürten wie ihre Seelenkraft nach und nach wieder zurückkehrte. „Jetzt sollte es klappen, Akane-senpai“, sagte Megumi immer noch leicht grinsend. Auch auf die Lippen der Dunkelbrünetten legte sich nun ein Grinsen, jedoch wesentlich breiter und auffälliger als bei der jüngeren Schülerin. Sie zückte ihr Smartphone und rief Hemsut hervor, welche in einem blauen Strudel über ihr erschien. Ohne weitere Worte stürmte die Persona auf die beiden Shadows zu und zündete ein regelrechtes Bombardement auf sie. Auch Mirâ wechselte zu einer Persona, die einen Feuersturm lostreten konnte und rief diese herbei, während sie aus dem Augenwinkel erkannte, wie sich Aton in die Lüfte erhob. Kurz darauf trafen drei mächtige Feuerangriffe aufeinander und explodierten in einer heißen Flamme, die die beiden Shadows mit sich rissen. Dann breitete sich Stille aus. Der ganze Raum war in dicken Rauch gehüllt, welcher eine ganze Weile brauchte um sich zu legen und damit wieder den Blick auf Megumi freigab, deren Persona immer noch hinter ihr schwebte. Mit einem kleinen Lächeln blickte die junge Frau zu der Gestalt hinauf, die ihr einmal zunickte und sich dann ganz langsam in blauem Nebel auflöste. Mit einem Mal verdrehte Megumi leicht die Augen, während sie plötzlich vor Erschöpfung zusammensackte. Gerade noch so schaffte es Hiroshi die junge Frau aufzufangen, bevor diese schmerzhaft den Boden berührte, und blickte dann in die Runde zu seinen Freunden, welche alle nur einstimmig nickten und so schnell wie möglich diesen Ort verließen. Dabei bemerkten sie allerdings nicht, wie zwei tiefrote Augen sie aus einer dunklen Ecke heraus beobachteten. ??? Eine sanfte Melodie kommt mir zu Ohren, woraufhin ich meine Augen öffne und sogleich in das grinsende Gesicht von Igor blicke, der mich mit seiner üblichen Floskel begrüßt: „Willkommen im Velvet Room. Wie ich sehe habt ihr es geschafft einen weiteren Kameraden zu finden. Die Kraft dieser neu erwachten Persona wird euch noch nützlich sein. Deshalb setzt sie mit Bedacht ein.“ Verwirrt blicke ich den alten Mann an, da ich immer noch nicht genau verstehe, wie er es schafft immer so genau über alles Bescheid zu wissen. Zudem schien er genau gewusst zu haben, dass Megumi das Potential zu einer Persona-Userin hat. Anders macht seine Aussage keinen Sinn für mich. Aber eigentlich bin ich viel zu erschöpft, um das Gespräch noch weiter zu vertiefen. Andererseits brauche ich das auch nicht, denn kaum hat er ausgesprochen verschwimmt schon wieder das Bild vor meinen Augen. „Wenn du das nächste Mal hierher kommst besprechen wir das noch einmal genauer. Bis dahin. Lebewohl.“ Kurz darauf falle ich in ein tiefes schwarzes Loch, dass mich zu verschlingen scheint. Freitag, 04.September 2015 Ein Piksen in ihrer Wange ließ die Violetthaarige aus ihrem Schlaf erwachen. Ihr Körper fühlte sich so schwer an und am liebsten hätte sie sich umgedreht und einfach weitergeschlafen. Doch kaum hatte sie die Augen ein kleines Stück geöffnet, schrak sie auch schon auf und knallte dabei mit ihrer Stirn gegen die ihrer Schwester, welche ihr kurz zuvor mit ihren rotbraunen großen Augen direkt ins Gesicht gestarrt hatte. Mit einem Schrei sackten beide Mädchen zusammen und rieben sich die schmerzenden Stirnen, auf denen sich nach und nach ein roter Fleck bildete. „Junko, sag mal spinnst du? Du kannst mich nicht so erschrecken“, schimpfte Mirâ, während sie sich langsam aufsetzte. „Tut mir leid“, das kleine Mädchen hatte Tränen in den Augenwinkeln, da der Aufprall doch ziemlich heftig war, „Mama hat gesagt, dass ich mal gucken soll, ob mit dir alles in Ordnung ist, weil du immer noch schläfst.“ Die junge Frau hob eine Augenbraue und warf dann einen Blick auf ihr Smartphone, dessen rote Ziffern der digitalen Uhr mittlerweile kurz nach drei Uhr nachmittags anzeigten. Murrend lies die junge Frau ihren Kopf wieder auf die Bettdecke sinken und blieb einen Moment so liegen. Sie hatte so lange geschlafen und fühlte sich immer noch gerädert. Aber es war kein Wunder, dass sie so erschöpft war. Der aktuelle Dungeon hatte ihnen bisher einiges abverlangt. Gefühlt hatten sie sich noch nie so lange in einem der Seelenräume aufgehalten, wie in diesem, selbst wenn die Zeit in der realen Welt nur geringfügig vergangen war. Ihr war es so vorgekommen als hätten sie mehrere Tage dort verbracht und so fühlte sie sich auch. Vollkommen ausgelaugt und fertig. Trotzdem hatte sich die Truppe bereits wieder an diesem Abend verabredet, um den Dungeon weiter zu erkunden. Eigentlich hatte sie keine Lust, doch ihnen lief die Zeit davon. Sie hatten schon viel zu viele Tage damit verschwendet überhaupt in das Gebäude hineinzukommen. Megumi würden sie jedoch nicht mitnehmen. Zwar war bei der Kleinen am Abend die Persona erwacht, was noch einige Fragen aufwarf, doch war sie nach dem Kampf zusammengebrochen. Nachdem sie die Spiegelwelt verlassen hatte, war sie für einen Moment zu sich gekommen. Jedoch hatte das gerade gereicht, um sie nach ihrer Adresse zu fragen. Für weitere Fragen war die Brünette zu erschöpft gewesen. Gemeinsam mit Hiroshi hatte sie die jüngere Schülerin nachhause gebracht, welche auf dessen Rücken wieder eingeschlafen war und den ganzen Weg über nicht wieder aufwachte. Aus diesem Grund hatten sie es auch nicht geschafft die Kleine zu fragen, ob sie sich ihnen anschließen würde. Mit ihrer Persona würde sie ihnen definitiv helfen können. Auch Igor hatte ihr das gesagt. Die Frage war, ob die Jüngere sie noch einmal begleiten würden, nachdem was sie miterleben musste. Doch nun musste sie erst einmal wieder zu Kräften kommen. Bei Gelegenheit würde Mirâ mit ihr darüber sprechen. Bis dahin kamen sie mit Sicherheit auch ohne sie zurecht. Wieder pikste sie etwas in die Wange, woraufhin sie aus ihren Gedanken schreckte und dann in Junkos große Augen blickte. „Ist alles in Ordnung, Onee-chan? Du wirkst so abwesend“, meinte sie mit schiefgelegtem Kopf. Mirâ setzte ein Lächeln auf: „Ich bin nur müde, Junko. Die letzten Tage waren etwas anstrengend.“ Wieder legte ihre kleine Schwester den Kopf schief, dieses Mal jedoch in die andere Richtung. Man sah ihr an, wie verwirrt sie war, denn eigentlich hatte ihre große Schwester die letzten Tage nicht viel gemacht. Dass sie sich durch einen Dungeon schlagen musste, konnte sie dabei natürlich nicht wissen. Deshalb wurde das Lächeln der Violetthaarigen noch etwas breiter. „Schon gut Junko. Ist egal.“, meinte sie anschließend, um nicht weiter auf dieses Thema einzugehen, bevor sie die Decke beiseiteschob und sich erhob. Doch kaum stand sie auf den Beinen schwankte sie, als ein plötzlicher Schwindel sie überkam. Gerade noch so konnte sie sich an der Wand ihr gegenüber abstützen, sonst wäre sie wohl umgefallen. Als ihr Blickfeld wieder klarer wurde, bemerkte sie den fragenden Blick ihrer kleinen Schwester, den sie mit einem Lächeln quittierte: „Keine Sorge. Ich bin nur zu schnell aufgestanden. Ich werde etwas essen und dann noch eine Runde spazieren gehen, dann geht es mir wieder besser.“ „Sicher?“, hakte Junko besorgt nach. Mirâ nickte: „Kannst du Mama bitten mir was Kleines zu Essen zu machen, während ich mich anziehe?“ Die Blauhaarige sah ihre Schwester noch einmal besorgt an, doch nickte dann und verließ daraufhin das Zimmer. Mirâ sah ihr kurz nach und wischte sich dann übers Gesicht. Anscheinend hatte sie es doch etwas übertrieben und sie war sich nicht mehr ganz so sicher, ob es eine gute Idee war gleich an diesem Abend noch einmal zurück in die Spiegelwelt zu gehen. Etwas später spazierte die junge Frau durch die Straßen von Kagaminomachi. Ein wirkliches Ziel hatte sie nicht. Eigentlich brauchte sie nur etwas frische Luft und wollte den Fragen ihrer Mutter ausweichen, welche sich Aufgrund des Zustandes der jungen Frau nun doch Sorgen machte und nachhakte. Mirâ hatte ihr versichert, dass alles in Ordnung sei, sie nur etwas erschöpft vom vielen Lernen war, doch sie glaubte nicht, dass ihre Mutter ihr das abnahm. Mit einem allessagenden Blick hatte sie die junge Frau beobachtete, während diese ihr spätes Frühstück zu sich genommen hatte. So schnell wie sie konnte, hatte sie dieses beendet und war dann aus dem Haus geflüchtet, in der Hoffnung, dass ihre Mutter nicht noch misstrauischer wurde. Doch wie lange würde sie das vor ihrer Mutter noch geheim halten können? Nach aktuellem Stand nicht mehr lange. Sie seufzte und griff in ihre Hosentasche, wo sie kurz darauf einen kleinen runden Gegenstand herausholte. Vor einigen Tagen hatte sie diesen besorgt und wollte nun endlich einmal ausprobieren, ob ihr Plan auch funktionierte, wie sie es sich dachte. Kurz schaute sie sich in alle Richtungen um, damit sie sichergehen konnte alleine zu sein, bevor sie den kleinen Handspiegel aufklappte und in ihr Spiegelbild blickte. „Mika? Hörst du mich?“, fragte sie vorsichtig, doch es passierte erst einmal eine ganze Weile nichts. Mirâ hatte bereits die Vermutung, dass es einfach nicht so klappte, wie gedacht, doch plötzlich änderte sich das Bild und sie blickte in die roten Augen der Jüngeren. „Wow das funktioniert ja wirklich“, wirkte die Kleine total überrascht, „Entschuldige, dass es gedauert hat. Ich habs nicht gleich bemerkt und war etwas irritiert, als ich deine Stimme hörte.“ Überrascht sah die Violetthaarige das Bild ihrer Freundin im Spiegel an, doch lächelte dann leicht. Auch der Kleinen sah man die Erschöpfung an. Sie alle hatten an dieser Situation zu knabbern. „Ich bin selber erstaunt, dass es funktioniert. Aber so ist es wirklich einfacher in Kontakt zu bleiben. Oder?“, meinte die junge Frau und bekam als Bestätigung ein Nicken. Doch kurz darauf wurde die Blauhaarige auch schon ernst: „Seid ihr im Übrigen wirklich sicher, dass ihr heute Abend noch einmal hier rüberkommen wollt? Du siehst wirklich sehr erschöpft aus.“ „Hm… ich hatte auch schon überlegt, aber wir stehen so kurz vor dem Ziel. Das bekommen wir schon irgendwie hin. Und danach ruhen wir uns alle erstmal richtig aus.“, sagte Mirâ sehr optimistisch. Mika konnte es leider nicht so optimistisch sehen, wie ihre Freundin, doch stimmte dem trotzdem zu. Sie konnte die Meinung der Persona-User ja sowieso nicht beeinflussen. Trotzdem hatte sie Sorge, dass sie sich in diesem Zustand zu sehr übernahmen und hoffte, dass sie vernünftig genug waren vorerst aufzuhören, wenn es wirklich gar nicht mehr ging. Als sich die Persona-User am späten Abend wie verabredet in der Spiegelwelt trafen, sah man ihnen allen die Erschöpfung an. Trotz allem hatten sie einstimmig beschlossen sich den restlichen Teil des Dungeons vorzunehmen, in der Hoffnung es wenigstens noch bis zum Bossraum zu schaffen. Sie waren sich einig, dass sie nur so die restliche Zeit bis zum nächsten Vollmond in dieser Welt nutzen konnten, um sich noch einmal richtig zu regenerieren. Dass es ohne Megumi mit Sicherheit schwierig werden konnte, war ihnen dabei voll bewusst. Dennoch wollten sie es ohne die Jüngere versuchen. Es würde nichts bringen sie dazu zu zwingen, sie in diese Welt zu begleiten. Megumi musste diese Entscheidung selber fällen, doch gerade sie brauchte die Zeit sich zu erholen mehr als alle anderen. Sie war die Atmosphäre in dieser Welt nicht gewohnt und hatte zudem auch noch mehrere Tage in ihr verbracht. Zusätzlich war nun auch ihre Persona erwacht, was nochmal deutlich mehr Energie verbrauchte. Aus diesen Gründen ließ die Gruppe die Kleine vorerst in Ruhe und versuchte es ohne sie. So traten sie geschlossen durch die Eingangstür der Schule und landeten daraufhin wie erwartet im ehemaligen Zwischenbossraum, von dem sie zuvor den Dungeon wieder verlassen hatte. Der Saal sah noch genauso aus wie zuvor, mit dem Unterschied, dass nun in einer Ecke des Zimmers ein kleiner blauer Schmetterling seine Runden zog. Daneben war eine große Doppeltür, welche nun sperrangelweit aufstand und den Blick auf eine Treppe freigab, die sie wieder regelrecht dazu einlud weiterzugehen. Mit einem letzten Blick über ihre Schulter auf die immer noch verschlossene Tür, durch welche sie am Vortag gekommen waren, bestieg Mirâ kurz darauf die Treppe, gefolgt von ihren Kameraden. Die Treppe wirkte, wie fast alles in diesem Dungeon endlos und je höher die stiegen, desto mehr breitete sich ein mulmiges Gefühl in Mirâs Bauch aus. Nach und nach kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war ohne Megumi hierher zu kommen. Sie wusste nicht woher dieses Gefühl kam, doch je näher sie dem Ende der Treppe kamen, desto deutlicher spürte sie es. Etwas an diesem Dungeon war merkwürdig. Trotz allem ließ sie sich nicht weiter beirren und erklomm endlich die letzte Stufe, wodurch die Gruppe in einem langen Gang landete, welcher sich vom Aussehen her kaum von denen zuvor unterschied. Jedoch war die Atmosphäre in diesem Teil des Gebäudes merkwürdig. Der Weg vor ihnen wirkte unheimlicher, als zuvor und wurde, je weiter weg er war, immer dunkler. Trotzdem hatte die junge Frau das Gefühl ganz am Ende eine Wand zu erkennen. Ob es sich dabei um eine Sackgasse oder gar eine Kreuzung handelte, konnte sie nicht genau benennen. Da ihnen allerdings sowieso keine andere Möglichkeit blieb, als vorwärts zu laufen, setzten sie sich wieder in Bewegung und tauchten tiefer in den Gang ein. Danach folgte ein schier niemals enden wollender Weg. Dabei bemerkten sie, dass sie bis dato nicht eine einzige neue Tür gefunden hatten. Stattdessen wurden sie plötzlich von Shadows überrascht, die aus dem Schatten der Steine heraus auftauchten. Zu ihrem Glück waren es alles Gegner, die sie bereits kannten und so fiel es ihnen nicht allzu schwer deren Schwachstellen herauszubekommen und sie zu besiegen. Trotzdem waren die Kämpf anstrengend und sie waren froh, als sie nun doch endlich das vermeintliche Ende gefunden hatten. Dieses stellte sich allerdings als Gabelung heraus, welche sie nach rechts oder links führte. Mirâ sah sich zu beiden Seiten um, konnte jedoch nicht sagen, welche Richtung die richtige war und beschloss einfach den erst besten Weg zu nehmen. Mit einer gekonnten Drehung setzte sie ihren Weg nach links fort. Würden sie in einer Sackgasse landen, so konnten sie immer noch wieder zurücklaufen. Doch kaum hatte die junge Frau ihren Fuß in besagte Richtung gesetzt erstrahlte plötzlich vor ihnen ein heller Lichtstrahl, welcher sie zwang die Augen zu schließen. Kaum hatten sie die Augen wieder geöffnet starrten sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen auf den Eingang der Schule. Irritiert sah Mirâ sich um, bis ihr so richtig klar wurde, dass sie wieder ganz am Anfang waren. Der Dungeon hatte sie aus unerfindlichen Gründen wieder hinausgeschleudert und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als noch einmal ab dem Bossraum von vorne anzufangen. Zähneknirschend betraten sie das Gebäude also erneut, gingen zielgerichtet die Treppe hinauf und folgten dann wieder dem Weg bis zur Gabelung. Dieses Mal nutzte Mirâ den rechten Pfad und es schien auch zu funktionieren. Jedenfalls bis sie an die nächste Kreuzung traten. Auch hier gab es keinen Hinweis auf die richtige Richtung, sodass die Persona-User wieder nach Gefühl wählen mussten. Doch auch dieses Mal war die Wahl die falsche, denn kaum hatten sie sich in Bewegung gesetzt erstrahlte erneut das weiße Licht, welches sie wieder hinauskatapultierte. Es folgten noch ein paar weitere Versuche, welche jedoch alle das gleiche Ergebnis erzielten. Kaum hatten sie doch einen richten Weg gefunden, wurden sie bereits bei der nächsten Gabelung wieder hinausgeschmissen. Schnaufend hockte die Gruppe nach dem zehnten Versuch auf dem Schulhof der Schule. „URGH! Was soll das verdammt noch mal?“, schimpfte Kuraiko und blickte wütend auf den Eingang der Schule. „Es scheint, als wolle uns jemand um jeden Preis hier heraushalten“, seufzte Masaru mit gesenktem Blick. Hiroshi knirschte mit den Zähnen und schwor sich, dem kleinen Knirps mal so richtig die Leviten zu lesen, sobald sie ihn hier herausgeholt hatten. Wieder einmal ließ er sich nicht helfen, obwohl er die Hilfe dringend nötig hatte. Dieser Junge regte ihn auf und der Blonde wusste auch genau wieso. Dieser Knirps erinnerte ihn an die Mittelstufe. Eine Zeit, an die er nur ungern zurückdachte. Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken wieder zu vertreiben und blickte dann ebenfalls auf das Schulgebäude, welches im Dunkeln lag. „Was machen wir nun?“, fragte er anschließend, „Hier kommen wir nicht weiter…“ Mirâ überlegte. Der nächste Teil des Dungeons war ein Labyrinth, jedoch weitaus komplizierter. Wenn sie nur in einer Sackgasse landen würden, dann wäre es nur halb so wild. Doch sie wurden jedes Mal komplett herausgeschleudert und das verbrauchte Unmengen an Energie. Sie brauchten also jemanden, der sie durch diese Etage lotsen konnte. Dabei fiel ihr aktuell nur eine einzige Person ein: Megumi. Ihre Persona war nicht für Angriffe gemacht, das sah man ihr genau an, also kam der jungen Frau der Gedanke, dass es sich dabei um eine unterstützende Persona handeln musste. Außerdem meinte Igor zu ihr, sie sollten deren Fähigkeit mit Bedacht einsetzen. Sie richtete ihren Blick auf ihre Freunde und sprach ihre Gedanken laut aus: „Ich glaube wir kommen hier ohne Megumi-chan nicht weiter. Ich bin mir sicher, dass ihre Persona ein Supporttyp ist, mit dem wir es schaffen können dieses Labyrinth zu meistern. Deshalb werde ich versuchen morgen mit ihr zu sprechen und sie zu überreden uns beizutreten. Eine andere Chance haben wir leider nicht.“ Ihre Freunde sahen sie verwundert an, doch nickten synchron. Es musste wohl so sein. Auch wenn sie die jüngere Schülerin gerne aus der Sache herausgehalten hätten, so wurde ihnen hier schmerzhaft bewusst, dass sie ohne sie keine Chance haben würden. Kapitel 86: LXXXVI – Unerwartete Situationen -------------------------------------------- Samstag, 05.September 2015 Graue Wolken zogen über Kagaminomachi und brachten den ersten leichten, aber noch recht angenehmen Herbstwind in die Stadt. Leicht fröstelnd zog Mirâ ihre Strickjacke noch etwas zu und schaute dann noch einmal auf ihr Smartphone, um sicherzugehen, dass sie auch am richtigen Ort war. Sie befand sich inmitten eines Wohngebietes, welches Hauptsächlich aus Apartmenthäusern bestand. Vor einem dieser Häuser stand sie nun und überlegte, ob das wirklich der Ort war, den sie suchte. Laut ihrem Smartphone war sie richtig, trotzdem war sie sich nicht ganz sicher. Vor zwei Tagen war sie zwar schon einmal hier gewesen, doch da war es spät am Abend und sie hatte andere Probleme, als auf ihre Umgebung zu achten. Trotzdem trat sie nun langsam an die Haustür des Hauses heran, um sich die Klingelschilder anzusehen. Und tatsächlich, an einer der Klingeln stand der Name, den sie gesucht hatte. Kurz zögerte sie, doch betätigte dann den kleinen Knopf, der sich neben dem Namen „Yoshiko“ befand. Dann passierte erst einmal einen Moment nichts. Doch plötzlich ertönte ein Klicken in der Gegensprechanlage und eine weibliche Stimme erklang am anderen Ende: „Ja bitte?“ Mirâ war für einen Moment so perplex, dass sie beinahe vergas zu antworten, fing sich jedoch schnell wieder: „Äh… ja guten Tag. Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Ich würde gerne zu Megumi-chan und nach ihr sehen.“ Wieder war kurz Stille, bevor einen Moment darauf der Summer der Tür erklang: „Komm bitte rein.“ „Vielen Dank“, mit einem Ruck öffnete die Violetthaarige die Tür, welche sich mit einem Klicken entriegelte und trat in das Treppenhaus. Einige Minuten später, in denen sie die Wohnung noch suchen musste, stand sie gemeinsam mit einer zierlichen älteren Dame, die sich als Megumis Mutter herausstellte, vor deren Zimmertür. „Megumi, hier ist Besuch für dich“, klopfte die Frau an und öffnete dann die braune Tür, um einen Blick hineinzuwerfen und dann aber fast darin zu verschwinden, „Was machst du da? Du sollst dich doch ausruhen!“ „Aber mir kam gerade eine Idee für ein Bild. Das muss ich gleich zeichnen“, verteidigte sich die Jüngere, was der Frau ein Seufzen entlockte. Noch einmal erinnerte sie die Brünette daran, dass sie Besuch hatte und bat dann die Violetthaarige herein, bevor sie selber das Zimmer verließ und ankündigte den beiden noch Tee zu bringen. Mit einem leisen Klicken schloss sich hinter Mirâ die Tür, woraufhin sie etwas verloren zwischen verteilten Blättern stand und sich vorsichtig umsah. Eigentlich war es ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, welches in zarten Rosa- und Weißtönen gehalten war. Zu ihrer Rechten war ein überaus niedlicher kleiner Schminktisch, dessen Spiegel schön verziert war. Daneben war ein niedriger Fernsehtisch, auf dem ein kleiner Flachbildfernseher stand. Darüber hing ein schmales Regal, in dem einige kleine Pokale und Auszeichnungen standen. Zu ihrer Rechten befanden sich ein großer Eckkleiderschrank, der von zwei Regalen voller Mangas eingerahmt war. Daneben schloss ein Bett an, dessen rosa Decke beiseitegeschoben war. Neben dem Kopfende beziehungsweise ihr gegenüber stand ein großer Schreibtisch. Auf diesem war ein großes Regal angebracht in dem auf der einen Seite Schreibutensilien und auf der anderen Seite unzählige Farbstifte lagen. Vor dem Schreibtisch saß ein kleines Mädchen, den Kopf tief zur Schreibtischplatte gesunken und schien an etwas zu arbeiten und die Ältere gar nicht zu bemerken. Um sie herum herrschte ein reines Chaos aus herumliegenden Blättern, die mit teilweise fertigen Bildern oder Skizzen bemalt waren. Aus einer Box, auf welche ein Smartphone gesteckt war, spielte leise Musik, die die junge Frau jedoch nicht zuordnen konnte, da es nichts was, was regelmäßig im Radio lief. Jedoch hatte sie das Gefühl die aktuell laufende Melodie schon einmal irgendwo gehört zu haben. Mirâ musste lächeln, als sie das gesamte Bild betrachtete. Irgendwie wollte sie die Kleine nicht aus ihrem Tun reißen, jedoch gab es einen Grund wieso sie hier war. Deshalb räusperte sie sich leise, woraufhin die Brünette plötzlich zusammenzuckte und sich langsam umdrehte. Erschrocken wäre sie beinahe von ihrem Stuhl gefallen, als sie bemerkte, wer dort stand. „S-senpai! W-was machst du denn hier?“, fragte Megumi total aufgeregt und stolperte regelrecht von ihrem Stuhl. Hektisch hob sie schnell einige der Papiere auf, die auf dem Boden verteilt lagen und legte sie auf den Schreibtisch, auf dem, wie die Ältere nun feststellte, ebenfalls ein heilloses Chaos herrschte. Lächelnd beobachtete sie die Jüngere, die versuchte so schnell wie möglich etwas Ordnung zu schaffen. „Du brauchst nicht extra für mich alles wegräumen, Megumi-chan“, sagte sie anschließend, „Aber es ist schön zu sehen, dass es dir anscheinend schon wieder besser geht.“ Überrascht stoppte die Jüngere in ihrem Tun und sah die junge Frau mit großen grünen Augen an, bevor sie die letzten Blätter auf ihre Arbeitsplatte legte und nickte. Sie ging zu ihrem Bett und schlug die Decke zurück, sodass Platz zum Sitzen da war und bot diesen der Violetthaarigen an. Dankend nahm Mirâ das Angebot an und setzte sich auf das ihr dargebotene Bett, während sich Megumi wieder auf ihren Stuhl setzte: „Wie kommst du sonst zurecht?“ „Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht, was da eigentlich passiert war“, sagte sie anschließend und schaute dabei auf ihre rechte Hand, „Aber plötzlich hat mich diese warme Macht umschlungen. Es war, als würde diese Macht etwas in mir Ausfüllen, was mir lange Zeit gefehlt hat.“ „Ja so ging es mir auch“, nickte Mirâ, „Und den anderen mit Sicherheit auch.“ „Persona…“, murmelte Megumi kurz geistesabwesend, bevor sie wieder aufschaute und ihr Gegenüber ansah, „Ich wollte mich noch bei euch bedanken. Auch dafür, dass ihr mich noch nach Hause begleitet habt. Meine Eltern waren wirklich froh, als ich wieder da war. Sie waren nur verdammt sauer…“ „Was hast du ihnen eigentlich erzählt?“, fragte die junge Frau. Die Brünette sah kurz auf ihre Zimmertür, um sicherzugehen, dass ihre Mutter nicht jeden Moment hineingestürmt kam und rückte dann etwas näher an Mirâ heran: „Naja… das was passiert ist. Jedenfalls soweit, dass ich von irgendwelchen Idioten im Kunstraum eingeschlossen wurde und nicht rauskam, weils keinem aufgefallen ist. Deshalb waren sie auch so sauer… Wie konnte das in so einer Schule nur passieren?“ Sie lächelte und erwiderte damit das vollkommen überraschte Gesicht der Älteren, die nicht so recht glauben konnte, dass Megumi es geschafft hatte ihren Eltern eine solche Lüge aufzutischen. Wobei es ja nur teilweise eine Lüge war. Aber wie sollte sie auch erklären, dass sie kein Lehrer finden konnte, weil sie in einer anderen Welt verschwunden war? Das würde ihr ja niemand abkaufen. Trotzdem war es schon überraschend, dass ihre Eltern das ganze nicht hinterfragten. Immerhin wurde mit Sicherheit auch in der Schule nach ihr gesucht, demnach auch im Kunstraum. Andererseits war sie auch froh darüber, denn so kamen keine lästigen Fragen hinterher. „Hatten deine Eltern die Polizei eingeschaltet?“, fiel der Violetthaarigen plötzlich ein. Fragend sah Megumi sie an und nickte dann: „Ja, aber nachdem ich wieder da war haben sie die Vermisstmeldung wieder zurückgenommen. Gestern kam ein Kommissar zu mir und wollte wissen, was passiert war. Ich habe ihm das Gleiche wie meinen Eltern erzählt, woraufhin er ging.“ Sie legte den Finger an ihr Kinn und schaute zur Decke, als überlegte sie etwas: „Er schien, als sei er über etwas enttäuscht… ich glaube er sagte zu seinem Kollegen auch, dass es anscheinend nichts mit irgendeinem Fall zu tun hatte.“ Überrascht sah Mirâ die Kleine an. Wenn es sich dabei um den Kommissar handelte, der sie mittlerweile auf dem Kieker hatte, dann könnte diese Wendung ihnen sogar geholfen haben. Wenn er Megumi nicht als Opfer der Serie sieht, dann würde er es auch nicht merkwürdig finden, wenn sie plötzlich zu ihrer Gruppe gehörte. Wobei die Jüngere ja von vornherein eine Ausnahme war, immerhin war sie mit ihr schon befreundet, bevor sie in die Spiegelwelt gekommen war. Vielleicht konnten sie so endlich aus dem Visier dieses Kommissars rutschen. Jedenfalls wäre das von Vorteil, denn irgendwann würde er ihnen auf die Schliche kommen. Wobei sie sich nicht vorstellen konnte, dass ihnen überhaupt irgendjemand glauben würde, dass es eine Welt hinter dem Spiegel gab. Das klang viel zu verrückt, als dass es wahr sein konnte. Trotzdem hatte sie bei diesem Suou ein ganz komisches Gefühl. Nicht nur, dass sie bei ihm ständig diesen blauen Schmetterling sah. Auch sonst umgab ihn eine merkwürdige Aura, die sie nicht zuordnen konnte. „Senpai?“, holte sie die Stimme der Jüngeren wieder aus ihren Gedanken, weshalb sie irritiert zu dieser Blickte, „Weshalb bist du eigentlich hier?“ Nun fiel auch der Oberschülerin wieder ein, wieso sie eigentlich hergekommen war. Mirâ überlegte kurz, wo sie anfangen sollte, doch erklärte der Jüngeren dann, den Grund für ihr Erscheinen. Sie wollte sie bitten ihnen zu helfen durch den zweiten Teil des Dungeons zu kommen, welcher sich zu einem Labyrinth geformt hatte und sie jedes Mal hinausschmiss, sobald sie einen falschen Weg einschlugen. Zwar wusste sie, dass es gefährlich war, doch glaubte sie, dass nur Megumi sie dort hindurchführen konnte und deshalb trat sie mit ihrer Bitte an sie heran. Dass sie dafür persönlich erschien hatte eigentlich einen ganz simplen Grund: Am Abend, als sie der Jüngeren schreiben wollte fiel ihr auf, dass sie deren Handynummer gar nicht hatte. Deshalb hatte sie in der Historie ihres Navis nach der Adresse der Jüngeren gesucht und sich zu ihr auf den Weg gemacht. Die Brünette hörte Mirâ ruhig zu und nickte dann verstehend, als diese geendet hatte. „So ist das“, fing sie an, während sich ein nachdenklicher Ausdruck auf ihr Gesicht legte, welcher der Älteren nicht verborgen blieb. „Ich kann verstehen, wenn du nicht möchtest, immerhin ist es gefährlich. Es wäre auch nur das eine Mal“, sagte diese anschließend mit zusammengelegten Händen, „Bitte!“ Irritiert schreckte Megumi auf und hob verteidigend die Hände: „Nein, das verstehst du falsch. Ich möchte euch wirklich gerne helfen. Allerdings brauche ich noch ein paar Tage, um wieder auf die Beine zu kommen.“ Fragend sah Mirâ sie an, woraufhin sie sich leicht an der Wange kratzte: „Also… ich habe schon etwas Angst, a-aber es ist so. Ich merke immer noch, wie mich das Ganze echt böse schlaucht. Es stimmt, dass ich schon wieder am Schreibtisch sitze, aber ich merke trotzdem wie schwer sich mein Körper anfühlt. Aber das heißt nicht, dass ich euch nicht helfen möchte. Sobald ich wieder auf den Beinen bin, komme ich mit euch. Und ich weiß schon Bescheid, dass wir nur eine bestimmte Zeitspanne haben. Oder? Keine Sorge, bis dahin bin ich wieder fit.“ „Ähm ja… bis zum Neumond. Das wäre der…“, die Violetthaarige kramte ihr Handy aus der Tasche und öffnete ihren Mondkalender, welchen sie extra installiert hatte, „13. September… dann öffnet sich der Bossraum.“ „Das ist in circa eineinhalb Wochen“, überlegte Megumi und nickte dann, „Keine Sorge. Bis dahin bin ich wieder fit. Die Schule geht ja auch bald wieder los, da muss ich eh wieder auf den Beinen sein.“ Die violetthaarige Oberschülerin nickte und lächelte, froh darüber, dass sie die Unterstützung der Kleinen hatten. Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâs Brust aus und sie spürte, wie das Telefon in ihrer Hand kurz vibrierte. Bevor sie jedoch nachschauen konnte, hörten beide Mädchen ein leises Klopfen an der Tür. Kurz darauf trat die Mutter der Brünetten wieder ins Zimmer. In ihrer Hand hielt sie ein Tablett mit drei Tassen. Irritiert über die Anzahl der Gefäße, wollte die Jüngere bereits fragen, wieso, doch da trat bereits eine weitere, etwas kräftigere Person mit schwarzen welligen Haaren hinter ihre Mutter, die sie mit einem freundlichen „Yo“ begrüßte und dann überrascht zu Mirâ sah. Es war bereits Mittag, als sie Megumi gemeinsam mit Matsurika wieder verließ und mit dieser durch die Straßen von Tsukimi-kû lief. Zu Dritt hatten sie einen schönen und lustigen Vormittag verbracht, wobei Mirâ erfahren hatte, dass die beiden jüngeren Schülerinnen zusammen an einem Projekt arbeiteten. Gemeinsam schrieben sie eine Geschichte, bei der sich Matsurika um das Storyboard und die allgemeine Story kümmerte, während sich Megumi mit dem Charakterdesign und den einzelnen Illustrationen beschäftigte. Etwas überfordert von den ganzen Fachbegriffen, die sie um sich warfen, hatte Mirâ den beiden zugehört und war ein wenig neidisch über so viel Talent. Alleine der Gedanke sich überhaupt an so etwas zu versuchen schreckte sie schon ab. Sie konnte weder zeichnen, noch hatte sie eine Ahnung, wo sie überhaupt mit einer Geschichte hätte anfangen sollen. Zumal sie gar nicht wüsste, worüber sie überhaupt schreiben sollte. Umso mehr bewunderte und beneidete sie zugleich Menschen, die so viel Fantasie hatten und sich dafür auch die Zeit nahmen. „Ich bin so früh, dass Megu wieder da ist. Und dass es ihr gut geht“, holte sie plötzlich Matsurikas Stimme aus den Gedanken. Leicht irritiert sah sie zu der Schwarzhaarigen und brauchte einen Moment, um zu registrieren was diese überhaupt gesagt hatte, bevor sie ein Lächeln aufsetzte und nickte. „Manchmal frage ich mich, was in den Menschen vorgeht, die sowas Gemeines machen…“, sagte die Schwarzhaarige mit gesenktem Blick und machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach, „Weißt du… Ich weiß, dass ich mich in den letzten Monaten nicht wirklich so verhalten habe, aber Megu ist meine wichtigste Freundin.“ Mit großen Augen sah Mirâ ihr Gegenüber an. Es kam doch etwas überraschend, dass diese plötzlich mit dem Thema anfing, weshalb die Violetthaarige gar nicht so recht wusste was sie überhaupt dazu sagen sollte. Allerdings war das ohnehin nicht nötig, da die Jüngere einen Moment später bereits weiterredete: „Du musst wissen, dass ich in der Mittelstufe keine Freunde hatte. Ich habe mich in meine eigene Welt verzogen und Geschichten geschrieben, was mich noch mehr zu einer Außenseiterin machte. Ich wurde ausgelacht, geärgert und als unsozial betitelt. Es war wirklich nicht angenehm und ich bin nicht gerne zur Schule gegangen. Dann habe ich aber durch Zufall Megu kennengelernt. Sie hatte das gleiche Hobby wie ich, dachte sich auch Geschichten aus und konnte so wunderschön zeichnen. Sie hat mich nicht als merkwürdig angesehen und wir haben uns auf Anhieb super verstanden. Wir konnten über unsere Storys reden und haben uns Tipps gegeben. Seither sind wir befreundet. Und als sie plötzlich verschwunden war, da habe ich das Schlimmste befürchtet. Ich dachte schon, ich würde Megumi für immer verlieren.“ Die Ältere hörte geduldig zu und kam nicht umher zu lächeln. Es stimmte zwar, dass sich Matsurika einige Zeit alles andere als freundschaftlich der Kleinen gegenüber verhalten hatte, doch konnte man nicht verkennen, wie wichtig diese ihr war. Es war auch nicht zu übersehen, als die Schwarzhaarige sie angerufen hatte, weil Megumi verschwunden war. Nur eine echte Freundin würde sich solche Sorgen machen und Hilfe holen. „Ihr habt wirklich eine tolle Freundschaft. Achtet darauf, dass sie niemals zerbricht“, lächelte die junge Frau, „Ich bin mir sicher, dass du Megumi genauso wichtig bist, wie sie dir. Jedenfalls war sie ziemlich sauer auf mich, als du eine ganze Weile nur bei uns abgehangen hast.“ Überrascht sah Matsurika sie mit ihren fast schwarzen Augen an und wandte dann den Blick ab, als sie bemerkte, wie sie rot anlief. Doch dann nickte sie und blieb plötzlich an einer Kreuzung stehen. Mirâ tat es ihr nach und sah sie kurz fragend an, während die Jünger mit dem Finger in eine Richtung zeigte und meinte, dass sie nun dort entlang müsse. Mit einem Lächeln nickte die ältere Schülerin und verabschiedete sich von der Schwarzhaarigen. Diese wandte sich jedoch nicht ab, sondern blieb noch einen Moment so stehen und verbeugte sich plötzlich vor der Älteren. „Vielen Dank, dass ihr Megumi gerettet habt, Senpai! Ich weiß nicht wie ihr das angestellt habt und ich werde auch nicht nachfragen, aber ich danke euch von ganzem Herzen!“, damit drehte sich die junge Frau um und lief mit schnellen Schritten davon. Irritiert sah Mirâ ihr nach, doch lächelte dann und wandte sich nun ebenfalls ihrem Heimweg zu, während sie das Vibrieren in ihrer Tasche für den Moment ignorierte. „Guten Abend“, grüßte Mirâ freundlich, als sie die Karaoke-Bar betrat. Im Laufe des Vormittags hatte ihr Shuichi eine Nachricht geschickt und sie gefragt, ob sie eine Schicht übernehmen könnte, weil eine Kollegin ausgefallen war. Weil für sie selbst an diesem Nachmittag eh nichts mehr anfiel, war es für sie kein Problem zuzusagen. Und nun stand sie im Empfangszimmer des Shadôs und blickte überrascht auf die beiden Männer, welche am Tresen standen. Der eine schlank und groß mit braunen, blond gesträhnten, nackenlangen Haaren und der andere etwas untersetzt mit einem kleinen Bauch, der das Jackett leicht spannen ließ. Beide sahen sie mit großen Augen an, während sie sich vorsichtig verbeugte. „Also Shuichi. Überleg es dir nochmal. Du musst ihn ja nicht zwingen, aber es wäre schon schön, wenn ihr mal vorbeikommen würdet. Deine Mutter würde sich auch freuen.“, wandte sich der Ältere wieder an den jungen Mann und klopfte nochmal kurz auf den Tresen, „Dann übertreib es heute Abend nicht zu sehr und pass mir gut auf die Mädels auf.“ „Keine Sorge, Tô-san. Ich pass schon auf. Und ich rede mit ihm. Mehr kann ich dir aktuell nicht versprechen“, sagte Shuichi, während sein Vater sich von ihm abwandte. Mit einer leichten Verbeugung ging er an der Oberschülerin vorbei und verließ daraufhin mit einem Winken das Lokal. Auch Mirâ hatte sich noch einmal verbeugt, als der alte Mann an ihr vorbeiging und sah ihm dann irritiert hinterher. Ein Seufzen ließ sie aufschrecken und wieder zurück zu Shuichi blicken, der seinen Kopf auf seiner Hand abstützte. „Was ist denn los? Ist etwas passiert?“, fragte die junge Frau, während sie auf den Tresen zuging und dem jungen Mann gegenüber stehenblieb. Der Student sah noch einmal zur nun geschlossenen Tür und seufzte erneut: „Ach nichts weltbewegendes… du hast sicher mitbekommen, dass das mein Vater war. Er und meine Mutter möchten meinen Freund kennenlernen und…“ „Du hast einen Freund?“, fiel die Violetthaarige dem Älteren ins Wort, woraufhin dieser sie etwas überrascht ansah, „Doch nicht etwa Kyo?“ Kurz war Stille, bevor der Braunhaarige plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach. Vollkommen perplex sah die Oberschülerin ihren Kollegen an, der sich mittlerweile schon die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass Shuichi jemanden an seiner Seite hatte. Es war nicht so, dass sie es ihm nicht gönnte oder sie der Meinung war, dass er niemanden finden würde. Allerdings hätte sie es ihm einfach nicht zugetraut. Er stand fast jeden Abend hier in der Bar und flirtete gerne mal mit den männlichen Gästen, dass es ihr irgendwie nie in den Sinn kam. Shuichi hatte sich mittlerweile wieder beruhigt und brachte nur ab und an mal noch einen kleinen Lacher heraus, während er zu ihr sprach: „Nein, nicht Kyo. Sei froh, dass er das nicht gehört hat. Ich glaube er wäre explodiert. Aber ist es denn so abwegig, dass ein so gutaussehender junger Mann wie ich, einen Partner hat?“ „N-Nein, das wollte ich damit nicht sagen. E-Es kam mir nur nie in den Sinn“, peinlich berührt senkte die Violetthaarige den Kopf, auf welchem sie allerdings plötzlich eine Hand spürte. Shuichi hatte ihr diese auf den Kopf gelegt und lächelte sie freundlich an: „Schon okay. Ich hab ja auch nie was gesagt. Aber zurück zum Thema… meine Eltern wollen ihn gerne kennenlernen. Allerdings ist mein Freund ziemlich schüchtern und zurückhaltend. Bisher hat er sich noch nicht getraut, dass wir uns gegenseitig unseren Eltern vorstellen. Er hat damit schonmal schlechte Erfahrungen gemacht…“ „Oh“, bekam die junge Frau nur heraus. Der Student nickte: „Ja. Ich freue mich, dass meine Eltern da so offen an die Sache rangehen, aber ich verstehe auch meinen Freund. Nicht jeder ist so tolerant…“ „Was irgendwie Schwachsinn ist… also dass die Menschen so intolerant sind“, sagte Mirâ ernst, „Du solltest mit deinem Freund darüber sprechen und ihm versichern, dass er bei deinen Eltern nichts zu befürchten hat.“ Überrascht sah Shuichi sie an und lachte dann noch einmal vorsichtig, bevor er nickte und der jungen Frau zustimmte. Er würde nach der Schicht mit seinem Partner über die Sache sprechen und dann würde er ja sehen, was herauskam. Zwingen wollte er ihn nicht, aber freuen würde es ihn natürlich sehr. Mirâ schenkte dem Älteren ein Lächeln und wünschte viel Erfolg, bevor sie sich zu den Räumlichkeiten für die Angestellten wandte und sich umziehen ging. Dabei spürte sie eine angenehme Wärme in ihrem Inneren aufsteigen. Als sie ungefähr zehn Minuten später wieder herauskam, wurde sie gleich von ihrem Kollegen zu sich gerufen, da es Kundschaft gab. Sie sollte sich um die kleine Gruppe von vier Personen kümmern. Nickend griff Mirâ nach ihrem Tablet und ging dann ins Foyer hinüber, wo ihre Gäste auf sie warten sollten. Doch kaum war sie um die Ecke getreten, blieb sie wie angewurzelt stehen. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz sofort wieder kehrt gemacht und hätte Shuichi darum geben andere Gäste zu übernehmen. Doch in dem Moment wandte bereits einer der zwei jungen Männer der Gruppe, dessen violett-blaue Haare ihm locker auf die Schulter fielen, seinen Blick in ihre Richtung. Überrascht sah er sie an, bevor er breit anfing zu grinsen. „Na so was. Das ist ja eine Überraschung, dich hier zu treffen, Shingetsu“, sagte er plötzlich. Der blonde junge Mann neben ihm zuckte mit einem Mal erschrocken zusammen und drehte sich ebenfalls langsam in ihre Richtung, bevor er erschrocken zurückwich: „Mi-Mirâ…“ „Das ist ja ein Zufall“, kam eine junge Frau auf sie zu, deren dunkelbraune schulterlange Haare von einem weißen Haarband davon abgehalten wurden ihr ins Gesicht zu fallen. Sie grinste und kam neben Mirâ zum Stehen, bevor sie erschrocken zusammenzuckte, als sie einen Kniff an ihrer Hand spürte. Mit bösem Blick sah die Violetthaarige ihre beste Freundin an und nuschelte ihr im bedrohlichen Ton zu: „Von wegen Zufall... Du hast genau gewusst, dass ich heute eine Schicht schiebe. Was soll das?“ Ein ertapptes Lachen entkam der Brünetten, während sie den Blick von ihrer Freundin abwandte und meinte, dass sie nicht wisse, was sie meinte. Leicht genervt ließ Mirâ von der jungen Frau ab, die sich erst einmal die schmerzende Stelle rieb. „Was ist los, Hiro? Kennt ihr euch?“, lenkte eine Frage die Aufmerksamkeit der Oberschülerin auf eine junge Frau, die sie auf ihr Alter schätzte. Ihre hellbraunen leicht gewellten Haare hatte sie an der rechten Seite zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden und dabei einen Teil ihres Ponys mitgenommen. Die restlichen Haare fielen ihr locker auf die Schultern. Sie trug eine zartrosa Bluse, deren Ärmel sie bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Darüber trug sie eine schwarze Korsage mit rotem Muster darauf, an welcher auf der rechten Seite ein schwarzes Tuch befestigt war, dass ihr bis knapp unter die Knie reichte. An ihrem linken Oberarm trug sie eine schwarze Armbinde, während um ihr rechtes Handgelenk ein rotes Band lag. Dazu trug sie graue Hotpants, weiße Overknees und schwarze Stiefletten. Um ihren Hals trug sie einmal ein schwarzes anliegendes Band, an dem eine zweite Halskette mit einem roten Herzanhänger befestigt war. Auf den ersten Blick hätte Mirâ behauptet, dass sie sich wohl sehr gut mit ihrer Freundin Kuraiko verstehen würde. Jedenfalls fand sie, dass sie einen recht ähnlichen Modestil hatten. Doch dann fiel ihr plötzlich auf, wie vertraut die junge Frau mit ihrem Kumpel redete und dass es sich bei ihr wieder um ein für sie unbekanntes Mädchen handelte. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals und sie schluckte schwer. Wieder stieg in ihr dieses unangenehme Gefühl auf, welches sie bereits mehrere Male zuvor hatte, sobald sie Hiroshi mit einem anderen Mädchen sah. Wieso geschah das nur mit ihr? Wieso störte es sie so sehr, wenn ihr Kumpel sich mit anderen Mädchen traf? Wenn er mit Akane abhing machte ihr das doch auch nichts aus. Lag es daran, dass sie Sandkastenfreunde waren? Doch wieso interessierte sie das überhaupt? „Mirâ-chan? Ist alles in Ordnung?“, holte sie die Stimme von ihrem älteren Kollegen aus ihren Gedanken. Sie schrak auf, wandte sich kurz um und beruhigte ihren Kollegen, dass alles in Ordnung sei, bevor sie ein gequältes Lächeln aufsetzte und sich wieder der Gruppe zuwandte. „Willkommen im Shado. Bitte folgt mir. Ich zeige euch euren Raum“, versuchte sie so ruhig wie nur irgend möglich herauszubringen und wandte sich dann den einzelnen Karaoke-Räumen zu. Sie warf noch einmal einen kurzen Blick auf ihr Tablet, um die Raumnummer zu prüfen, aber auch, um sich selber abzulenken. Wieso musste das heute nur passieren? Nicht dass es schlimm genug für sie war, dass sie ihre besten Freunde bewirten musste, nein, sie bekam auch noch mit, wie ihr Kumpel mit einem Mädchen herkam. Konnte es denn noch schlimmer kommen? Da hätte sie lieber eine Schicht mit Kyo gemacht. Seufzend öffnete sie die Tür und ließ ihre Freunde in das für sie reservierte Zimmer: „Möchtet ihr etwas trinken? Das erste Getränk geht aufs Haus. Alkoholische Getränke sind allerdings tabu.“ „Ich nehm‘ ne Cola“, sagte Shuya, während er sich eine der beiden bequemen Bänke setzte. „Ich würde eine Apfelschorle nehmen“, bestellte auch Akane und blickte entschuldigend zu ihrer besten Freundin, die nur hoffte, dass die Braunhaarige sich eine gute Ausrede dafür einfallen ließ. Hiroshi warf einen Blick in die Karte in seiner linken Hand: „Ich würde auch eine Cola nehmen.“ Von rechts griff eine Hand über ihn hinweg und nach der Karte: „Was soll das Shina? Sag doch was.“ Entschuldigend blickte die Brünette ihn mit ihren hellblauen Augen an und ließ sich dann samt Karte zurück auf die Bank sinken: „Du warst so vertieft…“ Ein Stich traf Mirâ mitten ins Herz, als sie bemerkte, wie vertraut die beiden Oberschüler miteinander umgingen. Am liebsten wäre sie sofort davongerannt. Wie sollte sie nur diesen Abend überstehen ohne durchzudrehen oder zu heulen? Das war doch unmöglich. „Ich nehme erstmal einen Gerstensaft“, sagte die junge Frau an Hiroshis Seite mit einem Lächeln, „Dein Name ist Mirâ. Oder? Hiro hat mir erzählt, dass ihr befreundet seid. Tut mir leid, dass wir hier einfach so aufgekreuzt sind. Das ist sicher etwas unangenehm. Ich heiße Shina Minatsuki. Auch wenn die Situation etwas… komisch ist. Es freut mich dich kennen zu lernen, Shingetsu-chan.“ Überrascht stoppte die Violetthaarige in ihrem Tun und sah die junge Frau an: „Mi-mich auch, Minatsuki-chan. Ähm… darf ich fragen, woher ihr euch kennt? I-ich meine, du scheinst nicht auf unsere Schule zu gehen und…“ Mit großen Augen sah Shina sie an und grinste dann leicht: „Ach so ja. Ich bin zu Besuch bei Hiro. Eigentlich lebe ich in Aehara.“ „Z-zu Besuch?“, fragte Mirâ leicht geschockt. Hiroshi seufzte und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Er hatte sich die Hand an die Stirn gelegt und kniff die junge Frau dann in den Unterarm, welche schmerzhaft zusammenzuckte: „Hör auf das so komisch zu erzählen, du dumme Ziege. Mirâ, versteh das nicht falsch. Shina ist meine Cousine. Mein Vater hat sie eingeladen uns zu besuchen. Deshalb ist sie hier.“ Mit großen roten Augen sah sie die junge Frau an, welche sie nur lieb und unschuldig anlächelte. Die Violetthaarige merkte, wie ihr Gesicht nach und nach die gleiche Farbe wie ihre Augen annahm, weshalb sie sich nur schnell umdrehte und sagte, dass sie nun die Getränke holen würde, bevor sie fluchtartig den Raum verließ. Mit einem Knall schlug sie die Tür hinter sich zu und drückte das Tablet an ihre Brust. Sie hielt den Blick gesenkt und bekam nicht einmal mit, wie Shuichi einen prüfenden Blick in den Gang warf, weil er die Tür gehört hatte. Als ihr plötzlich bewusstwurde, dass sie gar keinen Grund gehabt hatte, eifersüchtig zu sein, hätte sie sich am liebsten sofort das nächste Mäuseloch gesucht. Sie wäre am liebsten sofort wieder nachhause gegangen. So richtig Lust auf diese Schicht hatte sie nun wirklich nicht mehr. Konnte dieser Abend eigentlich noch schlimmer werden? Kapitel 87: LXXXVII – Von Problemen und Gefühlen ------------------------------------------------ Samstag, 05.September 2015 Seufzend und sich den Nacken reibend blickte Hiroshi in den bewölkten Himmel über Kagaminomachi, der den ersten Herbst ankündigte. Um ihn herum herrschte reges Treiben. Mütter mit ihren schreienden Kindern, telefonierende Geschäftsleute und Gruppen von Teenagern liefen an ihm vorbei, während er seinen Kopf etwas überstreckte, um die große Standuhr über sich erkennen zu können. Der große verzierte Zeiger zeigte bereits an, dass es kurz nach zwölf war, weshalb sich der junge Mann von seiner Position auf der Bank erhob und sich kurz streckte. Mit einem erneuten Seufzer wandte er sich um und ging dann auf ein großes historisches Gebäude zu, über dem in großen silbernen Buchstaben „Kagaminomachi Central Station“ stand. Unzählige Menschen drängten sich an ihm vorbei und man hatte so gar nicht das Gefühl, dass es sich an diesem Tag um ein Wochenende mitten in den Sommerferien handelte. Mit den Händen in den Hosentaschen lief er gelassen durch die langen Gänge und anschließend durch eine große Empfangshalle, bog nach links ab und nahm dann eine Treppe hinauf zu einem der Bahnsteige für den Nah- und Fernverkehr von Außerhalb. Innerhalb der Stadt waren die meisten Menschen mit der U-Bahn oder den Bussen unterwegs, die auch das größte Netz unterhielten. Jedoch gab es auch noch normale Zuglinien, die die Menschen mit Bummelzügen hinaus in die Vororte der Stadt beziehungsweise mit Schnellzügen in die anderen großen Städte und Metropolen des Landes brachten. Hiroshi warf einen Blick auf die Anzeigetafel, um festzustellen, dass die Regionalbahn an diesem Gleis in wenigen Minuten einfahren würde. Zum wiederholten Male an diesem Tag entkam ihm ein Seufzen, während er sich an eine der Säulen lehnte, die das Bahnsteigdach hielten, und dann in die Richtung blickte, aus der der Zug kommen sollte. Dass er an diesem Tag hier war, geschah nicht ganz freiwillig und nur auf Wunsch einer einzelnen Person. Er blickte in den Himmel zu den vorbeiziehenden Wolken, während er an den vergangenen Abend zurückdachte, wo er eine recht heftige Diskussion mit seinem Vater geführt hatte. Wobei… Hiroshi senkte den Blick. Genau genommen war nur er fast ausgeflippt, während sein Vater nur ruhig mit ihm gesprochen hatte. Dabei ging es nicht einmal um eine große Sache. Ihn regte nur auf, dass sein Idiot von Vater irgendwelche Dinge einrührte und sich schlussendlich nicht darum kümmerte, sondern ihn vorschickte. Genauer gesagt hatte der Blonde vor einigen Tagen mitbekommen, wie sein alter Herr mit seiner Tante telefoniert hatte und ihr dabei angeboten, dass ihre Tochter doch mal vorbeikommen könnte, um etwas runter zu kommen. Hiroshi hatte nicht das ganze Telefonat mitbekommen, jedoch gab es wohl irgendwelche Probleme. Was allerdings genau, wusste er nicht und es ging ihn auch nichts an. Erstaunlich fand der Blonde, dass sein Vater sich so in die Sache mit seiner Schwester rein hing, wo er doch sonst mit der restlichen Familie mehr oder weniger gebrochen hatte. Jedenfalls konnte sich der junge Mann nicht mehr erinnern, in den letzten Jahren regen Kontakt zu seinen Onkels und Tanten geschweige denn zu seinen Großeltern gehabt zu haben. Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht mitbekam, wie neben ihm langsam der Zug einfuhr und kurz darauf die Menschen an ihm vorbeistürmten, nur um so schnell wie möglich den Bahnsteig zu verlassen. Erst als er plötzlich ein paar schwarze Stiefletten erkannte, die neben ihn traten, kehrte er ins Hier und Jetzt zurück. Plötzlich blickte er in zwei hellblaue Augen, die ihn fragend ansahen. „Hiro?“, holte ihn eine weibliche Stimme endgültig in die Realität und ließ ihn kurz zurückstolpern. Kurz darauf blickte er auf ein Mädchen in seinem Alter, mit hellbraunem schulterlangem Haar, welches sie an der rechten Seite teilweise zu einem Zopf gebunden hatte. Dabei hatte sie einen Teil ihres Ponys mitgenommen, den sie noch mit einer roten Spange fixiert hatte. Sie trug eine zartrosa lange Bluse, deren Ärmel bis zu den Oberarmen hochgekrempelt waren, und darüber eine schwarze Korsage mit roten Flammen darauf. An dieser war auf der rechten Seite ein langes schwarzes Tuch befestigt, dass ihr bis kurz über die Knie reichte und irgendwie wie ein halber Rock wirkte. Dazu trug sie graue Hotpants und weiße Overknees. „Shi-Shina?“, fragte er irritiert. Wenn ihn die junge Frau nicht angesprochen hätte, er wäre wohl eiskalt an ihr vorbeigelaufen. Zwar fiel sie mit ihrem Outfit und den hellen Haaren schon irgendwie auf, trotzdem hätte er sie von selbst nicht wiedererkannt. Die junge Frau richtete sich wieder auf und zog ihre Tasche richtig auf die Schulter: „Du bist es also wirklich. Ich hätte dich beinahe nicht erkannt. Du hast dich ganz schön verändert.“ „Wir haben uns ja auch lange nicht gesehen“, erwiderte der Blonde, woraufhin die Brünette nickte. „Ja sechs oder sieben Jahre. Echt ne lange Zeit“, lachte sie etwas verlegen. Hiroshi kratzte sich am Nacken: „Ja… du hast dich auch ganz schön verändert.“ Ein erneutes Lachen erklang: „Meinst du? Nicht so sehr wie du, finde ich. Ich bin echt erstaunt, dass du dir die Haare färbst. Und dass deine Mutter das zulässt. Ich erinnere mich noch dran, dass sie ziemlich streng war.“ „Ach soll sie meckern…“, murmelte der junge Mann und hielt seiner Cousine die Hand hin, „Lass uns gehen. Ich nehm deine Tasche.“ Mit einem Kopfschütteln lehnte Shina dankend ab, da ihre Tasche nicht so schwer war, dass sie sie nicht selber tragen konnte. Schulterzuckend steckte Hiroshi seine Hände zurück in seine Hosentaschen und wandte sich dann ab, um den mittlerweile fast leeren Bahnsteig wieder zu verlassen. Seine Cousine rückte noch einmal ihre Tasche zurecht und folgte dem Blonden dann, welcher sie einmal quer durch den Bahnhof zur U-Bahnstation führte. Unterwegs steckte dieser ihr noch eine Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel zu, bevor sie durch die Absperrungen hinunter zu den Gleisen gingen. Dabei wechselten sie fast kein Wort, da keiner der beiden so wirklich wusste, wo er anfangen sollte. Jemanden nach so langer Zeit wiederzutreffen, obwohl man die ganze Zeit keinen Kontakt hatte, war eben doch eine etwas merkwürdige Situation. „Wie kommt es eigentlich, dass du mich abholst? Mama meinte Onkel Hiroki wollte zum Bahnhof kommen“, fragte die junge Frau, um die doch etwas unangenehme Stille zwischen ihnen zu brechen. Seufzend zuckte ihr Cousin mit den Schultern: „Weil dieser Idiot meinte, er müsse heute doch noch schnell etwas erledigen. Deshalb hat er mich gestern mehr oder weniger darum gebeten.“ „Ich verstehe“, sagte die Brünette, während sie in die eingefahrene U-Bahn einstiegen, „Tut mir leid. Du hast sicher eigentlich Besseres zu tun…“ Überrascht sah Hiroshi seine Cousine an und kratzte sich dann wieder seufzend am Nacken: „So war das nicht gemeint. Es ist für mich schon in Ordnung. Was mich aufregt ist, dass er ständig irgendwas einrührt und es dann auf andere abwälzt. Aber im Grunde wollte er wahrscheinlich auch nur, dass dich jemand in deinem Alter begleitet. Ich fänds auch nicht so geil, wenn ich mit so nem alten Knacker unterwegs wäre.“ „Pff“, mit einem Mal begann Shina zu lachen, was den Blonden doch etwas irritierte, „Du hast dich wirklich verändert. Vor ein paar Jahren hast du nicht mal ansatzweise so über deinen Vater gesprochen oder dich allgemein so ausgedrückt. Das ist wirklich erfrischend.“ „Shina-chan, schön dich nach so langer Zeit mal wieder zu sehen. Hattest du eine angenehme Fahrt?“, wurde die Brünette bereits überfreundlich begrüßt, bevor die beiden Oberschüler überhaupt die Wohnung richtig betreten hatten. Genervt verdrehte Hiroshi die Augen, während er seine Schuhe auszog und seiner Cousine ein paar Pantoffeln bereitstellte, in die sie schlüpfen konnte. Diese wirkte von der Begrüßung ein wenig überfordert, doch erwiderte sie trotzdem höflichst. Erfreut hörte er, wie sich seine Mutter einen Moment später bereits bei ihrer Nichte dafür entschuldigte, dass sie den Abend leider nicht mit ihr verbringen könne. Ein dringender Notfall in der Klinik hätte sie einberufen, was sich wohl bis in die Nacht ziehen würde, sodass sie eigentlich schon wieder auf dem Sprung war. Erst nachdem Shina ihr versichert hatte, dass es in Ordnung sei, verabschiedete sich Hiroshis Mutter von der Jüngeren und war dann wenige Minuten später auch schon aus der Wohnung verschwunden. Erleichtert blickte Hiroshi kurz auf die verschlossene Wohnungstür und wandte sich dann wieder dem Inneren der Wohnung zu, während er Shina hineinbat. Schritte ließen die beiden aufhorchen, welche auf sie zukamen. Kurz darauf trat ein älterer Mann um die Ecke, dessen hellbraune, leicht grau melierten Haare ordentlich zurückgekämmt waren. Obwohl er legere und bequeme Kleidung trug, wirkte er sehr gepflegt. Mit seinen dunkelblauen Augen sah er die beiden Oberschüler herzlich an. „Onkel Hiroki. Schön dich wieder zu sehen“, grüßte die Schülerin ihren Onkel mit einer ehrlichen Freundlichkeit, welche sie gegenüber ihrer Tante nicht so wirklich aufbringen konnte. Auch der Ältere begrüßte die Schülerin freundlich und bot ihr einen Tee an, welchen sie freudig annahm. Hiroshi dagegen setzte sich von den beiden ab und verschwand lieber in seinem Zimmer. Er wusste, dass es nicht nett war seine Cousine einfach alleine zu lassen, jedoch wusste er sowieso nicht, worüber er mit ihr sprechen sollte. Sie waren verwandt, das stimmte, doch lebten sie beide ihr eigenes Leben, jeder für sich. Es war nicht mehr so unkompliziert wie zu Kindertagen, als sie noch unbeschwert miteinander gespielt hatten. Sie beide hatten sich dafür über die letzten Jahre zu sehr verändert. Außerdem hatte er keine Lust mit seinem Vater auf glückliche Familie zu machen, denn das waren sie nicht. Er setzte sich auf seine Couch und ließ seinen Kopf seufzend auf die hinter Lehne sinken. Trotzdem musste er sich überlegen, was er den restlichen Tag mit Shina unternahm. Sie konnten ja nicht den ganzen Tag in der Wohnung hocken. Zocken war sicher auch nicht das, was Mädchen in ihrem Altern gerne machten. Außerdem war sie dafür ja nicht nach Kagaminomachi gekommen. Gab es etwas, was er ihr zeigen könnte? Mit Sicherheit gab es nichts in dieser kleinen Stadt, was es in Aehara nicht auch gab, sodass es schwierig werden würde etwas zu finden. Wahrscheinlich war es am besten, wenn er die junge Frau selber entscheiden ließ. Trotzdem kramte er sein Handy aus der Hosentasche und suchte dort nach ein paar Ausflugszielen. Ein Klopfen an seiner Tür ließ ihn von seinem Smartphone aufschauen, während er den Gast hereinbat. Seine Zimmertür öffnete sich und Shina lugte durch den kleinen Spalt in den Raum. „Darf ich reinkommen?“, fragte sie vorsichtig an und trat ein, als sie ein Nicken ihres Cousins vernahm. Ganz langsam drückte sie die Tür mit ihrer Schulter auf, schlängelte sich um diese herum und schloss sie kurz darauf auf dieselbe Art und Weise wieder. In ihren Händen hielt sie zwei große Tassen mit einer dampfenden Flüssigkeit darin. Die Brünette sah sich kurz etwas um, bevor sie auf den jungen Mann zukam, um die Couch herum ging und die beiden Tassen auf den Tisch stellte. Überrascht sah Hiroshi zuerst die beiden Gefäße und dann seine Cousine an, welche nur lächelte und sich neben ihm niederließ. „Dein Vater meinte, ich solle lieber mit dir zusammen Tee trinken“, erklärte sie und lehnte sich dann zurück, sodass sie beinahe auf dem Möbelstück fläzte, „Du scheinst dich mit Onkel Hiroki wirklich nicht mehr so gut zu verstehen. Was? Mama hatte da schon Mal was erwähnt.“ Der Blonde wandte den Blick ab und griff nach einer der beiden Tassen: „Es ist nicht so, als hätte ich mir die Situation so ausgesucht…“ Shina sah nicht einmal auf, sondern betrachtete etwas geistesabwesend ihre eigene Tasse, die noch auf dem Tisch stand: „Ich verstehe. Scheint als hätten wir alle unser Päckchen zu tragen…“ Irritiert richtete der junge Mann wieder seinen Blick auf seine Cousine, deren Gesichtsausdruck nun so wirkte, als würde sie etwas belasten. Von einem auf den nächsten Moment hatte sich ihre Stimmung gewandelt, was den Blonden verständlicherweise verwirrte. Auch auf dem Weg hierher war ihm zwischendurch immer mal wieder aufgefallen, wie Shina mit den Gedanken irgendwohin abdriftete. Sobald sie dann wieder im Hier und Jetzt war änderte sich dies allerdings wieder schlagartig und von ihrer Schwermut war nichts mehr zu spüren. So als würde sie innerhalb von Sekunden die Persönlichkeiten wechseln. „Sag mal“, der Blonde nahm einen Schluck von seinem Tee und beobachtete seine Cousine genau, „Kann es sein, dass dich etwas bedrückt? In der U-Bahn sahst du auch einige Male so aus, als würde dir irgendwas auf der Seele liegen.“ Da war es wieder. Mit einem Schlag verschwand der traurige Ausdruck auf dem Gesicht der Brünetten und sie sah ihren Cousin mit großen hellblauen Augen an, bevor sie ein Lächeln aufsetzte und ihn beruhigte, dass alles in Ordnung sei. Natürlich wusste Hiroshi, dass das nicht der Fall war und dass es etwas geben musste, was sie beschäftigte. Es war nicht nur das Telefonat, was er mitbekommen hatte, sondern auch ihr Verhalten. Auch wenn er manchmal wirklich unbeholfen war, solche Kleinigkeiten fielen ihm auf. Er beobachtete wie die junge Frau sich wieder richtig hinsetzte, nach ihrem Tee griff und kurz daran roch, bevor sie einen Schluck trank. Sie lächelte, doch für kurze Zeit erkannte er erneut diesen schwermütigen Blick, welcher jedoch innerhalb eines Wimpernschlages wieder verschwand. Auch weil sich die junge Frau noch einmal umsah. Ihr Blick blieb an der Jacke seiner Uniform hängen, welche an der Tür seines Kleiderschrankes hing. Vorsichtig stellte sie die Tasse wieder zurück auf den Tisch und wandte sich dann etwas um. „Auf welche Schule gehst du?“, fragte die junge Frau, den Blick nicht von der Jacke nehmend. Kurz schwieg Hiroshi und beobachtete weiter das Verhalten der Brünetten, bevor er die Tasse wieder abstellte und leise seufzte. Wenn sie nicht reden wollte, konnte er sie nicht zwingen, also würde er das Spiel einfach so mitspielen. „Auf die Jugôya High School“, antwortete er daraufhin, „Das ist eine private Oberschule in Jugôya-kû.“ Die junge Frau seufzte und legte ihren Kopf auf der Lehne der Couch ab, während sie mittlerweile schon fast darauf kniete: „Verstehe… du hast dich also auch für eine private anstatt einer staatlichen Oberschule entschieden. Waren die Aufnahmeprüfungen schwer?“ „Es ging. Aber ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung, wie ich das geschafft habe“, meinte der junge Mann und kratzte sich am Hinterkopf, was seiner Cousine jedoch nur ein Lachen entlockte, „Ich habe da was läuten hören, dass du auf so eine Privatschule für Superreiche gehst.“ Shina seufzte erneut und drehte sich um, woraufhin sie kurz darauf wieder mehr oder weniger fläzte: „Ja, die Suzuki Akademie. Die ist echt cool, hat viele Sportclubs und eine klasse Ausbildung. Allerdings ist der Unterricht echt knallhart. Wenn man da nicht mitkommt, bekommt man schnell Probleme.“ „Du wirkst nicht gerade glücklich darüber, dorthin zu gehen“, meinte Hiroshi nach einer kurzen Pause, woraufhin ihn die junge Frau wieder überrascht ansah. Dann setzte sie wieder ein fröhliches Lächeln auf: „Ach was. Na klar bin ich glücklich. Ich habe immerhin das Glück auf eine der besten Schulen des Landes zu gehen.“ Sie grinste, doch es wirkte nicht sehr echt. Hiroshi sagte jedoch nichts weiter dazu, sondern nahm seine Tasse wieder zur Hand. Doch gerade als er ansetzen wollte, um noch einen Schluck zu trinken, klingelte unvermittelt und in einer enormen Lautstärke sein Smartphone, weshalb er sich erschrak und einen Teil des Tees auf seinem Shirt verteilte. „Verdammte…“, begann er zu fluchen und schob noch ein paar unverständliche Wörter hinterher, während er seine Tasse zurück auf den Tisch stellte und nach seinem Smartphone griff. Verwirrt stellte er fest, dass ihn sein bester Kumpel Shuya anrief. Doch nicht das war es was ihn irritierte, sondern die Art, denn auf seinem Display stand etwas von Videoanruf. Die beiden hatten noch nie via Videoanruf telefoniert. Wieso auch, wo sie sich doch regelmäßig trafen? Er zog eine Augenbraue in die Höhe und nahm den merkwürdigen Anruf entgegen, woraufhin das grinsende Gesicht seines besten Kumpels auf dem kleinen Bildschirm erschien. „Jo Hiro!“, grüßte der Blau-Violetthaarige fröhlich. „Jo…“, Hiroshi war noch immer verwirrt und stellte gleich die erste Frage, die ihm in den Kopf kam, „Hast du dich wieder verlaufen?“ „Warum denkst du immer gleich, dass ich mich verlaufen habe, wenn ich dich anrufe?“, fragte der junge Mann mit beleidigter Miene, doch sprach sofort weiter, als er den allessagenden Blick seines Kumpels bemerkte, „Ja ja, schon gut… Schon verstanden.“ Neugierig schaute Shina über die Schulter ihres Cousins, um zu erkennen mit wem dieser sich unterhielt. Sie wusste zwar, dass es sich nicht gehörte, trotzdem wollte sie es unbedingt wissen, da ihr die Stimme am anderen Ende doch sympathisch war. Dadurch erschien sie allerdings mit in der Kamera, woraufhin nun auch Shuya auf sie aufmerksam wurde. „He?“, kam es langgezogen plötzlich von dem Älteren, der ein breites Grinsen aufgesetzt hatte, „Was ist denn da los? Du hast Frauenbesuch? Rufe ich ungünstig an? Und was ist mit Shingetsu? Hast du sie etwa aufgegeben?“ „Du verstehst das vollkommen falsch!“, unterbrach der Blonde seinen Kumpel, bevor dieser sich noch weiter in die Sache hineinsteigerte, „Das ist meine Cousine Shina. Sie ist heute bei uns zu Besuch. Also interpretier nicht ständig in alles etwas rein.“ „So?“, fragte sein Gegenüber, „Freut mich Shina-chan. Mein Name ist Shuya Nagase.“ „Freut mich auch, Nagase-kun“, sagte die junge Frau mit einem Nicken. „Hey, wollen wir heute Abend was zusammen unternehmen? Ihr wollt doch sicher nicht nur in der Bude hocken. Oder?“, fragte Shuya nach, als sei ihm gerade ein Geistesblitz gekommen. Hiroshi richtete einen fragenden Blick an seine Cousine, welche nur mit den Schultern zuckte und meinte, dass es schon schön wäre, wenn sie noch etwas unternehmen könnten. Der Blonde blickte wieder auf sein Smartphone und fragte, was seinem Kumpel denn so vorschwebte. Grinsend schlug dieser einen Besuch in einer Karaokebar vor, immerhin hatten sie das schon lange nicht mehr gemacht. Leise stöhnend erinnerte sich Hiroshi an das erste und letzte Mal, dass er mit Shuya beim Karaoke war. Für ihn war es mehr eine Katastrophe gewesen, da er absolut nicht singen konnte. Ganz davon abgesehen, dass er die meisten Texte der typisch japanischen Lieder gar nicht kannte. Wahrscheinlich war es traurig, dass er sich weniger mit der Popkultur seines eigenen Landes beschäftigte, als mit der anderer Länder, aber mit der Musik der Popsternchen konnte er einfach nichts anfangen. Trotzdem war es damals auch ein lustiger Abend gewesen, weshalb er wieder einen Blick mit Shina tauschte, die der Idee auch nicht abgeneigt schien. Freudig war so also entschieden, dass sie gemeinsam zum Karaoke gehen würden. Doch eines störte den Blonden dann doch. „Sieht das nicht merkwürdig aus, wenn ein junges Mädchen alleine mit zwei Kerlen zum Karaoke geht?“, fragte er in die Runde. „Meinst du?“, schob Shuya eine Frage nach, „Naja… wahrscheinlich hast du Recht. Aber ist ja kein Problem. Dann fragen wir noch eines der anderen Mädels. Wie wäre es mit Shingetsu?“ „Li-lieber nicht. Das endet nur in einer Katastrophe“, antwortete Hiroshi mit leicht roten Wangen, „Wie wäre es mit Kuraiko?“ Der Blau-Violetthaarige seufzte: „Wenns nach mir ginge sofort… aber du weißt, wie sie ist. Wenn ich sie fragen würde, würde sie mir den Kopf abreißen.“ „Ja wahrscheinlich…“, der Blonde konnte sich regelrecht vorstellen, wie die Schwarzhaarige seinen besten Kumpel über Telefon rund machen würde, weil er auf die Idee kam sie zu so etwas einzuladen, „Hm…“ „Hm… warst du nicht früher mit einem Mädchen befreundet?“, mischte sich Shina ein und schien zu überlegen, „Ihr habt doch früher ständig aufeinander gehockt. Wie hieß sie noch?“ „Du meinst Akane?“, hakte Hiroshi nach, woraufhin seine Cousine nickte und nachfragte, ob sie denn noch befreundet waren. Auch er beantwortete die Frage nur mit einem Nicken und überlegte kurz. An seine Sandkastenfreundin hatte er in diesem Moment gar nicht gedacht. Wieso konnte er gar nicht genau sagen, immerhin kannten sie sich schon so lange und er wusste, dass sie für solch einen Spaß definitiv zu haben war. Jedenfalls war das eine gute Alternative, zumal Akane Shina auch noch von früher kannte, immerhin war sie häufig mit bei seinen Großeltern, wenn sie diese besucht hatten. Und sofern sie nichts vorhatte, würde sie garantiert mitkommen. Deshalb beschloss der Blonde sie anzurufen, sobald er alles weitere mit Shuya geklärt hatte. Deshalb versicherte er seinem besten Kumpel diesen sofort anzurufen, wenn er mit Akane gesprochen hatte und legte dann auf, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Am frühen Abend fanden sich die vier dann in Jugôya-kû vor einer Karaokebar namens Shadô ein. Akane hatte diese Bar vorgeschlagen, da sie von dieser nur Gutes gehört hatte. Etwas hatte bei Hiroshi geklingelt, als er den Namen vernommen hatte, jedoch konnte er nicht sagen was es war, weshalb er ohne weiter darüber nachzudenken zustimmte. Das ungute Gefühl, welches er dabei empfand, verging allerdinge bis zur letzten Sekunde nicht. „Shadô…“, las Shina, „Ein ungewöhnlicher Name. Aber sieht interessant aus.“ Akane grinste und schob ihre Freunde in Richtung der Eingangstür: „Dann lasst uns keine Zeit verlieren.“ Ein kleines Glöckchen erklang, als die vier Oberschüler die Tür öffneten und in einen großen Empfangsbereich, welcher in Schwarz- und Blautönen gehalten war traten. Der schwarze Teppich mit dem dezenten blauen Muster sorgte dafür, dass ihre Schritte regelrecht geschluckt wurden. Ihnen genau gegenüber befand sich der Anmeldetresen, hinter welchem ein schlanker junger Mann saß, dessen dunkelbraune nackenlange Haare von auffällig blonden Strähnen durchzogen waren. Er blickte von seinem Bildschirm auf, als er das Glöckchen vernahm und lächelte die Neuankömmlinge freundlich an. „Herzlich Willkommen im Shadô. Hattet ihr reserviert?“, fragte er freundlich. „Ja, ich hatte vorhin angerufen“, trat Akane vor und ging zu dem Älteren, um alles Weitere zu klären. Hiroshi und die anderen blieben auf Abstand noch im Eingangsbereich stehen und sahen sich weiter um. Zu ihrer Linken befand sich ein großer Wartebereich, welcher mit einigen schwarzen Sofas, Sesseln und Couchtischen ausgestattet war. Die Nähte der Sofas und Sessel waren mit blauen Nahtbändern verziert, während in die schwarzen Tische blaue Glasplatten eingesetzt waren, die so verarbeitet waren, dass sie wirkten als seien sie zersplittert. Zusätzlich wurden diese noch von unten beleuchtet, wodurch dieser Effekt noch etwas mehr zum Vorschein kam. Gegenüber der Sitzecke hing ein großer Flachbildfernseher an der Wand, auf welchem ein Musiksender lief, durch welchen auch die ganze Bar leise mit Musik bespielt wurde. Akane gesellte sich unterdessen wieder zu der Gruppe und führte die Drei zu genau diesem Wartebereich. Währenddessen erklärte sie, dass sie noch ein paar Minuten warten mussten und gleich geholt wurden. Doch kaum hatte sie ausgesprochen, war Shuya etwas ins Auge gefallen, weshalb er sich überrascht umdrehte: „Na so was. Das ist ja eine Überraschung, dich hier zu treffen, Shingetsu.“ In diesem Moment traf es Hiroshi wie der Schlag und ihm fiel wieder ein, woher er den Namen der Karaokebar kannte: Mirâ hatte hier einen Nebenjob. Nun wurde ihm auch klar, wieso Akane unbedingt hierher wollte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es Zufall war, dass die Brünette sich für diese Bar entschieden hatte. Mit Sicherheit hatte sie gewusst, dass ihre Teamleaderin an diesem Abend Schicht hatte und sie definitiv auf sie treffen würden. Langsam drehte er sich um und bekam beinahe einen Herzstillstand, als er die junge Frau in ihrer Arbeitskleidung sah, welche aus einem schwarz-blauem kurzen und ärmellosen Kleid bestand, welches stark an eine Cheerleader-Uniform erinnerte, allerdings etwas länger war. Außerdem hatte es eine Art Hemdkragen, um welchen die junge Frau eine weiße Krawatte trug. Auf der rechten Brust prangerte das Logo ihres Arbeitgebers. Dazu trug sie ein paar blaue schmale Turnschuhe. Ihre ungestümen Haare hatte sie anders als sonst, zu einem normalen Pferdeschwanz gebunden, was ihr auch sehr gut stand, wie er fand. Die junge Frau wirkte genauso geschockt und kurz darauf bestätigte sich auch seine Vermutung, dass dieses Treffen kein Zufall war. Denn als Akane auf die junge Frau zuging, bemerkte Hiroshi, wie diese ihre Freundin heftig in die Hand kniff und mit bösem Blick etwas zu ihr sagte. „Was ist denn los? Kennt ihr euch?“, fragte plötzlich Shina und holte ihn aus seinen Gedanken. Sofort war er mit seinen Gedanken wieder bei seiner Cousine, an die er in diesem Moment gar nicht mehr gedacht hatte. Irritiert blickte er zu der Brünetten und dann wieder zu Mirâ, welche seiner Meinung nach für einen Moment mächtig geschockt aussah. Jedoch verschwand dieser Ausdruck innerhalb von wenigen Sekunden wieder, als der junge Mann vom Tresen nachfragte, ob denn alles in Ordnung sei. Sofort setzte die junge Frau ein freundliches Lächeln auf und hieß ihre Gäste herzlich willkommen, bevor sie diese zum reservierten Raum brachte. Mit mulmigem Gefühl folgte der junge Mann seiner Klassenkameradin und wünschte sich, er hätte der ganzen Sache nicht zugestimmt. Man spürte regelrecht wie wütend sie war. Wahrscheinlich dachte die Violetthaarige, dass sie hergekommen waren um sie zu ärgern. Dabei war das nicht einmal sein Ersinnen gewesen, immerhin hatte er gar nicht mehr daran gedacht, dass sie hier arbeitete. Ein Ellenbogen eckte ihn in die Seite, woraufhin er zu Shina blickte, die neben ihm herlief: „Dieses Mädchen… kennt ihr euch?“ Der Blonde seufzte: „Ihr Name ist Mirâ Shingetsu. Sie ist eine sehr gute Freundin von uns und wir gehen in die gleiche Klasse.“ „Oh…“, brachte die Brünette nur heraus und blickte dann wieder auf die Violetthaarige vor sich, „Ist sie das Mädchen, dass du magst?“ Mit einem Schlag wurde der junge Mann knallig rot und wandte seinen Blick von seiner Begleitung ab, was ihr ein Lächeln abrang, da dieses Verhalten einiges erklärte. Einige Minuten später hatten sie den Raum erreicht und es sich bequem gemacht, während Mirâ sie nach ihren Getränkewünschen fragte. Während seine Freunde sofort wussten, was sie bestellen wollten, hatte sich der Blonde die Karte gegriffen. Auch um sein immer noch rotes Gesicht zu verbergen. Doch nachdem er gewählt hatte griff plötzlich eine Hand von rechts her über ihn hinweg nach der Karte, woraufhin seine Cousine beinahe auf ihm drauf saß. Erschrocken ließ er beinahe die Karte fallen, die ihm Shina aus der Hand angelte und konnte nicht anders, als mit ihr zu schimpfen: „Was soll das Shina? Sag doch was!“ Mit einem Plumpsen ließ sich die Brünette zurück auf den Sitz fallen und sah ihn entschuldigend an: „Du warst so vertieft…“ Sie überlegte kurz und entschied sich letzten Endes für einen Gerstensaft, bevor sie sich noch einmal direkt an Mirâ wandte: „Dein Name ist Mirâ. Oder? Hiro hat mir erzählt, dass ihr befreundet seid. Tut mir leid, dass wir hier einfach so aufgekreuzt sind. Das ist sicher etwas unangenehm. Ich heiße Shina Minatsuki. Auch wenn die Situation etwas… komisch ist. Es freut mich dich kennen zu lernen, Shingetsu-chan.“ Die Violetthaarige stoppte in ihrem Tun und sah Shina überrascht an: „Mi-mich auch, Minatsuki-chan. Ähm… darf ich fragen, woher ihr euch kennt? I-ich meine, du scheinst nicht auf unsere Schule zu gehen und…“ Diese erwiderte den Blick der jungen Frau einen Moment und grinste dann: „Ach so ja. Ich bin zu Besuch bei Hiro. Eigentlich lebe ich in Aehara.“ „Z-zu Besuch?“, fragte Mirâ leicht geschockt. Gerade noch so konnte sich Hiroshi davor bewahren laut loszuschreien, aufgrund der ziemlich zweideutigen Aussage seiner Cousine. Stattdessen seufzte er laut und legte sich die Hand an die Stirn. Er musste die Situation irgendwie retten und kniff der Brünetten in den Unterarm, welche schmerzhaft zusammenzuckte. „Hör auf das so komisch zu erzählen, du dumme Ziege. Mirâ, versteh das nicht falsch. Shina ist meine Cousine. Mein Vater hat sie eingeladen uns zu besuchen. Deshalb ist sie hier“, versuchte er die Situation noch irgendwie in den Griff zu bekommen. Doch anstatt einer Antwort zuckte er nur erschrocken zusammen, als die Tür des Raumes plötzlich lautstark ins Schloss gestoßen wurde. Die junge Frau, die dort kurz zuvor noch gestanden hatte, war nun verschwunden. Murrend wischte sich der junge Mann übers Gesicht, da er genau solch eine Situation versucht hatte zu verhindern. Es tat ihm wirklich unendlich leid die Violetthaarige in solch eine Situation gebracht zu haben, obwohl er nicht einmal wirklich schuld daran war. Er konnte nur hoffen, dass Mirâ ihm diese Sache jemals verzeihen würde. Kapitel 88: LXXXVIII – Die Zwei Seiten der Medaille --------------------------------------------------- Sonntag, 06.September 2015 „Da bin ich“, grüßte Mirâ ihre beste Freundin, welche ihr breit lächelnd die Tür geöffnet hatte. Die Violetthaarige erwiderte dieses Lächeln jedoch nicht, sondern sah ihr Gegenüber nur mit einem missmutigen Blick an. Sie stand vor der Praxis von Akanes Eltern und war ursprünglich hier mit der Brünetten verabredet. Doch wirklich Lust hatte sie nun nicht mehr darauf. Nachdem ihre beste Freundin sie am Vorabend so hatte auflaufen lassen, hätte sie die Verabredung an diesem Tag am liebsten sofort abgesagt. Jedoch stand dieser Tag bereits seit einiger Zeit fest, weshalb sie trotz mieser Laune hier aufgeschlagen war. Akane bemerkte die miesgelaunte Stimmung der jungen Frau und schlug sofort die Hände zusammen. „Gomen. Ich wollte dich gestern nicht in Verlegenheit bringen. Ich wusste doch nicht, dass du unsere Bedienung werden würdest. Eigentlich dachte ich ja, dass wir dich nur kurz sehen würden“, entschuldigte sie sich sofort, woraufhin ihr gegenüber jedoch nur schnaubte. „Als hätte das etwas an der Situation geändert...“, meinte sie nur leicht genervt, „Du wusstest genau, dass ich Schicht habe und hast Hiroshi-kun und Nagase-kun bewusst ins Shādo gebracht. Weißt du eigentlich wie peinlich das war? Und dann noch die Aktion mit Minatsuki-san. Ich habe mich deshalb zum absoluten Trottel gemacht.“ „S-So ein Quatsch“, versuchte die Brünette ihre Kameradin zu beruhigen, was nur bedingt klappte. Sie musste zugeben, dass ihre Idee nicht so aufgegangen war, wie sie sich das erhofft hatte. Eigentlich war es ihr Ziel gewesen Hiroshi ein wenig zu necken und aus der Reserve zu locken, immerhin war das Shādo für seine Uniformen bekannt, die die Mädels dort trugen. Sie war sich sicher gewesen, dass ihr Kumpel vollkommen überrumpelt gewesen wäre, wenn er seinen Schwarm in diesem Aufzug sah. Das hatte zwar auch funktioniert, jedoch war die Kehrseite der Medaille, dass ihre beste Freundin nun sauer auf sie wer und das zu Recht. Dann war da noch die Sache mit Shina gewesen. Als Hiroshi sie angerufen hatte, dass seine Cousine zu Besuch war und sie überlegten etwas zusammen zu unternehmen war sie natürlich sofort Feuer zu Flamme gewesen. Als sie noch Kinder waren hatten die drei oft gemeinsam bei Hiroshis Großeltern im Garten gespielt. Auch in dieser Situation hatte die Brünette nicht weit genug gedacht. Sie wusste ja, dass Mirâ auf irgendeine Weise Gefühle für den Blonden hegte, selbst wenn sie es bisher verleugnete und immer noch Masaru nachrannte. Das sie jedoch jedes Mal eifersüchtig wurde, sobald sie den jungen Mann mit einem anderen Mädchen sah, war ihr nicht nur einmal aufgefallen. Und auch in dieser Situation hatte ihre Freundin mit ihrer Eifersucht zu kämpfen gehabt und dieses Mal war es endgültig eskaliert. Dass sich ihre Freundin dafür zutiefst schämte, war gestern nur allzu gut zu erkennen gewesen. Und dann musste sie die Gruppe auch noch den ganzen Abend bedienen. Mirâ hatte also allen Grund auf sie sauer zu sein. Geschlagen seufzte sie und setzte das reumütigste Gesicht auf, was sie zu bieten hatte. „Bitte verzeih mir Mirâ!“, bat sie noch einmal mit gesenktem Kopf und zusammengeschlagenen Händen, „Ich mach es wieder gut. Ich verspreche es.“ Die Violetthaarige hatte beleidigt ihr Gesicht abgewandt und sah ihre Freundin nun mit einem Seitenblick an, welche in genau dieser Position verharrte. Erst als sie ein geschlagenes Seufzen vernahm, wagte sie es langsam aufzuschauen. Die Oberschülerin hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und die Augen geschlossen und wirkte dabei so, als würde sie überlegen was sie nun machte. Dann seufzte sie noch einmal und gab sich geschlagen. „Na gut. Dafür lädst du mich mal auf Tee und Kuchen ein. Und zwar ins Café Charbon in der Innenstadt“, sagte sie anschließend mit dem Wissen, dass dieses französische Café wirklich teuer war. „EH? Aber das ist doch dieser superteure Laden, der europäische Süßigkeiten verkauft“, schimpfte Akane geschockt, doch seufzte nach einer kurzen Pause und gab sich dann geschlagen, „Na gut…“ Ein breites Grinsen legte sich auf das Gesicht der Violetthaarigen: „Gut. Dann verzeih ich dir.“ „Hehe…“, lachte die Brünette nur bedröppelt, während Mirâ an ihr vorbei in die Praxis trat und sich dann umsah. Die Oberschülerin stand inmitten eines recht großen Wartezimmers. Zu ihrer Rechten war ein weißer Tresen, auf dem mehrere Prospekte zur Tierpflege standen. Dahinter erkannte sie einen Arbeitsplatz mit Computer, welcher an diesem Tag jedoch leer war. Auf der anderen Seite erstreckte sich der Raum ein wenig nach Links und schloss mit einer weißen Wand ab, in die eine Tür eingelassen war, wo „Privat“ draufstand. Anscheinend handelte es sich dabei um den Durchgang zum Wohnhaus der Familie Chiyo. Ansonsten unterschied sich der Rest des Raumes nicht wirklich von anderen Wartezimmern, mit der Ausnahme das hier und da ein leerer Wassernapf stand. Mirâ richtete ihren Blick wieder nach vorn, links am Tresen vorbei und erkannte an der Wand ihr gegenüber mehrere Türen mit Fenstern im oberen Drittel. Hinter dem Empfang verlief ein Gang, welcher wohl zu weiteren Räumlichkeiten führte. Hinter ihr schloss Akane wieder die Praxistür und stellte sich dann neben sie. „Willkommen in meiner Welt“, lachte sie anschließend, „Danke, dass du mir heute hilfst.“ Die Oberschülerin schüttelte den Kopf: „Schon okay. Ich wollte schon immer mal sehen, wie das in einer Tierpraxis so abläuft. Auch wenn ihr heute geschlossen habt.“ „Die Praxis ist zwar geschlossen, aber Arbeit ist immer da. Wir haben einige Tiere zur Pflege hier, die natürlich auch am Sonntag verpflegt werden müssen“, erklärte Akane den heutigen Tagesablauf, „Also werden wir uns vorrangig darum kümmern.“ Mit einem Lächeln nickte Mirâ und beobachtete wie Akane vorging und sich schon einmal die Ärmel hochkrempelte, bevor sie dieser folgte. Vor einigen Tagen hatte ihre Freundin sie schon einmal gefragt, ob sie ihr denn nicht mal helfen wolle, wenn sie in der Praxis aushalf. Anfangs war sich Mirâ nicht sicher, ob das eine so gute Idee war, immerhin hatte sie keine Ahnung von Tieren. Die Brünette jedoch hatte sie beruhigt und ihr versichert, dass es nichts Weltbewegendes wäre und sie ihr alles erklären würde. Außerdem konnten sie so mal wieder einen Tag zusammen verbringen. Das war natürlich ein Argument gewesen, dass auch der Violetthaarigen zusagte, denn so wirklich viel Zeit nur mit Akane hatte sie in den Sommerferien nicht verbracht. Meistens waren sie als komplette Gruppe oder im Dungeon unterwegs gewesen. Häufig hatten sie auch beide schon etwas anderes vorgehabt. Deshalb mussten sie die letzten Tage der Sommerferien noch einmal nutzen. Und hier konnte sie sogar noch etwas Gutes tun und den Tieren helfen. Sie nickte mit einem Lächeln und schob ihre Ärmel auch etwas nach oben, während sie ihrer Freundin durch den Gang hinter der Anmeldung folgte. Diese führte sie durch eine Tür in einen weiteren Gang, in welchem zu beiden Seiten jeweils drei Türen abgingen. Große Glasfenster gewährten einen Blick in die sechs Räume, welche durch hohe Deckenlichter an den Außenwänden erhellt wurden. Akane stoppte vor dem letzten Raum zu ihrer Linken und winkte die Violetthaarige zu sich, die der Bitte nachkam und an ihre Freundin herantrat. Neugierig blickte sie durch das große Fenster und erkannte einen kleinen Shiba, der freudig hechelte und mit dem Schwanz wedelte. Um seine linke Hinterpfote war ein dicker Verband gewickelt. „Das ist Aya. Sie ist letzte Woche beim Spazierengehen in ein Erdloch gestürzt und hat sich dabei die Hinterläufe gebrochen. Zum Glück nichts extrem Schlimmes, aber der Bruch war offen und sie kaut ständig am Verband, weshalb meine Eltern sie hierbehalten haben. Nachher müssen wir mit ihr noch eine Runde um den Block gehen“, erklärte Akane anschließend, „Sie bekommt aber jetzt erstmal Wasser und Futter. Wenn wir reingehen darfst du dich nicht erschrecken. Sie ist Fremden gegenüber etwas mürrisch. Kann sein, dass sie kurz bellt. Am besten ist, wenn du ihr Anfangs nicht zu viel Aufmerksamkeit schenkst, sonst schwänzelt sie dir die ganze Zeit zwischen den Füßen rum. Ach so… und wir müssen uns beeilen, wenn wir reingehen, sonst ist sie schneller draußen, als uns lieb ist.“ Mirâ nickte, während Akane nach einem Behälter griff, vorsichtig die Tür öffnete und durch einen Schlitz hineinschlüpfte. Die Violetthaarige tat es ihr gleich und schloss hinter sich sofort die Tür. Sofort begann ein ziemliches Gebell. Kurz blickte die junge Frau auf den kleinen Shiba, welcher breitbeinig aufgebaut vor ihr stand und sie von unten hinauf anbellte. Ein Zupfen an ihrem Ärmel ließ sie den Blick jedoch abwenden und zu Akane schauen, die ihr einen silbernen Napf vorhielt, in dem sich noch ein wenig Wasser befand: „Hier. Würdest du das wechseln? Rechts in der Ecke ist ein kleines Waschbecken, da kannst du den Napf ausspülen und frisches Wasser einfüllen.“ Nickend nahm Mirâ den Napf entgegen und wandte sich dann ab, um das erwähnte Waschbecken zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis sie Gesuchtes gefunden hatte, jedoch war der Weg dahin ein Problem. Der kleine Shiba sprang ihr bellend zwischen den Füßen umher. Dabei waren seine Bewegungen so unlesbar, dass sie ihre Mühe und Not hatte ihn nicht zu treten. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie es endlich geschafft das Becken zu erreichen, jedoch ließ der Kleine einfach nicht von ihr ab. Ein leises Pfeifen erklang, woraufhin plötzlich Stille einkehrte und der Hund den Blick abwandte, um zu Akane zu schauen. Diese rief ihn mit einem kleinen Leckerli in der Hand zu sich. Kurz zögerte Aya, doch entschied dann, dass das Leckerli wohl besser war, als eine fremde Person anzubellen. So zog sie ohne weiteres von dannen und rannte zu der Brünetten, die ihr den kleinen Leckerbissen verabreichte und ihr dann über den Kopf strich. „Braves Mädchen“, lachte sie, „Du brauchst keine Angst zu haben. Die Tante tut dir nichts. Sieh, sie gibt dir nur frisches Wasser.“ Mirâ stellte den Napf mit dem frischen Wasser auf den Boden, an die Stelle, wo Akane ihn entfernt hatte, und spürte dabei die ganze Zeit den Blick des Hundes auf sich. Noch einmal strich ihr die Brünette über den Kopf und erhob sich dann langsam: „Wir gehen nachher nochmal raus. Ja? Gedulde dich bis dahin noch etwas, Aya.“ Ohne weiteres schritt sie an dem kleinen Hund vorbei, welcher sich mit schiefgelegtem Kopf auf seinen Hintern setzte und beobachtete, was sie nun tat. Dabei berührte sie vorsichtig Mirâs Arm, um ihr zu bedeuten ihr zu folgen. Kurz darauf standen sie wieder in dem Gang und Mirâ atmete erst einmal kurz durch. Es war nicht so, dass sie Angst vor Hunden hatte, allerdings mochte sie es überhaupt nicht, wenn diese sie so unvermittelt anbellten. Wobei sie sich nicht wundern musste, immerhin war sie in sein Territorium eingedrungen und nicht andersherum. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, woraufhin sie zu ihrer besten Freundin schaute, die sie anlächelte: „Das hast du doch schonmal gut gemacht. Du solltest dir deine Nervosität nur nicht so anmerken lassen.“ „Das sagt sich so einfach. Du hast damit ja auch Erfahrung“, seufzte Mirâ, woraufhin allerdings nur ein Lachen als Antwort folgte. Die Brünette klopfte ihr noch einmal auf die Schulter und setzte sich dann wieder in Bewegung zum nächsten Raum. Die Violetthaarige tat es ihr gleich und so verbrachten die beiden jungen Frauen den Vormittag damit die einzelnen Räume sauber zu machen und den Tieren, die darin zur Pflege waren, Futter und Wasser zu geben. Wie Mirâ im Laufe des Tages noch erfahren sollte, hatte der Leckerli, den Aya bekommen hatte, den Zweck, dass sie ihre Medikamente nahm. Tiere waren sehr intelligent und genau wie Menschen nahmen sie ungern etwas, was ihnen nicht geheuer war. In dem Fall Medikamente. Es war schwierig den Tieren dieses über ihr reguläres Futter zu verteilen, da vor allem Hunde, oft den Braten rochen und das Nassfutter nicht anrührten sobald etwas darin war. Oft blieb auch noch vieles über, sodass sie das Medikament nicht in der vollen Dosis nahmen. Mehr einzumischen war jedoch auch keine Option, weil man nie wusste, ob das Tier am Ende nicht doch alles fraß. Deshalb verabreichten sie den Tieren meistens Medikamente in Tablettenform, die sie in kleinen Leckerbissen versteckten. Das klappte meistens am besten. Im Laufe des Vormittags stießen auch noch Akanes Eltern hinzu und erledigten die Dinge, die die beiden Oberschüler nicht erledigen konnten. So musste die Violetthaarige feststellen, dass es in einer Tierpraxis wohl immer irgendetwas zu tun gab. Am frühen Nachmittag waren die beiden jungen Frauen mit ihrer Arbeit fertig und wurden zu Tee und Gebäck gerufen. Gemeinsam mit Akanes Eltern saßen sie im Wohnzimmer auf der bequemen hellen Couch und genossen frisch aufgebrühten grünen Tee und dazu passendes Gebäck. „Vielen Dank für deine tolle Hilfe, Mirâ-chan“, bedankte sich Akanes Mutter bei der Violetthaarigen, welche sie kurz überrascht ansah. „G-Gerne. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht, Chiyo-san“, sagte sie anschließend mit einem freundlichen Lächeln, „Ich habe eine Menge gelernt und wirklich sehr viel Respekt für ihre Hingabe für all die Tiere. Ich kann gut verstehen, wie Akane zu einem solchen Tierfreund werden konnte.“ Die Erwähnte lief plötzlich rot an und wandte etwas beleidigt den Blick ab: „N-nun übertreib mal nicht.“ Ihr Vater lachte: „Ja, Akane war schon immer so aufopferungsvoll, wenn es um Tiere ging. Nicht umsonst haben wir mittlerweile vier Katzen. Ich bin gespannt, wie viele es noch werden.“ Mirâ lächelte auf die Aussage des älteren Mannes nur, während Akane mit ihm schimpfte, dass das so klang, als würde sie jeden dahergelaufenen Streuner aufnehmen. Ein Lachen entkam ihrem Vater, in welches auch ihre Mutter mit einstimmte. Die Braunhaarige jedoch verschränkte nur beleidigt die Arme vor der Brust. Mirâ konnte ihr ansehen, dass sie sich leicht veralbert vorkam, doch nach nur wenigen Sekunden verflog dies wieder und die junge Frau stimmte ebenso mit ins Lachen ein. Das Klingeln eines Telefons unterbrach diese ausgelassene Stimmung jedoch jäh. Erschrocken blickten alle Anwesenden auf das schwarze Smartphone auf dem Tisch, welches unter lautem Klingeln und Vibrieren über den Tisch rutschte. Akanes Vater, welcher dem Gerät am nächsten saß griff danach und nahm das Telefonat entgegen. „Tierpraxis Chiyo. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er und wartete einen Moment, bevor sein Blick ernst wurde, „Ja ich verstehe. Bringen Sie ihn vorbei, meine Frau wird Sie in Empfang nehmen.“ Während er telefonierte hielt er Blickkontakt zu seiner Frau, welche nur nickte und sich dann erhob: „Tut mir leid ihr beiden. Wie es scheint kommt ein Notfall rein. Trinkt ruhig weiter euren Tee. Wenn ihr noch etwas Gebäck haben wollt, dann könnt ihr euch welches aus der Küche holen.“ „Braucht ihr irgendwie Hilfe?“, fragte Akane nach. Der ältere Mann hatte mittlerweile das Telefonat beendet und erhob sich ebenfalls aus seinem Sessel: „Nein schon gut. Das bekommen wir alleine hin. Kümmere dich um deine Freundin, Akane.“ Daraufhin verließen beide Erwachsene den Raum, woraufhin man kurz darauf hörte, wie die Tür zur Praxis ins Schloss fiel. Die Brünette sah ihren Eltern kurz nach und seufzte dann. Überrascht blickte Mirâ zu ihrer Freundin: „Ich dachte ihr habt heute geschlossen…“ Zwei tiefgrüne Augen richteten sich auf sie, während ihr deren Besitzerin erklärte, dass dies zwar richtig sei, ihre Eltern allerdings eine Art freiwillige Bereitschaft hatten. So arbeiteten sie eng mit der großen Tierklinik in Hansha-ku zusammen, wo sie früher gearbeitet hatten, und nahmen auch mal Notfälle an, wenn die Klinik überlastet war. Natürlich kümmerten sie sich dabei nur um Tiere, mit denen sie sich auskannten. Von bestimmten exotischen Tieren ließen sie die Finger. Zwar hatten sie damit in ihrer Zeit in der Klinik auch zu tun gehabt, jedoch waren das eher die seltenen Fälle gewesen. Und das Risiko ihnen noch mehr Leid zuzufügen, war ihnen dann doch zu hoch. „Deine Eltern lieben Tiere wirklich über alles. Was?“, stellte die Violetthaarige fest und lächelte, „Ich kann wirklich verstehen, wieso auch du Tiere so sehr liebst.“ Ihre beste Freundin sagte nichts dazu, allerdings merkte man ihr an, dass ihr die Aussage unangenehm war, denn die leichte Röte in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. Eine angenehme Wärme breitete sich in Mirâs Inneren aus. Vorsichtig berührte sie die Stelle an ihrer Brust, wo ihr Herz schlug, während ihr bewusst wurde, dass sie ihre Freundin noch ein kleines Stück besser zu verstehen gelernt hatte. Der Himmel verfärbte sich bereits orange, als sie von ihrer besten Freundin noch ein kleines Stück auf dem Heimweg begleitet wurde. Sie hatten einen schönen Tag zusammen verbracht, an dem sie einen intensiven Blick in den Alltag der Familie der Brünetten werfen durfte. Für sie war dieser Tag angenehm und lehrreich zugleich und sie freute sich darüber, so viel über verschiedene Tiere gelernt zu haben. „Ah…“, stoppte Akane plötzlich, während sie ein Stück am Fluss entlanggingen, „Da ist Yasuo-senpai.“ Mirâ folgte dem Blick ihrer besten Freundin und erkannte daraufhin auch den älteren Schüler, wie er, wie so häufig, auf dem Hang zum Flussbett saß und seinen Hund zu beobachten schien, der sich am Wasser vergnügte. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie wieder zu der Brünetten sah, auf deren Wangen sich ein leichter rosa Schimmer gebildet hatte. „Wollen wir zu ihm? Ist ja noch etwas Zeit, bis ich zu Hause sein muss“, ohne jedoch auf eine Antwort zu warten, hatte sich die Schülerin bereits in Bewegung gesetzt und war auf den Blauhaarigen zugelaufen. Akane wollte erst protestieren, doch folgte dann ohne ein weiteres Wort, denn wenn sie ehrlich war freute sie sich sogar ihren Senpai zu sehen. Es dauerte einige Minuten, doch dann waren sie bei dem jungen Mann angekommen, welcher sie noch gar nicht bemerkt hatte. Geistesabwesend starrte er auf einen Punkt in der Ferne, während er über seine orangenen großen Kopfhörer Musik zu hören schien. Dass er wohl doch nicht Bêju zu beobachten schien merkte man daran, dass es nur wenige Sekunden dauerte, bis dieser plötzlich neben Akane erschien und diese stürmisch begrüßte. Aber auch das bekam der Blauhaarige nicht mit. Irritiert sahen sich die beiden Mädchen kurz an, bevor Akane sich dem hellen Hund zuwandte und ihn im Nacken kraulte. „Na Bêju. Was ist denn mit deinem Herrchen los?“, fragte sie und erhob sich dann, um direkt neben den jungen Mann zu treten und ihm unvermittelt, aber vorsichtig die Kopfhörer von den Ohren zog. Erschrocken kehrte dieser daraufhin in die Realität zurück und sah fragend auf, woraufhin sein Blick auf Akane fiel. „Guten Abend, Senpai. Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie vorsichtig nach, woraufhin ihr Gegenüber sie jedoch einige Sekunden mit großen Augen ansah und erst einmal verstehen musste, was überhaupt los war. Einige Zeit später saßen die drei Oberschüler nebeneinander auf dem Hang und beobachteten Bêju, der wieder damit beschäftigt war durch den flachen Teil des Flusses zu toben. Starr hatte Yasuo seinen Blick wieder auf den Hund gerichtet und schien mit den Gedanken wieder woanders, dieses Mal allerdings nicht so weit weg, wie noch vor wenigen Minuten. Dabei wirkte er niedergeschlagen. In seinen Augen spiegelte sich Traurigkeit und Wehmut und Mirâ fragte sich, was den älteren Schüler wohl bedrückte. „Ist bei dir alles in Ordnung, Senpai? Du wirkst du niedergeschlagen und abwesend.“, fragte sie schlussendlich vorsichtig nach, „Ist etwas Schlimmes passiert?“ Eine kurze Stille folgte, bevor der Blauhaarige den Blick von seinem Hund nahm und diesen auf seine Füße vor sich richtete: „Nein, es ist nichts passiert. Es ist eher der Tag…“ „Wie meinst du das, Senpai?“, fragte Akane mit schiefgelegtem Kopf nach, „Hattest du einen schlechten Tag?“ Ein kaum erkennbares Lächeln legte sich auf Yasuos Lippen, welchem ein ganz leises Kichern folgte, bevor er die Augen schloss und meinte, dass diese Aussage typisch für die junge Frau war. Dann wurde sein Blick jedoch wieder ernst und er schüttelte den Kopf. „Nein… wisst ihr…“, begann er plötzlich, „Heute ist… der Todestag meiner Mutter. Sie litt an einer unheilbaren Krankheit und starb vor sechs Jahren daran. Ich musste einfach an sie denken.“ Er wandte sein Gesicht dem orangefarbenen Himmel zu und beobachtete dann die vorbeiziehenden Wolken. Überrascht sahen die beiden Jüngeren ihn an und schienen einen Moment zu brauchen, um zu registrieren was sie gehört hatten. Bisher hatten sie angenommen, dass Yasuos Mutter noch lebte und ihn nur zu seinen Großeltern abgeschoben hatte. Das jedenfalls hatten sie dem Brief entnommen, den sie in dessen Dungeon gefunden hatten. Ihnen war nie in den Sinn gekommen, dass es anders hätte sein können. Trotzdem machte der Brief dann keinen Sinn. „Andererseits waren es nur Ausschnitte und wir haben nie den Rest lesen können, weil ein Shadow ihn vernichtet hat“, ging der Violetthaarigen durch den Kopf. Das Sinnvollste wäre es wohl gewesen ihren Senpai deshalb zu fragen, jedoch empfand sie das in dieser Situation als unsensibel. Doch bevor sie sich etwas anderes überlegen konnte, hatte ihre beste Freundin bereits wieder aus dem Bauch heraus gehandelt. „U-Und was war das dann für ein Brief in deinem Dungeon?“, hatte sie plötzlich gefragt und Mirâ damit aus ihren Gedanken gerissen, die sie nur irritiert ansah. Der Brünetten schien das nicht einmal aufzufallen, während sie ihren Senpai mit großen grünen Augen ansah. Dieser wirkte ebenso verwirrt und schien einen Moment zu brauchen, um zu verstehen, welchen Brief die Jüngere überhaupt meinte. Er zwang sich ein kleines Lächeln ab: „Das ist irgendwie auch typisch für dich… Ihr habt den Brief also in meinem Dungeon gefunden und gelesen. Ja?“ Die jungen Frauen senkten den Blick, während Mirâ antwortete: „Gomen. Wir wollten nicht neugierig sein, aber dieser Brief… er gab uns Anhaltpunkte, um zu dir zu gelangen. Aber wir konnten das Ende nicht lesen… ein Shadow hatte ihn zerstört.“ „Ich verstehe“, Yasuo wirkte gelassen, so als sei er sogar ganz froh, dass die Gruppe darüber bescheid wusste, „Der Brief war von meiner Tante. Meine Großeltern hatten sie gebeten mich bei sich aufzunehmen, weil sie nicht mehr die Jüngsten sind. Aber sie kommt wohl mit meiner Art nicht zurecht und hat deshalb abgelehnt.“ „D-das tut mir leid Senpai. Auch das mit deiner Mutter…“, entschuldigte sich Mirâ, doch der junge Mann schüttelte nur den Kopf. „Nein schon gut. So ist halt das Leben“, zuckte er anschließend mit den Schultern, „Das sind Dinge, mit denen wir lernen müssen zu leben. Sie passieren eben und wir können sie nicht ändern. So sehr wir uns das auch wünschen.“ Das violetthaarige Mädchen senkte den Blick, während sie spürte, wie sich in ihrer Brust ein warmes angenehmes Gefühl ausbreitete und ihr verriet, dass sie dem älteren Schüler wieder etwas nähergekommen war. Kapitel 89: LXXXIX – Bedrückende Erkenntnis ------------------------------------------- Sonntag, 06.September 2015 Betrübt blickte Akane auf ihre Schuhe. Sie hatte ihre angewinkelten Beine an ihre Brust herangezogen und ihre Arme darumgelegt, während sie ihren Kopf auf den Knien bettete. Soeben hatte sie erfahren, dass Yasuos Mutter schon lange tot war, obwohl sie alle gedacht hatten, dass sie noch lebte. Dazu war sie auch noch so taktlos und hatte ihn einfach so auf den Brief angesprochen, den sie in seinem Dungeon gefunden hatte, dabei wäre es in solch einer Situation wirklich angebrachter gewesen zu schweigen. Wieso war sie nur immer so impulsiv? Mit Sicherheit hatte sie ihren Senpai damit verletzt, auch wenn er ihr ein kleines Lächeln geschenkt hatte. Wem würde es bei solch einem Verhalten nicht so ergehen? Sie hoffte nur innständig, dass der Ältere ihr ihre Taktlosigkeit verzeihen möge. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie eigentlich nur beiläufig mitbekam, wie Yasuo erzählte, dass der Brief eigentlich von seiner Tante kam, die ihn nicht bei sich aufnehmen wollte. Jedoch konnte sie letzten Endes nicht mehr sagen, ob der junge Mann noch etwas dazu gesagt hatte oder nicht. Etwas Kaltes berührte ihre Wange und ließ sie ruckartig ihren Kopf heben und erschrocken auf Bêju schauen. Der beige Hund saß schwanzwedelnd und mit herausgestreckter Zunge neben ihr und blickte sie aus treuen Augen heraus an, so als wolle er sie aufmuntern. Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie dem Golden Retriever über den Nacken streichelte. „Guter Junge…“, murmelte sie und dankte dem Tier geistig dafür, sie aus ihren dunklen Gedanken geholt zu haben. Ansonsten hätte sie sich wohl komplett darin verloren. Tiere bemerkten eben sofort, wenn es einem Menschen nicht gut ging. Deshalb liebte sie diese auch so sehr. Eine Bewegung auf ihrer anderen Seite weckte ihre Aufmerksamkeit, woraufhin sie den Blick von Bêju nahm und sich umdrehte. Neben ihr hatte sich Mirâ erhoben und streckte sich einmal genüsslich, bevor sie wieder lächelnd auf ihre Freundin herunterblickte. „So ich muss dann los. Morgen geht ja die Schule wieder los und ich muss noch einige Unterlagen zusammensuchen“, sagte sie und zwinkerte ihrer Freundin kurz zu, bevor sie sich an Yasuo wandte, „Senpai, lass den Kopf nicht hängen. Wir sind für dich da. Wenn dich etwas bedrückt kannst du jederzeit mit uns darüber sprechen.“ Sie drehte sich um und lief ein Stück den Hang hinauf, bevor sie sich noch einmal kurz zu ihren beiden Kameraden umdrehte: „Dann bis morgen ihr Beiden.“ Vollkommen perplex beobachtete Akane, wie ihre beste Freundin sich nun umdrehte und davonstolzierte. Erst langsam wurde ihr bewusst, dass sie daraufhin mit ihrem Senpai alleine war. Dass Mirâ sie mit Absicht alleine gelassen hatte, war der nächste Gedanke, der ihr kam. Dabei hätte sie am liebsten selbst die Flucht angetreten. Doch wie würde das aussehen, wenn sie den jungen Mann jetzt auch überstürzt verlassen würde. Ganz davon abgesehen, dass sie gar nicht von ihm weg wollte. Eigentlich verbrachte sie ja liebend gerne Zeit mit ihm, aber nicht nachdem sie sich so herzlos verhalten hatte. Was sollte sie nur machen? So tun als wäre nichts gewesen? Nein, das ging auch nicht. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit… „Du Senpai…“, begann sie plötzlich mit gesenktem Blick und bekam so die Aufmerksamkeit des Blauhaarigen, „Wegen vorhin… es tut mir leid, dass ich so taktlos war. Es war nicht meine Absicht dich damit zu verletzen oder so. Ich…“ Eine Hand auf ihrem Kopf ließ sie aufschauen und in das Gesicht ihres Schwarmes blicken, auf dem sich ein kleines, kaum merkliches Lächeln gebildet hatte. Sanft strich er der Jüngeren über den Kopf, was deren Herz wie wild schlagen ließ: „Schon gut. Das war typisch für dich. Mittlerweile kenne ich deine impulsive Art und dass du so etwas nicht sagen würdest, um andere zu verletzen.“ Akane war den Tränen nahe. Ihr Senpai schenkte ihr so viel Verständnis, obwohl sie kurz zuvor so unbedacht gehandelt hatte. Sie war glücklich darüber und wäre ihm trotzdem am liebsten heulend um den Hals gefallen. Doch das konnte sie nicht tun, also musste sie sich zusammenreißen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie traute sich nicht den Blick zu heben, weil sie genau wusste, dass sie mittlerweile einer überreifen Tomate glich. „Es tut mir trotzdem Leid, Senpai“, entschuldigte sie sich stattdessen noch einmal in aller Höflichkeit. Eine warme Zunge berührte ihre heißen Wangen und ließ sie zurück auf ihren Hintern fallen, bevor ihr Gesicht überschwänglich abgeleckt wurde und ihr ein Lachen entlockte. Überrascht hatte Yasuo dabei die Hand vom Kopf der Brünetten nehmen müssen und beobachtete dann lächelnd, wie diese von seinem Hund abgeschleckt wurde. Auch Akane war froh über diese Unterbrechung, denn sie hätte nicht gewusst, wie sie ihrem Senpai mit ihrem roten Gesicht hätte entgegentreten sollen. Sie wusste nicht, wie lange sie ihre Gefühle dem Älteren gegenüber noch zurückhalten konnte, doch wollte versuchen es solange es ging zu versuchen. Sie wusste wie schnell unerwiderte Gefühle eine Freundschaft zerstören konnten und das wollte sie unter keinen Umständen riskieren, dafür war ihr die Nähe zu dem Blauhaarigen viel zu wichtig. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Bêju von der jungen Frau ab und setzte sich schwanzwedelnd wieder auf seine vier Buchstaben, woraufhin die Brünette endlich etwas Zeit zum Durchatmen hatte. Ihr ganzes Gesicht war nass und roch nach Hundefutter, doch das störte sie nicht. Mit einer Handbewegung wischte sie sich den Sabber von der Wange und setzte sich auch wieder aufrecht hin, wobei ihr auffiel, dass Yasuo mittlerweile aufgestanden war. Fragend blickte sie zu ihrem Schwarm hinauf, welcher seinen Rücken kurz durchstreckte und dann ihren Blick kreuzte. „Wir müssen dann langsam los“, sagte er anschließend. Erneut vollkommen impulsiv reagierend sprang Akane plötzlich auf: „Ich begleite euch!“ Ein überraschtes Paar brauner Augen traf die junge Frau, welche sofort zurückruderte und meinte, dass sie dies nur tun würde, wenn es ihm nichts ausmachte. Yasuo kratzte sich am Nacken und für einen Moment hatte die Brünette das Gefühl er würde leicht kichern, bevor er sich wieder an sie wandte und ihr zunickte, als Zeichen, dass es für ihn in Ordnung wäre. Auch Bêju freute sich wie ein kleiner Schneekönig und streifte voller Vorfreunde um ihre Beine herum, sodass sie selber aufpassen musste nicht umgerissen zu werden. Beruhigend streichelte sie den hellen Hund hinter den Ohren, was ihn sofort in seinem Tun stoppen ließ. „Du bist so ein guter Junge“, lobte sie ihn erneut, was Bêju nur mit einem Bellen kommentierte, „Ein ganz feiner.“ Aus dem Augenwinkel erkannte sie, wie Yasuo gekonnt die Leine, welche er quer über seinen Oberkörper gelegt hatte, abnahm und sie dem Golden Retriever an das Halsband machte. Fragend sah sie wieder zu ihrem Senpai, welcher ihr anschließend seine Hand mit der Leine reichte und ihre damit anbot, dass sie Bêju an dieser führen durfte. Ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf und sie griff dankend nach dem angebotenen Gegenstand, woraufhin auch der helle Hund sich erhob und freudig hin und her tänzelte, bevor er begann loszulaufen und an der Leine zu ziehen. Lachend erhob sich Akane gänzlich und wurde regelrecht hinter dem Tier hergezogen, während Yasuo seine Hände in den Hosentaschen vergrub und sie sich nebeneinander gehend auf den Weg machten. Der kleine Spaziergang zog sich etwas in die Länge, sodass sie das Haus von Yasuos Großeltern erst erreichten, als die Sonne beinahe untergegangen war. Unterwegs hatte Akane auch ihre Unbefangenheit wiedergefunden und dem Älteren erzählt, was sie an diesem Tag alles gemacht und wie ihr Mirâ in der Praxis geholfen hatte. Der Blauhaarige hatte ihr nur geduldig zugehört, doch das störte die junge Frau nicht. Sie war einfach nur froh sich wieder normal mit ihm unterhalten zu können. „Tada ima“, kündigte der junge Mann an, als er die Haustür aufschloss und eintrat. Ein grauer Schopf schaute aus der Küche, welcher zu seiner Großmutter gehörte: „Willkommen zurück. Oh… Akane-chan, schön dich mal wieder zu sehen.“ Höflich verbeugte sich die Brünette: „Guten Abend.“ „Das Abendessen ist gleich fertig. Möchtest du uns gern Gesellschaft leisten?“, kam eine unvermittelte Frage, welche die junge Frau etwas aus dem Konzept brachte. Sie wusste gar nicht, was sie darauf antworten sollte. Natürlich hätte sie sofort ja gesagt, doch wollte sie sich niemandem aufdrängen, vor allem nicht dem älteren Schüler. Etwas ratlos blickte sie zu diesem, der sich jedoch nur am Nacken kratzte und mit den Schultern zuckte. „Warum nicht?“, meinte er mit abgewandtem Blick. Ein wenig wirkte es so, als sei ihm das ebenfalls etwas unangenehm, während er sich andererseits trotzdem zu freuen schien. Selbst wenn es für Außenstehende nicht so rüberkam. Akane jedoch kannte ihn mittlerweile gut genug, um das zu durchschauen, weshalb sich auf ihren Wangen ein leichter rosa Schimmer bildete. Sie senkte den Blick und verschränkte die Arme vor dem Körper, bevor sie vorsichtig nickte: „Wenn es Ihnen keine Umstände bereitet, dann gerne.“ Die alte Dame lachte vergnügt: „Das macht mir keine Umstände. Ich habe es dir immerhin angeboten, Kindchen. Yasuo, geht doch solange hoch, ich rufe euch dann, wenn das Essen fertig ist.“ „Alles klar“, murmelte Angesprochener nur und griff plötzlich unvermittelt nach Akanes Hand. Erschrocken zog sie diese jedoch gleich wieder zurück, was den Älteren etwas irritiert zurückschauen ließ. Erst dann schien er zu bemerken, wieso die Brünette so reagierte, weshalb er sich nochmal im Nacken kratzte und dann einfach die Treppe hinaufging. Mit gesenktem und feuerrotem Gesicht folgte die junge Frau ihrem Schwarm hinauf. Kaum hatten die beiden Oberschüler den Raum betreten ließ sich Yasuo auf sein Bett fallen und richtete dann seinen Blick auf die junge Frau, welche etwas verloren dastand und sich umschaute. Es war ein kleines recht spartanisch eingerichtetes Zimmer. Auf der Seite zu ihrer Linken stand ein Bett, auf dem die Bettwäsche ziemlich durcheinander lag. An der Wand ihr gegenüber war ein Fenster, welches das letzte Licht des Tages hineinließ und darunter stand ein alter Schreibtisch, auf welchem verschiedene Bücher verteilt lagen. Auf der linken Seite des Raumes stand eine alte Schrankgarnitur mit einem älteren Fernsehgerät, welches allerdings sehr verstaubt wirkte, als würde es nur selten benutzt werden. Es waren wirklich nur die nötigsten Möbel vorhanden und trotzdem schien es den Älteren nicht zu stören. Ob sie allerdings so leben könnte, mochte sie bezweifeln. Viel zu sehr war sie an den Luxus gewöhnt, der sie umgab. Doch ihr Senpai war anscheinend damit aufgewachsen und deshalb machte es ihm nichts aus. „Setz dich doch“, bot Yasuo ihr einen Platz an und holte sie damit aus ihren Gedanken. Sie sah sich noch einmal kurz um und suchte eine Sitzmöglichkeit, da sie sich nicht traute sich neben dem Blauhaarigen auf das Bett zu setzen. So ging sie auf den Schreibtisch zu und nahm sich den davorstehenden Drehstuhl, welchen sie zurückzog um sich darauf zu platzieren. Dabei fiel ihr Blick auf die unzähligen Bücher, die verteilt auf der Arbeitsfläche lagen und sie staunte nicht schlecht. Fast alle dieser Wälzer handelten von Medizin. Dazwischen entdeckte sie zwar auch einige Prospekte von verschiedenen Universitäten, doch die interessierten sie in diesem Moment nicht. „Du… interessiert dich für Medizin, Senpai?“, fragte die junge Frau etwas irritiert, da sie sich so etwas bei dem jungen Mann gar nicht vorstellen konnte. Yasuo nickte und erhob sich, bevor er neben sie trat und seine Hand auf eines der medizinischen Bücher legte: „Ja, seit meine Mutter damals an dieser Krankheit gestorben ist, habe ich mich dafür interessiert.“ „Ich verstehe… Ist das auch dein Wunsch nach der Schule? Medizin zu studieren?“, fragte sie daraufhin, als ihr nun auch aktiv die ganzen Prospekte für verschiedene Unis auffielen. „Das ist mein Plan. Allerdings gibt es in Kagaminomachi nur eine Universität die Medizin lehrt“, er seufzte und zog einen Prospekt aus dem Stapel, auf welchem das Logo der Diamond prangerte, „Die Lehrer würden mir dafür sogar ein Empfehlungsschreiben geben…“ „Wow, das ist doch cool. Dann müssen deine Noten ja wirklich echt super sein“, platzte die junge Frau wieder heraus. Seufzend ließ sich der Blauhaarige daraufhin wieder auf sein Bett fallen: „Ich habe abgelehnt…“ Geschockt darüber, dass der junge Mann ein Empfehlungsschreiben für diese Eliteuni abgeschlagen hatte, starrte sie ihn mit großen Augen an. Sie konnte nicht verstehen, wie er sich diese Chance nur entgehen lassen konnte. Die Diamond gehörte zu den besten Bildungseinrichtungen des Landes und sie arbeitete stark mit dem Miuna Privatkrankenhaus zusammen, welches sich ebenfalls in Kyuzu-ku befand. Es gab nach ihrer Meinung keine bessere Chance Medizin zu studieren als dort. Wieso also hatte er abgelehnt? Yasuo bemerkte ihren fragenden Blick und wandte sich den Nacken kratzend den Blick ab: „Diese Bonzenschule ist nichts für mich. Du siehst, wie ich lebe. An einer solchen Uni ist man doch nichts, wenn man nichts hat. Vor allem wenn man dort nur mit einem Stipendium angenommen wird. Anders könnte ich mir das gar nicht leisten. Ich hab mich an mehreren Universitäten im Land beworben, bisher stehen die Chancen allerdings in Aehara am besten.“ Noch mehr als die Tatsache, dass der junge Mann das Angebot eines Stipendiums an einer renommierten Universität ablehnte, schockte sie die Erkenntnis, dass er sich auch außerhalb der kleinen Stadt beworben hatte. Es traf sie wie ein Schlag in den Magen, als ihr bewusst wurde, dass Yasuo sie im Frühjahr verlassen würde, wenn er die Aufnahmeprüfung der Aehara bestehen und dort aufgenommen werden würde. Zwar lag die Stadt nur eine gute Stunde von Kagaminomachi entfernt, jedoch konnte sie den Blauhaarigen dann trotzdem nicht mehr spontan sehen. Tränen drohten ihr in die Augen zu steigen, während sie spürte wie ihre Brust sich immer mehr zusammenschnürte. Sie biss sich auf die Unterlippe, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Sie durfte jetzt hier nicht weinen. Was würde er denn denken? Er würde sofort nachfragen, was los sei und dann wäre sie ihm eine Erklärung schuldig. Außerdem sollte sie sich doch für ihren Senpai freuen. Immerhin hatte er so die Chance seinen großen Traum zu verwirklichen. Doch der Gedanke, dass er sie verlassen würde, zerriss ihr beinahe die Brust. Die Stimme von Yasuos Großmutter, welche sie zum Essen rief, ließ die beiden Oberschüler aufhorchen und das Thema damit vorerst beenden. Dankbar über diese Unterbrechung atmete Akane einmal kurz leise durch. Sie durfte sich einfach nichts anmerken lassen, so sehr es sie auch schmerzte. Sie sollte sich für ihn freuen und nicht nur an ihr eigenes Wohl denken. Ein Seufzen ließ sie aufschauen. Yasuo hatte sich erhoben und war zu seiner Tür hinüber gegangen, bevor er sich noch einmal zu ihr umdrehte und ihr ein kleines Lächeln schenkte. Ihr Herz machte einen Sprung und zog sich zugleich schmerzhaft zusammen. Trotzdem erwiderte sie sein Lächeln und erhob sich von ihrem Platz, ehe sie gemeinsam hinunter zum Essen gingen. Nach dem Abendessen hatte sich die junge Frau so schnell wie möglich von Yasuo verabschiedet. Sein Angebot sie noch nach Hause zu begleiten hatte sie freundlich abgelehnt mit der Begründung, dass sie sich gut verteidigen könnte. So verließ sie mit einem kleinen Lächeln und winkend das Grundstück und versuchte sich so normal wie möglich zu verhalten, damit der Ältere sich keine Sorgen machte. Trotzdem ging sie schnellen Schrittes davon. Nur um dann, als sie der Meinung war außer Sichtweite des Hauses zu sein, in die Hocke zu gehen und ihren, bis dahin zurückgehaltenen Tränen freien Lauf zu lassen. Kapitel 90: XC – Mirâs Wutausbruch ---------------------------------- Montag, 07.September 2015 Müde schaute Mirâ aus dem Fenster der U-Bahn und beobachtete, wie die grauen Wände an ihr vorbeihuschten. Die Sommerferien waren vorbei und der normale Alltag würde sie nun wieder heimsuchen. Auch das Wetter schien sich dieser Situation anzupassen, dann schon vor einigen Tagen hatte die Luft begonnen sich abzukühlen. Es war noch nicht so kalt, dass man zwingend eine dicke Jacke brauchte, doch für ein einfaches Shirt war es ihrer Meinung nach schon wieder zu frisch. Da war sie ganz froh, dass Anfang September der Wechsel von der Sommeruniform auf die Winteruniform stattfand und sie so bereits die Jacke und ihre schwarzen Overknees wieder tragen konnte. Ansonsten hätte sie wohl auf dem Weg zur U-Bahn mächtig gefroren. Sie seufzte, während es hinter der Scheibe wieder heller wurde und die Bahn kurze Zeit später in die nächste Station einfuhr. „Nächster Halt: Tsukimi-kû Zentralstation. Tsukimi-kû Zentralstation“, ertönte es aus den Lautsprechern und ließ die junge Frau sich erheben. Hier musste sie umsteigen, um mit der Hahen Linie bis zur Zentralstation von Jûgoya-kû zu fahren. Von dort aus hatte sie dann die Möglichkeit zu laufen oder in die Taiô Linie umzusteigen und bis zu ihrer Schule zu fahren. Meistens jedoch entschied sich die junge Frau für den Fußweg. Von der Zentralstation aus war es nicht wirklich weit. Häufig war man zu Fuß auch schneller, da die U-Bahn einmal quer durch das Stadtviertel fuhr, während man so den direkten Weg nehmen konnte. Dem Strom folgend verließ Mirâ den Bahnsteig, um den der Hahen Ringlinie eine Etage tiefer zu erreichen. Auf diesem angekommen sah sich die Violetthaarige um, auf der Suche nach ihrer besten Freundin mit welcher sie sich hier treffen wollte. „Guten Morgen…“, ließ sie eine übermüdete Stimme sich umdrehen. Daraufhin fiel ihr Blick auf gesuchtes Mädchen, welches durch ihr zerzaustes Haar und ihre faltige Uniform ganz schön zerknittert aussah. Dunkel Ringe lagen unter ihren roten leicht geschwollenen Augen, die Mirâ müde ansahen. Allgemein wirkte Akane an diesem Tag nicht so, als würde es ihr gut gehen. Andererseits konnte es die Violetthaarige verstehen. Sie hatte am Abend zuvor noch mit der Brünetten telefoniert, wo diese ihr unter Tränen erzählt hatte, dass Yasuo im Frühjahr wohl Kagaminomachi verlassen würde, um in Aehara auf die Universität zu gehen. Sie hatte Angst, den Kontakt zu ihm zu verlieren und wusste nicht, was sie nun machen solle. Beruhigend hatte Mirâ auf ihre beste Freundin eingeredet und ihr erklärt, dass es ja kein Abschied für ewig sei und Aehara im Grunde nur ein Katzensprung entfernt lag. Sie konnte ihn also trotzdem jederzeit besuchen und sehen. Außerdem bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass er weiterhin in Kagaminomachi blieb und nur pendelte. Natürlich konnte sie die Brünette verstehen, immerhin würde es ihr wohl genauso ergehen. Wenn sie erfahren würde, dass ihr Schwarm sie alsbald verlassen würde, wäre sie wahrscheinlich genauso niedergeschlagen. Aus diesem Grund war es auch ihre Aufgabe als Freundin Akane eine seelische Stütze zu sein. „Deine Nacht schien nicht besonders gut gewesen zu sein…“, erwähnte sie vorsichtig, woraufhin die Angesprochene seufzend den Kopf hängen ließ. „Nein… ich habe versucht zu schlafen, aber jedes Mal musste ich an das Gespräch mit Senpai denken und hab angefangen zu weinen. Ich konnte es nicht unterdrücken. Meine Mutter hat mich beim Frühstück schon gefragt, ob ich Liebeskummer habe… an das Gespräch danach mit meinem Vater mag ich gar nicht mehr denken“, murmelte die Brünette mit gesenktem Blick, „Und dann beginnt heute die Schule wieder… echt ätzend. Außerdem weiß ich nicht, wie ich mich Senpai gegenüber verhalten soll…“ „Naja es ist ja nicht so, als hättest du ihm ein Geständnis gemacht oder so. Also solltest du vielleicht versuchen dich normal zu verhalten?“, versuchte die Violetthaarige zu helfen, wobei sie selber keine wirkliche Ahnung hatte, was ihre Freundin nun tun sollte. Sie steckte immerhin nicht in der gleichen Situation oder hat jemals in einer solchen gesteckt. Ob sie da überhaupt das Recht hatte irgendwelche Tipps zu geben, mochte sie bezweifeln. Aber Kommentarlos konnte sie es auch nicht belassen, immerhin würde sich sonst auch ihre Freundin nicht ernst genommen fühlen. Diese seufzte schwer und hob den Blick, als durchgesagt wurde, dass der Zug nun einfahren würde: „Das ist einfacher gesagt als getan…“ Die Bahn fuhr ein und die beiden Mädchen stellten sich zu den anderen wartenden Menschen an die Markierungen, die Gedrängeln beim Ein- und Ausstieg verhindern sollten. Besorgt sah Mirâ die niedergeschlagene Brünette an und wusste nun auch nicht mehr, was sie noch dazu sagen sollte. Das Thema war wirklich nicht einfach, doch würde sich Akane in Yasuos Gegenwart anders verhalten als sonst, dann würde er doch mit Sicherheit irgendwann stutzig werden und nachfragen. Eigentlich gab es nur die Möglichkeit, dass die junge Frau ihm erklärte, was sie bedrückte. Doch dann müsste sie ihm auch ihre Gefühle gestehen und da lag nun wieder das nächste Problem. Würde der Ältere die Gefühle ihrer besten Freundin nicht erwidern würde ihr das das Herz brechen. Ganz zu schweigen von den Problemen, die sich innerhalb der Gruppe ergeben würden. Andererseits würde Mirâ es der Brünetten gönnen, wenn Yasuo die gleichen Gefühle wie sie hätte. Sie seufzte leise und folgte der jungen Frau vor sich in den Zug, wo sie sich schweigend einen Platz suchten. Es war wirklich kompliziert. Wären sie ganz normale Schülerinnen gewesen ohne die Kraft einer Persona oder wäre der Schwarm ihrer besten Freundin nicht ebenfalls in ihrer Gruppe, sie hätte ihr sofort geraten mit ihm darüber zu sprechen. Aber so… „Oh… Hiroshi kommt heute nicht zur Schule…“, holte sie Akanes Stimme aus den Gedanken. Fragend richtete sie ihren Blick auf die Brünette, welche ihr Smartphone in der Hand hatte und eine Nachricht las, welche offenbar von dem Blonden kam. Diese bemerkte den Blick ihrer Kameradin und sah sie nun ebenfalls an: „Er hat sich wohl gestern Nachmittag beim Fußball lang gemacht und ist auf seine Hand gefallen. Heute Morgen war sie wohl blitzeblau, deshalb lässt er sich von seinem Vater erstmal ins Krankenhaus bringen, um das abchecken zu lassen. Dadurch schafft er es aber nicht zum Unterricht, ich soll ihn bei Frau Masa für heute entschuldigen.“ „Ach so… hoffentlich ist es nichts Schlimmes“, meinte die Violetthaarige mit einem besorgten Blick, welchen sie wieder aus dem Fenster richtete, während sich der Zug in Bewegung setzte. Die ersten vier Unterrichtsstunden bis zur Mittagspause zogen sich wie Gummi, was vor allem für Akane ein Problem war. Mirâ hatte nicht nur einmal Mühe ihre beste Freundin davon abzuhalten einzuschlafen, welche deshalb die 10 Minuten Pausen zwischen den Stunden für ein kurzes Nickerchen nutzte, sofern sie nicht den Raum wechseln mussten. Umso erleichterter war sie, als es endlich zur Mittagspause klingelte. Schnell hatte sie sich erhoben und ihren Rücken durchgestreckt, bevor sie vorgeschlagen hatte gemeinsam auf dem Dach zu essen. Die kurzen Nickerchen zwischendurch schienen ihre Wirkung zu zeigen, denn die junge Frau wirkte schon wieder etwas entspannter, als noch am frühen Morgen. Erleichtert darüber erhob sich auch Mirâ und machte sich mit ihrer besten Freundin auf den Weg zum Dach. Unterwegs wurden sie jedoch von Shuya und einem ihr noch unbekannten jungen Mann aufgehalten, welcher sich als Naoto Obata vorstellte. Der Violetthaarigen blieb dabei nicht unbemerkt, wie Akane das Gesicht verzog, als sie den Brünetten erkannte. Die zwei schienen sich also zu kennen und die junge Frau nahm sich vor, ihre Freundin bei Gelegenheit danach zu fragen. Stattdessen wandte sie sich erst einmal den beiden jungen Männern zu, welche sich nun zu ihnen gesellten und nachfragten, ob sie wüssten wo Hiroshi wäre. Shuya hätte ihn an diesem Tag noch nirgends gesehen und konnte ihn auch nicht via Chat erreichen. Schnaufend hatte Akane ihren Blick von Naoto genommen und die Arme vor der Brust verschränkt, während sie erzählte was ihr der Blonde am frühen Morgen geschrieben hatte. „Dann scheint der Sturz gestern doch schlimmer gewesen zu sein als gedacht“, mischte sich Naoto plötzlich ein. Noch einmal schnaubte die Brünette und zog eine Augenbraue in die Höhe: „Klingt so, als wart ihr dabei?“ Shuya begann plötzlich zu kichern, als er an die Szene zurückdenken musste und erklärte, dass der Blonde unglücklich aufgetreten war und deshalb einen spektakulären Sturz hingelegt hatte. „Sah schon lustig aus, wie er plötzlich verschwunden war…“, kicherte der Blau-Violetthaarige. Er zuckte plötzlich zusammen, als Naoto ihm einen Klaps auf den Hinterkopf verpasste und ermahnte, dass das nicht lustig sei. Doch wirklich ernst nehmen konnte man diese Aussage nicht, denn man sah ihm an, dass er sich selber zurückhalten musste nicht zu lachen. Genervt stöhnte Akane auf und wandte sich nun endlich wieder der Treppe zu, welche sie hinaufstieg: „Oh man… da hat er sich ja ein paar schöne Freunde geangelt…“ Ohne weiter darauf einzugehen folgte die Violetthaarige ihrer Freundin, drehte sich aber trotzdem noch einmal um und sah wie die beiden Jungs plötzlich in schallendes Gelächter ausbrachen. „Oh Mann, solche Idioten…“, schimpfte Akane, während sie sich auf die niedrige Mauer setzte, die das Schuldach umgab. „Es schien als würdest du Obata-kun kennen…“, begann Mirâ vorsichtig, weil sie nicht wusste wie sensibel dieses Thema war. „Ich kann ihn nicht leiden!“, reagierte die Angesprochene genauso, wie die Violetthaarige es erwartet hatte. Ihre Freundin öffnete ihre Bentobox und fischte sich ein Sandwich heraus, welches darin lag, bevor sie erzählte, dass sie in der Mittelstufe ständig mit ihm Probleme hatte. Und nicht nur sie… auch Hiroshi war ständig mit diesem Idioten aneinandergeraten, weshalb sie absolut nicht verstand, wie er sich mit ihm verstehen konnte. Zwar hatte der Blonde ihr versichert, dass Naoto sich geändert hatte, jedoch änderte das nichts an ihrer Meinung zu ihm. Mirâ nickte und sie musste an das Gespräch denken, welches die beiden Freunde den einen Abend in der U-Bahn geführt hatten, während sie so tat als würde sie schlafen. Nun verstand sie auch, worum es damals ging und wieso die Brünette während ihrer Mission so sauer auf den Blonden war. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie ihr Mittagessen ebenfalls auspackte und daran dachte, wie froh sie war, dass sich die beiden an dem Abend wieder vertragen hatten. Sie verband eine besondere Freundschaft, die Mirâ bisher niemals erfahren hatte und dafür beneidete sie ihre Freunde sehr. „Entschuldigung…“, holte sie eine weibliche Stimme aus den Gedanken. Überrascht sah sie auf, woraufhin ihr Herz einen kurzen Aussetzer machte, als sie auf ein Mädchen blickte, deren hellbraune Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Mirâ erkannte sie sofort als die junge Frau wieder, die sie nun schon mehrmals in Hiroshis Nähe gesehen hatte, weshalb in ihr wieder leichte Eifersucht aufstieg. Die Brünette trug eine schwarze Kapuzen-Sweatjacke, deren Ärmel sie bis zu den Ellenbogen hochgezogen hatte. Darunter erkannte Mirâ eine weiße Bluse, welche definitiv nicht zur Schuluniform gehörte. Unter dem Saum der schwarzen Jacke schaute der rote Faltenrock hervor und um ihre Beine schmiegten sich weiße Overknees. Mit fragenden dunkelbraunen Augen sah sie die beiden jungen Frauen an, vermied dabei allerdings jeglichen Augenkontakt, was Mirâ schon etwas unhöflich vorkam. Auch Akane blickte nun auf und sah ihr Gegenüber fragend an: „Können wir die helfen?“ Die Brünette nickte und fragte nach, ob es sich bei der Dunkelbrünetten um eine gewisse Akane Chiyo handelte. Gesuchte nickte: „Und was möchtest du von mir?“ „Ein Glück hab ich dich gefunden. Ich hätte eine Bitte“, freute sich die Andere und griff in ihre Jackentasche, bevor sie einen kleinen USB-Stick hervorholte, „Shuyan meinte, du bist sehr gut mit Hiro befreundet. Könntest du mir einen Gefallen tun und ihm den Stick zurückbringen?“ Akane zog eine Augenbraue in die Höhe: „Kannst du ihm das Teil nicht selber zurückgeben?“ „Würde ich, wenn ich könnte. Aber heute Nachmittag habe ich Basketballtraining und danach muss ich gleich Nachhause. Leider kann ich Hiro aktuell nur in der Schule treffen, aber ich weiß ja nicht, ob er die Woche noch einmal wiederkommt. Und ich möchte den Stick nicht länger als nötig behalten, sonst vergesse ich es“, kam prompt eine Erklärung, „Und Shuyan meinte, dass du Hiro wahrscheinlich eh die Unterlagen von heute vorbeibringen würdest. Ich bitte dich.“ Murrend nahm Akane den Stick entgegen und schimpfte dann über Shuya, welcher nicht einfach irgendwelche Leute zu ihr schicken solle, für die sie Botengänge erledigen musste. Dabei bemerkte die Violetthaarige einige ziemlich dunkle Flecken auf dem Unterarm des Mädchens, die diesen schnell zurückzog, sich kurz darauf verbeugte und von den beiden verabschiedete. Mirâ sah ihr nach und bemerkte nicht einmal, was für einen bösen Gesichtsausdruck sie dabei machte. Sie hatte die Brünette genau beobachtet und dabei war ihr aufgefallen, dass sie während des Gesprächs wieder jeglichen Augenkontakt zu Akane vermieden und stattdessen an dieser vorbeigeschaut hatte. Abgesehen davon, dass die junge Frau das mehr als unhöflich fand, regte sie jedoch mehr auf, dass das Mädchen über Hiroshi so vertraut sprach. So als würde sie ihn schon ewig kennen. Wieder einmal stieg Eifersucht in ihr auf, doch verschwand diese mit einem Male wieder, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Erschrocken sah sie zu ihrer Freundin. „Lass uns lieber in die Klasse gehen und dort weiter essen“, sagte Akane und zeigte dann gen Himmel, „Das da gefällt mir nicht…“ Irritiert richtete die Violetthaarige ihren Blick gen Himmel und erkannte eine tiefschwarze Wolke, welche sich in einem doch beachtlichen Tempo über die Felsen des Gebirges schob, das die kleine Stadt umgab. Leises Grummeln war zu vernehmen, was mit jeder Minute näherkam. Ein Unwetter schien sich anzubahnen. Die junge Frau seufzte leise und nickte dann, bevor sich beide Schülerinnen erhoben und wieder zurück ins Schulhaus gingen. Verunsichert stand Mirâ am Nachmittag vor den Toren eines teuer wirkenden Apartmenthochhauses und schielte unter ihrem Schirm hervor hinauf zur Spitze, welche weit in den Himmel reichte. Ein Wassertropfen traf sie im Gesicht, weshalb sie den roten Schirm schnell wieder über sich zog und dann auf ihr Smartphone schaute, welches sie in der anderen Hand hielt. Auf ihrem Display war in der Navigations-App ein Ziel markiert, an welchem sie sich laut der netten Computerstimme nun befinden sollte. Akane hatte ihr die Koordinaten geschickt, damit sie sich hierherfand. Aufgrund des Unwetters war bei der Violetthaarigen der Kyudoclub ausgefallen, weshalb ihre Freundin sie gebeten hatte an ihrer Stelle zu Hiroshi zu gehen, um ihm die Unterlagen des Tages vorbeizubringen. Die junge Frau hatte erst protestiert und gemeint, dass sie ja gar nicht wisse, wo der Blonde wohnte, doch das hatte die Brünette nicht gelten lassen und ihr stattdessen die Koordinaten geschickt. Und nun stand sie hier, die Unterlagen und den USB-Stick von dem fremden Mädchen in der Tasche, und wusste nicht so recht was sie nun machen sollte. Es war nicht so, dass sie ihrem Kumpel nicht helfen wollte, jedoch war es ihr doch etwas unangenehm zu diesem Nachhause zu gehen. Zumal sie immer noch peinlich berührt war wegen der Sache am Samstagabend. Nicht nur, dass er sie in ihrer knappen Uniform der Karaokebar gesehen hatte, sie war auch noch eifersüchtig auf seine Cousine geworden. Ob er das wirklich mitbekommen hatte, wusste sie nicht, aber peinlich war es ihr trotzdem gewesen. Vor allem, weil sie plötzlich geflüchtet war, als sie erfahren hatte wer Shina wirklich war. Scham stieg in ihr auf, während sie daran dachte und sie entschied sich, ihrem Kumpel die Sachen abzufotografieren und dann per Chat zu schicken. Doch kaum hatte sie sich umgedreht und wollte gehen, machte sie eine erneute Drehung und betrat leise fluchend das Gebäude. Seufzend schloss sie ihren Schirm und sah sich um. Sie stand inmitten einer großen Empfangshalle auf deren rechte Seite eine große Scheibe war, die den Einblick in ein kleines Büro gab. Jedoch konnte sie dort niemanden vorfinden, weshalb sie das Zimmer erst einmal ignorierte. Ihr gegenüber befanden sich zwei Fahrstühle, über welchen Haus A und B stand und zu ihrer rechten Seite fand sie Briefkästen vor, welche sich beinahe über die komplette Länge der Wand zogen und ebenfalls in Haus A und B unterteilt waren. Unschlüssig wo sie nun genau hin musste stand sie also da und verfluchte ihre Freundin für diese überaus glorreiche Idee gerade sie hierher zu schicken, die noch nie bei dem Blonden Zuhause war. Für einen Moment hatte sie die Idee die Unterlagen einfach in den Briefkasten zu schmeißen, doch musste dann wieder feststellen, dass sie ja trotzdem nicht wusste in welchem der beiden Blöcke Hiroshi überhaupt wohnte. Wenigstens das hätte Akane ja noch erwähnen können. Sie nun zu fragen brachte jedoch auch nichts, da sie aktuell beim Judotraining war. Aber was sollte sie nun machen? „Kann ich dir helfen, junges Fräulein?“, holte sie eine männliche Stimme aus ihren Gedanken. Erschrocken drehte sie sich um und erkannte einen Mann mittleren Alters mit hellbraunem, leicht grau meliertem Haar, welches ordentlich zurückgekämmt war. Er trug einen teuer wirkenden dunkelblauen Anzug und hielt in der einen Hand eine schwarze Aktentasche und in der anderen einen dunkelgrauen zusammengeklappten Schirm. Mit dunkelblauen Augen lächelte er die junge Frau freundlichen an. Erschrocken wich sie ein kleines Stück zurück, als ihr die Ähnlichkeit zu einer bestimmten Person auffiel. Wobei Ähnlichkeit schon fast untertrieben war, denn das Gesicht des Mannes glich fast eins zu eins dem von Hiroshi, nur dass es vom Alter gezeichnet war. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, entschuldigte sich der Mann plötzlich, „Du gehst auf die Jûgoya oder? Suchst du etwas?“ Es dauerte einen Moment, bevor Mirâ aus ihrer Starre erwachte und endlich ihre Sprache wiederfand: „Ähm… J-Ja entschuldigen Sie. I-Ich wollte zu einem Klassenkameraden, um ihm die heutigen Schulaufgaben zu bringen. Ähm… S-Sein Name ist Hiroshi Makoto.“ Ein überraschter Blick traf sie, welcher sich jedoch gleich wieder in ein Lächeln verwandelte: „Oh? Ich wusste gar nicht, dass Hiroshi so hübsche Mädchen kennt.“ Verlegen über dieses Kompliment senkte die Violetthaarige den Blick und lief rot an, bevor ihr einfiel, dass sie die Unterlagen ja eigentlich gleich weiterreichen und dann ganz schnell verschwinden könnte. Doch gerade als sie wieder aufblickte bemerkte sie, dass der Mann bereits zum Fahrstuhl gegangen war und diesen gerufen hatte. „Möchtest du gleich mit hochkommen und Hiroshi die Unterlagen geben?“, fragte er anschließend. Überrascht sah die junge Frau ihn an, weshalb er erst einmal zu bemerken schien, wie merkwürdig das rüberkam. Deshalb räusperte er sich einmal kurz und kam dann noch einmal auf sie zu, ehe er ihr eine Visitenkarte vorhielt. „Entschuldige, das war unhöflich und klang sicher etwas merkwürdig. Ich bin Hiroshis Vater“, stellte er sich anschließend mit einem verlegenen Lächeln vor, „Hiroshi kommen so selten junge Damen besuchen, da war ich doch glatt etwas neben der Spur.“ Höflich nahm die Oberschülerin das angebotene Kärtchen mit beiden Händen entgegen und las die schwarze fein säuberliche Aufschrift: „Makoto Hiroki – Anwalt für Strafrecht“ Überrascht sah sie den älteren Herren wieder an, als sie bemerkte, dass er sogar einen ähnlichen Vornamen wie ihr Kumpel hatte. Zudem verstand sie nun auch, wie sich die Familie eine westliche Wohnung in einem doch recht teuren Apartmenthaus leisten konnte. „Oh der Fahrstuhl…“, holte sie die Stimme von Hiroshis Vater wieder aus den Gedanken, „Möchtest du nun mit hochkommen?“ Eigentlich hätte Mirâ die Unterlagen einfach weiterreichen und dann gehen sollen, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund nickte sie nur und stieg dann mit in den Fahrstuhl, welcher die beiden in das siebte Stockwerk fuhr. Während der Fahrt nach oben schwiegen die beiden Parteien. Allerdings beobachtete die Schülerin den Erwachsenen aus dem Augenwinkel dabei, wie er in seine Jackett-Innentasche griff und ein Smartphone herauskramt und etwas zu lesen schien. Trotz seines ihm anzusehenden Alters sah er Hiroshi wirklich zum Verwechseln ähnlich. Selbst ihre blauen Augen glichen sich. Genau wie die ihres Kumpels, strahlten die seines Vaters eine herzliche Freundlichkeit aus, die einem das Herz wärmte. Ihr blick fiel auf seine für japanische Verhältnisse auffallend hellen Haare und ihr kam der Gedanke, ob die Haare des Blonden eigentlich auch diese Farbe besaßen. Zudem wirkte er nun, im Gegensatz zu ihrem ersten Aufeinandertreffen, ziemlich souverän. „Ob Hiroshi auch zu so einem stattlichen Mann wird, wenn wir erwachsen sind?“, ging ihr durch den Kopf, doch erschrak über ihren Gedanken und lief dabei rot an. Was dachte sie da eigentlich? Hiroshi war doch nur ihr Kumpel, ein Klassenkamerad und Teamkollege. Wieso also driftete sie immer und immer wieder in solche Gedanken ab? Es war ja nicht nur das. Auch ihre ständig aufkommende Eifersucht, wenn sie den Blonden mit einem Mädchen außerhalb ihrer Gruppe sah, war mittlerweile auffällig. Doch wieso nur? Sie war sich doch eigentlich sicher, dass er nur ein Freund für sie war. Nicht mehr. Aber immer wieder kamen ihr solche und ähnliche Gedanken und das machte ihr etwas Angst. Sie schüttelte den Kopf und versuchte so ihre Gefühle wieder in den Griff zu bekommen. „Ist alles in Ordnung, junges Fräulein?“, holte sie die Stimme von Hiroshis Vater wieder in das Hier und Jetzt. Etwas erschrocken sah sie auf und bemerkte nun, dass die Tür des Fahrstuhls wieder geöffnet war und der Mann bereits in den Gang getreten war und sie fragend ansah. Sofort war sie wieder komplett da und lächelte freundlich, während sie ihm in den Gang folgte. Ihr Lächeln wurde erwidert, bevor sich der Ältere wieder in Bewegung setzte. Kurz darauf traten beide auf einen Balkonähnlichen Gang, der die gesamte Länge des Gebäudes einzunehmen schien. Auf der linken Seite reihten sich mehrere Türen in gebürtigem Abstand voneinander auf, während man auf der rechten Seite hinaus auf die Straße blicken konnte. Es regnete immer noch, sodass der Boden durch den hereinfallenden Regen leicht nass war. Mirâ folgte dem Brünetten bis fast zum Ende des Ganges, wo er schlussendlich vor einer schwarzen Tür zum Stehen kam und diese aufschloss. „Komm ruhig rein“, bat er, während er eintrat, sich ordentlich die Schuhe auszog und dann endgültig in die Wohnung trat. Mirâ blieb etwas verunsichert im Eingangsbereich stehen und blickte sich um. Vor ihr erstreckte sich ein länglicher Flur an dessen Ende sich eine angelehnte Tür befand, die den Blick auf die Ecke eines hellen Sofas preisgab. Anscheinend befand sich dort das Wohnzimmer. Rechts daneben machte der Flur einen Knick und führte wohl weiter in die Wohnung hinein. An der Wand zu ihrer Linken befanden sich zwei Türen. Eine in ihrer unmittelbaren Nähe und eine am Ende des Flures, da beide allerdings geschlossen waren konnte die junge Frau nicht sagen, was sich dahinter befand. An der Wand zu ihrer Rechten stand ein niedriges Schuhregal, auf dem eine Schale lag, in die der Brünette seine Schlüssel legte, bevor er kurz darauf rechts in dem Gang verschwunden war. Sie vernahm ein leises Klopfen und die Stimme von Hiroshis Vater, bevor sie hörte wie sich eine Tür öffnete. Sie hörte wie sich die beiden Männer kurz unterhielten, jedoch war es zu leise, um etwas zu verstehen. Schnelle Schritte erklangen, bevor einen Moment später Hiroshi am Ende des Flures auftauchte und sie mit verwirrtem Blick ansah. „Wo ist denn Akane?“, fragte er etwas überfordert, da er anscheinend mit seiner Sandkastenfreundin gerechnet hatte. Leicht verlegen verschränkte Mirâ die Hände hinter dem Rücken und erklärte, dass Akane sie gebeten hatte herzukommen, da ihr Klub aufgrund des schlechten Wetters ausgefallen war. Hiroshi trat näher: „Sie hat gar nicht gesagt, dass du vorbeikommst. Hast du dich denn gut hergefunden?“ „Naja bis hierher hat es ganz gut funktioniert…“, lächelte die junge Frau verlegen, „Und hier hoch hat mir dein Vater geholfen. Ich war echt ein wenig überfordert…“ „Akane hat dir nicht gesagt, wo genau du hin musst oder? Oh Mann, dieses Weib“, genervt wischte sich der junge Mann mit der linken Hand übers Gesicht. „Willst du deinen Besuch nicht hereinbitten, Hiro?“, fragte plötzlich der ältere Mann, woraufhin er von dem Blonden nur angekeift wurde, dass er endlich verschwinden solle. Erschrocken war Mirâ leicht zusammengezuckt, doch der Brünette hatte darauf nur gelächelt und war dann in dem Raum am Ende des Flures verschwunden. Während der Oberschüler nur genervt seufzte und sie dann trotzdem freundliche hereinbat. Mit einem Lächeln lehnte die junge Frau jedoch ab und kramte stattdessen die Unterlagen aus ihrer Tasche, die sie ihrem Kumpel dann überreichte. „I-Ich wollte dir nur die Unterlagen bringen und dann gleich wieder nachhause“, erklärte sie anschließend. Sie wollte nicht unhöflich sein, jedoch war es ihr dann doch zu unangenehm. Sie waren zwar Freunde, jedoch gehörte es sich für ein junges Mädchen nicht, einfach in das Zimmer eines Jungen zu gehen. Jedenfalls war das ihre Auffassung der Dinge, obwohl sie wahrscheinlich mittlerweile gefühlt die Einzige mit dieser Einstellung war. Trotzdem hielt sie daran fest. „Schade…“, der Blonde nahm ihr mit der linken Hand die Papiere ab und lehnte sich dann gegen die Garderobe, während er einen Blick auf die Schriftstücke warf. Mirâ beobachtete ihn einen kurzen Moment. Dabei fiel ihr auf, dass er seine Haare nicht wie sonst zusammengebunden hatte, weshalb sie ihm leicht auf die Schultern fielen. Er trug ein schwarzes Shirt mit einem großen „Disturbed“-Aufdruck. Die junge Frau nahm an, dass es sich dabei um eine westliche Band handelte. Sie kannte sich mit westlicher Rockmusik nicht aus, jedoch wusste sie mittlerweile, dass ihr Kumpel so etwas hörte. Dazu trug er eine graue Trainingshose mit weißen Streifen, die ihm etwas zu lang war und deshalb seine nackten Füße leicht verdeckte. Ein leichter Rotschimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt, während sie den jungen Mann beobachtete. Auch wenn es recht schlampig wirkte, so musste sie sich eingestehen, dass der Aufzug dem jungen Mann stand. Bevor sie jedoch tiefer in diese Gedanken eintauchte fiel ihr Blick auf seine rechte Hand, welche in einen weißen Verband gewickelt war. „Ist es sehr schlimm?“, fragte sie plötzlich, während ihr Blick auf seiner Hand hängen blieb. „Hm?“, fragend sah der Angesprochene von den Unterlagen auf und dann auf seine Hand, die er leicht anhob, „Nein… nur verstaucht. Allerdings ziemlich geschwollen. Das wird einige Zeit dauern bis es verheilt, deshalb soll ich die Hand nicht so stark belasten.“ Er grinste und bewegte seine verletzte Hand leicht, woraufhin er jedoch zusammenzuckte. Besorgt wollte die junge Frau gerade ansetzen und fragen, wie es mit der Schule weitergehen würde, da wurde sie aber bereits wieder unterbrochen, als sich hinter ihr mit einem metallenen Geräusch die Tür öffnete. Überrascht drehte sie sich um und erkannte dann eine ältere Frau mit dunkelbraunem langem Haar, welches sie zu einem ordentlichen Dutt gebunden hatte. Sie trug ein anliegendes dunkles Kleid mit langen Ärmeln, welches ihr bis knapp über die Knie reichte und dazu schwarze Absatzschuhe. In ihren Händen hielt sie zwei Einkaufstüten, die sie nun auf den Boden stellte, bevor sie ihre braunen Augen wieder auf Mirâ richtete. „Was ist denn hier los? Hiroshi wer ist dieses Mädchen?“, fragte sie plötzlich mit einer so kalten Stimme, dass es der Violetthaarigen eiskalt den Rücken herunterlief. Sie reagierte mit einem Male ganz automatisch und verbeugte sich höflich: „M-Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Ich freue mich Sie kennenzulernen. I-Ich gehe in Hiroshi-kuns Klasse u-und habe ihm die Unterlagen von heute vorbeigebracht.“ „Ach so?“, fragte die Brünette nur, während sie ihre Schuhe auszog, die Einkaufstüten nahm und dann einfach an der Schülerin vorbei ging, „Wollte nicht Akane-chan vorbeikommen?“ „Sie hat noch Klubaktivitäten und hat deshalb Mirâ gebeten, deren Klub ausgefallen ist…“, erklärte der junge Mann, während seine Mutter an ihm vorbeiging ohne weitere Kenntnis von Mirâ zu nehmen. Diese schluckte schwer, auf dieses kalte Verhalten und sah ihren Kumpel an, welcher ihr nur ein entschuldigendes Lächeln schenkte. Die Brünette richtete ihren Blick auf ihren Sohn und beschwerte sich darüber, wie er es überhaupt wagen konnte wieder einmal so schlampig herumzulaufen und so auch noch Besuch zu empfangen. Kopfschüttelnd öffnete sie die Tür, welche sich links am Ende des Flures befand und war kurz darin verschwunden. „Also wirklich… und denk ja nicht, dass du wegen deiner Hand jetzt auf der faulen Haut liegen kannst, Freundchen. Egal ob mit oder ohne verletzte Hand, morgen gehst du wieder in die Schule.“, meckerte sie, während sie wieder in den Flur trat und mit Verachtung auf die verletzte Hand ihres Sohnes schaute, „Hoffentlich war dir das endlich mal eine Lehre und du hörst auf mit diesem Schwachsinn. Du siehst ja wohin das führt, außerdem lenkt es dich von deinen schulischen Leistungen ab, zumal du damit sowieso keinen Erfolg haben wirst. Aber du machst ja eh immer was du willst, anstatt dir ein Beispiel an deinem Bruder zu nehmen.“ Sie seufzte: „Wirklich… wärst du nur annährend so wie Rin, wir hätten wesentlich weniger Probleme und müssten uns nicht so für dich schämen…“ Geschockt sah Mirâ auf die ältere Frau, die anscheinend nichts Besseres zu tun hatte, als ihren eigenen Sohn vor seinen Freunden nieder zu machen. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie sich ihr Kumpel verkrampft hatte. Seine gesunde Hand verkrampfte sich um die Unterlagen, die er darin hielt, und sie konnte ganz deutlich hören, wie er mit den Zähnen knirschte. Offensichtlich biss er sich auf die Zunge, um nicht auszuflippen. So langsam bekam sie ein Bild davon, wie es bei ihm ablief. Bisher hatte er ihr davon ja nur erzählte. Wie streng seine Mutter mit ihm umging, merkte man auch daran, dass er es sich traute seinen Vater wegen einer Lappalie anzuschnauzen, während er den Frust der älteren Frau gegenüber zu schlucken versuchte. Auch in ihr stieg langsam Wut an, denn sie verstand nicht, wie diese Frau so herzlos über ihren Sohn meckern und ihm sein liebstes Hobby runter machen konnte. Und wie konnte sie ihm einfach ins Gesicht sagen, dass sie sich für ihn schämte? Ihr Kumpel tat ihr leid. Wie… „Wie können Sie nur so herzlos sein?“, platzte es plötzlich aus der jungen Frau heraus, woraufhin sie jeweils ein braunes und ein blaues Augenpaar traf. Sie wusste nicht wieso, doch es kam plötzlich über sie. Es musste raus. Ihre in kürze angestaute Wut über so viel Unverständnis musste sie loswerden und so plätscherte es nur so aus ihr heraus: „Wie können Sie ihren Sohn nur so herunterputzen und das in Gegenwart einer seiner Freunde? Das ist gemein und absolut unnötig. Hiroshi-kun ist so ein herzensguter Junge und hat für alle immer ein offenes Ohr, wenn man Probleme hat. Und das obwohl er selber genug eigene Probleme hat. Und dann machen Sie ihn so fertig und vergleichen ihn mit seinem großen Bruder, der ein völlig anderer Mensch ist. Ich kenne Rin-san nicht, aber ich weiß, dass Sie kein Recht haben einen Vergleich zwischen den Beiden zu ziehen. Hiroshi-kun ist nicht der Ersatz für seinen Bruder, er ist ein Mensch für sich und gut so, wie er ist. Mit all seinen kleinen Macken und Makeln, denn genau diese machen ihn doch aus und zu dem Menschen, der er ist. Das sollten Sie endlich lernen zu akzeptieren.“ Mit großen Augen sahen die ältere Frau und ihr Kumpel sie an, während sie langsam realisierte, was da gerade geschehen war. Sie hatte einer vollkommen fremden Frau einfach so unvermittelt die Meinung gesagt. Schnell hielt sie sich den Mund zu und befürchtete bereits das Schlimmste. Doch noch bevor die Brünette reagieren konnte, hatte sich Hiroshi in Bewegung gesetzt, sich ein paar Schlappen übergezogen, die Violetthaarige am Oberarm gepackt und aus der Wohnung gezogen. Mit einem schweren Ton fiel die Wohnungstür ins Schloss, während der Blonde sie eilig durch den Gang zu dem Fahrstuhl führte. Mirâ sagte nichts, betrachtete nur den Fußboden und ließ sich von dem jungen Mann führen, während sie über ihr Verhalten nachdachte. Mit Sicherheit würde das ihrem Kumpel noch Schwierigkeiten bereiten. Schon tat ihr die Aktion auch wieder leid und sie blickte vorsichtig hoch, auf den Rücken ihres Kumpels, welcher sie immer noch sanft, aber bestimmt mit sich zog. Für sie fühlte sich der Weg zum Fahrstuhl plötzlich wie eine Ewigkeit an und sie richtete noch einen kurz den Blick über ihre Schulter, um sicherzugehen, dass ihnen seine Mutter nicht gefolgt war. Die Tür des Fahrstuhls schloss sich hinter den Schülern, während der junge Mann die Taste für das Erdgeschoss drückte und sich dann an die Wand lehnte. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung und man vernahm nur noch das Surren der Motoren, während sich die Kabine langsam nach unten bewegte. Beide hatten ihre Blicke gesenkt und schwiegen, weshalb sich in Mirâ ein ungutes Gefühl breit machte. Hatte sie einen Fehler begangen? War ihr Kumpel nun sauer auf sie? Verdenken konnte sie es ihm nicht, immerhin hatte sie ihm mit Sicherheit Schwierigkeiten bereitet. Sobald er wieder oben war, gab es ganz sicher mächtigen Ärger. Vorsichtig blickte sie auf ihren Kumpel, dessen Blick immer noch gesenkt war. Seine Schultern bebten leicht. Ob alles in Ordnung war? „E-Es tut mir leid, Hiroshi-kun. I-ich weiß nicht, was…“, setzte sie zu einer Entschuldigung an, wurde jedoch unterbrochen, als der Blonde plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach. Irritiert blickte sie ihn an. Was war denn daran so witzig? Sie konnte daran nichts Lustiges finden, immerhin hatte sie ihn in noch größere Schwierigkeiten gebracht. Doch der junge Mann schien die ganze Sache sehr amüsant zu finden. „Wofür entschuldigst du dich denn? Du hättest ihr Gesicht sehen sollen. Unbezahlbar. Ehrlich“, brachte der Blonde nur unter lachen heraus. „A-Aber bekommst du deshalb nicht Ärger?“, fragte sie besorgt. Hiroshi winkte ab und wischte sich die Freudentränen aus den Augenwinkeln, während er erklärte, dass es wahrscheinlich so kommen würde, er aber drüberstehe: „Außerdem hat sie das mal gebraucht. Und für dieses Gesicht nehme ich es gerne im Kauf.“ Wieder begann er zu lachen, während Mirâ daran immer noch nichts Lustiges finden konnte. Sie senkte stattdessen den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie daran dachte, dass ihr Kumpel sowas jeden Tag ertragen musste, wurde ihr schwer ums Herz. Sie fand es nicht fair, dass er so behandelt wurde, nur weil sein Bruder so ein Mustersohn war. Auch wenn er nicht der Musterschüler oder Vorzeigesohn war, sowas hatte er nicht verdient. Eine Hand legte sich auf ihren Kopf und ließ sie den Blick heben, worauf sie in zwei warme dunkelblaue Augen sah, die sie anlächelten. Ein angenehmes warmes Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus, als würden hunderte von Schmetterlingen sich in die Lüfte erheben und darin herumflattern. „Danke, dass du für mich in die Presche gesprungen bist. Das freut mich wirklich. Aber mach dir darüber nicht so viele Gedanken. Okay? Sie ist wie sie ist und ich kann sie leider nicht ändern. Ich habe gelernt damit umzugehen“, sagte ihr Kumpel anschließend mit einem leichten Schulterzucken, doch weiterhin mit diesem Lächeln, welches ihr das Gefühl gab zu fliegen. Sie konnte es nicht leugnen: Es war dieses Lächeln, was sie so sehr an ihm mochte und ihr Wunsch war es, dass er sie immer so anlächeln würde. Die Fahrstuhltür öffnete sich und sie wurde mit einem sanften Schubs hinausgeschoben. Überrascht sah sie auf den jungen Mann, der nun die Hand hob und sie immer noch anlächelte, bevor er sich von ihr verabschiedete. „Wir sehen uns dann morgen in der Schule. Okay? Komm gut Heim und danke nochmal.“ Die Fahrstuhltür schloss sich wieder und zurück blieb eine vollkommen verwirrte junge Frau, deren Gesicht einer Tomate glich. Noch eine gefühlte Ewigkeit blickt sie auf die silberne Tür, welche sie leicht verschwommen reflektierte, bevor sie wieder endgültig zu sich kam und sich abwandte. Sie beruhigte sich langsam, doch das Kribbeln in ihrem Bauch wollte nicht vergehen. Die Schultern angezogen machte sie eine ruckartige Drehung und steckte die Hände in die Tasche ihrer Jacke, während sie sich auf den Weg machen wollte. Doch dann stoppte sie noch einmal, als sie etwas zu greifen bekam und es aus der Tasche zog. Zum Vorschein kam ein kleiner silberner USB-Stick. Mit einem Klatschen, welches in der gesamten Halle widerhallte, haute sie sich ihre flache Hand an die Stirn. Sie hatte vergessen den USB-Stick zu übergeben… Seufzend und sich ärgernd über ihre eigene Vergesslichkeit ließ sie den Kopf sinken und verließ das Gebäude. Dann musste sie ihn halt am nächsten Tag übergeben, denn sie hatte keine Lust bei der Menge an Briefkästen den richtigen zu suchen. Kapitel 91: XCI – Schulgeschichten ---------------------------------- Dienstag, 08.September 2015 „Guten Morgen“, grüßte Hiroshi die beiden Mädchen, als er in den Klassenraum trat. Beide hoben den Kopf und sahen zu dem jungen Mann, welcher an ihnen vorbei zu seinem Platz ging. Er stellte seine Tasche auf den Tisch und ließ sich dann auf seinen Stuhl nieder, den er zuvor zurückgezogen hatte. Akane, welche bisher neben der Violetthaarigen stand, drehte sich zu ihrem Kumpel um und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie ihn fragte was er nur immer für Dummheiten mache. Der Blonde grinste schief und zuckte mit den Schultern, während er meinte, dass er froh war, dass es nur seine rechte Hand war und nicht sein Fuß. Immerhin sei er Fußballer und auf seinen Fuß angewiesen. Außerdem wäre er sonst auch nur eine Belastung in der Spiegelwelt. Mit einer verstauchen Hand konnte er da gut leben. Besorgt beobachtete Mirâ, wie ihr Kumpel mit seinen Händen gestikulierte, während er mit der Brünetten sprach. Dabei fiel ihr Blick wieder auf die verletzte rechte Hand, welche in einen weißen Verband gewickelt war und noch immer geschwollen wirkte. Wie er damit wohl schreiben wollte? „Du Hiroshi-kun... Soll ich für dich mitschreiben?“, sprach sie plötzlich ihre Gedanken aus, ohne darüber nachzudenken. Der junge Mann brach den Satz ab zu dem er gerade angesetzt hatte und sah sie fragend an, ebenso wie Akane. Sofort spürte sie wieder Wärme in ihrem Gesicht aufsteigen, weshalb sie peinlich berührt die Hände hob und damit herumfuchtelte: „I-Ich meine wegen deiner verletzten Hand...“ Immer noch irritiert sah der Blonde sie an und warf dann einen verwunderten Blick auf seine Hand. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen: „Das Angebot ist lieb von dir. Aber ich komme schon klar. Ich schreibe einfach mit Links.“ Überrascht riss Mirâ die Augen auf, während sich Akane wieder an ihren Kumpel wandte und ihn fragte, ob er das denn überhaupt noch könne. Immerhin hatte er seine linke Hand schon lange nicht mehr zum Schreiben genutzt. Immer verwirrter blickte die Violetthaarige zwischen den Parteien hin und her und bekam dabei nur am Rande mit, wie der junge Mann nickte und erklärte, dass er es am Abend versucht habe und es noch klappte. „Es ist nur etwas ungewohnt nach so langer Zeit...“, lächelnd blickte er auf seine linke Hand, „Dadurch siehts etwas krakelig aus. Vielleicht ein Grund wieder mehr mit links zu schreiben.“ „Ähm...“, ließ die junge Frau die beiden wieder zu sich blicken, „Ich versteh das jetzt nicht so ganz...“ Hiroshi legte den Kopf schief und schien einen Moment zu brauchen, um zu verstehen, was die junge Frau meinte. Doch dann lächelte er lieb und hob seine linke Hand: „Ach so... Hab ich das nicht erwähnt? Ich bin eigentlich Linkshänder.“ Nun verstand die Violetthaarige gar nichts mehr. Es war nicht die Tatsache, dass ihr Kumpel Linkshänder war, sondern dass es ihr nie aufgefallen war. Sie war sich eigentlich sicher, dass er immer mit rechts schrieb. Wiederum hatte sie ihn nie ganz so intensiv beobachtet, um sagen zu können, ob er seine rechte Hand auch in alltäglichen Dingen verwendete. Aber wie hätte ihr auch etwas anders auffallen sollen, immerhin schrieb der Blonde mit rechts, als wäre es das Normalste der Welt. Dem Oberschüler schien die Verwirrung seiner Kameradin aufzufallen, weshalb er kurz kicherte. Er blickte wieder auf seine Hand und öffnete und schloss sie immer mal wieder, während er erkältet, dass seine Mutter zu der Sorte Mensch gehörte, die es nicht normal fanden, wenn man mit links schrieb. Deshalb bekam sie irgendwann den Rappel ihn „umerziehen“ zu wollen. Sie hatte ihn lange gestriezt, bis es für ihn selbstverständlich war mit rechts zu schreiben. Aus diesem Grund war diese Seite mittlerweile zu seiner Schreibhand geworden. Für alltägliche Dinge nutzte er aber hauptsächlich die linke Hand. Mirâ musste schlucken, als sie hörte, was der junge Mann noch so durchmachen musste. Nicht nur, dass ihn seine Mutter ständig herunterputzte, sie hatte ihm sogar einen natürlichen Vorgang abgewöhnt. Nur weil sie der Meinung war, es sei nicht normal. Was lief bei dieser Frau nur verkehrt? „Ich weiß was du denkst Mirâ“, sagte der Blonde lächelnd, „Aber wie ich gestern schon sagte: Mach dir darüber keine Gedanken. Sie ist wie sie ist. Man muss nicht versuchen sie zu verstehen, das bringt nämlich nichts.“ Besorgt sah sie ihren Kameraden an, doch nickte dann, auch wenn sie nicht verstand, wie er das alles nur aushielt. Die vordere Tür des Raumes wurde aufgeschoben und holte die Violetthaarige damit aus ihren Gedanken. Frau Masa betrat den Raum, woraufhin sich alle Schüler an ihren Platz setzten und sie so einen Überblick über ihre Klasse bekommen konnte. Mit Freude stellte sie fest, dass auch Hiroshi wieder anwesend war, während sie das Klassenbuch aufschlug und den Homeroom eröffnete. Während die Schüler der Jûgoya dem Unterricht folgten, sammelten sich über der Stadt dunkle Wolken, denen ein Unwetter folgte. Unerbittlich preschte der Regen gegen die Fensterscheiben des Gebäudes, begleitet vom lauten Grollen des Gewitters. So war es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Schüler ihre Mittagspause im Gebäude verbrachten oder nur kurz hinausgingen, um ganz schnell zu einer der Turnhallen zu flitzen. Auch Mirâ und ihre Freunde hatten sich dazu entschieden im Gebäude zu bleiben und so hatten sie sich in ihrer Klasse mehrere Tische zusammengeschoben und es sich dort bequem gemacht. Sogar Kuraiko hatte sich zu der kleinen Gruppe gesellt, während Masaru meinte, dass er in der Pause etwas für den Schülerrat zu erledigen hätte. Was Yasuo vorhatte wussten sie nicht genau, aber sie waren sich sicher, dass dieser sich irgendwo ein warmes Plätzchen zum Schlafen gesucht hatte. „Er erinnert irgendwie an eine Katze...“, hatte Akane beiläufig gemeint, als sie auf das Thema zu sprechen kamen und wurde daraufhin von irritierten Blicken fixiert. Ohne weitere Worte war sie daraufhin aufgestanden und hatte das Klassenzimmer verlassen, um zu den Sanitäranlagen zu gehen. Peinlich berührt schloss sie hinter sich die Tür und verschwand dann in einer der Kabinen. Sie sollte dringend aufpassen, was sie dachte und vor allem, was sie davon laut aussprach. Seufzend kam sie wieder aus der Kabine und sah dann durch das Fenster hinaus, wo das Unwetter noch immer tobte. Ein Blitzt zuckte und sie wandte den Blick wieder ab, um sich die Hände zu waschen. Als sie fertig war trat sie einen Schritt zurück, um ihr Taschentuch aus der Jackentasche zu ziehen. Plötzlich zuckte ein erneuter Blitz durch die Luft und erhellte einen Moment den Raum, bevor es dunkel wurde. Erschrocken sah die Brünette zu den ausgefallenen Lampen an der Decke, bevor sie sich entschloss so schnell wie möglich zu den andern zurückzugehen, in der Hoffnung, das Licht würde gleich wiederkommen. Doch als sie ihren Blick von der Decke nahm und dieser dabei den Spiegel streifte, wich ihr die Farbe aus dem Gesicht. Mit Entsetzen erkannte sie eine dunkle Silhouette, welche so wirkte, als würde sie sich von der anderen Seite des Spiegels dagegen drücken. Ein unheimliches Quietschen erklang, als die Gestalt ihre Hand herunterrutschen ließ, während das Licht plötzlich wieder anging. „KYAAAAAAAAAAH“, ein schriller Schrei hallte durch den Gang des zweiten Jahrgangs und ließ die Schüler rundherum erschrocken zusammenzucken. Auch Mirâ und ihre Freunde hatten den Schrei vernommen und verließen schnell den Raum, als ihnen bewusstwurde, dass es sich dabei um Akane handelte. In diesem Moment kam die Brünette aus den Sanitärräumen gestürmt und fiel einem Schüler in die Arme, welcher durch Zufall gerade daran vorbeikam. Sofort liefen ihre Freunde zu ihr und mussten dann erstaunt feststellen, dass die junge Frau solch ein Timing an den Tag gelegt hatte, dass sie genau in Yasuo gerannt war. Aber vielleicht war es auch Yasuos Timing genau in diesem Moment hier vorbeigekommen zu sein. Zitternd klammerte sie sich an den Oberkörper des Älteren, welcher ziemlich verwirrt auf die Brünette schaute. „Was ist passiert, Akane?“, fragte Mirâ besorgt. „D-D-D-Da im Sp-sp-spiegel!“, stotterte Angesprochene und zeigte zitternd auf die Tür der Mädchentoilette, „D-d-da war ein Schatten...“ Die Violetthaarige und Kuraiko stürmten in die Sanitärräume und schauten sich den Spiegel an. Doch außer ihrem eigenen Spiegelbild konnten sie nichts erkennen. Beide Schülerinnen tauschten einen Blick und verließen die Räumlichkeiten dann wieder, um mitzukriegen wie Yasuo die Brünette versuchte zu beruhigen und ihr über den Kopf strich. Die ganzen Schüler, welche die Gruppe nur skeptisch musterten, schienen ihm dabei nicht mal aufzufallen. Die anderen bemerkten sie allerdings schon und so schnappten sie sich den jungen Mann und sein Anhängsel und gingen in eine ruhige Ecke, um darüber zu sprechen was die junge Frau gesehen hatte. „Was war los?“, fragte Kuraiko leicht genervt, „Da war nichts im Spiegel.“ Die Brünette ließ endlich von Yasuo ab und fuchtelte dann panisch mit den Händen: „Aber da war ein Schatten! Und ein unheimliches Geräusch. Als würde jemand an der Scheibe quietschen. Wirklich!“ Hiroshi legte ihr seine Hand auf die Schulter: „Erstmal ganz ruhig. Was genau ist passiert?“ Die junge Frau biss sich kurz auf die Unterlippe und atmete dann erstmal richtig durch: „Es hat geblitzt und dann ging plötzlich das Licht aus... Und plötzlich war da dieser Schatten. I-ich hab mir den nicht nur eingebildet... Ihr glaubt mir nicht oder?“ „Ich glaube nicht, dass du ohne Grund plötzlich losschreist, Akane. Aber vielleicht waren die letzten Tage in dem Dungeon etwas zu viel für dich und deine Fantasie hat dir einen Streich gespielt“, versuchte Mirâ eine sinnvolle Lösung zu finden. Sie glaubte nicht, dass ihre Freundin log. Wieso sollte sie das auch tun? Aber sie waren von den Besuchen im Ryus Dungeon mehr als erschöpft, sodass ihre Köpfe ihnen etwas vorgaugelten. Es war die einzige sinnvolle Erklärung für dieses Phänomen, denn als Kuraiko und sie nachgesehen hatten, war da nichts. „Yo Chiyo. Was war denn mit dir los? Den Schrei hat man ja durchs ganze Schulhaus gehört“, erklang plötzlich Shuyas Stimme. Alle Blicke richteten sich auf den jungen Mann, welcher an der Wand lehnte und breit grinste. Die Brünette wurde mit einem Schlag rot und wandte das Gesicht ab. Es war ihr wirklich mehr als peinlich. Wieso konnte sie sich bei sowas auch nicht zurückhalten. Und noch dazu hatte es anscheinend auch noch die ganze Schule mitbekommen. „Das war unnötig, Shuyan“, schimpfte Hiroshi, welcher seinen Kumpel einen Klaps auf den Hinterkopf gab. Der Blau-Violetthaarige zuckte kurz zusammen und entschuldigte sich daraufhin: „Ich habs nicht so gemeint...“ „Schon gut...“, murmelte die brünette junge Frau mit immer noch angewandtem Blick. „Ah Nagase. Gut das ich dich hier treffe“, beendete eine bekannte Stimme die unangenehme Situation, „Was ist denn hier los?“ Masaru trat um die Ecke und schaute seine Freunde überrascht an, da er hier mit ihnen nicht gerechnet hatte. Doch bevor er näher darauf eingehen konnte hatte Shuya bereits das Wort ergriffen. „Was gibt es denn, Senpai?“, fragte er mit schief gelegtem Kopf. Der schwarzhaarige Schüler wandte seinen Blick von seinen Freunden ab und sah zu dem Gleichaltrigen, bevor er einen Zettel hob: „Es geht um euren Antrag für das Culture Festival. Prinzipiell findet die Schülervertretung eure Idee wirklich gut und wir hätten auch nichts dagegen, aber trotzdem können wir dem Antrag nicht zustimmen.“ „Was!? Wieso das denn!?“, der Angesprochene trat näher an den Drittklässler heran. Dieser seufzte kurz und erklärte dann, dass der Antrag nicht durchgeht, da einer der Beteiligten kein Schüler der Schule war. Dazu betonte er noch einmal, dass der Schülerrat dem eigentlich gerne zustimmen wolle. Aber der Direktor könnte da ein Problem werden, denn die Schulregeln besagten nun einmal, dass nur Schüler der Schule an den Aktivitäten teilnehmen durften. Shuya zog eine Schnute und zog die Schultern hoch, sodass er wie ein bockendes Kind wirkte. Dabei hatte er doch eine so geniale Idee für das Schulfest gehabt, immerhin wollte er doch mit seiner Band auftreten. Masaru bemerkte, dass die Sache den Blau-Violetthaarigen ärgerte, weshalb er noch einmal seufzte und ein Stück näher herantrat. „Das hast du nicht von mir... Und ob es zu 100% klappt, kann ich dir nicht versprechen. Aber wenn ihr eine Petition mit genügend Stimmen von Schülern zusammenbekommt, dann könnten wir den Direktor überredet bekommen“, sagte er anschließend und trat wieder einen Schritt zurück. Irritiert sah sein Gegenüber ihn kurz an, bevor er zu verstehen schien, was der Schwarzhaarige ihm gerade gesagt hatte. Plötzlich fing er an zu strahlen: „Wirklich!? Woah. Vielen Dank, Senpai.“ Just in diesem Moment schien er jemanden zu sehen, den er kannte. Denn er wandte sich kurz zu seinen Freunden, machte eine Handbewegung und verabschiedete sich, bevor er sich wieder umdrehte und plötzlich verschwand. „Lil-chan, Jun. Gut das ich euch hier treffe. Wir müssen was besprechen...“, hörte die Gruppe noch, bevor der junge Mann endgültig weg war. Masaru sah ihm nach und wandte sich dann wieder an seine Freunde, die ihn fragend ansahen. Er zuckte kurz mit den Schultern und erklärte, dass es um eine Angelegenheit wegen des Culture Festivals ging und er deshalb im Auftrag des Schülerrates unterwegs war. Er wandte sich dann wieder an seine Freunde: „Und warum steht ihr hier so versteckt?“ Kuraiko seufzte genervt und ging langsam an ihm vorbei: „Akane hatte irgendwelche Halluzinationen und dadurch die halbe Schule zusammengeschrien.“ Ein fragender Blick traf Akane, welche nur zusammenzuckte und dann wieder gen Boden schaute. Nun war auch noch Kuraiko sauer auf sie. Diese setzte sich in Bewegung und ging an Masaru vorbei: „Lasst uns zurück in den Klassenraum gehen und weiteressen. Wir haben noch eine halbe Stunde und die will ich nicht auf dem Gang verbringen.“ Mirâ seufzte und sah dann wieder zu Akane, die mit gesenktem Kopf an ihnen vorbeiging und der Schwarzhaarigen folgte. Auf den erneut fragenden Blick des älteren Schülers schüttelte sie nur den Kopf und meinte, dass sie ihm alles später erklären würde, bevor sie ihren beiden Freundinnen in die Klasse folgte. Am Nachmittag hatte sich Mirâ kurz im Lehrerzimmer eingefunden, um sich für den Botanikklub einzuschreiben, wie sie es Kuraiko in den Sommerferien versprochen hatte. Sie hatte eigentlich gar keine Ahnung von Pflanzen, aber ihre Freundin würde sie dabei schon unterstützen. Außerdem wusste man nie, wofür das Wissen um Pflanzen mal gut sein würde. Höflich verbeugte sich die junge Frau, während sie das Lehrerzimmer wieder verließ und in Richtung des Haupteingangs ging, um sich dann auf den Weg zum Klubraum zu machen. „Was wollen wir jetzt noch machen, Hiro?“, hörte sie Shuyas Stimme, welchen sie auch kurz darauf bereits zwischen den Schuhschränken stehen sah. Er lehnte an einem der Regale, während er darauf wartete, dass sich sein bester Kumpel die braunen Slipper übergezogen hatte. Wie sie den blonden Jungen so sah, fiel der jungen Frau wieder ein, dass sie noch etwas hatte, was sie ihm zurückgeben musste. So griff sie in ihre Jackentasche und machte dann einen Schritt auf die beiden jungen Männer zu. „Hiroshi-kun?“, fragte sie vorsichtig, weil sie nicht wollte, dass sich ihr Kumpel erschreckte. Trotzdem zuckte er leicht zusammen und stoppte kurz in seinem Tun, bevor er sich den zweiten braunen Schuh überzog und sich dann mit fragendem Blick zu ihr umdrehte. Überrascht schaute er auf den kleinen silbernen Gegenstand, welchen Mirâ ihm entgegenhielt und schien für einen Moment nicht zu wissen, was er damit anfangen sollte. „Ähm… Den sollte ich dir noch zurückgeben. Ich hab es… gestern nur irgendwie vergessen“, brachte die junge Frau verlegen heraus und verbeugte sich dann höflich, „Tut mir wirklich leid.“ Der junge Mann griff nach dem Gegenstand und betrachtete ihn, bevor ihm auffiel, dass es sich dabei um einen seiner USB-Sticks handelte: „Wo hast du den denn her?“ Die junge Frau zuckte kurz zusammen und überlegte, was sie dazu sagen sollte. Es war ja an sich kein Problem zu sagen, dass dieses Mädchen ihn ihr gegeben hatte, jedoch wusste sie trotzdem nicht wie sie anfangen sollte. „Ah…“, mischte sich plötzlich Shuya ein, als er den kleinen Stick erkannte, „Ist das nicht der, den du Emi geliehen hast? Wegen dem neuen Album? Sie kam gestern schon damit zu mir, aber ich hatte gestern was vor. Deshalb hab ich sie zu Chiyo geschickt, weil ich davon ausgegangen bin, dass sie dich am Nachmittag besuchen kommt.“ „G-genau… Akane hat ihn mir dann gegeben, als sie mich fragte, ob ich gehen könnte“, erleichtert fand Mirâ ihre Sprache wieder. „Ach so. Ich hatte gar nicht mehr dran gedacht, dass ich den Emi gegeben hatte…“, ein Lächeln bildete sich auf Hiroshis Lippen, welcher den Stick in seiner Jackentasche verschwinden ließ, „Danke dir Mirâ.“ „N-nichts zu danken. Tut mir nur leid, dass ich es gestern vergessen habe…“, entschuldigte sich die junge Frau noch einmal und wandte sich im gleichen Atemzug plötzlich an Shuya, „Nagase-kun! Es tut mir wirklich leid!“ Erschrocken wichen die beiden jungen Männer einen Schritt zurück, als sich die Violetthaarige plötzlich unvermittelt verbeugte. Fragend sahen sich die beiden kurz an, bevor sie wieder auf die Schülerin blickten, welche sich dafür entschuldigte, dass sie sich in Mikadtsuki-cho so schrecklich verhalten hatte. Sie hatte ihn mit seiner Aussage, dass er seine Schwester sicher bald wiedersehen würde, mit Sicherheit verletzt und dafür wollte sie sich entschuldigen. Als sie wieder aufschaute, sah sie in das verwirrte Gesicht von Shuya, woraufhin sie erklärte, dass sie von Rin erfahren hatte, dass seine Schwester bereits tot sei. „Da ist mir erstmal bewusst geworden, was für einen Mist ich damals gesagt habe. Ich hoffe du bist mir nicht böse“, sie deutete noch einmal eine Verbeugung an. Der Ältere wurde plötzlich ernst und kratzte sich am Nacken, während er das Schuhregel ihm gegenüber beobachtete: „Schon okay. Ich hätte ja auch was dazu sagen können. Aber ich spreche nicht gerne darüber, verstehst du?“ Natürlich verstand das Mirâ, weshalb sie nur nickte. Was anderes konnte sie dazu auch nicht sagen. Sie wusste nicht, wie es war einen Menschen auf diese Weise zu verlieren und hoffte auch, dass dies nie der Fall sein würde. Mit einem leichten Lächeln sah der junge Mann zu Mirâ und grinste plötzlich wieder, bevor er meinte, dass sie sich darüber keinen Kopf machen brauchte. Er habe sich mittlerweile an die Situation gewöhnt und mache nun das Beste daraus. Ändern konnte er es ja leider sowieso nicht mehr. „Also mach dir darüber keine Gedanken“, sagte er grinsend und wandte sich dann an Hiroshi, „Wollen wir dann, Hiro? Möchtest du mitkommen Shingetsu? Wir wollen was zusammen essen gehen.“ Die Violetthaarige schüttelte den Kopf und erklärte dann, dass sie noch zu einem Klub wollte, bevor sie den beiden jungen Männern einen schönen Nachmittag wünschte und sich dann auf den Weg machte. Sie brauchte eine Weile, bis sie den Raum gefunden hatte, den der Botanikklub für sich nutzen durfte und blickte dann auf einen jungen Mann mit auffällig heller Haut und fehl am Platz wirkenden schwarzen kurzen Haaren. Überrascht stellte sie fest, dass es Shirota Tsukiyama war, welcher etwas unschlüssig vor der Tür des Zimmers stand und mit sich zu hadern schien, ob er eintreten sollte oder nicht. Vorsichtig trat die Violetthaarige an ihn heran. „Kann ich dir helfen?“, fragte sie, woraufhin er erschrocken zusammenzuckte und sie ansah, „Möchtest du zum Botanikklub? Kuraiko hat mir letztes Mal erzählt, dass du Mitglied bist. Wieso gehst du nicht einfach rein?“ Shirota senkte den Blick, konnte jedoch keinen festen Punkt fixieren, weshalb seine Augen nervös hin und her zuckten: „N-Nein. B-besser nicht. Kuro-chan… i-ich meine Kuraiko wird sicher sauer auf mich sein, w-weil ich so lange nicht beim Klub war.“ „Dann entschuldige dich doch einfach dafür…“, meinte die junge Frau mit angehobener Augenbraue, „Sie wird’s sicher verstehen.“ Der schwarzhaarige Junge schüttelte den Kopf und setzte sich dann in Bewegung, um kurz darauf an ihr vorbeizugehen: „N-nein besser nicht. Machs gut.“ Irritiert sah Mirâ ihm nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war und klopfte dann an die Tür, bevor sie diese aufschob. Daraufhin trat sie in einen mit Licht durchfluteten Raum. Die Fenster hier waren etwas größer, als in den restlichen Räumen, weshalb er beinahe den Eindruck eines Gewächshauses hinterließ. Überall standen verschiedene Pflanzen in den Ecke. Als sie nach oben sah erkannte sie mehrere an der Decke befestigte Blumengefäße in denen sich verschiedene Pflanzen befanden. Es gab nur vier aneinander geschobene Tische, welche in der Mitte standen und um welche sich mehrere Stühle verteilten. Auf einen von ihnen saß Kuraiko, welche dem Neuankömmling einen fragenden Blickzuwarf. Lächelnd hob Mirâ die Hand und grüßte ihre Freundin, welche vollkommen verwirrt wirkte: „Ich hätte gern noch Tsukiyama-kun mitgebracht, aber er hatte es sich dann doch noch anders überlegt.“ Ein Schnauben war zu hören: „Der Feigling hat sich also bis her, aber nicht reingetraut. War ja klar.“ „Ich denke er hat Angst, dass du ihn wieder so angehst, wie beim letzten Mal“, meinte Mirâ vorsichtig. Wieder schnaubte die Schwarzhaarige: „Er hats nicht anders verdient.“ Ein leichtes Lächeln bildete sich auf dem Gesicht der violetthaarigen Schülerin. Ihr war aufgefallen, dass Kuraiko die Sache mit Shirota nicht ganz so kalt ließ, wie sie vorgab. Als sie seinen Namen erwähnte, hatte sie in den Augen der Schwarzhaarigen etwas bemerkt, was wie Erwartung wirkte. Auch als sie den Raum betreten hatte war ihr der erwartungsvolle Blick aufgefallen. So als hätte sie nur darauf gewartet, dass der junge Mann oder einer aus ihrem Klub endlich mal wieder vorbeischauen würde. „Wolltest du etwas von mir?“, wechselte Kuraiko plötzlich das Thema. Das Lächeln auf Mirâs Gesicht wurde breiter, während sie die Arme hinter dem Rücken verschränkte: „Ich bin ab heute Mitglied des Botanikklubs. Ich hatte dir doch in den Sommerferien versprochen, dass ich mich anmelden und dich unterstützen werde.“ Mit großen violetten Augen sah die schwarzhaarige Schülerin ihre Freundin an, welche plötzlich anfingen zu strahlen. Jedoch nur für einen kurzen Moment, denn dann hatte sich Kuraiko wieder gefangen und ihre typische Maske aufgesetzt und sah die Violetthaarige mit ihrem üblichen Blick an. „Wird ja auch mal Zeit“, meinte sie nur, „Da haben wir ja einiges vor uns, um deine Kenntnisse über Pflanzen aufzubauen.“ Mirâ konnte sich ein Kichern nicht mehr verkneifen, da diese Reaktion typisch für ihre Freundin war und sie damit gerechnet hatte. Trotzdem merkte man ihr an, wie sehr sie sich eigentlich darüber freute, es nur nicht zeigte. Die violetthaarige Schülerin merkte, wie sich eine angenehme Wärme in ihrer Brust ausbreitete und sie war sich bewusst, der Schwarzhaarigen wieder ein Stückchen nähergekommen zu sein. Kapitel 92: XCII – Innere Stärke -------------------------------- Mittwoch, 09.September 2015 Langsam erwachte die junge Frau aus ihrem Schlaf, doch ließ noch einen Moment die Augen geschlossen und genoss die Ruhe, welche in ihrem Zimmer lag. Irgendetwas hatte sie geweckt, doch sie konnte nicht genau sagen was es war. Waren es die Geräusche, die sich innerhalb der Wohnung abspielten? Oder war es der Traum, den sie hatte? Sie öffnete die Augen und drehte sich langsam auf den Rücken, um kurz darauf die Decke zu beobachten. Seit einigen Tagen hatte sie immer den gleichen Traum. Sie befand sich in einem dunklen Labyrinth, welches mit jedem Mal, wenn sie vorwärts ging, seine Form änderte. Jedoch empfand sie diesen Zustand nicht als bedrohlich und angsteinflößend, sondern viel mehr interessant und spannend. Es war wie in einer Fantasiewelt, in der der Held das Rätsel des Labyrinths lösen musste, um am Ende des Weges die Prinzessin zu befreien. Ob sie diese merkwürdigen Dinge träumte, weil sie etwas Merkwürdiges erlebt hatte? Immerhin war es noch nicht einmal ganz eine Woche her, dass sie von ihren Freunden aus einem Dungeon gerettet wurde. Wie sie dabei herausgefunden hatte, war sie ja auch mehrere Tage dort gefangen gewesen. Sie war über sich selbst erstaunt, wie ruhig sie letzten Endes in dieser merkwürdigen Welt geblieben war. Sicher, Anfangs hatte sie sich wirklich gefürchtet und geweint, jedoch war irgendwann eine Ruhe über sie gekommen, die eigentlich eher untypisch für sie war. Ob es an ihrer Persona lag, die erwacht war? Hatte Nechbet ihr bereits vorher das Gefühl gegeben sicher zu sein und sie hatte das unbewusst wahrgenommen? Man konnte es schlecht sagen. Sie hob ihre rechte Hand und betrachtete diese. Persona und Shadows, die in einer unwirklichen Welt lebten… es klang für sie immer noch wie eine Sci-Fi Geschichte und doch wusste sie, dass es wahr war. Nicht nur, dass ihr Mirâ mit ihrem Besuch auch noch einmal klargemacht hatte, wie viel Wirklichkeit dahintersteckte, sie spürte auch ganz deutlich das warme Leuchten ihrer Persona Nechbet in sich, welches ihr verriet wie real das Ganze war. „Eigentlich könnte man daraus einen coolen Manga machen…“, ging ihr plötzlich durch den Kopf, doch schreckte plötzlich hoch, als ihre Tür mit einem Ruck aufgerissen wurde. „Megumi, wie lange willst du mich noch ignorieren? Los raus mit dir!“, schimpfte ihre Mutter, welche nun in der Tür stand. Mit großen grünen Augen sah die Brünette die ältere Frau an und richtete dann langsam ihren Blick auf ihren Wecker. Dieser zeigte in großen grünen Zahlen an, dass es bereits kurz nach sieben Uhr war. Es brauchte eine Weile, bis diese Information bei der Jüngeren ankam, doch plötzlich wühlte sie sich aus ihrer Decke und wollte aus dem Bett stürmen. Allerdings blieb sie dabei an hängen und fiel kurz darauf mit einem dumpfen Knall zu Boden. „Aua…“, murmelte sie nur, während ihre Mutter nur kopfschüttelnd den Raum verließ und nuschelte, dass das doch nicht wahr sein konnte. Eine dreiviertel Stunde später verließ Megumi die U-Bahn in der Station des Jûgoya Campus und beeilte sich so schnell wie nur irgend möglich noch rechtzeitig zur Schule zu kommen. In der Regel stand sie bereits um sechs Uhr morgens auf, da sie einen doch recht langen Schulweg hatte. Immerhin musste sie einmal quer durch die Stadt fahren, um zur Jûgoya zu gelangen. Doch durch die langen Sommerferien und die zusätzlichen zwei Tage, die sie aufgrund ihrer Verfassung zuhause war, hatte sie vollkommen vergessen ihren Wecker zu stellen. Deshalb hatte sie es nicht einmal geschafft zu Frühstücken und sich deshalb unterwegs schnell zwei geschmierte Toastscheiben zwischen die Zähne geschoben. Zwar gab es in ihrem Wohnviertel auch eine staatliche Oberschule, jedoch hatte sie sich bewusst für die Privatschule in einem anderen Stadtteil entschieden. Zum einen konnte sie so die gleiche Bildungseinrichtung wie ihre beste Freundin Matsurika besuchen und zum anderen gab es hier einen sehr guten Kunstklub, der auch die Kunstform förderte, die sie so liebte: Manga. Natürlich kam sie auch mit klassischer Kunst aus, immerhin liebte sie das Zeichnen allgemein, doch gerade Mangas und Animes hatten es ihr angetan. Völlig außer Atem erreichte sie das Schultor, an welchem bereits der Hausmeister wartete, um dieses zu schließen. Immerhin war das Tor während der gesamten Schulzeit zu, damit niemand einfach ausreisen konnte. Im Grunde war dies aber auch nicht nötig, immerhin gab es alles in der Schule, was man brauchte. Sogar Mittagessen. An den Schuhschränken angekommen schnaufte sie erst einmal durch und suchte dann nach ihrem Fach, welches sie öffnete. Doch kaum war das dieses offen, rückte sie einen Schritt zurück, als daraus mehrere Papierkugeln und sogar alte Bananenschalen fielen. Sie schnalzte mit der Zunge und musterte den kleinen Haufen zu ihren Füßen, bevor sie seufzte, den Müll aufhob und ihn im nächsten Mülleimer versenkte. Es war jeden Mal das gleiche. Ihre Mitschüler machten sich einen Spaß daraus sie zu ärgern, indem sie ihr irgendwelche Dinge ins Schuhfach legten oder sie hin und her schubsten, weil sie so klein war. Es nervte sie, jedoch machte ihr das eher weniger aus. Sie kannte solche Sticheleien zur Genüge und hatte sich mittlerweile damit abgefunden. In der Mittelstufe hatten sie diese Dinge wirklich runtergezogen und sie versuchte sich zu wehren, aber dann musste sie ernüchternd feststellen, dass es nichts brachte und sie auch sonst nicht auf die Hilfe der Erwachsenen zählen konnte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als es zu ignorieren und das funktionierte. Irgendwann hatten ihre Klassenkameraden das Interesse an ihr verloren und sich ein neues Opfer ausgesucht, weshalb sie das letzte Jahr der Mittelschule sogar ihre Ruhe hatte. Hier in der Oberschule hatte es wieder begonnen – wahrscheinlich aufgrund ihrer Größe, aber mittlerweile konnte sie das gut ignorieren. Es regte sie nur auf, wenn ihre Klassenkameraden an ihre privaten Dinge, wie ihre Zeichenutensilien gingen, denn auch davor machten sie nicht halt. Aus diesem Grund sah ihr geliebter Zeichenblock auch schon ziemlich ramponiert aus. Zum Glück hatte sie darin nur einige Skizzen und keine fertigen Zeichnungen, trotzdem ärgerte sie so etwas. Sie könnte den Block natürlich auch zuhause lassen, jedoch hatte sie häufig irgendwelche Ideen während der Schulzeit und musste diese dann in der Pause sofort skizzieren, um sie nicht wieder zu vergessen. Da war es sinnvoll den Block immer dabei zu haben. Erneut seufzte sie, als sie sich ihre Schulhausschuhe ansah, welche an einigen Stellen mit Banane verdreckt waren. Leicht angeekelt zog sie die Sandalen heraus und blickte ins Innere, welches jedoch sauber wirkte. Wenigstens hatten sie ihr keine Essensreste hineingesteckt. Sie öffnete ihren Rucksack, holte eine Packung feuchte Tücher heraus, welche sie mittlerweile genau wegen solcher Fälle immer bei sich hatte, und reinigte damit ihre Hausschuhe. Dann schlüpfte sie aus den braunen Slippern und tauschte diese durch ihre gereinigten Schlappen, bevor sie sich auf den Weg in die Klasse machte. Als sie den Raum betrat waren sofort alle Blicke auf sie gerichtet, allem voran von einer Gruppe von Schülern, welche aus zwei Jungs und drei Mädchen bestand. Während die anderen Schüler sich kurz darauf wieder auf das konzentrierten, was sie bis eben noch gemacht hatten, blickten diese fünf sie breit grinsend an. Sie saßen in der letzten Reihe und schienen nur darauf zu warten, dass die Brünette an ihnen vorbeikam. Diese schluckte kurz und schloss dann die Tür hinter sich, bevor sie sich in Bewegung setzte und an ihnen vorbeiging. „Riecht es hier nicht nach Bananen? Sag mal Yoshiko, hast du einen Affen zuhause?“, fragte eines der drei Mädchen und begann zu lachen, woraufhin die anderen Vier mit einstimmten. Megumi seufzte nur, ignorierte diesen Spruch jedoch und ging an ihren Platz, welcher sich in der Mitte des Raumes befand. Hinter sich konnte sie bereits das dumme Kichern der fünf hören und wusste an ihrem Platz auch genau warum. Auf dem Stuhl lag noch mehr Müll, welcher ihre Uniform mit Sicherheit versaut hätte, wenn sie es nicht rechtzeitig bemerkt hätte. Sie sah sich in der Klasse um, doch alle Schüler, deren Blick sie traf, wandten diesen wieder ab. Niemand hatte also mal wieder etwas gesehen. Wie immer. Jedoch war es auch nicht nötig. Es war eindeutig, wer dafür verantwortlich war. Wieder seufzte sie, nahm sich ein weiteres Tuch aus ihrer Tasche und räumte den Müll wie selbstverständlich weg. Gerade als sie vorn bei den Mülleimern war, wurde die Tür neben ihr aufgerissen, woraufhin sie auf ihren Klassenlehrer schaute, der lässig das Klassenbuch über der Schulter hielt. Überrascht sah er die Schülerin an, welche sofort wieder zu ihrem Platz zurückging. Schnell wischte sie noch ihren Stuhl ab und setzte sich dann. Sie hatte noch nicht einmal Zeit ihre ganzen Sachen auszupacken, bevor der Lehrer mit dem Homeroom begann. Seufzend ließ sie ihren Kopf auf den Tisch sinken. Was ihre Klassenkameraden von dem Mobbing hatten wusste sie nicht, jedoch hoffte die junge Frau, dass sie bald den Spaß daran verlieren würden. Der Unterricht zog sich in die Länge, jedoch hatte die Schülerin in der Zeit wenigstens Ruhe vor ihren fünf Mobbern. Als es endlich zur Mittagspause klingelte erhob sich die Brünette von ihrem Stuhl, schnappte sich ihr Bento und wollte die Klasse verlassen. Bewusst hatte sie dabei den Weg zur vorderen Tür gewählt, allerdings war ihr dabei nicht aufgefallen, dass sie an dieser bereits erwartet wurde. Gerade als sie hinaustrat, spürte wie, wie etwas ihren rechten Fuß blockierte. Doch bevor sie reagieren konnte war es bereits zu spät. Sie stürzte zu Boden und ließ dabei ihre Box mit dem Mittagessen fallen, welches sich kurz darauf auf dem Boden des Ganges verteilte. Einige Schüler, welche drumherum standen sahen sie zwar erschrocken an, doch es half ihr niemand. „Ahahaha, nicht mal laufen kannst du“, lachte eines der Mädchen aus der Gruppe. Schweigend erhob sich die Brünette und starrte auf ihr nun verteiltes und nicht mehr essbares Mittagessen. Dieses Mal biss sie sich auf die Unterlippe. Zum einen, weil der Schmerz auf den Knien doch relativ groß war, zum anderen, weil es genau solche Situationen waren, die sie wirklich nervten. Sie konnten sie verbal fertig machen, ihr Müll ins Fach und auf den Stuhl packen oder sie beleidigen. Das alles konnte sie ignorieren, doch sobald ihre privaten Sachen betroffen waren, ging ihr das schon ziemlich nah. Zumal sie an diesem Tag ja nicht einmal richtig gefrühstückt hatte. Sie hatte sich eigentlich auf ihr Mittagessen gefreut. Ruhig versuchte sie durchzuatmen und unterdrückte damit nun doch einige aufkommende Tränen, während das Mädchen und ihre Freunde sie auslachten. Plötzlich jedoch stoppte die dumme Ziege abrupt, als sie am Arm gepackt und herumgerissen wurde. „Hör auf zu lachen, du dumme Ziege. Ich hab genau gesehen, wie du Megu ein Bein gestellt hast“, schimpfte eine Megumi bekannte Stimme. Überrascht sah sie auf und blickte auf Matsurika, welche den Unterarm des Mädchens hielt und sie böse ansah. Wütend riss diese sich los und fragte, was sich die Schwarzhaarige einbildete. Dabei ließ sie auch von einer Beleidigung nicht ab, welche sie der anderen an den Kopf knallte. Diese hatte wesentlich weniger Geduld bei so etwas, als Megumi und holte sogleich mit der Hand aus. Bevor sie jedoch zuschlagen konnte, wurde auch sie am Handgelenkt gepackt. Überrascht weiteten sich Megumis Augen, als sie Hiroshi erblickte, welcher hinter Matsurika stand und deren Handgelenk hielt. „Riskier lieber keinen Schulverweis“, sagte er zu der Schwarzhaarigen, welche mit knallrotem Gesicht die Hand wieder sinken ließ, während er sich an das andere Mädchen wandte, „Und du solltest lieber aufpassen, mit welchen Beleidigungen du um dich wirfst. Fass dir lieber mal an die eigene Nase. Du bist auch nicht gerade die schönste Blume im Garten.“ „Megumi-chan“, holte sie eine Stimme aus ihren Gedanken. Sie wandte ihren Blick von Hiroshi ab und sah Mirâ, welche neben ihr hockte und sie besorgt ansah: „Ist alles in Ordnung?“ Megumi senkte den Blick und nickte dann, bevor sie auf ihre Knie ging: „Ja es geht schon… nur schade um mein Essen.“ Im Augenwinkel sah sie, wie die Ältere auf das verschüttete Essen sah und dann seufzte: „Du kannst was von uns haben. Wir geben dir einfach alle etwas ab.“ „D-Danke…“, antwortete die Brünette etwas überrascht. Ein erboster Aufschrei ließ sie wieder zu dem Geschehen hinter sich blicken, wo sie sah, wie sich das Mädchen echauffierte und Hiroshi ankeifte. Als wäre das nicht genug gewesen, stießen auch noch die beiden Jungen aus der Gruppe dazu. Doch es reichte nur ein einfacher Seitenblick des Blonden, dass sie zurückwichen. „Hört mal Jungs, wenn ihr keinen Ärger wollt, dann verzieht euch lieber“, er wandte seinen Blick wieder auf das angepisste Mädchen, „Das gilt auch für dich und die anderen beiden Weiber. Lasst Megumi-chan in Ruhe, sonst setzt es was.“ „Kche…“, das Mädchen wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch beließ es plötzlich dabei. Sie warf ihre langen schwarzen Haare über ihre Schultern, hob die Nase und ging dann mit einem „Tze“ an dem Älteren vorbei. Ihre beiden Freundinnen und die Jungs folgten ihre, während Hiroshi der Gruppe kurz nachsah. Überrascht sah Megumi zwischen ihren Freunden hin und her und konnte gar nicht glauben, dass sich jemand so sehr für sie einsetzte. Das machte sie glücklich, weshalb ihr nun doch einige Tränen in die Augen stiegen, die sie allerdings schnell wegwischte. Erst als sie wieder aufschaute bemerkte sie die Traube an Schülern, welche um die kleine Gruppe herumstanden und sie ansahen. Sofort stieg ihr Röte ins Gesicht, da diese ganze Aufmerksamkeit nicht wirklich angenehm für sie war. Sie senkte den Blick, doch spürte daraufhin eine Hand auf ihrer Schulter, welche sie zu Mirâ schauen ließ, die sie anlächelte. Einige Minuten später saß sie gemeinsam mit Matsurika, Mirâ und deren Freunden in der Mensa an einem großen Tisch, während mehrere Bento Boxen vor ihr standen. Gemeinsam mit den älteren Schülern und Matsurika hatte sie die Schweinerei auf dem Gang weggemacht, bevor diese sie zum Mittagessen eingeladen hatten. Nun saß sie also bei ihnen und jeder hatte etwas von seinem Essen an sie abgegeben. Etwas peinlich berührt sah die Brünette zu ihren Freunden, welche sich hektisch über das Geschehene unterhielten. Amüsiert musste sie feststellen, wie Akane beinahe durch die Decke ging, als sie erfuhr was geschehen war, doch von Kuraiko wieder auf den Boden der Tatsache gebracht wurde, welche ihr einen Klaps auf den Hinterkopf gab. Dazu meinte sie, dass sie aufhören solle so zu schreien, immerhin waren sie hier nicht alleine. Peinlich berührt war die Brünette mit ihrer Stimme wieder runtergefahren und auf ihrem Stuhl zusammengesunken, während Hiroshi nur seufzte und meinte, dass es typisch für sie war. Ihn regte es ja auch auf, aber er machte daraus kein Theater. „Es ist schön in so einer großen Runde zu essen. Nicht war, Megu?“, sprach Matsurika sie plötzlich an und holte sie damit aus ihren Gedanken. Überrascht sah sie zu ihrer besten Freundin und nickte dann. Die Schwarzhaarige senkte jedoch den Blick und starrte auf die Tischplatte. „Es tut mir leid Megu, dass ich nicht mitbekommen habe, was in deiner Klasse abgeht. Ich war eine schlechte Freundin, die nur Augen für ihre eigene Welt hatte“, sagte sie unvermittelt, „Aber… warum hast du nichts gesagt? Das muss doch schrecklich gewesen sein.“ Die Unterhaltung am Tisch endete abrupt, als die Ältere das Gespräch der jüngeren Schülerinnen mitbekamen. Das schien denen allerdings nicht aufzufallen. Stattdessen sah nun auch Megumi auf den Tisch und schloss kurz die Augen, bevor sie Matsurika wieder direkt ansah: „Weil es mir prinzipiell nichts ausgemacht hat.“ Überraschte Blicke trafen die Jüngere, welche daraufhin erklärte was genau sie störte. Dass sie mittlerweile mit solchen Dingen wie Beleidigungen und Sticheleien klarkam und sie ignorieren konnte. „Nur Menschen, die selber irgendeinen Minderwertigkeitskomplex haben, machen andere Menschen fertig. Sie stehen also auch nicht über mir, weshalb es mir nichts bringt mich darüber zu ärgern“, erklärte sie, „Wenn man sie ignoriert hören sie in der Regel von alleine auf…“ Sie bemerkt, dass vor allem Hiroshi sie mit großen blauen Augen ansah und dann über etwas nachzudenken schien. Auch der Blick, den Akane ihm daraufhin zuwarf, war ihr nicht entgangen, doch für den Moment spielte das keine große Rolle, weshalb sie weitersprach und erklärte, dass es sie am meisten nervte, wenn jemand an ihre privaten Sachen ging. „Insbesondere meine Zeichensachen sind mir heilig… ich kann es absolut nicht leiden, wenn jemand einfach da rangeht. Und dann fühle ich mich auch selber wirklich angegriffen“, sagte sie mit solch einer Ausdruckskraft, dass ihre Freunde nicht mehr wussten was sie noch dazu sagen sollten. Am späten Nachmittag war Megumi hinunter zum Fluss gelaufen und hatte sich dort an ihrem üblichen Platz niedergelassen. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen sah sie hinunter auf das fließende Wasser, an welchem kleine Kinder spielten und hin und herrannten. Sie liebte diesen Ort. Nach einem stressigen Schultag kam sie wirklich gerne hierher, um auszuspannen. Allerdings hatte dies noch einen anderen Grund. Sie schaute kurz über ihre Schulter, doch konnte nicht entdecken wonach sie suchte. Seufzend wandte sie ihren Blick wieder nach vorn, setzte sich bequem hin und kramte dann ihren Zeichenblock und Stifte aus dem Rucksack. Doch gerade, als sie zu ihrem ersten Strich ansetzen wollte, erklang eine männliche Stimme, welche ihr Herz mit einem Mal höherschlagen ließ. „Heute bist du also auch wieder da, Yoshiko-chan“, sagte diese und ließ die junge Frau sich wieder umdrehen. Daraufhin schaute sie auf einen Jungen mit braunem etwas längerem Haar, welches er mit einem breiten Stoffband zu bändigen versuchte. Durch seine dunklere Haut kamen seine grünen Augen unter der Brille noch viel mehr zur Geltung, mit welchen er die Jüngere freundlich anlächelte. Er trug den weiß-schwarzen Pullover der Jûgoya, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte und auf dessen linker Brust das Logo der Schule prangerte. Am unteren Saum des Pullis lugte sein weißes Hemd hervor, welches er nicht in die schwarze Hose gesteckt hatte. Unter seinen linken Arm hatte er seine schwarze Schultasche geklemmt, während er in der rechten Hand einen Koffer hielt, in dem sich, wie sie wusste, ein Instrument befand. „Lange nicht gesehen, Obata-senpai“, grüßte sie den Hinzugekommenen, welcher sich neben ihr auf das Gras sinken ließ. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie den jungen Mann, während sich ein leichter Rotschimmer auf ihren Wangen bildete. Es war am Anfang des Schuljahres, als sie sich das erste Mal hier begegnet waren. Sie hatte diesen Platz nach einem anstrengenden Schultag gefunden und sich hier niedergelassen, um etwas zu zeichnen und runterzukommen. Und plötzlich hatte er hinter ihr gestanden und sie auf ihre Skizze angesprochen, welche sie angefangen hatte. Anfangs war sie skeptisch dem jungen Mann gegenüber gewesen, dessen Name Naoto Obata war. Er wollte um jeden Preis ihre Zeichnungen sehen, jedoch hatte sie ihm diese aus Scham nicht gezeigt. Viel zu oft war sie deshalb bereits veralbert worden und nicht nur einmal hatte ihr Block daraufhin irgendwo im Dreck gelegen. So schnell fiel sie also darauf nicht rein. Doch der Brünette hatte nicht lockergelassen. Er hatte ihr sogar offenbart, dass er totaler Anime-Fan sei und deshalb jeden beneidete, der so etwas zeichnen könnte. Auch das glaubte sie Naoto anfangs nicht. Viele sagten so etwas und am Ende war es nur ein Trick. Erst als er plötzlich sein Saxophon ausgepackt hatte und eine Melodie aus einem doch eher unbekannten Anime gespielt hatte, hatte sie nachgegeben. Rückblickend betrachtet war der Tag sogar richtig lustig gewesen. Wie der Ältere um jeden Preis versucht hatte die Bilder sehen zu dürfen, wie ein neugieriges Kind, was wissen wollte, was es zu Weihnachten bekam. Auch wie er mit strahlenden Augen die Bilder begutachtet hatte, als sie endlich nachgegeben hatte. Das alles waren Dinge, die dafür gesorgt hatte, dass sie sich augenblicklich in Naoto verliebt hatte. Natürlich hatte sie ihm das bisher noch nicht gesagt, aber sie freute sich über jedes Treffen mit ihm. Diese waren allerdings nicht abgesprochen, sondern eigentlich eher spontan. Es war wir eine stille Abmachung. Jeder der Beiden kam so oft es ging hierher und freute sich, wenn der andere zufällig auch vorbeikam und ihm Gesellschaft leistete. „Entschuldige, dass ich lange nicht hier war. Über die Sommerferien hatte ich echt Stress…“, holte Naotos Stimme sie aus ihren Gedanken. Er hatte sich zurückgelehnt und starrte in den Himmel, während Megumi nur mit dem Kopf schüttelte: „Musstest du arbeiten?“ Ein Seufzen erklang: „Ja… und zur Paukschule… und zur Orchesterprobe…“ „Klingt nach einem stressigen Sommer“, kicherte die Jüngere, „Aber du solltest es nicht übertreiben, Senpai.“ Ein Grinsen legte sich auf die Lippen des Älteren: „Keine Sorge, ich halte sowas aus.“ Ihre Wangen begannen zu glühen, weshalb sie den Blick von ihrem Schwarm abwandte und ihren Block an sich drückte. „Hast du wieder was Neues gezeichnet? Darf ich sehen?“, fragte Naoto, als er den Block bemerkt. Ohne ein weiteres Wort hatte Megumi ihm diesen gereicht und Schweigen breitete sich aus, während der junge Mann die einzelnen Blätter durchsah. „Wow. Das ist doch aus der neuen Serie, die seit dem Sommer läuft. Oder?“, fragte er aufgeregt, weshalb das Mädchen nur einen kurzen fragenden Blick auf genanntes Bild richtete und dann nickte, „Ich hab die ersten Folgen gesehen, aber konnte dann wegen der Arbeit nicht weiterschauen. Die war echt genial. Sobald ich wieder mehr Zeit habe werde ich sie definitiv noch zu Ende schauen.“ Du Jüngere wollte zu einem Satz ansetzen, doch stoppte schlagartig, bevor sie überhaupt ein Wort herausgebracht hatte. Beinahe hätte sie Naoto gefragt, ob sie die Serie gemeinsam gucken wollten. Natürlich wäre das ihr Wunsch gewesen, doch das konnte sie ihm schlecht sagen. Er wusste nichts von ihren Gefühlen und das war auch gut so. Sie glaubte auch kaum, dass ein so cooler Junge Interesse an einem Mauerblümchen wie ihr haben könnte. Der Gedanke schmerzte sie, doch die Wahrheit war ja meistens schmerzhaft. Sie schluckte ihren Frust herunter, als Nao ihr den Block zurückgab und wieder aufstand, bevor er sein Saxophon aus dem Koffer neben sich nahm. „Wie wäre es mit ein bisschen Musik für die ehrenwehrte Künstlerin?“, fragte er anschließend grinsend. Ihr Herz schlug höher und sie musste sich zusammenreißen ein ordentliches Lächeln hinzubekommen, doch antwortete dann fröhlich: „Sehr gern.“ Der junge Mann klippte das Band, welches um seinen Hals hing, an das silberne Instrument und kurz darauf schallte eine angenehme Melodie durch den Kanal, an welchem sich der Fluss befand, woraufhin auch andere Menschen zu ihnen schauten. Megumi jedoch war diese Aufmerksamkeit plötzlich egal. Sie schloss die Augen und lauschte dem Lied, welches der junge Mann spielte, der ihr Herz höherschlagen ließ. Kapitel 93: XCIII – Entscheidungen ---------------------------------- ??? Eine sanfte Melodie dringt an mein Ohr, woraufhin ich meine Augen öffne und mich in dem in dunklem Blau gehaltenen Velvet Room wiederfinde. Ich sehe mich um, doch kann niemand anderen entdecken. Das mit Samt bezogene Sofa vor mir ist leer, ebenso der mit einer blauen Tischdecke bedeckte Tisch, auf dem sonst die Tarotkarten liegen. Wo sind die beiden denn? Jemand muss mich hergerufen haben, denn ich bin mir sicher, dass ich die Option der Persona-App nicht verwendet habe. So schaue ich mich weiter um, woraufhin mein Blick auf einen der Spiegel fällt, welche diesen Raum umgeben. Erschrocken weiche ich zurück, denn in dem Spiegelbild, in welchem ich mich nach jedem Besuch immer ein Stück mehr erkennen konnte, sehe ich einen schwarzen Schatten. Er umgibt mich, folgt meinen Bewegungen und scheint, als würde er mein gespiegeltes Ich verschlingen wollen. Schemenhaft erkenne ich mich hinter dem Schwarz das mich umgibt. Erschrocken sehe ich an mir herunter und auf meine Hände, doch der Schatten ist hier nicht zu sehen. Wieder richte ich meine Augen vorsichtig auf den Spiegel, in welchem immer noch der Schatten zu erkennen ist. Dabei spüre ich, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht und sich kalter Schweiß auf meiner Stirn bildet. Mein Körper beginnt zu zittern und mir wird schlecht. Was hat das zu bedeuten? "Willkommen im Velvet Room", lässt mich die Stimme Igors aus meiner Schockstarre erwachen und meinen Blick von der gläsernen Fläche nehmen. Erschrocken fahre ich herum und richte meine Augen auf den alten Mann, welcher, den Kopf auf die zusammengefalteten Hände gelegt, wie immer auf dem Sofa sitzt und mich angrinst, als sei er niemals weggewesen. Er bemerkt mein erschrockenes Gesicht, woraufhin sich auch sein Gesichtsausdruck ändert und er mich nun mit großen erstaunten Augen ansieht: "Was ist los, mein Kind? Was schaust du so erschrocken?" Für einen Moment starre ich den alten Mann an, bevor ich meinen Blick wieder auf den Spiegel richte, doch der Schatten ist verschwunden. Ich sehe nur mich mit meinem kreidebleichen und verschwitzten Gesicht. "Dort... Ich meine... Ihr... Ich versteh das nicht", stottere ich vor mich hin, "Ihr... Ihr habt mich doch gerufen. Oder? A-aber ihr wart nicht hier. Stattdessen habe ich im Spiegel einen Schatten gesehen... Ich..." Ich schaue wieder zu den beiden Bewohnern des Velvet Rooms, welche kurz einen fragenden Blick tauschen und mich dann wieder ansehen. Ich stocke. Es wirkt so, als seien sie über das erstaunt, was ich sage. Heißt das, die beiden haben mich gar nicht gerufen? Doch wie bin ich dann hierhergekommen? Ein Grinsen legt sich auf Igors Gesicht, welches er kurz darauf hinter seinen zusammengelegten Händen versteckt. "Das ist wirklich interessant.", murmelt er daraufhin, ohne seine großen Augen von mir abzuwenden. Erschrocken weiche ich ein Stück zurück, während der alte Mann weiterspricht: "Wie es mir scheint hat er es geschafft diesen Ort zu finden. Anscheinend hat er dir eine Illusion gezeigt und sie mit diesem Raum verwoben, ohne dass wir etwas bemerkt haben. Sobald wir dich bemerkt haben, verschwand die Illusion und du bist direkt hier gelandet. Nachdem, was du uns erzählt hast, will er dich wohl warnen." "W-was meinst du? Und wer in Gottes Namen ist "Er"?", meine Stimme überschlägt sich fast, während ich Igor meine Fragen stelle. Doch noch während ich spreche bemerke ich, wie meine Umgebung langsam verschwimmt, während ich dumpf ein schrilles Klingeln vernehme. "Unsere Zeit ist um. Besprechen wir das ein anderes Mal. Bis dahin... Lebewohl.", ist das letzte, was ich noch höre, bevor es schwarz um mich herum wird. Donnerstag, 10.September 2015 Mit einem lauten Knall landete Mirâs Hand auf ihrem Smartphone, welches fröhlich neben ihr auf dem Fußboden hin und her rutschte, während lautstark die Musik ihres Weckers erklang. Murrend nahm sie das nervige Ding hoch und brachte es mit einem gekonnten Griff zum Schweigen, während sie sich missmutig aufsetzte. Müde blickte sie auf das rote Gerät in Ihrer Hand und verfluchte es dafür, sie geweckt zu haben. Dabei blieb ihr gar keine andere Wahl, als aufzustehen, immerhin musste sie zur Schule. Dennoch... Mit einem dumpfen Geräusch landete der Kopf der Oberschülerin wieder auf ihrer Decke. Sie war so müde. Der Ausflug in den Velvet Room hatte ihr wieder jeglichen erholsamen Schlaf geraubt, zumal er dieses Mal auch noch eher einem Albtraum glich. Sie drehte ihr Gesicht zu ihrem Spiegel und betrachtete diesen eine ganze Weile. Was hatte es nur mit diesem Schatten auf sich? Wie hatte er es geschafft den Velvet Room zu finden und wieso hatte er ihr diese Vision gezeigt? Wovor wollte er sie warnen? Und wieso verfolgte sie dieser Schatten überhaupt? Wie hatte er es überhaupt geschafft von Igor unbemerkt zu bleiben? War seine Macht etwa so gewaltig? Was hatte das alles nur zu bedeuten? Murrend drehte sie ihren Kopf erneut und vergrub damit ihr Gesicht in ihrer Decke. Dann kehrte Stille ein, welche einige Zeit anhielt. Plötzlich streckte die Violetthaarige mit einem Ruck den Rücken durch und hob den Kopf, nur um einen Moment später die Decke beiseite zu schieben und aufzustehen. Es brachte nichts darüber zu grübeln. Wichtiger war es aktuell Arabai aus diesem Dungeon zu befreien. Um diesen merkwürdigen Schatten konnte sie sich später immer noch Gedanken machen. Die Oberschülerin lief zu ihrem Kleiderschrank hinüber, wo sie ihre Sachen für den heutigen Tag zusammensuchte und kurz darauf mit einigen Dingen davon das Zimmer verließ, um damit im Bad zu verschwinden. Gegen Mittag hatte sich die Violetthaarige gemeinsam mit ihren Freunden auf dem Dach eingefunden, um die letzten warmen Sonnenstrahlen zu genießen. Sogar Masaru und Yasuo hatten sich an diesem Tage zu ihnen gesellt. Sie alle saßen in einem Kreis, ihre Bentos vor sich stehend, und redeten über dies und jenes. Hauptthema war natürlich ihr nächster Besuch im Dungeon, wobei dieses eher im Flüsterton besprochen wurde. Immerhin musste nicht jeder erfahren, was sie in ihrer Freizeit so trieben. Ihre Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, als die Tür zum Dach mit einem metallenen Klang geöffnet wurde und damit die Aufmerksamkeit der Gruppe auf diese richtete. Sofort stoppten die sechs Persona-User in ihren Aktivitäten und starrten mit großen Augen auf das kleine Mädchen mit den mittelbraunen, gelockten Haaren, welches sich näherte und einen Moment später neben ihnen zum Stehen kam. Dabei hielt sie den Blick gesenkt und drückte ihre schön eingewickelte Bentobox an sich. „D-Darf ich mich zu euch setzen?“, fragte sie vorsichtig. Sie hatte noch nicht einmal richtig ausgesprochen, da war Akane bereits ein Stückchen von Mirâ weggerutscht und stieß dabei auch Hiroshi noch etwas weiter weg, welcher sich lautstark beschwerte, dass sie auch einfach etwas hätte sagen können. Nicht weiter darauf eingehend, grinste die Brünette die Hinzugekommene an und wies auf die nun frei gewordene Stelle zwischen sich und ihrer besten Freundin. Ein kleines Lächeln legte sich auf Megumis Lippen, woraufhin sie sich an besagte Stelle setzte und ihre zartrosa Lunchbox auf den Boden vor sich stellte, während sie sich leise bedankte. „Du bist uns jederzeit willkommen, Megumi-chan.“, sagte Mirâ mit einem lieben Lächeln. Überrascht sah die Kleine sie kurz an, doch erwiderte das Lächeln dann: „Trotzdem Danke.“ Ohne weiter auf die Jüngere zu achten, hatte Kuraiko ihren Blick auf ihr Mittagessen gerichtet und schien zu überlegen, was sie nehmen sollte, doch sprach ihre Gedanken trotzdem laut aus: „Wo ist denn dein Schatten, Yoshiko?“ Angesprochene zuckte kurz zusammen und legte dann den Kopf schief, während sie zu überlegen schien, wen die Ältere wohl meinen könnte. Es brauchte einen Moment, bis sie registriert hatte, wer gemeint war und sie darauf reagieren konnte: „Rika wollte etwas für ihren Literaturclub erledigen.“ „Ich denke darüber werden einige nicht sehr traurig sein…“, murmelte Kuraiko mit einem kurzen Seitenblick zu Hiroshi, welcher leicht zusammenzuckte. Erneut legte die Brünette den Kopf schief, da sie nicht so recht verstand, was die Schwarzhaarige genau meinte. Matsurika war manchmal etwas aufdringlich, das stimmte. Aber so schlimm empfand es Megumi nicht. Doch Kuraiko ging nicht näher darauf ein, sondern steckte sich stattdessen ein Stück Omelett in den Mund. Eine Hand legte sich auf Megumis Schulter, woraufhin sie in die grünen Augen von Akane blickte, die nur mit dem Kopf schüttelte, als Zeichen, dass es egal sei. Deshalb nahm es die Jüngste im Bunde erst einmal so hin und blickte dann angestrengt auf ihr Mittagessen, während sie zu überlegen schien, wo sie anfangen sollte. Es gab etwas, was sie der Gruppe mitteilen wollte, doch war sie sich nicht sicher, ob dies der richtige Ort und Zeitpunkt dafür war. Andererseits wusste sie aber auch nicht, wann sie es sonst sagen sollte. Deshalb schluckte sie einmal und nahm dann all ihren Mut zusammen, bevor sie wieder die Stimme erhob: „Senpai… Ich wollte mit euch sprechen. Wegen dieser bestimmten Sache. Gestern blieb uns dafür ja keine Zeit… außerdem möchte ich nicht, das Rika etwas davon erfährt.“ Die Aufmerksamkeit aller war ihr sicher. Sechs Augenpaare waren auf sie gerichtet, woraufhin sich nun doch etwas Unsicherheit breit machte, weshalb sie verlegen auf ihre Bentobox starrte. Jedoch musste sie das nun durchziehen. Sie hatte es immerhin versprochen. Sie senkte die Stimme, hob jedoch den Blick und sah ihre Freunde fest an: „Ich werde euch bei eurem nächsten Besuch in die Spiegelwelt begleiten und helfen Ryu-kun aus dieser merkwürdigen Welt zu holen. Deshalb möchte ich euch bitten mir Bescheid zu sagen, wenn ihr euch entscheidet das nächste Mal hinüberzugehen.“ Überraschte Blicke trafen sie, welche sich jedoch schnell wieder entspannten. Eine weitere Hand legte sich auf ihre rechte Schulter und ließ sie in Mirâ rote Augen blicken, welche ihr ein Lächeln schenkten. „Wir danken dir für deinen Mut, Megumi-chan“, sagte die Violetthaarige erleichtert. Akane lehnte sich zurück und grinste: „Mit deiner Hilfe werden wir den Bossraum mit Sicherheit superschnell erreichen.“ „Schnell ist das Stichwort“, begann Kuraiko mit vor der Brust verschränkten Armen, „Wir haben nämlich nur noch drei Tage…“ Megumi senkte wieder den Kopf und entschuldigte sich dafür, dass sie so lange gebraucht hatte, um ihnen ihre Entscheidung mitzuteilen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, das viel eher zu bewerkstelligen, doch da sie noch zwei Tage länger zuhause geblieben war und am Vortag ständig Matsurika dabei war, hatte sie keine Gelegenheit gefunden. Zumal sie die Telefonnummern ihrer Senpais nicht hatte. Sie fühlte sich schlecht, immerhin hatte die Gruppe so noch mehr Zeitdruck. Eigentlich erwartete sie bereits eine Standpauke der Schwarzhaarigen. Diese blieb allerdings aus. Stattdessen erhob Masaru das Wort und erklärte, dass es sich nun nicht mehr ändern ließe. Es fiel ihnen sowieso von Mal zu Mal schwerer innerhalb der Woche die Spiegelwelt zu besuchen, wenn sie Schule hatten. Irgendwann würden ihre Angehörigen Verdacht schöpfen und dass wäre nicht gut. Ihnen blieb also gar keine andere Wahl, als in den sauren Apfel zu beißen und sich am nächsten Samstag durch den restlichen Dungeon bis zum Bossraum durchzukämpfen. Sie mussten sich nur ordentlich darauf vorbereiten. Er war sich sicher, dass sie es mit Megumis Hilfe schaffen würden an diesem Tag ihr Ziel zu erreichen. „Klingt so, als wäre damit beschlossen am Samstag zu gehen“, murmelte Hiroshi und blickte dann zu Mirâ, welche zu überlegen schien. Ihr Blick richtete sich wieder auf die Brünette neben sich: „Meinst du, du schaffst das Megumi-chan?“ Angesprochene sah auf und schluckte dann, bevor sie die Violetthaarige jedoch mit festem Blick ansah und nickte. Dass alle Hoffnungen auf ihr lagen machte sie ein wenig nervös, doch ihr Entschluss stand fest. Sie würde diese sechs Menschen, die sie aus diesem Albtraum befreit hatten, unterstützen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Auch wenn ihr diese unheimliche Welt Angst machte. Das warme Glühen, welches sie in ihrer Brust spürte, sagte ihr, dass sie sich keine Gedanken machen brauchte. Genau, Nechbet war bei ihr und gab ihr Kraft. Sie war nicht mehr hilflos und sie war nicht alleine. Eine Bewegung neben ihr ließ sie aufschauen. Akane hatte ihr Smartphone aus ihrer Jackentasche gekramt und grinste die Jüngere nun breit an: „Wo das nun geklärt ist, sollten wir Nummern austauschen, damit wir dich mit in unseren Gruppenchat nehmen können. Dann kannst du uns auch jederzeit schreiben, wenn irgendetwas ist oder du Hilfe brauchst.“ Überrascht sah die Jüngere erst zu Akane und dann in die Runde, bevor sich ebenfalls auf ihrem Gesicht ein Lächeln bildete und sie auch ihr Handy aus der Rocktasche nahm. Als Mirâ nach dem Unterricht in die Räumlichkeiten des Kyudo-Clubs trat, wunderte sie sich über die Unruhe, welche unter den Mitgliedern herrschte. Aufgeregt standen sie in kleinen Grüppchen verteilt und führten rege Diskussionen. Erst nach und nach fiel ihr ein, wieso der ganze Aufruhr stattfand. An diesem Tag wollte der Trainer bekanntgeben, ob Amy weiterhin die Managerin des Clubs blieb. Mirâ hatte bei der Abstimmung dafür gestimmt, immerhin wusste sie, wie viel Zeit die Blonde in ihre Arbeit steckte. Die Oberschülerin blickte sich um und suchte nach der Älteren, welche sie einen Moment später in der hinteren Ecke des Raumes auf einem Hocker wiederfand. Sie trug ihre Sportkleidung, da ihr als Managerin kein Hamaka oder ähnliches zustand, und starrte auf das Feld hinaus, wo bereits die Zielscheiben aufgestellt waren. In ihrer Hand hielt sie einen nicht bespannten Bogen, den sie mit dem Daumen leicht streichelte, und war dabei mit ihren Gedanken ganz weit weg. Ihre sonst so hübsch gestylten Haare hatte sie zu Mirâs Überraschung zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie wirkte so ganz anders als sonst. Natürlich kannte die Violetthaarige ihre Senpai bereits in Trainingssachen, immerhin trug sie diese meistens während des Clubs. Jedoch hatte sie trotzdem stets eine top gestylte Frisur. Sie einmal so zu sehen, irritierte Mirâ ein wenig. „Hallo Amy-senpai“, trat sie vorsichtig an ihre Freundin heran und lenkte so deren Aufmerksamkeit auf sich, „Ist alles in Ordnung? Du bist so in Gedanken versunken.“ Der Blick der Blonden blieb einen Moment an der Jüngeren hängen, bevor sie diesen wieder hinaus aufs Feld richtete: „Die Bekanntgabe der Abstimmung heute… ich glaube, dass ich abgewählt wurde.“ „Wie kommst du da drauf?“, hakte die Violetthaarige nach, woraufhin Amys Blick in Richtung der restlichen Clubmitglieder ging, welche mittlerweile in einem Pulk weiter im Raum standen. „Man muss sie doch nur beobachten… Ich glaube sie hassen mich…“, murmelte Amy und ließ ihren Blick wieder sinken, „Dabei habe ich mich doch so sehr reingehängt. Ich habe mich tagelang mit den Regeln auseinandergesetzt, habe mir zeigen lassen, wie man die Zielscheiben ordentlich aufhängt und einen Bogen richtig spannt. Ich habe den Papierkram erledigt und versucht dem Club eine Stütze zu sein… und nun soll das alles umsonst gewesen sein? Weil ich angeblich handgreiflich geworden bin?“ Die Stimme der Älteren versagte und Mirâ bemerkte, wie sie schluckte. Dass sie womöglich bald nicht mehr Managerin des Clubs sein würde, nahm sie doch mehr mit, als es anfangs vermuten ließ. Plötzliche Stille kehrte ein, als die Tür aufgeschoben wurde und der Trainer eintrat. Wie es sich gehörte stellten sich alle Schüler der Reihe nach auf und grüßten den hinzugekommenen Herren mit einer höflichen Verbeugung. Der Mann mittleren Alters, dessen schwarze schulterlange Haare zu einem lockeren Zopf gebunden waren, blickte ernst in die Runde und trat dann vollends ein. In seiner Hand hielt er ein Blatt Papier, welches er nun in die Luft hob. „Ist Iwato hier?“, fragte er ohne weiteres, woraufhin Hime langsam aufstand und dann mit gesenktem Kopf auf den Trainer zuging, „Du bist anwesend. Gut, dass du dich der Sache direkt stellst. Wie du weißt, geht es heute darum, ob du weiterhin die Managerin des Teams bleiben darfst oder nicht.“ Die Blonde hielt weiterhin ihren Kopf gesenkt, wobei Mirâ jedoch das Gefühl hatte ein leichtes Nicken wahrgenommen zu haben. Nun wurde es also ernst und wenn stimmte, was die Blonde ahnte, dann würde sie nach diesem Tag keine Managerin mehr sein. Dieser Gedanke schmeckte Mirâ nicht. Egal wie viele Probleme sie am Anfang mit Amy hatte, solch ein Schicksal hatte sie einfach nicht verdient. Doch was sollte sie tun? Sie hatte für den Verbleib der Schülerin gestimmt, jedoch wusste sie nicht, wie die anderen abgestimmt hatten. Vor allem bei den wenigen Mädchen im Club war die Ältere nicht sehr beliebt, zumal sie es immer wieder geschafft hatte andere Mädchen rauszuekeln. Dadurch hatte sie auch den Unmut der Jungs auf sich gezogen. Vor einiger Zeit hatte Mirâ einmal mitbekommen, wie sich einige der Jungs darüber beschwert hatten, dass sie so wenige weibliche Mitglieder in ihrem Club hatten und dass Amy daran schuld sei. Wenn diese auch für den Rücktritt der Blonden gestimmt hatten, so sah es wirklich schlecht aus. Mirâ schluckte. Sie musste unbedingt etwas tun. Deshalb trat sie plötzlich vor, ohne weiter darüber nachzudenken: „Hiiragi-sensei, ich bitte Sie noch einmal über den Rücktritt von Iwato-senpai nachzudenken. Es wäre ihr gegenüber nicht fair.“ Überraschte Blicke trafen sie. Allem voran von den restlichen Mitgliedern, von welchen sich einige sogleich beschwerten, was daran nicht fair sei. Immerhin sei Amy selbst schuld daran. Auch diese schaute sie mit großen grünen Augen an und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Es freute sie, dass ihre Freundin sie verteidigte, aber im Grunde war sie ja wirklich selber schuld an der ganzen Misere. Wenn sie ihre Eifersucht besser im Zaum hätte halten können und sie sich nicht ständig wegen Dai mit allen angelegt hätte, dann wäre dieses Gerücht niemals in Umlauf gekommen und sie würde nicht in solchen Schwierigkeiten stecken. Wütend über die ganzen empörten Zwischenrufe ihrer Kameraden drehte sich Mirâ zu diesen um und blickte ihnen düster entgegen: „Iwato-senpai macht so viel für den Club, was ihr alle gar nicht seht. Was denkt ihr wer hier regelmäßig vor dem Training den Boden wischt? Oder die Zielscheiben vorbereitet und aufhängt, bevor wir kommen?“ Stille kehrte ein und alle Blicke richteten sich wieder auf die Blonde, welche leicht zusammenzuckte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, sprach Mirâ schon weiter: „Erst vor wenigen Tagen habe ich zufällig mitbekommen, wie Iwato-senpai sich um all diese Dinge gekümmert hat, während wir anderen noch herumgetrödelt haben, anstatt uns darum zu kümmern. Eigentlich wäre es unsere Aufgabe als Mitglieder des Clubs. Stattdessen erledigt Senpai die meiste Arbeit. Außerdem kümmert sie sich wirklich hervorragend darum, dass unsere Ausrüstung immer griffbereit und in Ordnung ist. Ganz zu schweigen von dem ganzen Papierkram, den sie nebenbei noch erledigt. Ist das nicht Beweis genug, dass ihr der Kyudo-Club sehr am Herzen liegt?“ Ein männlicher Schüler trat vor: „Aber das könnte sie auch nur jetzt gemacht haben, um sich wieder bei uns einzuschleimen! Das ändert aber nichts daran, dass sie schuld ist, dass die meisten Mitglieder, allem voran die Mädchen, wieder abspringen!“ Die Violetthaarige zuckte ein Stück zurück und wusste keinen Konter auf diese Aussage, doch mischte sich kurz darauf auch ihr Trainer in die Diskussion ein. „Nein, das hat Iwato schon die ganze Zeit gemacht“, erklärte er und richtete so die Aufmerksamkeit wieder auf sich, „Anfangs habe ich sie damit beauftragt, damit sie lernt mit der Ausrüstung umzugehen und sich damit vertraut macht. Sie hat es von sich aus weiter gemacht. Hab ich nicht recht, Iwato?“ Angesprochene wirkte kurz überrascht, doch nickte dann: „J-ja… ich hatte am Anfang keinen Plan von Kyudo und hatte auch ganz andere Gründe, um hier Managerin zu werden. Aber dann habe ich gesehen, was für ein toller Sport das ist und habe Hiiragi-sensei darum gebeten mir einiges zu erklären, um den Club besser unterstützen zu können. Und nun ist es sowas wie ein Hobby geworden, alles für das Training vorzubereiten… Und wegen der Mitglieder, die ständig abspringen… also…“ „In diesem Fall ist Iwato nur teilweise schuld…“, seufzte der Trainer und kratzte sich am Nacken, „Dass die meisten abspringen hat einen einfachen Grund: Viele Mädchen kommen nur hierher, weil sie denken einen von euch hier abschleppen zu können. Sie unterschätzen wie hart dieser Sport ist. Auch die männlichen Mitglieder, die abgesprungen sind, hatten das Problem, dass sie nicht damit klarkamen. Das heißt nicht, dass Iwato ganz unschuldig ist, denn das Gerücht muss ja irgendwie entstanden sein. Diesbezüglich kam besagtes Mädchen vor einigen Tagen zu mir und erklärte, dass sie einen Streit zwischen Shingetsu und Iwato mitbekommen hatte und das zu ihren Gunsten nutzen wollte. Aber mal ganz davon abgesehen gibt es ja immer noch das Ergebnis der Abstimmung. Und was soll ich sagen, diese war zwar nicht eindeutig, aber klar…“ Mirâ presste die Lippen aufeinander und blickte zu ihrer blonden Freundin, welche betroffen zu Boden sah. Die Hoffnung, dass sich das Blatt doch noch zu ihren Gunsten wenden würde, verflog. Klar, selbst wenn die Missverständnisse aus dem Weg geräumt waren, so galt doch trotzdem das Ergebnis der Abstimmung. Amys Schultern bebten leicht und Mirâ merkte, wie diese ihre Tränen zurückhalten musste. Nun war es also vorbei… „Egal was ihr davon haltet, aber die Abstimmung hat ergeben, das Iwato weiterhin Managerin dieses Clubs bleiben wird“, ließ Hiiragi die Katze aus dem Sack. Stille breitete sich aus, während Amy mit einem Ruck den Kopf hob und den Trainer mit großen grünen Augen anstarrte. Hatte sie sich etwa verhört? Der ältere Mann zuckte jedoch nur mit den Schultern und erklärte, dass es eine wirklich knappe Entscheidung war. Es war nur eine einzige Stimme gewesen, die das Ergebnis entschieden hatte, erklärte er und legte allen das Dokument in seiner Hand vor. Erstaunt blickte Mirâ auf das Papier, um sich selbst davon zu überzeugen. Und tatsächlich: Eine einzige Stimme mehr hatte für den Verbleibt der Blonden gestimmt. Eines der Mädchen trat an die Managerin heran und erklärte, dass die Mädchen alle geschlossen für sie gestimmt hatten. Überrascht von dieser Aussage starrte die Blonde sie an, während besagte Mitglieder ihr erklärten, dass auch sie bereits mitbekommen hatten, wie sehr sie sich für den Schulclub einsetzte. Auch einige Jungs traten an sie heran und sprachen sich für sie aus. Sogar der junge Mann, welcher sich kurz zuvor noch beschwert hatte, entschuldigte sich bei ihr. Zwar merkte man, dass nicht alle mit dem Ergebnis zufrieden war, jedoch nahmen es alle so hin. Erleichtert seufzte Mirâ einmal kurz und beobachtete dann lächelnd ihre Freundin, wie sie von den einzelnen Mitgliedern vereinnahmt wurde. „Das ist ja nochmal gut ausgegangen…“, trat plötzlich Dai an sie heran. Überrascht sah Mirâ ihn an, doch lächelte dann wieder, als sie bemerkt, dass auch er über das Ergebnis erleichtert war. Das Lächeln in ihrem Gesicht wurde breiter, während sie ihre Arme hinter dem Rücken verschränkte und zustimmend nickte. Anders als an den anderen Tagen versammelten sich die Mitglieder des Clubs nach dem Training noch einmal in der Halle und halfen dabei wieder Ordnung herzustellen. Es war ein seltsames Bild, denn normalerweise nahmen alle so schnell wie möglich Reißaus. In der Regel blieben nur die Mitglieder, die an diesem Tag dafür eingeteilt waren und das zumeist auch eher widerwillig. Doch heute half jeder mit, sodass die Arbeit schnell erledigt wurde. Mirâ hatte das Gefühl, dass sie alle der Blonden zeigen wollten, wie leid es ihnen tat und dass sie ihr dankbar für die Arbeit waren. „Ich danke dir, Mirâ…“, trat Amy an die Violetthaarige heran, welche damit beschäftigt war die Zielscheiben abzubauen und abzuziehen, „Dafür, dass du mir den Rücken gestärkt hast.“ Überrascht blickte Angesprochene die Ältere an, doch schüttelte dann lächelnd den Kopf: „Schon gut. Wir sind Freunde und außerdem fand ich das alles sowieso unfair dir gegenüber. Wir hatten zwar unsere Schwierigkeiten miteinander, aber haben uns darüber ausgesprochen. Und ich merke wie sehr dir der Kyudo-Club am Herzen liegt.“ „Trotzdem… sowas ist nicht selbstverständlich. Deshalb danke ich dir wirkliche sehr.“, bedankte sich Hime noch einmal nachdrücklich und mit einer Verbeugung, die die Jüngere leicht überraschte. Ein warmes angenehmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus und zauberte ihr kurz darauf ein breites Lächeln aufs Gesicht, welches sie der Älteren schenkte. Kapitel 94: XCIV – Ungewollt ---------------------------- Freitag, 11.September 2015 Summend lief Mirâ die Straßen entlang in Richtung Schule; vorbei an den ganzen Schülern, welche die gleiche Uniform wie sie trugen und die sich eifrig darüber unterhielten, was sie am Wochenende machen wollten. Nur beiläufig bekam die Oberschülerin hier und da ein paar Wortfetzen mit, doch konnte keinen direkten Zusammenhang zu den Themen finden, weshalb sie Aufgeschnapptes auch so schnell wie möglich wieder aus ihrem Gedächtnis löschte. Andere zu belauschen gehörte sich sowieso nicht. Sie atmete noch einmal tief durch und richtete ihre Augen auf den Weg vor sich, woraufhin das Schultor in ihr Blickfeld geriet, doch nicht nur das. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie die blonden Haare ihres Kumpels entdeckte, welcher, die Hände in die Hosentasche gesteckt, vor dem Eingangsportal stand. Freudig hob die junge Frau die Hand und legte noch einen Zahn zu, während sie den Namen des Blonden rief. Dieser jedoch schien sie gar nicht zu bemerken und betrat einen Augenblick später bereits das Gelände. Mit dem Ziel Hiroshi doch noch irgendwie abzupassen, wurde die junge Frau noch ein bisschen schneller und rannte den Rest des Weges. Doch kaum hatte sie ihr Ziel erreicht, blieb sie abrupt mit schlitternden Schuhen stehen und verschwand so schnell wie möglich wieder hinter dem steinernen Pfeiler des Tores. Neugierig wagte sie einen Blick um die Säule herum und erkannte in nicht allzu weiter Entfernung Hiroshi, welcher sich mit einem Mädchen unterhielt, dessen hellbraune Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Sie trug eine schwarze Kapuzen-Sweatjacke, deren Ärmel etwas nach oben gekrempelt waren und dazu eine weiße Bluse. Unter dem Saum der Jacke lugte der rote Rock der Schuluniform hervor. Dazu trug sie schwarze Overknees und braune Slipper. Schmerzhaft zog sich Mirâ Herz zusammen, als sie erkannte, dass es sich bei dem Mädchen um diejenige handelte, die ihr einige Tage zuvor Hiroshis USB-Stick gegeben und die sie bereits mehrmals in seiner Nähe gesehen hatte. Ihre Finger krampften sich an die kalten roten Ziegel, während sie versuchte mitzubekommen was die beiden sagten. Allerdings war sie dafür eindeutig zu weit weg. Überrascht schrak sie kurz auf, als der Blonde plötzlich nach dem Arm der Brünetten griff, welchen sie sofort wegzog und an sich drückte. Dabei wandte sie den Blick ab, während man Hiroshis Augen eindeutig ansah, dass er sauer war. Ein Beziehungsstreit? Mirâ stockte bei diesem Gedanken, denn dies würde ja bedeuten, dass ihr Kumpel eine Freundin hatte. Da war er wieder; dieser kleine Stich in ihrem Herzen, den sie verspürte, wenn sie darüber nachdachte, während sie Schwermut überkam. Plötzlich schüttelte sie jedoch den Kopf, als ihr einfiel, dass Akane der festen Überzeugung war, dass der Blonde in keiner Beziehung war. Aber konnte sie sich da so sicher sein? Die kurze Euphorie erstickte just in dem Moment wieder, als sie begann zu keimen. Eine einhundertprozentige Gewissheit gab es nicht und irgendwie setzte ihr das zu. Doch wieso eigentlich? Wieso machte sie sich erneut Gedanken darüber? Es ging sie doch gar nichts an. Immerhin war es Hiroshis Leben… Und trotzdem… „Yo Shingetsu. Was gibt es denn hier zu schmulen?“, ließ sie plötzlich eine aufgedrehte Stimme aufschrecken. Ein kurzer Schrei entwich ihr, während sie sich ruckartig umdrehte und mit dem Rücken an den steinernen Pfosten drückte. Schnell hielt sie sich den Mund zu und hoffte darauf, dass ihr Kumpel sie nicht bemerkt hatte. Es wäre wirklich peinlich, wenn er herausfand, dass sie ihm erneut hinterherspioniert hatte. Doch zu ihrem Glück schien Hiroshi davon nichts mitbekommen zu haben, weshalb sie die ganze Anspannung verließ und sie erste einmal erleichtert aufatmete. „Du kannst mich doch nicht so erschrecken, Nagase-kun“, sagte sie anschließend, woraufhin ihr Gegenüber den Kopf schief legte, nur um dann einen Blick um den Pfeiler herum zu werfen. „Ah da ist Hiro… Hast du ihn beobachtet? Wieso gehst du nicht zu ihm?“, fragte er anschließend und verursachte damit, dass die Violetthaarige erschrocken zusammenzuckte. Ausweichend wandte sie den Blick ab und kratzte sich an der Wange: „I-ich wollte ni-nicht stören…“ „Stören?“, der Ältere machte sich noch einmal lang und blickte erneut um die Säule herum, bis er endlich zu erkennen schien, was sein Gegenüber meinte, „Ach so. Er unterhält sich mit Emi…“ „Emi?“, fragte Mirâ mit schiefgelegtem Kopf, doch stoppte, als ihr einfiel, dass dieses Mädchen das letzte Mal Emiko gerufen wurde. Der junge Mann nickte: „Ja. Emiko Sakura. Sie geht in eine unserer Parallelklassen und ist Vize des Mädchen-Basketballclubs. Da wir öfters mit ihr gemeinsam spielen, sind wir ziemlich gut befreundet.“ „E-Es wirkte aber eher so, als würden sich die beiden streiten…“, murmelte Mirâ, in der Hoffnung Shuya hatte es nicht gehört. Jedoch lag sie auch damit falsch und wollte sich am liebsten selber schelten, als sie hörte wie der junge Mann „streiten?“ nuschelte. Er schwieg kurz und seufzte dann: „Ich verstehe…“ Überrascht sah die Oberschülerin ihren Schulkameraden an, welcher jedoch nur leicht lächelte und meinte, dass es erst einmal für sie nicht relevant sei und er deshalb nicht näher darauf eingehen wollte. „Jedoch solltest du andere nicht bespitzeln. Das ist eine schlechte Angewohnheit“, grinste er anschließend. Mirâ schnaufte mit abgewandtem Blick und murmelte, dass sie es doch selber wisse, woraufhin dem Violetthaarigen ein Lachen entfleuchte. Plötzlich setzte er sich in Bewegung und wollte auf seinen Kumpel zugehen, woraufhin Mirâ ihn jedoch noch einmal aufhielt. „Warte. Bitte verrate Hiroshi-kun nichts. Okay?“, flehte sie schon regelrecht. Große blau-violette Augen sahen sie verwundert an, bevor sie begannen zu strahlen: „Schon klar. Keine Sorge. Ich schweige wie ein Grab. Aber du solltest dir wirklich keine Gedanken machen. Selbst wenn Hiroshi etwas von Emi wollen würde, was definitiv nicht der Fall ist, würde er wohl an ihr scheitern. Sie hat es nicht so mit Kerlen.“ Überrascht sah die Violetthaarige ihr Gegenüber an, welcher jedoch nur den Zeigefinger auf die grinsenden Lippen legte und meinte, dass dies aber unter ihnen bliebe. Immerhin habe seine Freundin so schon genug Probleme. Damit hatte er sich von ihr abgewandt und war mit einem fröhlichen Lächeln auf seinen besten Kumpel und die Brünette zugegangen, während Mirâ etwas bedröppelt zurückblieb. Das andere Mädchen, welche die Szene mit Hiroshi und Emiko aus einem anderen Winkel beobachtet hatte, war ihr dabei nicht einmal aufgefallen. Als es zum Ende des Nachmittagsunterrichts klingelte schulterte Mirâ ihre Tasche auf und verabschiedete sich von ihren beiden Freunden, um sich auf den Weg zum Botanik-Club zu machen. Dabei hing sie ihren Gedanken nach, denn das Gespräch am Morgen mit Shuya ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Oder viel mehr die Situation, welche sie zu diesem Gespräch geführt hatte. Hiroshi hatte sie nicht darauf angesprochen, was definitiv geschehen wäre, wenn er davon erfahren hätte. Das hieß Shuya hatte sein Versprechen gehalten und nichts gesagt. Sie hatte schon ihre Bedenken, denn der Ältere wirkte auf sie eher impulsiv, was die Gefahr groß machte, dass er irgendwelche Geheimnisse ausplauderte. Jedoch schien sie sich in diesem Punkt in ihm geirrt zu haben. Erleichtert atmete Mirâ auf. Welch ein Glück. Hiroshi zu erklären, wieso sie ihm wieder einmal nachspioniert hatte, obwohl sie ihm versprochen hatte, das nicht mehr zu tun, wäre sicher peinlich geworden. Trotzdem konnte sie ihre Neugier diesbezüglich kaum zügeln. Zwar hatte Shuya erklärt, dass er und Hiroshi einfach nur mit der Brünetten befreundet waren, jedoch sah es an dem Morgen einfach vollkommen anders aus. Andererseits meinte der Blau-violetthaarige auch, dass sein Kumpel kein Interesse an dieser Emiko hatte und diese wiederum ein Problem mit Kerlen hatte. Die Oberschülerin legte unbewusst ihren Finger ans Kinn. Wie er das nun wieder meinte? Er hatte daraus ein Geheimnis gemacht, was nur bedeuten konnte, dass gesagter Satz eine tiefere Bedeutung hatte. Meinte er damit, dass sie Jungs nicht leiden konnte? Die Violetthaarige schüttelte den Kopf. Nein. Das konnte nicht sein, immerhin war sie ja mit Hiroshi und Shuya befreundet. Eine Abneigung in dieser Richtung war also Schwachsinn. Angst vor ihnen schien sie demnach auch nicht zu haben. Ihr kam ein Gedanke und sie war sich ziemlich sicher, dass es eigentlich nur dieser eine Grund sein konnte. Allerdings entzog sich ihr dabei, wieso die Brünette dadurch Probleme hatte. Mirâ war sich sicher, dass Shuyas Satz nur bedeuten konnte, das Emiko auf Mädchen stand. Irgendwie würde das auch erklären, wieso sie ständig ihrem Blick ausgewichen war, wenn sie sich gesehen hatten; darüber hatte sich Mirâ nämlich schon die ganze Zeit gewundert. Wurde sie deshalb vielleicht gemobbt? Das würde Hiroshis Reaktion am Morgen erklären. Andererseits würde das aber auch voraussetzen, dass es jeder an der Schule wusste. Demnach hätte man daraus kein Geheimnis machen müssen. Das hieß hier wussten nur eine Hand voll Menschen über die Brünette Bescheid und so sollte es auch bleiben. Welche Probleme hatte sie dann? Mirâ kam auf keinen grünen Zweig. Eigentlich ging es sie ja auch nichts an, aber irgendwie beschäftigte sie das Thema doch sehr. Sie schreckte aus ihren Gedanken, als sie plötzlich von jemanden angerempelt wurde, welcher ihr offensichtlich entgegenkam; den sie aber selber nicht wahrgenommen hatte. Erschrocken drehte sie sich um und blickte in zwei rote Augen, welche sich jedoch absenkten und kurz darauf hinter einem schwarzen Pony verschwanden. „Gomen ne“, entschuldigte sich die Person und wollte bereits weitergehen, als Mirâ sie noch einmal zurückhielt. „Warte mal. Du bist doch der Junge vom letzten Mal. Hm…“, sie überlegte kurz, „Tsukiyama-kun. Oder?“ Erschrocken sah der junge Mann, dessen schwarze Haare absolut fehl am Platz wirkten, sie an. Seine dadurch noch viel weißer wirkende Haut ließ ihn beinahe wie einen Geist wirken, was seine weit aufgerissenen roten Augen noch verstärkten. Doch kurz darauf schien ihm bereits in den Sinn zu kommen, woher sie seinen Namen kannte. Er wandte den Blick ab: „A-ach Kuro… Kuraiko hat ihn dir verraten, oder?“ Sein Gegenüber nickte: „Und auch, dass du eine der vielen Karteileichen des Botanik-Clubs bist. Wieso gehst du denn nicht mehr hin? Interesse scheinst du ja noch zu haben, wenn du hier ständig herumschleichst…“ Weiterhin wich der Schwarzhaarige dem Blick der jungen Frau aus und kratzte sich dabei im Nacken: „Das ist ziemlich kompliziert…“ „Hm?“, Mirâ legte den Kopf schief, doch Shirota ging nicht weiter darauf ein, stattdessen schien er seinen ganzen Mut zusammenzunehmen und sich endlich an ihr vorbeizuschlängeln. Die Violetthaarige folgte ihm mit ihrem Blick: „Du solltest wieder zum Club kommen. Das würde Kuraiko mit Sicherheit freuen.“ Noch einmal stockte ihr Gegenüber und blickte irritiert zu ihr zurück, was diese zum Anlass nahm sich nun erstmal richtig vorzustellen: „Ich bin übrigens ein neues Mitglied. Mein Name ist Mirâ Shingetsu, 2. Jahr. Es freut mich sehr deine Bekanntschaft zu machen, Tsukiyama-kun.“ Damit verbeugte sich die junge Frau kurz und lächelte den völlig perplexen Shirota freundlich an. Dieser brauchte einen Moment, um überhaupt zu registrieren, was hier eben passiert war. Doch noch bevor er reagieren konnte, erklang der Ton einer sich öffnenden Tür. Die Blicke der beiden Schüler folgten dem Geräusch und erkannten kurz darauf Kuraiko, welche mit einem genervten Blick zwischen Tür und Angel stand. „Was ist das hier für ein Lärm?“, fragte sie, während ihr Blick noch finsterer wurde, als sie ihren Sandkastenfreund erkannte. Sofort zuckte dieser zusammen und wandte sich dann unsicher wieder an Mirâ: „I-ich sollte dann besser gehen. Es war mir eine Freude dich kennenzulernen, Shingetsu-senpai.“ Er verbeugte sich kurz und verschwand, bevor die Angesprochene überhaupt reagieren konnte. Doch noch ehe der Schwarzhaarige um die nächste Ecke verschwunden war, erklang in ihrem Kopf noch die ihr wohlbekannte Stimme, die ihr den bekannten Satz sagte: „Ich bin du… du bist ich…“ Kuraiko trat neben sie und holte sie somit aus ihren Gedanken, während sie den Blick auf ihre Freundin richtete. Der der Schwarzhaarigen war weiterhin auf den Gang vor ihr gerichtet, in welchem Shirota verschwunden war. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte finster drein. „Hör mal…“, begann sie plötzlich ernst, „Tu mir einen Gefallen und halte dich aus dieser Angelegenheit heraus. Das hier geht nur Shirota und mich etwas an. Ich möchte nicht, dass du dich diesbezüglich einmischst. Selbst wenn du es nur gut meinst.“ Irritiert sah Mirâ ihre Kameradin an, welche kurz seufzte und sich dann abwandte, um zurück in den Clubraum zu gehen. Die Violetthaarige folgte ihr kurz mit ihrem Blick, bevor sie noch einmal in die Richtung schaute, in welche Shirota verschwunden war, und dann ebenfalls den Raum betrat. Was auch immer zwischen den beiden vorgefallen war, es musste etwas sein, was Kuraiko nicht vergessen oder gar verzeihen konnte. Auch Shirota schien das Thema noch immer zu beschäftigen und Mirâ hatte das Bedürfnis den beiden zu helfen. Jedoch wusste sie nicht wie, immerhin wollte Kuraiko nicht, dass sie sich einmischte. Da sie aber nun wie es schien auch mit dem jungen Mann einen Social Link eingegangen war, musste sie einen Weg finden mit ihm zu interagieren, ohne dass sie ihre Freundin verärgerte. Sie seufzte, als ihr bewusst wurde, dass dies ein fast unmögliches Unterfangen war und sie in dieser Beziehung sehr feinfühlig vorgehen musste. Mirâ musste sich also unbedingt etwas einfallen lassen, denn sie wusste, dass es alles andere als einfach werden würde. Es dämmerte bereits, als Mirâ endlich auf dem Heimweg war. Seufzend verließ sie die U-Bahnstation und massierte sich ihre Schultern, während sie den Weg Nachhause einschlug. Bis kurz vor der Schließung der Schule hatte sie mit Kuraiko die Köpfe zusammengesteckt und über die neue Gestaltung der Schulbeete gegrübelt. Allerdings empfand sie diesen Tag im Botanik-Club alles andere als entspannend. Seit dem Aufeinandertreffen mit Shirota war Kuraiko angespannt und gereizt, weshalb die Violetthaarige nicht so genau wusste, wie sie mit ihrer Freundin umgehen sollte. An sich kam sie ja mit der Art ihrer Kameradin klar, jedoch war die Situation dieses Mal etwas anders. Das bestätigte ihr nur, dass mehr hinter dem Verhalten der beiden steckte, als sie zugeben wollten. Zwar musste sie Kuraiko versprechen sich herauszuhalten, jedoch hatte sie sich bereits vorgenommen, dem weiter auf den Grund zu gehen. Wie genau sie das schaffte, wusste sie jedoch noch nicht. Ein erneutes Seufzen entkam ihr und sie wollte ihren Weg weitergehen, als sie eine männliche Stimme vernahm. Die Oberschülerin blieb abrupt stehen und wandte ihren Blick in die Richtung, aus welcher sie den Mann vernommen hatte. Es war nicht so, dass ihr die Stimme bekannt vorkam oder dergleichen, jedoch machte sie das, was er sagte neugierig, weil dabei der Name Alec fiel. Kurz darauf blickte sie auf eine Gruppe junger Männer, nicht viel älter als sie, jedoch relativ schnell als Studenten zu erkennen. Und darunter war eine Person, die ihr sehr bekannt vorkam: Alec. Dieser lehnte gelangweilt an einer Mauer und trank aus einer Dose, während sich seine drei Begleiter aufgeregt unterhielten und sich kurz darauf von ihm verabschiedeten. Mirâ sah ihnen nach, bis sie um die nächste Ecke verschwunden waren. Dabei überlegte sie noch einen Moment, ob sie Alec ansprechen oder lieber in Ruhe lassen sollte, trat dann jedoch einfach auf ihn zu. „Guten Abend“, grüßte sie ihn unvermittelt und zog so seine Aufmerksamkeit auf sich. „Du bist ja schon wieder alleine so spät unterwegs“, war die Begrüßung des Älteren, auf welche Mirâ jedoch nur lächelte. „Manchmal dauert der Club halt doch länger“, antworte sie kurz und sah dann noch einmal in die Richtung, in welche die drei jungen Männer verschwunden waren, „Und du? Hast du einen Ausflug mit Freunden gemacht?“ Das Geräusch einer zusammengedrückten Dose ließ sie wieder zu dem Schwarzhaarigen blicken, welcher den Blick gesenkt hielt: „Das waren Kommilitonen aus der Uni. Nervige Typen, die mir ständig am Rockzipfel hängen und meine Gesellschaft suchen.“ Ein überraschter Blick traf ihn, denn die Oberschülerin konnte nicht verstehen, wie ihr Bekannter so etwas sagen konnte. Immerhin sah es doch so aus, als würden die drei ihn als einen der ihren ansehen. „Wahrscheinlich wollen sie einfach mit dir befreundet sein“, murmelte die Violetthaarige, woraufhin ein Schnauben aus Alecs Richtung kam. „Ich brauche keine Freunde… sowas habe ich auch gar nicht verdient“, nuschelte dieser anschließend und wandte sich von der Oberschülerin ab. Geschockt beobachtete Mirâ, wie er die Dose in einem Mülleimer versenkte und dann auf sein Motorrad zuging, welches ein kleines Stück entfernt am Straßenrand parkte. Er schnallte sich seinen Helm auf und platzierte sich auf dem Gefährt. Kurz bevor er jedoch die Zündung betätigen konnte hatte Mirâ bereits ihre Sprache zurückgefunden und zu ihm gesprochen: „Das stimmt nicht! Jeder braucht Freunde! Und jeder hat auch welche verdient!“ Überrascht sah Alec sie an, bevor sich ein ganz kleines Lächeln auf seinen Lippen bildete: „Wenn du meinst…“ Er betätigte die Zündung und das Gefährt startete mit einem lauten Geräusch, bevor es sich in Bewegung setzte und mit dem Schwarzhaarigen davonfuhr. Mirâ sah ihm besorgt nach, denn seine Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Ihr vibrierendes Handy bemerkte sie zwar, jedoch ignorierte sie es. Viel mehr beschäftigten sie die Worte ihres Bekannten. Als die Oberschülerin am späten Abend nach einem entspannten Bad auf ihrem Futon lag und einen Blick auf ihr Smartphone werfen wollte, bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte. Als sie ihr Display einschaltete, leuchtete dieses kurz auf, doch bevor sie es entsperren konnte, schaltete es sich ganz schnell wieder ab. Mit verzogenem Gesicht versuchte es die junge Frau erneut, doch es geschah genau das gleiche. Erst dachte sie, es läge an ihrem Akku, doch beim kurzen Aufleuchten des kleinen Gerätes konnte sie erkennen, dass sie noch genügend Strom hatte. Was war also los? Letzten Endes brauchte die Violetthaarige vier weitere Versuche, ehe ihr Handy wieder stabil lief und endlich tat was sie wollte. Schnell checkte sie ihre Nachrichten und die Persona App, bevor sie das rote Telefon beiseitelegte. Seufzend drehte sie sich daraufhin auf den Bauch und legte ihren Kopf auf ihre Arme, während sie ihr Smartphone beobachtete. Was war nur los? Wenn das kleine Gerät plötzlich kaputt gehen sollte, wäre dies der schlechtmöglichste Zeitpunkt. Nicht nur, dass sie das Handy für ihre Kämpfe in der Spiegelwelt brauchte; sie hatte auch aktuell nicht genug Geld übrig, um sich ein neues zu besorgen. „Urgh…“, sie drehte den Kopf und versteckte daraufhin ihr Gesicht hinter ihren Armen, „So ein Mist…“ Dann wurde es still im Raum, bevor man nur noch ganz leises und regelmäßiges Atmen vernahm. Kapitel 95: XCV – Vorbesprechung -------------------------------- Samstag, 12.September 2015 Schweigend saßen Mirâ und ihre Freunde auf dem Dach der Schule; ihr Mittagessen vor sich ausgebreitet. Auch Megumi, Yasuo und Masaru leisteten der Gruppe Gesellschaft, sodass das Team seit langer Zeit mal wieder gemeinsam die Pause verbringen konnte. Eigentlich hatten sie sich über eine gesellige Runde gefreut, jedoch wurden sie beim Betreten des Daches jäh enttäuscht. Ihre Blicke waren auf einen Punkt ein Stückchen von ihnen entfernt gerichtet, wo Shuya zusammengekauert wie ein Häufchen Elend saß und irgendwelche unverständlichen Wörter vor sich hinmurmelte. Man konnte die düstere Aura, welche von ihm ausging regelrecht sehen. Ein Ellenbogen traf Hiroshi vorsichtig am Arm, woraufhin er neben sich auf seine Sandkastenfreundin blickte. Diese hob die Hand vor den Mund und fragte ihn leise: "Wieso ist er so niedergeschlagen?" Der Blond zuckte mit den Schultern, da er es selber nicht wusste. Als er den Blau-violetthaarigen am Morgen getroffen hatte, schien er noch super drauf gewesen zu sein. Es musste also zwischen ihrem ersten Aufeinandertreffen und der Mittagspause etwas passiert sein und das konnte nur in seiner Klasse gewesen sein. Also wanderte sein Blick zu Kuraiko, welche sich mittlerweile wieder ihrem Essen gewidmet hatte und sich auch nicht mehr an der negativen Energie ihres Klassenkameraden zu stören schien. Auch Mirâ wandte nun ihren Blick von dem Häufchen Elend ab zu ihrer Freundin: "Ist etwas passiert?" "Ach lasst ihn. Er bockt wegen des Schulfestes rum...", meinte die Schwarzhaarige nur leicht genervt und steckte sich ein bisschen Reis in den Mund. "W-was ist denn passiert?", fragte Megumi vorsichtig. Kuraiko zuckte mit den Schultern und erklärte, dass sie in der ersten Stunde, während des Homerooms, ihr Klassenevent für das Schulfest besprochen hatten. "Wir machen ein Maid & Butler Café... Echt nervig sowas. Wirklich... Keinen Plan, wer auf diese bekloppte Idee gekommen ist.", schimpfte die junge Frau vor sich hin. Kollektiv kam der Gruppe ein Gedanke, den sie niemals offen aussprechen würden, da sie ihre Freundin genau kannten: Kuraiko würde ein Maid-Kostüm mit Sicherheit super stehen, vor allem wenn es etwas Gothic mäßig angehaucht war. "Dieser Idiot wurde für Sonntagvormittag zum Butlerdienst eingetragen... Da waren sich die Weiber in unserer Klasse ziemlich schnell einig.", erklärte sie Schwarzhaarige weiter, ohne von den Gedanken ihrer Freunde Kenntnis genommen zu haben. Alle Blicke richteten sich wieder auf die zusammengekauerte Gestalt. Auch hier waren sich alle einig, dass die Wahl auf den Richtigen gefallen war. Allem voran waren die Mädchen – mit Ausnahme von Kuraiko – der Meinung, dass ein Anzug an dem jungen Mann verdammt gut aussehen würde. Nur Hiroshi machte sich Gedanken, ob das gut gehen würde. Immerhin kannte er seinen Kumpel. Andererseits würde er die Aufmerksamkeit sicher auch genießen. "Und was ist nun das Problem?", sprach Masaru die Frage aus, welche dennoch über allem schwebte, "Ihr gebt doch ein schönes Paar ab..." Ein vernichtender Blick traf den Schwarzhaarigen, welcher diesen jedoch gekonnt zu ignorieren wusste. Daraufhin gab auch Kuraiko den Versuch auf, ihn mit ihrem Blick umzubringen, und seufzte stattdessen: "Tja..." Plötzlich sprang Shuya auf, woraufhin alle außer seine Klassenkameradin erschrocken zusammenzuckten: "Das ist es ja gerade! Wir werden nicht beide kellnern!" Wieder sahen alle auf die Schwarzhaarige, welche nur erneut mit den Schultern zuckte und meinte, dass sie zum Backen eingeteilt wurde und sich deshalb auch weigerte ein Maid-Kostüm anzuziehen. Immerhin würde es dabei nur dreckig werden und man sah sie sowieso nicht. Zumal solche ausladenden Kleider sie beim Backen nur behindern würden. Shuya raufte sich die Haare: "Das ist so unfair! Dabei hatte ich mich so sehr darüber gefreut Fuka-chan in einem Maid-Kostüm zu sehen!" Er hockte sich wieder hin und malte mit dem Finger Kreise auf den Boden, während er wie ein kleines Kind schmollte. Gemeintes Mädchen fasste sich nur genervt an den Kopf und seufzte, während sie sich fragte, was sie verbrochen hatte, dass sie mit solch einem Idioten bestraft wurde. Auch die Anderen wussten nun nicht mehr, was sie dazu sagen sollten, weshalb sie sich nun endlich ihrem Mittagessen zuwandten. Es war also mal wieder viel Luft um nichts und doch konnte sich Mirâ ein kleines Kichern nicht verkneifen. Ehrlich gesagt fand sie diese Situation schon lustig. Früher hätte sie sich niemals vorstellen können mit anderen in einer solchen Situation zu landen. Gerade das machte diese jedoch für sie so besonders. Neben sich vernahm sie ein weiteres Kichern, weshalb sie zu Megumi schaute, der anscheinend ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen war. "Mal zu was Ernstem...", wechselte Kuraiko plötzlich das Thema, "Wir sollten uns Gedanken wegen heute Abend machen. Vor allem, da sich eine Person ja selbst ausgeschaltet hat." Mit ernsten violetten Augen starrte sie auf Hiroshi, welcher sogleich zusammenzuckte und seine Stäbchen fallen ließ, während er seine rechte Hand in seinem Schoß versteckte. "Ist ja nicht so, als könnte ich deshalb nicht kämpfen...", murmelte er, "Die is ja nicht gebrochen oder so..." Eine Diskussion entbrannte; darüber wie schlimm oder auch nicht diese Verletzung nun wirklich sei. Seufzend beobachtete Mirâ das übliche Geschehen und steckte sich genüsslich einen Tamagoyaki in den Mund, als sie ein Zupfen an ihrem Ärmel spürte. Fragend blickte sie wieder neben sich und dabei in zwei besorgte grüne Augen, die von mittelbraunen Haaren eingerahmt waren. Megumi machte der jungen Frau ein Zeichen, dass sie ihr etwas zuflüstern wollte, woraufhin sich diese etwas näher zu ihr lehnte. "Ist es gut, dass Nagase-kun dabei ist, wenn wir über das Thema sprechen?", fragte sie anschließend leise mit vorgehaltener Hand. Mirâ sah kurz zu Shuya, welcher immer noch mit seinem Schicksal haderte, und lächelte die Jüngere dann an: "Ja, das ist kein Problem. Nagase-kun ist mehr oder weniger eingeweiht. Deshalb ist es okay. Er hilft uns auch ab und zu von dieser Seite aus." Verstehend nickte die Brünette und blickte noch einmal kurz zu Shuya, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Diskussion zuwandte, welche mittlerweile wieder zum wesentlichen zurückgekehrt war. "Ich bin auch der Meinung, dass du dich dieses Mal im Hintergrund halten solltest", meinte Akane, "Selbst wenn deine Hand nur verstaucht ist. Du weißt wie hart die Kämpfe aktuell sind. Das wir uns dabei noch nichts gebrochen haben gleicht an ein Wunder. Aber deine Verletzung könnte schlimmer werden, wenn du kämpfst." "Und was soll ich dann eurer Meinung nach machen?", fragte Hiroshi aufgebracht. Er ärgerte sich darüber, dass er sich seine Hand verletzt hatte und deshalb nun auf der Ersatzbank landete. Und noch mehr ärgerte es ihn, dass seine Freunde es so offen ansprachen, obwohl er wusste, dass sie es nur gut meinten. Trotzdem... Er wollte sie doch unterstützen. Er konnte doch nicht nur Däumchen drehen. "Erstmal solltest du sich beruhigen", mischte sich nun Masaru ein, woraufhin ihn der Jüngere wütend ansah, "Keiner hat gesagt, dass du gar nicht kämpfen kannst. Jedoch wäre es besser, wenn du nicht mit in der ersten Reihe kämpfst." Hiroshis wütender Blick wandelte sich zu einem erstaunten. Ein Gähnen war zu hören, woraufhin er zu Yasuo blickte, der sich im Nacken kratzte und dann zu Megumi sah, die sogleich zusammenzuckte: "Megumis Persona ist ein Supporttyp. Das heißt, sie hat keine Angriffe, wodurch sie sich nicht selbst verteidigen kann. Es wäre hilfreich, wenn immer jemand in ihrer Nähe wäre, um sie gegebenenfalls gegen gegnerische Angriffe zu beschützen. Gleichzeitig kann derjenige mithilfe seiner Persona den Kampf aus dem Hintergrund unterstützen. Meiner Meinung nach sind wir mittlerweile sowieso zu viele, um alle an den Kämpfen aktiv mitzuwirken. Wir treten uns gegenseitig auf die Füße und behindern uns. Ich finde wir sollten immer ein Team bestimmen, was kämpft und der Rest unterstützt aus dem Hintergrund und beschützt dabei Megumi." Stille legte sich über die Gruppe, während sie den Blauhaarigen anstarrten, der in diesem Moment gar nicht so wirklich wusste, wieso. Doch kurze Zeit später schien ihm aufzufallen wieso er angeschaut wurde und wandte dann den Blick Richtung Himmel: "Das ist nur meine Meinung..." "Die Überlegung ist gar nicht so falsch...", murmelte sein schwarzhaariger Klassenkamerad und sah dann zu Mirâ, "Die Entscheidung bleibt natürlich am Ende bei dir, Mirâ. Was meinst du?" Angesprochene zuckte kurz zusammen und schaute dann in die auf sie gerichteten Gesichter ihrer Freunde. Sie ließ ihren Blick kurz schweifen und senkte ihn dann, um nachzudenken. Wenn sie ehrlich war, fand sie diese Idee selber auch nicht schlecht, aber war sie auch umsetzbar? Die Gegner wurden immer stärker. War es da sinnvoll ihre eigene Gruppenstärke zu schwächen, indem man sich aufteilte? Andererseits waren die anderen ja nicht aus der Welt. Sie halfen ja, nur eben nicht aktiv im Nahkampf. Aber würde das was bringen? Wiederum war ihr auch schon aufgefallen, dass sich das Team teilweise gegenseitig im Weg stand und aufpassen musste, dass man nicht ausversehen ein eigenes Mitglied traf. Vielleicht war es also gar keine schlechte Idee. Jedenfalls... "Wir sollten es ausprobieren", sagte sie, nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatte, "Wir sollten uns auf eine Teamgröße einigen und diese Strategie ausprobieren. Funktioniert es nicht, dann können wir immer noch auf unsere alte Strategie zurückgreifen. In dem Fall sind wir ja flexibel, sofern alle anwesend sind. Sobald wir merken, dass wir in der geplanten Stärke nicht weiterkommen, wechseln wir wieder in die aktuelle Strategie, in der alle mitkämpfen. Was dann bedeuten würde, dass auch Hiroshi-kun wieder in der Offensive ist, trotz seiner Verletzung. Aber vorerst sollten wir den Vorschlag von Yasuo-senpai versuchen. Dadurch kannst du auch deine Hand noch schonen, Hiroshi-kun." Überrascht sah der Blonde sie an und strich sich dann seufzend durchs Haar: "Gut machen wir es so." So richtig begeistert davon war er nicht und das merkte man auch, doch in der aktuellen Situation musste er es so akzeptieren. Mirâ sah zu ihren anderen Freunden, die ihr zustimmend zunickten, womit entschieden war, wie ihre Kampfstrategie für den heutigen Abend aussehen würde. "Scheint ja immer komplizierter bei euch zu werden", sagte plötzlich Shuya, der sich neben Hiroshi niederließ. "Hast du dich wieder beruhigt?", fragte ihn sein Kumpel, woraufhin er nur ein breites Grinsen erntete. Der Ältere griff nach seinem Brot, was bisher unangetastet in seiner Box lag und wollte gerade genüsslich hineinbeißen, als der erste Gong der Schulglocke ertönte und das Ende der Pause verkündete. Erschrocken sah er auf sein Handy, um die Uhrzeit zu prüfen: "Oh nein! Ich hab doch noch gar nichts gegessen!" Hektisch stopfte er sich schnell sein Brot zwischen die Zähne und verschluckte sich dabei noch heftig, woraufhin ihm sein bester Kumpel kräftig auf den Rücken klopfen und ihm eine Wasserflasche reichen musste, die er in einem Zug leerte. "Oh man... Du bist echt der größte Schwachkopf, den ich kenne", stöhnte Kuraiko genervt, während sie ihr zusammengepacktes Bento aufhob und aufstand, nur um einen Moment später das Schulhaus zu betreten. Als Mirâ endlich den Eingangsbereich der Schule betrat war der letzte Gong der Schulglocke schon eine Weile vergangen. Erleichtert darüber, dass ihre Woche mit dem Klassendienst nun vorbei war, wollte sie sich endlich auf den Heimweg begeben. Es war ratsam sich noch etwas auszuruhen, bevor sie sich am späten Abend mit ihren Freunden traf, um die Spiegelwelt zu betreten. Doch gerade, als sie die letzte Stufe der Treppe verlassen hatte vernahm sie einen erschreckten Aufschrei, welchem ein lautes Scheppern folgte. Kurz darauf rollten ihr mehrere Dosen, welche mit Tennisbällen gefüllt waren, vor die Füße. Etwas erschrocken betrachtete Mirâ die abgepackten gelben Kugeln, welche sich noch immer auspendelten, bevor sie in die Richtung sah, aus welcher der Aufschrei gekommen war. Dort richtete sich in diesem Moment ein Mädchen mit dunkelvioletten Haaren auf. Fluchend und sich den Hintern reibend betrachtete sie das Chaos vor sich, welches aus mehreren Kartons und weiteren Dosen bestand, die nun Kreuz und Quer über den Boden verteilt lagen. Mirâ erkannte die junge Frau, welche den einen Tag gemeinsam mit Shio in der Bibliothek war. Damals hatte sie sie nur von weitem gesehen. Nun jedoch stand sie direkt vor ihr. Ihre langen Haare, die eine ähnliche Farbe wie ihre eigenen hatten, waren zu zwei dicken seitlichen Zöpfen geflochten und fielen ihr über die Schultern. Anstatt der Jacke der Schuluniform trug sie einen hellblauen weiten Pulli mit weitem Kragen, der ihre Schultern frei ließ, sodass man die schwarze Bluse darunter gut erkennen konnte. Der Pullover reichte ihr bis zur Hüfte, weshalb nur noch ein Stückchen des roten Rockes zu erkennen war. Dazu trug sie eine weiß-schwarz gestreifte Strumpfhose und braune Slipper. Die rote Krawatte der Uniform war ordentlich gebunden und baumelte locker vor ihrer Brust hin und her. „Verdammter Mist“, fluchte sie leise, während sie begann das Chaos vor sich wieder einzusammeln. Nun reagierte auch Mirâ endlich wieder und hob die Rolle vor ihren Füßen auf, bevor sie auf die andere junge Frau zuging. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie anstandshalber, woraufhin sie kurz ein überraschter Blick traf, der jedoch einem kleinen Lächeln wich. „Ja. Danke der Nachfrage“, antwortete ihr Gegenüber und nahm die Dose entgegen, die Mirâ ihr hinhielt, „Ich habe mich wohl etwas mit der Menge überschätzt.“ „Kann ich dir vielleicht helfen?“, obwohl Mirâ eigentlich lieber nachhause wollte, so konnte sie nicht einfach nur zusehen, wenn ein Mitschüler vor ihren Augen Hilfe brauchte. Die Menge der Kartons ließ nämlich eindeutig darauf schließen, dass es für eine Person zu viel war. Ein erfreutes Lächeln traf sie: „Das wäre super nett. Danke.“ So machten sich die beiden Mädchen dran das Durcheinander wieder zu beheben und waren so wenige Minuten später bereits auf dem Weg zum Tennisclub, für den diese Kartons bestimmt waren. Schweigend verließen sie das Schulgebäude durch einen der hinteren Ausgänge, liefen zwischen den beiden großen Turnhallen der Schule hindurch und steuerten kurzerhand auf zwei große Tennisfelder zu. Erst kurz vor ihrem Ziel erhob die Langhaarige plötzlich die Stimme, als ihr auffiel, dass sie etwas vergessen hatte: „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Entschuldige. Mein Name ist Naru Haruna. Ich gehe ins zweite Jahr. Dein Name ist Mirâ, habe ich Recht?“ Überrascht sah Mirâ das Mädchen mit den ebenso violetten Haaren an, bevor ihr einfiel, dass Shio ihr ihren Namen wohl genannt haben musste. Andererseits kannte sie den Namen ihres Gegenübers ja auch bereits. Deshalb lächelte sie nur und stellte sich ebenfalls noch einmal vor: „Ja, ich heiße Mirâ Shingetsu. Ich gehe auch ins zweite Jahr. Und ehrlichgesagt kannte ich deinen Namen schon. Ein guter Kumpel, der öfters mit dir Basketball spielt, hat ihn mir verraten und erzählt, dass du Kapitänin der Basketballmannschaft bist.“ „Du meinst sicher Makoto. Hab ich Recht?“, Mirâ nickte auf die Frage nur, woraufhin Naru fortfuhr, „Konnte ich mir schon denken. Man sieht euch in letzter Zeit wirklich häufig zusammen.“ Mirâ nickte: „Sag. Wieso bringst du das hier zum Tennisclub, wenn du doch zum Basketball gehörst?“ Überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel, warf Naru einen Blick auf die Kartons in ihren Händen und grinste dann breit, bevor sie erklärte, dass sie auch zur Schülervertretung gehörte und dort für die Sportclubs zuständig war. Deshalb musste sie sich auch um die Verteilung von neuem Material kümmern. Da die anderen Mitglieder allerdings mit ihren eigenen Aufgaben und der Vorbereitung des Schulfestes beschäftigt waren, konnte sie niemanden um Hilfe bitten. Mehrmals Laufen wollte sie jedoch auch nicht und dabei hatte sie sich mit der Menge überschätzt. „Und so sind wir hier gelandet“, lachte sie verlegen und blieb plötzlich stehen, „Da wären wir.“ Die junge Frau setzte die Kartons in ihren Armen ab und kramte dann einen Schlüssel hervor, bevor sie die schwarze Tür vor sich aufschloss und aufschob. Tastend suchte sie nach dem Lichtschalter, woraufhin der kleine fensterlose Raum kurz darauf mit Licht geflutet wurde. Naru hob die abgestellten Kisten wieder auf und trat dann in das kleine Zimmer, welches offensichtlich als Lager für den Club genutzt wurde. Mirâ ließ ihren Blick kurz schweifen und entdeckte gegenüber der Tür ein Regal, in welchem mehrere Kisten, einige Tennisschläger und verschiedenfarbiges Klebeband lagen. In einem Netz, welches an dem Regal befestigt war, befanden sich mehrere gelbe Tennisbälle, die allerdings alle schon bessere Tage gesehen hatten und schon ziemlich abgenutzt wirkten. „So!“, Naru verstaute die letzte Kiste in dem Regal und schrieb etwas in eine Liste, die links neben der Tür an einem Brett hing. Dann verließen die beiden Mädchen das Gebäude wieder. „Danke nochmal für deine Hilfe“, bedankte sich die junge Frau, während beide den Rückweg antraten. „Kein Problem“, schüttelte Mirâ nur den Kopf, als Zeichen, dass es in Ordnung war. Doch kaum sah sie wieder zu der jungen Frau mit den geflochtenen Zöpfen, zuckte sie erschrocken zurück, als sie ein Blick traf, den sie nicht einordnen konnte. „Ich weiß, dass das jetzt ziemlich indiskret ist und es mich im Grunde auch nichts angeht, aber da gibt es etwas, was mich wirklich brennend interessiert“, merkte besagtes Mädchen an und kam danach direkt zum Punkt: „Kann es sein, dass du in Makoto verliebt bist?“ „Eh? EH!?“, reagierte Angesprochene erschrocken mit knallrotem Gesicht und lauter, als sie eigentlich wollte, „W-Wie kommst du darauf?“ „Naja… ganz davon abgesehen, dass man euch in letzter Zeit häufig zusammen sieht, habe ich euch in der Bibliothek kurz beobachtet, nachdem ich Makoto bemerkt habe. Und dabei sah es irgendwie so aus, als würdet ihr euch ziemlich nahestehen.“ Hastig schüttelte Mirâ den Kopf: „N-nein! Wir sind nur gute Freunde. Da ist nichts. Außerdem…“ Irritiert legte Naru den Kopf schief: „Außerdem?“ Das Mädchen mit den tiefroten Augen wandte den Blick ab: „Es gibt da einen anderen Jungen…“ Ihre Mitschülerin hob eine Augenbraue. Sie hatte eine ziemlich gute Menschenkenntnis und konnte Reaktionen wirklich gut einschätzen. Und so, wie Mirâ ihr gegenüber gerade reagiert hatte, war die Sache eigentlich eindeutig. Es wirkte sogar so, als hätte sie Gefühle für zwei Jungs. Anscheinend war sie sich dem nur nicht bewusst und erst recht nicht, wem von beiden sie nun den Vorzug geben sollte. Wahrscheinlich war sie diesbezüglich hin und her gerissen und redete sich ein, dass die Gefühle für einen der Jungs gar nicht so stark waren. Mit Sicherheit würde ihr das irgendwann noch Schwierigkeiten bringen. „Hör mal“, begann Naru plötzlich und blieb wieder stehen, „Ich weiß, dass ich mich da eigentlich nicht einmischen sollte. Aber du solltest über deine eigenen Gefühle wirklich gründlich nachdenken. Sonst könnte es passieren, dass du jemanden tief verletzt.“ Vollkommen überrumpelt starrte Mirâ das Mädchen ihr gegenüber an. Wie meinte sie das? Noch ehe sie sich tiefer über Gesagtes irgendwelche Gedanken machen konnte, wurde sie bereits aus diesen gerissen, als es laut neben ihr schepperte. Erschrocken machte sie einen Schritt zur Seite und starrte auf den noch immer wackelnden Maschendrahtzaun, welcher um den Tenniscourt gespannt war, damit niemand von einem Ball getroffen wurde. Ein solcher fiel plötzlich zu Boden und rollte noch ein Stückchen zurück, bevor er still liegen blieb. "Sorry! Alles in Ordnung?", hörte sie eine ihr bekannte Stimme rufen. Sie sah auf und erkannte kurz darauf Shio, welche auf sie zugelaufen kam. Sie hatte ihre schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, während ihr blonder Pony von mehreren Spangen beiseitegeschoben und dort gehalten wurde, wodurch man nun auch ihr zweites violettes Auge gut erkennen konnte. Sie trug einen kurzen roten Tennisrock mit weißem Saum, unter welchem eine kurze schwarze Hose hervorlugte. Dazu erkannte Mirâ ein weißes Tanktop mit roten und schwarzen Akzenten, über welchem ihre Freundin die offene Sportjacke der Schule trug. Schnellen Schrittes kam sie auf die beiden Mädchen hinter den Zaun zugelaufen und blieb dann kurz vor ihnen stehen. "Oh Mirâ und Naru. Was macht ihr denn hier?", kam sogleich eine erneute Frage. "Heute kam eine neue Lieferung Tennisbälle. Shingetsu-chan hat mir geholfen sie hierher zu tragen", erklärte Naru kurz, bevor sie sich wieder abwandte, "Ich muss dann auch erstmal zurück. Danke nochmal für deine Hilfe, Shingetsu-chan. Shio, bis nachher zum Karaoke." Damit hatte sich die Violetthaarige verabschiedet und war zurück zum Schulgebäude gelaufen. Mirâ und Shio sahen ihr kurz nach, bevor die Rotäugige ihren Blick wieder auf ihre Freundin richtete. "Du spielst Tennis?", fragte sie anschließend, woraufhin ein Nicken folgte. "Ja, schon seit ich... klein war", ein Lächeln zierte das Gesicht der Schwarz-blonden, während sie erzählte, dass sie froh war, als sie erfahren hatte, dass diese Schule diesen Sport anbot. Deshalb habe sie sich auch sofort in diesem Club angemeldet, auch wenn sie Aufgrund ihres späten Eintretens nicht mehr in die Stammmannschaft aufgenommen werden konnte. Sie wandte ihren Blick zurück zum Tenniscourt: "Ich bin froh, dass ich hier weitertrainieren kann. Dabei... finde ich es nicht schlimm, dass ich nicht zu den... Regulars... ähm Stammspielern gehöre. Hauptsache ich kann mich bewegen." Während sie Shio zuhörte, änderte sich ihr Blick zu einem Erstaunten, was ihrem Gegenüber kurz darauf sogar auffiel. Diese sah sie deshalb fragend an. "Ah... Ich bin nur jedes Mal erstaunt, wie gut dein Japanisch geworden ist. Jedes Mal wenn wir uns treffen, sprichst du noch fließender. Das freut mich", antwortete sie, "Ich wünschte, ich hätte dir dabei mehr helfen können. Aber... Wie es scheint hast du das auch alleine gut hinbekommen." Überrascht sah Shio sie an, bevor diese plötzlich ein kleines Lachen unterdrückte: "Hey. Schau nicht so. Alles gut. Du hast mir geholfen. Du hast doch auch mit mir japanisch gesprochen und mir damit geholfen." "Wirklich?" "Ja wirklich. Auch du gehörst hier zu meinen wichtigen Freunden, die mir helfen. Vielen Dank.", bedankte sich ihre Klassenkameradin mit einem freundlichen Lächeln. Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâs Brust aus und sie wusste sofort worum es sich dabei handelte. Unbewusst legte sie sich ihre Hand auf die Brust, während sich auch auf ihrem Gesicht ein kleines Lächeln bildete: "Danke, Shio. Du bist mir auch eine wichtige Freundin." Angesprochene grinste plötzlich: "Ich bin jetzt mit dem Training fertig. Magst du mit mir, Naru und Maria zum Karaoke kommen?" Gerne hätte die Violetthaarige zugesagt, lehnte jedoch ab. Sie begründete dies damit, dass sie am Abend bereits etwas vorhatte und sich bis dahin noch etwas ausruhen wollte. So ganz gelogen war das natürlich nicht, jedoch konnte sie ihrer Freundin nicht sagen, was sie wirklich vorhatte. Zudem hatte sie die Vermutung, dass Shio mit ihren Freunden ins Shādo gehen würde und ehrlich gesagt wollte sie da nicht aufschlagen. Nicht mal wirklich wegen ihren Kollegen an sich, jedoch wollte sie nicht, dass diese sie singen hörten. Das war ihr zu peinlich. Auch wenn Mirâ nicht ganz die Wahrheit sagte, so verstand es ihre Freundin und wünschte ihr daraufhin noch einen erholsamen Nachmittag, bevor sich die beiden Mädchen voneinander verabschieden und Mirâ sich endlich auf den Heimweg machte. Kapitel 96: XCVI – Mutig der Angst entgegen ------------------------------------------- Samstag, 12.September 2015 - Später Abend Leicht gehetzt erreichte Mirâ den Treffpunkt, von welchem aus sie regelmäßig in die Spiegelwelt aufbrachen, und war damit die Letzte, die eintraf. Sich entschuldigend stützte sie sich an ihren Knien ab und rang nach Luft. Ihre Mutter hatte sie aufgehalten und gefragt, wohin sie um diese späte Zeit noch so eilig wollte. Nur mit Mühe hatte sich Mirâ eine Ausrede einfallen lassen können, sodass sie gehen konnte. Jedoch hatte sie das Gefühl, dass ihre Mutter ihr nicht ganz glaubte. Es würde von nun an wohl noch schwerer werden sich aus dem Haus zu schleichen, um die Missionen abzuschließen. Als wäre es nicht schon genug, dass die Dungeons immer schwieriger wurden. Sie seufzte und richtete sich auf, als ihr Akane beschwichtigend auf die Schulter klopfte und meinte, dass es okay sei. Dabei fiel ihr Blick auf Hiroshi und Masaru, welche in ein Gespräch vertieft waren und ihre Anwesenheit noch gar nicht wirklich wahrgenommen hatten. Das Gespräch der beiden wirkte sehr ungezwungen, was die ganze Sache echt ungewohnt wirken ließ. Eigentlich hatte man bisher immer das Gefühl, dass zwischen den beiden eine angespannte Atmosphäre herrschte. Irgendwas schien immer zwischen ihnen zu stehen, doch in diesem Moment wirkten sie sehr harmonisch. "Ah, die beiden sind schon eine ganze Weile am Debattieren. Ich glaube es geht um Fußball", richtete auch Akane ihren Blick auf die beiden jungen Männer, "Ein wirklich ungewohnter Anblick." Mirâ nickte: "Ich wusste gar nicht, dass sich Senpai für Fußball interessiert." Ihre beste Freundin lachte: "Man lernt echt nie aus. Was?" "Aber es ist schön, dass sich die beiden nun etwas mehr zu verstehen scheinen", gesellte sich Megumi zu den älteren Mädchen und wurde daraufhin mit überraschten Blicken begrüßt, "Naja. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass zwischen den beiden irgendwas stand. Da war immer so eine Distanz." "Ja da geb ich dir Recht. Da ist Hiroshi aber nicht ganz unschuldig dran...", murmelte Akane mit einem Blick zu ihrem Kumpel. Megumi legte den Kopf schief, doch ehe die Ältere reagieren konnte, ertönte ein genervtes Räuspern. Dieses veranlasste sogar Masaru und Hiroshi dazu ihr Gespräch zu unterbrechen, woraufhin sie nun auch Mirâ bemerkten. "Wo wir jetzt vollständig sind sollten wir langsam los", kam es genervt von Kuraiko, die sich bereits vor der verspiegelten Wand positioniert hatte, durch die sie immer in die Spiegelwelt kamen. "Ja du hast Recht", stimmte Mirâ zu, "Entschuldige." "Schon gut", die Schwarzhaarige wandte sich ab und trat ohne weiteres durch den überdimensionalen Spiegel. Immer noch ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen, sah die Violetthaarige ihrer Freundin nach und wandte sich dann an Megumi, die wie angewurzelt neben ihr stand: "Bist du bereit Megumi-chan?" Die Mittelbrünette sah sie kurz etwas erschrocken an, schluckte aber dann und setzte einen entschlossenen Blick auf, bevor sie nickte. Aufmunternd klopfte ihr Mirâ kurz auf sie Schulter und schritt dann an der Kleinen vorbei direkt auf den Spiegel zu, in welchem sie einen Moment später verschwand. Megumi beobachtete, wie die anderen der Oberschülerin nach und nach folgten und schluckte erneut, als sie spürte wie ihre Beine zitterten. Sie hatte Angst. Das konnte sie nicht einmal bestreiten. Diese Welt war ihr unheimlich, doch sie musste sich zusammenreißen, immerhin hatte sie versprochen ihren Freunden zu helfen. Und sie, beziehungsweise die Kraft ihrer Persona wurde dringend benötigt. Sie legte ihre zitternden Hände auf ihre Brust, in der sie ihr Herz wie wild schlagen spürte, und atmete tief durch, bevor die Entschlossenheit in ihre Augen zurückkehrte. Nun endlich setzte sie einen Schritt vor den nächsten und berührte vorsichtig das Glas vor sich, durch welches ihre Hand hindurchglitt. Noch einmal gab sie sich einen Ruck und war daraufhin auch hinter der gläsernen Fassade verschwunden. "Ah, da ist unser Mauerblümchen ja", wurde sie sogleich von Kuraiko begrüßt, "Ich dachte schon, du bekommst kalte Füße und rennst wieder nachhause." Gemeinte senkte den Blick und biss sich auf die Lippe, doch schrak auf, als sie eine warme Hand auf ihrer Schulter spürte. "Lass den Mist, Kuraiko. Als hättest du beim ersten Mal keine Zweifel gehabt", nahm Hiroshi sie in Schutz, "Megumi-chan hat aktiv ihre Zeit in dieser Welt mitbekommen. Dass sie Angst hat ist nur selbstverständlich, aber sie hat den Mut aufgebracht uns zu folgen. Das verdient eher Respekt." Ein freundliches Lächeln traf die Jüngere, was sie etwas verlegen machte. Die Schwarzhaarige wiederum schnaubte nur genervt und drehte den beiden den Rücken zu. "Dass die auch nie ohne Streit auskommen...", seufzte Masaru, wurde dann aber ernst, "Lasst uns gehen." Daraufhin setzte er sich in Bewegung, woraufhin ihm Yasuo mit einem Gähnen folgte. Akane schloss sich den beiden an und hängte sich sogleich an Yasuos Fersen. Kuraiko schnalzte noch einmal mit der Zunge und lief nun ebenfalls los. Zurück blieben Hiroshi, Megumi, Mirâ und Mika, welche der kleinen Gruppe kurz hinterhersahen. "Du solltest dir nicht zu viel aus dem machen, was Kuraiko von sich gibt", wandte sich der Blonde grinsend an die Brünette, "Sie ist halt ne Zicke." "Hiroshi-kun...", mahnte Mirâ kurz, bevor sie sich auch Megumi zuwandte, "Kuraiko ist etwas speziell. Man muss lernen mit ihrer Art klarzukommen. Wenn man das kann, dann merkt man, wie nett sie eigentlich ist." "Na ich weiß ja nicht...", murmelte Hiroshi und sah in die Richtung der anderen. Diese riefen mittlerweile nach ihnen mit der Drohung sie hier zurückzulassen, wenn sie sich nicht langsam beeilten. Der Blond seufzte und machte sich nun auch endlich auf den Weg, gefolgt von den drei übrig gebliebenen Mädchen. Nach einem etwas längeren Fußmarsch, den sie Aufgrund der Entfernung zwischen Stadtmitte und Schule und ohne Verkehrsmittel zurücklegen mussten, erreichten die Persona User ihr Ziel. Das Schultor stand noch immer einladend offen, genauso wie die Eingangstür, welche sie von ihrer Position aus bereits sehen konnte. Dieser Dungeon war voller Widersprüche. Zum einen stand der Eingang weit offen, so als wolle Arabai, dass sie eintreten. Wiederum war der zweite Teil des Dungeons ein so verzwicktes Labyrinth, welches sie immer wieder hinausschleuderte, sodass man den Eindruck gewann, dass der jüngere Schüler sich nicht helfen lassen wollte. Es stellte sich also die Frage: Was war seine wahre Intention? Eine Antwort darauf würden die User allerdings erst erhalten, wenn sie es schafften ihren Kōhai und Klassenkameraden zu retten. Jedenfalls hofften sie das. "Da wären wir", murmelte Mirâ und sah zu Megumi, welche das Gebäude skeptisch betrachtete, "Keine Sorge Megumi-chan. Wir werden dich beschützen." Angesprochenen atmete noch einmal tief durch und nickte dann. Die Ältere wandte sich an die restlichen Mitglieder ihres Teams: "Also, wie besprochen teilen wir uns auf. Hiroshi-kun geht mit in den Support und unterstützt dort Megumi-chan. Zusätzlich würde ich gerne dich, Yasuo-senpai, darum bitten, ebenfalls in den Support zu wechseln. Sowohl deine Persona, als auch deine Waffe sind gut geeignet für Angriffe aus dem Hintergrund." "Ja kein Problem...", meinte der Ältere sich den Nacken reibend. Megumi verbeugte sich leicht: "Vielen Dank für eure Unterstützung. Und verzeiht, dass ihr mich extra beschützen müsst." "Schon gut, Megumi-chan", winkte Hiroshi seufzend ab, "Abgesehen davon, dass ich mich ja selber in diese Situation verfrachtet habe, wird ja jeder mal dran sein. Außerdem ist es genauso wichtig, dass du, als unsere Navigatorin, in Sicherheit bist. Immerhin sind wir diejenigen, die das von dir abverlangen und dich damit wieder in Gefahr bringen. Also mach dir darüber keinen Kopf." "Dem ist nichts hinzuzufügen", gähnte Yasuo und klopfte der Jüngeren beim Vorbeigehen auf die Schulter. Lächelnd beobachtete Mirâ das Gespräch, bevor ihr Blick wieder ernst wurde. Mit einem Ruck drehte sie sich um und lief dann zielstrebig auf den Eingang des Dungeon zu, woraufhin ihr der Rest des Teams folgte. Kurz darauf fanden sie sich im ehemaligen Raum des Zwischenbosses wieder, welcher in tiefer Stille lag. Besorgt sah sich Megumi wieder um, in der Hoffnung, dass nicht jeden Moment ein Shadow aus einer Ecke auftauchte. Jedoch spürte sie die warme Kraft von Nechbet, welche ihr verriet, dass sich in ihrem näheren Umfeld keine Feind befanden. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Einerseits war da die Angst, jederzeit von einem Shadow angesprungen zu werden, andererseits spürte tief in sich auch eine Ruhe, da sie wusste, dass keiner in der Nähe war. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie Mika an sie herantrat. "Keine Sorge. Hier sind keine Shadows mehr", sagte sie beruhigend, "Wobei ich mir vorstellen kann, dass deine Persona dir diese Information schon hat zukommen lassen." Überrascht sah die Brünette die Jüngere an und nickte dann: "J-ja. Es ist etwas merkwürdig, a-aber daran werde ich mich schon gewöhnen. Hm..." Sie stoppte und schloss kurz die Augen: "Irgendwas stimmt mit dem nächsten Stockwerk nicht..." "Ja ach nee... Was denkst du, wieso wir dich mitgenommen haben?", kam wieder eine genervte Reaktion von Kuraiko, welche Megumi getroffen zusammenzucken ließ. "Jetzt ist aber mal gut, Kuraiko", schimpfte Akane, "Woher sollte Megumi-chan das wissen?" "Kche...", kam nur als Antwort von der Schwarzhaarigen. "Megumi-chan, lass dich davon nicht aus der Ruhe bringen", ging Mirâ auf die Brünette zu, "Das Stockwerk ist insofern merkwürdig, dass es einen immer wieder hinausschleudert, sobald man den falschen Weg nimmt. Deshalb hoffen wir, dass du uns hindurchlotsen kannst." Verunsichert nickte Angesprochene, holte ihr Handy heraus und rief mithilfe dessen und der Persona-App ihr zweites Ich zurück. Dabei schloss sie die Augen und hielt das Smartphone mit beiden Händen fest vor ihre Brust. Plötzlich bildete sich um sie herum ein blauer Strudel, woraufhin Nechtbet hinter ihr erschien und sie mit ihren Flügeln umschloss. Auf ihren Augen erschien wieder der silberne Reif, der an eine VR Brille erinnerte. Durch die Schwingen der Persona, welche leicht transparent wurden, sobald sie das Mädchen umschlossen hatten, erkannte Mirâ, wie diese auf der Unterlippe herumkaute. Der Älteren kamen leichte Zweifel, ob es wirklich eine so gute Idee war ihre Kōhai mit hierherzunehmen. Wenn man es genau nahm lastete nun die ganze Verantwortung für ihr Weiterkommen auf deren schmalen Schultern. Mirâ selbst kannte das Gefühl, die ganze Verantwortung tragen zu müssen, zur Genüge. Und sie hasste es. Doch das war ihre zugeteilte Aufgabe. Und Megumis Aufgabe war die eines Navigators. Also hatte sie ja keine andere Wahl. Oder? "Von hier aus kann ich das Labyrinth nicht komplett überschauen", holte sie die Stimme der Jüngeren aus ihren Gedanken. Nechbet war mittlerweile wieder verschwunden, doch der Blick der Brünetten zeugte nun vollständig von Entschlossenheit: "Lasst uns hoch gehen. Dann kann ich euch auf jeden Fall weiterhelfen." Nachdem sie das nächste Stockwerk erreicht hatten rief Megumi ihre Persona erneut und scannte mit ihrer Hilfe das Labyrinth. Es dauerte eine Weile, bis sich Nechbet von ihrer Besitzerin trennte und diese sicher nickte. "Gut. Ich weiß wo wir lang müssen und ich glaube, ich habe auch ein paar Schatztruhen oder ähnliches gefunden. Jedenfalls scheint es ein paar Räume hier zu geben, die etwas verstecken", erklärte sie den Finger an ihr Kinn gelegt. Ihre Freunde sahen sich fragend an. Eigentlich waren sie sich sicher, dass sie bei ihrem ersten Versuch keine Türen zu irgendwelchen Räumen gefunden hatten. Wo kamen sie also plötzlich her? Entweder diese lagen weiter hinten im Dungeon versteckt oder aber sie hatten sie bei dem ganzen Trubel übersehen. "Ein Stückchen von hier entfernt treiben sich einige Shadows herum, aber sie sind nicht sehr stark. Mit denen sollten wir klarkommen", sprach die Brünette weiter ohne die Unsicherheit ihrer Senpais zu bemerken, "Allerdings..." "Allerdings?", hakte Mirâ auf die kurze Unterbrechung hin nach. Ein leicht unsicheres Lächeln umspielte die Lippen die Jüngeren: "Ich konnte nur einen kleinen Teil der Umgebung analysieren. Nechbet meinte für mehr reiche unsere Kraft noch nicht. A-aber sobald wir in der Nähe des nächsten Abschnitts sind kann ich einen neuen Scan durchführen. Dann wissen wir mehr." Die Ältere legte ihr eine Hand auf die Schulter: "Das reicht uns schonmal. Hauptsache wir kommen endlich voran. Vielen Dank Megumi-chan." Verlegen blickte die Kleine zur Seite und murmelte etwas Unverständliches, während sich auf dem Gesicht der Violetthaarigen ein breites Lächeln bildete. Dieses verschwand jedoch kurz darauf wieder und wurde ernst, bevor die Oberschülerin sich an den Rest des Teams wandte: "Dann lasst uns weitergehen. Dieses Mal schaffen wir es!" "Ja mit Megumi-chans Hilfe wird das hier ein Klacks!", jubelte Akane freudig. "Nu übertreib mal nicht. Das wird sich noch zeigen...", kam es ernst von Kuraiko. Ein Seufzen erklang, welches von Hiroshi kam: "Musst du immer so ne negative Stimmung verbreiten?" "Streitet nicht schon wieder. Dafür haben wir keine Zeit", mahnte Masaru ernst, was die beiden Streithähne zusammenzucken und in eine jeweils andere Richtung blicken ließ. "Wollen wir dann?", kam es gelangweilt von Yasuo, welcher so aussah als würde er gleich wieder einschlafen. Mit einem entschlossenen Lächeln sah Mirâ zu Megumi, die erst etwas verunsichert wirkte, dann jedoch ebenfalls entschlossen nickte. So machten sich die Persona-User und Mika endlich auf den Weg dieses Labyrinth zu lösen. Dank Megumis Hilfe schaffte es das Team zügig voranzukommen. Die Fähigkeit vom Nechbet war ein wahrer Segen, wie sie feststellen mussten. Wie die Brünette vorhergesagt hatte, fanden sie sogar die versteckten Zimmer, in welchen sie so einiges an nützlichen Gegenständen fanden. Wiedererwartend befanden sich genannte Räume nicht einmal nur im hinteren Teil des Labyrinths, welchen sie vorher nicht geschafft hatten zu betreten. Dass die Gruppe sie übersehen hatte, lag einzig und alleine daran, dass sie ziemlich gut versteckt beziehungsweise getarnt waren. So war der Eingang keine typische Tür, sondern zumeist ein Fenster. Nämlich ein solches, welches man in den Klassenräumen vorfand und die in den Flur reichten. Zwar waren Mirâ und den anderen diese Fenster beim ersten Mal aufgefallen, jedoch hatten sie diese für normale Deko gehalten. Wer hätte auch darauf kommen können, dass es sich um Eingänge handelte, zumal sich nicht jedes Fenster auch öffnen ließ. Das Problem an diesen Zugängen war jedoch, dass die Gruppe sich ziemlich sportlich betätigen musste, um überhaupt hineinzugelangen. Das lag daran, dass das untere Ende der Fenster auf Brusthöhe der Jungs endete. Besagte aufzubekommen war also nicht das Problem, sondern über den Rahmen hinweg zu klettern. Nicht nur einmal kam es dabei zu einigen mehr als lustigen Szenen, vor allem wenn einer der Beteiligten regelrecht hängen geblieben war. Doch auch wenn sie viele interessante Gegenstände fanden, so gab es häufig das Problem, dass sich auch Shadows in besagten Zimmern befanden, die nicht scheuten die User anzugreifen, selbst wenn noch gar nicht alle den Raum betreten hatten. Irgendwann hatte die Gruppe entschieden, dass nur noch der Kampftrupp hinein ging, während der Support draußen blieb. Auch von dort konnte Megumi Hinweise zu den Gegnern geben, sobald sie Nechbet aktiviert hatte. So war es kein Problem die Gegner nach und nach auszuschalten, was allerdings nicht hieß, dass die Kämpfe spurlos an ihnen vorbei gingen. "Oh man... Wie weitläufig ist dieses Labyrinth denn noch?", stöhnte Akane, während sie sich gegen die Wand in ihrem Rücken fallen und danach zu Boden rutschen ließ. Megumi hatte wieder ihre Persona aktiviert und scannte bereits den nächsten Teil des Labyrinths, denn sie waren wieder an einem Punkt angelangt, bis zu welchem sie vorher nur hatte analysieren können. Kurz darauf entfernte sich Nechbet auch schon von ihr und verschwand dann in blauem Nebel. "Hm... Ich möchte nicht zu viel versprechen, aber ich denke ich habe das Ende dieses Stockwerks gefunden", sagte deren Besitzerin daraufhin und setzte sich dann auf den Boden, "Es ist aber noch ein Stück. Und gerade ist kein Shadow in der Nähe. Wir sollten uns etwas ausruhen." "Wirklich? Das Ende?! Juchhu!", warf die Dunkelbrünette die Arme in die Luft. Ein Seufzen erklang, welches von Kuraiko kam: "Hörst du schlecht? Es ist aber bis dahin noch ein Stück." Akane grinste: "Aber ich seh ein Licht am Ende des Tunnels." Masaru setzte sich neben Megumi: "Sag mal Yoshiko-chan. Mich würde interessieren, wie du uns leitest. Ich habe verstanden, dass du die Umgebung Mithilfe deiner Persona scannst und dadurch die Wege siehst, die sicher sind. Aber während wir gehen hast du Nechbet nicht aktiviert. Oder? Jedenfalls sieht man sie nicht. Kannst du etwa so mit ihr kommunizieren?" Überrascht sah die Brünette ihren Senpai an, doch schüttelte dann mit einem kleinen Lächeln den Kopf: "Nein. Auch wenn das praktisch wäre, aber ich kann mit Nechbet nur kommunizieren, wenn sie aktiv ist. Aber ich habe ein gutes Gedächtnis, was Grundrisse angeht." "Das heißt, du merkst dir durch einmaliges scannen den Weg den wir gehen müssen", brachte es Yasuo auf den Punkt. "Was? Ernsthaft?", kam es überrascht von Akane. Verlegen nickte sie jüngste Userin, doch zuckte erschrocken zusammen, als ihr die Ältere freudig um den Hals fiel und sie lobte, wie toll das wäre. Leise versuchte sie die Sache herunterzuspielen und meinte, dass es doch nichts Besonderes wäre. Ihr war die Aufmerksamkeit unangenehm, immerhin tat sie nur etwas, was sie sowieso konnte. "Ich muss zugeben, diese Fähigkeit ist wirklich ganz cool", ließen sie Kuraikos Worte etwas rot anlaufen. Gerade von der Schwarzhaarigen hätte sie ein solches Lob niemals erwartet. Vielmehr hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, als könne diese sie nicht leiden. Aber anscheinend hatte sie sich diesbezüglich geirrt. Verlegen sah sie zur Seite und bedankte sich leise, bekam darauf jedoch keine weitere Reaktion. "Wollen wir dann weiter?", fragte plötzlich Mika, "Ich denke je schneller wir das Ende erreichen, umso besser für alle Beteiligten." "Mika hat Recht", erhob sich Hiroshi aus seiner bisher hockenden Position. Mirâ nickte: "Ja ihr habt Recht. Genug ausgeruht. Lasst uns weitergehen." Wieder ging ihr Blick zu Megumi, welche lächelnd nickte und sich dann auch erhob, nachdem Akane von ihr abgelassen hatte. Sie sah wieder in den Gang hinein, welcher, genau wie am Anfang, immer dunkler wurde je tiefer er hineinreichte. Sie hob die Hand und zeigte auf einen Punkt am Ende, während sie erklärte, dass in wenigen Metern eine weitere Kreuzung kam, welche diesen Gang mitgezählt in vier Richtungen verlief. Zwei der Gänge konnte man betreten, einer davon endete jedoch in einer Sackgasse. "Ich kann nicht genau sagen, ob es sich lohnt den Weg zu der Sackgasse zu gehen. Direkt kann ich dort keine Kiste spüren", erklärte sie, "Aber ich kann auch nicht sagen, dass dort gar nichts ist... Irgendwie liegt eine Art Schleier darüber." Die anderen schwiegen kurz und tauschten Blicke aus. Die Frage war nun, ob sie dem Weg folgten oder ihn einfach ignorierten. Dass Megumi diese Stelle nicht genau lesen konnte, konnte daran liegen, dass sich dort etwas befand, was sie für ihren weiteren Weg brauchten. Aber es konnte auch genauso gut eine Falle sein. Was sollten sie also tun? "Lasst uns das prüfen", warf Mirâ letzten Endes ein, "Wenn dort nichts ist, gehen wir einfach zurück. Aber vielleicht finden wir dort etwas Wichtiges." Sie sah zu ihren Freunden, die nur nickten. Keiner schien etwas gegen diesen Vorschlag zu haben. Sicher blieb ihnen die Wahl einfach geradeaus weiterzugehen, doch würden sie es am Ende vielleicht bereuen nicht jeden Winkel kontrolliert zu haben. So war der weitere Weg also beschlossen und die Gruppe machte sich auf den Weg. So bogen sie an der nächsten Kreuzung nach rechts ab und folgten dem Weg, welcher sie immer wieder nach rechts führte. Es wirkte, als würde er sich wie eine Spirale drehen. Nach einiger Zeit erreichten sie letztlich das Ende des Weges und wurden dort von einem Shadow erwartet, welcher vor einer Tür stand. Bei dem Gegner handelte es sich um eine Sanduhr, an dessen oberen Ende eine türkisblaue Maske befestigt war. Um ihre Mitte war ein Ring, ähnlich dem des Saturns, nur das dieser mit merkwürdigen Zeichen bestückt war. Auf seinen dünnen schwarzen Beinen, welche so aussahen, als würden sie jeden Moment unter dem Gewicht zusammenbrechen, schwankte das Wesen ruhig hin und her und schien die Gruppe noch nicht bemerkt zu haben. Megumi nutzte diesen Umstand und rief Nechbet hervor, um sich ein Bild des Gegners zu machen, doch kaum hatte sie den Scan abgeschlossen, trat sie erschrocken einen Schritt zurück. Daraufhin trafen sie überraschte Blicke. "Dieser Shadow... Ganz davon abgesehen, dass er abweichend von den Anderen hier eine völlig andere Arcana hat, ist er unglaublich stark. Sein Level übersteigt unseres um einiges. Hinzu kommt, dass ich es nicht schaffe seine Schwächen zu analysieren. Jedenfalls nicht sofort. Nechbet meinte, dass man ihn am besten im Kampf lesen kann, aber...", erklärte sie. "Das heißt wir müssen ihn einfach nur angreifen?", fragte Akane bereit dazu jederzeit in die Offensive zu gehen. "J-ja", kam es verunsichert von der Navigatorin, "A-aber der Shadow ist zu stark. W-wenn ich es nicht schaffe rechtzeitig seinen Schwachpunkt zu finden, endet das nicht gut. Deshalb..." "Und die Tür?", fragte plötzlich Kuraiko, "Was befindet sich dahinter? Würde es sich lohnen dieses Hindernis zu beseitigen?" Die Jüngere schüttelte den Kopf: "Das kann ich nicht sagen. Aber da dieser Shadow den Raum bewacht, gehe ich davon aus, dass sich dahinter etwas Wichtiges befindet." "Na dann ist doch alles geklärt", trat nun auch Masaru nach vorn, während er sein gezogenes Katana in der Hand kreisen ließ. Erschrocken sah die Kleine auf ihre Senpais, welche sich bereits in einer Reihe vor ihr aufgestellt hatten; jederzeit bereit diese Sanduhr anzugreifen. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und ließ sie neben sich blicken, wo Hiroshi und Yasuo an ihre Seite getreten waren. "Hab ein wenig mehr Selbstvertrauen. Und vertrau ruhig auch auf unsere Fähigkeiten, so wie wir dir vertrauen, dass du schnell eine Lösung finden wirst", sagte der Blonde mit einem aufmunternden Lächeln. Überrascht sah sie den Älteren an, doch nickte dann lächelnd, bevor auch sie sich bereit machte Nechbet zur rufen, sobald der Kampf begann. Kapitel 97: XCVII – Support ist alles ------------------------------------- Samstag, 12.September 2015 - Im Dungeon Fauchend stiegen mehrere Feuersäulen in die Höhe und trieben so das Team um Mirâ auseinander. Nur mit Mühe schafften sie es rechtzeitig auszuweichen; und das auch nur, weil Megumi sie kurz zuvor gewarnt hatte. Die Gruppe hatte sich noch nicht einmal richtig für den Kampf in Stellung gebracht, da hatte der Shadow sie letzten Endes doch bemerkt und das Gefecht eröffnet. Noch bevor einer aus dem Team auch nur einen Angriff deklarieren konnte, hatte sich das Wesen hinter einem Schutzwall aus mehreren Garu-Angriffen versteckt, die ein Durchkommen unmöglich machten, ohne sich zu verletzen. Zwar hatte Masaru mit seinem Windelement einen Versuch gestartet, war jedoch an der Stärke der Attacke gescheitert. Auch wenn er keine schweren Verletzungen davongetragen hatte, so wurde er doch regelmäßig wieder zurückgeschleudert und konnte keinen Treffer landen. Sogar die Versuche anzugreifen, sobald die erste Attacke verklungen war, scheiterte daran, dass der Shadow sofort einen Angriff mit Maragion hinterhersetzte und den Kampftrupp so dazu Zwang wieder Abstand zu nehmen. So waren sie gezwungen in der Verteidigung zu bleiben und sich möglichst nicht treffen zu lassen. Derweil versuchte Megumi den Gegner zu analysieren, was sich als schwieriger herausstellte, als sie gedacht hatte. Sie war mit ihrer Persona noch ungeübt und ließ sich noch zu sehr von allem drumherum ablenken, dass sie es nicht schaffte den Shadow zu fokussieren. Jedes Mal, wenn eine Attacke zwischen sie und das Wesen geriet verlor sie ihn aus den Augen und musste danach mit der Analyse neu beginnen. Hinzu kam ihre Angst angegriffen zu werden; und dass trotz ihrer beiden Leibwächter. Es war zum Haare raufen und es ärgerte sie. Dabei wollte sie doch eine Hilfe sein. Angestrengt kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und startete dann einen erneuten Versuch, doch wieder wurde sie durch die Geräusche und das Geschehen um sich herum abgelenkt. "Yoshiko, was machst du denn? Langsam brauchen wir mal eine Analyse zu dem Vieh!", hörte sie Kuraiko schimpfen, die gerade versuchte mit ihrer Sense durchzubrechen, jedoch wieder an einer Wand aus Feuer scheiterte, die sie wieder zurückschrecken ließ. Angesprochene zuckte verunsichert zusammen. Was machte sie hier eigentlich? Sie wollte nützlich sein, doch war im Grunde gerade nur ein Klotz am Bein. Wenn sie es nicht schaffte, die Schwächen dieses Gegners zu analysieren, dann hätte sie ihre Freunde in einen sinnlosen Kampf geschickt. Aber wie sollte sie das anfangen? Wie konnte sie es schaffen, sich nicht ablenken zu lassen? Sie wusste es nicht. Wie auch? In ihrem bisherigen Leben war sie jedem Kampf aus dem Weg gegangen. Sie wollte sich doch ändern und stärker werden. Verzweifelt kniff sie die Augen zusammen und drückte ihr Smartphone mit beiden Händen fest an ihre Brust. Hatte sie sich doch zu viel vorgenommen? Eine warme Hand auf ihrer Schulter ließ sie überrascht aufschauen und zu Hiroshi sehen, der sie angrinste: "Ganz ruhig. Lass dich von der Zicke nicht aus der Ruhe bringen. Wahrscheinlich weiß sie einfach nur nicht, wie schwierig es ist. Also... atme tief durch." Jüngere tat wie geheißen und spürte dann, wie sich ihr Puls langsam normalisierte und sie auch wieder ruhiger wurde. "Besser?", fragte der Blonde und erhielt dafür ein Nicken, "Gut. Du kannst uns ruhig mehr vertrauen, Megumi-chan. Wir passen schon auf, dass dir nichts passiert." "Hiroshi hat Recht. Und wenn du Hilfe brauchst, kannst du uns jederzeit darum bitten", murmelte Yasuo, welcher sein Smartphone aus der Hosentasche zog und Geb rief. Kurz darauf krachten mehrere starke Blitze in den Shadow ein. Zwar verursachte dies bei Besagtem keinen Schaden, jedoch blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen, sodass auch seine Attacken stoppten. Um ihn herum zuckten immer wieder kleine Blitze, welche ihn in seiner Position zu halten schienen. Erschrocken sahen die angreifenden User hinüber zum Supportteam, bei welchem Yasuo noch immer sein Handy in der Hand hielt. "Es wirkte so, als könntest du dich nicht auf ihn konzentrieren. Vielleicht ja jetzt", murmelte der Blauhaarige. Für einen Moment wirkte die Jüngere irritiert, doch dann wurde ihr Blick wieder fest. Sie schloss die Augen und hob ihr pinkes Handy vor ihr Gesicht, um sich wieder auf ihren Gegner zu konzentrieren. Nechbet erschien von neuem und eine warme Aura machte sich in ihr breit, während sie den Gegner ihr gegenüber fixierte. "Halt!", rief sie, als sie bemerkte, wie Akane den nun fixierten Gegner angreifen wollte, "Nicht angreifen. Die Blitze um ihn herum könnten auf euch übergehen, wenn ihr ihn direkt berührt." Gerade noch so konnte Angesprochene ihren Angriff stoppen und wieder zurückspringen. Währenddessen nahm Megumi noch einmal all ihre Konzentration zusammen und fokussierte den Shadow. In jenem Moment ließ der Effekt an diesem wieder nach und um ihn herum erschien das blaue Licht, welches eine erneute Attacke ankündigte. "Ähm Megumi-chan", hörte sie Akane rufen, doch ließ sich dieses Mal nicht beirren. Plötzlich war sie so fokussiert, dass sie nichts mehr um sich herum mitbekam. Sie stand inmitten einer Dunkelheit, die sie einschloss, die aber alles andere als unangenehm oder beängstigend war. Es war sogar sehr angenehm und strahlte eine Art Geborgenheit aus. In der Ferne erkannte Megumi ein kleines Licht, welches, je mehr sie sich darauf konzentrierte, immer größer wurde und näherkam. Derweil hatten die Angriffe des Shadows erneut begonnen und sorgten dafür, dass die vier Persona-User aus dem Kampfteam damit beschäftigt waren auszuweichen. "Verdammt, was treibt sie da?", fluchte Kuraiko vor sich hin und sprang zur Seite, um nicht von der Feuersäule getroffen zu werden, die auf sie zukam. Auch Masaru sprang zur Seite und warf dann einen kurzen Blick über seine Schulter: "Wir müssen durchhalten. Yoshiko-chan wird sich sicher gleich melden." "Hoffentlich. Aaah!", gerade so konnte Akane einem Windangriff ausweichen, hatte dabei allerdings so viel Schwung, dass sie schmerzhaft mit dem Kinn auf dem Boden aufkam, "Aua..." "Wir müssen ihr vertrauen!", mahnte Mirâ, die ihrer besten Freundin aufhalf, nur um einen Moment später mit ihr gemeinsam zur Seite zu springen. In diesem Moment öffnete Megumi die Augen: "Ich habs. Yasuo-senpai, greif ihn noch einmal mit deiner stärksten Zio Attacke an." Ohne weitere Fragen zu stellen zückte Genannter sein Smartphone und rief Geb, welcher einen krachenden Blitz auf den Shadow niederregnen ließ. Dieser stoppte erneut und blieb dann zuckend in seiner Position stehen. "Mirâ-senpai, greif ihn mit deinem Pfeil an. Du musst genau die Mitte treffen", rief die Jüngere der Violetthaarigen zu. Diese wirkte kurz irritiert, doch spannte dann ihren Bogen. Allerdings schaffte sie es nicht mehr rechtzeitig anzugreifen, denn in jenem Moment löste sich bereits wieder der Effekt um das Wesen. Zwar schaffte die junge Frau es noch den Pfeil abzuschießen, doch genau dann erhoben sich wieder mehrere Wirbel vor ihnen in die Höhe und lenkten das Geschoss damit in eine andere Richtung, während Mirâ gerade so ausweichen konnte. "Kche...", knirschte sie mit den Zähnen und zückte ihr Smartphone, "Dann halt so. Hemsut!" Die in weiß gekleidete Persona erschien auf der Bildfläche und erhob sich in die Lüfte, während sie aus der Scheibe über ihrem Kopf einen Pfeil entnahm. In ihrer linken Hand erschien derweil ein Bogen, in dem sie Benannten einspannte und kurz darauf auch schon wieder losließ. Zischend flog dieser durch die Luft und traf tatsächlich sein Ziel, genau an der dünnsten Stelle seines Körpers. Und plötzlich ging der Shadow zu Boden, während sich mehrere Risse in dem Glas für Sanduhr widerspiegelten. Die Wirbel und Feuersäulen verschwanden, woraufhin die Gruppe ihre Chance wahrnahm und den Gegner mit voller Kraft angriff. Und endlich löste er sich in schwarz-rotem Nebel auf und ließ die User aufatmen. Erleichtert ließ Megumi ihre schmerzenden Arme sinken, die sie während des Kampfes angespannt hatte. Sie hatten es tatsächlich geschafft diesen Gegner zu besiegen. Und noch viel wichtiger war, dass sie es geschafft hatte die Kraft von Nechbet richtig einzusetzen. Ein wenig Stolz machte sie das schon. Vorsichtig legte sie ihre rechte Hand auf sie Brust und bedankte sich geistig bei ihrer Persona, die sie so gut unterstützt hatte. Wieder legte sich eine Hand auf ihre Schulter, woraufhin sie in Hiroshis grinsendes Gesicht blickte: "Siehst du? Klappt doch." Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie nickte, während der Blonde sich streckend die Arme hinter den Kopf legte und sich kleinlaut beschwerte, dass er ja irgendwie gar nichts zum Kampf beigetragen hatte. Sogleich wurde diese Aussage von Kuraiko aufgeschnappt, die ihm an den Kopf knallte, dass er sowieso zu nichts zu gebrauchen sei. Beleidigt darüber ging er sofort auf die Schwarzhaarige zu, woraufhin mal wieder eine hitzige Diskussion entbrannte, die die anderen nur mit einem Kopfschütteln quittierten. Megumi wiederum beobachtete das Ganze mit einem amüsierten Blick; froh darüber, dass sie niemand für ihre Unfähigkeit zu Beginn des Kampfes ausschimpfte. Nachdem das erste Aufeinandertreffen mit den Shadows am Anfang des Dungeons so gut verlief und sie diese sehr gut lesen konnte, war sie sich ihrer Sache zu sicher gewesen und dachte, sie hätte die Kraft von Nechbet bereits vollständig unter Kontrolle. Doch dieser Kampf hatte sie eines Besseren belehrt. Sie musste noch viel lernen und noch viel stärker werden, um ihre Freunde besser zu unterstützen. "Das war wirklich unglaublich", ließ sie eine weibliche Stimme neben sich aufschrecken. Einen Moment später trat Mika neben sie, welche sich während des Kampfes im Hintergrund gehalten hatte. Sie beobachtet einen Moment die restlichen Persona-User, bevor sie ihre Hand ein Stück anhob und diese anstarrte. "Ganz am Anfang habe ich auch die Schwächen der Gegner erkennen können und ich dachte ich sei damit nützlich für Mirâ und die anderen", begann sie und ballte ihre Hand kurz darauf zu einer Faust, "Aber je tiefer wir eintauchten, desto weniger konnte ich helfen und desto mehr wurde ich eher ein Klotz am Bein. Ich habe keine Persona und bin auch körperlich ziemlich schwach, deshalb kann ich nicht kämpfen. Ehrlichgesagt frustriert mich das und ich habe Angst, dass ich nicht mehr gebraucht werde oder sich Mirâ und die anderen von mir abwenden. Vor allem jetzt, wo sie so eine gute Navigatorin haben..." Die Brünette hörte zu und beobachtete Mika einen Moment von der Seite, bevor sie sich gänzlich zu der Jüngeren drehte und deren Hand fasste. Überrascht sah Mika sie an, während die Ältere ihre Hand an deren Brust drückte. "Mach dir darüber keine Gedanken, Mika-chan", sagte die Brünette daraufhin lächelnd, "Ich möchte nicht, dass du denkst, Ich würde dir deinen Platz in der Gruppe wegnehmen. Und ich denke auch nicht, dass Mirâ-senpai und die anderen dich in irgendeiner Weise von sich stoßen werden. Du bist ihre wertvolle Freundin und kennst sie schon länger als ich. Von daher... Auch du bist ein Teil unseres Teams." Mit großen roten Augen starrte Angesprochene ihr Gegenüber an, schrak jedoch auf, als sie merkte wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. Schnell löste sie sich von Megumi und wandte den Blick ab, während sie versuchte die Tränen mit ihren Ärmeln wegzuwischen. "D-danke...", murmelte sie. Die Oberschülerin quittierte dies nur mit einem Lächeln und wandte sich dann wieder den anderen zu, welche mittlerweile die Tür geöffnet hatten und nun nur noch auf die beiden Mädchen zu warten schienen. So griff Megumi erneut die Hand der Blauhaarigen und zog sie so vorsichtig mit sich, bis sie bei ihren Freunden angekommen waren. Nachdem alle versammelt waren traten sie vorsichtig nacheinander in den neu entdeckten Raum, der sich äußerlich schon von den restlichen Räumen unterschied. Und auch nachdem sie eingetreten waren fiel der Unterschied sofort ins Auge; immerhin handelte es sich hier nicht mehr um einen chaotischen Klassenraum. Vielmehr wirkte dieser Raum wie eine surreale Mischung aus Wohnzimmer und Kerker. Die Wände bestanden wie eigentlich fast alle hier aus den roten brüchigen Ziegeln und die Lichtquellen waren auch hier große schwarze Kronleuchter mit Kerzen daran, die mit Spinnenweben behangen waren. Die großen Fenster, die wohl ursprünglich auf eine Terrasse führten, waren mit dicken Gitterstäben versehen und sollten so wohl verhindern, dass jemand hinauskam; auch wenn sie wohl nur bildlich dort waren. Auf der linken Seite des Raumes, genau neben der Tür stand ein großer Esstisch, welcher so aussah als würde er aus teurem Echtholz bestehen. Wäre er nicht durch Spinnenweben verdeckt gewesen, so hätte man erkennen können wir hochwertig er war. Drumherum standen sechs hölzerne Stühle, auf denen rote zerrissene Sitzkissen lagen. In der linken hinteren Ecke stand ein großes dunkelrotes und ziemlich zerfleddertes Ecksofa, vor welchem ein kleiner Couchtisch und zwei dunkelrote zerrissene Hocker standen. Auf der rechten Seite des Zimmers stand eine massive Anbauwand, die ebenfalls so wirkte, als sei sie aus Echtholz, jedoch auch mit Spinnenweben versetzt war. In der Mitte der Konstruktion stand ein großer verstaubter Flachbildschirm und in den offenen Regalen des Schrankes erkannte man unzählige Bücher. Noch ehe sich die Gruppe fragen konnte, wieso dieser Raum so anders wirkte, als die anderen flimmerte plötzlich der Fernseher auf. Das Bild darin war jedoch sehr verschwommen. Nur mit Mühe erkannte man zwei Personen, die sich zu unterhalten Schienen. Die eine recht groß und kräftig, die andere eher klein und schmächtig. "Kannst du nicht irgendwas dagegen machen!?", erklang plötzlich eine junge männliche Stimme, zu welcher sich passend die kleine Person bewegte. Die größere Person schien sich wegzudrehen: "Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du niemals ein Mann wirst, wenn du es nicht schaffst deine Probleme alleine zu lösen." "Aber...", begann der eindeutig Jüngere, wurde jedoch daran gehindert weiterzusprechen. "Kein aber! Du weißt, wie ich dazu stehe. Lerne deine Probleme alleine zu klären. Nun entschuldige mich, ich muss arbeiten", endete der Erwachsene und daraufhin wurde der Bildschirm wieder dunkel. Kurz darauf ertönte wieder das Quietschen aus den Lautsprechern und ließ die Gruppe zusammenzucken. "Sich Hilfe von anderen zu holen bringt nichts. Es zeugt nur von Schwäche", hörte man wieder die verzerrte Stimme. Dieses Mal erkannte man diese allerdings, denn es war die Gleiche, wie die der jüngeren Person aus dem Fernsehen; also die von Arabai. "Urgh verdammt!", fluchte plötzlich Hiroshi, was die Gruppe erschrocken zu ihm schauen ließ, "Deshalb lässt er sich nicht helfen. Dieser verdammte Idiot!" "Wie kommt jemand dazu, es als Schwäche abzutun sich Hilfe zu suchen?", fragte Akane beleidigt. "Keinen Plan...", meinte ihr Sandkastenfreund sichtlich genervt, "Aber sowas geht gar nicht!" Die Brünette bedachte ihn mit einem Blick, den Mirâ nicht ganz deuten konnte und wieder einmal fragte sie sich, wieso dem Blonden das so an die Nieren ging. Nur Akane schien darüber Bescheid zu wissen, aber da Hiroshi anscheinend nicht darüber sprechen wollte, hielt auch sie sich diesbezüglich bedeckt. Aus diesem Grund traute sich die Violetthaarige auch nicht, die beiden darauf anzusprechen und beließ es wie immer dabei. Auch ihre brünette Freundin schien es erst einmal ruhen lassen zu wollen und seufzte nur leise, bevor sie sich etwas in dem Raum umsah. "Sieht nicht so aus, als gäbe es hier noch etwas Interessantes", meinte sie einen Moment darauf, "Wollen wir dann weiter?" Keiner gab Einwände gegen den Vorschlag und so machte sich die Gruppe wieder auf den Rückweg zu der Kreuzung, die sie anschließend weiter ins Labyrinth führen würde. Diese hatten sie nach wenigen Minuten auch schon erreicht, sodass sie sogleich nach rechts abbogen und dem Weg weiter folgten. Sie erreichten noch einige weitere dieser Kreuzungen, stießen hier und da auf ein paar kleine Schadows und fanden noch einige Schatztruhen, in denen sie einige nützliche Gegenstände fanden, bevor sie sich nach einiger Zeit vor einer weiteren Treppe wiederfanden. Megumi schloss die Augen und rief Nechbet, um das nächste Stockwerk zu scannen. Nach ungefähr einer Minute öffnete sie wieder ihre Augen. "Also der Boss ist wohl im übernächsten Stockwerk. Aber ich glaube so einfach wird uns das Ryu-kun nicht machen. Das nächste Stockwerk konnte ich wieder nicht komplett analysieren, aber auch dort ist etwas merkwürdig, jedoch anders als hier", erklärte sie, "Genaueres kann ich aber erst sagen, wenn wir dort sind." "Wir sollten uns vorher noch ein paar Minuten ausruhen", warf Mirâ ein, "Auch wenn wir etwas unter Zeitdruck stehen, Wir sollten es nicht übertreiben und unsere Kräfte einteilen. Wer weiß, was uns noch alles erwartet." "Da gebe ich dir Recht", ließ sich Masaru daraufhin kurzerhand auf den Boden sinken. Auch die anderen taten es ihm gleich und so nutzten sie diese kurze Auszeit, um neue Energie zu sammeln. Dabei beobachtete Mirâ ihre beste Freundin und Hiroshi, welche nebeneinandersaßen und sich über etwas zu unterhalten schienen. Wahrscheinlich ging es um die ganze Sache hier in dem Dungeon, denn man sah dem Blonden immer noch an, wie sehr es ihn beschäftigte. Unter allen Umständen wollte er Arabai hier herausholen und ihm helfen. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Genau das machte ihn aber auch so liebenswert, wie sie fand. Er wirkte auf den ersten Blick zwar ziemlich lotterlich, war aber ein herzensguter Mensch, der anderen sofort zu Hilfe eilte, wenn sie diese benötigten. Das machte ihn aber auch angreifbar, wie man gerade sah. Sie hoffte nur, dass er sich nicht zu weit hineinsteigerte und am Ende noch verletzt wurde. So verstrich die Zeit, in der einige der Mitglieder sogar bereits kurz eingenickt waren. Auch Mirâ zählte zu eben diesen Personen, doch plötzlich schrak sie aus ihrem kurzen Traum auf und blickte sich panisch um. Mika, welche sich an sie gelehnt und ebenfalls etwas gedöst hatte, schrak dadurch auch auf und blickte ihre Freundin mit großen Augen an. Doch kurz darauf wusste sie, wieso die Violetthaarige so heftig reagierte und sprang ebenfalls auf. "Wir müssen hier weg! Schnell!", rief sie und ließ dadurch auch die anderen aufschrecken. Keine Sekunde später hörten sie auch alle wieso, denn aus der Ferne erklang das Klimpern von Ketten. Sofort waren alle hellwach, mit Ausnahme von Megumi, welche etwas irritiert in die Runde blickte. Doch bevor sie fragen konnte, was überhaupt los war, wurde sie bereits von Mika auf die Beine und hinter ihr die Treppen hinaufgezogen. So verließ die Gruppe fluchtartig dieses Stockwerk. Gerade noch rechtzeitig, bevor auch der Reaper vor die Treppe schwebte und sich dann in dunklem Rauch auflöste. Kapitel 98: XCVIII – Tödliche Fallen ------------------------------------ Samstag, 12.September 2015 - im Dungeon Wieder völlig erschöpft erklomm die Gruppe die letzte Stufe der Treppe und erreichte damit das nächste Stockwerk. Fertig mit der Welt suchte sich jeder etwas zum Abstützen, um wieder zu Atem zu kommen. Die kurze Erholung, die sie sich vor ihrem panischen Aufstieg gegönnt hatten war somit wieder vollkommen verschwunden. Megumi atmete einmal tief durch und warf dann einen Blick über ihre Schulter hinweg zur Treppe. Ihre Verwirrung war ihr regelrecht anzumerken und sie fragte sich, was sie Gruppe dazu verleitet hatte, plötzlich so panisch das Weite zu suchen. Sicher, sie hatte bemerkt, wie sich die Atmosphäre langsam verändert hatte, dachte jedoch, dass es etwas mit der nächsten Etage zu tun hatte. So im Nachhinein musste sie jedoch feststellen, dass es nicht so war. Trotzdem fragte sie sich, was denn eigentlich los war. Sie vermutete einen Shadow, doch verstand deshalb auch nicht, wieso sie alle panisch geflüchtet waren. Immerhin hatten sie doch schon einige dieser Wesen besiegt und noch nie hatten sie die Flucht ergriffen. Sie wandte ihren Blick wieder zu ihren Freunden, deren Gesichter alle ziemlich blass waren, denen jedoch auch die Erleichterung anzumerken war. „W-Was ist denn los?“, fragte sie vorsichtig. „Tze… sag bloß du hast es nicht gespürt? Diese eisige Atmosphäre“, murrte Kuraiko genervt, „Tolle Navigatorin…“ „G-Gomen…“, entschuldigte sich die Jüngere sogleich, während sie den Kopf einzog. Masaru seufzte: „Kuraiko, hör auf Yoshiko-chan ständig anzuschnauzen.“ Eigentlich hatte er sich in dieser Beziehung immer zurückgehalten, immerhin musste Megumi lernen sich gegen die Schwarzhaarige zu wehren. Doch langsam wurde es ihm auch zu bunt und er fand, dass ihr Gemotze überhandnahm, weshalb er sich nun doch dazu äußerte. Anstatt eine Antwort zu geben, schnalzte Angesprochene jedoch nur mit der Zunge und wandte sich gereizt von dem älteren Schüler ab. Im Grunde wusste sie ja selbst, dass sie Megumi ungerecht behandelte, aber deren Art ging ihr einfach nur auf die Nerven. Das jedoch behielt sie für sich, immerhin wollte sie sich keine Blöße geben. „Hast du diese Kälte gespürt, die sich vorhin ausgebreitet hatte?“, fragte Mika stattdessen nach, woraufhin sie die Aufmerksamkeit der Mittelbrünetten auf sich zog. Diese nickte, woraufhin die Blauhaarige weitersprach: „Diese Atmosphäre kam vom Reaper. Einem mächtigen Shadow, der sich gänzlich von den anderen Wesen hier unterscheitet. Er besitzt keinen Wirt, der ihn erschaffen hat und er ignoriert mich auch nicht, wie die anderen Shadows. Dazu kommt, dass er unglaublich stark ist. Die ganzen Hauptshadows sind dagegen Pipifax. Es ist ratsam ihm aus dem Weg zu gehen. Auch mit dir als Navigator könnt ihr ihn mit eurem aktuellen Level nicht besiegen. Ihn anzugreifen oder ihm zu begegnen bedeutet in den sicheren Tod zu gehen.“ Noch während die Jüngste alles erklärte, wich nun auch Megumi jegliche Farbe aus dem Gesicht. In dieser Welt gab es also einen übermächtigen Gegner; ein versteckter Endboss sozusagen. Und er war so mächtig, dass sie keine Chance gegen ihn hatten. Nun war sie froh, dass sie in das nächste Stockwerk geflohen waren. Doch die Erleichterung blieb nur einen Moment. In vollkommender Alarmbereitschaft wandte sie ruckartig ihren Blick wieder zur Treppe. Wieso standen sie dann noch hier? Was, wenn er ihnen folgte? „Keine Sorge. Er folgt einem nie direkt ins nächste Stockwerk. Das heißt aber nicht, dass er hier nicht auch auftauchen kann“, warf Yasuo plötzlich ein, was die Brünette zusammenzucken ließ. Mit einer Aussage von ihm hatte sie gar nicht gerechnet, da er kaum einen Mucks von sich gegeben hatte, als sie durch die letzte Etage geirrt waren; abgesehen von dem einen Mal während des Kampfes. Der Blauhaarige zuckte kurz mit den Schultern und kratzte sich dann im Nacken: „Wir haben festgestellt, dass er immer dann auftaucht, wenn man sich zu lange an einem Ort aufhält. Unabhängig davon, ob man nun in einem Dungeon ist oder einfach nur durch diese merkwürdige Welt wandert. Wieso er das macht und was genau sein Ziel ist, können wir aber nicht sagen.“ „Man erkennt ihn im Übrigen einmal an der Atmosphäre, die sich schlagartig ändert und an dem Geräusch von klimpernden Ketten“, setzte Akane noch den Abschluss der Erklärung an. „Ich verstehe…“, sagte Megumi nickend. Sie hatte dieses Geräusch auch mitbekommen, es jedoch nicht wirklich für voll genommen. Eher hatte sie daran gedacht, dass sie es sich nur eingebildet hatte. Daran erkannte man also den Reaper. Eigentlich war das natürlich sehr praktisch, da man sofort die Flucht ergreifen konnte, sobald er auftauchte. Aber was war, wenn man die Flucht nicht ergreifen konnte? Was wäre wohl passiert, wenn er ihnen in der Sackgasse mit dem Zimmer begegnet wäre? Daran wollte sie gar nicht denken. Einem so mächtigen Gegner wollte sie, wenn möglich, aus dem Weg gehen. Solange er also nicht besiegt war, mussten sie sich vor ihm in Acht nehmen und die Zeichen deuten, wenn er auftauchte. Die Oberschülerin kaute erneut auf ihrer Unterlippe herum. Sie musste noch so viel über diese Welt lernen, doch je mehr sie erfuhr, desto mehr Ehrfurcht bekam sie davor. Wenn sie daran dachte, dass ihre Freunde bereits seit fast einem halben Jahr regelmäßig hierherkamen lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Was würde sie auf ihrem Weg zum Ziel noch alles erwarten? Sie wusste es nicht und war für einen Moment auch verunsichert, ob sie sich nicht doch zu viel zugemutet hatte. Doch sie wollte diese Chance auch nutzen und sich verändern. Sie wollte nicht mehr das verschlossene Mauerblümchen sein, dass alles über sich ergehen ließ. Und sie war sich sicher, dass sie dies nur mithilfe dieser Personen schaffte und auch nur dann, wenn sie über ihren eigenen Schatten sprang und sie alle hier unterstützte. Entschlossen drehte sie sich also um und blickte in den dunklen Gang, der sich vor ihnen erstreckte. Äußerlich hatte sich nichts zu dem Stockwerk darunter verändert, doch irgendwie hatte sie trotzdem ein merkwürdiges Gefühl. Deshalb hob sie wieder ihr Handy vor die Brust und rief Nechbet zu sich, welche sogleich erschien und sie mit ihren Flügeln einschloss, während sich der silberne Reif vor ihren Augen bildete. Überrascht sah Mirâ ihre kleine Freundin an. Für einen Moment hatte sie beinahe damit gerechnet, das Megumi ab hier aufgeben würde. Immerhin sah es auch kurz danach aus. Der Blick der Jüngeren war eindeutig. Umso erstaunter war die Violetthaarige, als die Augen ihrer Freundin plötzlich Entschlossenheit ausstrahlten. Noch überraschender jedoch war, als diese ihre Persona rief, um die Etage zu scannen. Ein Lächeln legte sich auf die Lippen der Oberschülerin. Dass Megumi so sehr über sich hinauswuchs freute und erleichterte sie. Ihr war bewusst, dass die Jüngere eine ungeheure Menge Mut aufbringen musste, um hierher zu kommen und dann auch noch zu kämpfen. Und das nur, weil die Gruppe ohne sie nicht in der Lage war den Bossraum zu erreichen. Genau deshalb war sie der Kleinen auch so unendlich dankbar, dass sie sie begleitete und hoffte innerlich sehr, dass diese auch weiterhin ein Teil ihres Teams bleiben würde. Doch darüber konnten sie noch sprechen, sobald sie diese Mission hier abgeschlossen hatten. Zu sich selbst nickend wandte die Violetthaarige ihren Blick von Megumi ab und sah nun ebenfalls in den dunklen Gang vor sich: „Dann lasst uns mal weiter.“ Auch in den Augen der anderen spiegelte sich nun Entschlossenheit, während sie sich wieder auf ihre Aufgabe konzentrierten. Sie alle hatten den Willen, diese Mission abzuschließen und Arabai aus den Fängen seines Shadows zu befreien. Und sie wussten, dass sie es mit Megumis Hilfe schaffen würden. „Dann mal los!“, hob Akane voller Elan die Faust gen Himmel und stolzierte einfach drauflos. „Senpai halt!“, rief Megumi, doch da war es bereits zu spät. Bevor die Dunkelbrünette überhaupt reagieren konnte, fühlte sie, wie der Boden unter ihren Füßen verschwand und sie fiel. Schreiend kniff sie die Augen zusammen und sah bereits ihr Ende vor sich, als ihr Fall gestoppt wurde und sie spürte, wie jemand an ihrem Arm zog. Erschrocken und mit Tränen in den Augen sah sie nach oben, wo Hiroshi es gerade noch so geschafft hatte ihren Arm zu greifen und so verhindert hatte, dass sie in den Tod stürzte. Ein Auge zusammengekniffen schimpfte der Blonde sie aus, dass sie doch nicht einfach vorpreschen könne, bevor Megumi ihre Analyse beendet hatte. Zumal er sie nur mit seiner gesunden Hand greifen konnte. Und auch wenn diese seine starke Hand war, so war es unmöglich sie längere Zeit so zu halten. Tausend Mal entschuldigte sich Akane bei ihrem Kumpel und hoffte inständig, dass ihn nicht die Kraft verließ und sie doch letztendlich fiel. Doch ihr Sandkastenfreund sah nicht so aus, als würde er sie lange halten können und scherzte sogar herum, dass sie mal über eine Diät nachdenken solle. Doch die Brünette hatte viel zu viel Angst, als dass sie darauf reagieren konnte. Sie kniff die Augen zusammen, während ihr Tränen über das Gesicht liefen. Wieso musste sie auch immer mit dem Kopf durch die Wand? Das hatte sie nun davon. Durch ihre vorpreschende Art hatte sie sich wieder in eine lebensgefährliche Situation gebracht und wenn es ganz schlecht lief würde sie sogar Hiroshi mit in den Tod reißen. Was war sie nur für ein Idiot? „Akane, gib mir deine andere Hand!“, kam eine sehr direkte Aufforderung, woraufhin sie die Augen aufriss. Dabei blickte sie in die braunen Augen von Yasuo, welcher sich am Rand des Loches auf den Boden gelegt hatte und ihr nun seine rechte Hand reichte. Zitternd vor Angst hob sie vorsichtig ihren freien Arm und versuchte ihren Senpai zu erreichen. Dieser musste sich noch etwas strecken, schaffte es jedoch dann ihren Arm zu packen. Dann spürte sie einen Ruck und wurde kurz darauf hinaufgezogen. Oben angelangt konnte sie ihre Tränen gar nicht mehr zurückhalten und fing bitterlich an zu weinen, während die beiden Jungs, die sie hochgezogen hatten wieder zu Kräften kommen mussten. Eine warme Hand ließ sie schluchzend aufschauen. Mirâ hatte sich vor sie gehockt und strich ihr nun beruhigend über die Schultern. Damit war es jedoch ganz aus und Akane fiel ihrer besten Freundin schluchzend und weinend in die Arme, woraufhin diese ihr nur sanft über den Rücken strich. Die anderen beobachteten sie nur, schwiegen jedoch dazu. Selbst Kuraiko verkniff sich einen schnippischen Kommentar. Auch wenn sich Akane selbst in diese Situation gebracht hatte, solch eine Erfahrung gönnte selbst die Schwarzhaarige niemandem. Demnach war auch für sie Schweigen die beste Option. Noch immer vollkommen schockiert starrte Mika auf die Szene vor sich, wo Mirâ immer noch versuchte ihre beste Freundin zu trösten. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn Hiroshi nicht so schnell reagiert und die Brünette aufgefangen hätte. Das wollte sich die Blauhaarige gar nicht ausmalen. Das tückische an dieser Falle war, dass man sie nicht erkannte. Aus dem Winkel, mit dem sie die Grube betrachteten, sah es so aus, als sei dort kein Loch. Es wirkte, als würde der Boden normal weitergehen. Mit Sicherheit war dies auch nicht die einzige Falle, die hier auf sie lauerte. Dieser Dungeon überraschte sie immer wieder aufs Neue; und das nicht unbedingt positiv. Dass es nicht einfacher werden würde, war ihnen ja allen klar. Aber dass es auch von seiner Struktur her immer gefährlicher werden würde, damit hatten sie nicht gerechnet. Bestätigt wurde ihre Vermutung, als sie das Gespräch zwischen Megumi und Masaru aufschnappte. Die Brünette erklärte dem Älteren, dass sie auf dieser Etage mehrere solcher Fallen geortet hatte und diese auch vollkommen unterschiedlich wirkten. Was genau sie erwarten würde, wusste sie jedoch nicht. Nur solche Fallgruben konnte sie richtig erkennen. Jedenfalls war das bei dieser der Fall. Hier konnte sie auch erkennen, wie sie daran vorbeikamen. Links neben der Grube war ein schmaler Pfad, den sie nutzen mussten, um hinüber zu gelangen. Mika richtete ihren Blick auf genannte Stelle, konnte jedoch wirklich keinen Unterschied erkennen. Ihre Fähigkeiten als Navigator hatten hier also ihre Grenzen erreicht. Verwundern tat sie dies nicht, immerhin war sie keine Persona-Userin. Obwohl sie einmal Hilfe von einer ihr einerseits unbekannten, doch auch wieder irgendwie vertrauten Macht bekommen hatte. Was sie wieder zu der Frage brachte, wer oder was sie eigentlich überhaupt war. Sie wusste es nicht und konnte sich auch nicht erinnern. Die paar Bilder oder Erinnerungen oder was auch immer das war, was sie ständig sah, halfen ihr dabei auch nicht wirklich weiter. Und genau das nagte an ihr. Zwar hatten Mirâ und die anderen ihr versprochen, das Geheimnis um sie aufzudecken und sie aus dieser Welt zu holen, jedoch war sie sich nicht sicher, ob es überhaupt eine richtige Antwort zu ihr gab. Sie senkte den Blick und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Es nervte sie einfach, doch sie konnte in diesem Moment auch nichts ausrichten. Was sollte sie also machen? Bisher blieb ihr nur die Option es so zu akzeptieren. Sie hatte natürlich schon selber versucht etwas herauszufinden, aber bisher ohne Erfolg. Mirâ hatte auch einige Anhaltspunkte gefunden, doch da sie sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern konnte, war nicht sicher, ob sie das weiterbrachte. Also musste sie es erst einmal dabei belassen, auch wenn es ihr gegen den Strich ging. „Mika, kommst du?“, holte sie die Stimme von Mirâ aus den Gedanken. Schnell schreckte die Blauhaarige hoch und bemerkte dann erst, dass bereits einige ihrer Freunde auf der anderen Seite der Fallgrube waren. Akane war noch bei der Überquerung und tat sich dabei etwas schwer, weil sie Angst hatte noch einmal abzustürzen. Von beiden Seiten bekam sie mentale Unterstützung. Während auf der einen Seite Hiroshi stand und ihr gut zuredete, wartete auf der anderen Yasuo und hielt ihr dabei die Hand entgegen. Doch die Brünette kam nur sehr langsam voran. So ging das eine ganze Weile, bis auch sie es endlich geschafft hatte und nun auch die restlichen Mitglieder den schmalen Pfad überqueren konnten, sodass sie daraufhin ihren Weg fortsetzen konnte. Dieser führte sie immer tiefer in das Labyrinth, welches nur so vor Fallen strotzte. In einer Sackgasse wurden sie plötzlich mit Pfeilen beschossen, die von einer Seite der Wand auf die andere flogen. Gerade so hatten sie es geschafft der Falle auszuweichen und auch nur, weil Megumi sie noch gerade rechtzeitig gewarnt hatte. Früher hätte sie auch nichts sagen können, denn obwohl sie gefühlt hatte, dass hier etwas lauerte, konnte sie nicht genau sagen was. Nachdem sie wieder zurückgegangen waren, wurden sie plötzlich von einer dicken und schweren Steinkugel verfolgt. In diesem Fall war ihr Glück, dass Hiroshi eine Nische gefunden hatte, in welcher sie sich alle verstecken konnten, auch wenn es extrem eng war. Aber wenigstens ihr Leben wurde verschont. Es folgten noch Wände, die sich plötzlich zusammenschoben, sodass sie sich beeilen mussten an das andere Ende des Ganges zu gelangen, genauso wie Decken und Böden, die sich ebenso zusammenschoben. Einmal fiel der Weg hinter ihnen sogar zusammen, sodass es gar keinen Rückweg mehr gab. In diesem Fall war ihr Glück einfach, dass Megumi genau wusste, wo sie lang mussten, auch wenn sie regelmäßig scannen musste, um den Überblick nicht zu verlieren. Doch als ob das nicht schon genug gewesen wäre, wurden sie auch regelmäßig von Shadows angegriffen. Allerdings handelte es sich dabei eher um kleine, schwache Fische, mit denen sie relativ schnell fertig wurden. Trotzdem kostete sie der Weg eine Menge Energie. Nach einiger Zeit erreichten sie wieder eine große Kreuzung mit vier Wegen, inklusive dem, von welchem aus sie gekommen waren. Ihre Navigatorin stellte sich in die Mitte des Weges, hob ihr Smartphone und rief Nechbet, mit der sie eine erneute Analyse vornahm. Überrascht hob sie plötzlich den Kopf, woraufhin das weibliche Wesen gleich darauf verschwand. Fragende Blicke trafen die Mittelbrünette, die sich zu allen drei Gängen umsah und etwas skeptisch wirkte. Dann bemerkte sie die stillen Fragen ihrer Freunde, woraufhin sie sich an diese wandte: „Ab hier hören die Fallen auf. Jedenfalls kann ich keine mehr orten.“ Sie zeigte auf den Gang zu ihrer Linken: „Dort befindet sich der Aufgang in die nächste Etage.“ „Wirklich? Dann los!“, kam es freudig von Akane, welche sich bereits auf die Socken machen wollte, dann jedoch von Kuraiko zurückgehalten wurde, die sie am Kragen packte. „Sag mal spinnst du? Hast du nichts aus dem Sturz vorhin gelernt? Hör dir gefälligst alles bis zum Schluss an!“, schimpfte diese und erstaunte damit nicht nur Megumi. Dass sie einmal Partei für die Jüngere ergreifen würde, indem sie jemanden sagte, ihr bis zum Schluss zuzuhören, damit hätte keiner der Gruppe gerechnet. Jedoch sagte keiner etwas dazu. Viel mehr taten sie so, als hätten sie es gar nicht so mitbekommen, was wohl auch die beste Option war. Sich mit Kuraiko anzulegen war sowieso keine gute Idee. Die Angesprochene währenddessen zog den Kopf ein und entschuldigte sich kleinlaut. Megumi unterdessen konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, doch wurde dann wieder ernst und erzählte weiter, während sie auf den Gang geradeaus zeigte: „In diesem Gang ist nichts weiter. Einfach nur eine Sackgasse, aber dort gibt es nichts Interessantes. Wir können ihn also getrost ignorieren. Aber der Weg hier könnte wichtig sein.“ Sie zeigte nach rechts: „Am Ende befindet sich wieder ein versteckter Raum. Allerdings…“ „Lass mich raten: Er wird wieder von einem Shadow bewacht“, warf Masaru ein. Die Mittelbrünette nickte: „Ja… und wie es mir scheint ist es wieder einer mit einer Sonderstufe, wie in der letzten Etage.“ „Der Raum ist sicher mit Informationen gespickt…“, murmelte Hiroshi. „Heißt das, wir müssen uns wieder so einem riesigen Vieh stellen?“, jammerte Akane. Sie hatte offensichtlich keine Lust mehr auf solch einen Gegner, vor allem, da sie so kurz vor dem Bossraum waren und ihre Kräfte für den nächsten Kampf brauchten, der auch noch am nächsten Tag stattfinden würde; denn da war wieder Neumond. „Uns wird keine andere Wahl bleiben…“, meinte Megumi leicht verunsichert. Sie wollte ihren Freunden eigentlich nicht wieder solch einen Kampf zumuten, aber die Informationen, die sich darin verstecken könnten, waren sicher wichtig. Doch da lag das Problem. Es war gar nicht sicher, ob sich darin überhaupt Infos befanden. Natürlich lag es nahe, da der Raum von einem starken Shadow bewacht wurde, aber vielleicht gehörte dies auch zu den Fallen. Allerdings würden sie das niemals rausfinden, wenn sie nicht hingingen. Akane murrte, doch ergab sich ihrem Schicksal und hob dann unerschrocken den Arm: „Dann machen wir das Vieh so schnell wie möglich platt, damit wir endlich weitergehen können.“ „Du bist ja motiviert…“, seufzte Kuraiko. „Ja“, die Brünette stieß ihre Faust gegen ihre offene Handfläche, „Ich will diesen kleinen Knirps hier rausholen und ihm danach so richtig den Arsch versohlen, weil er uns durch so einen Dungeon gescheucht hat.“ Ein für die Gruppe wie aus dem Nichts kommendes kaltes Lachen ließ sie aufschrecken und zu Kuraiko sehen, die kurz darauf einen diabolischen Blick aufsetzte: „Gute Idee. Da bin ich dabei. Den kleinen Scheißer machen wir sowas von fertig.“ Stille legte sich über die restlichen Anwesenden, welche von einem plötzlich auftretenden Kichern unterbrochen wurde, dass kurz darauf in ein lautes herzhaftes Lachen überging. Überrascht sahen alle zu Megumi, welche sich nun nicht mehr zurückhalten konnte und plötzlich einen Lachkrampf bekam. Der kurzen Verwirrung folgte ein allgemeiner Lachflash, dem alle verfielen, da das Lachen ihrer Navigatorin einfach zu ansteckend war. Dass sie sich mitten in einem gefährlichen Dungeon und kurz vor einem weiteren Gegner befanden, war in diesem Moment vollkommen irrelevant. Es dauerte eine Weile bis sich alle wieder beruhigt hatten und zurück beim Ernst des Lebens waren. Dabei war die Atmosphäre jedoch nicht mehr so gedrückt, wie noch einige Minuten zuvor. Viel mehr fühlten sich alle wieder beschwingt und locker, sodass es ihnen auch gar nicht schwerfiel den Weg zu dem versteckten Zimmer zu betreten. Auch dieser war wieder wie eine nach innen gerichtete Spirale aufgebaut und ließ sie regelmäßig nach rechts abbiegen, bis sie schließlich das Ende erreichten, wo bereits wie erwartet ein Shadow auf die wartete. Es handelte sich hierbei wieder um einen Magus, wie Megumi feststellte. Dieser war fast komplett schwarz. Einzig seine Narrenkappe und der Vorderteil seines Körpers waren dunkelrot, welcher jedoch wieder von seinen fingerartigen Schwingen verdeckt wurde. Dadurch fielen seine türkisblaue Maske, die weißen Handschuhe und die goldenen Elemente an seiner Kleidung regelrecht auf, da sie um einiges heller waren, als der Rest. Ruhig stand er da und verdeckte mit seinem Körper die Tür, welche sich hinter ihm abzeichnete. Megumi atmete ruhig durch und rief dann Nechbet, um den Gegner zu scannen, doch wie bereits beim letzten Mal gelang dies nur bedingt. Sie schnalzte mit der Zunge. Wieder einmal würde erst der Kampf beginnen müssen, bevor sie Genaueres sagen konnte. Dementsprechend machte sich das Kampfteam bereit für die Schlacht, während das Supportteam in sicherem Abstand blieb. Mirâ zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und spannte ihn in ihren Bogen. Dann konzentrierte sie sich und ließ das Geschoss los, welches mit einem pfeifenden Geräusch auf den Shadow zuflog und diesen kurz darauf traf. Der Magus zuckte zusammen und bemerkte nun die Eindringlinge, woraufhin unter ihm das blaue Licht aufleuchtete. Kurz darauf bildete sich vor der Violetthaarigen ein Eiskristall auf dem Boden, der sprunghaft nach oben wuchs und sie bei ihrem Versuch auszuweichen an der Wange traf. Dabei hinterließ er einen kleinen Kratzer, doch ansonsten passierte der jungen Frau aufgrund von Hemsuts Eisresistenz nichts. Die Oberschülerin stolperte einige Schritte zurück und bemerkte dann das kleine Rinnsal, das ihre Wange herunterlief. Genervt wischte sie dieses weg und fokussierte dann wieder ihren Gegner. Währenddessen war Akane in den Angriff übergegangen und auf den Magus zugesprungen, um ihn mit einem gekonnten Tritt zu treffen. Jedoch bewegte sich ihr Gegenüber plötzlich so schnell zur Seite, dass die Brünette regelrecht gegen die Wand rannte und sich gerade so mit ihren Händen abstützen konnte. Masaru stürmte mit seinem gezogenen Katana voran und verpasste dem Gegner einen Schnitt, der ihn allerdings herzlich wenig interessierte. Stattdessen holte er mit seinen Flügeln aus und traf den jungen Mann mit voller Wucht, welcher es gerade so noch schaffte die Arme als Schutz vor sich zu nehmen. Trotz allem half es nichts und er wurde von seinem Gegner weggeschleudert, dann jedoch von seiner Persona aufgefangen, die er noch rufen konnte. Während ihn Harachte wieder neben Akane auf dem Boden absetzte, bemerkte er im Augenwinkel ein blaues Licht, woraufhin er sah, wie Kuraiko auch ihre Persona rief und mit deren Hilfe den Magus mit Mudo angriff. Um diesen bildete sich ein schwarzer Kreis, der mit violetten Runen bestückt war, welcher kurz darauf zu explodieren schien. Doch auch das störte das Wesen nicht. Stattdessen setzte auch dieses wieder seine Kräfte ein, woraufhin sich unter Akane und Masaru ebenfalls dieses schwarze Feld bildete, was sie allerdings nicht sofort bemerkten. Erst als Kuraiko ihnen zurief, dass sie verschwinden sollten, reagierten die beiden und sprangen zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, um nicht von der Attacke getroffen zu werden. Doch Zeit zum Ausruhen blieb ihnen nicht, denn der Gegner setzte sofort eins nach. Wieder bildete sich die Sphäre um ihn, während sich kurz darauf ein schwarzes Objekt in der Mitte der Gruppe bildete. Überrascht sahen sie auf die schwarze Kugel, um welche Blitze zuckten und reagierten dadurch zu spät. Denn plötzlich gab es einen lauten Knall, der die vier Angreifer schmerzhaft zu Boden riss. Dann wurde es kurz still. Auch der Shadow bewegte sich nicht mehr, sondern schien abzuwarten, was als nächstes geschah. Der aufgewirbelte Staub legte sich, woraufhin man die vier Persona-User auf dem Boden liegen sah. „Leute!“, rief Mika ihren Freunden zu und wandte sich dann Megumi zu, „Megumi-chan, bitte beeil dich.“ „J-Ja…“, brachte Angesprochene nur knapp heraus und bekam plötzlich ein Signal, „Ich hab’s. Dieser Shadow ist schwach gegen Feuer!“ Währenddessen hatten sich ihre Freunde langsam wieder aufgerichtet und vernahmen nun die erlösende Nachricht. Sofort rief Akane ihre Persona Wadjet und wies diese an einen Agidyne Angriff zu starten, woraufhin ein regelrechtes Feuerbombardement auf den Magus niederrieselte, welches ihn augenblicklich zu Boden riss. Diese Chance nutzte die Gruppe und griff gemeinsam an, was ihrem Gegner zwar einen enormen Schaden zufügte, jedoch nicht vernichtete. Stattdessen wirkte er erneut diese mächtige Attacke, welche sie kurz zuvor von den Füßen gerissen hatte. „Nicht mit mir! Change!“, rief Mirâ und wechselte damit zu einer Persona, die einen Feuerangriff deklarieren konnte und auch sofort einsetzte. Der Angriff des Shadows wurde unterbrochen und er ging erneut zu Boden, woraufhin das Kampfteam wieder eine All-Out-Attack deklarierte. Staub wirbelte auf und kurz darauf löste sich der Gegner in schwarz-rotem Nebel auf. Schwer atmend und immer noch angespannt starrte die Gruppe noch eine ganze Weile auf jenen Punkt. Erst langsam löste sich diese Anspannung und die vier Kämpfer ließen ihre Waffen sinken. Erschöpft ließ sich Akane auf den Boden plumpsen und seufzte erleichtert auf. Auch Mirâ war erleichtert. Sie hatten die wahrscheinlich vorerst letzte Hürde genommen, bevor sie den Bossraum erreichten und sie waren alle so gut wie unverletzt. Besser und schneller hätte es nicht laufen können. Doch noch mussten sie eine Sache erledigen. Mit zittrigen Beinen setzte sich die Violetthaarige in Bewegung und ging auf die nun freie Tür zu. Noch einmal atmete sie tief durch und drückte dann die Klinke herunter, um das Zimmer zu öffnen. Daraufhin folgte zuerst Dunkelheit. Erst als sie, gefolgt von ihren Freunden, tiefer hineintrat klärte sich das Bild, woraufhin sich die Oberschüler plötzlich an einem Ort wiederfanden, den sie nur zu gut kannten. Auch hier waren die Wände noch genau die gleichen wie im Dungeon und auch die Beleuchtung war die gleiche. Nur die Einrichtung hob sich wieder vom Rest ab. Um sie herum, mitten im Raum, standen mehrere aneinander gereihte Schreibtische, welche durch Trennwände geteilt waren. An den Wänden rechts und links von ihnen befanden sich mehrere Schränke und ein Kopiergerät. In einer Ecke des Zimmers war ein abgetrennter Bereich, den die Lehrer nutzten, wenn sie mit ihren Schützlingen in Ruhe reden wollten. Natürlich waren sie nie ungestört, denn abgetrennt war diese Stelle nur durch einen Vorhang, sodass die Anwesenden jedes Wort verstehen konnten, was gesprochen wurde. Aber so war das nun mal in japanischen Schulen. Ergo standen sie nun inmitten eines Lehrerzimmers oder vielmehr in dem ihrer Schule, auch wenn er sich durch die Wände etwas vom Original unterschied. Auf der Seite, durch welche sie eingetreten waren, befand sich ein kleiner Flachbildschirm, welcher allerdings schon zu den Älteren seiner Generation zählte. Wie die Schüler wussten, gab es diesen Bildschirm wirklich. Wofür er gut war, wussten sie allerdings nicht. Dieser flimmerte aber nun auf und wieder erkannte man leicht verschwommen zwei Personen, welche sich in dem abgetrennten Bereich zu befinden schienen. Hierbei handelte es sich eindeutig um einen der Lehrer und einem schmächtig wirkenden Schüler. Dieser hatte seinen Blick eindeutig gen Boden gerichtet. Anscheinend hatte er sich gerade einer mächtigen Standpauke seines Lehrers unterziehen müssen. „Also wirklich! Was soll ich nur mit dir machen?“, fragte der Ältere mit verzerrter Stimme. Trotzdem hatten die Oberschüler das Gefühl, dass es sich dabei um Toshizo-sensei handelte. Ihnen allen war diese Stimme nur allzu bekannt. „Deine Noten sind unter aller Sau. Was ist nur los mit dir? Deine Aufnahmeprüfung war so gelungen“, motzte dieser, „Oder hast du es dort geschafft zu schummeln?“ „N-nein“, meldete sich nun der Junge zu Wort, „A-aber…“ „Aber?“ „N-naja… es gibt da ein paar Schüler aus meiner Klasse, die…“, begann der Schüler, wurde jedoch sogleich abgewürgt, als sein Lehrer die Hand hob. „Ich will kein weiteres Wort mehr hören“, sagte er, „Eure Probleme untereinander sollt ihr gefälligst unter euch lösen. Petzen sind hier nicht gerne gesehen. Und solche Auseinandersetzungen sollten keinen Einfluss auf deine Noten haben. Also reiß dich endlich am Riemen!“ Erschrocken war der junge Mann zurückgewichen, dann jedoch war die Aufnahme beendet und der Fernseher zeigte nur noch einen Fischregen. Kurz darauf kam jedoch wieder das sich überlappende Geräusch aus den Lautsprechern, woraufhin sich die verzerrte Jungenstimme meldete: „Sich Hilfe zu suchen hat keinen Sinn. Man muss sich den Starken anschließen und unterordnen, wenn man irgendwie überleben will. Anders schafft man es nicht. Man muss sich seinen Weg selber bahnen, selbst wenn er erniedrigend ist.“ Ein Rauschen folgte und dann Stille, welche jedoch durch einen lauten Knall unterbrochen wurde. Erschrocken sahen die Anwesenden zu Hiroshi, der seine geballte Faust auf einen der Tisch geknallt hatte. „Er wählt ein Leben in Erniedrigung, nur weil er der Meinung ist, dass es keinen Sinn hat Hilfe zu holen und weil ein Mensch ihm sagt, dass es von Schwäche zeugt? Ich glaube, ich spinne!“, schimpfte er lautstark und schlug gleich noch einmal auf den Tisch. Es regte ihn auf und machte ihn so wütend. Wie konnte man das einem jungen Menschen nur so einbläuen? Was lief nur in dieser Gesellschaft schief, dass es so verlaufen musste? Es musste dringend etwas passieren. Etwas Grundlegendes, sonst würde die Jugend dieses Landes zu Grunde gehen und sich im schlimmsten Fall umbringen. Erneut wollte er auf den Tisch schlagen, wurde jedoch plötzlich abgehalten, als sich eine Hand um die seine legte. Erschrocken hob er den Blick und sah in zwei rote besorgte Augen, welche zu Mirâ gehörten. Diese hielt ihn davon ab noch einmal mit seiner gesunden Hand auf den harten Gegenstand zu schlagen. „Ich weiß nicht, wieso dich die ganze Sache so mitnimmt. Aber bitte hör auf damit“, bat sie den Blonden, „Wir werden Arabai-kun hier rausholen und dann kannst du ihm alles sagen, was dir auf der Seele liegt. Aber bitte hör auf dich hier und jetzt selbst zu verletzen.“ Nur langsam verließ die Anspannung seinen Körper, doch dann ließ er seinen Arm wieder sinken und entschuldigte sich kleinlaut. Mirâ hatte ja Recht. Es brachte nichts sich hier und jetzt darüber aufzuregen. Er würde mit Arabai in Ruhe reden müssen, um etwas ändern zu können. Es musste etwas passieren, doch jetzt konnte er sowieso nichts ausrichten. Also atmete er tief durch und brachte so seinen aufgebrachten Puls wieder zur Ruhe. Mit den letzten Kräften, die sie noch aufbringen konnten, schleppten sich die Oberschüler und Mika durch den spiralförmigen Gang zurück zu der Kreuzung, um dann den linken Weg zu nehmen, welcher sie nach einiger Zeit zu einer Treppe führte. Schwermütig stiegen sie hinauf und erreichten nach einer gefühlten Ewigkeit einen sehr kurzen Gang, an dessen Ende sich eine große Doppeltür befand. Mit großen Augen bestaunte Megumi diese, als sie nähertrat und erkannte nun die darauf befindlichen Zeichen. Obwohl sie diese zum ersten Mal sah, so konnte sie sofort deuten, was sie ihr sagen wollten. Erst wenn in dieser Welt der Mond in voller Größe erschien, dann öffnete sich dieses Tor. Und das war anscheinend bereits morgen. Sie schluckte schwer und bemerkte dann im Augenwinkel einen kleinen blauen Lichtpunkt, welchem sie folgte. Daraufhin erkannte sie einen kleinen blauen Schmetterling, welcher freudig seine Runden zog. „Dieser Schmetterling bringt uns zurück an den Anfang“, erklärte Mirâ, während sie an das Wesen herantrat und der Jüngeren dann ihre Hand hinhielt. Verstehend nickte diese und reichte der Violetthaarigen dann ihre Hand, woraufhin sie endlich gemeinsam mit den anderen den Dungeon verließ. Ihr Tagesziel hatten sie erreicht. Nun blieb ihnen nur noch der Bosskampf, welcher am nächsten Tag auf sie wartete. Endlich würden sie Arabai aus den Fängen seines Shadows befreien können, doch bei einigen blieben immer noch kleine Zweifel, ob sie es denn wirklich schaffen würden. Kapitel 99: XCIX – Hobbys ------------------------- Sonntag, 13.September 2015 Seufzend erklomm Mirâ die letzte Stufe der Treppe, welche hinauf zum Shinzaro Tempel führte und atmete erst einmal tief durch. Wieso musste dieser Tempel nur so viele Stufen haben? Und überhaupt, wieso war er so weit oben gebaut? Geschafft stützte sie ihre Hände an ihren Knien ab und versuchte somit ihren Atem wieder zu beruhigen. Es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder richtig aufrichten konnte und sich dann umsah. Sie war zwar nicht vorrangig wegen Masaru hergekommen, doch trotzdem hatte sie die Hoffnung ihn zu treffen. Ein paar Minuten mit ihm alleine würde sie sich schon wünschen. Doch egal in welche Richtung sie sah, sie konnte ihn nirgends erspähen, dabei hatte sie ihn meistens hier angetroffen, wenn sie hier war. Ein wenig enttäuscht ihn nicht anzutreffen, schritt sie weiter voran und betrat damit das Innere des Geländes, welches von dem Tempel, dem Dôjo und dem Wohnhaus eingerahmt wurde. Doch wiedererwartend traf sie den jungen Mann auch hier nicht an. „Naja kann man nichts machen…“, ging ihr durch den Kopf, während sie auf den Haupteingang des Tempels zuging, vor welchem eine Box stand, über der eine große Glocke hing. Masaru war ja auch nicht der hauptsächliche Grund, wieso sie sich auf den Weg hierher gemacht hatte. Um ehrlich zu sein, wollte sie eigentlich beten. Dafür, dass sie den Bossgegner an diesem Abend unbeschadet überstanden und Arabai aus den Fängen seines Shadows retten konnten. Auch wenn sie shintoistisch erzogen war, so war ihr Glaube daran eher mangelhaft. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es Götter gab, die ihr Schicksal und ihren Alltag lenkten. Trotzdem war ihr am späten Abend, nachdem sie zuhause angekommen war, der Gedanken gekommen ein Gebet abzusetzen und einen Glücksbringer zu kaufen. Ob es wirklich etwas brachte wusste sie nicht. Wahrscheinlich war es auch vergebliche Liebesmüh. Dennoch wollte sie es probieren. Schaden konnte es ja in erster Linie erst einmal nicht. So trat sie an die Gebetsbox heran, warf 5 Yen hinein, läutete die Glocke, verbeugte sich dann höflich, klatschte zweimal in die Hände und trug dann schweigend ihr Gebet vor, bevor sie wieder einen Schritt zurück machte und sich noch einmal verbeugte. Nun konnte sie nur noch auf den Schutz der Gottheit dieses Tempels hoffen. Ob ihre Gebete angekommen waren, würde sie aber wahrscheinlich niemals erfahren. Als sie fertig war, machte sie auf der Hacke kehrt und ging als nächstes auf ein quadratisches Gebäude zu, welches am Anfang des Karees stand und in welchem die tempeleigenen Talismane verkauft wurden. So schritt sie über den Platz, welcher an diesem Tag erstaunlich leer war, um das Gebäude herum und stand kurz darauf vor einem Verkaufsfenster, hinter welchem eine junge Frau saß, deren grüne lange Haare zu einem lockeren Zopf gebunden waren. Dazu trug sie eine typische Mikotracht. Gelangweilt hockte sie auf den innen ausgelegten Tatamimatten und starrte auf ihr Smartphone. Erst nachdem sie bemerkt hatte, dass jemand an das Fenster getreten war, hob sie etwas missmutig den Kopf. Bei dem Mädchen handelte es sich um Chisato Samejima, derjenigen, welche Mirâ vor einiger Zeit den Kampf angesagt hatte, wenn es um Masaru ging. „Herzlich willkommen…“, sprach sie beiläufig, stoppte jedoch, als sie Mirâ erblickte, „Falls du Masaru-san suchst, der ist heute außer Haus. Er meinte, dass er etwas zu erledigen hätte.“ Ein wenig geschockt über diese direkte Ansprache, wusste die Oberschülerin für einen Moment gar nicht, was sie sagen sollte. Doch dann lächelte sie etwas genervt und versuchte so ruhig wie möglich ihren Grund des Besuches zu erklären: „A-also eigentlich bin ich nicht wegen Senpai hier. Ich wollte einen Talisman kaufen, der Glück bringt.“ Am liebsten hätte sie diesem frechen Balg eine übergezogen, doch sie musste versuchen ruhig zu bleiben. Etwas überrascht starrte Chisato sie an, da sie anscheinend echt damit gerechnet hatte, dass sie wegen Masaru hier war. Natürlich war das auch ein Grund gewesen, jedoch nicht der vordergründige, doch das konnte sie dem jüngeren Mädchen schlecht sagen. Diese sah sich nun in ihrer Auslage um und hob dann einen grün-rot-goldenen Talisman in die Höhe, auf welchem „Glück“ stand. „Der hier sollte funktionieren“, meinte sie, „Natürlich weiß ich nicht, für was du den brauchst, aber für einfache Dinge reicht er. Was Liebesdinge angeht allerdings nicht.“ Egal wie man es betrachtete, es wirkte nicht, als würde sie die Arbeit hier wirklich gerne machen. Was Mirâ zu der Frage brachte, was sie dann überhaupt hier machte. „D-Das soll er auch nicht. Er soll einfach nur Glück bringen“, dass die Violetthaarige genervt war, versuchte sie nicht einmal zu verbergen, obwohl sie sich schon zurückhielt. „Gut. Das macht 500 Yen“, verlangte Chisato und verstaute den Anhänger in einer kleinen Papiertüte. Mirâ zückte ihr Portmonee und zog eine 500 Yen Münze heraus, welche sie der Grünhaarigen vorlegte, bevor sie ihren Einkauf entgegennahm und die Jüngere sie mit einer Höflichkeitsfloskel verabschiedete. Auch die Oberschülerin verabschiedete sich und wandte sich ab, als sie spürte wie ihr Smartphone vibrierte. So zog sie es schnell aus ihrer Tasche und wollte nachsehen, wer sie denn zu dieser Zeit störte. Doch als sie ihr Display einschalten wollte, blieb dieses wiedererwarten schwarz. Fluchend versuchte sie mehrmals ihr Smartphone wieder zum Laufen zu bringen, doch egal was sie machte, es brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Chisato beobachtete die Ältere eine ganze Weile, ehe sie dann doch einmal das Wort ergriff: „Kann man dir irgendwie helfen? Hast du Probleme mit deinem Handy?“ Überrascht drehte sich die Ältere wieder herum und überlegte kurz, was sie darauf antworten sollte, entschied sich dann aber für die Wahrheit: „Ja… seit einiger Zeit spinnt es immer mal wieder. Ich bekomme es gerade nicht mehr an.“ Die Grünhaarige kniete sich richtig hin und lehnte sich dann nach vorn an das Fenster heran, bevor sie der Älteren die Hand reichte: „Zeig mal her. Vielleicht kann ich dir helfen.“ Skeptisch schaute Mirâ auf die ihr dargebotene Hand und dann zu dem Mädchen, welches sie mit großen Augen erwartungsvoll ansah. So richtig wusste sie nicht wirklich, wie sie reagieren sollte. Eigentlich wollte sie ihr Smartphone nicht einfach an jemanden weiterreichen, den sie gar nicht wirklich kannte. Immerhin konnte sie ja nicht einschätzen, was derjenige damit vorhatte. Andererseits hatte sie wirklich nicht viel Ahnung von Handys und bräuchte eigentlich Hilfe. Vor allem, da sie das Telefon am Abend brauchte. Aber was konnte eine Mittelschülerin schon ausrichten? Chisato beobachtete sie eine Weile, bevor sie sich seufzend zurücklehnte: „Wie du meinst… Hast du es mal mit einem Neustart versucht?“ „Wie denn, wenn ich das Display nicht mehr anbekomme?“, fragte Mirâ noch einmal skeptisch. Noch einmal seufzte die Grünhaarige: „Das geht auch ohne das Display einzuschalten. Bei dem Modell musst du eine Weile gleichzeitig die Powertaste und die Leise-Taste gedrückt halten. Dann sollte es neu starten.“ Vollkommen verwirrt sah die Violetthaarige die Jüngere an, bevor sie sich ihr Handy genau betrachtete. Es dauerte eine Weile, bevor sie verstanden hatte, was sie als nächstes tun musste, doch dann versuchte sie es. Leider eher schlecht als Recht. Denn egal, wie lange sie drückte, es tat sich nichts. So gab sie es nach einiger Zeit auf und hatte sich bereits mit dem Gedanken abgefunden ein neues Handy kaufen zu müssen, als plötzlich eine Hand von der Seite erschien und ihr das rote Gerät aus der Hand riss. Chisato hatte sich aus dem kleinen Fenster herausgelehnt und nach dem Gerät gegriffen. Erst wollte die Oberschülerin protestieren, doch dann beobachtete sie gespannt, was die Grünhaarige da trieb. Mit einem gekonnten Griff drückte sie genannte Tasten und kurz darauf vibrierte das Handy einmal kurz, bevor einen Moment später auf dem Display das Logo des Herstellers erschien. Mit einem allessagenden Blick reichte die Jüngere ihr wieder das Gerät: „Hier. Den Pin musst du selber eingeben. Dieses Modell hat das Problem, dass es irgendwann rumspinnt, wenn der Arbeitsspeicher eine bestimmte Grenze überschritten hat. In den meisten Fällen geht das Display einfach nicht mehr an oder friert ein. Ein paar Schüler aus meiner Klasse haben nämlich das gleiche. Man muss einige Apps runterschmeißen, die eigentlich nur sinnlos Speicher rauben, die man meistens aber nie nutzt. Wenn du magst, kann ich das für dich machen, wenn du keine Ahnung davon hast.“ Überrascht nahm Mirâ ihr rotes Telefon wieder entgegen und tippte ihren Pin ein. Und endlich funktionierte es wieder. Aber wenn es stimmte, was ihr Gegenüber erzählte, dann würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis es wieder Probleme machte. Die junge Frau starrte einen Moment auf die Startseite ihres Smartphones und überlegte, bevor sie sich entschied der Grünhaarigen zu vertrauen. Sie richtete ihren Blick auf diese und fragte frei heraus, ob sie gerade die Zeit hätte ihr zu helfen. Angesprochene setzte ein leichtes Lächeln auf und erhob sich von ihrer Position.Dann sah sie sich kurz um und ging damit sicher, dass keine weiteren Gäste kamen, die etwas kaufen wollten, bevor sie aus dem kleinen Haus heraus und neben Mirâ zum Stehen kam. Grinsend hielt sie der Violetthaarigen die Hand hin, woraufhin diese ihr das Telefon übergab. Dann öffnete sie die Einstellungen des Smartphones. Die ganze Zeit hatte die Ältere einen genauen Blick darauf, was die Mittelschülerin machte und beobachtete jeden Handgriff. „Hier siehst du? Diese Apps sind nicht relevant. Oder hast du sie jemals benutzt?“, fragte sie Jüngere und bekam als Antwort ein Kopfschütteln, „Gut. Dann runter damit.“ Immer mehr Apps, von denen Mirâ nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existierten flogen eine nach der anderen raus und mit jedem Mal hatte die junge Frau das Gefühl ihr Handy würde etwas schneller laufen. „Hm? Was ist das denn für eine App?“, Chisato war bei der Persona App angekommen, „Von der hab ich ja noch nie was gehört.“ „Ähm ja… also das ist ein ganz spezielles Programm…“, murmelte die Oberschülerin, da sie nicht wusste, wie sie es der Jüngeren erklären sollte. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass diese App dafür da war eine Persona zu rufen? Wohl kaum. Ein Seitenblick traf sie, woraufhin sie leicht zusammenzuckte, doch Chisato überging alles weitere und fragte nicht weiter nach: „Na gut. Du wirst deine Grüne haben. Sie nimmt auch kaum Speicher weg, also von daher ist es schon okay. Trotzdem würde mich ja interessieren, was das für eine App ist…“ Letzteres hatte die junge Frau so leise gesagt, das Mirâ es beinahe gar nicht verstanden hatte, während sie die Liste der Apps weiter abging. Danach schien das Thema erst einmal vom Tisch zu sein und sie kümmerte sich weiter ums Ausmisten. Das wiederum dauerte nur wenige Minuten, sodass Chisato ihr das rote Telefon nach kurzer Zeit wieder hinhielt. „Hier. Ich hab es noch einmal ausgemacht. Sobald es heruntergefahren ist, kannst du es wieder starten. Dann sollte es wieder laufen“, erklärte sie. „Ähm… danke…“, die Ältere wusste gar nicht so genau, was sie überhaupt sagen sollte, während sie ihr Telefon entgegennahm und wieder einschaltete. Es dauerte einen Moment, dann fuhr sich das Smartphone wieder hoch. Schweigend gab Mirâ erneut ihren Pin ein und merkte dann gleich, dass das rote Gerät um einiges schneller und fließender lief. „Bei Gelegenheit solltest du auch mal Dinge wie Fotos oder Downloads löschen oder, wenn du sie noch brauchst, in eine Cloud speichern oder auf deinem PC, wenn du einen hast. Sowas verlangsamt das Handy nämlich auch“, erklärte Chisato abschließend. „Ähm ja okay. Danke für den Tipp“, noch einmal sah Mirâ auf ihr Telefon, bevor sie es sperrte und dann in ihrer Tasche verschwinden ließ. Dass jemand versucht hatte sie zu erreichen hatte sie dabei vollkommen vergessen. Es gab allerdings auch etwas anderes, was sie viel mehr interessierte: „Du scheinst dich wirklich gut mit Technik auszukennen…“ „Ja. Ich interessiere mich dafür. Es hat mir schon immer Spaß gemacht mich mit so etwas zu beschäftigen“, erklärte die Grünhaarige, während sie wieder in das Haus zurückging und sich auf den Tatamimatten niederließ, „Leider wird es wohl für immer nur ein Hobby bleiben…“ Irritiert sah Mirâ die Jüngere aufgrund der Aussage an, doch noch ehe sie fragen konnte traten plötzlich doch noch mehrere Besucher des Tempels an das Geschäft heran, sodass sie nicht die Chance bekam nachzufragen. Mit einer höflichen Verbeugung im Sitzen verabschiedete sich Chisato von der Älteren und wandte sich dann an die neu hinzugekommenen Gäste, weshalb die junge Frau sich umdrehte und dann ging. Die Mittelschülerin klang etwas traurig, als sie das sagte, weshalb die Violetthaarige gerne nachgefragt hätte. Doch das musste sie wohl auf das nächste Mal verschieben. Trotzdem hatte sie das Gefühl das Mädchen etwas besser verstehen zu können. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrer Brust aus, während aus ihrer Tasche der bekannte Sound kam und sofort wusste sie, dass sie den Social Link von Chisato etwas weiter vorangetrieben hatte. Das Wetter an diesem Tag war so angenehm, dass Mirâ sich spontan entschied noch einen kleinen Spaziergang zu machen, bevor sie nachhause ging. So schlenderte sie hinunter zum Fluss, welcher auch am Shinzaro Tempel vorbeifloss und ging dann in Richtung Tsukimi-kû weiter, dem Stadtviertel, in welchem sie lebte. Sie würde zwar nicht den gesamten Fluss entlanglaufen können, da sie sich sonst wieder von Zuhause entfernte, aber ein kleines Stückchen konnte sie dem Verlauf noch folgen. So nahm sie sich vor bei Gelegenheit einfach in die U-Bahn einzusteigen, wenn es passte. Doch bis dahin genoss sie das angenehme Wetter noch eine Weile und beobachtete die Menschen, die sich an der Böschung des Gyakuryû herumtrieben. Dabei fiel ihr plötzlich eine Person ins Auge. Wiedererwartend war es allerdings nicht Yasuo, welcher sich ja regelmäßig mit seinem Hund an diesem Ort herumtrieb, sondern Megumi. Diese saß etwas abseits von ihr im Gras und hatte ihren Kopf tief gesenkt. Besorgt setzte sich Mirâ in Bewegung, da es für sie auf den ersten Blick so wirkte, als würde es der Jüngeren nicht gut gehen. Doch als sie näherkam und etwas um sie herumging, fiel der Violetthaarigen auf, dass sie sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Die Mittelbrünette hatte auf ihrem Schoß einen Block liegen, auf welchem sie gerade einige sorgfältige Striche setzte. Ab und an hob sie auch mal den Blick, nur um kurz darauf weiter zu zeichnen. Dabei war sie so konzentriert, dass sie Mirâ nicht einmal bemerkte. Erst als diese etwas nähertrat, um neugierig zu schauen, was die Jüngere da überhaupt zeichnete, schrak diese plötzlich auf. „Mirâ-senpai”, erschrocken zog sie sich ihre Kopfhörer aus den Ohren und starrte die Ältere mit großen Augen an. „Hallo Megumi-chan. Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, entschuldigte sich die Violetthaarige mit einem kleinen Lächeln. Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf: „Nein, schon gut. Ich war nur so versunken.“ Mirâ lachte: „Das habe ich bemerkt. Was zeichnest du denn da?“ Überrascht sah die Jüngere sie an, bevor sie einen kurzen Blick auf ihre Skizze richtete und dann zu überlegen schien, ob sie es der Älteren zeigen sollte. Letzten Endes entschied sie sich jedoch dafür und senkte ihre Knie, sodass ihr Block auf ihren Oberschenkeln zum Liegen kam. Interessiert besah sich die Violetthaarige die Skizze, auf welcher ein Magical Girl zu sehen war, dass gerade ihren Zauberstab hielt, dessen Spitze einem aus Kristallen bestehenden Schmetterling glich. Auch ihr restliches Outfit war an dieses Tierchen angelehnt. Mirâ kannte diese Serie flüchtig. Sie war aktuell sehr beliebt. Ihre Schwester schaute sie auch gerne, weshalb die Oberschülerin auch schon einige Folgen mitbekommen hatte. Worum es aber genau ging konnte sie nicht sagen. So genau hatte sie das Ganze dann doch nicht verfolgt. Aber was ihr definitiv auffiel war, dass Megumi die Protagonistin dieser Serie gezeichnet und diese auch wirklich sehr gut getroffen hatte. Abgesehen, dass ihr Stil etwas von dem der Serie abwich hätte man meinen können, es wäre ein Originalbild gewesen. „Wow wie cool. Ist das aus der Serie „Rainbow Spring“?“, fragte Mirâ, als ihr wieder einfiel wie die Serie hieß. Megumi nickte und sah sie mit großen erwartungsvollen Augen an: „Schaust du die Serie etwa auch, Senpai?“ Überrascht sah die Ältere zu der Brünetten und wich dann etwas zurück, während sie die Hände hob: „N-Nein. Meine Schwester schaut sie aber gerne. Ich schaue nur ab und zu mal mit. Aber ich kann nicht sagen, worum es eigentlich geht.“ „Ach so. Schade…“, senkte die Jüngere den Blick. Anscheinend hatte sie gehofft, dass sie sich mit ihrer Senpai darüber unterhalten konnte. Leider musste Mirâ sie in dieser Beziehung enttäuschen. Es war nicht so, dass sie Animes und Mangas gar nicht schaute oder las; das Gegenteil war sogar der Fall. Aber sie war kein Fangirl oder gar Otaku. Natürlich verurteilte sie niemanden dafür, wenn er sich dafür interessierte. Eigentlich fand sie es sogar ganz cool, immerhin lebten diese Menschen ihr Hobby in vollen Zügen aus. Sie im Gegensatz dazu hatte irgendwann aufgehört sich wirklich aktiv mit ihrem Hobby, dem Bogenschießen, zu befassen. Als Kind war sie immerhin total vernarrt darin gewesen. Wieso hatte sie eigentlich damals plötzlich aufgehört? Sicher, ihre alten Schulen hatten diesen Sport nicht alle angeboten, aber es war nicht so, dass es in den jeweiligen Städten nicht auch Dojôs gab, die sie hätte nutzen könnten. Mit Sicherheit hätte ihre Mutter auch nichts dagegen gehabt. Wieso also hatte sie plötzlich kein Interesse mehr daran? „Senpai?“, ließ sie die Stimme ihrer kleinen Freundin aus den Gedanken schrecken und zu dieser schauen, „Ist alles in Ordnung? Du warst plötzlich so weit weg.“ „Ah ja. Alles gut. Ich war kurz in Gedanken“, sagte sie, als sie den besorgten Blick ihrer Kohai bemerkte und ließ sich nun neben dieser nieder, „Ich dachte nur wie toll es sein muss, ein Hobby zu haben, dem man sich mit Leib und Seele widmen kann.“ Mit irritierten grünen Augen sah die Mittelbrünette sie an, doch als sie nichts weiter dazu sagte, beließ es auch die Jüngere erst einmal dabei. „Naja… manche finden es eher übertrieben…“, murmelte sie anschließend, „Meine ältere Schwester zum Beispiel macht sich darüber lustig. Dabei hat sie früher auch regelmäßig Animes geschaut. Also… es ist nicht so, als würde sie sich allgemein darüber lustig machen. Sie meint nur, dass ich zu häufig in meiner eigenen Welt sei und mich lieber mehr auf die reale Welt konzentrieren sollte.“ „Ist sie sehr viel älter?“, fragte Mirâ nach. „Vier Jahre. Sie macht aktuell eine Ausbildung“, meinte die Jüngere, während sie auf ihre Skizze starrte. „Wahrscheinlich meint sie das nicht böse“, meinte die Violetthaarige darauf, woraufhin sie ein überraschter Blick traf, „Ich ziehe Junko auch häufig auf, meine es aber eigentlich nie böse, auch wenn sie mir deshalb böse ist.“ „Meinst du?“, fragte Megumi nach und bekam nur ein Nicken als Antwort, „Wahrscheinlich hast du Recht. Trotzdem ist es nervig.“ Die Brünette hatte sich leicht genervt zurückgelehnt, lächelte allerdings, weshalb der Älteren ein Lachen entkam. Ja, manchmal war die Kommunikation unter Geschwistern etwas schwierig, aber selten meinte es der andere schlecht. Als sie sich wieder beruhigt hatte, wandte sich die Jüngere wieder an sie und wollte wissen, was sie eigentlich hier machte, woraufhin sie den Grund für ihren Rundgang erklärte. Dass sie zuvor bei Masaru am Tempel war, um dort für ihr Glück zu beten und einen Talisman zu kaufen und dass sie danach das Wetter für einen Spaziergang nutzen wollte. Megumi hörte ihr aufmerksam zu und senkte dann den Blick, bevor sie meinte, dass sie sie vollkommen verstehen konnte. Auch sie hatte sich ihre Gedanken wegen des Dungeons gemacht und ob sie es schaffen würden Ryu aus den Fängen seines Shadows zu befreien. Dies war auch der hauptsächliche Grund, wieso sie überhaupt am Fluss saß und zeichnete. „Ich konnte mich zuhause nicht mehr konzentrieren. Ständig schweiften meine Gedanken an heute Abend ab. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht nervös bin. Vor allem nachdem ich gestern bemerkt habe, dass ich Nechs Kraft noch gar nicht richtig kontrollieren kann“, beendete sie ihre Erklärung. Überrascht sah Mirâ die Jüngere an, als sie bemerkte, dass diese ihrer Persona einen Spitznamen verpasst hatte. Ihr selbst war niemals in den Sinn gekommen Hemsut einen anderen oder verkürzten Namen zu geben, aber irgendwie passte das zu der Brünetten. Deshalb lächelte Mirâ nur, ging aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen legte sie ihrer Kohai eine Hand auf die Schulter und versuchte sie zu beruhigen. „Schon okay. Wir sind alle nervös. Egal um welchen Dungeon es sich bisher handelte, sobald es Richtung Bossraum ging waren wir alle angespannt. Und du warst uns gestern eine sehr große Hilfe. Also spiel dich nicht herunter. Wir sind froh dich an unserer Seite zu wissen. Und dass du die Kraft deiner Persona noch nicht zu einhundert Prozent beherrschst ist vollkommen normal. Keiner von uns konnte das. Wahrscheinlich haben wir das auch bis heute nicht wirklich geschafft“, sagte sie lächelnd, „Wir schaffen das heute Abend schon. Ganz sicher.“ Die Jüngere sah sie an als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte, nickte dann aber mit einem kleinen Lächeln und stimmte ihr zu. Auf Mirâs Gesicht bildete sich ein Grinsen, welches die Kleine einen Moment später erwiderte, während sie aus ihrer Tasche ein Vibrieren und in ihrem Inneren eine angenehme Wärme spürte. „Nanu? Störe ich?“, holte eine männliche Stimme die beiden Mädchen aus ihren Gedanken und ließ sie gleichzeitig aufschauen. Daraufhin erblickte Mirâ einen jungen Mann mit gebräunter Haut und dunkelbraunen wüsten Haaren, die er mit einem grünen breiten Stoffband davon abhielt in sein Gesicht zu fallen. Seine grünen Augen, die selbst durch seine schmale Brille hindurch auffielen, sahen die beiden Mädchen überrascht an. Er trug ein weißes Poloshirt mit rot-schwarzem Kragen, auf dessen linker Brust das Logo einer bekannten Tankstelle gestickt war. Dazu trug er eine dunkelgraue Caprihose mit unglaublich vielen Taschen und graue Sneaker ohne Schnürsenkel. Bei jeder seiner Bewegungen klimperten zwei ovale Anhänger, welche er an einer Kette um seinen Hals trug und deren Form der Violetthaarigen bekannt vorkamen. „Obata-senpai. Hallo. Kommst du gerade von der Arbeit?“, grüßte Megumi den Hinzugekommenen freundlich und holte Mirâ damit aus ihren Gedanken. „Ja, dachte mir ich schau mal, ob ich dich hier antreffe“, grinste er nur breit. Irritiert blickte Mirâ zwischen den beiden Parteien hin und her. Sie kannte den Braunhaarigen. Erst vor ein paar Tagen hatte sie ihn kurz auf dem Gang der Schule getroffen. Genau, an dem Tag, an dem Hiroshi nicht zur Schule gekommen war. Damals war er gemeinsam mit Shuya unterwegs gewesen und hatte sich über das Missgeschick seines Kumpels amüsiert. Sie überlegte kurz, bis ihr sein Name wieder einfiel: Naoto Obata. „Dein Name ist Shingetsu. Oder?“, sprach er sie plötzlich unvermittelt an, woraufhin sie aus ihren Gedanken schrak und einfach nur nickte, „Wusste ich es doch. Wir hatten uns ja letztens mal auf dem Gang getroffen. Hiro hat mir von dir erzählt. Er scheint ganz angetan von dir zu sein.“ „Eh?“, erschrocken wich Mirâ ein Stück zurück und lief dabei knallig rot an. Wie sollte sie das denn verstehen? Der junge Mann lachte: „Naja er spricht halt häufig von dir. Ihr scheint gut befreundet zu sein.“ „A-ach so. J-ja“, stotterte die junge Frau zusammen und versuchte sich wieder zu beruhigen. Währenddessen hatte Megumi bereits wieder das Gespräch mit dem Dunkelhäutigen aufgenommen und unterhielt sich mit ihm über die neusten Serien der Fall Season. Mirâ verstand dabei nur Bahnhof, wobei sie das Gespräch nicht wirklich vollständig mitverfolgte. Viel mehr versank sie wieder in ihren Gedanken und fragte sich, woher sich Megumi und Naoto kannten. Sie hätte nicht erwartet, dass die Jüngere so locker mit einem älteren Jungen sprechen konnte, der – wie Mirâ auch feststellen musste – nicht unattraktiv war. Er hatte mit Sicherheit auch einige Verehrerinnen. Umso erstaunlicher fand sie es, dass ein Mauerblümchen wie ihre kleine Freundin Kontakt zu ihm hatte. Natürlich mutmaßte sie, dass sie sich vor allem durch das Thema Anime so gut verstanden und dass es Megumi dadurch auch leichter fiel mit dem Brünetten zu sprechen. Trotzdem… Andererseits wirkte Naoto auch nicht abschreckend, was im Wiederspruch zu den Aussagen ihrer besten Freundin stand. Denn diese hatte offen klar gemacht, dass sie den jungen Mann ganz und gar nicht leiden konnte. Sie hatte zwar erwähnt, dass sie allem voran in der Mittelschule Probleme mit ihm hatte, doch Menschen änderten sich ja auch. Und Naoto wirkte eher wie ein vernünftiger und netter Junge. Und er war mit Hiroshi befreundet, obwohl sie sich ja auch nicht so gut verstanden haben sollen. „Ich will euch dann aber nicht weiter stören“, holte sie die Stimme des Jungen wieder aus ihren Gedanken. Der enttäuschte Blick ihrer kleinen Freundin blieb Mirâ dabei nicht verborgen. Anscheinend wollte sie nicht, dass sich Naoto schon wieder verabschiedete. Ein kleines Lächeln legte sich auf die Lippen der Älteren, als ihr bewusst wurde, was Sache war. Anscheinend hegte Megumi Gefühle für den älteren Schüler und nutze dafür die Gelegenheit sich mit ihm über Animes zu unterhalten, um in seiner Nähe sein zu können. Irgendwie erinnerte sie dieses Verhalten an das ihrer besten Freundin. Diese schob ja auch immer Bejû vor, wenn sie Zeit mit Yasuo verbringen wollte. Leise kicherte Mirâ und erhob sich dann, woraufhin sie von Megumi und Naoto verwundert angeschaut wurde. „Du störst doch nicht, Obata-kun. Ich muss dann eh weiter“, sagte sie anschließend und zwinkerte Megumi kurz zu, welche sofort rot anlief, „Wir sehen uns dann morgen, Megumi-chan. Obata-kun, es war nett dich nochmal direkt kennenzulernen.“ „Das gebe ich gerne zurück. Vielleicht können wir uns wann anders mal länger unterhalten“, sprach der junge Mann unverblümt. Die Violetthaarige nickte: „Gerne. Also dann. Machts gut.“ Damit hatte sie sich abgewandt und endlich auf den Heimweg gemacht. Kapitel 100: C – Einsicht ------------------------- Sonntag, 13.September 2015 – später Abend / Dungeon Angespannt standen die mittlerweile sieben Persona-User gemeinsam mit Mika vor dem Eingang des Bossraumes. Ein unangenehm kalter Windhauch zog ihnen um die Beine, welcher aus eben jenem Zimmer kam und damit andeute, dass sie bereits erwartet wurden. Besorgt sah Mirâ zu Megumi, welche, die Hände vor der Brust gefaltet, auf das steinerne Tor starrte, das sie noch von ihrem Gegner trennte. Sie hoffte, dass sie mit dieser Situation umgehen konnte, immerhin war ein Bossgegner noch einmal etwas anderes, als Shadows einer Sonderstufe oder die anderen Gegner, die durch diesen Dungeon gegeistert waren. Nun gab es aber auch kein Zurück mehr. Jetzt, wo sie sich tagelang durch dieses Labyrinth gekämpft hatten und nun endlich am Ziel waren, konnten sie keinen Rückzieher mehr machen. Heute war also der Tag gekommen, an dem sie Arabai aus seinem Gefängnis befreien würden. Was sie erwarten würde, wussten sie nicht. Aber nachdem, was sie die letzten Male erlebt hatten, waren sich alle sicher, dass sie nichts mehr erstaunen würde. Noch einen letzten Blick auf ihre Freunde werfend, wandte sich die Violetthaarige nun der Tür zu und stemmte sich dagegen. Es dauerte einen Moment, doch dann bewegten sich die beiden Flügel schwerfällig und fielen nach innen auf, woraufhin ein wenig Licht in den sonst recht düsteren Raum fiel. Langsam trat die Gruppe ein und versuchte sich zu orientieren, was allerdings nicht sehr einfach war, da außer dem einfallenden Licht noch keine andere Lichtquelle vorhanden war. Plötzlich krachte es hinter ihnen, als die Doppeltür wieder ins Schloss zurückfiel. Erschrocken blickten die Oberschüler zurück und blieben in endloser Dunkelheit zurück. Jedoch nur für einen Moment, denn kurz darauf flackerten mehrere Kerzen auf, welche an Kronleuchtern entlang der Wände befestigt waren. Eine nach der anderen entzündete sich und tauchte somit den Raum nach und nach in ein gedimmtes Licht, sodass man mehr und mehr davon erkennen konnten. Auch hier bestanden die Wände, wie im Rest des Dungeons, aus alten maroden Ziegelsteinen, aus denen hier und da bereits der Mörtel bröckelte. Um sie herum standen verschiedene Möbel, die üblich für einen Klassenraum waren. Allerdings war alles ein heilloses Chaos. Die Stühle und Tische standen kreuz und quer im Raum, die Tafeln, welche an zwei der vier Wänden befestigt waren, hingen schief oder wirkten, als würden sie jeden Moment herunterfallen und die Scheiben der unechten Fenster waren vollkommen zerstört. Das alles interessierte die Gruppe jedoch nicht wirklich, denn deren Aufmerksamkeit galt dem Wesen, welches regelrecht in der Mitte des Raumes fläzte. Es handelte sich dabei um eine überdimensionale und schon recht weit entwickelte Kaulquappe, deren dunkelblaue Haut von hellblauen Wellen durchzogen war. Um seinen dicken Bauch hing ein weißer Gürtel, von welchem vier weiße Bändchen nach unten fielen und auf seinem Kopf trug er eine grüne geflochtene Langhaarperücke, ähnlich derer der alten Ägypter. Am Kinn unter seinem breiten Maul klebte ein künstlicher Pharaonenbart. In der rechten Hand hielt er einen langen Stab, der am oberen Ende in einem Halbbogen abknickte und damit einem Haken ähnelte. Jedoch war das Ende viel dünner, als der Stab an sich, sodass man damit mit Sicherheit nichts festhalten konnte. In der anderen Hand hatte er eine an einem Ankh befestigte Schale. Breitbeinig und nach hinten gelehnt hockte es auf einem grünen geflochtenen Absatz, welcher auf einer Bambusmatte befestigt war, während er seinen langen breiten Schwanz vor sich abgelegt hatte. Mit seinen goldgelben Glubschaugen starrte er in die Ferne, als wäre ihm vollkommen egal, was um ihn herum passiert. Von ihrem Ziel, Ryu Arabai, war allerdings nicht zu sehen. Sie würden also auch noch herausfinden müssen, wo sich dieser aktuell befand. „Irgh! Was ist das denn?“, fragte Kuraiko schockiert und rieb sich angeekelt die Oberarme. Als wäre dies für die riesige Kaulquappe ein Zeichen gewesen, bewegte sie plötzlich ihren breiten Kopf und fixierte dann die Gruppe mit ihren Augen. Erschrocken wich deshalb sogar die sonst unerschrockene Schwarzhaarige zurück und schüttelte sich angeekelt. Anscheinend konnte sie mit Fröschen oder dergleichen nicht viel anfangen. Als wäre das nicht genug gewesen, öffnete das Wesen plötzlich sein breites Maul und schnappte mit seiner Zunge nach der jungen Frau, welche, einen schrillen Schrei loslassend, beiseite sprang. „Lass den Scheiß!“, schrie sie mit schriller Stimme und versteckte sich hinter Masaru, der zufällig gerade neben ihr stand. Überrascht sah der Rest der Gruppe ihre Freundin an. So kannten sie die Schwarzhaarige nun noch überhaupt nicht. Eigentlich wirkte sie immer so, als würde sie nichts erschrecken. Dass sie sich gerade vor solchen Tieren eine Blöße gab, kam dann doch ziemlich überraschend. Es wäre ein gefundenes Fressen für Hiroshi gewesen, sie nun aufzuziehen, doch er biss sich auf die Zunge. So sehr es ihn reizte, sie nun noch zu provotieren war wahrscheinlich keine gute Idee. Trotzdem beobachtete er belustigt, wie die Schwarzhaarige regelrecht von dem Shadow mit dessen Zunge verfolgt wurde, bis sie neben ihn in den Hintergrund trat, welcher im Schatten der vielen Kerzen lag. „Senpai, ich lasse dir den Vortritt…“, murmelte sie an Yasuo gerichtet, welcher die ganze Szene etwas gelangweilt beobachtet hatte. Sich den Nacken reibend zuckte er mit den Schultern und trat dann nach vorn zu den anderen Persona-Usern. Irritiert sah sich die überdimensionale Kaulquappe um und war noch verwirrter, als plötzlich Yasuo vortrat. Wie es schien konnte er mit tiefer Dunkelheit nicht viel anfangen, weshalb ihm diejenigen, die sich dort aufhielten, nicht auffielen. Bestätigt wurde dies auch dadurch, dass seine Angriffe plötzlich nachließen. Warum auch immer, aber dem Shadow schien es Spaß gemacht zu haben Kuraiko zu verfolgen. Noch nie zuvor hatte ein Shadow so reagiert, allerdings war in diesem Dungeon auch vieles anders, als in den anderen. Dem Amphib jedoch schien es gar nicht zu schmecken, dass die beiden Oberschüler getauscht hatten und so sein „Spielzeug“ verschwanden war. Plötzlich bewegte es schnell seinen riesigen Schwanz und wollte so der kämpfenden Fraktion die Füße wegreißen, sodass diese mit gekonnten Sprüngen ausweichen mussten. Noch während Mirâ auswich, rief sie ihrer Navigatorin zu, dass sie nach Ryu suchen solle, immerhin war es ihre oberste Priorität diesen zu finden. „Was ist los? Du wirst doch wohl keine Angst vor einer Kaulquappe haben…“, konnte es sich Hiroshi nun doch nicht mehr verkneifen, als Kuraiko neben ihn trat. Einen Moment später zuckte er schmerzhaft zusammen, als ihn eine Faust in die Rippen traf: „Halt die Klappe! Jeder hat seine Probleme!“ „Sorry…“, nuschelte der Blonde nur kleinlaut. Jedes Mal wurde sie gleich gewalttätig. Dabei machte sie sich ja auch ständig über andere lustig. Selber konnte sie aber nicht einstecken. Eine Tatsache, die Hiroshi an der Schwarzhaarigen tierisch aufregte. Egal wie er es drehte, er konnte nicht verstehen, was sein bester Kumpel an dieser Zicke fand. Dieser bekam immerhin auch regelmäßig ihre Schläge ab. „Für sowas haben wir keine Zeit!“, schimpfte Megumi und riss damit die beiden Streithähne wieder ins Kampfgeschehen. Erschrocken blickten die Oberschüler zu ihren Freunden und bemerkten dann, dass diese mittlerweile mitten im Getümmel waren. Immer wieder schnappte das Wesen mit seiner Zunge nach der Gruppe, welche tunlichst versuchte auszuweichen. Jedoch war das gar nicht so einfach, da ihr Gegner in unregelmäßigen Abständen auch seinen Schwanz einsetzte und damit nach ihnen schlug. Währenddessen griffen sie immer wieder an, doch konnten keine großen Erfolge erzielen. Akane rief ihre Persona Wadjet und setzte einen Agidyne Angriff ein, doch er ging nicht durch. Es wirkte, als würde er kurz vor dem Shadow einfach annulliert werden. Auch Masarus und Yasuos Versuch einer kombinierten Attacke aus Wind und Elektrizität brachte nur bedingt Erfolge. Zwar zuckte das Wesen zusammen, doch ging danach sofort selber wieder in die Offensive und schlug nach den beiden jungen Männern, die zur Seite sprangen. Mirâ spannte einen Pfeil ein, doch bevor sie es schaffte die Kaulquappe zu fixieren und das Geschoss abzuschießen, wurde sie bereits von der klebrigen Zunge gepackt und quer durch den Raum geschleudert. „Mirâ!“, rief Akane schockiert und wich nun einer weiteren Attacke aus, bevor sie zu ihrer besten Freundin stürmte. „Aton! Dia!“, rief Hiroshi aus dem Hintergrund, welcher die Szene ebenfalls schockiert beobachtet hatte. Seine Persona erhob sich in die Höhe und hielt ihre Hand in die Richtung, in welcher Mirâ gelandet war. Ein zartes grünes Leuchten kam aus der noch immer bestehenden Staubwolke, aus der kurz darauf Akane auftauchte, die die Violetthaarige stützte. Leider hatte die Heilung nicht sehr viel gebracht, denn trotz der schnellen Hilfe war die Oberschülerin immer noch mit Wunden übersäht. Zunge schnalzend wollte der Blonde soeben erneut seine Persona rufen, als er neben sich ein blaues Licht sah. Überrascht sah er zu Kuraiko, über der gerade ihre Persona Kadej erschien. Auch sie hob die Hand und einen Moment später legte sich ein noch intensiveres grünes Licht um ihre ernannte Anführerin. Sogleich verschwanden die einzelnen Wunden und auch der Gang der jungen Frau wurde wieder stabiler. Einen Dank an die beiden Freunde gerichtet stürzten sich die anderen Mädchen wieder in den Kampf, während Hiroshi etwas irritiert zu der Schwarzhaarigen blickte. „Wenn du sie schon heilst, dann gefälligst richtig“, sagte sie vollkommen ruhig, genau wissend, dass die stärkste Heilung des Blonden Dia war. Zähneknirschend hätte er der jungen Frau am liebsten auch mal eine verpasst, beließ es jedoch erst einmal dabei und konzentrierte sich wieder auf den Kampf der anderen, um im Ernstfall eingreifen zu können. „Ah!“, ließ ihn jedoch die Stimme von Megumi einen Moment später aufschrecken, „Mirâ-senpai! Ich habe Ryu-kun gefunden. Er…“ „Er?“, hakte Kuraiko nach, während sie eine Augenbraue in die Höhe hob. „Er ist unter dem Shadow…“, meinte die Jüngere plötzlich etwas verunsichert. Allen Anwesenden fror der Blick ein, während sie hörten, wie die Mittelbrünette erklärte, dass sie ganz deutlich spürte, dass sich unter dem riesigen Wesen eine Person aufhielt. Anscheinend befand sich unter ihm ein weiterer versteckter Raum, in welchem ihr Mitschüler festgehalten wurde. Sie mussten also irgendwie versuchen dieses schwerfällige Wesen dazu zu bewegen, sich von seiner Position wegzubewegen. Die Frage war nur wie, denn mit ihren Angriffen alleine, würden sie es nicht schaffen. Immerhin schienen sie dem Shadow nicht sonderlich viel auszumachen, sodass er sich nicht einfach so vom Fleck bewegen würde. „Er schien doch Spaß daran zu haben Kuraiko zu jagen“, warf plötzlich Mika ein, woraufhin sie von den drei Supportern mit großen Augen angestarrt wurde. Dann richteten Hiroshi und Megumi ihre Blicke auf Kuraiko, welche sofort mit dem Kopf schüttelte. „Nein! Vergesst es! Nicht freiwillig!“, blockte sie ab, bevor überhaupt irgendjemand etwas ausgesprochen hatte. „Das ist aber unsere einzige Chance“, meinte Hiroshi; und das nicht einmal böse gemeint. Die Schwarzhaarige fasste es trotzdem so auf, weshalb sie ihn anschnauzte, dass er sich seine Chance sonst wohin stecken konnte. Sie würde nicht freiwillig den Lockvogel für dieses ekelhafte Vieh spielen. Nur über ihre Leiche würde das vonstattengehen. So steigerte sich die junge Frau immer mehr in ihre Schimpftriade hinein, während Hiroshi, Mika und Megumi sie weiterhin mit ihren Blicken fixierten. Erst nach einigen Minuten schien sie zu bemerken, dass ihr Gemecker keinen Sinn machte und sich die drei nicht umstimmen ließen, sodass sie langsam einknickte. Zunge schnalzend wandte sich die Schwarzhaarige ab und ging dann auf den Shadow zu, ohne dass die anderen vier Persona-User an der Front etwas davon mitbekamen. Allgemein hatten sie von der Diskussion nicht viel mitbekommen, da sie viel zu sehr mit der überdimensionalen Kaulquappe beschäftigt waren. „Dafür werde ich sie am Ende umbringen…“, murmelte Kuraiko und rief dann ihre Persona, um einen Angriff mit Eiha zu starten, den sie erst vor kurzen gelernt hatte. Ein rot-schwarzer Strudel traf den Shadow, doch wurde dann von ihm eingezogen, was dazu führte, dass sich seine Energie wieder auflud. Erschrocken starrten die kämpfenden Persona-User auf Kuraiko, welche mit ihrer Attacke trotzdem erreichen konnte, was sie wollte. Nun hatte sie nämlich die volle Aufmerksamkeit dieser Kaulquappe, welche ihre Glubschaugen sofort auf sie gerichtet hatte, als Eiha sie traf. Ein breites Grinsen legte sich auf das Gesicht des Amphiben und kurz darauf schnellte seine Zunge nach vorn, um die Schwarzhaarige zu schnappen. Diese wich jedoch mit einem gekonnten Sprung zu Seite aus und rannte dann weiter in seinen toten Winkel, sodass sich das Wirbeltier drehen musste, um sie weiter zu verfolgen. Die angreifenden User schienen mit einem Mal vollkommen vergessen, weshalb sie perplex dem folgten, was nun passierte. Immer rasanter schnippte die Zunge der Quappe nach vorn und versuchte die Schwarzhaarige zu fangen, welche immer wieder auswich und um das Wesen herumlief. So zwang es dieses nach und nach aus seiner Position und es dauerte nicht lange, da saß es plötzlich auf allen vieren und gab den Blick auf ein großes viereckiges Loch frei. Dieses war genauso breit, dass der dicke Hintern der Kaulquappe gerade so herein passte. Das Loch vollkommen vergessend, rannte der Shadow nun hinter der Schwarzhaarigen her, welche ihre Freunde nur laut verfluchte und meinte, dass sie den kleinen Stinker endlich herausholen sollten, während sie weiter flüchtete. Sofort stürmten die restlichen Oberschüler auf die Öffnung zu und tatsächlich fanden sie vor, was sie gesucht hatten. In der Vertiefung, die nicht viel höher war, als ein sitzender erwachsener, hockte ihr Ziel: Ryu Arabai. Er hatte die Knie angezogen, die Arme darum- und den Kopf daraufgelegt und wirkte wie ein Häufchen Elend. „Arabai-kun! Kannst du mich hören?“, rief Mirâ dem Jungen zu und ließ ihn zusammenzucken. Nun schien auch dem Shadow bewusst zu werden, dass er an der Nase herumgeführt wurde. Ruckartig drehte er sich um. „NEIN! Ihr Ungläubigen lasst die Finger von ihm!“, rief es erzürnt und stürmte wieder auf die Gruppe zu. Auf halbem Wege nahm es Schwung und sprang plötzlich in die Höhe, genau das Loch anvisiert. Gerade noch rechtzeitig hatten Masaru und Yasuo den Jüngeren an den Schultern packen und aus dem Loch ziehen können, bevor der Shadow wieder krachend darauf landete; in der gleichen Position, wie sie ihn am Anfang vorgefunden hatten. Doch dieses Mal ohne sein Opfer damit einzusperren. Dieses schien erst in dem Moment, als es herausgezogen wurde, zu bemerken, dass jemand da an seiner Seite war und schaute sich nun mit trüben Augen um. „Arabai-kun alles in Ordnung?“, fragte Mirâ nochmal nach, während sie ihren Kohei kurz betrachtete. Er war über und über mit blauen Flecken übersäht, allerdings wirkten diese nicht, als seien sie erst vor kurzem entstanden. Vermutlich stammten sie noch von seinen angeblichen Freunden, denen wieder etwas nicht gepasst hatte. Ansonsten wirkte er nicht weiter verletzt, aber ziemlich mitgenommen. Auch er trug seine Schuluniform, welche vollkommen verdreckt war. Die Ärmel seiner Jacke hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt und unter dem Jackett erkannte man ein schwarzes Shirt mit einem weißen Tribal drauf. Mit trüben Augen schaute er in die Runde und schien gar nicht wirklich für voll zu nehmen, was überhaupt Sache war. „S-senpai? W-Was macht ihr hier?“, fragte er mit bedeckter Stimme. „Wir wollen dir helfen und dich hier herausholen“, erklärte Akane mit einem Lächeln. Plötzlich riss der Brünette die rehbraunen Augen auf und stieß die Älteren von sich, während er selbst zurückwich: „LÜGE! Niemand will mir helfen! Sie alle blicken nur auf mich herab und machen sich lustig! Ihr genauso!“ Vollkommen überrumpelt starrten die vier Kämpfer den jungen Mann an, welcher immer näher an seinen Shadow heranrutschte, als sei dieser die einzige sichere Bastion. Ein Lachen erklang: „Hahahaha! Da habt ihr es, ihr Ungläubigen! Komm zu mir, Ryu! Ich werde mich für dich an all jenen Rächen, die sich über dich lustig gemacht und dir jegliche Hilfe verweigert haben.“ „Arabai, was soll der Mist? Wir wollen dir doch helfen!“, rief Hiroshi dem Jüngeren zu, welcher sich jedoch verzweifelt an seinen Shadow klammerte. „Nein! Niemand will mir helfen!“, rief der Junge nur verängstigt, „Außerdem…“ „Richtig! Sich Hilfe zu suchen zeugt von Schwäche. Seine Probleme muss man selber lösen. Das wurde dir schon seit vielen Jahren eingebläut. Nicht wahr?“, die Kaulquappe klang erstaunlich einfühlsam, doch die Persona-User wussten, dass dies nicht echt war, „Und sie haben Recht. Das musstest du doch selber feststellen. Aber keine Sorge. Mit meiner Stärke schaffst du es, dich aus diesem Strudel zu befreien. Vertrau mir und ich werde sie alle dafür bestrafen, was sie dir angetan haben.“ „Hör nicht auf ihn, Arabai-kun“, flehte Mirâ, „Dein Shadow versucht nur dich einzulullen. Wir sind wirklich hier um dir…“ „SCHWEIGT!“, schrie das Wesen und schlug erneut mit seinem Schwanz nach den Oberschülern, „Lass dir nichts einreden, Ryu. Nur mit mir alleine wirst du es schaffen stärker zu werden.“ „Ja… ich vertraue deiner Kraft“, sagte der Kleine wie hypnotisiert, „BESTRAFE SIE ALLE!“ Ein unheilvolles Lachen erklang von dem Shadow, während dieser plötzlich immer größer wurde. Dann bildete sich ein blaues Licht um seinen wuchtigen Körper und kurz darauf erschien in der Mitte zwischen ihm und der Gruppe eine weiße Lichtkugel. Der Sound von sich aufladender Energie erklang. Dann gab es einen lauten Knall, welcher die Supporter dazu trieb sich die Ohren zuzuhalten, bevor sie von einer starken Druckwelle von den Beinen gerissen wurden. Daraufhin folgte tiefe Stille, während der ganze Raum in dicken Staub getaucht war. Trotz seiner Benommenheit starrte Ryu gebannt auf das Geschehen vor sich und war überwältigt von der Macht dieses Wesens, welcher ihm seinen Schutz angeboten hatte. Der Staub legte sich langsam und vor ihm breitete sich ein regelrechtes Schlachtfeld aus. Diejenigen, welche sich erdreisteten, hierher, in seine eigene Welt, einzudringen, lagen nun besiegt und bewusstlos verteilt im Raum. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. Mit der Hilfe des Wesens würde er es endlich schaffen sich an allen zu rächen, die ihn jemals fertig gemacht haben. Niemals mehr würde er sich jemandem unterordnen müssen, um irgendwo dazuzugehören. Er wäre der stärkste überhaupt und bräuchte keine Angst mehr vor Schikane zu haben. Auch seinem Vater konnte er dann endlich beweisen, dass er zu einem starken Mann herangewachsen war. Dieser würde nie wieder auf ihn herabsehen und ihn als Schwach betiteln. Ja, genau das war es, was er brauchte und was er wollte. Er brauchte keine sogenannten Freunde, niemanden dem er in den Allerwertesten kriechen musste, nur um eine Daseinsberechtigung zu haben. Sie würden ihm folgen müssen. Ja genau. Er würde sie herumscheuchen. „Ganz recht. Mit meiner Kraft kannst du über allen anderen stehen. Das Einzige was du dafür tun musst, ist dich mir hinzugeben“, sprach der Shadow, „Gib mir alles, was dich ausmacht!“ Ja, er war bereit diesem Wesen alles zu geben, nur um dessen Macht zu besitzen und sich endlich aus dieser Spirale der Schmach zu befreien. Er würde nicht zulassen, dass sich ihm jemand in den Weg stellen würde. Er nickte: „Ja. Nimm dir, was du brauchst, aber gib mir dafür deine Macht!“ „Was redest du da!?“, ließ ihn jedoch plötzlich eine weibliche Stimme stoppen. Überrascht drehte er sich um. Eigentlich dachte er, dass alle Gegner nun besiegt waren. Doch dort, genau vor ihm bildete sich plötzlich ein Schatten zwischen den restlichen Staubwolken. Diese legten sich endlich und gaben den Blick auf ein kleines blauhaariges Mädchen frei, deren violettes Kimono-Oberteil bereits ziemlich zerfetzt war. Auch der türkisblaue Rock hatte mittlerweile schon bessere Tage gesehen und war an einigen Stellen mächtig eingerissen. Obwohl sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, starrte sie ihn mit ihren roten Augen böse an. Plötzlich stolperte sie einen Schritt nach vorn, konnte einen Sturz aber verhindern. Dabei klingelten die kleinen Glöckchen an ihrem hellblauen Obi, welcher am Rücken in einer großen Schleife endete. Ryu schrak auf, während seine Augen wieder klar wurden. Noch einmal erklangen die kleinen Glöckchen, als sich das junge Mädchen bewegte und befreiten ihn so endgültig aus seiner Hypnose. Mit großen rehbraunen Augen starrte er die Blauhaarige an. Das was er vor sich sah, konnte einfach nicht wahr sein. „NEIN! Das darf nicht wahr sein!“, hörte er sein böses Gegenstück sprechen, was sein Gefühl der Vertrautheit nur noch mehr verstärkte. Er wusste nicht wieso, aber er hatte das Gefühl sie zu kennen. Dieses Mädchen mit den wunderschönen roten Augen und dem blauen Haar, dass an den Nachthimmel erinnerte. „Spinnst du eigentlich?“, fragte das Mädchen und ließ ihn aus der Starre erwachen, während sie wütend auf ihn zutrat, „Weißt du wovon du da redest? Wenn du diesem Vieh alles gibt, was dich ausmacht, weißt du, was mit dir passiert? Du stirbst! Kapierst du das eigentlich? Merkst du es noch?“ „Ähm…“, erschrocken war er ein Stück zurückgewichen, als sie sich ihm so sehr genähert hatte, dass ihre Gesichter verdammt nah waren. Plötzlich lächelte sie: „Mirâ und die anderen wollen dir nur helfen. Und sie meinen es ernst. Niemand hier möchte sich über dich lustig machen. Vertrau doch lieber auf sie. Hm?“ Doch plötzlich wurde sie von ihm weggerissen, als der Shadow mit seinem breiten Schwanz ausholte. Mit einem lauten Schrei wurde sie von ihm weggeschleudert und knallte dann gegen eine der losen Tafeln, mit welcher sie kurz darauf zu Boden krachte. Geschockt starrte er auf das Geschehen vor sich und setzte sich in Bewegung, ohne darüber nachzudenken. So schnell er konnte rannte er zu der Blauhaarigen und hörte dabei nur beiläufig, was die überdimensionale Kaulquappe zu sagen hatte: „Schweig! Halt dich da raus, du Ungläubige! Was weißt du schon? Du unvollkommenes Wesen dieser Welt hast keine Ahnung davon, was ich alles durchmachen musste! Die Qualen und Schmerzen, die ich erleiden musste und die Hilfe, die mir immer wieder verweigert wurde! Von nichts hast du eine Ahnung! Also halt dich da raus! Verschwinde in der Unendlichkeit!“ Das Wesen redete sich in Rage. Erneut bildete sich ein Strudel um den Shadow, welcher allerdings dieses Mal in einem bedrohlichen rot glühte. Kurz darauf erschienen überall im Raum verteil unzählige kleine Lichtkugeln, welche sich nach und nach aufluden und dann einer nach dem anderen mit lautem Knall explodierten. Der Raum erzitterte, woraufhin weiterer Mörtel aus den Mauern bröckelte und hüllte alles in eine dicke Staubwolke. Jedoch schien das noch nicht zu reichen, denn das Wesen tobte weiter. Plötzlich stoppte es allerdings, während sich der Staub langsam legte und den Blick auf Ryu freigab, der das bewusstlose blauhaarige Mädchen in seinen Armen hielt. „Bist du jetzt fertig?“, fragte er erstaunlich ruhig und wischte sich das Blut aus dem Auge, welches von seiner Stirn herabfloss, obwohl es eigentlich nicht viel brachte, da bereits neues nachfloss. Dann drückte er die Jüngere schützend an sich und richtete einen vernichtenden Blick an sein böses Gegenstück, das verängstigt zusammenzuckte und die gelben Glubschaugen erschrocken aufriss. Was sollte das? Das durfte einfach nicht sein. Das Aufkeimende Selbstbewusstsein seines Wirtes entzog ihm Unmengen an Energie, weshalb er langsam zusammenschrumpfte. So sollte es doch gar nicht laufen. Nein. So durfte es nicht laufen. „NEIN! Schau mich nicht so an! Du bist nicht so selbstbewusst! Du bist schwach! Ein Schwächling, der meine Hilfe benötigt, um stark zu werden!“, schrie er deshalb und versuchte so Ryu wieder zu verunsichern. Dieser wandte den Blick von der Kaulquappe ab und blickte auf die bewusstlose Mika in seinen Armen: „Ja du hast Recht. Ich bin schwach, habe kein Selbstvertrauen und kann mich einfach nicht durchsetzen. Das hat mich zum Opfer von Schikanen gemacht und jedes Mal, wenn ich mir Hilfe suchen wollte, wurde mir gesagt, dass ich meine Probleme selber zu lösen habe. Deshalb habe ich die mir helfende Hand, die mir so oft gereicht wurde, undankbar weggeschlagen und versucht selber da rauszukommen. Wahrscheinlich hat mich das auch in diese Situation gebracht. Ich möchte mich ändern und stärker werden, um endlich aus dem Strudel herauszukommen. Aber…“ Er richtete wieder seinen Blick auf seinen Shadow: „Nicht auf deine Art!“ Immer weiter schrumpfte das Wesen in sich zusammen, während es versuchte den Brünetten doch wieder umzustimmen. Plötzlich machte er einen halben Salto und landete halb auf der Seite, als er hart am Kinn von einem Ball getroffen wurde. Der Aufprall war so stark gewesen, dass der künstliche Pharaonenbart abbrach und irgendwo im Raum landete. Erschrocken blickte das Amphib mit seinen Glubschaugen in die Richtung, aus welcher das Geschoss gekommen war und sah dort Hiroshi, der sich wieder aufgerichtet hatte. Wütend starrte er seinen Gegner an und senkte langsam das Bein, mit welchem er seine Waffe abgeschossen hatte. Auch Ryu sah überrascht zu dem Blonden, der nun vortrat. „Endlich kommst du zur Besinnung, du kleiner Pimpf! Wurde ja auch Zeit. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du dir helfen lassen sollst, wenn es dir schon angeboten wird“, schimpfte er an den Jüngeren gerichtet, „Du siehst ja wohin es führen kann. Du warst kurz davor dein eigenes Leben für diesen Shadow wegzuschmeißen!“ Betroffen senkte Ryu den Blick: „Gomen…“ „Entschuldige dich gefälligst indem du lernst auf dich selbst zu achten und dir Hilfe zu suchen“, schnaubte der Blonde, „Und wenn dir keiner helfen will, dann komm einfach zu uns! Kapiert?“ „Ha-Hai!“, zuckte Angesprochener zurück. Ein starker Wind verwirbelte den restlichen Staub hinfort, der noch in der Luft lag und sorgte somit für freie Sicht auf Harachte, welcher in der Luft schwebte und seine Flügel weit ausgebreitet hatte. „Scheint ja jetzt alles geklärt zu sein. Dann können wir das hier ja langsam beenden“, trat Masaru wieder auf den Plan, der sein Katana locker in der Hand um die eigene Achse drehte und sich dann wieder kampfbereit aufbaute. Laut krachte ein starker Blitz auf den Shadow ein und ließ ihn schreiend zurückweichen. Erschrocken über den lauten Knall war Ryu zusammengezuckt, doch war sofort wieder voll da, als Yasuo neben ihn trat. „Dann bringen wir diesen Brocken mal zu Fall“, sagte er sich den Dreck vom Kinn wischend. Ein grünes Licht legte sich um den Blauhaarigen und Masaru und ließ deren Wunden nach und nach verschwinden. Überrascht darüber sah sich Ryu um und erblickte kurz darauf Kuraiko und ihre Persona Kadej, welche Mediarama eingesetzt hatten, um ihre Freunde zu heilen. „Das muss jetzt ausreichen! Noch einmal kann ich die Fähigkeit nicht einsetzen, also nutzt das gefälligst!“, sagte sie gereizt, obwohl man ihr die Erschöpfung ansah. „Eis ist seine Schwäche! Ihr müsst einen guten Moment abpassen“, rief Megumi ihren Mitstreitern zu, während sie geschützt in ihre Persona gehüllt einen Scan durchführte. „Danke euch! Damit sollten wir klarkommen“, rief Akane und ließ Wadjet erscheinen, die sich sofort in die Lüfte erhob und Schwung nahm. Mit einem gekonnten Schlag verpasste sie dem Shadow einen Kinnhacken, welcher einen erneuten Halbbogen vollzog und krachend auf dem Rücken landete, woraufhin wieder Staub aufwirbelte. Aus diesem heraus kam Hemsut gezischt und richtete ihre Hand auf das Wesen, um das sich daraufhin eine Eisschicht bildete. Ein lautes Klirren erklang und das Eis zerbarst, was das Amphib schmerzhaft aufschreien und dann bewusstlos am Boden liegen ließ. „Auf geht’s!“, rief Mirâ. Gemeinsam stürmte die Gruppe auf den Gegner ein, was diesem einen noch lautereren Schrei entlockte und ihn in einen schwarz-roten Nebel auflösen ließ. Zurück blieb ein schmächtiger menschlicher Körper, der Ryu glich wie ein Ei dem anderen. Nur die goldgelben Augen unterschieden ihn von seinem Wirt, den er fixierte. Dieser schaute sich geschockt um und wusste nicht so recht, was hier eigentlich los war. In diesem Moment versammelten sich um ihn Menschen, denen er unter normalen Umständen aus dem Weg gegangen wäre. Kuraiko war bekannt dafür, dass sie sehr launisch war, weswegen man ihr nicht die Quere kommen sollte, wenn man keinen Ärger haben wollte. Yasuo war für ihn immer ein Einzelgänger und Schulschwänzer, dem alles egal war, solange er seine Ruhe hatte. Gerade die Mädchen seiner Klasse fanden ihn unheimlich, weil er immer herumlief, als wäre er ein Geist. Der stellvertretende Schulsprecher, Masaru, wirkte sonst so erwachsen und ernst, dass sich die wenigsten aus den untersten Klassen trauten ihn überhaupt anzusprechen. Akane war bekannt dafür, dass sie ziemlich stark war, dafür aber auch burschikos, weshalb die meisten Mädchen sie mieden und ihr lieber aus dem Weg gingen. Hiroshi dagegen war bei den Mädchen des unteren Jahrganges ziemlich beliebt, da er als guter Fußballspieler des Schulteams bekannt war; aber genau diese Beliebtheit hatte Ryu bisher immer an anderen Jungs gehasst, immerhin hatte er so gut wie kein Selbstbewusstsein. Die Wege der beiden und ihm hatten sich ja schon einige Male gekreuzt und jedes Mal hatte er ihre Hilfe abgeschlagen, obwohl sie es nur gut meinten. Er war sie aber immer nur angegangen und wollte, dass sie ihn in Ruhe ließen, weshalb auch er versucht hatte ihnen aus dem Weg zu gehen. Am meisten überraschte ihn jedoch Megumi, welche plötzlich nicht mehr so schwächlich wirkte, wie noch in der Schule. Ihre Augen sprühten regelrecht vor Selbstvertrauen und irgendwie beneidete er das in diesem Moment. Mirâ wiederum konnte er gar nicht einschätzen. Über sie wurde nichts in der Schule erzählt. Sie fiel unter den unzähligen Schülern so gut wie gar nicht auf und doch schien sie etwas zu umgeben, was diese unterschiedlichen Menschen dazu veranlasste sich um sie zu versammeln. So viele Fragen schwirrten in seinem Kopf, die er am liebsten sofort beantwortet haben wollte. Doch ihm war bewusst, dass dafür keine Zeit war. Erschrocken blickte er auf, als sein Gegenpart plötzlich vor ihm stand. Mit großen rehbraunen Augen schaute er auf den jungen Mann ihm gegenüber, welcher ihn mit goldgelben Augen musterte, die nun gar nicht mehr so kühl und abweisend wirkten, wie noch vor wenigen Minuten. „Akzeptiere ihn…“, Mika regte sich wieder und ließ Ryu den Griff um sie etwas lockern, „Dieser Shadow ist aus deinen dunklen Gedanken entstanden. Lehnst du ihn ab, dann wird er dich töten. Aber nimmst du ihn an, dann wird er dir eine große Hilfe sein.“ Überrascht sah der Brünette zuerst zu der Blauhaarigen und dann wieder zurück zu seinem Shadow. Vorsichtig legte er sie auf den Boden und erhob sich dann langsam. „Ich verstehe, wieso du das getan hast. Und ich danke dir dafür. Du wolltest nur das ausführen, was ich mir tief in meinem Inneren gewünscht habe und mir damit helfen. Aber ich muss lernen auf eine andere Art stark zu werden“, erklärte er und zauberte damit dem Shadow ein kleines Lächeln auf die Lippen, „Deshalb danke ich dir. Du hast mir gezeigt, was ich ändern muss.“ Der falsche Ryu nickte kurz und löste sich dann ganz langsam in blaue Partikel auf, die nach oben stiegen und dort ein neues Wesen formten. Daraufhin erschien ein männliches Wesen mit dunkler Haut, dessen obere Gesichtshälfte von einer Maske bedeckt war. Er trug eine kurze gelockte Perücke, die an den Seiten etwas länger war und dort mit mehreren goldenen Perlen bestückt war. Er hatte einen nackten Oberkörper, doch um die Schultern lag eine goldene breite Kette, die mit blauen Perlen bestückt war. Um die Hüfte trug er einen blau-gelb gestreiften Rock, der ihm bis zu den Knien reichte und der von einem weißen Gürtel gehalten wurde, von dem vorn vier Bänder abgingen. Mit seinen Armen, die an den Handgelenken mit goldenen Reifen bestückt waren, hielt er zwei lange Stangen über Kreuz vor sich. Dabei waren seine Arme mit Ketten gefesselt, sodass er keine andere Position einnehmen konnte. Das gesamte Wesen kniete auf einer grünen geflochtenen Matte und hatte ihren Blick auf Ryu gerichtet. Dann nickte sie lächelnd und löste sich endgültig auf, um in blauem Licht auf den jungen Mann herab zu rieseln. Ganz deutlich spürte der Brünette das warme Leuchten in seiner Brust, während er noch etwas irritiert auf seine offenen Hände schaute. Kapitel 101: CI – Gefühlschaos ------------------------------ Sonntag, 13.September 2015 – Dungeon Vollkommen erschöpft beobachteten die sieben Persona-User Ryu, dessen Persona soeben erwacht war und sich zu ihm gesellt hatte. Noch immer stand er perplex da und starrte auf seine Hände. So wirklich verstand er nicht, was da soeben passiert war, doch das angenehme Glühen in seinem Inneren sagte ihm, dass es etwas Gutes war. Er legte seine Hand auf die Brust, in welcher es noch regelrecht brannte. Mit einem Mal fühlte er sich komplett. Als wäre nun eine Leere in ihm ausgefüllt worden, von der er nicht einmal bemerkt hatte, dass sie existierte. Das Wesen, welches aus seinem Shadow heraus geboren wurde war ihm so vertraut, obwohl er es heute zum ersten Mal gesehen hatte. Sofort als es erschienen war wusste er wie es hieß: Heh. Und nun fühlte er seine Anwesenheit ganz deutlich in sich, was ihm das Gefühl einer Sicherheit gab, die er lange nicht mehr gespürt hatte. Er blickte auf, als er ein leises Klingeln hörte und sah zur Seite. Dort richtete sich Mika langsam wieder auf und kam mit leicht zittrigen Schritten auf ihn zu. Schnell drehte er sich zu ihr und machte ebenso einen Schritt auf sie zu. Da war es wieder, dieses Gefühl sie zu kennen; ihr bereits einmal begegnet zu sein. Doch sein Verstand sagte ihm, dass das gar nicht sein konnte. Denn sie sah noch genauso aus, wie damals als er sie das erste Mal getroffen hatte. Damals vor sieben Jahren. Wenn sie es wirklich gewesen wäre, dann müsste sie nun eigentlich ungefähr in seinem Alter sein. Wieso sah sie also immer noch aus wie damals? Und wie hieß sie eigentlich? Hatte er sie damals überhaupt nach ihrem Namen gefragt? Häufig hat er noch an sie gedacht, doch konnte sich mittlerweile nicht mehr an ihren Namen erinnern. Er war so in Gedanken, dass er nicht bemerkte, wie er das kleine Mädchen regelrecht anstarrte. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie plötzlich und riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken sah er sie an und schüttelte dann den Kopf: „N-nein. Aber… ich habe das Gefühl dich zu kennen.“ Das Mädchen riss ihre roten Augen auf: „Du… kennst mich?“ Plötzlich sprang sie ihm an die Brust und sah ihn mit einem flehenden Blick an: „Kannst du mir dann sagen, was passiert ist? Wieso ich hier bin? Und wer ich wirklich bin? Ich… ich erinnere mich nicht mehr. Weder an die Zeit bevor ich hier war, noch wie ich hierhergekommen bin. Aber ich will es endlich wissen. Wenn du etwas weißt, dann sag es mir… bitte!“ Vollkommen überrumpelt hielt er die Kleine in seinen Armen und bereute es bereits seine Gedanken laut ausgesprochen zu haben. Natürlich wusste er nicht wer sie wirklich war. Er konnte sich ja nicht mal an ihren Namen erinnern. Woher hätte er also wissen sollen, was passiert war? Vielleicht irrte er sich ja auch, obwohl ihm sein Herz etwas anderes sagte. Immerhin war da immer noch der Altersunterschied. Sie war doch nicht viel älter als 10. Vor sieben Jahren wäre sie damit noch ein Kleinkind gewesen. Doch… er schob sie ein Stück von sich weg und sah ihr in die roten Augen. An diese Augen erinnerte er sich ganz genau. Es konnte nur sie sein. Und da war noch etwas. Er ließ mit einem Arm von ihr ab und berührte die kleinen Glöckchen an ihrem Obi. Dann lächelte er, denn an diese konnte er sich auch noch erinnern. Bilder eines kleinen blauhaarigen Mädchens, das vollkommen beleidigt auf einer Bank saß und vor sich hin schimpfte, den Tränen nahe, weil irgendetwas passiert war. Und wie er kurz mit ihr gesprochen hatte, um dann loszulaufen um ein Eis zu kaufen. Um jeden Preis wollte er sie aufheitern. Dabei waren ihm zwei kleine Glöckchen an einem roten Band aufgefallen, welche er ihr damals einfach mitgenommen hatte. Wieso weiß er bis heute nicht mehr, aber ihr fröhliches Lächeln, was sie ihm daraufhin geschenkt hatte, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Überrascht beobachtete Mika, wie der Brünette die kleinen Glöckchen betrachtete und ihr dann ein entschuldigendes Lächeln schenkte. „Leider kann ich dir diese Fragen nicht beantworten. Ich wünschte ich könnte es, aber… ich kann mich daran erinnern, dir damals begegnet zu sein. Diese Glöckchen… ich weiß noch, wie ich sie dir geschenkt habe“, erklärte er und ließ Mika daraufhin rot anlaufen, „Ich weiß nicht, was passiert ist und wieso ich dir wieder in dieser Gestalt begegne, denn das ist alles schon sieben Jahre her. Ehrlich gesagt kann ich mich noch nicht mal mehr an deinen Namen erinnern. Es tut mir wirklich leid.“ Erschrocken legte die Blauhaarige ihre Hände vor den Mund und wich einen Schritt von ihm zurück: „Diese Glöckchen… sind von dir?“ Der Brünette nickte und erklärte, dass er sie unter hunderten wiederfinden würde und deshalb eine Verwechslung auszuschließen war. Und er war froh sie wieder zu treffen, wenn auch unter merkwürdigen Umständen. „Würdest du mir deinen Namen verraten?“, fragte er deshalb. „Mi-Mika…“, antwortete sie leise, „An meinen Nachnamen erinnere ich mich aber nicht…“ „Mika… was für ein schöner Name. Er passt zu dir“, sagte Ryu mit einem Grinsen und ließ Mika erneut die Röte ins Gesicht steigen. Schnell sah sie zur Seite und unterbrach so den Blickkontakt zu dem jungen Mann. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie Angst bekam es würde ihr jeden Moment aus der Brust springen. Was war das nur? In ihr kam jedoch plötzlich auch ein Gefühl der Vertrautheit auf. Als er ihr erzählte, dass er ihr die Glöckchen geschenkt hatte, war es ihr, als hatte sie diese Szene genau im Kopf gesehen. Als hätte sie diesen Augenblick wirklich erlebt. Hieß das, sie kannte ihn wirklich? „Seid ihr jetzt fertig?“, Kuraikos genervte Stimme riss die beiden wieder aus ihrer eigenen Welt in die Realität. Erschrocken sahen sie zu den anderen Oberschülern, die auf sie zukamen und mehr als mittgenommen aussahen. Jedem von ihnen sah man an, dass sie so schnell wie möglich diesen Ort verlassen und nach Hause wollten. „Du musst einigen Fragen haben, Arabai-kun. Wir werden sie dir auch alle beantworten, aber zuerst sollten wir von hier verschwinden“, trat Mirâ auf ihn zu, „Kannst du Laufen oder brauchst du Hilfe?“ „Hm… also ich fühle mich recht fit“, meinte der Jüngere und erntete damit überraschte Blicke, welche jedoch recht schnell in Erleichterung umschwangen. Sie alle waren froh, dass sie ihn nicht auch noch heraustragen mussten und er konnte es nur zu gut nachvollziehen. Darauf hätte er nach so einem Kampf auch keine Lust mehr. Viel mehr fragte er sich jedoch, ob es seine Senpais bis nach draußen schaffen würden ohne umzufallen. Sie alle sahen so fertig aus. Bei dem vorangegangenen Kampf allerdings auch kein Wunder. „Sollte ich die Frage nicht lieber an euch zurückgeben?“, sprach er seine Gedanken aus. Kuraiko schnaubte kurz: „Das lass mal unsere Sorge sein.“ „Hör nicht auf diese Zicke…“, mischte sich Hiroshi ein und erntete wieder einen vernichtenden Blick der jungen Frau, den er aber gekonnt ignorierte, „Wir sind es bereits gewöhnt und kommen klar. Aber gerade diejenigen, die eine ganze Weile in dieser Welt waren und deren Persona erwacht ist, sind unter Umständen ziemlich schwach.“ „Ach so. Aber mir geht es wirklich gut. Ich kann noch laufen“, bestätigte der Brünette noch einmal, woraufhin die Gruppe sich daraufhin einigte so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Nach dem Kampf hatte sich das Tor, welches sie in den Bossraum geführt hatte, wieder geöffnet und gab den Blick auf den Eingang des Dungeons frei. So setzten sie sich langsam in Bewegung und verließen einer nach dem Anderen den Saal. Mirâ und Mika waren so nach wenigen Minuten die letzten, welche sich noch darin aufhielten, was daran lag, dass Mika tief in ihren Gedanken versunken war. Mirâ vermutete wegen der Sache, die Ryu angesprochen hatte. Wenn es stimmte, was er sagte, dann kannten sich die beiden schon länger. Irgendwie war das traurig, denn Mika konnte sich nicht mehr erinnern. Aber vielleicht half dieses Zusammentreffen ja, dass die Erinnerungen der Kleinen zurückkehrten. Vorsichtig hob sie die Hand und wollte die Jüngere damit aus ihren Gedanken holen, um endlich zu gehen, als sie plötzlich stoppte. Eine eiskalte und bedrohliche Aura füllte nach und nach den Raum und ließ sie regelrecht erstarren. Ruckartig drehte sie sich um. Auch Mika war wieder aus ihren Gedanken geschreckt, als sie die Aura vernommen hatte und sich dieser zugewandt. Kalter Schweiß bildete sich auf den Stirnen der beiden, als sie die dunkle Gestalt ihnen gegenüber erkannten, die nur regelrecht vor bedrohlicher roter Energie sprühte. Mit roten Augen starrte es die beiden Mädchen an, während Mirâ versuchte eine Form aus diesem Nebel zu erkennen. Doch egal wie sehr sie sich anstrengte, es gelang ihr nicht. Dass das Wesen jedoch böse die Augen zusammenkniff erkannten sie sofort. „Dummes Kind. Weiterhin beschreitest du den Weg der Qualen. Höre auf meine Worte. Beende diesen Weg, bevor noch jemand hineingezogen wird, der dir wichtig ist“, sprach es plötzlich, „Du wirst es am Ende nur bereuen!“ Montag, 14.September 2015 Mit einem Schreck erwachte Mirâ aus ihrem unruhigen und ohnehin schon kurzen Schlaf. Vollkommen verschwitzt und mit blassem Gesicht sah sie sich in ihrem kleinen Zimmer um und ging damit sicher, dass sich nichts bedrohliches mehr in ihrer Umgebung befand. Murrend legte sie ihre Hand auf ihr Gesicht. Was war das nur? Die roten Augen dieses Wesens und dessen Worte hatten sie bis in ihren Traum verfolgt. In Gedanken versunken ließ sie ihre Hand wieder sinken und starrte diese an, ohne sie wirklich zu fixieren. Nach seiner Warnung war der schwarze Schatten so schnell wieder verschwunden, wie er erschienen war, doch bevor sie sich darüber Gedanken machen konnte, hatte sie Akane bereits aufgefordert ihnen endlich zu folgen. So waren sie und Mika ihren Freunden gefolgt, ohne nochmal darüber gesprochen zu haben, was sie gesehen hatten. Auch auf dem Rückweg hatten sie sich darüber ausgeschwiegen; immerhin wollten sie die anderen nicht beunruhigen. Stattdessen hatten sie Ryu das Wichtigste über diese Welt und ihre Bewohner erzählt und erklärt, was eigentlich vorgefallen war. Im Gegenzug dafür hatte ihr Kohai erzählt, wie er überhaupt in dieser Welt gelandet war. Allerdings musste er sie dahingehend enttäuschen, dass er ihnen keine genauen Details nennen konnte. Er erinnerte sich noch daran die Mutprobe in der Schule gemacht und dabei ein lautes Knallen gehört zu haben. Als er sich dem Geräusch zugewandt und dabei mit seinem Blick eine Trophäenvitrine gestreift hatte, war ihm dieser schwarze Schatten aufgefallen. Doch bevor er reagieren konnte, wurde er bereits gepackt und in diese Welt gezogen. Danach waren auch seine Erinnerungen vollkommen ausgelöscht. Er erinnerte sich erst wieder ab dem Punkt, als Mika ihn wieder zur Vernunft gebracht hatte. Somit hatten sie also immer noch keinen weiteren Anhaltspunkt. Und doch bekam sie langsam das Gefühl, dass dieser bedrohliche Schatten etwas mit den Entführungen zu tun hatte. Das jedenfalls kam ihr am plausibelsten vor. Doch blieb die Frage offen, wieso er das tat und was er davon hatte. Und wieso nur sie und Mika ihn sehen konnten, wenn er sich vor ihnen zeigte. Irgendwas an der Sache war ganz gewaltig faul. Sie konnte nur noch nicht sagen was. Aber eins stand fest, der Gedanke daran bereitete ihr mächtige Bauchschmerzen. Sie hatte das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn sie noch weiter nachforschen würde. Aber anders kamen sie nicht voran. Sie konnte also nur hoffen, dass sich ihr Gefühl nicht bewahrheitete. Langsam kehrte Mirâ aus ihren Gedanken zurück und griff dann geistesgegenwärtig nach ihrem Wecker, nur um festzustellen, dass sie in einer viertel Stunde ohnehin hätte aufstehen müssen. Seufzend erhob sie sich von ihrem Futon, um sich für die Schule fertig zu machen. Dabei drifteten ihre Gedanken erneut ab und galten nun Ryu. Nachdem er beim Verlassen der Spiegelwelt geschockt feststellen musste, dass Mika diese nicht verlassen konnte, hatte auch er ihr geschworen sie da herauszuholen. Nur widerwillig hatte er die Kleine dort alleine zurückgelassen und war ihnen in die reale Welt gefolgt. Erst dort hatten sich die Nachwirkungen dieser Welt erstmalig gezeigt. Kaum hatte er die Spiegelwelt verlassen wurde ihm doch etwas anders. Ihn verließ die Kraft in den Beinen und er sackte unvermittelt zusammen. Trotzdem lehnte er das Angebot der Älteren, ihn nachhause zu begleiten, ab. Nach einer kurzen Pause hatte er ihnen versichert, dass er es noch alleine schaffen würde. Außerdem wollte er ihnen nicht noch mehr Ärger machen, als sie eh schon hatten. Sie hatten es so akzeptiert, auch wenn Mirâ das Gefühl hatte, dass mehr hinter seinen Worten steckten. Wieso konnte sie jedoch nicht sagen. Sie hoffte nur, dass der Jüngere sicher zu Hause angekommen war. Nachfragen konnte sie leider nicht, denn sie hatte vergessen sich seine Nummer geben zu lassen. Mittlerweile hatte sich die Oberschülerin soweit fertig gemacht und musste nur noch ihr unbändiges Haar zusammenbinden. Murrend kämpfte sie mit der dunkelvioletten Masse und griff dann nach einem roten Haargummi, mit welchem sie diese zu ihrem typischen seitlichen Zopf band. Nachdem sie sich noch ihre rote Spange ins Haar gesteckt und ihren Pony gerichtet hatte, betrachtete sie sich noch einmal von allen Seiten, bevor sie das Bad verließ, um zu frühstücken. Vormittag – Schule – Homeroom „So Ruhe jetzt!“, mahnte Mrs. Masa ihre Klasse, als sie den Klassenraum betrat, „Wir wollen heute über den Schulausflug diese Woche sprechen und über die Vorbereitungen für das Culture Festival nächste Woche.“ Müde blickte Mirâ von ihrem Platz auf und war plötzlich hellwach. An den Schulausflug diese Woche hatte sie gar nicht mehr gedacht. Erst jetzt bemerkte sie, wie viel Glück sie hatten. Wäre der Zeitraum der Rettung genau in ihren Ausflug gefallen, wäre das Ganze wohl nicht so gut ausgegangen. Allgemein fiel ihr auf, dass sie bisher mächtiges Glück hatten und ihnen nichts bei ihren Missionen dazwischengekommen war. Sie hoffte inständig, dass das auch so blieb, wobei ihr noch lieber wäre, wenn der Albtraum endlich ein Ende finden würde. Jedoch brachte die Klassenfahrt und die Vorbereitungen für das Culture Festival ein weiteres Problem mit sich. Dadurch würden sie keine Zeit finden in Ruhe mit Ryu zu sprechen. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass der Jüngere sich diese Woche in der Schule blicken lassen würde. Auch wenn er am Abend recht fit wirkte, so ein Ereignis verarbeitete man nicht mal eben von jetzt auf gleich. Ihnen würde also keine andere Wahl bleiben, als nach dem Schulfest einen Tag für eine Aussprache zu finden. Hauptsache ihnen kam in dieser Zeit nicht eine weitere Mission dazwischen. Das Klopfen eines Zeigestockes ließ sie wieder zur Tafel schauen, an welcher mehrere Daten angeschrieben waren: der 17./18.09., an denen der Schulausflug nach Tatsumi Port Island stattfinden sollte, und der 26./27.09; die Tage des Culture Festivals. „Am Donnerstag dem 17.09. treffen wir uns am Hauptbahnhof, um dann gemeinsam nach Tatsumi Port Island zu fahren. Bitte denkt dran, dass es sehr zeitig losgeht“, erklärte Mrs. Masa, „Wir werden uns dort die ansässige Gekkoukan High School anschauen. Das ist ein Pflichtprogramm für unser zweites Jahr. Unsere Schule unterhält schon seit vielen Jahren freundschaftliche Beziehungen mit der Gekkoukan High School. Aus diesem Grund führen unsere Schulen jedes Jahr einen Schüleraustausch des zweiten Jahres durch.“ Eine Hand hob sich, woraufhin ihre Lehrerin den Schüler aufforderte zu sprechen: „Aber warum wird das auch als Schulausflug genutzt? Ich habe von jemandem aus dem dritten Jahr gehört, dass sie letztes Jahr noch eine separate Klassenfahrt nach Hokkaido durchgeführt haben.“ Mrs. Masa seufzte: „Ja ich weiß, dieses Jahr ging einiges drunter und drüber. Aus diesem Grund kann leider keine reguläre Klassenfahrt des zweiten Jahres stattfinden.“ Ein Murren ging durch die Schülerreihen, weshalb die junge Lehrerin erneut seufzten musste. Dann erklärte sie, dass auch das erste Jahr darauf verzichten musste. Die jüngeren Schüler würden dieses Jahr wohl auch nur eine Wanderung in die Berge machen, da etwas anderes nicht mehr in den Zeitplan passte. Sie bedauerte diesen Umstand sehr, weil sie genau wusste, wie sehr sich alle Schüler jedes Jahr auf die Klassenfahrt freuten. Damit es aber wenigstens einen Ausflug gab, wurde die Klassenfahrt nun mit dem Schüleraustausch zusammengelegt. „Es wird dieses Jahr auch nur eine verkürzte Schulführung geben. Eigentlich ist immer noch ein Tag mit Unterricht geplant. Der bleibt euch dieses Jahr aber erspart, was dem Umstand geschuldet ist, dass wir dieses Jahr nur zwei anstatt drei Tage in Tatsumi Port Island verbringen“, erklärte sie ruhig, was ihre Schüler dann doch etwas erleichtert aufatmen ließ, „Der Ablauf wird wohl wie folgt sein: vormittags besichtigen wir die Gekkoukan und werden dann dort Mittagessen. Danach gehen wir gemeinsam in unser Hotel. Der Nachmittag wird euch dann zur freien Verfügung stehen. Ebenso der Vormittag des zweiten Tages.“ Erneutes Getuschel ging durch die Klasse, als alle bereits begannen Pläne für die Freizeit zu schmieden. Dieses wurde jedoch jäh unterbrochen, als ihre Lehrerin erneut gegen die Tafel klopfte und meinte, dass sie sich darüber auch nach dem Unterricht unterhalten konnten. Noch einmal mahnte sie alle, dass sie am Donnerstag pünktlich am Bahnhof seien sollten, bevor sie auf den zweiten Punkt zu sprechen kam: Die Vorbereitungen für das Schulfest. Da in diesem Jahr alles etwas knapp bemessen war und sich dann auch noch ein Feiertag eingeschlichen hatte, würden sie nur vier Tage für die Vorbereitungen haben. Das darauffolgende Murren war verständlich, denn in der Regel nutzte man eine bis eineinhalb Wochen für die Vorbereitungen. Das alles dieses Mal nur in etwa der Hälfte zu schaffen, würde sicher schwer werden. Trotzdem wirkten Mirâs Mitschüler mit einem Mal total motiviert und meinten, dass sie trotzdem ein super Schulfest zustande bringen würden. Bereits nach der Besprechung einige Tage zuvor, was eigentlich gemacht werden sollte, hatte sich die Klasse für ihre Aufgaben aufgeteilt, sodass sie in der nächsten Woche sofort loslegen konnten. Aus diesem Grund wirkte niemand besonders besorgt. Lächelnd beobachtete Mrs. Masa einen Moment ihre Klasse, bevor der Schulgong den Homeroom beendete und sie ihr Zeug zusammenpackte. „Gut, dass das alles geklärt ist. Dann wünsche ich euch jetzt viel Erfolg für den heutigen Unterricht. Macht mir bitte keinen Ärger“, mit diesen Worten hatte sie den Klassenraum wieder verlassen und ihre Klasse alleine zurückgelassen. In der Mittagspause hatte sie sich mit den anderen auf dem Dach der Schule verabredet. Allerdings hatte sich Hiroshi gleich zu Beginn der Pause wieder abgesetzt. Da er seine Pausen in letzter Zeit häufig mit seinen Teamkameraden verbracht hatte, wollte er diesen Tag nutzen, um mit seinen beiden Kumpels Naoto und Shuya etwas zu kicken. Auf Akanes Warnung hin, dass er seine Hand nicht belasten sollte, hatte er nur abwertend gewunken und war dann gegangen. Seufzend hatte diese ihm nachgesehen und war dann kopfschüttelnd mit Mirâ zu ihrem Treffpunkt gegangen. Dort waren sie die ersten der gemischten Truppe und ließen sich am üblichen Platz nieder. Trotz der noch immer warmen Sonne zog der Wind bereits kühl über das Dach der Schule, doch noch war er erträglich. In einigen Wochen würden sie sicher nicht mehr hier sitzen können. Der Herbst kam bedrohlich näher, was auch die dunklen Wolken bezeugten, die sich am Rande der Stadt sammelten und langsam über die Berge hinwegzogen. Akane hatte ihren Blick auf diese Gebilde gerichtet und wirkte so, als sei sie in Gedanken versunken, während ihre Freundin sie von der Seite beobachtete. Ihr war schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass die Brünette etwas zu beschäftigen schien, doch sie traute sich nicht sie darauf anzusprechen. Sie wusste einfach nicht, wo sie anfangen sollte. Vielleicht bildete sie sich das ja auch nur ein, aber… „Du Mirâ, kann ich dich mal um einen Rat bitten?“, fragte Akane unvermittelt und riss Mirâ damit aus ihren Gedanken. Sofort nickte sie: „Ja sicher. Was gibt es?“ „Naja…“, ihre beste Freundin senkte den Blick und schien kurz zu überlegen wo sie überhaupt anfangen sollte, „Es geht um Yasuo-senpai…“ „Was möchtest du denn wissen?“, fragte die Violetthaarige nach. „Hm… Ich habe dir ja erzählt, dass er am Ende des Schuljahres wegziehen wird, um in Aehara zu studieren. Oder?“ „Ja. Ich meinte doch, dass ihr ja trotzdem in Kontakt bleiben könnt. Aehara ist doch nicht weit weg“, vorsichtig rutschte sie an die Brünette ran, die aussah, als würde sie jeden Moment weinen. Diese senkte den Blick tiefer: „Ich weiß aber nicht mehr, wie ich damit umgehen soll. Der Gedanke, dass Senpai weggeht tut mir unglaublich weh und am liebsten möchte ich ihn bitten hierzubleiben, aber das wäre egoistisch… oder?“ Ein kleines mitfühlendes Lächeln legte sich auf Mirâs Lippen. Sie wusste schon lange was Sache war, doch hatte sich nie dazu geäußert. Dieses Mal jedoch sprach sie es direkt an: „Du bist in Yasuo-senpai verliebt. Oder?“ Ein kleines Nicken war zu erkennen: „Was soll ich nur machen, Mirâ? Wenn ich ihn einfach damit konfrontiere, dann schrecke ich Senpai doch ab. Am Ende zerbricht deshalb das Team. Dabei können wir uns das nicht leisten. Aber… ich weiß nicht, wie lange ich es vor Senpai noch geheim halten kann. Ich möchte mich ihm nicht aufzwingen, aber ich möchte auch nicht, dass er mich zurücklässt.“ Man hörte ihr an, wie schwer es ihr fiel die Tränen zu unterdrücken. Sie musste wirklich sehr viel für den älteren Schüler empfinden. Dass sie nun zwischen zwei Stühlen saß tat der Violetthaarigen unendlich leid. Es wäre wohl weniger kompliziert für sie, wenn Yasuo kein Teil ihres Teams wäre, denn gerade das wurde der Brünetten gerade zur Last. Sie nahm Rücksicht auf Mirâ und die anderen und wollte einfach nicht, dass ein Geständnis alles kaputt machte. Wie schnell konnte eine plötzliche Liebeserklärung sogar eine ganze Freundschaft zerstören? Zwar hatte die Oberschülerin so etwas nie selber erlebt, aber sie hatte in den letzten Jahren häufig beobachtet, wie eine vermeintlich beste Freundschaft plötzlich zerbrach, weil einer dem anderen seine Liebe gestanden hatte. Sie dankte ihrer Freundin dafür, dass sie deshalb Rücksicht nahm, wollte aber auch nicht, dass diese daran zerbrach. Deshalb traf sie eine Entscheidung, von der sich hoffte, dass sie sie nicht bereuen würde. Doch irgendwie hatte sie im Gefühl, dass es gut ausgehen würde. Sie legte ihre Hand auf Akanes Schulter und sicherte sich damit ihre Aufmerksamkeit: „Sprich mit ihm darüber. Vielleicht nicht gerade heute und hier, aber in einem ruhigen Moment. Sag ihm einfach was du empfindest.“ Ihre Freundin wollte dagegen protestieren, doch die Violetthaarige sprach ihr gut zu und erklärte, dass sie sich sicher war, dass alles gut ausgehen würde. Außerdem würde sie daran zerbrechen, wenn sie nicht endlich reinen Tisch machen würde und Yasuo erklären würde, was los war. Mit Sicherheit hatte dieser auch schon bemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Er wirkte zwar oft so, als würde ihn nichts interessieren, aber für Akane schien er doch einiges zu empfinden. Nicht umsonst würde er sich so häufig mit ihr treffen. Das allerdings sprach Mirâ nicht aus, da sie der jungen Frau ihr gegenüber nicht zu viele Hoffnungen machen wollte. Trotzdem schien es zu wirken. Mit großen feuchten Augen starrte Akane sie an, doch lächelte dann, wodurch einige Tränen aus dem Augenwinkel kullerten. „J-ja. Du hast sicher Recht“, meinte sie und wischte sich die Tränen weg, „Ich würde es sicher noch mehr bereuen weiter zu schweigen. Vor allem wenn er dann weg ist. Ich hoffe nur, dass alles gut geht, egal wie es ausgeht.“ „Mit Sicherheit“, lachte Mirâ und strich der Brünetten über den Rücken, „Du hast auf jeden Fall meine Unterstützung.“ „Danke, Mirâ“, bedankte diese sich und wandte ihren Blick ab, als sie ihre Freunde bemerkte, die nun auf sie zukamen. Die Violetthaarige beobachtete ihre beste Freundin einen Moment, wie diese die anderen zu sich rief und spürte ganz deutlich das warme Glühen in ihrer Brust, der den Social Link weiter vorantrieb. Kapitel 102: CII – Innere Leere ------------------------------- Montag, 14.September 2015 – Nachmittag Summend stieg Mirâ aus der U-Bahn, während sie der Stimme von Akisu lauschte, die aus ihren Kopfhörern erklang. Vorsichtig drängte sie sich an den Menschen vorbei, die ebenfalls mit ihr ausgestiegen waren und fuhr dann die Rolltreppe hinauf zum Ausgang der Station, bevor sie in die Richtung ihres Elternhauses abbog. Vom Bahnhof aus war es noch ein ganzes Stück, welches sie zu Fuß zurücklegen musste. Doch das störte sie nicht. Sie lief gerne durch das Wohnviertel, in welchem sie lebte und betrachtete die einzelnen Häuser und Gärten. Manche Bewohner bewiesen wirklich ein gutes Händchen bei der Gartenpflege. Es gab so viele wunderschön gepflegte Gartenparadiese in diesem Viertel und der Violetthaarigen machte es Spaß sie alle anzuschauen. Und es wurde ihr nie langweilig, denn jedes Mal fand sie etwas Neues. So spazierte sie durch die schmalen Straßen und genoss den Anblick, der sich ihr bot. Kurz vor ihrem Heim befand sich ein kleiner gepflegter Spielplatz, welchen sie bereits mehrmals mit Junko besucht hatte. Er war nicht sehr groß, aber trotzdem ausreichend für die Kinder dieses Viertels. In der Mitte des Platzes standen mehrere steinerne Halbkugeln mit Röhren darin, durch die die Kleinen hindurch krauchen konnten oder darauf herumklettern. Leicht links versetzt davon standen zwei verschiedengroße Rutschen. Eine von ungefähr zweieinhalb Metern Höhe für die älteren Kinder mit einer schmalen Leiter zum heraufklettern und eine circa eineinhalb Meter hohe aber dafür ziemlich breite Rutsche mit leichtem Aufstieg für die Kleinen. Daneben war ein runder Sandkasten, in welchem Mirâ noch einige Förmchen liegen sah, die augenscheinlich hier vergessen wurden. Etwas im Hintergrund, weiter am Ende des Platzes, befanden sich mehrere Schaukeln, die auch auf die jeweiligen Altersgruppen der Kinder in Höhe und Form angepasst waren. Rechts von den steinernen Kugeln standen mehrere Stangen für Klimmzüge in verschiedenen Höhen und ein großes quadratisches Klettergerüst mit mehreren Ebenen, auf welchem eine männliche Gestalt hockte und hinaus zum Horizont blickte. Überraschte sah Mirâ zu dem jungen Mann, dessen Gesicht in der langsam untergehenden Sonne in ein tiefes Orange getaucht war. Auf den ersten Blick wirkte er tief in Gedanken versunken, doch dann schien er die Violetthaarige zu bemerken, die ihn von unterhalb beobachtete. „Guten Tag, Shingetsu-senpai“, grüßte er die Ältere, welche nähertrat und langsam ihre Kopfhörer aus den Ohren zog, „Kommst du von der Schule?“ Angesprochene blieb unterhalb des Gerüstes stehen und nickte: „Hallo Arabai-kun. Geht es dir denn schon so gut, dass du hier herumspazieren kannst?“ „Es ist nicht so, dass ich topfit bin, aber hier habe ich mehr Ruhe, als zuhause“, grinste ihr Kohai und kam langsam heruntergeklettert, „Weil ich so lange verschwunden war gibt es mächtig Ärger zuhause. Mein Vater war echt sauer…“ „Ähm… wollte er wissen, wo du warst?“, fragte Mirâ frei heraus. Ryu seufzte und erklärte, dass er seinen Eltern nur erzählt hätte er sei weggelaufen und habe sich irgendwo herumgetrieben. Es wäre egal gewesen, was er seinem Vater aufgetischt hätte, denn dieser hörte ihm sowieso nicht richtig zu. „Er war so wütend, dass er nur herumgetobt hat… deshalb bin ich irgendwann einfach auf mein Zimmer gegangen“, erzählte er weiter, „Meine Mutter hatte ihn irgendwann wieder beruhigen können, aber naja… Ich denke es ist am besten, wenn sie denken ich sei weggelaufen. Von dieser merkwürden Welt zu erzählen würde wohl nichts bringen.“ „Nein, ich denke auch nicht. Das heißt, bei dir war kein Kommissar, der Fragen gestellt hat?“, hakte Mirâ nach und bekam als Antwort ein Kopfschütteln. „Das würde mein Vater wohl auch nicht zulassen…“, murmelte der Brünette, woraufhin die Ältere ihm einen fragenden Blick schenkte, „Egal. Ich wollte mich aber nochmal bei euch bedanken. Dafür, dass ihr mich da rausgeholt habt. Bei Gelegenheit bedanke ich mich auch noch bei den Anderen. Vor allem mit Makoto-senpai muss ich noch einmal sprechen. Immerhin habe ich mich ziemlich undankbar verhalten.“ „Mach dir darüber keine Gedanken, Arabai-kun. Hiroshi-kun ist kein nachtragender Mensch. Er wird es verstehen“, lächelte die Oberschülerin. „Ich hoffe du hast Recht“, formte sich auch auf seinen Lippen ein Lächeln, „Ach und du kannst mich ruhig Ryu nennen. Du bist immerhin älter als ich.“ Mirâ lachte: „Das hat doch damit nichts zu tun. Aber das Angebot nehme ich gerne an. Du kannst mich auch Mirâ nennen. Und um es noch einmal offiziell zu machen: Es freut mich dich kennenzulernen, Ryu-kun.“ Überrascht sah ihr Kohai sie an, doch lachte dann auch: „Danke. Das gebe ich gerne zurück, Mirâ-senpai.“ „Ich bin du… du bist ich…“, erklang die ihr bekannte Stimme in ihrem Geiste, während sie um Ryu ein zartes blaues Schimmern erkannte und sich in ihrem inneren eine angenehme Wärme breit machte. Bevor sie sich darüber aber weiter Gedanken machen konnte, streckte sich der Jüngere und verabschiedete sich, da er langsam nachhause musste, um noch mehr Ärger zu vermeiden. Nickend nahm auch sie dem jungen Mann Abschied und sah ihm lächelnd nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Dann machte auch sie sich endlich auf den Heimweg. Am Abend hatte sich die Violetthaarige im Shâdo zu einer Schicht eingefunden, um die sie von einer Kollegin gebeten wurde, die an diesem Abend etwas vorhatte. Trotz des Wochenanfangs war die Karaokebar sehr gut besucht; ja sogar fast ausgebucht, weshalb ihre anderen Kollegen ihr für die Hilfe mehr als Dankbar waren. Den ganzen Abend durch war sie eigentlich nur damit beschäftigt Getränke von der Bar zu den einzelnen Kabinen zu tragen und Gäste zu verabschieden oder zu begrüßen. Auch Kyo war an diesem Tag einer der Besucher, so viel sie wusste. Jedoch hatte sie dieses Mal das Glück nicht seine Bedienung zu sein. Zwar kam sie mittlerweile besser mit ihm aus, trotzdem war ihr seine Art zuwider und sie war froh, wenn sie ihm aus dem Weg gehen konnte. Vor allem, wenn er ihr als Gast der Bar begegnete, denn dann war er noch unausstehlicher. Wahrscheinlich wegen seiner weiblichen Begleitungen, die er ständig bei sich hatte und die jedes Mal wechselte. Er gehörte anscheinend zu der Art Mann, die sich vor dem weiblichen Geschlecht profilieren mussten. Jedenfalls war das Mirâs Ansicht. Erschöpft ließ sie sich kurz vor Ende ihrer Schicht auf die gepolsterten Bänke im Wartebereich der Bar nieder und legte den Kopf auf die hintere Lehne. Sie war so erschöpft. Schon lange hatte sie keine so stressige Schicht mehr erlebt. Doch zum Glück war es fast vorbei. Auch der Andrang der Gäste war mittlerweile zurückgegangen, sodass der Betrieb wieder ruhiger lief. Das Gelächter einiger Frauen, ließ sie aufschauen. Kurz darauf sah sie Kyo in Begleitung einiger junger Damen aus dem Gästebereich kommen. Gerne hätte sie kurz mit ihm gesprochen, empfand diesen Moment aber als ungünstig. Er wirkte schon etwas angetrunken und schäkerte mit seinen Begleiterinnen, während sie alle vergnügt lachten. Ihn jetzt anzusprechen, würde wahrscheinlich gar nichts bringen, weshalb sie sich dagegen entschied. Kyo jedoch schien ihren Blick auf ihm bemerkt zu haben und schickte die Damen schon vor, während er selbst auf die Violetthaarige zuging. „Möchtest du etwas von mir?“, fragte er und wirkte dabei doch leicht genervt. „Nicht, wenn du gerade keine Zeit hast. Deine Begleitung wartet doch sicher schon“, murrte die Oberschülerin, da sie keine Lust auf irgendwelche dummen Diskussionen hatte. Der Blauhaarige seufzte und ließ sich neben ihr auf der Bank nieder. Er legte seine Arme auf die Lehne und überschlug die Beine: „Na los. Spucks schon aus.“ Die junge Frau senkte den Blick. Wo sollte sie anfangen? Sie wollte ihm nicht zu nahetreten, dennoch… „Deine Schwester war vor einiger Zeit bei mir“, begann sie und erntete dabei einen fragenden Blick des Studenten, „Sie bedankte sich bei mir, weil ich ihr ihre Kette zurückgebracht hatte und… weil du bei ihr warst. Sie schien sich riesig gefreut zu haben, dass du sie besucht hast. Aber sie hat mir auch davon erzählt, dass es Querelen mit deiner Mutter gibt. Stimmt es, dass sie nicht zulässt, dass du das Modelabel deiner Familie übernimmst?“ Der Ältere schnaubte verächtlich: „Ach diese alte Schachtel kann mich mal. Soll sie doch zusehen, wie sie den Laden am Laufen hält.“ „Das meinst du nicht ernst, oder?“, sprach die Violetthaarige ihre Gedanken aus. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Kyo das Unternehmen seiner Familie so egal war. Immerhin liebte er das Designen und das sah man seinen Entwürfen auch genau an. Jemand der so begnadet Designs entwarf, konnte ihr nicht vormachen, dass es ihn nicht störte, dass er seine Chance in einem großen Label nicht bekam. Vor allem, wenn es die eigene Mutter war, die ihm im Wege stand. Das alles sprach sie an. In diesem Moment war es ihr dann doch egal, ob er sauer auf sie werden würde. Sie wünschte sich für ihn, dass er seine Chance bekam. „Ich bin mir sicher, dass du es schaffen kannst deine Mutter zu überzeugen. Ich weiß zwar nicht wie, aber du kannst das. Du hast das Talent dazu und das wird deine Mutter mit Sicherheit auch irgendwann verstehen. Auch wenn du es nicht zugibst, dir liegt doch sicher einiges an dem Unternehmen deines Vaters. Wenn du in seine Fußstapfen treten willst, dann kämpfe dafür!“, endete sie mit ihrer Ausführung, bevor sich eine unangenehme Stille über die beiden legte. Just in diesem Moment bereute es Mirâ ihn so direkt darauf angesprochen zu haben. Nun war er mit Sicherheit sauer. Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich, als er sich plötzlich ruckartig erhob und seine Hände zu Fäusten ballte. Dann drehte er sich wütend zu ihr herum: „Was geht es dich an! Halt dich gefälligst aus den Angelegenheiten von anderen heraus!“ Erschrocken wich die Oberschülerin zurück, während der Blauhaarige an ihr vorbeistolzierte. Angst stieg in ihr auf, dass sie etwas Falsches gesagt haben könnte und sich der Social Link nun umkehrte, genau wie bei Megumi damals. Doch plötzlich blieb der Student wieder stehen und ließ dabei seine ganze Körperspannung wieder fallen. Wieder breitete sich Schweigen aus, bevor er sich noch einmal kurz zu ihr umdrehte: „Aber trotzdem danke für die aufmunternden Worte. Auch wenn es nicht viel bringen wird.“ Damit hatte er sich nun endgültig abgewandt und die Karaokebar verlassen. Zurück blieb eine etwas irritierte Mirâ, die jedoch tief in ihrem inneren ein angenehm warmes blaues Glühen verspürte, dass sie wissen ließ, dass sie keinen Fehler begangen hatte. Etwas später war sie bereits auf dem Heimweg. Als Shuichi seine Spätschicht angetreten hatte und sie noch in der Bar vorfand, hatte er die junge Frau sofort nachhause geschickt. Er wollte nicht verantworten, dass ihr irgendetwas passierte und hatte sogar dafür gesorgt, dass eine Kollegin sie bis zur U-Bahn begleitete. Mit einem leicht überforderten Lächeln hatte die Oberschülerin es über sich ergehen lassen und sich noch einmal bei ihrer Kollegin bedankt, bevor sie in die U-Bahn gestiegen war. Diese hatte nur gelacht, ihr noch einen schönen Abend gewünscht und sich dann von ihr verabschiedet. Nun war die junge Frau auf ihren letzten Metern von der Station bis zu sich nachhause und genoss dabei die kühle Herbstluft. Obwohl der Abend doch etwas anstrengend war, fühlte sie sich nun wieder erholter. Die frische Luft half ihr, ihre angestaute Müdigkeit zu vertreiben. „…irâ… Mirâ…“, hörte sie plötzlich leise rufen. Überrascht sah sie sich um, doch in ihrer unmittelbaren Umgebung war niemand, der sie hätte rufen können. Es brauchte einen Moment, bevor sie registrierte, dass das Geräusch aus ihrer Tasche kam. Irritiert griff sie hinein und holte daraufhin den kleinen Handspiegel heraus, den sie vor einiger Zeit gekauft hatte und dessen Gegenstück ihre kleine Freundin Mika hatte. Und nun erkannte sie auch deren Stimme. Noch einmal sah sie sich zu allen Seiten um, um sicher zu gehen, dass auch niemand in ihrer unmittelbaren Nähe war und sie für verrückt abstempeln könnte, wenn sie mit einem Spiegel sprach. Dann klappte sie den kleinen Gegenstand auf und erblickte kurz darauf das Gesicht der Blauhaarigen. „Hallo Mika. Was gibt es?“, fragte sie lächelnd, „Und sorry, dass es gedauert hat. Irgendwie hab ich das nicht so ganz registriert. Ich dachte erst jemand anderes ruft nach mir.“ Angesprochene schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein schon gut. Sowas konnte ich mir schon denken. Störe ich dich gerade?“ „Nein. Ich bin auf dem Heimweg von meiner Schicht. Wir haben also Zeit zum Reden“, sagte Mirâ, „Ist etwas passiert?“ Ihre kleine Freundin schüttelte den Kopf: „Nein. Ich würde dich gerne um deine Meinung bitten. Ryu-kun meinte, dass er mich von früher kennt. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das auffassen soll. Kann es nicht auch sein, dass er mich einfach verwechselt?“ Die Ältere schwieg kurz und überlegte. Sicher, es konnte sein, dass Ryu sich nur einbildete Mika zu kennen, weil er sie mit jemandem verwechselte, der ihr ähnlichsah. Sowas war der Gruppe immerhin auch schon passiert, als ihnen in Mikadzuki-chô der Geist einer anderen Mika begegnet war. Auch diese sah dem kleinen Mädchen verdammt ähnlich, aber war es letzten Endes doch nicht. Andererseits meinte der Brünette ja auch, dass es bereits sieben Jahre her war, dass sie sich getroffen hatten. Und an die Glöckchen an Mikas Obi konnte er sich auch erinnern. Sicher, diese Situation war merkwürdig, aber vielleicht war wirklich etwas dran. Wenn die Blauhaarige kurz nach deren Treffen in diese Welt gelangt war, dann käme es ja irgendwie auch hin. Es war also nicht ganz abwegig, jedoch gab es keine einhundert prozentige Garantie dafür. „Aber…“, holte sie die Stimme der Kleinen aus ihren Gedanken, „Ich habe auch das Gefühl ihn zu kennen. Irgendwie war mir so vertraut, als er mir erzählte, dass er mir die Glöckchen geschenkt hätte.“ Auch wenn sie nur das Gesicht von Mika sah, so konnte Mirâ erkennen, wie diese die kleinen goldenen Kugeln betrachtete. Für sie selbst wäre das ja schon Beweis genug gewesen, dass es stimmte, doch die Blauhaarige schien immer noch ihre Zweifel zu haben. „Andererseits hat sein Shadow so etwas merkwürdiges gesagt…“, murmelte diese einen Moment später. „Du meinst, dass du ein unvollkommenes Wesen dieser Welt seist?“, hakte die Oberschülerin nach und bekam als Antwort ein Nicken, „Das hat er mit Sicherheit nur gesagt, um dich zu verunsichern. Immerhin kamst du ihm in die Quere. Mika, alles wird sich aufklären. Wir alle haben dir versprochen, dass wir dich herausholen werden. Auch Ryu-kun hat dir dieses Versprechen gegeben und wir alle werden es halten! Darauf kannst du dich verlassen.“ Mit großen Augen sah die Jüngere sie an und lächelte dann: „Ich danke dir Mirâ. Ich werde mich etwas hinlegen.“ „Mach das. Schlaf gut. Wenn etwas ist, dann melde dich.“, sagte die Violetthaarige, bevor sie sich von ihrer kleinen Freundin verabschiedete. Die Oberschülerin klappte den Spiegel zu und blickte in den dunklen Nachthimmel. Sie hoffte wirklich sehr, dass sie bald mehr über Mika erfahren würden. Aber wo sollten sie anfangen? Mirâ senkte den Blick, als ihr eine Idee kam. In der Bibliothek hatte sie davon gelesen, dass es bei einem Tsukinoyo zu einem Unglück gekommen war, wo mehrere Kinder verletzt wurden. In ihr machte sich plötzlich ein ungutes Gefühl breit, was ihr sagte, dass sie dort eventuell einen Anhaltspunkt hatten. Bei Gelegenheit würde sie dieser Spur noch einmal versuchen zu folgen. Vielleicht bekamen sie dann endlich ein paar antworten. Mit diesem Gedanken wandte sie sich ab und setzte endlich ihren Weg nachhause fort. Sie saß auf einer Bank und starrte auf ihre Beine. Wut staute sich in ihrem Magen, während sie beleidigt ihre Wangen aufgeplustert hatte. Kurze Zeit zuvor hatte sie einen mächtigen Streit gehabt und dann auch noch Ärger von ihren Eltern bekommen, weshalb sie einfach weggelaufen war. Sie wollte ihre Ruhe haben und nicht mit diesen doofen Erwachsenen diskutieren. Es brachte ja sowieso nichts. Zumal sie sich keiner Schuld bewusst war. Sie hatte den Streit nicht begonnen, hatte letzten Endes aber das Nachsehen gehabt. Das wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. Und trotzdem… traurig ließ sie ihre Schultern sinken und starrte weiter auf ihre Schuhe. Sie fühlte sich plötzlich einsam. Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Wie gerne hätte sie sich jetzt an die Brust ihrer Mutter geschmiegt und einfach drauflos geweint. Wieso musste es auch so Enden? Dabei hatte sie doch gar nichts getan. Ohne es bemerkt zu haben, hatten sich ihre Tränen einen Weg gebahnt und liefen nun unaufhaltsam ihre Wangen herunter, weshalb sie nur noch ein Schluchzen von sich gab. „Hey. Ist alles in Ordnung?“, fragte sie plötzlich jemand und legte seine Hand auf ihre Knie. Erschrocken hob sie den Blick und sah in zwei rehbraune große Augen, die zu einem Jungen gehörten, dessen Gesicht von Sommersprossen übersäht war. Besonders viele davon hatte er auf der Nase und unter den Augen. Seine rotbraunen struppigen Haare standen zu allen Seiten ab, wirkten aber nicht ungepflegt. Er schien ungefähr in ihrem Alter zu sein, wirkte aber an sich eher klein und zierlich. Besorgt sah er sie an und legte dabei den Kopf schief, als sie ihm nicht antwortete. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen und er entfernte sich wieder von ihr. „Warte kurz hier. Ich bin gleich zurück.“, rief er und war davongerannt. Wieder war sie alleine und so fühlte sie sich auch. Es dauerte nicht lange und die Tränen flossen erneut über ihr Gesicht. Obwohl er gesagt hatte, dass er gleich zurück sein würde, hatte sie das Gefühl er hätte sie nun auch verlassen. Dabei kannte sie diesen Jungen gar nicht. Und trotzdem… Plötzlich schrak sie auf, als sie ein zartes Klingeln hörte. Überrascht hob sie den Blick und erkannte ihn wieder, wie er vor ihr stand. Lächelnd hielt er ihr ein Eis am Stiel vor die Nase und dazu noch ein kleines Päckchen, in welches zwei goldene Glöckchen gemeinsam mit einem roten Band gepackt waren, die bei jeder Bewegung leise klingelten. „Hier für dich“, sagte der Junge grinsend, „Eigentlich wollte ich nur ein Eis holen, aber ich fand die Glöckchen so schön. Ich schenke sie dir.“ „W-wirklich?“, fragte sie vorsichtig und nahm das Eis und die durchsichtige Packung samt Inhalt an sich. Ein grinsendes Nicken war von dem Jungen zu sehen, weshalb auch sie endlich wieder lächelte: „Vielen Dank.“ Obwohl es nichts Großes war und der Junge auch nicht wirklich viel gemacht hatte, so machte sie diese kleine Geste unglaublich glücklich. Ein Lächeln, welches ihr bis über beide Ohren ging, breitete sich auf ihrem Gesicht aus und ihre Sorgen von kurz zuvor waren plötzlich wie weggeblasen. Mit Tränen in den Augen erwachte Mika aus ihrem Traum und sah sich irritiert in dem dunklen Zimmer um. Es brauchte eine Weile bis sie sich orientiert hatte und wieder wusste, wo genau sie war. Dieser Traum… er war so real gewesen, als sei sie wirklich dort gewesen. Eine plötzliche Einsamkeit überkam sie, die sie die letzten Monate zuvor nicht einmal wirklich gespürt hatte. Mit Sicherheit war sie da gewesen, doch bisher war sie nie so stark, dass sie sie nicht hätte ignorieren können. Doch plötzlich fühlte sie sich extrem einsam und sie wünschte sich bei den anderen zu sein, in einem sicheren Heim, bei ihren Eltern… Traurig lehnte sie sich an die Wand hinter sich und zog die Knie eng an ihren Körper, um dann ihren Kopf darauf zu betten. Dann kehrte Stille ein, die nur durch ihr leises Schluchzen unterbrochen wurde. Kapitel 103: CIII – Was das Herz verlangt – Part I -------------------------------------------------- Dienstag, 15.September 2015 – Tag der Ehrung der Alten (Feiertag) Etwas weiches berührte ihre Nase, woraufhin sie sich ruckartig umdrehte und die Decke über den Kopf zog. Dann geschah eine Weile nichts, bis sie ein leichtes Gewicht auf sich spürte, welches über sie hinwegstolzierte und plötzlich an ihr herunterrutschte. Gleichzeitig hörte sie ein dumpfes Geräusch neben sich, was sie nun doch dazu veranlasste langsam die Augen zu öffnen. Als erstes erkannte sie nur ihre dünne Decke, durch welche seicht das Tageslicht schien, doch plötzlich tat sich zwischen Matratze und Decke eine kleine Lücke auf. Ein paar weiße Pfötchen waren zu erkennen, welchen dann ein schwarzes Gesicht folgte, dass sie mit großen braunen Augen ansah. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen: „Na Kuro. Möchtest du kuscheln?“ Der kleine Kater legte den Kopf schief und rutschte nun komplett unter die Decke, bevor er Akanes Nase vorsichtig mit seiner kleinen Zunge ableckte. Kichernd erhob sich die Brünette und schob die Decke über sich und der Katze beiseite. Dann nahm sie den schwarzen Kater auf die Arme und drückte ihn vorsichtig an sich, woraufhin er sofort anfing zu schnurren. „Ja, du bist ein ganz verschmuster. Ich weiß“, lachte sie und strich Kuro durchs Fell, der das ausgiebig zu genießen schien und sich in ihren Armen rekelte. Akane beobachtete den Kleinen während der Streicheleinheit mit einem Lächeln, bevor sie mit ihren Gedanken abdriftete und einen ernsten Ausdruck bekam. Gestern hatte sie mit Mirâ über ihre Gefühle in Bezug auf Yasuo geredet und von dieser den Tipp bekommen mit ihm darüber zu sprechen. Dass sie in den Blauhaarigen verliebt war, hatte sie schon lange bemerkt. Richtig bewusst wurde es ihr aber erst, als sie erfahren hatte, dass er am Ende des Schuljahres die Stadt verlassen würde. Traurig senkte sie den Blick, als sie wieder daran denken musste. Sie wusste ja, dass es egoistisch war. Aber sie wollte nicht, dass er ging und sie zurückließ. Auch die Tatsache, dass Aehara ja gar nicht so weit weg war und man sich ja eigentlich regelmäßig treffen könnte, tröstete sie nicht. Sie störte weniger die Entfernung. Vielmehr hatte sie Angst, dass Yasuo sich dann von ihr abwenden könnte… sie vielleicht sogar vergaß. Andererseits wusste er ja nichts von ihren Gefühlen. Wie auch? Sie hatte es ihm bisher nicht gesagt. Mirâ hatte ihr zwar geraten, dass sie das tun solle, aber ihr kamen Zweifel. Ein solches Geständnis konnte sehr viel kaputt machen, wenn die andere Person nicht das gleiche empfand. Abgesehen davon, dass es für sie sehr schmerzhaft werden würde, könnte es auch Unruhe ins Team bringen. Was, wenn wirklich der Fall eintrat und ihr Senpai empfand nicht das gleiche für sie, wie sie für ihn und er würde sich dann von ihr distanzieren? Wie sollten sie dann noch zusammen kämpfen und Mirâ unterstützen? Auf der anderen Seite würde sie nie erfahren, wie er empfand, wenn sie es nicht ansprach. Dabei war dies die größte Frage, die sie aktuell quälte. Wie Yasuo sie sah. Nur als Teamkameradin und Freundin? Oder gar als die junge Frau, die sie ja auch war? Sie sah ihn definitiv mehr als jungen Mann, anstatt als Teamkamerad. Natürlich gehörte er zum Team, doch das war für sie eigentlich erst einmal zweitrangig. Außerdem hatte sie schon eine ganze Weile das Gefühl, dass sie ihn schon länger kannte, als sie dachte. Und das nicht vom Sehen her. Sie wusste nur nicht mehr, wann sie ihm schon einmal begegnet war. Akane schüttelte den Kopf und verwarf diesen Gedanken. Wahrscheinlich verwechselte sie da nur etwas. Es war zwar nicht auszuschließen, dass sie sich schon einmal früher begegnet waren, immerhin war Kagaminomachi keine extrem große Metropole. Trotzdem war die Chance, dass es so war, eher gering. Vielleicht wünschte sie sich das auch einfach nur, nachdem sie am Sonntag mitbekommen hatte, dass der kleine Ryu und Mika sich anscheinend schon einmal begegnet waren, weshalb sie ein schicksalhaftes Band verband. Die Brünette seufzte. Seit wann war sie eigentlich so romantisch veranlagt? Eigentlich interessierte sie so etwas eher weniger. Wieso wünschte sie sich also, dass die Begegnung mit Yasuo Schicksal war? Ein Stupsen an ihrer Nase ließ sie aus ihren negativen Gedanken aufschrecken. Mit großen grünen Augen starrte sie Kuro an, welcher es ihr nachtat, dann den Kopf schief legte und sich dann wieder rekelte. Anscheinend war sie so tief in ihren Gedanken versunken gewesen, dass sie aufgehört hatte ihren kleinen Kater zu streicheln, weshalb er sich bemerkbar machen musste. Ein kleines Kichern entglitt ihr, während sie das schwarze Tier wieder auf ihr Bett setzte. „Das reicht jetzt erstmal, Kuro. Ich weiß, du kuschelst gerne, aber jetzt muss ich mich jetzt anziehen“, stand sie unter dem kritischen Blick des Kleinen auf und ging zu ihrem Kleiderschrank hinüber. Dabei streichelte sie kurz über den Kopf von Shai, die es sich auf einem Kissen in der Mitte des Raumes bequem gemacht hatte. Ihre Wunden waren so gut wie verheilt, doch trotzdem hielt sich die kleine Katze lieber in dem Zimmer der Brünetten auf, als durchs Haus zu streifen. Dabei ließ sie sich auch nicht von den anderen drei Katzen stören, die es liebten alles zu erkunden. Als Akanes Hand ihrem Kopf näherkam, zog sie diesen ein, sodass er nur von ihren Fingerspitzen berührt wurde. Wieder zierte ein kleines Lächeln die Lippen der jungen Frau. Immer noch konnte ihr neustes Findelkind keine Berührungen dieser Art leiden, doch es wurde besser. Vor einigen Wochen konnte sich die Brünette ihr noch nicht einmal richtig nähern. Mittlerweile blieb sie wenigstens schon bei ihr sitzen und schien sich in ihrem Zimmer wohlzufühlen. Mit Schwung öffnete die junge Frau ihren Kleiderschrank und suchte sich ihr Outfit für den Tag zusammen; wie immer etwas Sportliches und Bequemes. Mit typisch mädchenhaften Sachen konnte sie einfach nichts anfangen. Wenn die Klamotten so am Körper klebten fühlte sie sich unwohl. Deshalb brauchte sie immer etwas Weiteres, in dem sie sich gut bewegen konnte. Summend suchte sie alles zusammen und verschwand dann damit aus dem Zimmer, begleitet von den Blicken ihrer zwei Katzen. Eine viertel Stunde später betrat sie die Küche, in welcher ihre Mutter gerade das Frühstück vorbereitete und sie mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßte. Lächelnd grüßte auch Akane ihre Mutter und sah sich dann in der Küche um, konnte ihren Vater aber nirgends finden. Eigentlich frühstückten sie immer alle zusammen und ihr Vater war meistens einer der ersten in der Küche. Immerhin wollte er in Ruhe seine Morgenzeitung lesen. „Wo ist denn Papa?“, fragte sie deshalb geradeheraus. Überrascht sah ihre Mutter kurz über ihre Schulter und wandte sich dann wieder dem Omelett zu, welches sie gerade zubereitete: „Er wollte noch schnell etwas in der Praxis erledigen.“ Verstehend nickte die Jüngere und gesellte sich dann zu der älteren Frau. Überrascht sah diese sie an, ließ ihre Tochter aber gewähren und ihr bei den Vorbereitungen für das Frühstück helfen. „Du Mama, sag mal“, begann Akane plötzlich, woraufhin ihre Mutter sie wieder ansah, „Wie war das eigentlich bei dir und Papa? Als ihr euch kennengelernt habt, meine ich. Wie seid ihr zusammengekommen?“ „Wie kommst du denn jetzt darauf?“, fragte die Ältere überrascht, bekam aber nur ein Schulterzucken als Antwort, bevor sie sich wieder dem Ei vor sich zuwandte, „Ach Gottchen. Das ist schon so lange her… Hm… naja wir haben uns halt während des Studiums kennengelernt und waren irgendwie sofort auf einer Wellenlänge. Manchmal spürt man halt, wenn man zueinander gehört. Aber es hat trotzdem etwas gedauert, bis wir wirklich zueinander gefunden haben. Dazwischen gab es wirklich auch viele Missverständnisse und Streitereien. Aber letzten Endes haben wir uns gefunden.“ Aufmerksam hörte Akane zu. Es klang ähnlich, wie sie in Bezug auf Yasuo fühlte. Auch bei ihm hatte sie das Gefühl in vielen Dingen auf einer Wellenlänge zu sein. Die Frage war halt, ob er auch so empfand. Es brachte ihr nichts, wenn dieses Gefühl einseitig war. „Wie… hast du bemerkt, dass Papa sich für dich interessiert?“, hakte sie leise nach. Irgendwie war es ihr dann doch etwas unangenehm ihre Mutter dazu auszufragen. Aber sie wusste sich nun auch nicht mehr anders zu helfen, um mehr über solche Dinge zu erfahren. Bisher war sie noch nie verliebt gewesen. Sie wusste nicht, wie man damit umging. Angesprochene überlegte kurz und antwortete dann einfach und knapp: „Ich habe ihn drauf angesprochen.“ Überrascht sah Akane die Ältere an: „Einfach so?“ Ein Nicken kam als Antwort: „Einfach so. Anders hätte ich es auch nie erfahren. Dein Vater ist nicht der Typ, der einfach auf eine Frau zugeht und ihr sagt, was er empfindet. Ist ja heute noch so, dass man ihm vieles aus der Nase ziehen muss.“ Ein Kichern entwich ihrer Mutter, während die Jüngere schwieg und dabei nicht bemerkte, wie sie von der Seite beobachtete wurde. Erst das leise Seufzen ihrer Mutter ließ sie wieder zurück ins Hier und Jetzt kommen. Eine Hand legte sich auf ihren Rücken, woraufhin sie zu der Frau neben sich blickte, die sie liebevoll anlächelte. „Es geht um diesen Jungen… Yasuo oder wie er hieß. Hab ich Recht? Du bist in ihn verliebt und weißt aber nicht, wie er empfindet.“ Von einer Sekunde auf die Nächste verwandelte sich Akanes Gesicht in eine überreife Tomate. Es brachte jedoch nichts diese Aussage zu verneinen, weshalb sie den Blick senkte und nickte. Vorsichtig strich ihre Mutter ihr über den Rücken: „Das ist eine schwierige Zeit, Akane. Das weiß ich. Aber lass dir von mir einen Tipp geben: Wenn du wirklich so viel für ihn empfindest, dann sprich mit ihm darüber. Du bereust es am Ende nur, wenn du es nicht machst. Sicher, es kann schmerzhaft sein, damit musst du rechnen. Aber es nicht einmal versucht zu haben ist schmerzhafter. Glaub mir.“ Den Tränen nahe blickte die Oberschülerin in das sanft lächelnde Gesicht ihrer Mutter, die ihr weiter über den Rücken strich. Plötzlich fühlte sie sich erleichterter und wusste nun, was sie zu tun hatte. Auch ihr Gesicht zierte nun ein kleines Lächeln, während sie nickte. Ja, sie würde ihren Mut zusammennehmen und mit ihrem Senpai darüber sprechen. Sie musste es einfach loswerden. Sich von dem Gefühl, dass ihre Brust zusammenschnürte, befreien. Und das so schnell wie möglich. Am frühen Nachmittag stand sie dann vor dem alten Haus, in welchem Yasuo gemeinsam mit seinen Großeltern und seinem Hund lebte. Gleich nach dem Frühstück hatte sie dem jungen Mann eine Nachricht geschrieben und ihn gefragt, ob sie ihn bei seiner nächsten Runde begleiten dürfte. Und wie immer hatte der Blauhaarige es ihr natürlich gestattet. Eigentlich hatte er ihr bisher keine dieser Bitten abgeschlagen, wofür sie ihm wirklich dankbar war, denn sie verbrachte unglaublich gerne Zeit mit ihm. Ein wenig Hoffnung stieg wieder in ihr auf, dass es Yasuo genauso ging. Erschrocken merkte sie, wie ihr Herz wieder begann schneller zu schlagen und legte deshalb vorsichtig ihre Hand auf ihre Brust. „Ganz ruhig…“, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Ein Bellen ließ sie wieder aus ihren Gedanken in die Realität zurückkehren, woraufhin sie ihren Blick auf das rostige Tor warf. Dahinter saß ein beiger Hund; freudig hechelnd und mit dem Schweif wedeln. „Hallo Bejû. Hast du mich schon erwartet?“, fragte die junge Frau lachend und öffnete vorsichtig das Gitter, während der Golden Retriever zur Seite ging, um sie hereinzulassen, „Braver Junge.“ Freudig strich sie dem Hund durch das Fell, der das mehr als genoss; bevor sie zur Haustür ging und die Klingel betätigte. Dabei strich ihr Bejû die ganze Zeit um die Beine und verlangte weitere Streicheleinheiten, weshalb die junge Frau aufpassen musste, dass sie nicht stürzte. Trotzdem entlockte ihr sein Verhalten weitere Lacher. Sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Außerdem erinnerte er sie in dem Moment an ihre Katzen; vor allem an ihren Kuro. Die Tür öffnete sich und kurz darauf sah sie in das leicht verwirrte Gesicht von Yasuos Großmutter, welches jedoch kurz darauf einem Lächeln wich. „Akane-chan. Schön dich zu sehen. Du möchtest sicher zu Yasuo. Er ist für mich noch mal schnell zum Supermarkt gegangen, aber er müsste gleich zurück sein. Komm doch solange rein“, sprach die alte Dame und trat zur Seite. Dankend betrat Akane den schmalen Flur und schlüpfte in die ihr bereitgestellten Schlappen, bevor sie der Frau ins Wohnzimmer folgte und sich auf das Sofa setzte. Den ihr angebotenen Tee lehnte sie freundlich ab, da sie Yasuos Großmutter keine Umstände bereiten wollte. Stattdessen beschäftigte sie sich wieder mit Bejû, welcher ihr gefolgt war und nun seinen Kopf auf ihrem Schoß gebettet hatte. Lachend strich sie ihm über diesen und sah sich dann etwas um. Obwohl sie nun schon öfters hier gewesen war, hatte sie das Wohnzimmer bisher noch nie betreten. Röte stieg in ihr auf, als sie daran dachte, dass sie bei ihrem ersten richtigen Besuch gleich in dem Zimmer des Älteren gelandet war. Ein wenig peinlich war ihr das im Nachhinein schon. Schnell schüttelte sie den Kopf und versuchte sich abzulenken, indem sie sich weiter umsah. Die Einrichtung war schon etwas älter, aber gut gepflegt. Direkt rechts an der Wand, wenn man den Raum betrat, stand die Couchgarnitur, auf welcher die junge Frau nun saß. Diese war mit dunkelrotem Samt bezogen und bestand aus einem kleinen Ecksofa mit sehr hoher Lehne und einem passenden Ohrensessel. Zwischen den Möbeln stand ein alter dunkelbrauner und schwer wirkender Couchtisch. Ihr gegenüber war eine große Fensterfront, die in den Garten führte, welcher sehr gepflegt wirkte. Ganz hinten in der Ecke des Gartens erkannte die junge Frau eine gebeugte Person und ging davon aus, dass es sich dabei um Yasuos Großvater handelte. Sie ließ ihren Blick weiter schweifen. An der Wand zu ihrer Rechten stand ein altes Sideboard, in der gleichen Farbe wie der Tisch, auf dem ein alter Fernseher stand, und zu ihrer Linken stand eine große dunkelbraune Anbauwand, die perfekt zum Rest der Möbel passte. Alles war blitzeblank. Nirgends konnte sie einen Krümel Staub erkennen. Yasuos Großmutter musste wirklich penibel darauf bedacht sein regelmäßig sauber zu machen, damit sich kein Dreck auf den dunklen Möbeln sammeln konnte. Was wohl einiges an Arbeit sein musste, wenn man bedachte, dass ein hellhaariger Hund mit im Haushalt lebte. Sie wusste ja zu gut, wie es war, wenn die eigenen Haustiere ständig haarten. Noch einmal betrachtete sie die Anbauwand und erkannte in einem Fach mehrere Fotos, die ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Vorsichtig erhob sich die junge Frau und ging auf diese zu. Eingängig betrachtete sie die Bilder und blieb dann an einem ganz bestimmten hängen. Darauf zu sehen waren Yasuos Großeltern und ein Mittelschüler mit schwarzem zerzaustem Haar und müde wirkenden braunen Augen. Es war eindeutig, dass es sich dabei um Yasuo handelte. Überrascht blieb ihr Blick an dem Bild hängen; oder viel mehr an der Schuluniform des jungen Mannes. Diese war schlicht und bestand einfach aus einer blau-weiß karierten Hose, einem weißen Hemd und einer dunkelgrauen Strickjacke. Sie kannte diese Uniform ganz genau, denn sie war auf der gleichen Mittelschule. Ein Gefühl kam in ihr auf. Hatte sie deshalb das Gefühl Yasuo bereits länger zu kennen? War sie ihm vielleicht dort einmal begegnet? Eigentlich erinnerte sie sich nicht gerne an ihre Mittelschulzeit; jedenfalls nicht an die Zeit nach ihrem Schulwechsel. Trotzdem weiß sie noch, dass es auch Tage gab an denen sie sogar mit Freuden hingegangen war. Ja genau, da war doch damals dieser Junge… „Da war Yasuo gerade in die Mittelschule gekommen“, holte sie die Stimme von Yasuos Großmutter aus den Gedanken. „E-Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht neugierig sein“, entschuldigte sich die Brünette. Die alte Dame schüttelte nur den Kopf: „Nein. Ist schon in Ordnung.“ „Senpai war auf der Shûkai Junior High?“, fragte die Jüngere nach und bekam als Antwort ein Nicken. „Ja. Er wollte unbedingt auf diese Mittelschule. Dabei hätte er auch…“, begann die Frau neben ihr, doch wurde unterbrochen, als sich die Haustür öffnete und Bejû sofort losstürmte. „Ich bin wieder da“, hörten sie Yasuo rufen, der von seinem Hund begrüßt wurde, „Ist ja gut Bejû. Ich freu mich auch dich zu sehen. Baa-chan?“ Einen Moment später kam der Golden Retriever bereits wieder ins Wohnzimmer geschlichen und kurz darauf blickte auch Yasuo in den Raum. Er schien bereits bemerkt zu haben, dass sie schon da war, denn er bedachte sie mit einem entschuldigenden Blick. „Tut mir leid für die Verspätung, Akane“, entschuldigte er sich. Die Brünette schüttelte den Kopf und versteckte ihre Hände hinter dem Rücken: „Schon okay. Deine Großmutter war so lieb mich reinzulassen.“ „Wollen wir dann gleich los?“, fragte der junge Mann und verließ wieder das Wohnzimmer, „Baa-chan, ich habe die Einkäufe auf den Küchentisch gestellt.“ „Vielen Dank, mein Junge“, folgte ihm die alte Frau. Auch Akane betrat wieder den Flur, während Yasuo sich bereits die Leine für seinen Hund schnappte und ihm diese anlegte. Dabei hatte er einige Schwierigkeiten, da Bejû bereits voller Erwartungen war hinauszugehen und sich endlich richtig frei zu bewegen. Nach mehreren Versuchen hatte es der Blauhaarige jedoch geschafft und sie konnten sich auf den Weg machen. „Wollen wir in den Wald gehen?“, fragte Yasuo noch, während er für Akane die Tür aufhielt und dabei versuchte nicht von seinem Hund mitgezerrt zu werden, welcher bereits vorstürmen wollte. „Ja gerne“, lächelte die Brünette, als sie an ihm vorbeilief, „Kann ich Bejû nehmen?“ „Sicher. Aber pass auf, er ist gerade wieder sehr stürmisch“, reichte ihr der Ältere die Leine des beigen Hundes, bevor sie gemeinsam das Grundstück verließen und sich auf den Weg machten. Schweigend liefen die beiden Oberschüler nebeneinander durch das ruhige Wohnviertel in Mangetsu-kû; dabei immer Bejû im Blick, welcher, an der Leine geführt, vor ihnen herlief und hier und da schnüffelte, um gegebenenfalls eine Markierung zu setzen. So betraten sie nach einigen Minuten den Wald, der westlich an die Stadt grenzte und ein bekanntes Naherholungsgebiet war, dass regelrecht zum Wandern und Spazierengehen einlud. Währenddessen hing Akane ihren Gedanken nach und bemerkte dabei nicht einmal, dass sie von der Seite her beobachtet wurde. Ihr Schweigen, obwohl sie sonst immer etwas zu erzählen hatte, war dem älteren Schüler neben ihr nicht unbemerkt geblieben. Sie war so sehr in ihren Gedanken, dass sie richtig erschrak, als Yasuo sie plötzlich unvermittelt ansprach: „Ist alles in Ordnung, Akane? Du bist so ruhig. Das kennt man gar nicht von dir.“ Vollkommen überrumpelt schnellte ihr Blick, den sie bisweilen gen Boden gerichtet hatte, nach oben, sodass sie dem Älteren nun direkt ins Gesicht sehen konnte. Mit fragenden braunen Augen sah dieser sie an und wartete offensichtlich auf eine Antwort. Die Brünette jedoch wusste nicht so recht wo sie überhaupt anfangen sollte. Zwar hatte sie sich fest vorgenommen mit ihm über ihre Gefühle zu sprechen, aber sie wusste nicht wie. Darüber hatte sie nicht nachgedacht; oder besser hatte sie gerade erst angefangen, bevor der Ältere sie angesprochen hatte. Nun wurde sie aber direkt ins kalte Wasser gestoßen, denn sie musste ihre Worte unbedacht wählen, ohne aufdringlich oder egoistisch zu werden. Aber wie sollte sie das anstellen? Anstatt ihm eine Antwort zu geben senkte sie wieder den Blick und begann damit ihre Hände zu kneten, während ihre grünen Augen in alle möglichen Richtungen schnellten, ohne sich auf einen Punkt fixieren zu können. Erst als plötzlich Yasuos hellblaue Sneaker vor ihr auftauchten, stoppten sie. Auf einmal spürte sie eine warme Hand auf ihrem Hinterkopf, der sie sanft streichelte. „Schon gut. Ich kann dich nicht dazu zwingen, mir zu antworten. Ich akzeptiere, wenn du nicht darüber sprechen möchtest. Aber ich kann dir dann leider auch nicht helfen, wenn dich etwas bedrücken sollte“, erklang Yasuos verständnisvolle Stimme, „Oder bist du irgendwie sauer auf mich?“ Der junge Mann hatte seine Frage noch nicht einmal richtig beendet, da hatte Akane bereits wieder ihren Kopf angehoben; und das so schnell, dass ihr Gegenüber erschrocken einen Schritt zurückweichen musste. Nun jedoch blickten sich die beiden Parteien wieder direkt in die Augen. „Niemals!“, sagte die Jüngere voller Überzeugung, „Ich könnte dir niemals böse sein. Es ist nur…“ In diesem Moment schien sie zu bemerkten, dass sie dem Größeren direkt in die Augen sah und wich seinem Blick wieder aus, während sie erneut ihre Hände knetete und nach den richtigen Worten suchte. Doch egal wie sehr sie nachdachte, sie fand sie nicht. Verzweifelt seufzte sie und sagte plötzlich einfach das, was ihr als erstes in den Sinn kam: „Ich bin ein schlechter Mensch, Senpai. Ich respektiere deinen Traum Medizin zu studieren und verstehe, dass er dir sehr wichtig ist. Und obwohl ich weiß, dass es dir gegenüber unfair ist, habe ich einen vollkommen egoistischen Wunsch: Ich möchte nicht, dass du im Frühjahr die Stadt verlässt. Um ehrlich zu sein habe ich große Angst, dass wir uns dann aus den Augen verlieren und du mich vergisst… ich… ich könnte das nicht ertragen und schon der Gedanke, dass es so kommen könnte schmerzt mich und macht mir Angst. Du bist mir so unglaublich wichtig, Senpai. Ich glaube du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wichtig. Ich…“ Tränen hatten sich in ihren Augen gesammelt, die nun ungehindert ihren Weg gen Boden fanden, während sie wieder mit den Worten rang und dann aussprach, was ihr schon so lange auf der Seele lag: „Ich habe mich in dich verliebt, Senpai. Deshalb… bitte geh nicht weg. Lass mich hier nicht alleine zurück.“ Es war geschehen. Sie hatte es gewagt und Yasuo ihre Liebe gestanden. Doch was würde nun folgen? Würde er ihre Gefühle erwidern oder gar abweisen? Und könnte sie eine Ablehnung überhaupt ertragen? Wäre ihre Beziehung, ihre Freundschaft danach noch die gleiche? So viele Gedanken drehten sich in ihrem Kopf, während sie auf eine Reaktion des Älteren wartete. Doch diese blieb aus. Stattdessen folgte erst einmal nur tiefe Stille. Kapitel 104: CIV – Was das Herz verlangt – Part II -------------------------------------------------- Dienstag, 15.September 2015 – Tag der Ehrung der Alten (Feiertag) Das Geräusch von klapperndem Geschirr drang an seine Ohren und ließ ihn langsam aus seinem ohnehin unruhigen Schlaf erwachen, während ihm der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee in die Nase stieg. Vorsichtig öffnete Yasuo seine Augen und blinzelte kurz, um sich an die plötzliche Helligkeit in seiner Umgebung zu gewöhnen, bevor er sich auf den Rücken legte und seine Zimmerdecke betrachtete. Er war müde, konnte aber nicht mehr schlafen. Schon eine Weile hatte er sich nur noch hin und her gewälzt und war nur immer mal wieder kurzzeitig weggedöst, was allerdings eher dazu führte, dass er sich nun ziemlich gerädert fühlte. Es war wohl keine gute Idee gewesen bis spät in die Nacht noch in medizinischen Büchern zu lesen, wobei er eigentlich kaum etwas davon im Kopf behalten hatte. Eigentlich wusste er gar nicht mehr wirklich, was er überhaupt gelesen hatte. Seine Gedanken waren immer wieder abgeschweift und hatten somit dafür gesorgt, dass er die beschrifteten Seiten zumeist nur angestarrt hatte. Irgendwann hatte er es aufgegeben und sich hingelegt, was seine Gedanken aber nicht davon abhielten sich weiter im Kreis zu drehen, bis er irgendwann eingeschlafen war. Seine Augen schließend murrte er kurz und legte sich seinen Unterarm auf die Stirn, was für einen kurzen Moment einen angenehm kühlenden Effekt hatte, der jedoch schnell wieder verflog. Trotzdem blieb er in dieser Position liegen und starrte wieder an die Decke. Es gab viele Dinge die ihn beschäftigten und das schon länger, doch eine Sache bereitete ihm seit einiger Zeit besonderes Kopfzerbrechen. Zu seiner Überraschung hatte es allerdings nichts mit seiner Familie, der Spiegelwelt oder seinem Wunsch Medizin zu studieren zu tun, sondern viel mehr mit einem Mädchen. Und das erstaunte ihn am meisten, denn bisher hatten ihn solche Dinge nicht wirklich interessiert. Trotzdem machte er sich nun Gedanken darüber, denn Akanes Verhalten machte ihm Sorgen. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht. Die junge Frau versuchte es zu überspielen und schien damit bei den anderen auch Erfolg zu haben, ihm jedoch war aufgefallen, dass ihr etwas auf der Seele zu liegen schien. Es waren Kleinigkeiten, die sich verändert hatten, die ihm aber aufgefallen waren. Wahrscheinlich lag es aber auch einfach daran, dass es ihm vor allem in seiner Gegenwart auffiel. So hatte er das Gefühl, dass die Brünette seinem Blick auswich oder ihm ein nicht so ganz ernst gemeintes Lächeln schenkte. Jedenfalls wirkte es nicht mehr so glücklich wie noch vor einiger Zeit. Es war nicht so, als würde sie Abstand zu ihm nehmen, trotzdem war da plötzlich eine Distanz zwischen ihnen, die ihm Unbehagen bereitete. Ob sie sauer auf ihn war? Hatte er ihr denn eigentlich einen Grund dafür gegeben? Er wusste es nicht. Allgemein hatte er bisher nicht so viel Erfahrungen mit zwischenmenschlichen Beziehungen, immerhin war er bisher immer gut damit gelaufen, alleine zu sein. Nie im Leben hätte er sich träumen lassen mal zu einer Gruppe zu gehören und richtige Freunde zu haben. Deshalb wusste er auch nicht, ob er etwas gesagt oder getan hatte, was er lieber nicht hätte sagen oder tun sollen. Er seufzte und setzte sich auf. Es brachte wahrscheinlich nichts sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die einfachste Methode wäre es wohl die Brünette direkt drauf anzusprechen. Doch ob sie ihm erzählte, was sie bedrückte stand auf einem anderen Blatt Papier. Trotzdem blieb ihm keine andere Wahl, wenn er erfahren wollte, was eigentlich los was. Mit Schwung schob er seine Bettdecke beiseite und erhob sich aus seinem Bett, bevor er sich für den Tag fertigmachte. „Ohayou“, grüßte er kurze Zeit später gähnend seine Großmutter, als er die kleine Küche betrat. Lächelnd drehte sich die alte Frau zu ihm um: „Guten Morgen, mein Junge. Du bist heute aber zeitig wach.“ „Hm… ich konnte nicht mehr schlafen“, trat er, sich den Nacken reibend, an die Arbeitsfläche heran, um festzustellen, dass die ältere Dame gerade dabei war Miso Suppe für das Frühstück zuzubereiten. Schweigend wandte er sich wieder ab, um auf einen der Schränke zuzugehen und Geschirr herauszunehmen, dass er dann auf dem Tisch verteilte. Dabei bemerkte er nicht, dass er mit einem kleinen Lächeln von seiner Großmutter beobachtet wurde, die sich jedoch dann wieder der Zubereitung des Frühstücks zuwandte. „Was ist eigentlich mit Akane-chan?“, fragte sie jedoch plötzlich, „Sie war jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr hier. Habt ihr euch gestritten?“ Sie brauchte nicht einmal zu ihm schauen, um zu bemerken, dass diese Frage ihren Enkel aus dem Konzept brachte. Jedoch nur für einen Moment, denn kurz darauf machte Yasuo unbeirrt weiter und legte behutsam die Essstäbchen an ihren Platz. So richtig wusste er nicht, was er darauf antworten sollte. Natürlich hatten sie nicht gestritten, aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass sie in den letzten Tagen weniger Kontakt hatten. Und dass, obwohl Akane eigentlich immer gerne mit ihm und Bejû spazieren gegangen war. Es war also kein Wunder, dass seiner Großmutter auffiel, dass offensichtlich etwas nicht stimmte. Natürlich waren sie die letzten Tage auch damit beschäftigt gewesen durch Ryus Dungeon zu wandern, doch das alleine war mit Sicherheit nicht der Grund, wieso sie sich derzeit nicht privat trafen. Andererseits hatte er die Brünette auch nie von sich aus gefragt, ob sie Lust hatte ihn zu begleiten. Ob das vielleicht der Fehler war? Hätte er ihr vielleicht mehr das Gefühl geben sollen willkommen zu sein? Wieder hatte er in seiner Bewegung gestoppt und fixierte nun einen Punkt auf dem Tisch, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. „Yasuo?“, ließ ihn die Stimme seiner Großmutter wieder aufschrecken, „Alles in Ordnung?“ „Hu? J-ja alles in Ordnung“, antwortete der Blauhaarige, „Gestritten haben wir uns nicht, aber ich weiß auch nicht, ob ich sie vielleicht verärgert habe. Ich habe von sowas nicht wirklich viel Ahnung…“ Ein kleines Lächeln legte sich auf das Gesicht der alten Dame, während sie ihren Enkel beobachtete: „Wenn dich das so sehr beschäftigt, mein Junge, dann solltest du mit Akane-chan darüber sprechen. Alles lässt sich klären, wenn man es nur anspricht.“ Der junge Mann nickte, doch bevor er etwas erwidern konnte, hörte er bereits wie die Haustür aufgeschlossen wurde und kurz darauf sein Großvater fluchend den Flur betrat. Einen Moment später huschte etwas um Yasuos Beine herum, woraufhin er erschrocken nach unten sah und auf Bejû blickte, der ihn mit großen Augen und herausgestreckter Zunge hechelnd anschaute. Lächelnd grüßte er seinen geliebten Hund und strich ihm über den Kopf, was dieser mit einem freudigen Bellen erwiderte. Noch einmal überdachte er das Gespräch mit seiner Großmutter und befand, dass sie wohl recht hatte. Nach dem Frühstück würde er Akane anschreiben und sie fragen, ob sie wieder mit ihm und Bejû spazieren gehen möchte. Und wenn es passte, dann würde er die junge Frau auf ihr Verhalten ansprechen und sie fragen, ob ihr etwas auf der Seele lag. Nach dem Mittagessen hatte es sich der junge Mann auf seinem Bett bequem gemacht und versuchte seine Zeit mit etwas Sinnvollem zu vertreiben. Er hatte sich eines seiner Vorbereitungsbücher für die Uni geschnappt und versuchte die darin befindlichen Aufgaben zu lesen, doch wieder einmal konnte er sich nicht darauf konzentrieren. Ständig wanderte sein Blick von den Seiten des Buches zu seinem digitalen Wecker, dessen rote Ziffern nur schleichend voranschritten. Er seufzte und klappte das Druckwerk in seiner Hand zu, bevor er seinen Kopf an die Wand hinter sich lehnte und kurz die Augen schloss. Irgendwie hatte er das Gefühl, als würde er sich wie ein kleines Kind kurz vor Weihnachten verhalten, das nur darauf wartete endlich seine Geschenke zu bekommen. Es war ewig her, dass er so ungeduldig auf etwas gewartet hatte, dass die Zeit bis dahin einfach nicht verging. Er öffnete seine Augen, blieb aber in der Position sitzen und betrachtete die Decke seines Zimmers. Noch bevor er die Chance hatte Akane am Morgen zu schreiben hatte diese ihn bereits angeschrieben und ihn gefragt, ob sie ihn auf der Nachmittagsrunde begleiten dürfte. Erleichtert über ihren Kontakt zu ihm hatte er sofort geantwortet und sich mit ihr für den frühen Nachmittag hier verabredet. Doch nun warf er ständig einen Blick auf die Uhr, während die Zeit stillzustehen schien. Seine plötzliche Ungeduld wunderte ihn selbst mittlerweile, aber er konnte nicht leugnen, dass er sich auf das Treffen mit Akane freute. Um genauer zu sein hatte er sich bisher über jedes Treffen mit der Jüngeren gefreut. Er mochte ihre Gesellschaft und empfand diese immer als sehr angenehm und beruhigend, obwohl es selten wirklich still war, wenn die Brünette um ihn war. Doch das störte ihn nicht. Viel mehr fühlte er sich mittlerweile etwas einsam, wenn sie nicht da war. Endlich nahm der Blauhaarige den Blick von der Decke, welche er eh nur beiläufig fixiert hatte, und seufzte erneut, bevor er sich erhob und den Gegenstand in seiner Hand auf den Schreibtisch legte. Irgendwie musste er sich ablenken und die Zeit vertreiben. Die Frage war nur, wie? Noch einmal seufzend wandte er sich ab und verließ das Zimmer, um hinunter zu seinen Großeltern zu gehen; vielleicht hatten diese ja eine Aufgabe für ihn. Eine halbe Stunde später war Yasuo eiligen Schrittes auf dem Weg nach Hause, dabei ziemlich missmutig drauf, da er bereits spät dran war. Gerade als er ins untere Stockwerk zu seinen Großeltern getreten war, kam ihm bereits seine Großmutter mit einem Zettel in der Hand entgegen und bat ihn noch einmal schnell in den Konbini um die Ecke zu gehen. Ohne weiter darüber nachzudenken hatte er zugestimmt und sich auf den Weg gemacht, nur um sich wenige Minuten auch schon zu ärgern, als er vor einem überfüllten Supermarkt stand. Ihm kam es so vor, als habe der Markt Ausverkauf; so sehr drängten sich die Menschen durch die schmalen Gänge. Schnell hatte er sich mit Mühe und Not durch die Massen gedrängt und alles zusammengesucht, was auf dem Zettel seiner Großmutter stand. Er konnte nicht verhindern, dass er etwas wütend darüber wurde, dass der alten Dame ausgerechnet in diesem Moment einfiel, dass sie noch etwas brauchte. Natürlich blieb diese Wut nicht lange, immerhin wusste er, dass sie es nicht mit Absicht machte. Trotzdem hätte er sich diese Aktion gerne erspart, zumal er dann auch noch ewig an der Kasse anstehen musste, da die Kassierer vollkommen überfordert waren. Umso mehr hatte er sich beeilt danach aus dem Chaos zu entkommen und nach Hause zu laufen. Doch auch das war vergebene Liebesmühe, denn trotz allem kam er eine gute viertel Stunde nach der vereinbarten Zeit wieder zu Hause an und hoffte, dass Akane es ihm nachsehen würde. Er betrat den kleinen Vorgarten und sah sich überrascht nach seinem Hund um, welcher aber nirgends zu sehen war. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Akane wohl schon da war, denn Bejû klebte ihr förmlich am Rockzipfel. Es war kaum zu verkennen, dass der beige Hund jede Gelegenheit nutzte, um um die Brünette herumzuscharwenzeln. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er an die unzähligen Situationen dachte, in denen Bejû die Nähe von Akane gesucht hatte. Dabei fischte er seinen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete damit die Haustür. „Ich bin wieder da“, er hatte noch nicht einmal richtig den Flur betreten, da musste er bereits aufpassen wo er hintrat. Denn schneller als er gucken konnte war plötzlich Bejû aus dem Wohnzimmer gestürmt und auf ihn zu gerannt, nur um dann um seine Beine zu scharwenzeln. Er schlüpfte aus seinen Schuhen und strich dem beigen Tier über den Kopf: „Ist ja gut Bejû. Ich freue mich auch dich zu sehen. Baa-chan?“ Nur mit Mühe schaffte es der junge Mann die Einkaufstüten in die Küche zu bringen und auf den Tisch zu stellen, ohne gleich von dem Golden Retriever umgeschmissen zu werden, bevor er hinüber ins Wohnzimmer ging, wo er Akane und seine Großmutter vorfand. Gemeinsam standen die beiden Frauen vor der großen Anbauwand und richteten nun ihre Blicke auf ihn. Diesen erwiderte der junge Mann mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck, während er sich bei seiner Teamkameradin entschuldigte: „Tut mir leid für die Verspätung, Akane.“ Angesprochene setzte ein Lächeln auf und schüttelte den Kopf, während sie die Arme hinter dem Rücken versteckte: „Schon okay. Deine Großmutter war so lieb mich reinzulassen.“ „Wollen wir dann gleich los?“, fragte Yasuo und verließ wieder das Wohnzimmer, um sich im Flur Bejûs Leine zu schnappen, „Baa-chan, ich habe die Einkäufe auf den Küchentisch gestellt.“ „Vielen Dank, mein Junge“, trat auch die alte Frau, gefolgt von Akane den Raum. Unterdessen versuchte er Bejû irgendwie die Leine anzulegen, was sich als schwieriger herausstellte, als gedacht. Dieser war so freudig erregt, dass er die ganze Zeit hin und her scharwenzelte, sodass es schwierig war die Leine am vorgesehenen Ring seines Halsbandes festzumachen. Er brauchte einige Versuche, bis er es endlich schaffte die Leine zu befestigen und musste danach aufpassen nicht sofort von seinem Hund mitgezerrt zu werden, welcher bereits Richtung Haustür stürmte. Mit Mühe öffnete Yasuo die Haustür und fragte seine weibliche Begleitung beiläufig, ob sie in den Wald gehen wollten. Lächelnd ging die junge Frau ihm zustimmend an ihm vorbei und fragte, ob sie Bejû nehmen dürfe. Bei dessen stürmischen Verhalten zu diesem Zeitpunkt hätte der junge Mann am liebsten abgelehnt. Andererseits war Akane den Umgang mit dem Golden Retriever gewöhnt, weshalb er der jungen Frau die Leine übergab, aber nicht ohne sie noch einmal zu warnen, dass sie vorsichtig sein sollte. So machten sich die beiden auf den Weg und erreichten wenige Minuten später den Wald, der westlich an die Stadt angrenzte und ein bekanntes Naherholungsgebiet für die Einwohner war, in dem es sich gut wandern und spazieren ließ. Auch Yasuo ging hier gerne mit seinem Hund her und genoss die Ruhe, die der Ort ausstrahlte. Sie hatten den Wald noch nicht einmal richtig betreten, da hatte er dem Golden Retriever auch schon die Leine abgenommen, woraufhin dieser vorstürmte und kurz darauf im Gestrüpp verschwunden war. Zurück blieben die beiden Oberschüler, zwischen denen bereits seit Verlassen des Hauses Stille eingekehrt war. Yasuo war das Schweigen der Brünetten nicht gewohnt, denn eigentlich hatte diese immer irgendetwas zu erzählen. Doch nun schwieg sie sich wieder aus und wirkte so, als sei sie tief in ihren Gedanken versunken. Besorgt beobachtete er sie von der Seite und überlegte, wie er sie am besten darauf ansprechen sollte. Er wollte nicht, dass sie sich von ihm bedrängt fühlte. Immerhin gab es immer etwas, über das man nicht sprechen wollte. Da brachte es auch nichts jemanden zu zwingen. Da ihm allerdings keine andere Idee kam, als sie einfach direkt drauf anzusprechen entschied er sich für diese Methode. „Alles in Ordnung Akane? Du bist so ruhig. Das kennt man gar nicht von dir“, sagte er vorsichtig, was zur Folge hatte, dass ihr Blick nach oben schnellte, welchen sie bisher gen Boden gerichtet hatte. Vollkommen überrumpelt sah die Brünette ihn an und schien einen Moment zu brauchen, um zu registrieren, was er ihr gesagt hatte. Plötzlich sah sie wieder nach unten und begann ihre Hände zu kneten, während sie offensichtlich darüber nachdachte, was sie sagen sollte. Schweigen breitete sich erneut aus, während der Blauhaarige die Jüngere einige Minuten beobachtete. Dann jedoch seufzte er leise und trat direkt auf sie zu. Ihn überkam ein schlechtes Gewissen, denn offensichtlich wollte Akane nicht darüber sprechen. Sie nun auf diese Weise mehr oder weniger in die Enge zu treiben, um ihr zu entlocken was los war, war wohl der falsche Weg gewesen. Vorsichtig legte er seine Hand auf ihren Hinterkopf und strich ihr dann darüber, so als würde er ein kleines Kind trösten wollen: „Schon gut. Ich kann dich nicht dazu zwingen, mir zu antworten. Ich akzeptiere, wenn du nicht darüber sprechen möchtest. Aber ich kann dir dann leider auch nicht helfen, wenn dich etwas bedrücken sollte.“ Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er den Kopf etwas schief legte: „Oder bist du irgendwie sauer auf mich?“ Wieder schnellte der Blick der Brünetten nach oben; dieses Mal so abrupt, dass er erschrocken einen Schritt zurücksetzen musste. Ihre Blicke trafen sich erneut und er sah in die grünen Augen der jungen Frau, welche plötzlich absolut entschlossen wirkten, jedoch auch mit einem Hauch von Traurigkeit besetzt waren. „Niemals!“, sagte sie voller Überzeugung, „Ich könnte dir niemals böse sein. Es ist nur…“ Sie unterbrach den Augenkontakt und knetete erneut ihre Hände, während sie zu überlegen schien, was sie sagen sollte. Wieder überkam ihn das schlechte Gewissen. Eigentlich hatte er ihr die Last von den Schultern nehmen wollen, doch anscheinend hatte er es nur noch schlimmer gemacht. Etwas überfordert mit der Situation wusste er nicht so wirklich, wie er am besten reagieren sollte. Plötzlich seufzte Akane jedoch verzweifelt. „Ich bin ein schlechter Mensch, Senpai“, sagte sie plötzlich, „Ich respektiere deinen Traum Medizin zu studieren und verstehe, dass er dir sehr wichtig ist. Und obwohl ich weiß, dass es dir gegenüber unfair ist, habe ich einen vollkommen egoistischen Wunsch: Ich möchte nicht, dass du im Frühjahr die Stadt verlässt. Um ehrlich zu sein habe ich große Angst, dass wir uns dann aus den Augen verlieren und du mich vergisst… ich… ich könnte das nicht ertragen und schon der Gedanke, dass es so kommen könnte schmerzt mich und macht mir Angst. Du bist mir so unglaublich wichtig, Senpai. Ich glaube du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wichtig. Ich…“ Während sie sprach hatten sich Tränen in ihren Augenwinkeln gesammelt, die ihr nun ungehindert über ihr Gesicht liefen. Unter Schluchzen schüttete sie ihm ihr Herz aus und erzählte ihm, was ihr schon so lange auf der Seele brannte. Jedoch hätte er niemals mit den Worten gerechnet, die daraufhin folgten und ihn vollkommen aus dem Konzept brachten: „Ich habe mich in dich verliebt, Senpai. Deshalb… bitte geh nicht weg. Lass mich hier nicht alleine zurück.“ Überrascht sah Yasuo die junge Frau vor sich an, welche ihm gerade ein Geständnis gemacht hatte und spürte dabei, wie ihm die Schamesröte ganz langsam ins Gesicht stieg. Mit dieser Situation war er vollkommen überfordert und wusste nicht so recht, was er nun machen sollte. Sicher, es war nicht das erste Mal, dass ihm jemand seine Liebe gestand, jedoch hatten ihn diese Mädchen nie wirklich interessiert, zumal er sie auch gar nicht kannte. Deshalb hatte er deren Geständnisse auch nie wirklich für bare Münze genommen; was ihm dann auch keine Probleme bereitete ihnen einen Korb zu geben. Doch hier war es anders. Er kannte Akane und mochte sie, sehr sogar. Das war ihm in den letzten Wochen klar geworden. Trotzdem kam diese Situation überraschend, zumal die junge Frau ihn sogar bat für sie seinen Traum aufzugeben, auch wenn er wusste, dass dieser Punkt wohl nicht ganz so ernst gemeint war. Gemischte Gefühle stiegen in ihm auf. Zum einen war er plötzlich total aufgeregt und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Zum anderen jedoch fühlte er sich auf einmal vollkommen erleichtert. Ein riesiger Stein fiel ihm mit einem Mal vom Herzen. Es brauchte auch keine weiteren Überlegungen darüber, wieso das so war. Ein überraschend breites Lächeln legte sich auf seine Lippen, als ihm der Grund für diese offensichtliche Erleichterung in den Sinn kam. Doch noch bevor er überhaupt reagieren und auf Akane zugehen konnte, stolperte diese plötzlich erschrocken nach vorn. Reflexartig reagierte der Ältere und fing die Brünette gekonnt auf, bevor er einen irritierten Blick hinter diese warf, wo Bejû stand und ihn freudig hechelnd anschaute. Offensichtlich hatte sich der Golden Retriever aus dem Dickicht angeschlichen und der Oberschülerin einen gekonnten Stoß verpasst, sodass ihr nichts anders übrigblieb, als direkt in seinen Armen zu landen. Erschrocken und mit hochrotem Gesicht entschuldigte sie sich bei ihrem Senpai und wollte dann zurückweichen. Yasuo allerdings hinderte sie daran, indem er sie reflexartig an sich drückte. „S-Senpai?“, kam es nach einiger Zeit etwas verunsichert von der Brünetten, woraufhin auch der Ältere nun zu bemerken schien, in welcher Position sie sich befanden. Schnell ließ er plötzlich von ihr ab und wandte etwas verlegen den Blick ab: „Du bist wirklich ein sehr impulsiver Mensch, Akane. Aber genau das mag ich an dir.“ „Eh?“, bekam die Brünette nur erstickt heraus. Der Blauhaarige legte sich die Hand vor den Mund, um so die Röte in seinem Gesicht zu verstecken, was ihm allerdings nur bedingt gelang, bevor er weitersprach: „Es tut mir leid, dass ich dir mit meinem Wunsch Medizin zu studieren so viel Kummer bereite. Leider habe ich keine andere Möglichkeit, als außerhalb von Kagaminomachi zu studieren. Wie ich dir schon sagte, ist die Diamond Academy keine Option für mich. Aber sollte ich an der Aehara angenommen werden, dann bin ich ja nicht aus der Welt. Ich wäre also auch ganz schnell wieder hier. Und du kannst mich auch gerne jederzeit dort besuchen kommen…“ „W-wirklich?“, kam eine erstickte Frage. Yasuo nickte leicht: „Ja sicher. Wir werden uns nicht aus den Augen verlieren und ich werde dich ganz sicher auch nicht vergessen. Das könnte ich auch gar nicht…“ Langsam schien sich der Oberschüler wieder zu fangen, weshalb er sich der Jüngeren erneut zuwandte und ihr leicht verunsichert direkt ins Gesicht blickte. Große, vom Weinen glasige, grüne Augen trafen auf die seinen und blickten ihn überrascht und zugleich erwartungsvoll an. „Auch du bist mir sehr wichtig geworden, Akane“, sprach er ruhig aus, was er in diesem Moment empfand, während er sanft nach ihrer Hand griff, „Und ich bin wirklich erleichtert, dass du genauso fühlst…“ Erschrocken wich sein Gegenüber ein kleines Stück zurück und sah ihn mit großen Augen an, welche sich wieder mit Tränen füllten. Nur eine Sekunde später liefen ihr diese in dicken Tropfen über die Wangen. Für die junge Frau gab es nun kein Halten mehr. Bitterlich weinend fiel sie dem älteren Schüler wieder in die Arme und drückte sie sich an ihn, welcher sie sanft im Arm hielt und ihr über den Rücken strich. Nie im Leben hatte er damit gerechnet sobald jemanden zu finden, der ihm so viel bedeutete wie es Akane tat. Für Mädchen hatte er sich nie wirklich interessiert. Viel mehr hatten sie ihn mit ihrer Art genervt. Die Brünette jedoch war von Beginn an eine Ausnahme gewesen. Schnell hatte er bemerkt, wie er ihre Gesellschaft mehr und mehr genoss und sich regelrecht auf das nächste Treffen freute. Als ihm bewusstwurde, dass ihm die junge Frau so wichtig geworden war, hatte sich aber auch ganz langsam die Sorge eingeschlichen, dass sie diese Gefühle nicht erwidern könnte. Umso erleichterter war er nun, da sie sich beide ausgesprochen hatten. Sein Lächeln wurde noch breiter; so breit wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Und das aus gutem Grund, denn er fühlte sich auch so glücklich wie schon lange nicht mehr. Das alles hatte er nur diesem einen Mädchen zu verdanken, dass ihn in der Spiegelwelt auf ihre ganz besondere Art wieder zur Vernunft gebracht und ihm damit sein Leben gerettet hatte. Kapitel 105: CV – Aufgedrängte Wahrheit --------------------------------------- Mittwoch, 16.September 2015 „Guten Morgen, Mirâ-senpai“, ließ sie eine männliche Stimme erschrocken herumwirbeln. Einen Moment zuvor hatte sie nichts Böses ahnend das Schulgelände betreten und wollte sich auf den Weg zum Eingang des Gebäudes machen, als sie plötzlich unverhofft von der Seite angesprochen wurde. Mit großen roten Augen starrte sie anschließend auf Ryu, welcher sie, an einen Baum gelehnt, mit gehobener Hand begrüßte. Mit leichtem Schwung stieß er sich von dem Stamm ab und kam dann auf die Ältere zugelaufen. Ihre Hand auf die linke Brust gelegt, unter welcher sie ganz deutlich ihr aufgeregtes Herz schlagen fühlte, atmete sie erst einmal kurz durch, um sich wieder zu beruhigen. So früh am Morgen war sie für solche Aktionen eigentlich noch nicht zu haben. In dem Moment, als er sie so unvermittelt angesprochen hatte, dachte sie ernsthaft ihr Herz würde stehenbleiben. Trotzdem konnte sie dem jüngeren Schüler nicht böse sein, immerhin hatte er sie mit Sicherheit nicht mit Absicht erschrecken wollen. Noch einmal atmete sie tief durch und spürte ganz deutlich, wie sich auch ihr Herzschlag wieder beruhigte: „Guten Morgen, Ryu-kun. Bitte mach sowas nie wieder. Ich dachte ernsthaft mein Herz bleibt stehen.“ „Tut mir leid“, kam eine Entschuldigung, welche Mirâ jedoch mit einem Kopfschütteln abtat. Stattdessen wandte sie sich wieder an den jüngeren Schüler: „Ich bin erstaunt, dass du jetzt schon wieder in die Schule kommst. Immerhin ist es noch nicht so lange her, dass…“ „Wie ich dir letztens schon erklärte, ist alles besser, als zu Hause herumzusitzen, wo es nur Ärger gibt. Außerdem geht es mir wirklich gut“, unterbrach der Jüngere sie mit einem breiten Grinsen. „Na gut. Wenn du das sagst“, meinte die Violetthaarige und kam dann wieder zum Thema, „Wolltest du etwas von mir?“ Für einen Moment wirkte Ryu etwas irritiert, bis ihm selber wieder einfiel, wieso er seine Senpai überhaupt angesprochen hatte: „Ach ja. Ich möchte mit dir und den anderen in der Mittagspause sprechen, wenn das möglich ist.“ Verstehend nickte die Ältere: „Ähm ja sicher. Ich versuche alle zusammenzutrommeln. Wenn es nicht regnet sollten wir uns auf dem Dach treffen.“ „Klingt gut“, stimmte der Brünette zu und schien dann etwas zu bemerken, weshalb er sich plötzlich abwandte, „Ich muss dann erstmal. Also dann bis nachher.“ Damit hatte sich der jüngere Schüler umgedreht und war in Richtung der Eingangshalle der Schule verschwunden. Mirâ sah ihm kurz nach und hatte plötzlich für einen Moment das Gefühl wieder in der Spiegelwelt vor dem Eingang des Dungeons zu stehen. Erschrocken wich sie zurück und schloss schnell die Augen, um dann den Kopf zu schütteln. Als sie ihre Augen kurz daraufhin wieder öffnete war alles wieder wie vorher. Was war das gerade eben? Wurde sie langsam verrückt oder war sie einfach nur immer noch müde? Bevor sie sich jedoch weiter Gedanken darüber machen konnte wurde sie plötzlich von hinten angesprungen: „Ohayou, liebste Mirâ!“ Erschrocken drehte sie sich um und blickte dann in das überglücklich wirkende Gesicht ihrer besten Freundin: „Guten Morgen, Akane. Du wirkst so fröhlich. Ist etwas Schönes passiert?“ Die grünen Augen der Brünetten begannen zu strahlen: „Oh ja. Komm ich erzähl dir alles.“ Rasch hakte sich die junge Frau bei ihr unter und zog sie dann sanft, aber bestimmt mit sich zum Schulgebäude, während sie ihr erzählte, was am Vortag bei ihr tolles passiert war. Freudig hörte Mirâ ihr zu und hatte dadurch das Ereignis von vor wenigen Minuten auch bereits wieder vergessen. In der Mittagspause hatten sich die Teammitglieder wie besprochen auf dem Dach versammelt und sich dabei in einem großen Kreis auf den Boden gesetzt; ihre Lunchpakete vor sich ausgebreitet. Auch Ryu war wie versprochen aufgetaucht und hatte sich zu ihnen gesellt. Sein Gesicht zierten erneut einige Pflaster, die, wie Mirâ wusste, am Morgen noch nicht da waren. Doch noch ehe irgendjemand auf die Idee kam, den jungen Mann darauf anzusprechen, hatte dieser sich bereits an die Gruppe gewandt. „Ich denke ihr wisst bereits, wieso ich mit euch sprechen wollte. Oder könnt es euch wenigstens vorstellen“, begann er und blickte dann nacheinander in die Gesichter der anderen, bevor er sich plötzlich verbeugte, „In erster Linie möchte ich euch dafür danken, dass ihr mich aus diesem merkwürdigen Gefängnis befreit habt. Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich euch solche Umstände bereitet habe.“ „Das hast du wirklich“, murrte Kuraiko leicht angesäuert, „Vor allem eine Person hatte extreme Probleme mit deinem Dungeon.“ Ihr Blick ging zu Akane hinüber, welche sofort zusammenzuckte und mit hochrotem Kopf wegschaute, während sie murmelte, dass sie mit „so etwas“ einfach nicht klarkam. Etwas irritiert legte der Brünette den Kopf schief, da er nicht genau wusste, was die Schwarzhaarige damit eigentlich meinte. Er selbst wollte sich eigentlich für sein Verhalten während des Kampfes entschuldigen, als sie ihn unter seinem Shadow hervorgeholt hatten; immerhin hatte er sich da wirklich schrecklich benommen. Ein Zupfen an seinem linken Ärmel ließ ihn neben sich auf Megumi schauen, welche ihre Hand hob und ihm zuflüsterte, was eigentlich Sache war: „Dein Dungeon erinnerte wirklich stark an ein Spukhaus. Und Akane-senpai kann sowas wohl nicht wirklich leiden. Außerdem ist sie in einige der Fallen getappt, die dort versteckt waren.“ Verstehend nickte der Brünette und blickte wieder zu Akane, die mittlerweile eine Diskussion mit Kuraiko begonnen hatte, in welcher es darum ging, was an Horrorgeschichten eigentlich so gruselig war; oder eben auch nicht. Die Ansichten der beiden waren in dieser Beziehung so unterschiedlich wie Tag und Nacht, weshalb sie natürlich auch auf keinen gemeinsamen Nenner kamen. Bevor diese Diskussion jedoch noch weiter ausartete unterbrach Ryu sie, indem er Akane direkt ansprach: „Chiyo-senpai. Entschuldige, wenn mein Dungeon dir solche Probleme bereitet hatte.“ Vollkommen überrumpelt blickten Kuraiko und Akane ihren Kohai an und beendeten damit ihre Diskussion, bevor die Brünette sich irgendwie versuchte herauszureden und meinte, dass es schon okay sei. Natürlich wusste der Jüngere, dass nichts okay war, trotzdem beließ er es erst einmal dabei. „Es erstaunt mich, wie höflich du auf einmal bist“, sagte plötzlich Hiroshi und sah den jüngeren mit einem strengen Blick an. Ryu wiederum wandte den seinen daraufhin ab und entschuldigte sich erneut kleinlaut, woraufhin der Blonde jedoch nur seufzte. „Was solls…“, meinte er, „Du wolltest dich sicher nicht mit uns treffen, nur um dich die ganze Zeit zu entschuldigen. Oder?“ „Nein, natürlich nicht“, meinte Ryu und sah dann entschlossen in die Runde, „Ich möchte mich euch gerne anschließen und herausfinden, was mich in diese merkwürdige Welt gezogen hat. Ich erinnere mich nur noch an einen dunklen Schatten, aber dann ist alles weg. Bis zu dem Zeitpunkt als ihr mich aus diesem Loch geholt habt. Was genau dazwischen passiert ist, weiß ich nicht. Es ist wie ein Blackout. Außerdem… möchte ich Mika-chan dort rausholen.“ „Das ist auch unser Ziel…“, meinte Masaru ruhig und richtete seinen Blick auf Mirâ, „Also spricht wohl nichts dagegen. Zumal wir Unterstützung gut gebrauchen können.“ Die Violetthaarige nickte und schaute dann zu Megumi: „Und was ist mit dir, Megumi-chan? Möchtest du uns weiter begleiten oder sollte es das gewesen sein?“ Die Kleine sah ihre Senpai mit großen Augen an und blickte dann einmal in die Runde, bevor sie die Augen schloss und kurz darüber nachdachte. Wenn sie ehrlich war, machte ihr diese Welt wirklich Angst. Andererseits fand sie sie aber auch sehr interessant und auch sie wollte herausfinden, wieso sie in diese Welt geschleppt wurde. Es musste immerhin einen Grund für all das geben und sie wollte unter allen Umständen herausfinden welcher das war. Ihr Entschluss stand also eigentlich schon eine ganze Weile fest, weshalb sie entschlossen zu Mirâ blickte und dann nickte. „Ich werde euch weiter begleiten und als Navigator unterstützen“, sprach sie anschließend, „Auch ich möchte die Ursache für all das erfahren. Lasst uns das Rätsel gemeinsam lösen.“ Mirâ erwiderte den Blick der Jüngeren und sah dann zu ihren Freunden, auf deren Gesichtern sich jeweils ein Lächeln abzeichnete; selbst auf dem von Kuraiko. Sie war sich sicher gemeinsam würden sie es schaffen die Geheimnisse dieser merkwürdigen Welt lösen zu können. Mit einem Lächeln wandte sie sich an die beiden neuen Teammitglieder: „Dann heißen wir euch herzlich in unserem Team willkommen. Vielen Dank für eure Unterstützung.“ Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrem Inneren aus, was ihr verriet, dass einer ihrer Social Links sich wieder gefüllt hatte. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ die Gruppe jedoch kurz darauf aufschrecken und zu dieser blicken, wo ihnen drei Jungs auffielen, die auf sie zukamen. „Hey Arabai! Wo bleibst du kleine Kröte? Und wo bleib unser Mittagessen?“, riefen sie nach dem Brünetten und wirkten dabei alles andere als amüsiert, während sie auf die Gruppe zukamen und ihn dabei entdeckten, „Da bist du ja, du kleiner Scheißer! Was soll der Mist?“ Erschrocken war Gemeinter zusammengezuckt und hatte seine Hände, die er auf seinen Knien abgelegt hatte, zu Fäusten geballt, während er hörbar mit den Zähnen knirschte. Er hatte gehoffte, dass diese Kerle ihn für heute in Ruhe ließen. Immerhin war er gleich zum Klingeln der Schulglocke fluchtartig aus dem Klassenraum verschwunden. Er wollte damit verhindern, dass ihn diese Idioten aufhielten aufs Dach zu gehen, denn sonst hätte er die Verabredung verpasst. Außerdem wollte er ihnen somit aus dem Weg gehen. Er musste einfach versuchen sich von ihnen zu lösen. Ursprünglich hatte er sich ihnen nur angeschlossen, um nicht zu den Außenseitern zu zählen, was aber dazu geführt hatte, dass er für sie der Laufbursche wurde. Das wollte er nicht mehr. Er wollte einfach kein Opfer mehr sein, doch er traute sich nicht, ihnen das direkt zu sagen. Jedenfalls nicht mehr nach der Aktion am Morgen, als sie ihn mal wieder eine Tracht Prügel verpasst hatten. Aber wie sollte er sich sonst von ihnen lossagen? So stark, um sich körperlich zu wehren, war er nicht. Und es ärgerte ihn, dass ihn diese Idioten so schnell gefunden hatten. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie länger brauchen würden, was sich jedoch nun als Trugschluss herausgestellt hatte. Was sollte er nun machen? Eine Bewegung rechts neben ihm ließ ihn jedoch plötzlich aufschauen, woraufhin er Hiroshi erblickte, der sich erhoben hatte. „Oh man. Hat man nicht mal hier Ruhe vor euch Kröten?“, fragte er genervt. „Hä? Was willst du von uns?“, fragte einer der drei Jungs, „Wir haben mit Arabei geredet und nicht mit dir. Wieso mischst du dich hier ein?“ Mit bösem Blick wandte er sich den drei Jüngeren zu, welche augenblicklich zusammenzuckten: „Weil es mich tierisch aufregt, wenn Freunde von mir von irgendwelchen Idioten wegen irgendwelcher Nichtigkeiten belästig werden. Ihr seht doch, dass Arabai gerade beschäftigt ist. Oder? Also zischt ab, sonst setzt es was.“ „Kche… als ob du uns mit deinen leeren Drohungen Angst einjagen würdest“, meinte einer der anderen Schüler. Plötzlich erhob sich auch Akane und knackte mit ihren Fingern: „Sicher, dass das leere Drohungen sind?“ Als die drei Jüngeren Akane als das Mädchen erkannten, welches sie in den Sommerferien mächtig fertig gemacht hatte, wichen die drei erschrocken zurück und zogen sich mit der Ausrede zurück, dass sie keinen Stress mit den Lehrern haben wollten; immerhin war Prügeln streng verboten. Hiroshi ließ sich jedoch nicht nehmen ihnen nachzurufen, dass sie sich von nun an von seinem Kumpel fernhalten sollten, wenn sie keinen Ärger haben wollten. Dann fiel die schwere Tür mit einem metallenen Klang ins Schloss und die Gruppe war wieder allein. Der Blonde und seine Sandkastenfreundin starrten noch eine ganze Weile mit ernstem Blick auf die geschlossene Tür, bevor sie plötzlich anfingen zu lachen, bevor sie sich in die Hände klatschten. Überrascht blickte Ryu zwischen den beiden hin und her und wusste nicht so genau, was er dazu sagen sollte. Sie hatten ihn gerade davor bewahrt wieder Stress mit seinen drei angeblichen Freunden zu haben, wobei noch offenblieb, wie es nach der Pause weiterging. Dort war immerhin niemand, der ihn schützen konnte. „Vor denen solltest du erst einmal Ruhe haben“, meinte Hiroshi, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, „Und sollten sie dich doch wieder belästigen, scheu dich nicht zu uns zu kommen. Wir helfen dir, keine Sorge.“ „W-wirklich?“, konnte es der Jüngere nicht fassen. „Sicher. Hiroshi hat Recht. Dafür sind Freunde immerhin da“, meinte Akane mit breitem Lächeln. Überrascht sah der Brünette in die Runde und in die einzelnen mehr oder minder lächelnden Gesichter der Leute, die sich, trotz seines unmöglichen Verhaltens, plötzlich als seine Freunde bezeichneten. Zum ersten Mal hatte er auch das Gefühl, dass diese Aussage ernst gemeint war, was ihm beinahe die Tränen in die Augen steigen ließ. Gerade noch so konnte er diesen Umstand überspielen indem er ein breites Grinsen aufsetzte und sich dann noch einmal bei allen Anwesenden bedankte. Als Mirâ gemeinsam mit Akane am frühen Nachmittag den Eingangsbereich der Schule betrat, um sich die Schuhe zu wechseln, trafen sie auf Hiroshi und Shuya. Beide waren in ein Gespräch vertieft, welches sie jedoch unterbrachen, als die beiden Mädchen zu ihnen stießen. „Na Mädels. Habt ihr jetzt noch was vor?“, fragte der Blau-Violetthaarige mit breitem Grinsen und spielte damit auf den nun freien Nachmittag an. Da am nächsten Tag der Ausflug nach Iwatodai anstand, waren die Schüler des zweiten Jahres für diesen Tag von jeglichen Clubaktivitäten freigestellt. Natürlich war es jedem selbst überlassen trotzdem hinzugehen, doch mussten sie auch keine Konsequenzen befürchten, wenn sie nicht auftauchten. Auch Mirâ hatte an diesem Tag nicht sonderlich viel Lust auf das Kyudo Training, weshalb sie sich entschlossen hatte ihren Schultag nach der letzten Stunde zu beenden; ebenso wie Akane. Sie fühlte sich sowieso noch nicht ganz auf dem Damm. Der Dungeon, den sie am letzten Wochenende zu bewältigen hatten, hatte sie doch mehr geschlaucht, als anfangs gedacht. Selbst Hiroshi schien es so zu gehen, denn auch er hatte sich heute vom Fußballtraining freigenommen. Allerdings war sich Mirâ auch nicht ganz sicher, ob er überhaupt direkt am Training teilnehmen konnte, immerhin war seine rechte Hand immer noch nicht ganz verheilt. Das jedenfalls verriet der Verband um eben jene. „Ihr scheint heute auch keine Lust auf euren Club zu haben“, grinste Shuya und holte die Violetthaarige damit aus ihren Gedanken, „Wollen wir irgendwo zusammen was trinken gehen?“ „Wie kommst du darauf?“, fragte Akane mit schiefgelegtem Kopf, woraufhin ihr Gegenüber nur mit den Schultern zuckte: „Nur so. Aber wenn ihr nicht wollt…“ „Nein schon gut. Ich habe nichts vor. Was meinst du, Mirâ?“, wandte sich die Brünette an ihre beste Freundin. Diese nickte mit einem Lächeln: „Gerne.“ „Super“, freute sich Shuya wie ein kleiner Schneekönig und wollte sich gerade auf dem Absatz umdrehen und losgehen. Doch plötzlich wurde er aufgehalten, als eine weitere männliche Stimme nach Hiroshi und Akane rief. Sofort wandten die vier Zweitklässler ihre Blicke wieder in Richtung der großen Empfangshalle, wo ihnen plötzlich Ryu gegenüberstand. Sein Atem ging schnell, was den Eindruck erweckte, dass er extra gerannt war, um sie noch abzufangen. „Was gibt es, Chibisuke?“, fragte Hiroshi und ließ den Brünetten damit kurz zusammenzucken. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet mit einem Spitznamen angesprochen zu werden. Mirâ hatte sogar das Gefühl, dass ihn dieser nicht wirklich gefiel, immerhin spielte dieses Wort auf seine Größe an. Doch wiedererwartend sagte er nichts dazu, sondern kam gleich zur Sache: „Ich wollte mich noch einmal bei euch für eure Hilfe heute Mittag bedanken. Ehrlich gesagt habe ich versucht mit den Dreien heute Morgen schon zu sprechen. Ich wollte, dass sie mich in Ruhe lassen. Stattdessen haben sie mich nur wieder verprügelt…“ „Daher also die Pflaster…“, murmelte Hiroshi, woraufhin der Jüngere ihm gegenüber nur nickte, „Hör mal… du brauchst dich dafür nicht bedanken. Ich habe dir doch gesagt, dass wir dir helfen, wenn du Hilfe brauchst. Du musst sie nur annehmen.“ „J-ja ich weiß… trotzdem. Vielen Dank nochmal. Auch an dich Nagase-senpai“, wandte sich Ryu nun an den Ältesten der Runde, welcher ihn jedoch nur unverwandt ansah, „Auch du hast mir mehrmals versucht zu helfen und ich habe diese Hilfe abgewiesen. Das war nicht richtig und ich bin dir wirklich dankbar.“ Stille breitete sich aus, in welchem die vier Zweitklässler Ryu nur beobachteten, welcher den Blick gesenkt hatte. Diese wurde jedoch jäh unterbrochen, als Shuya seine Stimme erhob. „Du brauchst dich auch bei mir nicht dafür zu bedanken“, sprach er mit einer Ernsthaftigkeit, die man nur selten bei ihm erlebte, „Weißt du, ich helfe anderen nicht, um dafür Dankbarkeit zu bekommen. Das bringt mir auch nichts. Viel mehr möchte ich, dass andere nicht so enden wie meine große Schwester.“ Alle Blicke richteten sich auf den Älteren, dessen Augen plötzlich so kalt und abwesend wirkten, wie man es von ihm nicht kannte. Ein leichtes Zittern ging durch Mirâs Knochen, denn so machte ihr der sonst so aufgedrehte junge Mann wirklich Angst. Sie wusste ja mittlerweile, dass seine Schwester bereits tot war, jedoch nicht wieso. Doch nun hatte sie eine klare Vermutung diesbezüglich. Bestätigt wurde diese, als er plötzlich begann auf die stumme Frage seiner Schulkameraden zu antworten. „Ich war noch in der Grundschule, als es passierte. Aufgrund der Arbeit unserer Eltern haben meine Schwester und ich alleine gelebt. Neben der Schule ging sie extra arbeiten, um unseren Unterhalt zu verdienen. Sie hat immer gelächelt. Wirklich immer. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem sie einmal unglücklich wirkte oder geweint hätte. Deshalb habe ich auch gar nicht bemerkt, wie schlecht es ihr wirklich ging und wie unglücklich sie war. Und irgendwann war ihr das alles zu viel…“, sprach er fast schon zu ruhig, „Und dann hat sie sich das Leben genommen…“ Erschrocken wichen alle Anwesenden zurück. Mit Ausnahme von Hiroshi, welcher nur den Blick abwandte. Offensichtlich kannte er die Vergangenheit seines Kumpels bereits. Shuya machte eine kurze Pause und schluckte, bevor er weitersprach: „Ich war zu dem Zeitpunkt gerade zufällig in der Nähe und habe ihren Selbstmord mitbekommen. Da ich sie nur als fröhlichen Menschen kannte und nicht wusste, wieso sie so etwas getan hat, habe ich mir sehr lange die Schuld dafür gegeben. Ich dachte es wäre meine Schuld gewesen und dass ich ihr eine zu große Last war. Doch das stimmte gar nicht. Als ich ihre Sachen sortiert habe, fand ich ihren Abschiedsbrief. Sie hat sich bei mir dafür entschuldigt und mir auch den Grund für ihren Selbstmord genannt…“ Wieder entstand eine Pause, welche die Spannung noch mehr in die Höhe trieb: „Der Grund war Mobbing. Sie wurde aufs schlimmste von ihren Klassenkameraden, ja sogar von Lehrern gemobbt. Niemand hat ihr geholfen aus dieser Situation hinauszukommen. Für mich hat sie diesen Umstand so lange wie möglich ertragen, doch irgendwann war es zu viel. Sie sah keinen Ausweg mehr aus ihrer Situation.“ Schockiert hatte Mirâ die Luft eingezogen und ihre Hand vor den Mund gelegt, während sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Das war einfach zu traurig. Wie konnten Menschen nur so grausam sein und andere so sehr in die Verzweiflung treiben, dass sie keinen anderen Ausweg als Selbstmord mehr sahen? So etwas durfte es einfach nicht geben. Und doch war es die pure Realität, das wusste sie. Jeden Tag starben unzählige Menschen an den Folgen von Mobbing. Nun verstand auch Mirâ, wieso sich Shuya auf die Fahne geschrieben hatte, sofort einzuschreiten, wenn er bemerkte, dass jemand gemobbt wurde. Auch, dass er jeden versuchte zu integrieren ergab nun Sinn, denn nur so konnte Mobbing beendet werden. Zusätzlich zollte sie dem jungen Mann wirklich großen Respekt, dass er nach solch einem traumatischen Ereignis selbst noch den Willen hatte zu leben und dieses Leben auch so fröhlich weiterlebte. Sie wüsste nicht, wie sie reagieren würde, wenn ihr so etwas schreckliches passiert wäre. Wahrscheinlich wäre sie selber daran zerbrochen. „Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass auch danach alles abgetan wurde…“, murmelte Shuya, „Trotz ihres Abschiedsbriefes hat mir fast niemand geglaubt, dass sie gemobbt wurde. Niemand wurde zur Verantwortung gezogen. Erst meine Großeltern haben mir geglaubt, doch da war es bereits zu spät etwas zu unternehmen. Du siehst, ich mache das also nicht aus Eigennutz. Ich möchte einfach nur, dass niemand so enden muss. Das ist alles. Deshalb verdiene ich dafür auch keinen Dank.“ Mirâ spürte ihr Smartphone in der Tasche vibrieren, während sich in ihrer Brust ein warmes Gefühl ausbreitete. Shuyas Social Link hatte sich erweitert. Sie brauchte nicht einmal auf ihr Telefon zu schauen, um das zu wissen. Im Nachhinein wäre ihr es allerdings lieber gewesen, sie hätte nichts davon erfahren. Plötzlich fühlte sie sich unglaublich schwermütig. Die gelassene Stimmung, die noch kurz zuvor herrschte, war wie weggeblasen. „D-Das tut mir sehr leid, Nagase-senpai“, entschuldigte Ryu sich plötzlich und holte alle Anwesenden wieder ins Hier und Jetzt. Auch der Blau-Violetthaarige schaute wieder zu dem Jüngeren und lächelte plötzlich: „Schon gut. Es war nicht deine Schuld. Ich wollte nur, dass du weißt, wieso ich anderen helfe und dass das nichts damit zu tun hat, dass ich so ein lieber Kerl bin.“ Ein Grinsen legte sich auf das Gesicht des Älteren, weshalb sich die Stimmung erneut von einen auf den nächsten Moment änderte: „Nun aber genug davon. Hört auf solche Gesichter zu ziehen. Ich weiß es ist traurig, aber das muss uns jetzt nicht die Stimmung vermiesen. Ruko würde das auch nicht wollen. Wir wollten doch was trinken gehen. Also lasst uns los. Arabai, leiste uns doch Gesellschaft.“ Mit diesen Worten hatte sich der junge Mann auf dem Absatz umgedreht und das Schulgebäude verlassen. Überrascht sahen die anderen ihm nach, bevor Mirâ einen besorgten Blick an Hiroshi richtete, welcher nur seufzte und dann leicht mit den Schultern zuckte. „So ist er eben. Er versucht nicht zu lange daran zu denken“, meinte er anschließend und setzte sich in Bewegung. Die Violetthaarige nickte und schluckte den dicken Klos herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, bevor sie kurz zu ihrer besten Freundin sah, die auch nur leicht nickte. Gemeinsam folgten sie den beiden Jungs, jedoch nicht, ohne auch Ryu zu sich zu beten. Der Weg zum Schultor kam der Oberschülerin nach diesem Gespräch wesentlich länger vor, als er es tatsächlich war. Sie hatte das Gefühl dem Blau-Violetthaarigen nun nicht mehr so unbeschwert wie sonst entgegentreten zu können. Wahrscheinlich würde sie jedes Mal an dieses Gespräch erinnert werden und kurz davor sein zu heulen, wenn sie ihn sah. Jedenfalls kam ihr es in diesem Moment so vor. Dem älteren Schüler schien es unterdessen wieder besser zu gehen. Für ihn wirkte das Gespräch mittlerweile wieder vergessen. Stattdessen plapperte er fröhlich auf Hiroshi ein und erzählte von ziemlich belanglosen Dingen. Dass der Blonde ihn währenddessen genau beobachtete bewies Mirâ jedoch auch, dass Shuya sich damit nur selber von all dem ablenken wollte. So ganz spurlos war das alles also auch nicht an ihm vorbeigegangen, selbst wenn er es allen weißmachen wollte. Mit Sicherheit hätte er nun lieber seine Ruhe haben wollen, doch stattdessen hielt er weiterhin an ihrem Plan fest etwas mit seinen Freunden zu unternehmen. Vermutlich wollte er sich aber auch damit davon ablenken. Eigentlich wäre Mirâ in diesem Moment sogar lieber nachhause gegangen und hätte den Älteren in Ruhe gelassen, doch sie vertraute auf Hiroshi. Er wusste von ihnen wohl am besten, wie man mit seinem Kumpel in dieser Situation umgehen musste. Immerhin kannte er ihn von allen am längsten. Demnach war es wohl auch erst einmal in Ordnung so zu tun, als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden. Ein Blick zu Akane und Ryu verriet ihr, dass sie wohl das Gleiche dachten. Gemeinsam verließen sie so das Schulgelände und schlugen den Weg in Richtung U-Bahn ein. Plötzlich jedoch blieb Ryu abrupt stehen, was auch die anderen dazu veranlasste anzuhalten. Irritiert sahen die vier Älteren den Brünetten an, dessen Gesichtsausdruck plötzlich finster wurde. Der Grund dafür blieb nicht lange geheim, denn als sie dem Blick des Jüngeren folgten erkannten sie einen braunhaarigen Mann, dessen Augen von einer Sonnenbrille verdeckt waren. Er trug einen schwarzen Anzug, in Kombination mit einem roten Hemd und einer schwarzen Krawatte und schien die Gruppe von Oberschülern zu beobachten. Genervt seufzte Hiroshi auf, als er erkannte, um wen es sich bei dieser Person handelte: Tatsuya Suou, der Kommissar, welcher bereits seit einiger Zeit ein Auge auf sie geworfen hatte und sie regelrecht verfolgte. Sie hatten eine ganze Weile Ruhe vor ihnen gehabt, auch wenn Mirâ wusste, dass er auch im Falle von Ryus Verschwinden ermittelte. Der Blonde hatte ihr von seinem erneuten Aufeinandertreffen mit ihm erzählt, als er Ermittlungen in der Schule angestellt hatte, um Hinweise auf Ryu zu finden. Jedoch hatte sie gehofft, dass er nach der Aussage von Megumi von ihnen ablassen würde. Immerhin hatte sie erzählt, dass sie einfach nur einem dummen Streich zum Opfer gefallen war. Und auch Ryu hatte ihr versichert, dass er seinen Eltern ein Lügenmärchen aufgetischt hatte. Und trotzdem schien Suou-san den Braten gerochen zu haben und den Aussagen nicht zu glauben. Das würde wohl noch zu Problemen führen. „Haben Sie nichts Besseres zu tun, als Oberschülern aufzulauern?“, fragte Hiroshi plötzlich sichtlich genervt, was die Violetthaarige aus ihren Gedanken schrecken ließ. „Du solltest aufpassen, was du gegenüber einem Polizisten sagst, Jungchen“, murrte der Erwachsene und kam auf die Gruppe zugelaufen, während er seine Sonnenbrille abnahm und sie mit seinen braunen Augen musterte, „Aber ich bin nicht wegen euch hier. Jedenfalls nicht direkt.“ Er richtete seinen Blick auf das kleinste Mitglied der Gruppe: „Du bist doch Arabai-kun. Habe ich recht? Ich hätte da ein paar Fragen.“ Irritiert sah Mirâ zu ihrem Kohai, welcher den Größeren ihm gegenüber mit einem wütenden Blick bedachte. Er hatte ihr erzählt, dass sein Vater es nicht zulassen würde, dass er von irgendwelchen Polizisten befragt wurde. Wie das möglich sein konnte, wusste sie zwar nicht, jedoch schien das der Grund zu sein, wieso dieser Kommissar ihm hier vor der Schule aufgelauert hatte. „Sie sollten wissen, dass ich Ihnen nichts zu erzählen habe…“, meinte Ryu wütend. „Doch auch nur, weil dein Vater es so entschieden hat“, kam ein promptes Contra. „Selbst wenn. Es gibt nichts zu erzählen. Also lassen Sie mich und meine Freunde in Ruhe“, schimpfte der jüngere Brünette und wollte sich an dem Erwachsenen vorbeipressen. Doch gerade, als er auf dessen Höhe war, wurde er am Oberarm gepackt. Wütend drehte er sich zu dem aufdringlichen Kommissar herum und verlangte, dass dieser ihn losließ. Doch Suou ließ nicht von ihm ab und festigte sogar eher seinen Griff, während er klarmachte, dass er sich nicht so einfach abwimmeln ließ. Die vier älteren Schüler beobachteten diese Szene einen Moment und machten sich dran einzugreifen, als jedoch plötzlich eine weitere männliche Stimme erklang: „Suou, lass den Mist!“ Der brünette Kommissar stoppte in seinem Tun und hob den Blick. Auch die Oberschüler wandten sich um und erkannten daraufhin eine weitere männliche Person, welche schleunigst auf sie zukam. Der Mann trug einen grauen schlicht wirkenden Anzug mit offener Jacke. Darunter erkannte Mirâ ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Ein Blick in sein Gesicht ließ die Oberschülerin jedoch zurückschrecken, denn wenn sie nicht genau gewusst hätte, wie Hiroshis Vater aussah, so hätte sie diesen Mann für eben jenen gehalten. Er war sichtbar etwas jünger als Erwähnter, jedoch alt genug, um als Vater des Blonden durchzugehen. Der einzige sichtbare Unterschied, den sie bei ihm wahrnehmen konnte, waren seine dunkelbraunen Haare, die sehr kurz geschnitten waren, und die ebenso dunkelbraunen Augen, mit denen er seinen Kollegen böse musterte. Das Gesicht jedoch war unverkennbar das gleiche. Bei der Gruppe angekommen, griff er nach dem Arm Suos und sorgte so dafür, dass dieser den Oberschüler losließ. Der nahm sofort Abstand von den beiden Erwachsenen. „Was soll das hier werden?“, fragte der Hinzugekommene nun böse, „Es gab doch klare Anweisungen sich von Ryu-kun fernzuhalten. Wenn dir etwas an deinem Job liegt, solltest du dich auch daran halten.“ „Kche…“, löste sich der Jüngere der beiden aus dem Griff und richtete dann seinen Anzug, „Dass du dich ständig einmischen musst, Makoto…“ Mirâ wurde hellhörig und sah zu Hiroshi, welcher seinen Blick von dem Geschehen abgewandt hatte. „Ich weiß ja, dass dir dieser Fall am Herzen liegt. Aber übertreib es nicht. Du setzt damit auch deine Position aufs Spiel“, mahnte der Brünette im grauen Anzug und beobachtete seinen Kollegen, der sich langsam von ihnen entfernte. „Deine gut gemeinten Ratschläge kannst du dir sparen. Ich habe mir vorgenommen diese Fälle aufzuklären und das werde ich. Auch ohne eure Unterstützung…“, damit hatte sich Suou von allen abgewandt und den Ort des Geschehens verlassen. Seufzend sah der Ältere ihm nach, bevor er sich wieder an die Oberschüler wandte: „Verzeiht sein Verhalten. Er ist ein guter Kommissar, aber er übertreibt es oft, sobald er sich auf etwas versteift.“ „Und Sie?“, fragte plötzlich Ryu mit genervtem Unterton, „Sie sind doch auch nicht zufällig hier. Ich wette mein Vater hat Sie auf mich angesetzt, damit er mich im Auge behält. Sie können Ihm gerne ausrichten, dass das nicht nötig ist. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“ Der Jüngste in der Runde wandte sich von allen ab und blickte dann noch einmal über seine Schulter: „Tut mir leid, Senpai. Aber heute muss ich das Angebot leider ablehnen. Mir ist gerade nicht mehr danach noch etwas zu unternehmen. Vielleicht ein anderes Mal.“ Damit setzte sich der Brünette in Bewegung und ging. „Ach man…“, seufzte der zurückgebliebene brünette Erwachsene und kratzte sich genervt am Hinterkopf, „Als hätte ich nichts Wichtigeres zu tun, als den Babysitter zu spielen.“ Er wandte sich um und sah zu Hiroshi: „Ich hab dich fast gar nicht erkannt, Hiroshi. Wie geht es deinen Eltern und Rin? Bei dir auch alles in Ordnung?“ „Ja soweit…“, murmelte Angesprochener nur in seinen nicht vorhandenen Bart. „Dann ist ja gut. Ich würde dich gerne bitten, nicht mehr solche unbedachten Aussagen gegenüber einem Polizisten zu machen. Damit bringst du nicht nur dich in Schwierigkeiten“, wandte sich der Mann von ihnen ab und ging dann ebenfalls. Die Oberschüler sahen ihm nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war. Dann richteten sich drei Blicke auf Hiroshi, welcher wieder in eine nicht zu definierende Richtung schaute. „War das Hirota-ji?“, fragte plötzlich Akane, „Er ist ganz schön alt geworden…“ „Ist ja auch schon ein paar Jahre her…“, meinte ihr Sandkastenfreund, während er sich umdrehte und seine Tasche über seine Schulter schwang, „Wollten wir nicht was trinken gehen? Lasst uns gehen.“ Ohne weitere Worte setzte er sich in Bewegung. Es war eindeutig, dass er das Thema wechseln und nicht weiter darüber sprechen wollte, weshalb die restlichen drei Oberschüler nichts weiter dazu sagten. Stattdessen sprang Shuya seinen besten Kumpel an und legte ihm seinen Arm um die Schulter, während er ihm irgendwelchen Schwachsinn erzählte und somit zum Lachen brachte. Mirâs fragender Blick wanderte zu Akane. „Akane, wer war das?“ Die Brünette sah ihre Freundin kurz an und zuckte dann mit den Schultern: „Hiroshis Onkel. Er ist einer der jüngeren Brüder von Hiroshis Vater und arbeitet bei der Kripo soviel ich weiß. Wir sollten das Thema aber wohl besser ruhen lassen.“ „Ja scheint so…“, kam auch die Violetthaarige zu dem Schluss. Hiroshis Reaktion war eindeutig und das sollten sie akzeptieren. Besorgt beobachtete sie die beiden Jungs, die vor ihnen liefen und bereute bereits, dass sie an diesem Tag an Informationen gelangt war, die sie lieber nicht mitbekommen hätte. Kapitel 106: CVI – Willkommen in Iwatodai ----------------------------------------- Donnerstag, 17.September 2015 Ein Piepen ertönte und verriet den Gästen am Bahnsteig, dass sich die Türen des Hochgeschwindigkeitszuges jeden Moment schließen würden. Durch die Fensterscheibe beobachtete Mirâ, wie vereinzelte Personen die Treppe hinaufhechteten, um noch im letzten Moment durch die sich gerade schließenden Zugtüren zu springen. Dann verstummte das Geräusch und kurz darauf setzte sich der Zug mit einem kleinen Ruck in Bewegung, nur um wenige Minuten später die Kleinstadt hinter sich zu lassen. „Wir begrüßen unsere Fahrgäste im Zug nach…“, erklang die freundliche Stimme einer Zugbegleiterin, welche die verschiedenen Stopps der Fahrt aufzählte. Einer dieser Halte war Iwatodai, das Ziel der diesjährigen Klassenfahrt des gesamten zweiten Jahres der Jûgôya High School. Aus Zeitgründen wurde diese mit dem Pflichtprogramm des Jahrganges zusammengelegt, in welchem sie die Gekkoukan High School in Iwatodai besuchen mussten. Den meisten Schülern sah man an, dass sie auf diesen Ausflug relativ wenig Lust hatten. Jeder hätte lieber eine richtige Klassenfahrt unternommen, als eine Schulbesichtigung. Und doch hatten sie alle keine andere Wahl, als daran teilzunehmen. Und man musste es ja auch positiv sehen… es war immer noch besser als gar keine Klassenfahrt. Mirâ wandte ihren Blick von der Landschaft außerhalb des Zuges ab und beobachtete Mrs. Masa, welche durch den Gang lief und die einzelnen Schüler zählte, die sich in diesem Abteil befanden. Die Schwarzhaarige lief an der Vierergruppe vorbei, auf welcher es sich die Violetthaarige und ihre Freunde bequem gemacht hatten, und war auch einen Moment später schon schon wieder verschwunden. Die Oberschülerin schaute zu Kuraiko, die auf dem Sitz am Gang platzgenommen und die Augen geschlossen hatte, während sie der Musik in ihren Ohren lauschte. Kaum hatten sie sich hingesetzt, hatte sie auch schon ihre Kopfhörer an ihr Handy angeschlossen und diese in die Ohren gesteckt. Seither schwieg sie. Neben der Schwarzhaarigen und somit Mirâ gegenüber saß Hiroshi, der den Arm auf dem schmalen Brett unter dem Fenster abgelegt und seinen Kopf darauf gestützt hatte. Auch er hatte Kopfhörer in den Ohren und beobachtete die Landschaft, die an ihnen vorbeizog. Er gähnte einmal genüsslich und sah dann wieder nach draußen. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet, die, wie sie wusste, daher kamen, weil er am Abend viel zu lange wach geblieben war, um ein Spiel zu spielen. Ein kleines Lächeln bildete sich auf Mirâs Gesicht, während sie ihren Blick nun neben sich auf Akane richtete, die in einem Manga blätterte. Gleich nachdem sie sich am Bahnhof getroffen hatten, war die Brünette in einem bereits geöffneten Buchladen verschwunden, um sich, wie sie sagte, noch schnell Lesestoff für die Reise zu besorgen. Geduldig hatte die Violetthaarige gewartet, bis ihre Freundin wiederkam und sie gemeinsam zum Bahnsteig gehen konnten, wo sie dann auf die anderen trafen. Eine Bewegung im Gang ließ Mirâ aufblicken und verwundert auf den jungen Mann schauen, welcher sich mit einem leicht genervten Seufzen auf den freien Platz neben ihrer Vierergruppe setzte. „Senpai?“, fragte sie überrascht und veranlasste nun auch Akane dazu überrascht von ihrem Manga aufzuschauen. „Morgen…“, grüßte Masaru ziemlich müde. „Was machst du denn hier?“, kam es irritiert von der Brünetten. Der Schwarzhaarige seufzte: „Ich wurde gebeten das zweite Jahr als Aufsichtsperson zu begleiten…“ Auch Kuraiko war der Ältere mittlerweile aufgefallen und sie hatte sich einen ihrer Kopfhörer aus dem Ohr gezogen: „Und was willst du mit dem ganzen Gepäck?“ Nun fielen auch den anderen beiden Mädchen die zwei Taschen auf, welche der junge Mann bei sich hatte. Masaru betrachtete diese kurz und seufzte dann erneut, bevor er erklärte, dass seine Eltern ihn als Laufburschen missbrauchten – mal wieder. Bereits im letzten Jahr, als er mit seiner Klasse auf diesem Ausflug war, hatten sie ihm eine Menge mitgegeben, was er zu Bekannten und Freunden seiner Familie bringen sollte. „Zwei Kendoschulen… ein Tempel… Urgh… sie nutzen das jedes Mal aus, um nicht selbst den Weg auf sich nehmen zu müssen…“, murmelte der Ältere seine Nasenwurzel massierend, „Mit meinen Geschwistern haben sie das auch damals durchgezogen…“ „Glückwunsch…“, kam es mit einem sarkastischen Unterton der schwarzhaarigen Schülerin, bevor diese sich wieder ihren Kopfhörer ins Ohr steckte. Überrascht sah Masaru sie an, bevor er mit einem leichten Lächeln seufzte. „Wenn du möchtest und wir Zeit haben können wir dir gerne helfen, Senpai“, bot Akane an. „Das wäre nett. Danke“, nahm ihr Senpai das Angebot dankend an, während er gähnend auf seine Armbanduhr schaute, „Naja… bis nach Iwatodai ist es noch ein Stück…“ Damit hatte er die Augen geschlossen und war kurze Zeit später auch schon eingeschlafen. Akane hatte sich derweilen wieder ihrem Manga gewidmet, während Kuraiko sich wieder auf ihre Musik konzentrierte. Mirâ unterdessen hatte Masaru noch einen Moment mit einem Lächeln beobachtet, bevor auch sie sich ihre Kopfhörer in die Ohren schob und danach aus dem Fenster auf die Landschaft schaute. Kaum hatte der Zug nach einigen Stunden Iwatodai erreicht, wurden sie bereits von mehreren Bussen erwartet, die die Schüler zur Gekkoukan High School brachten; dem Ziel ihres Ausfluges. Bereits als sie an dem riesigen Gelände vorbeifuhren staunte Mirâ nicht schlecht. Da sie viele Jahre nur auf staatliche und eher kleine Schulen gegangen war, hatte sie das Gelände der Jûgôya schon als riesig empfunden. Doch diese Schule toppte alles, was sie je gesehen hatte. Sicher, wahrscheinlich war die Diamond Academy noch größer, jedoch spielte diese auch in einer völlig anderen Liga; immerhin war es eine Schule für Superreiche. Doch die Gekkoukan war nur eine normale Privatschule, wie die Jûgôya. Das jedenfalls erzählte ihre Klassenlehrerin auf der Fahrt dorthin. Umso überraschender war die enorme Größe des Geländes. Die Busse hielten vor dem weit geöffneten Schultor, wo sie bereits von mehreren Personen erwartet wurden: Einem älteren etwas gedrungenen Herren und zwei Schülern der Schule, die ihnen freundlich zuwinkten. Höflich grüßten die Lehrer der Jûgôya das Begrüßungskomitee und bedankten sich noch einmal dafür, dass es doch noch mit dem Austausch geklappt hatte. Der ältere Herr, welcher sich kurz darauf als Direktor der Schule vorstellte, begrüßte die Ankömmlinge freundlich und wies dann auf die beiden Schüler neben sich. Dabei handelte es sich zum einen um einen groß gewachsenen jungen Mann mit schwarzem Haar und strengen grünen Augen, welche er versuchte hinter einer Brille zu verstecken. Er stellte sich als Kiyoharu Saegawa und aktueller Council Präsident vor, der im dritten Jahr war. Neben ihm stand ebenfalls ein recht groß gewachsener, aber schlanker junger Mann mit braunem, leicht wüstem Haar und braunen freundlichen Augen. Sein Name war Ken Amada. Er stellte sich als Schüler des zweiten Jahres vor und erklärte, dass er der stellvertretende Schulsprecher war. Mit großen roten Augen sah Mirâ den Brünetten an. Es überraschte sie nicht nur, dass jemand im zweiten Jahr bereits Stellvertreter war. Viel mehr irritierte sie der kleine blaue Schmetterling, welcher um den jungen Mann herumflog und kurz darauf verschwand. Verwirrt rieb sie sich die Augen und konnte nicht glauben, was sie eben gesehen hatte. Es war ja nicht das erste Mal gewesen. Und bisher hatte sie noch nicht herausgefunden, was dieser Schmetterling bedeutete. "Ich hoffe es macht Ihnen keine Umstände, wenn wir Ihre Schüler unserem lieben Amada-kun überlassen", sprach der Schulleiter zu Mrs. Masa, "Ich habe noch einige Aufgaben auf meinem Schreibtisch liegen, die ich zu erledigen habe." "Ja sicher, das ist kein Problem", versuchte die junge Lehrerin Verständnis zu zeigen und blickte dann auf Kiyoharu, "Saegawa-kun, wirst du uns auch begleiten?" "Leider muss ich mich auch entschuldigen. Ich muss noch einige Dinge im Student Council erledigen. Aber Amada macht das sehr gut. Zumal es ja dieses Mal nur um die Führung durch die Schule geht", er legte dem Jüngeren seine Hand auf sie Schulter, "Nicht wahr?" "J-ja sicher...", murmelte Ken. "Sehr gut, Amada-kun", freute sich der Rektor und verabschiedete sich dann von den Schülern der Jûgôya, bevor er sich auf den Weg zu seinem Büro machte. Auch Kiyoharu verabschiedete sich daraufhin und ging, während Ken den beiden missmutig nachblickte. Er brauchte eine Weile, um sich wieder zu sammeln, bevor er sich an die Gleichaltrigen von der befreundeten Schule wandte. Er verbeugte sich leicht und entschuldigte sich kleinlaut für das Verhalten des Rektors und seines Kollegen aus dem Schülerrat, ehe er sich in Bewegung setzte und die Gruppe über das Gelände führte. Zeitgleich erläuterte er die Entstehungsgeschichte dieser Schule. So erfuhren die Schüler der Jûgôya, dass die Schule erst in den Jahren 1999 & 2000 erbaut wurde, wenngleich auf dem Logo das Jahr 1982 stand. Dies kam wohl zustande, weil sich auf diesem künstlich angelegten Land früher einmal eine Forschungseinrichtung befand, die sich der Erforschung neuer Energiequellen verschrieben hatte. Nach einem missglückten Experiment, bei dem die Gebäude an dieser Stelle alle zerstört wurden, entschied die Kirijo Group, die das Forschungsinstitut damals leitete, stattdessen eine Schule auf dieses Gelände zu bauen. „Das ist unsere heutige Gekkoukan High School“, erklärte Ken, während sie die Eingangshalle betraten, „Im Grunde unterscheidet sich unsere Schule jedoch nicht von anderen Schulen im Land. Wie überall gibt es verschiedene Sport- und Kulturclubs. Sehr beliebt sind der Kendo- und Fußballclub, aber auch Kurse wie Kunst und Hauswirtschaft werden sowohl von Mädchen, als auch Jungs gleichermaßen angenommen. Besonders sind der Fechtclub und der Boxclub. Soweit ich weiß gibt es nicht sehr viele Schulen, die diese Art von Sport anbieten.“ Der Brünette führte die Gruppe weiter durch die Schule, zeigte ihnen die Bibliothek, das Lehrerzimmer, sowie die Räumlichkeiten für die jeweiligen kulturellen Clubs, welche sich alle im Erdgeschoss des Gebäudes befanden. Dann traten sie durch eine zweiflüglige Tür hinaus in einen offenen Gang, der sie hinüber zu den Sportclubs führte. In der Mitte des Ganges blieb Ken kurz stehen und zeigte zur Linken der Schüler, bevor er erklärte, dass an dieser Stelle, wo sich mittlerweile ein Gebäude befand, einst ein Kakibaum stand. Dieser wurde wohl mitsamt seiner Wurzeln an eine andere Stelle des Campus‘ verpflanzt, da er einst als Andenken für die Opfer eines Unfalls gepflanzt wurde. Er jedoch kannte den Baum an dieser Stelle nicht mehr. „Er wurde schon umgesetzt, als ich noch in der Grundschule war“, erklärter er und wandte sich dann wieder ab, um weiterzugehen und schlussendlich in den Bereich für die Sportclubs einzutreten. Auch dort führte er die Schüler in herum und erklärte weiterhin alles, was sie sehen konnten. Zu guter Letzt gingen sie noch durch die Gänge mit den einzelnen Klassenräumen, die sich jedoch nicht wirklich von anderen Schulen unterschieden. Da es bereits früher Nachmittag und der reguläre Unterricht damit beendet war, waren kaum noch Schüler unterwegs. Deshalb haten sie alle Zeit der Welt, um sich umzusehen. Doch einigen Schülern wurde es irgendwann zu langweilig, weshalb sie begannen zu tuscheln und sich über andere Dinge zu unterhalten, die nichts mit der Führung zu tun hatten. Mirâ empfand dies als extrem unhöflich, immerhin gab sich Amada-kun wirklich große Mühe ihnen alles so gut es ging zu erklären. Trotzdem kam sie dabei nicht umher einigen ihrer Mitschüler zuzuhören, als diese sich darüber unterhielten, dass sie von merkwürdigen Vorkommnissen gehört hatten, die sich an dieser Schule ereignet haben sollen. Schüler sollen plötzlich ins Koma gefallen oder durchgedreht sein. Natürlich ließ die Violetthaarige das nicht kalt und sie spitzte die Ohren, konnte jedoch nicht wirklich viele Informationen aus dem Gespräch heraushören, weshalb sie entschloss Ken am Ende darauf anzusprechen. Vielleicht wusste er ja worum es ging. So konzentrierte sie sich wieder auf die Führung. Diese führte sie noch eine ganze Weile über das Gelände, bevor Ken das Prozedere in der Eingangshalle wieder beendete. Mit einem Dank und einer Verbeugung verabschiedete er sich von den Gleichaltrigen, bevor er sich auf den Weg zum Student Council machte, um dort seine liegengebliebene Arbeit zu verrichten. Den Schülern der Jûgôya wiederum wurde noch etwas Freizeit zugesprochen, in der sie sich frei auf dem Gelände bewegen durften, bevor sie sich wieder am Schultor einfinden sollten. Mirâ und ihre Freunde hatten sich auf eine Bank auf dem Gelände zurückgezogen und erholten sich erst einmal von der Fülle an Informationen. „Oh man… ich dachte echt die Führung hört gar nicht mehr auf…“, murmelte Akane, die auf der Bank fläzte. „Ja ich auch…“, murrte Kuraiko. Hiroshi beobachtete einige seiner Mitschüler, die über das Gelände stromerten: „Aber Amada kann einem echt leidtun. Er wurde ja regelrecht ins kalte Wasser gestoßen. Das war nicht nett von dem Schulsprecher…“ „Das war von Saegawa zu erwarten“, sagte Masaru, der sich unter einen Baum an den Stamm gelehnt hatte, „Letztes Jahr war er auch schon so. Damals war er noch Stellvertreter und hat auch alle Aufgaben an andere abgegeben. Dass er zum Student Council Präsident ernannt wurde wundert mich dabei schon fast.“ „Ach ja, du warst ja letztes Jahr auch schon hier…“, bemerkte der Blonde an den Älteren gewandt. Dieser nickte: „Es lief letztes aber anders ab, als dieses. Nach der Führung haben sich noch die Schülervertreter unserer Schulen getroffen. Deshalb habe ich das mitbekommen und damals schon den Kopf geschüttelt.“ „Er wird sich auch nicht ändern. Aber ich komme schon damit klar“, erklang eine männliche Stimme. Erschrocken drehten sich die Oberschüler um und erkannten dann Ken, welcher an sie herangetreten war. Er lächelte die Gruppe an und wandte sich dann an Masaru: „Wie kommt es, dass du dieses Jahr nochmal hier bist, Senpai? Du bist doch jetzt im Dritten. Oder?“ Angesprochener nickte und erklärte, dass er als Aufsichtsperson mitgefahren war und extra dafür freigestellt wurde. Immerhin kam ihr Schulsprecher auch ganz gut alleine mit seinen Aufgaben klar. Den sarkastischen Unterton, welcher offensichtlich an Saegawa gerichtet war, versuchte er dabei nicht einmal zu unterdrücken, was dem Jüngeren ein Kichern entlockte. Auf die Frage von Akane hin, woher sich die beiden kannten, erklärte der Schwarzhaarige, dass Ken im letzten Jahr auch schon im Student Council war; damals jedoch als Schriftführer. Der Brünette wandte sich an Hiroshi: „Ist ne Weile her, Makoto. Wie läuft es bei euch im Club? Seid ihr im Oktober bei dem Turnier in Inaba dabei?“ „Bisher sieht es danach aus. Wir haben aber noch ein Qualifikationsspiel Ende September, aber da mache ich mir keine Sorgen“, erklärte der Blonde mit einem breiten Grinsen, dass sein Gegenüber ebenso erwiderte: „Konnte ich mir schon denken. Wir haben uns schon qualifiziert.“ „Und woher kennt ihr euch jetzt wieder?“, fragte Kuraiko, während sie die beiden Jungs mit hochgezogener Augenbraue beobachtete. Hiroshi wandte sich an die Schwarzhaarige und erklärte, dass Amada im Fußballclub dieser Schule war. Sowohl die Gakkoukan, als auch die Jûgôya spielten in der Schullandesliga, weshalb sie bereits mehrmals aufeinandergetroffen waren und sich daher kannten. Die junge Frau nickte, wirkte aber nicht so, als hätten sie die Hintergrundinformationen wirklich interessiert. Mirâ jedoch hatte aufmerksam zugehört. Es war wirklich unglaublich wie sehr Sport die Menschen verbinden konnte. „Ich muss dann langsam. Macht euch noch einen schönen Tag hier in Iwatodai. Vielleicht sieht man sich ja nochmal. War schön euch mal wieder zu sehen, Makoto und Shin-Senpai. Machts gut“, merkte Ken mit einer Verbeugung an und entfernte sich daraufhin von der Gruppe. In diesem Moment fiel Mirâ ein, dass sie ihn noch etwas fragen wollte. Ihr Körper reagierte plötzlich von allein und so schnell sie konnte folgte sie dem Brünetten, welchen sich kurz vor dem Schultor eingeholt hatte. „Amada-kun, warte einen Moment“, rang sie nach Luft, während sich ihr Gegenüber zu ihr umdrehte und sie fragte, was er für sie tun könne. „Ähm… mein Name ist Mirâ Shingetsu. Entschuldige, dass ich dir nachgelaufen bin. Ich habe da aber eine Frage an dich“, stellte sie sich vor und erklärte dann die Situation, „Während deiner Führung haben sich Schüler unserer Schule darüber unterhalten, dass es vor ein paar Jahren hier mal ein paar Vorfälle gab, in denen Schüler ins Koma gefallen sind. Stimmt das?“ Sie beobachtete den jungen Mann ihr gegenüber ganz genau, dessen Gesichtsfarbe plötzlich vollkommen bleich wurde, während er sie mit weit aufgerissenen braunen Augen ansah. Jedoch blieb dieser Zustand nur einen Moment. Innerhalb eines Wimpernschlages hatte sich der Ausdruck in seinem Gesicht bereits wieder normalisiert. Aber Mirâ merkte sofort, dass Ken wusste, worum es ging. Dieser jedoch lächelte nur: „Ach das… ja, da ging mal was um. Niemand wusste so genau, woran es lag. Aber die Sache hat sich mittlerweile wieder gelöst. Fast allen Schülern geht es wieder gut. Deshalb brauchst du dir darüber keine Gedanken mache.“ Er versuchte offensichtlich um das Thema herumzureden. Es war eindeutig, dass er darüber nicht sprechen wollte. Mit großer Sicherheit war er damals sogar in diese Sache verwickelt gewesen, ansonsten würde es ihm nicht so schwer fallen darüber zu sprechen. Da war sich die Violetthaarige sicher. Trotzdem wollte sie mehr darüber wissen. Sie hatte das Gefühl, dass es Ähnlichkeiten zu der Sache gab, in welcher sie und ihre Freunde gerade drinhingen. „Kannst du mir etwas darüber erzählen?“, fragte sie deshalb nochmal nach, „Es scheint mir nicht so, als wäre das einfach so eine Sache gewesen…“ Ihr Gegenüber schwieg kurz und fixierte sie mit seinem Blick, während sie versuchte diesem ebenso entgegenzutreten. Nach einer gefühlten Ewigkeit ergab sich der Brünette letzten Endes. Er seufzte: „Die Sache damals… es passierte zwischen den Jahren 2009 und 2010 und das Phänomen nannte sich Apathy Syndrome. Einige der davon betroffenen Menschen fielen wirklich ins Koma, einige jedoch drehten einfach nur durch und einige wenige nahmen sich deshalb sogar das Leben. Es waren aber nicht nur Schüler betroffen.“ Noch einmal legte er eine Pause ein und schien zu überlegen, was er überhaupt noch erzählen sollte: „Es gab wohl damals eine Ursache dafür, aber bitte versteh, dass ich darüber nicht reden kann und will.“ „Du warst damals darin verwickelt. Oder?“, fragte Mirâ ganz direkt. Ken wandte den Blick ab, sagte aber nichts weiter dazu. Die Violetthaarige akzeptierte es. Sie kannte immerhin das Gefühl mit Außenstehenden nicht darüber sprechen zu können. Ihr ging es ja genauso. Abgesehen von ihren Freunden konnte sie mit niemanden über ihre aktuelle Situation sprechen, auch wenn sie dies gerne würde. Jedoch würde ihr so oder so niemand glauben. Viel eher würde sie wohl in einer geschlossenen Anstalt landen. Deshalb verstand sie das Verhalten von Ken. So langsam bekam sie auch eine Ahnung, was ihr der kleine blaue Schmetterling sagen wollte, den sie bei bestimmten Personen gesehen hatte. Und wenn sich ihre Vermutung bestätigte, so bedeutete dies, dass stimmte, was in ihrem Buch über Personas stand: Dass es vor ihr und ihren Freunden bereits mehrere Persona-User gab. Und es schien, dass Ken Amada einer von ihnen war. Zu besagtem Zeitpunkt war er allerdings noch in der Grundschule. Eine schreckliche Vorstellung. Sie wusste nicht was er erlebt hatte, wenn sie jedoch von ihrer Situation ausging, dann war es sicher nichts, was ein Grundschüler einfach so wegstecken würde. Ein Seufzen ließ sie aus ihren Gedanken schrecken: „Ich sagte ja, dass es fast allen Menschen wieder gut geht. Jedenfalls denen, die deshalb nicht ihr Leben gelassen hatten. Einer meiner Freunde liegt allerdings noch immer im Koma. Er liegt im Zentralkrankenhaus auf einer speziellen Station. Ich weiß nicht warum du das alles wissen möchtest. Mir scheint jedoch, dass es dir am Herzen liegt. Versteh aber bitte, dass ich dir darüber von mir aus nichts sagen darf. Wenn du aber Informationen haben möchtest, solltest du dorthin gehen. Vielleicht kann dir dort jemand helfen. Nun entschuldige mich bitte.“ Ohne weiteren Aufsehens wandte sich der junge Mann von ihr ab und ging. Überrascht sah Mirâ ihm nach. Auch wenn der Gleichaltrige nicht über das sprechen konnte, was damals passiert war, so hatte er ihr letzten Endes konkrete Informationen darüber gegeben, wo sie alles erfahren konnte. Ob er bemerkt hatte, dass auch sie eine Persona-Userin war? Sollte sie dem Hinweis folgen und einen Abstecher ins Krankenhaus machen? Am nächsten Tag hatten sie Freizeit. Ihrer Lehrerin würde es also nicht auffallen, wenn sie dorthin ginge. Sollte sie ihre Freunde einweihen? Sie bezweifelte jedoch, dass sie alle zu Kens Bekannten gelangen würden, wenn sie als Meute aufkreuzten. Außerdem hatte Akane Masaru versprochen ihm bei seinen Erledigungen zu helfen. Was sollte sie also machen? Noch ehe sie sich weitere Gedanken darüber machen konnte, wurde sie von ihren Freunden bereits aus eben jenen gerissen, als diese an sie herantraten. Überrascht fragten sie, was denn los sei und wieso sie Ken so überstürzt gefolgt war. Mit einem gespielten Lächeln versicherte sie ihren Freunden jedoch, dass alles in Ordnung war und sie nur noch etwas nachfragen wollte. Innerlich hatte sie bereits entschieden, ihren Freunden vorerst nichts darüber zu erzählen, was sie vorhatte. Denn ihr Entschluss, am nächsten Tag in das Krankenhaus von Iwatodai zu fahren, stand mittlerweile fest; allerdings wollte sie dies alleine erledigen. Noch ehe die anderen weiter nachhaken konnten, mussten sie bereits wieder zu den Bussen, von welchen sie ins Hotel gebracht wurden. So machten sie sich ohne weitere Nachfragen auf den Weg, während Mirâ sich gedanklich bereits bei ihren Freunden entschuldigte. Kapitel 107: CVII – Peinlicher Irrtum ------------------------------------- Donnerstag, 17.September 2015 – Abend Erschöpft erreichte das zweite Jahr der Jûgôya High School ihr Hotel am Stadtrand und versammelte sich, nach dem Einchecken, sogleich im Speisesaal zum Abendessen. Jedem von ihnen sah man die Erschöpfung nur zu gut an und sie alle waren froh, endlich im Hotel zu sein und sich ausruhen zu können. Sowohl die Anfahrt hierher, als auch die Führung durch die Gekkoukan hatte bei jedem seine Spuren hinterlassen. Umso mehr freuten sich alle auf den nun freien Abend und den nächsten Tag, an welchem jedem freigestellt war, was er machen wollte. So dauerte es auch nicht lange, bis sich kleine Grüppchen gebildet hatten, in denen rege besprochen wurde, was alles geplant war. Auch in der Gruppe um Mirâ, welcher sich Naoto und Shuya mittlerweile angeschlossen hatten, wurden Pläne für den nächsten Tag geschmiedet. An erster Stelle stand natürlich, dass sie Masaru bei seinen Botengängen halfen. Sie alle waren sich einig, dass die Menge, die der junge Mann mit sich trug, viel zu viel war, um alles alleine zu schaffen. So mussten sie auch nicht lange darüber debattieren, um sich zu einigen dem Älteren zu helfen. Doch sie hofften auch, dass sie danach noch Zeit haben würden etwas zusammen in dieser Stadt zu unternehmen. Akane jedenfalls war der Meinung, dass die Angelegenheit nicht den ganzen Tag dauern würde und suchte bereits mit ihrem Smartphone ein paar passende Locations, die sie besuchen konnten. Mirâ jedoch hörte gar nicht wirklich zu. Geistesabwesend aß sie ihren Reis und überlegte, wie sie ihren Plan am nächsten Tag am besten in die Tat umsetzte. In einer ruhigen Minute hatte sie bereits geschaut, wie sie am besten zum Krankenhaus kam. Allerdings hatte sie sich nicht alles merken könnten, da ihr ständig jemand über die Schulter geschaut hatte und sie deshalb ihre App wieder schließen musste. Sie war sich sicher, dass ihre Freunde Fragen stellen würden, wenn sie sahen, dass sie nach dem Krankenhaus in dieser Stadt suchte. Auch war ihr bewusst, dass es wohl ein Fehler war, ihre Freunde nicht einzuweihen. Aber es war ja nicht so, dass sie ihnen gar nichts erzählen wollte. Nur eben jetzt noch nicht. In der aktuellen Situation konnte sie ihnen sowieso nichts verraten. Solange ein unbeteiligter wie Naoto in der Nähe war, war das ohnehin zu riskant. Jedenfalls redete sie sich das ein, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, dass sich mittlerweile wieder meldete. Sobald sie der Sache auf den Grund gegangen war, würde sie mit den anderen darüber sprechen. „Ich habe im Internet ein Café gefunden, was echt gute Bewertungen hat“, holte sie Akanes Stimme aus ihren Gedanken, „Es befindet sich in der Paulownia Mall, in der Nähe der Gekkoukan. Man kommt aber gut mit der Monorail hin. Lasst uns morgen hingehen, wenn wir Senpai geholfen haben.“ „Sofern wir dann noch Zeit dafür haben. Wir fahren schon am Nachmittag und vorher müssen wir noch unsere Taschen holen“, meinte Kuraiko. „Ich finde das sollten wir morgen spontan entscheiden“, meine Hiroshi, „Zuerst erledigen wir Senpais Botengänge.“ „Vielen Dank für eure Hilfe“, bedankte sich Masaru mit einer angedeuteten Verbeugung, bevor er sich an Mirâ wandte. Ihm war während des Gespräches bereits aufgefallen, dass sie ungewöhnlich ruhig und in ihren Gedanken versunken war: „Ist alles in Ordnung, Mirâ? Du wirkst so abwesend.“ Erschrocken sah sie zu dem älteren Schüler und dann zu ihren anderen Freunden, die sie nun ebenfalls besorgt anschauten. Daraufhin setzte sie jedoch nur ein Lächeln auf und schüttelte den Kopf: „Mhm... alles in Ordnung. Ich bin nur etwas müde. Der Tag hat ganz schön geschlaucht.“ Hiroshi lehnte sich zurück: „Ja das stimmt. Ich bin froh, wenn ich nachher ins Bett kann.“ „Ja ich auch...“, demonstrativ gähnte Akane und lag schon halb auf dem Tisch, bevor ihr einzufallen schien, dass dieses Hotel auch einen Onsen besaß, „Lasst uns nachher noch in die heiße Quelle gehen, Mädels.“ Überrascht sahen Mirâ und Kuraiko die Brünette an, waren dem Vorschlag jedoch nicht abgeneigt und stimmten dem daraufhin zu. Plötzlich rutschte Shuya an die Schwarzhaarige heran und legte ihr wieder den Arm um die Schulter, woraufhin diese genervt das Gesicht verzog. Sie wusste bereits, was auf sie zukommen würde. „Das ist ne gute Idee, wie wäre es, wenn wir beide...? Uff!“, kam es wie es kommen musste, bevor die junge Frau dem Blau-Violetthaarigen ihren Ellenbogen in den Magen boxte. Sofort sackte Shuya leicht zusammen und hielt sich den Bauch, während Hiroshi ihn seufzend ermahnte, dass er doch wisse was auf ihn zukam, wenn er so mit der Schwarzhaarigen sprach. Zumal das ganze ziemlich merkwürdig klang, wenn man davon ausging, dass schon der Anblick von Kuraiko im Bikini bei ihm Nasenbluten verursacht hatte. Ein Prusten vom Tischende ertönte, bevor Naoto in schallendes Gelächter ausbrach. Sofort waren die Blicke der anderen Schüler auf ihren Tisch gerichtet, woraufhin sich der Brünette schnell die Hand vor den Mund hielt, aber nicht verhindern konnte weiter vor sich hinzukichern. „Ist dir das echt passiert?“, fragte er und unterdrückte dabei einen erneuten Lachkrampf. Shuya murrte nur und beschwerte sich bei seinem blonden Kumpel darüber, dass er das nicht hätte explizit erwähnen müssen. Dieser jedoch zuckte nur mit den Schultern und meinte, dass er ihn nur darauf hinweisen wollte. Masaru unterdessen massierte sich angesichts des aktuellen Themas nur die Nasenwurzel: „Ich tu jetzt einfach mal so, als hätte ich das nicht gehört...“ „Ach komm Senpai. Sei nicht so prüde“, grinste Naoto, „Du kannst mir nicht sagen, dass dich sowas kalt lässt.“ „Selbst wenn... ich lebe in einem Shinto-Tempel und bin auch so erzogen. Ganz davon abgesehen, werden das die Lehrer nicht tolerieren und ich als zusätzliche Aufsichtsperson auch nicht“, meinte der Schwarzhaarige, bevor er einen allessagenden Blick auf die drei Jungs des Fußballclubs richtete. Diese zuckten sofort zusammen und erklärten das Thema somit erst einmal für beendet. Währenddessen hatten auch ihre Lehrer das Abendessen beendet und entließen daraufhin ihre Schützlinge in den freien Abend. Am späten Abend saßen Mirâ und ihre beiden Freundinnen in einer der heißen Quellen des Hotels. Sie hatten sich für eine der späten Zeiten entschieden, da es hieß, dass der Onsen um diese Uhrzeit relativ leer und ruhig war. Und es bewahrheitete sich, denn als die Mädchen in den Badebereich traten war niemand vorzufinden. In aller Ruhe hatten sie sich fertig gemacht und ihre Körper gewaschen, bevor sie in das heiße klare Wasser stiegen. Nun lagen sie nebeneinander und blickten in den klaren Nachthimmel, welcher voller Sterne war. „Echt schön...“, murmelte Akane, die sich an den Beckenrand hinter sich lehnte und ihren Kopf auf einen Stein gelegt hatte, „Schade, dass es bei uns keine Onsen gibt.“ „Da gebe ich dir Recht...“, sagte Kuraiko, welche ihre Augen geschlossen hatte und die Wärme des Wassers um sie herum genoss. Mirâ beobachtete sie einen Moment, bevor auch sie ihren Blick gen Himmel richtete. Der zunehmende Mond strahlte hell und ließ die Oberschülerin wieder mit ihren Gedanken abdriften. Sie hatten den aktuellen Dungeon abgeschlossen und Ryu und Megumi zurückgeholt. Doch der nächste Vollmond stand an, was wohl bedeutete, dass sie bald wieder in die Spiegelwelt mussten. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn sich die Sache mit Ryu erledigt hätte, aber so einfach war es wahrscheinlich leider nicht. Auch die Worte dieses Schattens, der sie zu verfolgen schien, besorgten sie. Er sagte ihr, dass jemand hineingezogen werden würde, der ihr wichtig war, wenn sie nicht aufhörte. Wer sollte damit gemeint sein? Und wieso sollte das passieren? Ihre Hoffnung war, dass sie am nächsten Tag Antworten finden würde. Sie hatte sich vorgenommen sehr zeitig aufzustehen, damit sie noch vor ihren Freunden wach war und sich heimlich davonschleichen konnte. Doch noch während sie daran dachte, machte sich wieder ihr schlechtes Gewissen bemerkbar. Ihr Vorhaben war wirklich alles andere als fair gegenüber den anderen. Doch ihr Entschluss war gefasst. Sie würde das durchziehen. Entschuldigen konnte sie sich im Nachhinein immer noch. Ein Geräusch ließ sie und ihre beiden Freundinnen aufhorchen, bevor plötzlich die Holzschiebetür aufgeschoben wurde, welche den Wasch- vom Badebereich trennte. Daraufhin blickten die Mädchen auf eine Gruppe von drei jungen Männern, welche aus Hiroshi, Shuya und Naoto bestand und die sie genauso verdutzt ansahen. Kurz herrschte Stille, bevor allen Anwesenden so richtig klar wurde, was gerade geschehen war. Mit einem lauten Schrei tauchten die Mädchen tiefer ins Wasser ein, sodass die Jungs nicht in der Lage waren etwas zu sehen. Diese hatten sich allerdings ohnehin so schnell wie möglich umgedreht. „SPANNER!“, kam es zeitgleich von den drei jungen Frauen. Die drei Jungs wollten die Flucht ergreifen, doch bevor sie dazu in der Lage waren sackte Shuya plötzlich mit hochrotem Kopf in sich zusammen, während ihm aus der Nase ein kleines Rinnsal Blut lief. „Nicht dein Ernst oder?“, fragte Naoto, welcher versuchte den Blau-Violetthaarigen zu stützen und dabei fast selbst wegrutschte. Auch Hiroshi versuchte seinen besten Kumpel wieder auf die Beine zu helfen, was allerdings eher schlecht als recht klappte: „Mach bloß nicht schlapp, du Idiot.“ „URGH! Ich bring euch um!“, schimpfte Kuraiko auf Shuyas Reaktion hin. „Hey Mädels wartet...“, begann der Blonde und wollte damit die Wogen glätten, kam jedoch nicht weit, bevor ihn ein Holzeimer am Hinterkopf traf, „AU! Was soll der Scheiß? Das ist nicht unsere Schuld!“ „RAUS! SOFORT!“, schrien die Mädchen zeitgleich und veranlassten die Jungs daraufhin die Räumlichkeiten endlich fluchtartig zu verlassen. Schwer atmend und immer noch mit Eimern bewaffnet sahen die drei Mädchen ihnen mit hochroten Köpfen nach, während sie versuchten sich langsam wieder zu beruhigen. „Diese Spanner... die haben doch nicht mehr alle Latten am Zaun“, schimpfte Akane den Kopf schütteln, während sie den Eimer in ihrer Hand auf den Steinboden knallte. „Ich werde ihn umbringen...“, murmelte Kuraiko ihre Hand zur Faust geballt. Nur beiläufig bekam Mirâ das alles noch mit, denn plötzlich wurde ihr ganz anders im Kopf. Alles drehte sich und sie hatte das Gefühl zu verglühen. Mit einem Male verschwamm alles vor ihren Augen, bevor tiefe Dunkelheit folgte. Mit einem lauten Klatschen landete sie im heißen Wasser, während sie dumpf die Stimmen ihrer Freundinnen vernahm, die schockiert ihren Namen riefen. Als Mirâ etwas später wieder zu sich kam, lag sie auf ihrem Futon im Hotelzimmer. Auf ihrer Stirn lag ein kalter Lappen, der ihr immer noch glühendes Gesicht kühlen sollte, das einer überreifen Tomate glich. Als sie sich vorsichtig umsah, bemerkte sie, dass ihr jemand den vom Hotel gestellten Yukata übergezogen und ihr die Decke über die Füße gelegt hatte. Ein plötzlicher Schwindel überkam sie wieder, weshalb sie sich ganz schnell wieder zurücklegte. Dabei fiel der Lappen von ihrer Stirn auf ihr Kissen, welcher jedoch kurz darauf wieder auf ihre Stirn gelegt wurde. Überrascht öffnete sie ihre Augen wieder und erblickte Akane, die sie besorgt anlächelte und fragte, wie es ihr ging. „Naja… mir dreht sich alles…“, murmelte die Violetthaarige. „Verständlich… du warst total überhitzt…“, kam es von Kuraiko, während sie erklärte, dass sie wohl zu lange im Wasser waren, „Und dann noch die Aktion mit den Jungs…“ „Die konnten aber dieses Mal wirklich nichts dafür…“, sagte Akane, woraufhin sie ein fragender Blick ihrer besten Freundin traf, „Naja… wir hatten uns im Eingang geirrt. Wir waren im falschen Bad gelandet. Deshalb konnten die Jungs nichts dafür. Wie hätten sie auch damit rechnen können?“ Völlig überfordert sah Mirâ die Brünette an, welche erklärte, dass sie von Glück reden konnten, dass es sich dabei „nur“ um Hiroshi, Shuya und Naoto gehandelt hatte. Es hätte auch peinlicher enden könnten, indem ein wildfremder Mann oder gar andere Jungs aus ihrer Klasse das Bad betreten hätten. Die violetthaarige Oberschülerin hatte allerdings trotzdem das Gefühl jeden Moment verglühen zu müssen und suchte nach einem passenden Mäuseloch, um sich darin zu verstecken. Schnell schlug sie sich die Hände vors Gesicht, um dieses zu verdecken. Es war ihr vollkommen egal, wer sie gesehen hatte. Peinlich war es so oder so. Dabei machte es die Tatsache nicht einfacher, dass sie die Jungs kannten. Viel mehr verkomplizierte es die ganze Sache noch. Denn die Situation war für beide Seiten mit Sicherheit gleichermaßen peinlich, nicht nur für die Mädchen alleine. Doch noch unangenehmer für Mirâ wurde es, als sie hinter ihren geschlossenen Augenliedern Hiroshi vor sich sah; fast nackt und nur mit einem Handtuch um seine Hüfte. Sie versuchte es zu verdrängen, doch es klappte nicht. Auch wenn es nur ein kurzer Moment war, in dem sie den Blonden so gesehen hatte, so hatte sich ihr alles tief ins Gedächtnis eingebrannt. Dabei war es doch nicht das erste Mal, dass sie den jungen Mann mit freiem Oberkörper gesehen hatte; immerhin waren sie im Sommer häufiger am Strand gewesen. Doch dieses Mal wirkte alles ganz anders. Sie erinnerte sich noch genau an das leichte Sixpack, welches sich auf seinem Bauch abzeichnete und auf denen vom Duschen noch Wassertropfen klebten. Die junge Frau schluckte schwer und versuchte erneut das Bild zu verdrängen, doch so richtig wollte es nicht gelingen. „Letzten Endes können wir auch von Glück reden, dass die Jungs in der Nähe waren“, holten sie Akanes Worte wieder aus ihren Gedanken. Schockiert sah Mirâ sie an. Wie konnte sie nach so einer Aktion von Glück sprechen? Die brünette Frau bemerkte ihren Blick: „Naja, du warst ja im Wasser zusammengebrochen. Es war schon ein echter Kraftakt, dich irgendwie aus dem Wasser zu bekommen. Deshalb bin ich danach gleich Hilfe holen gegangen. Die Jungs waren noch in der Umkleide. Ohne ihre Hilfe hätten wir dich gar nicht ins Zimmer bekommen.“ Moment! Was? Hieß das die Jungs, insbesondere Hiroshi hatten sie letzten Endes auch noch richtig nackt gesehen? Nein! Bitte nicht. Wieder suchte sich die Violetthaarige einen Ort um sich zu verkriechen. Nein, viel lieber hätte sie sich vor Scham einfach nur aufgelöst. Akane bemerkte das Unbehagen von Mirâ und fuchtelte sofort mit den Armen herum: „K-Kein Sorge. Sie haben dich nicht nackt gesehen oder so. Wir haben dir einen Bademantel übergezogen und dich mit Handtüchern abgedeckt. Man hat nichts gesehen. Wirklich. Aber anders ging es nicht. Stell dir vor ein Lehrer hätte das mitbekommen.“ „Wir haben dich mit kaltem Wasser etwas gekühlt, während wir uns alle so schnell wie möglich was übergeschmissen haben und dann hat dich Hiroshi hergetragen“, erklärte Kuraiko, „Nagase und Obata haben uns mehr oder weniger den Weg gesichert, dass uns niemand bemerkt.“ Für Mirâ war das einfach zu viel, weshalb sie sich von ihren Freundinnen abwandte und auf die Seite legte. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wieso musste ihr so etwas passieren? Dabei half ihr auch nicht die Erleichterung darüber, dass wenigstens Masaru nicht dabei gewesen war. Danach wäre sie wahrscheinlich vor Scham gestorben, wobei sie in diesem Moment auch schon kurz davor war. Ein leises Klopfen ließ sie das Thema vorerst beenden und Kuraiko sich erheben, um hinüber zur Tür zu gehen. Da zwischen dem Schlafbereich und der Tür noch so etwas wie ein kleiner Eingangsbereich war konnte Mirâ von ihrer Position aus nicht erkennen, wer geklopft hatte. Doch als sie Kuraiko verächtlich schnauben hörte, hatte sie schon eine Vorahnung, welche ihr wieder die Röte ins Gesicht schießen ließ. „Was willst du hier?“, fragte die Schwarzhaarige gereizt. „Zick mich gefälligst nicht so an. Du weiß genau, dass wir an der Situation nicht Schuld waren“, erklang Hiroshis gedämpfte Stimme, welcher ein Seufzen folgte, „Ich wollte nach Mirâ sehen…“ Überrascht hob sie den Blick und erkannte dann den Blonden, welcher von Kuraiko hineingebeten wurde. Auch er trug einen vom Hotel gestellten Yukata und hatte dazu seine Haare komplett offen, sodass sie ihm über die Schulter fielen. Besorgt betrachtete er die junge Frau, welche immer noch mit hochrotem Kopf auf ihrem Futon lag, und kniete sich dann zu ihr herunter. „Alles in Ordnung?“, fragte er mit einem kleinen Lächeln. Die Oberschülerin konnte nichts weiter als mit dem Kopf nicken. Jedes Wort, was ihr in diesem Moment einfiel, blieb ihr im Hals stecken. Ganz davon abgesehen, dass sie Angst hatte, ihr Herz würde ihr gleich aus dem Hals springen, sobald sie ein Wort sagte. Es schlug so heftig, dass sie es sogar bis in die Ohren pulsieren spüren konnte. Hiroshis Lächeln wurde breiter, bevor er sich wieder erhob: „Da bin ich ja beruhigt.“ Er wandte sich ab und wollte gerade das Zimmer wieder verlassen, als Mirâ endlich ihre Worte wiederfand: „Ähm… Hiroshi-kun…“ Fragend blickte der Blonde noch einmal über seine Schulter, bevor die junge Frau aussprach, was ihr auf der Seele brannte: „Vielen Dank für deine Hilfe. Und sorry, wegen vorhin…“ Ein fröhliches Grinsen legte sich auf das Gesicht des jungen Mannes, welches Mirâs Herz einen Satz machen ließ: „Kein Problem. Passt nächstes Mal nur besser auf. Okay?“ Damit hatte er das Zimmer wieder verlassen. Noch einen Moment starrte die Violetthaarige auf den Eingangsbereich, durch welchen ihr Kamerad gegangen war, bevor sie erleichtert aufatmete. Nach dieser Aktion im Onsen hatte sie wirklich Angst, dass sie nun nicht mehr normal mit dem jungen Mann reden konnte. Doch auch wenn ihr Herz ihr bis zum Hals schlug und sie genau spüren konnte, wie ihr die Schamesröte im Gesicht stand, konnte sie sich halbwegs normal mit ihm unterhalten. Mehr oder weniger jedenfalls. Vielleicht würde sie es ja doch hinbekommen, weiterhin so zwanglos mit ihm umzugehen. Diese Sache musste ja auch nicht die ganze Zeit zwischen ihnen stehen, auch wenn sie extrem peinlich war. Irgendwie würden sie das schon hinbekommen. Ganz sicher. Mit einem Mal fühlte sie sich extrem Müde, woraufhin sie die Augen schloss und kurz darauf auch schon eingeschlafen war. Kapitel 108: CVIII – Erfahrungsbericht -------------------------------------- Freitag, 18.September 2015 – früher Morgen Leise erklang Musik aus Mirâs Handy, welches fröhlich vibrierend über ihren Futon rutschte. Müde griff sie nach dem roten Gerät und schaltete es ab, bevor sie sich leise murrend auf den Rücken drehte und die Zimmerdecke betrachtete. Es brauchte eine Weile bis sie richtig registriert hatte, dass sie sich nicht zuhause, sondern in einem Hotelzimmer befand. Erst nach und nach kamen die Erinnerungen an den vergangenen Tag zurück, weshalb sie sich auch an die peinliche Situation aus dem Onsen erinnerte. Wieder stieg ihr Röte ins Gesicht, weshalb sie schnell den Kopf schüttelte und ihre Hände vor die Augen legte, um sich wieder zu beruhigen. Genau, sie musste sich auf ihre heutige Aufgabe konzentrieren. Leise erhob sie sich und blickte auf die zwei Futons neben sich. Zu ihrer Linken lag Kuraiko seitlich in ihre Decke gewickelt und leise atmend, während zu ihrer Rechten Akane quer über deren Futon lag und leise vor sich hin schnarchte. Erleichtert stellte Mirâ fest, dass ihre beiden Freundinnen nicht durch das Klingeln ihres Weckers wach geworden waren, weshalb sie sich erhob und ihre Uniform zusammensuchte, um sich fertig zu machen. Dabei versuchte sie so leise wie möglich zu sein, um die beiden anderen nicht zu wecken. Als sie fertig war trat sie an die Zimmertür heran, doch schrak auf, als sie Kuraikos flüsternde Stimme hörte. „Ich weiß nicht wo du so klammheimlich hinwillst“, murmelte sie, „Ich hoffe aber du wirst uns davon erzählen, wenn du wieder da bist…“ Ihre Stimme klang etwas angesäuert, doch nicht irgendwie verurteilend. Mirâ nickte und entgegnete leise, dass sie ihnen alles erzählen würde, bevor sie endlich das Zimmer verließ und Kuraiko und Akane alleine zurückließ. Still schlich sie durch die Gänge des Hotels, immer darauf bedacht keinem der Lehrer zu begegnen, denn auch wenn sie diesen Tag frei nutzen konnten, so durfte sie sich nicht einfach davonschleichen. Draußen blickte sie in den Himmel, an welchem die Sonne gerade im Begriff war aufzugehen, weshalb er sich langsam hellblau färbte. Ein kühler Windhauch zog um die Beine der Oberschülerin und ließ sie kurz frösteln, bevor sie ihr Smartphone herauskramte und sich auf den Weg zur Monorail-Station machte. Eine viertel Stunde später stieg sie an der Iwatodai Station wieder aus und sah sich fragend um. Ihr Handy hatte ihr gesagt, dass sie bis hierhin fahren musste. Und nun? Sie blickte auf das kleine Display, dessen Navi ihr zwar eine vorgab wo sie hin sollte, jedoch plötzlich flackerte und in eine andere Richtung zeigte. Murrend schüttelte sie das kleine Gerät, dessen Display mit einem Male ausging. „Nee oder?“, seufzte sie und versuchte das rote Telefon wieder einzuschalten, jedoch ohne Erfolg. Am Akku jedoch konnte es nicht liegen, da sie diesen am Vorabend noch geladen hatte. Wie es schien musste sie doch noch einmal Chisato aufsuchen oder sich gar ein neues Handy kaufen. Doch wo sollte sie nun lang? Irritiert sah sie sich um und erblickte dann ein Schild, welches in die Innenstadt wies. Das Beste war es wohl, erst einmal dorthin zu gehen. Irgendwo würde es schon eine Beschilderung für das Krankenhaus geben. Gerade als sie sich jedoch in Bewegung setzen wollte, stieß sie jemand von der Seite an, weshalb sie einige Schritte zurückstolperte und dabei der Bahnsteigkante bedrohlich nah kam. Erschrocken bemerkte sie, dass sie keine Chance mehr hatte sich irgendwie zu halten und drohte auf die Gleise zu fallen. Zeitgleich nährte sich in diesem Moment auch gerade eine Monorail der Station, weshalb Panik in ihr aufstieg. Sie schloss die Augen und sah ihr Ende schon auf sich zukommen, als sie plötzlich von jemandem am Oberarm gegriffen wurde, der sie wieder zurück auf den Bahnsteig zog. Dabei hatte sie so viel Schwung, dass ihre Beine sie nicht mehr halten konnten und sie zu Boden sackte. „Mensch Kenshin, du musst aufpassen. Du hättest diese junge Frau gerade fast auf die Gleise gestoßen“, hörte sie eine junge männliche Stimme schimpfen. Erschrocken hob sie den Blick und sah auf zwei Jungen in typischer Mittelschuluniformen. „Kann ich doch nichts für, wenn die hier im Weg rumsteht…“, murrte einer der beiden, dessen schwarze Haare ziemlich unordentlich wirkten. Sein Gesicht war mit kleinen Wunden und Pflastern übersäht, sodass er sie sehr stark an Ryu erinnerte, wenn er Probleme mit seinen angeblichen Freunden hatte. Mit seinen tiefblauen Augen sah er Mirâ mit einem mehr oder minder herablassenden Blick an, zuckte jedoch zusammen, als er von seinem Kumpel eine Kopfnuss verpasst bekam. Dieser hatte braune, kurze Haare und goldbraune Augen, die den Schwarzhaarigen böse musterten. Er trat näher an seinen Kumpel heran, packte ihm am Hinterkopf und brachte ihn so dazu sich höflich vor Mirâ zu verbeugen. „Entschuldige dich gefälligst“, meckerte er sogleich. „‘Tschuldigung“, nuschelte der Schwarzhaarige, dessen Name Kenshin war, soweit Mirâ das verstanden hatte. Die Oberschülerin hatte sich derweilen wieder gefangen und stand langsam auf, während sie sich den Staub von der Uniform klopfte: „Schon gut. Ihr habt mich doch auch wieder zurückgezogen oder?“ Der Brünette blickte auf seinen Kumpel und lächelte sie dann lieb an: „Genauer gesagt hat er dich wieder zurückgezogen. Er benimmt sich zwar wie die Axt im Wald, aber eigentlich ist er super nett. Nicht wahr Kenshin? Uff!“ Noch ehe der Braunhaarige ausgesprochen hatte, hatte ihm sein bester Kumpel bereits den Ellenbogen in den Bauch gerammt. Zwar nicht sonderlich doll, jedoch so stark, dass er auch etwas davon spürte. Ein Lächeln bildete sich auf den Lippen der Violetthaarigen. Nur gute Freunde konnten so miteinander umgehen. „Dann möchte ich mich bei dir bedanken, Kenshin-kun“, hielt sie dem Schwarzhaarigen die Hand hin, welcher sie kurz skeptisch betrachtete. Widerwillig schlug er jedoch einen Moment später ein und murmelte etwas davon, dass das kein Problem war. Das jedoch bekam die Oberschülerin nur am Rande mit, denn kaum hatte sie seine Hand berührt durchflutete sie ein angenehm warmes Glühen. Überrascht sah sie den Jüngeren an, denn dieses Glühen kam eindeutig von ihm. Es war nicht sehr stark, erinnerte sie jedoch an die Reaktion, die sie sowohl bei Aikawa-chan, als auch bei Kurosaki-kun hatte. Auch dieser Junge war von diesem blauen Glühen umgeben, auch wenn es noch sehr schwach war. Das konnte nur bedeuten, dass auch er irgendwann seinem Schicksal begegnen würde. Sie wusste nicht wieso, aber irgendwas sagte ihr, dass es so kommen würde. Derweilen wurde sie von Kenshin skeptisch betrachtet, welcher letzten Endes schnell ihre Hand wieder abschüttelte, da er es mehr als nur unangenehm fand. Endlich erwachte auch Mirâ wieder aus ihren Gedanken und ließ gänzlich von ihm ab. „Alles okay bei dir?“, fragte Kenshins brünetter Kumpel. Die Oberschülerin nickte: „J-ja. Alles gut. Könnt ihr mir vielleicht helfen? Ich möchte zum Krankenhaus. Wo muss ich da lang? Mein Handy spinnt irgendwie…“ „Konnte mir schon denken, dass du nicht von hier bist. Hab die Uniform noch nie gesehen“, meinte der Mittelschüler mit den goldbraunen Augen und wies dann auf den Ausgang, „Du gehst hier raus und dann über den großen Platz zur Hauptstraße. Dort nach rechts. Wenn du der Straße dann folgst, dann kommst du zum Zentralkrankenhaus. Wenn es das ist, was du suchst.“ Die Ältere nickte: „Ja, ich denke das ist es. Hab vielen Dank.“ Sie wandte sich ab, stoppte jedoch kurz, bevor sie sich nochmal zu den beiden Jungs umdrehte: „Passt gut auf euch auf ihr beiden. Besonders du, Kenshin-kun.“ Damit hatte sie sich ihrem neuen Ziel zugewandt und war gegangen, während ihr die beiden Mittelschüler etwas verdutzt nachschauten. Wie geheißen verließ Mirâ die Station, lief daraufhin über den großen Platz hinüber zur Hauptstraße und bog dann rechts ab, bevor sie der Verkehrsader folgte. Sie brauchte auch nicht lange suchen. Nach nur wenigen Metern erschien bereits das erste Schild, welches ihr sagte, in welche Richtung sie laufen musste, um zum Krankenhaus zu gelangen. So folgte sie der Beschilderung, bis sie rund eine halbe Stunde später vor einem typischen Krankenhauskomplex stand. Etwas verunsichert blickte sie die Fassade hinauf und betrat dann das Gebäude. Doch kaum war sie eingetreten stand sie erneut verloren da. Wo musste sie eigentlich hin? Ken meinte, dass sein Bekannter in einem separaten Bereich des Krankenhauses lag. Der würde aber mit Sicherheit nicht ausgeschildert sein. Sie seufzte und tat das Einzige, was sie in diesem Moment tun konnte: Sie ging zu dem Infoschalter, welcher zu ihrer Rechten war. Vorsichtig trat sie an den verglasten Bereich heran und räusperte sich kurz, um die Aufmerksamkeit der Empfangsdame zu bekommen. Diese sah daraufhin von ihrem Computer auf. „Ja bitte? Was kann ich für dich tun?“, fragte sie sogleich. „Ähm…“, so richtig wusste die Oberschülerin gar nicht, wonach sie eigentlich fragen sollte, „E-Ein Bekannter von mir erzählte mit, dass jemand mit dem Apathy Syndrome hier liegen soll. Können Sie mir sagen, wo ich denjenigen finde?“ Mirâ beobachtete genau die Regungen der Dame, doch konnte keine Veränderungen feststellen. Auch nicht, als sie unverwandt fragte, was sie mit dem Apathy Syndrome meinte und dass ihr kein Fall bekannt war, der hier im Krankenhaus untergebracht war. Irritiert trat die Violetthaarige wieder einen Schritt zurück und schluckte schwer. Dass es schwierig werden würde, konnte sie sich denken. Dass es jedoch so schwer werden würde, hätte sie nicht gedacht. Oder war sie etwa im falschen Krankenhaus? Hoffnungsvoll fragte sie auch nach dieser Möglichkeit, doch auch dieses Mal regte sich keine Miene bei der Frau ihr gegenüber, während sie erklärte, dass sie das einzige große Krankenhaus in der näheren Umgebung wären und ihr sicher bekannt wäre, wenn es Fälle mit einer ihr unbekannten Krankheit gab. So zog sich Mirâ vorerst zurück, blieb jedoch an der Eingangspforte stehen, um ihre Gedanken zu ordnen. Was sollte sie nun machen? Ken hatte erzählt sein Bekannter liege im Krankenhaus. Da dieses hier das einzige in der Umgebung war, konnte es auch nur dieses sein. Sie konnte sich auch vorstellen, dass der Gleichaltrige ihr andernfalls gesagt hätte, wo sie diese Person finden würde. Derjenige konnte also nur hier sein. Doch wie kam sie an ihn heran? Das war die Frage der Fragen. Eine Antwort darauf wollte ihr allerdings nicht einfallen. Sie seufzte schwer. Was nun? Sie hatte schon beinahe aufgegeben, als etwas in ihrem Augenwinkel ihre Aufmerksamkeit erweckte, weshalb sie den Blick zu ihrer Linken wandte. Daraufhin erkannte sie einen kleinen blauen Schmetterling, welcher sich jedoch von den anderen unterschied, die sie bisher gesehen hatte. Seine Flügelpaare waren wesentlich größer, als die der anderen. Seine Vorderflügel waren prachtvoll geschwungen, während an seinen ebenso geschwungenen Hinterflügeln noch lange Schweife hingen. Zudem leuchtete er wesentlich heller und strahlte eine angenehme Wärme aus, welche Mirâ selbst aus etwas Entfernung spüren konnte. Erst zog er einige Runden, bevor er sich plötzlich in Bewegung setzte und in Richtung eines Ganges gegenüber des Infoschalters flog. Kurz zögerte die junge Frau. Sollte sie dem kleinen Flattermann folgen? Er unterschied sich von den Schmetterlingen, die sie bei den vermeintlich anderen Persona-Usern vernommen hatte, wirkte jedoch nicht bedrohlich. Auch seine angenehme Wärme zeigte ihr, dass er nicht gefährlich schien. So warf sie noch einen letzten Blick über ihre Schulter hinüber zum Infoschalter, um sich zu vergewissern, dass sie unbeobachtet war, bevor sie dem blauen Etwas folgte. Das kleine Insekt führte Mirâ durch lange, endlos wirkende und teilweise ziemlich düstere Gänge. Immer wieder schaute sich die junge Frau um, ob ihr nicht plötzlich jemand begegnen könnte, der sie auf ihrem Weg aufhalten würde, doch nirgends war jemand zu sehen. Je tiefer sie in das Krankenhaus eintauchte, desto stiller und unheimlicher wurde es im Gebäude. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen und sie begann zu frösteln, während ihr langsam Zweifel an ihrer Entscheidung kamen. Was wenn sie doch in eine Falle getappt war? Vielleicht hätte sie sich doch vorher ihren Freunden anvertrauen sollen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie schlussendlich einen Bereich, welcher endlich wieder durchgängig beleuchtet war. Die Gänge jedoch wirkten auch hier immer noch vollkommen verwaist. War sie hier richtig? „Was machst du hier?!“, fragte plötzlich eine aufgebrachte Stimme, weshalb die junge Frau erschrocken herumfuhr und dann auf eine vollkommen entsetzte Krankenschwester sah. „Das hier ist ein abgesperrter Bereich! Wie bist du hierhergekommen?“, fragte sie und kam auf Mirâ zu, welche bereits drauf und dran war die Flucht zu ergreifen. „Ähm… ich…“, stotterte die Oberschülerin und wusste nicht so recht was sie sagen sollte. „Was ist denn hier los?“, ließ sie jedoch eine weitere weibliche Stimme aufschrecken und wieder den Blick drehen. Daraufhin erkannte sie eine junge Frau mit hellbraunen kurzen Haaren, die eine leichte Welle nach vorn machten und ihr so bis an die Wangen reichten. Mit großen braunen Augen sah sie die Violetthaarige schockiert an und schien ebenfalls nicht zu verstehen, wie jemand fremdes hier eindringen konnte. Überrascht bemerkte Mirâ, wie der blaue Schmetterling, welcher sie hierhergeführt hatte, an ihr vorbeiflog; genau auf die brünette Frau zu, wo er auf einen weiteren Flattermann traf. Mit diesem drehte er einige Runde, so als würden sie tanzen, bis der kleinere der beiden wieder verschwand. Ihr Gegenüber nahm plötzlich eine Kampfstellung ein und griff sich an den Oberschenkel, an dem, wie Mirâ merkte, eine Art Revolver hing. Erschrocken wich die Oberschülerin daraufhin zurück. Wieso hatte diese Frau, die ihr im Übrigen auch noch ziemlich bekannt vorkam, eine Waffe? „Wer bist du? Wie bist du hierhergekommen? Und was willst du hier?“, fragte die ältere Frau mit bösem Blick. Schnell fuchtelte Mirâ mit ihren Händen herum und sagte einfach das, was ihr als erstes einfiel ohne lange darüber nachzudenken: „Äh… m-mein Name ist Mi-Mirâ Shingetsu. D-Da w-war ein blauer Schmetterling… d-dem ich g-gefolgt bin. U-und…“ Überrascht sah die Frau ihr gegenüber sie an und entspannte sich mit einem Male: „Ein blauer Schmetterling…?“ Sie schaute auf eine Tür zu ihrer Linken und wandte dann ihren Blick wieder zu der Jüngeren, welche sie genau musterte. Dann richtete sie sich an die Krankenschwester und erklärte, dass alles in Ordnung sei und sie gehen könne. Verwundert wollte die Dame protestieren, doch die Brünette ließ keine Widerworte zu, woraufhin sich die Pflegefachkraft verbeugte und ging. Die junge Frau richtete währenddessen ihre braunen Augen wieder auf die Oberschülerin, bevor sie auf die Tür neben sich zuging, diese öffnete und Mirâ dann bat ihr zu folgen. Plötzlich tauchte wieder der kleine Flattermann auf und flog noch vor den beiden in das Zimmer, welches die Brünette nun gänzlich betrat. Die Violetthaarige folgte ihr und trat kurz darauf in ein kleines Krankenzimmer, welches eher sporadisch eingerichtet war und gerade so für eine Person reichte. Ihr gegenüber war eine lange Fensterfront, welche die gesamte Breite der Wand einnahm. Darunter stand ein niedriger Schrank, welcher gerade so an das Fensterbrett reichte und genauso lang war wie die Fenster. Darauf verteilt lagen und standen verschiedene Gegenstände, sowie eine Vase mit frischen Blumen. Direkt zu ihrer Rechten war ein Kleiderschrank und dem gegenüber befand sich eine kleine Waschecke. Etwas weiter mittig im Raum, an der linken Wand, stand ein Krankenbett, vor welchem die brünette Frau nun platzgenommen hatte. Vorsichtig trat Mirâ an dieses heran und erkannte kurz darauf einen jungen Mann mit dunkelblauem kurzem Haar, welcher ziemlich ausgemergelt aussah. Unter der Decke, die seinen Körper bis zur Brust bedeckte, kamen mehrere Kabel zum Vorschein, die zu verschiedenen Gerätschaften führten, die um das Bett verteilt war. Eines davon war ein EKG-Gerät, welches seinen regelmäßigen Herzschlag aufzeichnete. „Wie hast du von Yuki-kun erfahren?“, holte sie die Stimme der Brünetten aus ihren Gedanken. Erschrocken wich Mirâ kurz zurück und überlegte dann, was sie sagen sollte. Ken meinte zu ihr, dass er ihr nicht mehr sagen durfte, als das was sie bereits wusste. In Schwierigkeiten wollte sie ihn aber auch nicht bringen, wenn sie unbedacht etwas sagte. Deshalb schwieg sie kurz, während ihr Gegenüber sie beobachtete und dann seufzte. „Ich hab da eine Vermutung…“, meinte sie und blickte wieder zu der Oberschülerin, „Kann es sein, dass dir Amada-kun etwas gesagt hat?“ „Ähm…“, im Grunde konnte sie es nicht mehr leugnen, denn ihre Reaktion hatte sie verraten, als sie die Ältere mit großen Augen angesehen hatte, „I-ich hoffe e-er bekommt keinen Ärger. Er wollte mir nur helfen…“ Wieder seufzte die Ältere: „Amada-kun würde nichts Unüberlegtes machen… deshalb ist es in Ordnung denke ich. Das bringt mich gleich zu meiner zweiten Frage: Du bist eine Persona-Userin. Hab ich Recht?“ Mirâ nickte. Es gab keinen Grund mehr es geheim zu halten. Diese Person vor ihr wusste über Personas Bescheid, was ihre Vermutung, dass auch sie eine Userin war, nur noch verstärkte. Das bedeutete also wirklich, dass die Schmetterlinge ihr die ganze Zeit anzeigten, wer diese mysteriöse Kraft besaß oder besessen hatte. Was sie jedoch nun zu der Frage brachte, wieso der Schmetterling, dieses Mannes anders aussah und auch wirkte, als die der anderen. Unbewusst hatte sie ihren Blick auf den schlafenden Jungen gereichtet, um den noch einmal der Schmetterling kreiste und dann verschwand. Die Ältere bemerkte ihren Blick: „Sein Name ist Makoto Yuki. Er, wie auch ich, sind ebenfalls Persona-User. Allerdings hat sich seine Kraft von unserer sehr stark unterschieden. Sie war wesentlich mächtiger und er konnte auch mehr als nur eine Persona nutzen.“ „Eine Wild Card?“ „Oh? Du kennst dich damit aus? Warte… oder heißt das…?“, begann ihr Gegenüber, woraufhin die Oberschülerin nickte. „Ja… ich kann auch mehrere Personas nutzen und auch fusionieren“, erklärte sie anschließend, „Darf ich fragen, was mit ihm passiert ist, ähm…“ „Takeba… Yukari Takeba“, stellte sich die Brünette endlich vor, was Mirâ jedoch erneut erschrocken zurückweichen ließ: „Eh? Pink Argus von Phoenyx Ranger Featherman Victory?!” Überrascht sah Yukari sie an und lachte dann: „Diese Rolle klebt irgendwie an mir… Dabei ist das schon Jahre her.“ „E-entschuldige… meine kleine Schwester liebt die Serie und…“, entschuldigte sich die violetthaarige Oberschülerin, woraufhin die Ältere jedoch nur abwinkte und meinte, dass es in Ordnung sei. Dann wandte sie ihren Blick wieder auf den schlafenden Makoto und begann zu erzählen, wie es zu diesem Zustand kam. So erfuhr Mirâ, dass der junge Mann, genau wie sie, zu Beginn des zweiten Jahres der Oberschule an die Gekkoukan High School wechselte und im dazugehörigen Wohnheim einzog. Dort waren sie und ihre Senpai ihm das erste Mal begegnet und zwar während der Dark Hour, eine Zwischenzeit, welche ab 0:00 Uhr begann und in welcher Shadows ihr Unwesen trieben. Normale Menschen ohne Potential verwandelten sich zu dieser Zeit in Särge und hielten dort eine Art schlaf. Es gab jedoch auch Menschen ohne die Macht einer Persona, die sich nicht verwandelten und dann auf Shadows trafen, was dazu führte, dass sie durchdrehten oder ins Koma fielen. Daraus entstand daraufhin das Apathy Syndrome. Nur Yukari und ihre Freunde, die die Macht der Personas hatten, konnten sich wirklich frei dort bewegen und gegen die Shadows kämpfen. Auch Makoto hatte das Potential einer Persona, was er gleich in der ersten Vollmondnacht unter Beweis stellte. Denn an jenen Abenden erschienen die Bossgegner, zwölf Shadows, die durch ein missglücktes Experiment, im Zeichen der Arcanas entstanden sind. Dieses Experiment war auch der Ursprung der Dark Hour, in der sich auch die Schule in einen riesigen Dungeon verwandelte, welchen sie erklimmen mussten. Sie mussten viele Aufgaben bewältigen, die auch Makoto an seine Grenzen brachten, und landeten letzten Endes beim Kampf gegen Nyx, dem 13. Shadow. „Irgendwie haben wir es geschafft ihn zu besiegen und zu versiegeln…“, endete Yukari mit ihrer Erzählung und sah wieder auf den schlafenden jungen Mann neben sich, „Genauer gesagt hat er es geschafft. Und nachdem alles vorbei war fiel er in eine Art Koma. Seitdem befindet er sich hier.“ Mirâ hatte aufmerksam zugehört. Zwar gab es einige Parallelen zu ihrem jetzigen Abenteuer, doch im Großen und Ganzen unterschied sich der Kampf von damals mit dem, was sie bisher erlebt hatte. Aber die Aussage in ihrem Buch, dass es einen Auslöser für die jeweiligen Ereignisse gab, bestätigte sich hiermit. In dieser Stadt war der Auslöser dieses Experiment. Es brauchte nicht viel Fantasie, um genanntes mit der Explosion auf Tatsumi Port Island in Verbindung zu bringen, auf welchem die jetzige Gekkoukan stand. Vor allem, wenn man bedachte, dass sich die Schule damals in einen Dungeon verwandelt hatte. Sie bezweifelte jedoch, dass sie eine solche Erklärung auch in Bezug auf ihr aktuelles Problem anwenden konnte. Soweit sie die Geschichte von Kagaminomachi zurückverfolgt hatte, gab es dort nie große Forschungseinrichtungen, durch welche eine Explosion verursacht wurde. Das wäre sicher irgendwo in den Stadtchroniken aufgetaucht. Dem war aber nicht so. Die Ursache musste also woanders liegen. Aber wo? Doch etwas anderes beschäftigte sie auch noch. Wieder richtete sie ihren Blick auf den Blauhaarigen, während sich ihr Mund zu einem Strich formte. Er war nach Beendigung seiner Aufgabe ins Koma gefallen. War dies auch das Schicksal, was ihr blühen würde, sobald sie ihre Aufgabe beendet hatte? Yukari schien ihren besorgten Gesichtsausdruck zu bemerken, stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter: „Keine Sorge. Yuki-kun war eine Ausnahme. Ich kenne noch eine weitere Wild Card, der es super geht. Er ist quietschfidel. Also mach dir keine Gedanken. Ich denke nicht, dass dir das Gleiche passiert.“ „Wirklich?“, fragte die Oberschülerin verunsichert, woraufhin Yukari mit einem Lächeln nickte. „Es beunruhigt mich jedoch, dass schon wieder Shadows aufgetaucht sind. Wir dachten nach dem Vorfall in Inaba war es das gewesen…“, letzteres hatte die Brünette nur genuschelt, Mirâ hatte es jedoch trotzdem verstanden. Das hieß nach der Sache hier in Iwatodai gab es auch einen Vorfall in Inaba. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die Wild Card, die Yukari kannte und der es noch gut ging, von dort. Und nun hatte es in Kagaminomachi gestartet. Wieso nur? „Mich würde interessieren, was du und deine Freunde gerade durchmachen. Würdest du mir davon erzählen?“, fragte Yukari und holte Mirâ damit aus ihren Gedanken. Ohne drüber nachzudenken nickte sie, bevor sie begann zu erzählen, was ihr bisher geschehen war, seit sie in Kagaminomachi lebte. Es war ein sehr befreiendes Gefühl. Zum ersten Mal seit Beginn ihres Abenteuers konnte sie mit einer außenstehenden Person über das reden, was sie bisher erlebt hatte. Sie hatte dabei auch überhaupt keine Bedenken, dass es falsch sein könnte. Es plätscherte einfach aus ihr heraus und mit jedem Stück, was sie mehr erzählte, fühlte sie sich umso erleichterter. „Und letzten Sonntag haben wir die nächste Person aus ihrem Dungeon befreit. Seither ist nichts weiter passiert“, endete sie schlussendlich mit ihrer Erzählung, „Ich versuche herauszufinden, wieso das alles passiert, aber ich komme nicht voran. Wir wissen auch immer noch nicht, wieso Mika in dieser Welt gefangen ist. Aber Ryu, unser neustes Mitglied, hat nun bestätigt, dass sie ein Mensch aus unserer Welt ist. Es ist alles ziemlich kompliziert geworden…“ Die Ältere hatte bis zu diesem Zeitpunkt still zugehört und war nun an sie herangetreten: „Es wird alles gut werden. Keine Sorge. Ihr kommt dem Ziel Stück für Stück näher und am Ende wirst du vielleicht sogar einen AHA-Moment haben.“ Sie lächelte breit, was auch die Oberschülerin dazu verleitete zu lächeln. Dann nickte sie. Ja, alles klärt sich irgendwann auf. Daran wollte sie glauben. Auch bei Yukari und ihren Freunden war alles gut verlaufen, mehr oder weniger jedenfalls. Sicher, dass Makoto nun im Koma lag, war unschön, aber alles andere hatte sich geregelt. Und wie ihr die Ältere sagte, ist dies nicht das Schicksal aller Wild Cards. Wenn sie Glück hatte, konnte sie also auch irgendwann mit einer anderen Wild Card darüber sprechen. Plötzlich kam ihr der Kommissar in den Kopf, welcher sie mehr oder weniger zu verfolgen schien, und ihr fiel ein, dass auch er von einem Schmetterling umgeben war. Das bedeutete auch er war ein Persona-User, jedoch wirkte er ganz anders, als Yukari und die anderen. Ihr war nicht so, als könnte er diese Fähigkeit noch einsetzen. „Takeba-san, eine Frage habe ich noch“, sagte sie anschließend und ließ ihre Frage gleich folgen, „Verliert ein Persona-User auch die Fähigkeit seine Persona einzusetzen? Oder besser gesagt, könnt ihr alle sie noch einsetzen, nachdem eure Aufgabe beendet ist?“ Ein paar irritierte braune Augen trafen sie, bevor Yukari zu überlegen schien und ihr dann eine klare Antwort gab: „Ja… also ja, wir können unsere Personas noch nutzen. Ich habe meine seit einigen Jahren nicht mehr gebraucht, aber trotzdem spüre ich sie noch ganz deutlich. Ich glaube nicht, dass diese Fähigkeit verloren geht… allerdings kann es sein, dass man sie vergisst.“ „Vergisst?“ „Ja. Wenn du zum Beispiel dein Gedächtnis verlierst. Dann vergisst du auch, dass du diese Fähigkeit besitzt“, antwortete die Brünette, „Das jedenfalls ist eine Theorie, die ich mal gehört habe.“ Mirâ überlegte kurz und beschloss dann, diese Theorie bei Gelegenheit zu überprüfen. Dann lächelte sie und warf einen Blick aus dem Fenster, wo sich die Sonne mittlerweile weit über dem Firmament befand und die Welt mit ihren Strahlen erhellte. Auch ihr Gemüt fühlte sich nun erleuchtet. Sie fühlte sich plötzlich wieder viel erleichterter. Dass sie mit Yukari darüber sprechen konnte, hatte wirklich Wunder gewirkt. Sie kicherte und wandte sich dann der Brünetten zu, welche sie kurz überrascht ansah. „Vielen Dank, Takeba-san. Das Gespräch mit dir hat mir wirklich geholfen. Ich fühle mich gleich viel besser“, bedankte sie sich bei der Älteren, die ihr daraufhin ein Lächeln schenkte. „Das freut mich“, Yukari erhob sich, „Ich denke jetzt wird es aber langsam Zeit. Macht sich deine Klassenlehrerin nicht Sorgen?“ Überrascht sah die Oberschülerin sie an, doch schien dann zu bemerken, worauf die Brünette hinauswollte. Stimmt, sie war ja früh aus dem Hotel verschwunden. Zwar hatten sie heute einen freien Tag, aber mit Sicherheit war ihr Verschwinden mittlerweile aufgefallen. Sie sollte sich also langsam auf den Rückweg machen. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es bereits kurz nach zwölf war. Auch ihr Magen meldete sich so langsam zu Wort. Sie hatte immerhin nichts gefrühstückt und entschloss deshalb sich unterwegs etwas bei einem Bäcker zu kaufen. Vorher sollte sie sich aber wirklich los machen. Doch gerade, als sie sich zur Zimmertür herumgedreht hatte, fiel ihr schockiert ein, dass sie gar nicht wusste, wie sie aus dem Gebäude kommen sollte; immerhin war sie dem Schmetterling gefolgt ohne wirklich darauf zu achten, wo er sie langschickte. Yukari schien ihre Unsicherheit zu bemerken und bot ihr an sie hinaus zu begleiten, zumal sie nun mit Sicherheit auf mehr Personal stoßen würde, als noch am Morgen. Sofern sie in ihrer Nähe bliebe, würde keiner dumme Fragen stellen, meinte sie und verließ dann gemeinsam mit Mirâ den Raum, um die Oberschülerin aus dem Gebäude zu führen. Es dauerte eine Weile, doch dann erreichten sie wieder den regulären Bereich des Krankenhauses und kurz darauf auch den Eingang. Die Brünette begleitete die Violetthaarige noch bis hinaus und verabschiedete sich dann von ihr. Auch Mirâ nahm mit einer höflichen Verbeugung Abschied und machte sich, mit einem Griff nach ihrem Smartphone, wieder auf den Rückweg. Dabei fiel ihr allerdings nicht auf, dass auch Yukari nach ihrem Telefon gegriffen hatte und jemanden anrief, während sie der Oberschülerin nachblickte. Kapitel 109: CIX – Rechtfertigung [edited] ------------------------------------------ Freitag, 18.September – früher Nachmittag Erleichtert verließ Mirâ das Krankenhausgelände und lief den Weg zurück, welchen sie gekommen war, um zur Central Station zu gelangen. Nach dem Gespräch mit Yukari fühlte sie sich plötzlich so erleichtert und beflügelt, dass sie wieder neuen Mut gefasst hatte. Nicht nur, dass sie erfahren hatte, dass sie nicht die einzigen Persona-User waren, auch dass sie endlich mal unverblümt über alles sprechen konnte tat so unendlich gut. Während sie summend ihres Weges ging, hatte sie nach dem Smartphone in ihrer Rocktasche gegriffen, welches immer noch aus war. Missmutig fiel ihr wieder ein, dass es sich am Morgen einfach abgeschaltet hatte, weshalb sie nun die Powertaste betätigte, in der Hoffnung, das kleine Gerät würde sich wieder einschalten. Und tatsächlich. Einen Moment später leuchtete das Display hell auf und das rote Telefon fuhr wieder hoch. Doch kaum hatte sich das Gerät wieder eingerichtet, wurde sie regelrecht von Nachrichten und verpassten Anrufen überflutet. Allem voran Akane hatte sie regelrecht mit Anrufen bombardiert. Nun plagte sie doch etwas das schlechte Gewissen. Vielleicht hätte sie ihren Freunden lieber etwas sagen sollen. Kurzer Hand wählte sie die Nummer ihrer besten Freundin, um diese anzurufen. Es tutete einige Male am anderen Ende, bevor plötzlich abgenommen wurde. „MIRÂ! WO BIST DU VERDAMMT?“, wurde sie regelrecht angeschrien, woraufhin sie das Telefon etwas von ihrem Ohr weghalten musste. Erschrocken sah sich die Oberschülerin um und setzte einen entschuldigenden Ausdruck auf, als ihr die Blicke der umstehenden Menschen auffiel, bevor sie wieder an das Telefon ging: „Entschuldige bitte, Akane. Ich musste dringend etwas erledigen und war im Krankenhaus.“ „IM KRANKENHAUS? HAST DU DIR ETWAS GETAN?“, schrie die Brünette weiter, „HEY!“ „Mirâ? Wo bist du gerade?“, ertönte plötzlich Hiroshis Stimme, welcher der Brünetten offensichtlich das Handy aus der Hand gerissen hatte. „Ähm… ich bin jetzt an der Central Station“, beantwortete Angesprochene die Frage etwas unsicher. Auch die Stimme des Blonden wirkte wütend, jedoch schien er sich zurückzuhalten: „Gut, warte bitte dort. Wir sind gerade am Naganaki Schrein. Wir kommen direkt zu dir.“ „Ähm… j-ja“, zu mehr kam die Violetthaarige nicht, als auf der anderen Seite bereits aufgelegt wurde. Betroffen nahm sie das Telefon von ihrem Ohr und betrachtete es eine Weile, bevor sie sich eine Bank suchte, auf welcher sie sich niederließ. Ihre Freunde waren wütend und dass zurecht, weshalb sich nun wieder ihr schlechtes Gewissen bemerkbar machte. Sie musste sich wirklich gut überlegen, wie sie ihnen allen erklärte; wieso sie ohne etwas zu sagen abgehauen war und auf eigene Faust gehandelt hatte. Dass sie mit dieser Aktion einen großen Fehler begangen hatte, wurde ihr immer mehr bewusst. Sicher, sie hatte einige Informationen gesammelt, jedoch nur in Bezug auf andere Persona-User. Bei der Sache mit der Spiegelwelt half es ihnen nicht. Im Grund hatte sie also nur im eigenen Interesse gehandelt. Obwohl es ja eigentlich legitim war, fühlte sie sich nun schlecht. Ob ihre Freunde ihr diesen Fehler verziehen? Es dauerte eine Weile, in welcher Mirâ mit ihren Gedanken alleine und nicht nur einmal den Tränen nahe war, ehe ihre Freunde endlich erschienen. Geschlossen kamen sie auf die junge Frau zu und während ihr Akane erleichtert um den Hals fiel, bemerkte sie die leicht bösen Blicke von Masaru und Hiroshi. Schnell unterbrach sie den Augenkontakt zu den beiden und sah zu Kuraiko, welche, die arme vor der Brust verschränkt, neben ihr zum Stehen kam und dann mit den Schultern zuckte. Auch Shuya und Naoto, welche die Gruppe begleitet hatten, kamen dazu, wirkten aber eher so, als hätten sie keine Ahnung, was überhaupt los war. „Gomen…“, entschuldigte sich Mirâ, ihre Füße betrachtend. „Ich hoffe du hast eine gute Erklärung, Mirâ“, mahnte Masaru, „Nicht nur, dass Mrs. Masa sich Sorgen gemacht hat, auch wir haben uns Gedanken gemacht. Wieso hast du uns nicht gesagt, was du vorhast? Du kannst mir nicht sagen, dass das eine spontane Idee war.“ Angesprochene schwieg und überlegte, wie sie das am besten erklären sollte. Vor allem, wenn unbeteiligte dabei waren. Unbewusst hatte sie ihren Blick auf Shuya und Naoto gerichtet, die etwas zurückwichen. Besonders Naoto wusste damit nichts anzufangen, aber auch der Blau-Violetthaarige schien nicht zu wirklich zu begreifen was Sache war. Ein Räuspern von Hiroshi ließ ihn zu diesem schauen, welcher eine Bewegung mit dem Kopf machte; und das leider nicht nur einmal. Erst nach mehreren Versuchen machte es bei Shuya klick und er schnappte sich seinen brünetten Kumpel neben sich, um diesen mit einer Ausrede von der Gruppe wegzuzerren. Etwas irritiert ließ Nao dies mich sich geschehen, sodass die anderen somit alleine waren. Mirâ sah ihnen nach, um sicher zu gehen, dass allem voran Naoto nicht von der Unterhaltung mitbekam, die sie nun führen würden. „Also Mirâ… wir hören…“, sagte Hiroshi, welchem man anmerkte, dass er sie am liebsten angeschrien hätte, sich aber zurückhielt. Angesprochene nickte: „Bitte verzeiht mir, dass ich euch nichts gesagt habe. Das hätte ich nicht tun dürfen. Es ist nur… ich hatte mich ja gestern mit Amada-kun unterhalten, nachdem ich von einigen Vorfällen hier gehört hatte. Er erzählte mir, dass in dem Schuljahr 2009 bis 2010 zu verschiedenen Ereignissen mit dem Apathy Syndrome kam, bei dem Menschen plötzlich ins Koma fielen oder durchdrehten. Er meinte einer seiner Freunde sei davon auch betroffen und läge noch immer im Krankenhaus. Ich hatte das Gefühl, dass mehr dahintersteckte und hatte mir in den Kopf gesetzt, dass ich der Sache auf den Grund gehe. Und ich habe euch nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass wir alle dorthin gehen. Ich weiß selbst, dass das ein Fehler war, denn wir wären uns sicher auch einig geworden… aber… ach was sag ich… ich weiß selber nicht so genau, wieso ich euch nichts gesagt habe.“ „Und deshalb hast du dich heute in aller Früh auf den Weg gemacht, damit wir dich nicht bemerken?“, fragte Akane nach, die mittlerweile von ihrer Freundin abgelassen und sich neben sie gesetzt hatte. Ein Nicken folgte als Antwort. Mehr hätte sie auch gar nicht dazu sagen können. Es war wie es war. Da gab es nichts zu beschönigen. „Konntest du wenigstens etwas in Erfahrung bringen?“, hakte Kuraiko nach. „Ja, allerdings wird uns das wahrscheinlich nicht viel bei unserer Aufgabe helfen…“, nickte die violetthaarige Oberschülerin und erzählte dann, was alles geschehen war. Wie sie Yukari Takeba getroffen hatte und diese ihr davon erzählt hatte, was wirklich in dem genannten Jahr passiert war. Dass die Brünette, sowie Ken Amada Persona-User waren, die zu dieser Zeit gegen die Shadows in dieser Stadt gekämpft hatten. Und auch, dass Kens Bekannter eben nicht am Apathy Syndrome litt, sondern im Koma lag, weil er den damaligen Endboss versiegelt hatte. Sie ließ auch nicht aus, dass genannter Junge genau die gleiche Fähigkeit besaß wie sie, mit welcher er seine Main-Persona nach Belieben wechseln konnte. Ihre Freunde hörten ihr geduldig zu, jedenfalls bis zu dem Punkt, als es um Makoto ging. „Heißt das, dir blüht das gleiche Schicksal?“, hatte Akane den gleichen Gedanken wie Mirâ, als sie davon gehört hatte. Diese schüttelte den Kopf: „Nein. Nicht zwingend. Es gibt wohl noch mehr Persona-User und auch noch eine weitere Wild Card, wie meine Position wohl genannt wird. Dieser Person muss es gut gehen, auch nachdem die Aufgabe dort erfüllt war. Das heißt, dass mir das nicht passieren muss.“ „Es ist wirklich interessant zu erfahren, dass es noch mehr Persona-User gibt, als nur uns. Das könnte uns später vielleicht noch behilflich sein“, murmelte Masaru in seine vor den Mund gelegte Faust und sah dann wieder zu Mirâ, „Erkennt man sie irgendwie?“ Die Violetthaarige seufzte: „Ich erkenne bei genannten Personen einen kleinen blauen Schmetterling…“ „Das heißt du bist schon anderen Persona-Usern begegnet?“, fragte ihre brünette Freundin aufgeregt. „Ja. Aber damals wusste ich mit dem Phänomen noch nichts anzufangen…“, meinte Mirâ, „Und die meisten waren Zufallsbegegnungen… aber…“ „Aber?“, hakte Hiroshi nach. Die Oberschülerin schwieg kurz und überlegte, ob sie ihren Freunden davon erzählen sollte, dass sie einen solchen Schmetterling auch bei Tatsuya Suou gesehen hatte; dem Kommissar, welcher sie verfolgte. Er wirkte nicht so auf sie, als wisse er mit dem Thema Persona etwas anzufangen. Entweder er überspielte diese Tatsache wirklich gut oder er wusste wirklich nichts davon. Doch der kleine Schmetterling, welchen sie bei ihm gesehen hatte, war Beweis genug dafür, dass er ebenfalls ein User war. Vor allem jetzt, nach ihrem Besuch im Krankenhaus. Er war definitiv keine Wild Card, immerhin strahlte er auch nicht eine derartige Aura aus. Selbst Makoto, der im Koma lag, umgab eine besondere Kraft, die ihn von den anderen Persona-Usern unterschied. Im Falle von Tatsuya Suou blieb also nur noch die Möglichkeit, dass er sein Gedächtnis verloren und somit seine Fähigkeit schlichtweg vergessen hatte. Das jedoch würde sie nur in einem direkten Gespräch herausfinden können, sobald sie ihn wieder sah. Sollte sie diese Tatsache also bis dahin für sich behalten? Gedanklich schüttelte sie den Kopf und entschied sich schlussendlich dagegen. Sie enthielt ihren Freunden sowieso schon genug und sollte aufpassen, dass sie es nicht übertrieb. Dieser Vorfall nun bewies ja auch, dass sie sich bereits einmal falsch entschieden hatte. Deshalb seufzte die: „Ich vermute, dass dieser Kommissar auch ein ehemaliger Persona-User ist.“ Geschockte Blicke trafen sie, weshalb sie weitererzählte: „Allerdings ist das nur meine Vermutung, weil ich diesen Schmetterling gesehen habe. Er scheint sich aber nicht mehr daran erinnern zu können oder überspielt das gut. Aber vielleicht klebt er uns auch gerade deshalb so an den Fersen. Vielleicht ahnt er etwas. Ich habe mir vorgenommen ihn bei nächster Gelegenheit direkt drauf anzusprechen. Bis dahin sollten wir in der Beziehung aber die Füße stillhalten.“ Schweigen breitete sich aus, in dem jeder kurz seine Gedanken sortierte, bevor sich Masaru zu Wort meldete: „Der Meinung bin ich auch. Sollte es aber so sein, dass er eine Person mit Potential ist, könnten wir ihn vielleicht auf unsere Seite ziehen.“ Mirâ nickte: „Nochmal sorry, dass ich euch nichts gesagt habe…“ Ihre Freunde tauschten kurze Blicke miteinander, bevor sie alle ein kleines Lächeln aufsetzten. „Ist schon in Ordnung“, sagte ihre beste Freundin und umarmte sie stürmisch, was die Violetthaarige etwas erschrecken ließ. „Du hattest ja einen plausiblen Grund. Wahrscheinlich wären wir wirklich alle hin gestürmt… trotzdem hätten wir das anders regeln können. Nächstes Mal solltest du mit uns darüber sprechen“, mahnte Hiroshi. „Du solltest dich auch nachher noch bei Mrs. Masa entschuldigen. Sie hat sich wirklich Sorgen gemacht“, lächelte Masaru, „Und du musst dich noch bei Kuraiko bedanken. Sie hat sich für dich eine plausible Ausrede ausgedacht, die sie den Lehrern aufgetischt hat.“ Fragend sah die Violetthaarige zu ihrer schwarzhaarigen Freundin, die jedoch nur wieder die Arme vor der Brust verschränkte und in eine andere Richtung sah, während sie nur murmelte, dass es ja keine andere Möglichkeit gab. Immerhin hätten die Lehrer sonst die Polizei verständigt. Zwar hatten sie freie Zeit, aber wenn ein Schüler nicht zum Frühstück erschien wurden die Lehrkräfte schon misstrauisch. Mit einem kleinen Lächeln nickte Mirâ und bedankte sich dann bei der Schwarzhaarigen. Diese zuckte jedoch nur mit den Schultern und beließ es dann dabei. Plötzlich erklang ein lautes Knurren, was die Anwesenden dazu bewegte zu der violetthaarigen jungen Frau zu schauen, die sofort ihr knallrotes Gesicht senkte. „Scheint als hätte da jemand Hunger“, kicherte Masaru, was Mirâ nur noch mehr in Verlegenheit brachte. Sofort sprang Akane auf: „Das trifft sich gut. Wir wollten doch eh in das Café in der Paulownia Mall. Wo wir einmal hier an der Central Station sind, können wir ja gleich hinfahren.“ „Gute Idee. Ich geh nur schnell Shuyan und Nao einsammeln“, seufzte Hiroshi, „Ich befürchte nämlich, dass sich die beiden Dank einer gewissen Person verlaufen werden…“ Der Blonde setzte sich in Bewegung und sammelte seine beiden Kumpels ein, welche sich in einem Presseshop herumtrieben. In weiser Voraussicht hatte Naoto darauf geachtet, dass sie in der Nähe der Gruppe blieben, immerhin wusste auch er um Shuyas Orientierungssinn. Zwar hatte er es merkwürdig gefunden, dass ihn der Ältere plötzlich von der Gruppe weggezogen hatte, jedoch war ihm schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass es etwas gab, dass diese verband und von dem sonst niemand etwas mitbekommen sollte. Er wusste, dass sein Kumpel seine Gründe haben würde, weshalb er ihm das alles enthielt. Deshalb beließ er es dabei und sprach das Thema auch nicht an. Gemeinsam stießen sie wieder zu den anderen und machten sich dann auf den Weg zur Paulownia Mall, um dort im Chagall Café noch ihre restliche Freizeit zu verbringen. Als die Sonne im Begriff war unterzugehen verließ der Zug mit den Schülern der Jûgôya die Central Station in Richtung Kagaminomachi. Müde blickte Mirâ aus dem Fenster auf die an ihr vorbeirauschende Stadt und dachte über die zwei Tage in an diesem Ort nach, in welcher sie so einige überraschende Begegnungen gemacht hatte. Es erstaunte sie immer noch, dass sie in ihrer Zeit in Kagaminomachi bereits so vielen Persona-Usern begegnet war, ohne es wirklich registriert zu haben. Erst der Besuch hier hatte ihr die Augen geöffnet. Dabei hatte sie die ganze Zeit gedacht sie und ihre Freunde waren die Einzigen. Sie hatte zwar schon so eine Vermutung gehabt, immerhin hatte auch Maya Amano in ihrem Buch darübergeschrieben, aber dass es so viele waren verwunderte sie schon ein wenig. Plötzlich erinnerte sie sich an die Begegnung mit Aikawa-chan vor einiger Zeit. Auch bei dieser hatte sie diese Schmetterlinge gesehen, jedoch nicht nur einen einzelnen, sondern viele, die sie umgeben hatten. Wenn sie genau darüber nachdachte, dann hatte sie bei der Blauhaarigen auch eine starke, vertraute warme Macht gespürt. Mit Sicherheit bedeutete das auch, dass die Blauhaarige eine Persona-Userin war. Offen blieb, ob ihre Aufgabe bereits beendet oder noch mitten im Geschehen war. Die Violetthaarige nahm ihren Blick von dem Fenster und richtete ihn auf Shuya, welcher gemeinsam mit Hiroshi und Naoto auf der Vierergruppe neben ihnen saß und bereits im Land der Träume verschwunden war. Ob er davon wusste? Der junge Mann war immerhin seit Kindertagen mit Aikawa-chan befreundet. Mit Sicherheit hatte er etwas mitbekommen und wenn er auch dort so hartnäckig war, wie bei seinem besten Kumpel, so konnte sich Mirâ vorstellen, dass er etwas wusste. Sie schloss kurz die Augen und wandte dann ihren Blick wieder nach draußen. Bei Gelegenheit würde sie auch ihn darauf ansprechen. Vielleicht konnte er ihr etwas erzählen. Das waren ihre letzten Gedanken, bevor sie plötzlich eine unglaubliche Müdigkeit überkam und sie einschlief. Erschrocken öffne ich meine Augen und sehe mich dem grinsenden Gesicht der Langnase Igor gegenüber. „Willkommen im Velvet Room“, grüßt er mich ohne weitere Umschweife, „Wie ich sehe hast du einige Informationen zusammengetragen…“ Ich sage erst einmal nichts dazu, sondern beobachte den alten Mann stumm. Er ist der Herr über diesen Raum, der sich Velvet Room nennt, jedenfalls über dessen Fähigkeiten. Ich erinnere mich daran, dass er einst sagte, dass der Velvet Room das Herz seines Besitzers widerspiegelt. In diesem Fall bin ich sein Besitzer, doch bis heute habe ich nicht verstanden, was diese ganzen Spiegel hier überhaupt zu bedeuten haben. Doch das ist für mich in diesem Moment auch nicht von Belangen. Da er der Herr über den Velvet Room ist, muss er auch die anderen Persona-User mit der Fähigkeit der Wild Card kennen. Na klar, ganz am Anfang hatte er mal erwähnt, dass sie lange keinen Gast hier hatten. Damals war mir das gar nicht so aufgefallen, doch mittlerweile ergab es wirklich Sinn. Dazu kommt, dass ich ihn einmal nicht hier antraf, weil er einen anderen Gast betreut hat. Das jedenfalls sagte damals Margaret. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Aikawa-chan mit dem anderen Gast gemeint. Zwar habe ich noch keine Beweise, aber nach allem, was ich bisher zusammengetragen habe, kommt nur sie in Betracht. „Du hast ihn also getroffen. Den blauhaarigen Jungen, der sich selbst dazu entschieden hat, als Siegel zu fungieren“, holt mich Margarets Stimme aus den Gedanken. „Ihr kennt ihn also…“, murmele ich. Die Platinblonde vor mir verzieht kurz betroffen das Gesicht: „Ich persönlich bin ihm nicht begegnet, aber meine Schwester…“ Weiterhin sehe ich die Frau vor mir an: „Wie konnte das mit ihm passieren?“ „Er hat sich dem selbst verschrieben, um zu verhindern, dass die Menschheit sich irgendwann selbst zerstört“, spricht Igor ohne weitere Regungen. Ich verstehe nur Bahnhof. Wahrscheinlich würde sich die Menschheit so oder so irgendwann selbstzerstören, so wie sie aktuell existiert. Was genau soll also dieses Siegel schon verhindern? Und wieso sollte sich jemand für die gesamte Menschheit opfern? Doch weil ich es sowieso nicht richtig greifen kann, versuche ich abzulenken. „Ihr kennt auch andere Wild Cards. Oder? Könnt ihr mir mehr von ihnen erzählen?“, frage ich deshalb unverblümt und bin selber über mich erstaunt, da ich sonst nie so offensiv den beiden gegenüber bin. Diese schweigen jedoch nur, bevor sie einen kurzen Blick tauschen. Igor richtet wieder sein breites Grinsen auf mich, während Margaret das Wort ergreift: „Genaue Details können wir dir darüber leider nicht geben. Aber mit Sicherheit wirst du bald auf einen von ihnen treffen.“ Wie zu erwarten. Sie sagen mir nichts darüber. Jedoch werde ich hellhörig, als die Platinblonde meint, dass ich womöglich bald auf eine Wild Card treffen werde. Doch leider kann ich mir nicht lange Gedanken darüber machen, denn plötzlich verschwimmt meine Umgebung vor mir. „Unsere Zeit ist um“, sagt Igor, während das Bild vor mir langsam schwarz wird, „Bis zum nächsten Mal. Lebewohl.“ Kapitel 110: CX – Freundschaften pflegen ---------------------------------------- Samstag, 19.September 2015 Es war früher Morgen in der Stadt Kagaminomachi. Die ersten Vögel zwitscherten, während das erste zarte Licht des Morgens sich langsam über die Berge rund um die Stadt schob. Noch waren die meisten Bewohner der Stadt in tiefem Schlaf und dachten noch nicht einmal daran sich für den Tag fertig zu machen. Doch im Shinzaro Tempel, welcher sich fast in der Mitte der Kleinstadt befand und etwas erhöht zu den restlichen Gebäuden rundherum stand, regte sich bereits das erste Leben. Der Besitzer des Komplexes und leitender Priester der Stadt war bereits auf dem Gelände unterwegs, um seine Gebete abzusetzen und danach nach dem Rechten zu sehen. Auch seine Frau, eine Miko in gestandenem Alter, war schon länger wach und fegte den großen Hof. In einem Zimmer im ersten Stockwerk des Wohnhauses, das am Rande des Tempelkomplexes stand, herrschte um diese Zeit noch tiefe Stille. Sanft wehten die vorgezogenen dunkelblauen Vorhänge im Wind, der durch das leicht geöffnete Fenster hineinzog. Jäh wurde diese Ruhe unterbrochen, als der kleine digitale Wecker auf dem niedrigen Nachttisch anfing penetrant zu piepen. Murrend bewegte sich die Person in dem danebenstehenden Bett und tastete dann nach dem nervigen Gegenstand. Es brauchte einige Versuche, in denen die suchende Hand daneben schlug, bis sie endlich den Wecker traf und damit zum Schweigen brachte. „Ugrh…“, murrte der junge Mann mit den schwarzen Haaren, während er seinen Kopf im Kissen vergrub. Dann kehrte für wenige Sekunden wieder Stille ein, bevor Masaru nun doch wieder Luft holen musste und somit seinen Kopf in Richtung seines Nachttisches drehte. Mit grünen, strahlenden Ziffern, die 5:15 Uhr anzeigten, mahnte ihn der schwarze Wecker schon regelrecht, dass es Zeit war endlich aufzustehen. Wieder murrte er und ließ sein Gesicht noch einmal in die Weichheit des Kissens sinken, bevor er sich endlich schwerfällig aufrichtete. Er war es ja gewohnt so zeitig aufzustehen, aber nachdem sie am Vortag doch erst ziemlich spät von ihrem Schulausflug wieder zurück waren und er danach auch noch einige Aufgaben im Tempel zu erledigen hatten, war er einfach nur noch gerädert. Wie gern hätte er sich jetzt wieder der Weichheit und Wärme seines Bettes ergeben, doch stattdessen stand er endlich auf, um sich anzuziehen. Wenige Minuten später verließ er in seinen Hakama gekleidet sein Zimmer und stieß dabei beinahe mit einer jungen Frau zusammen, welche seinen Weg kreuzte. Überrascht blieb er abrupt stehen und sah auf die Grünhaarige, die völlig benommen an ihm vorbeitorkelte und sich die Augen rieb. Auch sie trug einen Hakama, allerdings in dunkelrot und dazu einen weißen Gi. Jedoch wirkte alles an ihr ziemlich durcheinander. Die Schleife ihres Hakamas hing schief und auch ihr Oberteil wirkte eher übergeschmissen, als ordentlich angezogen. Ihre teilweise zu einem lockeren Zopf zusammengebundenen türkisgrünen Haare waren wirr und durcheinander. Sie sah aus, als sei sie in Vollmontur ins Bett gegangen und so wieder aufgestanden, weshalb sich der Schwarzhaarige ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Auch schien sie ihn gar nicht wahrzunehmen, während sie an ihm vorbeiwandelte. „Guten Morgen, Chisato-chan“, grüßte er deshalb, woraufhin die junge Frau plötzlich ruckartig stehen blieb. Langsam drehte sie sich um und schien einen Moment zu brauchen, um ihn richtig zu registrieren. Plötzlich jedoch stand sie aufrecht vor ihm: „Gu-guten Morgen, Masaru-san. Ha-hast du gut geschlafen?“ „Ja schon. Aber du siehst aus, als wärst du aus dem Bett gefallen“, sprach der junge Mann seine Gedanken direkt mit einem leichten Lächeln aus. Überrascht sah Chisato ihn an, bevor sie an sich herunterschaute und dann bemerkte, wie unordentlich sie herumlief. Sofort lief ihr Gesicht rot an, während sie sich von ihm wegdrehte und versuchte alles so schnell wie möglich irgendwie zu richten. Wieder bildete sich ein kleines Lächeln auf Masarus Lippen, während er sein Gegenüber beobachtete. Chisato war noch in der Mittelschule und lebte eigentlich in Gyakuten-mura, einem kleinen Dorf westlich von der Stadt, in welchem der Fluss Gyakuryû entsprang, der durch Kagaminomachi floss. In den Ferien und am Wochenende kam sie aus dem kleinen Dorf hierher in den Tempel, um bereits erste Erfahrungen als Miko zu sammeln. In dieser Zeit wohnte sie auch bei seiner Familie, während seine Mutter sie unterrichtete. Nebenbei erledigte sie, wie eine Art Nebenjob, auch anstehende Arbeiten im Tempel und half hier und da aus. Jedoch hatte Masaru nicht den Eindruck, dass es ihr sonderlich viel Spaß machte; was er auch irgendwie nachvollziehen konnte. Doch da er sich nicht einmischen wollte, hatte er bisher nie die genauen Gründe hinterfragt, wieso sie die ganze Prozedur der Ausbildung einer Miko auf sich nahm. Er wusste nur, dass ihre Eltern mit seinen befreundet waren und sie wohl um diesen Gefallen gebeten hatten. Und so lebten sie immer mal wieder zusammen unter einem Dach, was jedoch nicht schlecht war, wie er fand. Chisato brachte durch ihre ungestüme Art immer wieder etwas frischen Wind in diese alten Gebäude. Das tat auch seinen Eltern manchmal gut, denn auch sie wirkten dann etwas lockerer. Immer noch war die junge Frau damit beschäftigt ihre Sachen zu richten, während Masaru sich langsam in Bewegung setzte: „Wollen wir dann? Mein Vater wartet sicher schon im Dôjo auf uns.“ „Ah ha-hai!“, war die Türkis-grünhaarige sofort wieder bei der Sache und steckte noch schnell ihr letztes Stück Gi in den Gurt, bevor sie dem Schwarzhaarigen folgte. Kurz darauf betraten beide mit einer Verbeugung die Kendohalle, in welcher sie bereits von Masarus Eltern erwartet wurden. Überrascht sah der Schwarzhaarige zu seiner Mutter, die ihm ein freundliches Lächeln schenkte. Mit ihr hatte er schon fast gar nicht mehr gerechnet, weil sie schon eine ganze Weile nicht mehr an der morgendlichen Meditation teilgenommen hatte. Meistens war sie mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigt. Sie heute wieder hier sitzen zu sehen, irritierte ihn ein wenig. Jedoch versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, während er auf die beiden zuging und sich auf das bereitgelegte Sitzkissen kniete. Kaum hatte er eine sitzende Position eingenommen, verbeugte er sich erneut vor seinem Vater, was ihm Chisato gleichtat. Zufrieden nickte der alte Mann, bevor sich die vier Anwesenden aufrecht hinsetzten und mit dem morgendlichen Ritual begannen. Sofort kehrte Stille ein, in der man nur das gleichmäßige Atmen der vier vernahm. So blieb es eine Weile, bis man plötzlich ein ganz leises Schnarchen hörte. Leicht erschrocken zuckte Masaru zusammen, versuchte aber sich weiter zu konzentrieren, bis das Geräusch erneut ertönte. So lief es einige Male, bis seine Mutter sich nicht mehr zurückhalten konnte und plötzlich anfing zu kichern, was sowohl den Schwarzhaarigen, als auch seinen Vater, vollkommen aus dem Konzept brachte. Chisato wiederum erwachte plötzlich aus ihrem Nickerchen, in welches sie während der Meditation verfallen war, und schaute sich vollkommen irritiert um. Sie schien gar nicht zu wissen, worum es ging, weshalb sie umso mehr zusammenzuckte, als sie den leicht bösen Blick von Masarus Vater erkannte. Seine Mutter unterdessen lachte mittlerweile herzhaft vor sich hin, während der junge Mann versuchte sie wieder zu beruhigen. „Ich weiß nicht, was daran so lustig ist“, knurrte der alte Priester und ließ seine Frau damit kurz verstummen. Jedoch nur für einen Moment, denn kurz darauf kicherte sie erneut: „Ach Liebling, nun sei nicht so. Ich musste nur an unseren Masaru denken, als er noch klein war und auch bei der Meditation eingeschlafen ist.“ „MAMA!“, brachte gemeinter Junge nur mit hochrotem Kopf heraus, was die alte Dame nur wieder zum Lachen verleitete. Hilfesuchend sah er zu seinem Vater. Dieser jedoch hatte nun auch ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht und wirkte nicht so, als würde er etwas entgegensetzen. Irritiert blickte Chisato währenddessen zwischen allen anwesenden Parteien hin und her und schien immer noch zu überlegen, was überhaupt los war. Kurz nach sieben verließ Masaru in seine Schuluniform gekleidet das Haus. Noch immer lag eine leichte Röte in seinem Gesicht, da das Thema auch beim Frühstück noch nicht gegessen war und seine Mutter Chisato so einiges aus seiner Kindheit erzählte. Dabei waren das Dinge, die man sich innerhalb der Familie erzählte und nicht irgendwelchen mehr oder weniger Fremden. Natürlich war die Jüngere nicht in diesem Sinne fremd, aber sie stand ihm auch nicht sonderlich nahe. Man konnte es wohl wie eine Art Freundschaft ansehen. Vielleicht war sie auch sowas wie eine Cousine für ihn. Er selbst hatte keine Cousinen und Cousins, deshalb wusste er auch nicht genau wie das war. Aber er konnte es sich so in der Art vorstellen. „Viel Spaß in der Schule, mein Junge“, verabschiedete sich seine Mutter von ihm mit einem Lächeln. „Ja danke“, murmelte der Schwarzhaarige und wollte los, bevor ihm etwas einfiel und er sich nochmal umdrehte, „Da fällt mir ein. Ich komme heute etwas später nach Hause. Ich wollte mich heute Nachmittag mal wieder mit Dai treffen. Wir haben schon eine ganze Weile nichts mehr zusammen gemacht.“ „Natürlich, mein Junge. Mach das ruhig. Und bestell ihm und seinen Eltern einen schönen Gruß“, sagte seine Mutter. Masaru nickte und wollte sich auf den Weg machen, als auch sein Vater noch etwas zu sagen hatte: „Denk bitte trotzdem auch an deine Aufgaben hier.“ Der Schwarzhaarige blieb kurz stehen und ging dann weiter: „Sicher. Bis heute Abend.“ Somit wandte er sich endgültig ab und ging; dabei jedoch seine Hände zu Fäusten geballt und zähneknirschend. Diesen Kommentar hätte sich sein Vater sparen können. Er wusste genau welche Aufgaben er zu erledigen hatte und diese hatte er bisher auch nie vernachlässigt. Und trotzdem... in solchen Situationen hatte er das Gefühl, dass er es seinem Vater nicht recht machen konnte. Er hatte sich die Position als Sohn eines Priesters nicht ausgesucht und trotzdem machte er immer das, was von ihm verlangt wurde. Umso nerviger war es, wenn sein alter Herr noch in der Wunde bohrte. „Masaru-san“, holte ihn Chisatos Stimme aus den Gedanken. Er drehte sich um und sah die junge Frau, wie sie auf ihn zugelaufen kam. Mit kleinen Schritten, um ihre Zori nicht zu verlieren, tippelte sie zu ihm und blieb dann leicht außer Atem vor ihm stehen. „Was gibt es Chisato-chan?“, fragte der Schwarzhaarige leicht irritiert, aber auch erleichtert über die Unterbrechung seiner Gedanken. „Haaaa“, atmete die Jüngere noch einmal richtig durch und hob dann wieder den Blick, „Also... wenn du möchtest, dann kann ich deine Aufgaben nachher auch erledigen. Dann kannst du mehr Zeit mit deinem Kumpel verbringen.“ Überrascht blickte er die junge Frau an. Das Angebot war wirklich nett und auch verlockend. Durch die Sache mit der Spiegelwelt hatte er in letzter Zeit noch weniger Zeit für Dai gehabt, als eh schon. Dabei hätte er gerne wieder mehr mit diesem unternommen, bekam es aber zeitlich nicht mehr so auf die Reihe. Trotzdem... auch wenn es nett gemeint war, so konnte er das Angebot nicht annehmen. Er konnte der jungen Frau nicht seine Aufgaben aufdrücken, nur damit er sich amüsieren konnte. „Das ist lieb von dir Chisato-chan, aber ich muss das Angebot ablehnen. Ich bekomme das schon hin, aber danke, dass du an mich denkst“, lehnte der Ältere ab und wandte sich in Richtung der Treppe, die ihn hinunter zur Hauptstraße führte, „Bis dann.“ Er hob noch einmal zur Verabschiedung die Hand und stieg dann die steinerne Treppe hinunter, während ihm die Mittelschülerin nachsah. Nach nur wenigen Schritten erkannte er bereits Dai am Ende stehen, der genüsslich gähnte und dann seinen Blick in Masarus Richtung wandte. Als er seinen Kumpel erkannte, hob er breit grinsend den Arm und wirkte ihm zu. „Guten Morgen, Dai“, grüßte Masaru den Brünetten. „Yo. Na alles klar?“, grüßte ihn auch dieser und klopfte ihm auf den Rücken. Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern: „Wie immer halt. Und bei dir?“ Dai lachte: „Auch.“ Gemeinsam machten sich die beiden jungen Männer auf den Weg zur nahegelegenen U-Bahnstation, um von dort aus in die Schule zu fahren. Masaru genoss diese Zeit am Morgen, da es bisweilen die einzige Möglichkeit war mit seinem besten Kumpel in aller Ruhe zu sprechen. Seit sie sich kannten gingen sie den Schulweg zusammen, sodass es schon fast ungewohnt war, wenn er mal alleine gehen musste. Er war sich zwar nicht ganz sicher, aber Dai ging es wahrscheinlich genauso, wenn er mal nicht dabei war. In dieser Zeit konnten sie sich in aller Ruhe unterhalten; anders als in der Schule, wo immer irgendjemand kam und etwas von einem von ihnen wollte. So war es auch nicht verwunderlich, dass, kaum hatten sie das Schulgelände betreten, eine Schülerin auf die beiden zukam und Masaru um einen Gefallen bat, der mit dem Schülerrat zu tun hatte. Deshalb seufzte der Schwarzhaarige und verabschiedete sich von seinem Kumpel, welcher zum Glück mal wieder Verständnis zeigte. Erst kurz vor Schulbeginn sahen sich die beiden wieder, als Masaru endlich den Klassenraum betrat. „Na was war so wichtig?“, fragte der Brünette grinsend, als sein Kumpel an ihm vorbei ging. Dieser legte seine Tasche auf den Tisch und massierte sich die Nasenwurzel: „Nichts was nicht bis zur Mittagspause hätte warten können...“ Er packte seine Sachen aus und ließ sich dann auf seinen Stuhl nieder, während ihn sein Kumpel mahnte, dass er lernen müsse auch mal nein zu sagen. „Aber so warst du schon immer...“, murmelte Dai. Das stimmte. Es mochte vielleicht an seiner Erziehung liegen, aber er konnte einfach nicht nein sagen, wenn ihn jemand um Hilfe bat. Gerade wenn es um die Schülervertretung ging, sprang er ziemlich schnell, sobald es etwas gab. So sehr er diese Angewohnheit an sich hasste, er konnte es nicht ändern. War er doch mal kurz davor nein zu sagen, bekam er auch schon ein schlechtes Gewissen und machte es dann doch. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb er dann für andere Dinge keine Zeit mehr hatte. Aber was sollte er machen? So einfach verändern konnte er sich nicht. Trotzdem tat es ihm leid, dass er Dai deshalb häufig versetzen musste. „Lass uns nachher zusammen Mittag essen. Ich lade dich auf ein Melonpan ein. Als Entschuldigung für vorhin“, bat er seinem Kumpel deshalb zur Beschwichtigung an. Dieser grinste sofort breit und nahm das Angebot mit Freude an, nichts ahnend, was noch auf ihn zukommen würde. Murrend saß der Brünette zur genannten Pause dann im Raum der Schülervertretung; vor sich sowohl sein Mittagessen, als auch zwei Melonpans und mehrere Blätter ausgebreitet. Mürrisch öffnete er die Verpackung seines versprochenen Brötchens und biss dann hinein, während er Masaru böse beobachtete. Dieser bemerkte den Blick seines besten Kumpels, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Kurz bevor beide Jungs sich einen ruhigen Ort zum Essen suchen konnten, kam erneut jemand aus dem Schülerrat auf den Schwarzhaarigen zu; dieses Mal jedoch der Vorsitzende der Schülervertretung. So kam es, dass ungefragt auch Dais Hilfe in Anspruch genommen wurde, um einige Unterlagen zu sortieren, und sie deshalb nun zu dritt in dem kleinen Raum saßen. Es tat dem Schwarzhaarigen ja leid, denn so war das Ganze sicher nicht geplant gewesen. Trotzdem war er dem Brünetten dankbar, dass er mitgekommen war; wenn auch wahrscheinlich eher um seiner selbst willen, damit er nicht alleine essen musste. Masaru konnte nur hoffen, dass Dai auch dieses Mal wieder Verständnis zeigte. „Dafür schuldest du mir nächstes Mal mehr, als nur zwei trockene Melonpan“, murrte dieser plötzlich und begann dann, die vor ihm liegenden Unterlagen nach Jahrgang zu sortieren. Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht des Schwarzhaarigen, während er nickte und sich dann seinem Stapel zuwandte. Bereits kurz nach Ende der letzten Schulstunde waren die beiden jungen Männer auf dem Heimweg. Gekonnt hatte Masaru dieses Mal versucht jegliches Aufeinandertreffen mit seinen Kollegen aus dem Schülerrat zu vermeiden. Noch einmal wollte er seinen Kumpel an diesem Tag nicht enttäuschen. Und so saßen sie nur wenig später in der U-Bahn in Richtung Central Station, wo sie umsteigen und dann einige Stationen mit der Han'ei Linie fahren mussten. An der Haltestelle unterhalb des Tempels stiegen sie wie gewohnt aus, doch anders als an den anderen Tagen, schlug Masaru dieses Mal nicht den Heimweg ein. Stattdessen liefen sie gemeinsam am Tempel vorbei und danach über eine Brücke die über den Fluss führte. Kurz darauf kamen sie vor einem großen Haus mit außergewöhnlichen großen, runden Fenstern zum Stehen. Es unterschied sich auch allgemein durch seine architektonische Bauweise von den restlichen Häusern rundherum, welche eher im traditionellen Stil gebaut waren. Jedes Mal, wenn Masaru hierher kam staunte er über dieses extrem moderne Bauwerk. Er selbst lebte nur in einem alten Tempel, was man wohl als das genaue Gegenteil davon bezeichnen konnte. Es war aber auch kein Wunder, dass Dais Heim so außergewöhnlich aussah, denn dessen Eltern waren beide bekannte Architekten in der Stadt. Mit diesem Haus hatten sie sich selbst einen Lebenstraum erfüllt. Aus diesem Grund hatten sie auch nicht mit Extravaganz gespart, was letzten Endes auch auffiel. Das klappernde Geräusch eines Schlüssels holte ihn wieder aus seinen Gedanken, woraufhin er zu seinem Kumpel blickte, der gerade dabei war die Tür aufzuschließen. Mit einem Klicken öffnete sich diese, bevor er von dem Brünetten hereingebeten wurde. Er trat ein und befand sich kurz darauf in einem langen Lichtdurchfluteten Flur. Direkt links neben der Haustür führte eine Treppe die Wand entlang nach oben in das erste Stockwerk, in welchem sich das Schlafzimmer von Dais Eltern, sowie das Kinderzimmer seiner Schwester und ein geräumiges großes Badezimmer befanden. Dais Zimmer wiederum war noch ein Stockwerk höher unter dem Schrägdach. Dort hatte er die ganze Etage für sich. Gegenüber dem Eingang erstreckte sich ein langer Flur, an dessen Ende eine leicht geöffnete Tür war, die in die geräumige Küche führte. Zu beiden Seiten des Flures befanden sich jeweils zwei weitere Türen. Die erste auf der linken Seite führte in einen Keller, soweit Masaru wusste, und die dahinter in ein kleines Bad. Dagegen war hinter der ersten Tür rechts eine kleine Speisekammer, während die zweite in ein großes Wohnzimmer führte. Die beiden jungen Männer waren gerade eingetreten und hatten noch nicht mal ihre Schuhe ausgezogen, als plötzlich lautes Trampeln zu vernehmen war. Kurz darauf kam ein kleines Mädchen mit dunkelbraunen, kinnlangen Haaren aus dem Wohnzimmer geschossen und stürzte sich auf Dai. „Okaeri nasai, Onii-chan“, rief sie fröhlich und drückte sich dabei an den Oberkörper des Brünetten. „Uff“, dieser hatte Mühe nicht umgerissen zu werden und versuchte sich sogleich von seiner Schwester zu trennen, „Ja, schon gut Minami... lass los, ich bekomme keine Luft.“ „Minami, lass deinen Bruder los“, mahnte eine braunhaarige Frau im mittleren Alter, welche ebenfalls aus dem Wohnzimmer trat und daraufhin auch Masaru zu bemerken schien, „Masa-chan, schön dich mal wieder zu sehen.“ Lächelnd versuchte sich Masaru nicht anmerken lassen, dass ihm gar nicht gefiel mit seinem Kinderspitznamen angesprochen zu werden: „Guten Tag, Kazuma-san. Ich soll Ihnen einen schönen Gruß von meiner Mutter bestellen.“ „Ach das ist ja lieb. Bestell doch liebe Grüße zurück. Es wäre schön, wenn wir mal wieder einen Tee trinken könnten“, meinte sie und griff dann nach Minamis Hand, „Na los Minami. Lass deinen Bruder und Masa-chan alleine. Außerdem hast du Besuch. Du kannst deine Freunde doch nicht alleine sitzen lassen.“ Daraufhin zog sie das kleine Mädchen mit sanfter Gewalt zurück ins Wohnzimmer, während diese mit gezogener Schnute den beiden Jungs zuwinkte und sich von „Masanii“ verabschiedete. Die beiden Jungs sahen ihnen nach, bevor Dai geschlagen seufzte: „Lass uns hoch gehen... Masa-chan... AU!“ Eine Handkante traf den Brünetten am Hinterkopf, während sich der Schwarzhaarige an ihm vorbei die Treppe hochschlich: „Lass den Mist... „Onii-chan“.“ Lachend folgte ihm sein Kumpel, woraufhin sie kurz darauf dessen Zimmer betraten. Sofort ließ sich Masaru auf einen der beiden Sitzsäcke fallen, die inmitten des Raumes standen, während Dai seinen Rucksack auf den Schreibtischstuhl stellte. „Ich hole uns noch schnell was zu trinken? Was möchtest du?“, fragte der Gastgeber, während er zurück zur Treppe ging, „Cola?“ „Ja gern“, nickte Masaru, woraufhin der Brünette wieder im unteren Stockwerk verschwand. Dann seufzte der Schwarzhaarige und sah sich um. Der Raum hatte keine direkten Zimmertüren, die ihn mit anderen Räumen verband. Die Treppe, welche an der hinteren linken Wand hinunterführte, war der direkte Zugang. Dieser gegenüber stand ein, wie er fand, riesiger Kleiderschrank, an welchen Dai die Jacke seiner Uniform gehängt hatte. Masaru musste kurz überlegen, um dann festzustellen, dass sein Kumpel diese wohl nur zur Einschulung im ersten Jahr getragen hatte und danach nie wieder. Viel lieber trug er den alternativen weiß-schwarzen Pollunder. Dai meinte einmal er sei bequemer, als die Jacke. Der Schwarzhaarige konnte das jedoch nie bestätigen, da die alternativen Sachen noch immer eingeschweißt in seinem Kleiderschrank lagen. Er wandte den Blick von der Jacke ab und ließ ihn weiterwandern. In der Mitte des Raumes war eine kleine Sitzecke, die mit den zwei Sitzsäcken und einem kleinen Tisch, sowie mehreren Sitzkissen, ausgestattet war. Zu seiner Linken befand sich ein Lowboard, auf dem ein großer Fernseher und die aktuellste Spielekonsole stand. Dem Gegenüber, also zu seiner Rechten, war eine große Glastür, welche auf einen kleinen Balkon führte. Er überstreckte den Kopf und sah hinter sich, wo er auf gleicher Seite ein gemachtes Bett erblickte und daneben einen aufgeräumten Schreibtisch, auf welchem ein dunkelblauer Laptop stand. Dai lebte so völlig anders als er. Während der Brünette in einem hochmodernen Haus mit allen Annehmlichkeiten und einem riesigen Zimmer lebte, wohnte er in einem alten Tempelkomplex, mit einem ebenso alten Haus, in einem vergleichsweise winzigen Zimmer ohne großen Schnickschnack. Zwar hatte auch dort die Moderne schon größtenteils Einzug gehalten, aber trotz allem war es immer noch ein altes Gebäude. Im gesamten Haus gab es nur einen Fernseher und der stand im Wohnzimmer. Er erinnerte sich nur zu gut dran, dass es früher unter ihm und seinen Geschwistern häufig Streit darum gab, welches Programm geschaut wurde; und letzten Endes hatte sein Vater das letzte Wort gehabt. Er seufzte erneut. Es war nicht so, dass ihn stören würde, wie er lebte, oder dass er gar neidisch auf Dai war. Er hatte sich mit seinem Leben als Priestersohn arrangiert. Trotzdem wünschte er sich manchmal mehr ein eher normales Leben, in dem er frei entscheiden konnte, was er einmal machen wollte. „Entschuldige, es hat etwas gedauert“, holte ihn Dais Stimme aus den Gedanken. Kurz darauf erkannte er bereits den braunen Haarschopf seines Kumpels, der die Treppe hinaufkam und sich dann beschwerte, dass ihn seine kleine Schwester wieder einmal bedrängt hatte. Masaru schmunzelte. Auch wenn sich der Brünette immer beschwerte, wie sehr ihn die kleine Minami belagerte, wusste er doch, dass es für diesen niemanden gab, der ihm wichtiger war. Als die Kleine vor sieben Jahren auf die Welt gekommen war, hatte Dai ganz stolz herumerzählt, dass er nun ein großer Bruder war. An diesen Tag erinnerte sich Masaru noch, als sei er gestern gewesen. Eine Dose mit Cola wurde vor ihm auf den kleinen Couchtisch gestellt, bevor er beobachtete, wie sich Dai auf den zweiten Sitzsack fallen ließ und erschöpft sitzen blieb. Der Schwarzhaarige unterdessen griff nach der kleinen roten Dose und öffnete diese. „Ach komm, du bist doch froh sie zu haben“, meinte er daraufhin, woraufhin sein Gegenüber den Blick auf ihn richtete, nur um ihn kurz darauf wieder auf die Lehne hinter sich zu legen. „Ja schon, aber sie ist auch echt anstrengend…“, murmelte Dai anschließend, bevor Stille eintrat. Diese hielt sich einen Moment, in der Masaru einen Schluck seiner Cola trank und seinen Kumpel beobachtete, der immer noch auf dem Sack fläzte, als hätte er zuvor einen Marathon absolviert. „Meine Mutter war total erfreut, dass du mal wieder hier bist. Sie dachte schon wir hätten uns gestritten“, sagte dieser plötzlich und sah zu dem Schwarzhaarigen, der etwas betroffen zusammenzuckte. Masaru senkte den Blick: „Tut mir leid, dass ich dich in letzter Zeit so oft versetzen musste…“ Ein Seufzen ließ ihn wieder zu seinem Kumpel sehen: „Schon gut. Auch wenn ich am Anfang schon etwas sauer war, weil du plötzlich so viel Zeit mit Shingetsu und ihren Freunden verbracht hast. Irgendwie sah dir das auch gar nicht ähnlich, dass du dich so sehr mit Jüngeren abgibst. Aber mittlerweile glaube ich, dass es sogar ganz gut ist, wie es ist.“ Überrascht von dieser Aussage blickte Masaru seinen Kumpel mit seinen dunkelbraunen Augen an, welcher daraufhin weitersprach: „Weißt du, nachdem auch dein Bruder Hayata ausgezogen war und dein Vater entschieden hatte, dass du den ganzen Tempel übernehmen solltest, hattest du dich echt verändert. Du warst so in dich gekehrt und ernst. Und ich wusste nicht, wie ich dir hätte helfen könnten. Ich hatte das Gefühl, dass egal was ich sage, es nichts bringt, immerhin hätte es an der Situation nichts geändert. Dann warst du plötzlich verschwunden und ich dachte, nun seist du endgültig abgehauen. Sonst warst du ja immer zu uns gekommen, wenn es bei dir Stress gab, aber dieses Mal nicht. Wir haben uns alle echt verdammte Sorgen gemacht.“ Wieder sah der Schwarzhaarige auf den Boden. Ihm war klar, dass er durch sein unverschuldetes Verschwinden anderen Sorgen bereitet hatte, doch das Dai sich mit solchen Gedanken rumquälte machte ihm ein noch viel größeres schlechtes Gewissen. „Doch…“, die Stimme seines Kumpels ließ ihn wieder aufschauen, „Seit du wieder aufgetaucht bist und dich mit Shingetsu angefreundet hast, scheint es dir wieder besser zu gehen. Und das beruhigt mich wirklich sehr.“ „J-ja ich konnte einiges überdenken…“, murmelte Masaru. Dai schenkte ihm ein Lächeln: „Dann ist ja gut. Du bist auch wieder viel lockerer und mehr wie früher. Und ich weiß, dass wir nicht ewig aufeinander hocken können, immerhin sind wir beide fast erwachsen. Deshalb ist es gut so, wie es jetzt ist. Solange es dir damit gut geht, kann ich auch damit leben, dass du mich öfters mal versetzt.“ Dai schenkte ihm ein breites Grinsen, dass auch ihn dazu verleitete zu Lächeln: „Danke dir, Dai. Du bist echt der beste Freund, den man sich vorstellen kann.“ Das Grinsen des Brünetten wurde breiter: „Ist doch klar.“ Masaru kam erst wieder zuhause an, als die Sonne schon längst untergegangen war. Dais Mutter hatte darauf bestanden, dass er bei ihnen mit zu Abend aß; so wie sie es früher oft gemacht hatten. Ihm war also gar keine andere Wahl geblieben, als das Angebot anzunehmen. Deshalb hatte er sofort seine Mutter darüber informiert, dass es noch etwas später werden würde. Und auch wenn sie vollstes Verständnis für ihren Sohn zeigte, so wusste er doch, dass sein Vater nicht so begeistert darüber gewesen war. Mit Sicherheit durfte er sich gleich eine saftige Standpauke von diesem anhören und sich danach an seine liegengebliebene Arbeit machen. Da konnte er ja von Glück reden, dass am nächsten Tag Sonntag war; wobei es ja nichts an der Zeit änderte, zu welcher er gewöhnlich aufstand. Er seufzte, als er die letzte Stufe der Treppe erklomm, die hinauf zum Tempel führte. Dann wandte er sich noch einmal um und warf noch einen Blick über die Stadt, welche sich unter ihm leuchtend ausbreitete. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, denn trotz der Aussicht auf Ärger fühlte er sich gerade total erfrischt und erleichtert. Es war eine gute Idee gewesen den Nachmittag mit Dai zu verbringen. Das war ihm bewusst geworden, während das Lächeln in seinem Gesicht immer breiter wurde. Kapitel 111: CXI – DateCon -------------------------- Sonntag, 20.September 2015 Nervös stand Megumi vor dem großen Einkaufszentrum von Kagaminomachi, das ihnen in den späten Abendstunden als Zugang in die Spiegelwelt diente, und sah sich etwas verunsichert um. Aus dem Inneren des verglasten Gebäudes hörte sie leise Musik, welche die Besucher zum Verweilen einladen sollte. Sie jedoch interessierte das nicht. Zum wiederholten Male sah sie an sich herunter und zupfte ihre Kleidung zurecht, welche sie anhatte. Heute war für sie ein besonderer Tag, weshalb sie sich auch extra etwas in Schale geworfen hatte. Sie trug ein zartrosa Kleid mit relativ weit ausladendem Rock, welcher ihr bis zu den Knien reichte und am unteren Saum mit kleinen, weißen Rüschen bestickt war. Darüber hatte sie eine weiße, leicht geplüschte Jacke angezogen, welche am Hals mit einer dunkelrosa Schleife verschlossen wurde und ansonsten aber offen blieb und dessen Taschen mit kleinen türkisblauen Blüten bestickt waren. Dazu trug sie eine schwarze blickdichte Strumpfhose und hellbraune Stiefeletten. Anstatt ihres üblichen schlichten Haarreifs hatte sie sich an diesem Tag für einen türkisblauen entschieden, der mit kleinen Blumen bestückt war. Über ihre Schulter hatte sie eine erstaunlich große hellbraune Tasche gehängt. Ob sie es nicht etwas übertrieben hatte? Erneut zupfte sie an ihrem Rock und hoffte, dass sie nicht zu overdressed wirkte. Obwohl sie diese Art von Sachen gerne in ihrer Freizeit trug, so war es ihr in diesem Moment doch ziemlich peinlich. Und das hatte einen ganz bestimmten Grund… „Entschuldige, dass du warten musstest, Yoshiko-chan“, holte sie eine männliche Stimme aus den Gedanken. Sie zuckte kurz zusammen, während ihr die Röte ins Gesicht stieg und sie dieses leicht zu der ankommenden Person richtete. Kurz darauf kam ein junger Mann zügig auf sie zugelaufen, dessen dunkelbraunen, zotteligen Haare mit einem dicken grünen Bandana davon abgehalten wurden, in sein Gesicht zu fallen. Gekleidet war er in ein dunkelgrünes offenes Hemd, dessen lange Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte, und eine dunkelgraue lange Hose, mit erstaunlich vielen Taschen. Unter dem offenen Hemd trug er ein schlichtes schwarzes Shirt, vor welchem eine Kette mit zwei silbernen flachen Anhängern baumelte. Dunkelgrüne Augen sahen sie durch eine schmale Brille hindurch entschuldigend an, als er neben ihr zum Stehen kam. „Ich hatte die U-Bahn verpasst. Ich hoffe du musstest nicht so lange warten“, schlug er die Hände vor dem Gesicht zusammen, an deren Gelenken jeweils ein dünnes schwarzes Lederarmband mit silbernem Verschluss baumelte. Immer noch mit leichter Röte im Gesicht sah Megumi den älteren Jungen an und schüttelte dann lächelnd den Kopf: „Mhm… schon okay, Obata-senpai. Ich bin auch noch nicht lange hier. Außerdem haben wir noch etwas Zeit.“ Sie war nervös, versuchte sich das aber nicht anmerken zu lassen. Niemand geringeres als ihr Senpai Naoto Obata würde ihr heute den Tag über Gesellschaft leisten. Es kam ihr immer noch wie ein Traum vor, wenn sie an den Moment zurückdachte, der sie in diese Situation gebracht hatte. Es war am Anfang der Woche, als sie erfahren hatte, dass Matsurika sie aufgrund einer Grippe nicht auf die KagoCon, einer Manga Convention in der Stadt, begleiten konnte, die an diesem Sonntag stattfand. Mehrmals hatte sich ihre beste Freundin bei ihr entschuldigt, immerhin hatten sie diesen Tag schon über Monate geplant. Natürlich war sie der Schwarzhaarigen nicht böse, zumal sie diese auch nicht dazu zwingen wollte auf eine Veranstaltung zu gehen, wenn es ihr nicht gut ging. Trotzdem war sie wegen dieser Hiobsbotschaft ziemlich niedergeschlagen, weshalb sie sich an den Fluss zurückgezogen hatte, um darüber nachzudenken was sie nun tun sollte. Alleine auf die Con zu gehen kam für sie nicht in Frage. Ohne eine Begleitung waren solche Veranstaltungen einfach nur öde und einsam. Aber sie musste sich überlegen, was sie mit ihren zwei Karten anfangen sollte. Für einen Moment kam ihr sogar die Idee einen ihrer neuen Freunde zu fragen, doch diese hatte sie schnell wieder verworfen. Zwar konnte sie sich vorstellen, dass Mirâ und Akane gerne mal einen Manga lasen oder einen Anime sahen, doch mit Sicherheit fuhren sie nicht so darauf ab, wie sie selbst. Und bei Kuraiko konnte sie sich die Antwort bereits vorstellen, zumal ihr diese eh Angst machte, weshalb sie sie niemals wegen sowas fragen würde. Die Jungs wiederum traute sie gar nicht zu fragen. Abgesehen von Ryu, welcher in ihrem Alter war, gab es eigentlich nur einen Jungen mit dem sie sich normal unterhalten konnte. Und genau dieser kam in jenem Moment auf sie zu und fragte sie, was sie bedrückte. Also hatte sie Naoto ihr Problem geschildert und dieser hatte sich sofort bereiterklärt sie zu begleiten; sofern sie dies wollte. Vollkommen überrumpelt von dieser Aussage hatte sie daraufhin zugesagt und erst später genauer darüber nachgedacht, was das eigentlich bedeutete. Und nun stand sie hier: An ihrem vereinbarten Treffpunkt, mit dem Jungen zusammen, in den sie heimlich verliebt war, um mit diesem auf eine Anime- und Manga-Messe zu gehen. Das musste einfach ein Traum sein. „Danke nochmal, dass du mich mitnimmst“, holte sie Naotos Stimme aus den Gedanken, woraufhin sie ihn erschrocken ansah und dann lächelte. „K-kein Problem. I-ich danke dir, dass du mich begleitest“, bedankte sich die Jüngere schüchtern, während sie weiterhin versuchte so normal wie möglich zu wirken, „Alleine i-ist so eine Messe einfach nur langweilig…“ „Das glaube ich dir“, meinte ihr Gegenüber, welcher seinen Blick auf ihr ruhen ließ und dann grinste, „Ich dachte ich würde dich im Cosplay sehen. Aber das steht dir auch sehr gut.“ Wäre dies ein Anime gewesen, man hätte über Megumis Kopf wohl eine kleine Dampfwolke explodieren sehen. Ihr Gesicht glühte förmlich vor Scham, weshalb sie schnell mit den Händen herumfuchtelte. „N-nein… i-ich bin überhaupt nicht gut im Nähen. A-außerdem tr-traue ich mich das a-auch gar nicht. Das ist mir zu peinlich“, stotterte sie vor sich hin, was dem jungen Mann ein Lachen entlockte, „M-machst du dich ü-über mich lustig, Senpai?“ Beleidigt blähte sie die Wangen auf, was Naoto jedoch noch mehr lachen ließ, während er versuchte sich aufrichtig zu entschuldigen, was jedoch nur bedingt funktionierte. Eine Weile beobachtete Megumi den Älteren und wartete auf eine richtige Entschuldigung, doch konnte sich dann nicht mehr zurückhalten und stimmte dann ebenfalls mit ein. Das Lachen des Brünetten war einfach zu ansteckend gewesen. Doch es half ihr ihre Anspannung loszuwerden, denn als sich beide wieder beruhigt hatten, ging es ihr gleich viel besser. Eine Hand wurde ihr gereicht. Irritiert schaute sie auf die diese, bevor sie ihren Blick hob und in Naotos grüne Augen sah. „Wollen wir dann?“, fragte er. Megumi zögerte einen Moment, doch nickte dann und griff nach der ihr angebotenen Hand, woraufhin sie von dem jungen Mann sanft mitgezogen wurde. Wieder legte sich ein leichter Rotschimmer auf ihre Wangen, während sie den Älteren vor sich beobachtete. So machten sich die beiden auf den Weg zum Messegelände der Stadt, auf welchem die KagoCon stattfand. Dabei begegneten ihnen unterwegs bereits einige Leute, die ebenfalls dorthin wollten. Die meisten von ihnen erkannte man an ihren Cosplays. In Japan war es eigentlich nicht gern gesehen in der Öffentlichkeit im Cosplay herumzulaufen, weshalb man sich in der Regel auf der jeweiligen Convention umziehen musste. Da die Messe von Kagaminomachi jedoch vergleichsweise klein war, gab es dort nur begrenzten Platz für Umkleidekabinen und Schließfächer, weshalb es hier keine großen Probleme gab, wenn man bereits voll eingekleidet zur Veranstaltung ging. Zwar wurde man dann auch gerne mal komisch angesehen, aber die meisten Cosplayer störten sich nicht daran. Jedenfalls hatte Megumi dies aus einigen Wortfetzen heraushören können. Andererseits konnte sie sich das aber auch vorstellen. Wer sich verkleidete wollte ja Aufmerksamkeit erregen, weshalb es schon merkwürdig wäre, wenn sie sich an Blicken oder Kommentaren stören würden. Sie zollte Cosplayern sowieso größten Respekt für ihre Arbeit, denn sie fand es einfach faszinierend wie manche Kostüme wirklich bis auf das kleinste Detail nachgebildet wurden. Selbst bei den Perücken gaben sich diese Leute die größte Mühe, dass sie am Ende wie die Haare ihrer Lieblingscharaktere aussahen. Sowas fand sie wirklich toll, immerhin hatte sie davon selbst keine Ahnung. Sie wüsste nicht einmal wo sie anfangen sollte, zumal es für vieles nicht einmal Schnittmuster gab. Cosplay war wirklich eine Kunst für sich gewesen, die sie zwar sehr bewunderte, aber wohl niemals selber ausüben würde. Nach einer halben Stunde, in welcher sie auch einmal mit einer vollkommen überfüllten U-Bahn fahren mussten, erreichten sie das Messegelände, welches reich verziert war. Überall hingen Werbe- und Willkommensbanner, die die Besucher heranlocken sollten. Sie folgten dem Strom der Menschenmassen, die alle auf das Gelände wollten, zum Messegebäude. Dieses bestand aus drei grauen viereckigen Blöcken, in denen sich die einzelnen Messehallen befanden, und einem runden verglasten Mittelteil, welcher durch seine hohe Glaskuppel besonders hervorstach. In diesem befand sich auch der Haupteingang, durch welchen sie mussten, um die Con besuchen zu können. Obwohl es noch ziemlich früh am Morgen war, tummelten sich hier schon eine ganze Menge Menschen, weshalb sie sich in eine lange Schlange anstellen mussten. Während sie warteten, um endlich rein zu kommen, beobachteten sie die einzelnen Cosplayer, welche das schöne Wetter nutzten und schonmal ein paar Fotos für ihr Portfolio aufnahmen. Dabei sparten die Meisten wirklich nicht an Material. Einige von ihnen hatten sogar eigene Fotografen mitsamt Fotoausrüstung dabei. Auch in der Glashalle tummelten sich bereits einige Cosplayer. Diese war ein beliebtes Fotomotiv, da sie großzügig von Licht durchflutet war und einige schöne helle Steinwände als Hintergrund bot. Trotz der langen Schlange ging der Einlass sehr zügig, sodass sich die beiden Oberschüler kurz darauf bereits in besagter Halle befanden. Voller Begeisterung sah sich Naoto um, was die Jüngere zum Schmunzeln brachte. Als sie das erste Mal hier war, hatte sie genauso reagiert. Damals war sie total überwältigt von diesem Bau gewesen, doch mittlerweile war sie den Anblick gewohnt. Bereits seit dem zweiten Jahr der Mittelschule ging sie hierher. Es war für sie also nichts Neues mehr. Der Ältere jedoch schien noch nie hier gewesen zu sein, was im Grunde nichts Ungewöhnliches war. Immerhin ging man nicht unbedingt auf eine Messe, wenn man nicht gerade zu einer Veranstaltung wollte. Trotzdem wirkte seine Reaktion etwas übertrieben, was die Brünette jedoch ziemlich süß fand. „Also wo müssen wir hin?“, fragte er sich immer noch umschauend. „Die Con findet immer in Halle 1 und 3 statt. In Halle 1 sind verschiedene Händler und eine Künstlermeile. In Halle 3 befindet sich eine große Bühne, wo es über den Tag verteil verschiedene Events und am Nachmittag einen Cosplay-Wettbewerb geben wird, sowie mehrere Gaming Möglichkeiten und Stände, an denen man sich etwas zu Essen kaufen kann“, erklärte Megumi, einen kleinen ausgedruckten Plan in den Händen haltend. Naoto sah ihr über die Schulter, was sie kurz aufschrecken und wieder rot anlaufen ließ: „Ich verstehe. Ich denke in Halle 3 wird noch nicht so viel los sein. Wollen wir also bei den Händlern anfangen?“ „Ähm… j-ja. S-so haben Rika und ich das auch immer gemacht…“, murmelte die jüngere Schülerin verlegen. „Super, dann ist das entschieden“, grinste ihr Senpai und griff erneut unvermittelt nach ihrer Hand, welche sie jedoch erschrocken zurückzog. Es war nicht einmal gewollt, sondern eher eine Art Reflex, weshalb sie hoffte, dass der junge Mann das nicht falsch verstand. Ihr Körper hatte einfach reagiert. Überrascht sah der Brünette auf ihre Hände und schien dann zu verstehen, weshalb er lächelte: „Entschuldige. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich dachte nur, dass es besser ist, bevor wir uns verlieren.“ „A-ach so? J-ja du hast Recht. Das ist vielleicht besser.“, griff sie nun doch etwas zaghaft nach der Hand des Jungen. Ein wenig enttäuscht über diese Aussage war sie ja schon. Doch was hatte sie sich eigentlich erhofft? Dass zwischen ihnen doch mehr als nur eine einfache Freundschaft bestand und sie sich hier noch näherkamen? Oder hatte sie sich erhofft, dass er ihr sagen würde, dass er in sie verliebt war? Nichts davon, da war sie sich sicher, würde an diesem Tag eintreffen. Sie waren Schulkameraden, vielleicht noch so etwas wie Freunde, aber auch nicht mehr. Naoto begleitete sie nur aus Nettigkeit… und weil er dadurch mal die Gelegenheit hatte auf diese Con zu gehen. Auch in diesem Fall war sich die Jüngere sehr sicher, doch gerade das ließ ihr Herz sich schmerzhaft zusammenziehen. Sie hätte nichts dagegen dem Brünetten näherzukommen, immerhin liebte sie ihn. Doch glaubte sie fest daran, dass es eben nur auf Einseitigkeit beruhte. Wieso sollte auch jemand wie Naoto auf ein unscheinbares Mädchen wie sie stehen? Sie war weder wirklich cool, noch besonders hübsch. Dass er sich überhaupt mit ihr abgab sollte sie eigentlich schon freuen. Und trotzdem… „Yoshiko-chan? Ist alles in Ordnung?“, erschrocken hob Megumi den Blick und sah in die besorgten grünen Augen von Naoto, „Du bist plötzlich so still. Bin ich… vielleicht zu aufdringlich? Wenn ja musst du mir das sagen.“ „N-nein. D-du bist nicht aufdringlich, Obata-senpai. I-ich musste nur gerade an etwas denken. Entschuldige bitte“, sah die Brünette wieder gen Boden. „Du brauchst dich für nichts entschuldigen“, sagte der Ältere lieb lächelnd und tätschelte ihr dabei den Kopf, „Wollen wir uns dann ins Getümmel stürzen?“ Zaghaft nickte Megumi und wurde kurz darauf wieder sanft hinter dem älteren Schüler hergezogen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Erst als sie die erste Halle betraten ließ ihre Anspannung wieder nach. Sobald sie den bunt geschmückten Saal und die ersten großen Werbebanner der einzelnen Händler sah war sie in ihrer Welt verschwunden, in der sie sogar vergaß, dass sie mit ihrem Schwarm auf dieser Veranstaltung war. Während sie durch die engen Gänge liefen und sich alle möglichen Dinge ansahen, hatte sie so viel Spaß, dass sie an so etwas auch gar nicht denken musste. Es dauerte nicht lange bis sie vor dem ersten Stand angelangt waren, der Merchandise zu ihrer aktuellen Lieblingsserie vertrieb. Total begeistert stand die junge Frau davor und begutachtete alles, was sie finden konnte. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die ersten Tüten mit Figuren und Kleinkram in den Händen hielt. Freudenstrahlen stolzierte sie mit Naoto an ihrer Seite weiter durch die ganzen Gänge, hielt hier und da, betrachtete die Auslagen und fand immer wieder irgendwo etwas, was ihr gefiel. Auch durch die Künstlermeile waren sie geschlendert, kamen jedoch gleich am Anfang nicht weit, da Megumi einer Künstlerin über den Weg lief, die sie schon eine ganze Weile kannte. Die Brünette hatte sie vor einigen Jahren im Internet kennengelernt und war sofort mit ihr auf einer Wellenlänge gewesen. Zu dieser Zeit hatte sie noch aktiv Bilder getauscht und mit dieser Künstlerin ein Arttrade gemacht, die damals noch eine totale Anfängerin war. Mittlerweile jedoch hatte sie sich so sehr verbessert, dass sie sich sogar für Stände auf solchen Messen bewerben konnte. Auch Megumi wurde schon angeraten, sich auf der Con als Künstler zu bewerben. Allem voran Matsurika hatte ihr vorgeschlagen es mal zu versuchen, jedoch war die Brünette dann doch zu schüchtern, um das wirklich durchzuziehen. Sie würde wahrscheinlich nur zusammengekauert auf ihrem Platz sitzen und sich gar nicht trauen mit potentiellen Kunden zu sprechen; so wie es die ganzen anderen Künstler hier taten. Im Internet jedoch war das ganz anders. Vielleicht lag es an der Anonymität, die dort herrschte, aber es fiel ihr wesentlich einfacher mit anderen zu sprechen beziehungsweise zu schreiben. Im Nachhinein war es dann aber auch leichter sich mit diesen Leuten im realen Leben zu treffen und zu unterhalten. So wie es in dem Moment war, als sie die ihr bekannte Künstlerin getroffen hatte. Sie hatten sehr lange miteinander geschrieben und Bilder ausgetauscht, bis sie sich das erste Mal wirklich getroffen hatten; und in diesem Moment war es, als hätten sie sich schon ewig gekannt. Jedoch blieb sie weiterhin nur eine Internetbekanntschaft. Denn obwohl sie ebenfalls in Kagaminomachi lebte, hatten sie sich bisher nur auf Veranstaltungen getroffen, nie privat. Sie hielten es beide so für das Beste, immerhin hatte jeder für sich auch sein eigenes Leben. Deshalb verabschiedete sie sich nach einem kurzen Gespräch von ihrer Bekannten und ging gemeinsam mit Naoto weiter ihres Weges. Erschöpft setzten sie sich nach einer ganzen Weile in einer ruhigen Ecke auf den Fußboden und schnauften erst einmal durch. Ihnen taten die Füße weh und auch so waren sie ziemlich fertig mit der Welt. Nachdem sie alles in Halle 1 gesehen hatten, waren sie weiter zu Halle 3 gegangen, wo sie sich die Auftritte der Cosplayer angesehen und danach einige der Spiele ausprobiert hatten, welche dort ausgestellt waren. Erstaunt musste Naoto feststellen, dass Megumi eine ziemlich gute Zockerin war, auch wenn man es ihr nicht ansah. Es kam nicht nur einmal vor, dass sie ihn vollkommen abgezockt und rigoros besiegt hatte. Doch nun brauchten sie beide eine Pause. Müde warf Megumi einen Blick auf ihr Smartphone, welches nur so von Nachrichten von Matsurika überquoll. Die Brünette jedoch wusste, dass es nichts Wichtiges war, was sie sofort hätte beantworten müssen. Bereits als sie in der Händlerhalle waren hatte sie sich um die Einkaufswünsche ihrer besten Freundin gekümmert. Diese hatte ihr extra Geld mitgegeben, mit welchem sie diese erfüllen konnte. Beim Blick auf ihr Telefon fiel ihr jedoch auch auf, dass es bald Zeit für den Heimweg war, weshalb sie etwas traurig war. Sie hatte an diesem Tag so viel Spaß mit ihrem Senpai gehabt, dass sie eigentlich gar nicht wollte, dass er schon wieder endete. Wer wusste schon, wann sie mal wieder die Chance dafür bekommen würde. Sie würde sich doch niemals trauen ihn direkt um ein Date zu fragen, zumal der junge Mann auch immer ziemlich beschäftigt war. Soviel sie wusste, war er in der Schule in zwei Schulclubs angemeldet: Fußball und dem Schulorchester, in dem er sein Saxophon spielte. Neben der Schule ging er außerdem noch jobben und zusätzlich besuchte er noch eine Paukschule, damit seine Noten nicht schlechter wurden. Eine ganz schöne Belastung für einen einzelnen Oberschüler, wie sie fand. Jedoch beschwerte er sich nie darüber. Wieso er das alles auf sich nahm und damit seine Freizeit einschränkte, wusste sie nicht. Aber sie war sich sicher, dass er seine Gründe dafür hatte. Ihn diesbezüglich zu fragen, hatte sie sich allerdings bisher nie getraut, obwohl es sie schon brennend interessierte. Vielleicht sollte sie es aber einfach mal versuchen. Sie hob den Blick, doch wunderte sich plötzlich, als Naoto nicht neben ihr saß. Erschrocken sah sie sich um, konnte ihn jedoch nicht finden. Wo war er denn hin? Der Geruch von Essen stieg ihr in die Nase, woraufhin sich nun auch ihr Magen laut knurrend bemerkbar machte. Mit rotem Gesicht hielt sie sich diesen und hoffte, dass es niemand gehört hatte, als plötzlich eine Packung Tako-yaki vor ihrer Nase erschien. Überrascht blickte sie auf und daraufhin in Naotos lächelndes Gesicht. „Wie mir scheint hat die junge Dame Hunger. Darf ich Ihnen ein paar Tako-yaki kredenzen?“, fragte dieser grinsend, woraufhin Megumis Gesicht noch roter anlief. Trotzdem nahm sie dem jungen Mann das angebotene Essen ab, senkte danach jedoch gleich wieder den Blick, in der Hoffnung, dass es ihm nicht auffiel. Nachdem Naoto wieder eine Hand frei hatte setzte er sich neben sie. Auch er hielt eine Packung der kleinen Teigbällchen in der Hand. Megumi beobachtete ihn von der Seite: „D-Danke, Senpai. W-Was bekommst du…?“ „Nichts“, lächelte der Brünette, „Das geht auf mich. Lass es dir einfach schmecken.“ „D-danke“, bedankte sich die Jüngere noch einmal, während ihr Gesicht regelrecht glühte. Um sich abzulenken, griff sie nach dem ersten Tako-yaki, in welchem bereits ein kleiner Stocher steckte, und schob sich diesen in den Mund. Sofort zuckte sie zusammen und balancierte den kleinen Ball auf ihrer Zunge, da er eindeutig noch zu heiß war, um ihn sich einfach so in den Mund zu schieben. Doch leider kam diese Erkenntnis zu spät, weshalb sie versuchte mit der Hand wedelnd ihre Zunge zu kühlen. Neben ihr erklang Naotos Lachen, welcher sich über diese Situation köstlich zu amüsieren schien. Beleidigt blähte Megumi wieder die Wangen auf, was den Älteren aber nur noch mehr zum Lachen brachte. Er brauchte einen Moment um sich wieder zu beruhigen und entschuldigte sich dann für sein Verhalten, bevor er auf die Ausbeute blickte, die sie an diesem Tag gemacht hatten; wobei die von Megumi definitiv die Größere war. „Du hast ja ganz schön zugeschlagen für dich und deine Freundin“, sagte er daraufhin, „Jobbst du nebenbei, dass du dir das alles leisten kannst?“ Überrascht sah die Brünette ihren Senpai an, doch schüttelte dann den Kopf: „Nein. Ich bin viel zu schüchtern, um mich irgendwo vorzustellen oder mit Kunden zu arbeiten. Ich weiß noch gar nicht, wie ich das später mal bewältigen soll, wenn ich mir einen Beruf suchen muss. Ich verdiene mir mit Auftragsarbeiten etwas Geld dazu.“ „Auftragsarbeiten?“, mit großen Augen sah Naoto sie an. „Naja… jemand gibt mir den Auftrag ein Bild zu zeichnen und ich zeichne es dann nach den Wünschen desjenigen. Material, Größe und Motiv sucht sich der Auftraggeber aus. Dafür bezahlt er mir dann halt den Materialverbrauch und den Arbeitsaufwand“, erklärte Megumi, während sie ihre Tako-yaki betrachtete und sich nun den nächsten in den Mund schob, „Je nach Aufwand dauert das halt eine Weile, aber so nebenbei kann man damit ganz gutes Geld verdienen.“ „Wow das ist ja krass“, strahlte der Brünette, „Sowas hätte ich dir jetzt nicht zugetraut, obwohl du ja echt super toll zeichnen kannst. Aber auch da muss man ja mit „Kunden“ reden.“ Die Oberschülerin nickte und lächelte leicht: „Ja, das schon. Aber man hat meistens nur über Internet Kontakt zu denjenigen. Das meiste bleibt anonym. Sowas fällt mir dann leicht. Deshalb geht das.“ „Wirklich cool“, sagte der Brünette grinsend und steckte sich dann ebenfalls einen seiner Tako-yaki in den Mund. Wieder beobachtete Megumi ihren Schwarm von der Seite und nahm dann all ihren Mut zusammen, um zu fragen, was sie nun interessierte: „Ähm Senpai. D-darf ich dich auch etwas Persönliches fragen? D-du bist immer so beschäftigt, mit den Schulclubs und deinem Job. Und nebenbei besuchst du noch die Paukschule. G-gibt es einen Grund, d-dass du d-dir diesen Stress machst?“ Naoto sah sie mit großen Augen an und schwieg einen Moment, während er daraufhin einen Punkt irgendwo in der Halle fixierte, bevor er antwortete: „Das ist wirklich eine sehr persönliche Frage…“ Verunsichert zog die Brünette den Kopf ein und entschuldigte sich leise für ihre taktlose Frage. Ihr Senpai schüttelte jedoch den Kopf: „Weißt du, meine Mutter ist alleinerziehend. Sie ist Krankenschwester und verdient nicht die Welt. Trotzdem hat sie immer versucht mir ein angenehmes Leben zu ermöglichen und dafür gesorgt, dass ich die Jugôya besuchen darf. Mein Saxophon hat sie mir zum Eintritt in die Mittelstufe gekauft. Am Anfang fand ich es echt doof, aber weil ich wusste, dass meine Mutter es nur gut meinte, habe ich mich trotzdem reingehängt das Instrument zu erlernen. Deshalb bin ich auch dem Schulorchester beigetreten. Und obwohl sie nicht wirklich begeistert darüber war, dass ich auch dem Fußballclub beigetreten bin, hat sie mich dabei immer unterstützt. Ich wollte ihr einfach etwas zurückgeben und deshalb habe ich mir am Anfang der Oberschule einen Nebenjob gesucht. Leider hatte sich das negativ auf meine Noten ausgewirkt und deshalb habe ich mich auch noch in einer Paukschule angemeldet. Ich möchte mich für sie anstrengen und ein Stipendium für eine angesehene Uni bekommen, gleichzeitig möchte ich aber auch, dass sie ihr hartverdientes Geld auch mal für sich ausgeben kann und nicht immer für mich. Wenn es nach ihr ginge, müsste ich das alles gar nicht auf mich nehmen. Sie möchte, dass ich mich hauptsächlich auf die Schule konzentriere und meine Freizeit lieber mit meinen Freunden verbringe, aber ich möchte sie einfach irgendwie unterstützen.“ Mit großen grünen Augen sah die Jüngere ihren Senpai an und wusste nicht so genau, was sie überhaupt sagen sollte. Sie bewunderte, dass er das alles für seine Mutter auf sich nahm; gleichzeitig tat er ihr aber auch leid. Auch wenn er meinte, dass ihm seine Mutter ein sehr angenehmes Leben ermöglicht hatte, so konnte sie sich vorstellen, dass er keine einfache Kindheit hatte. Mit Sicherheit hatten er und seine Mutter auch mit Vorurteilen zu kämpfen, denn Alleinerziehende entsprachen nicht unbedingt der Norm einer intakten Familie. Ob er wenigstens Kontakt zu seinem Vater hatte? „S-sind deine Eltern geschieden?“, fragte sie vorsichtig nach. „Nein… mein Vater gehörte zur US-Marine, die in Mikatsuki-chô stationiert war. Er starb bei einem Auslandseinsatz. Das zumindest hat mir meine Mutter erzählt“, erklärte der Brünette und griff die Kette, welche um seinen Hals hing, „Die Marken gehörten ihm. Das ist das Einzige, was uns von ihm noch geblieben ist. Meine Eltern waren nie verheiratet und da mein Vater Amerikaner war und keinen japanischen Pass hatte, bekommt meine Mutter auch keine Unterstützung vom Amt.“ Erschrocken wich Megumi zurück und bereute sogleich ihre indiskrete Frage: „D-das tut mir leid, Senpai.“ Sie spürte eine Hand auf ihrem gesenkten Kopf, welche sie sanft streichelte, woraufhin sie wieder zu dem Älteren sah, der sie anlächelte: „Schon gut. Mein Vater starb, als ich noch ein Kleinkind war. Ich erinnere mich kaum an ihn. Deshalb vermisse ich ihn jetzt auch nicht oder so. Also alles gut. Mach dir keine Gedanken.“ Er ließ von ihr ab und erhob sich dann. Megumi beobachtete ihn, während er sich streckte und ein paar Dehnübungen machte, um seine steifen Muskeln zu lockern. „Es ist spät geworden. Wollen wir dann langsam wieder los? Oder möchtest du noch irgendwo hin?“, fragte er anschließend. Kopfschüttelnd erhob sich nun auch die Brünette und sammelte ihre Einkäufe zusammen. Auch Naoto sammelte seine Sachen zusammen, woraufhin sich die beiden auf den Heimweg machten. Gemeinsam fuhren sie zur zentralen U-Bahnstation von Tsukimi-kû, wo sich ihre Wege wieder trennen sollten. „Vielen Dank, dass ich dich heute begleiten durfte, Yoshiko-chan“, sagte der Ältere, als sie den Bahnsteig der U-Bahn verlassen hatten und nun in dem Gang standen, welcher sie zu den anderen Gleisen brachte. Megumi schüttelte den Kopf und lächelte: „I-ich danke dir, d-dass du mich begleitet hast.“ „Immer wieder gern“, grinste Naoto, „Soll ich dich wirklich nicht noch bis Nachhause begleiten?“ Bereits auf dem Weg von der Messe zum Bahnhof hatte ihr der Braunhaarige angeboten sie noch bis vor die Haustür zu begleiten, immerhin wurde es langsam dunkel. Doch die Jüngere hatte das Angebot dankend abgelehnt. Sie wollte ihm nicht noch mehr Umstände bereiten, nachdem sie ihn schon so ausgehört hatte. Außerdem war sie immer noch etwas nervös in seiner Nähe. Ganz davon abgesehen, dass ihre Schwester mit Sicherheit auf dem Balkon stand, um zu schauen, wann sie kam. Wenn sie da mit einem jungen Mann aufkreuzte, würde das nur dumme Fragen bedeuten. Und darauf hatte sie keine Lust, auch wenn sie gerne noch etwas Zeit mit ihm verbracht hätte. „Na gut. Ich will mich dir nicht aufzwingen“, sagte ihr Senpai und nahm plötzlich ihre Hand, während er mit der anderen in eine seiner Hosentaschen griff. Sofort lief sie rot an und beobachtete, wie er etwas aus der Tasche zog und ihr dann in die geöffnete Hand legte. Mit großen Augen betrachtete sie den kleinen Stoffanhänger, welcher ihren Lieblingscharakter aus ihrer aktuellen Lieblingsserie darstelle. Als sie sich auf den Rückweg gemacht hatten, um Nachhause zu gehen, mussten sie noch einmal durch die Händlerhalle, wobei ihr diese kleinen Anhänger aufgefallen waren. Sofort war sie Feuer und Flamme gewesen und wollte sich einen holen, doch trotz seiner geringen Größe war der Preis dafür ziemlich happig. Enttäuscht hatte sie in ihr Portmonee geschaut, um dann festzustellen, dass dieses Merch nicht mehr in ihr Budget passte, weshalb sie niedergeschlagen von dannen zog. Aber Naoto war, ihrer Meinung nach, die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen. Wann also…? „Du warst so niedergeschlagen, weil du dir den Kleinen hier nicht mehr leisten konntest. Also habe ich ihn schnell gekauft, bevor wir gegangen sind…“, sagte er lächelnd und steckte seine Hände in die Hosentaschen, „Ich schenke ihn dir.“ „D-der ist für mich?“, fragte Megumi irritiert, woraufhin ein Nicken folgte, „A-aber der war doch teuer.“ „Schon okay“, grinste der Brünette und zog dann einen weiteren Anhänger aus seiner Tasche, welcher allerdings einen anderen Charakter aus der gleichen Serie zeigte, „Ich hab mir auch einen geholt. Ist zwar nicht der gleiche, aber irgendwie auch sowas wie Partnerlook. Cool oder?“ Mit großen Augen sah sie ihren Senpai an und lächelte dann breit, während sie den kleinen Plüschanhänger an ihre Wange drückte: „Ja. Vielen Dank, Senpai. Ich werde gut drauf achtgeben.“ Naoto zwinkerte ihr zu: „Das hoffe ich doch. So, dann verabschiede ich mich jetzt. Komm gut heim und pass auf dem Weg auf. Wir sehen uns dann sicher die Tage in der Schule.“ Damit hatte sich der Ältere von ihr abgewandt und war in Richtung Ausgang der U-Bahnstation gelaufen. Megumi sah ihm nach, während sie den kleinen Anhänger an ihre Brust drückte. Ihr Gesicht glühte, doch das störte sie nicht. Sie war glücklich, dass sie diesen Tag mit ihrem Schwarm verbringen konnte und hatte nun doch das Gefühl ihm ein ganzes Stück näher gekommen zu sein. Kapitel 112: CXII – Yasuo in Sorge ---------------------------------- Montag, 19.September 2015 Schon als Mirâ an diesem Morgen das Gelände der Schule betrat, bemerkte sie, dass sich die gesamte Atmosphäre verändert hatte. Nicht nur, dass ihr bereits einige Schülerinnen, bepackt mit verschiedensten Materialien, in ihren Sportsachen entgegenkamen, auch sonst war überall reges Treiben. Diese Atmosphäre war auch im Schulgebäude zu spüren. Lächelnd beobachtete sie die Schüler, die an ihr vorbeiliefen und sich rege unterhielten. Dabei gab es auch nur ein Thema, welches alle beschäftigte: Die Vorbereitungen für das Culture Festival. In dieser Zeit fiel der Unterricht aus, da die Vorbereitungen für dieses Event eine Menge Zeit in Anspruch nahmen. Unter normalen Umständen betrug die Vorbereitungszeit mindestens fünf Tage, doch da sie in diesem Jahr einen Feiertag mitten drin hatten, mussten die Schüler der Jûgôya das Pensum innerhalb von vier Tagen schaffen. Umso emsiger arbeitete jeder. Auch Mirâs Klasse wollte, dass das Schulfest ein voller Erfolg wurde und so hatten sie sich am letzten Samstag nach dem regulären Unterricht noch einmal alle getroffen und schon die Aufgaben verteil, die jeder einzelne zu erledigen hatte. So war für jeden bereits klar, was er zu tun hatte. Ihre Klasse hatte sich entschieden eine Art kleinen Jahrmarkt aufzubauen, wo die Besucher an verschiedenen Buden kleine Preise gewinnen konnten. Dafür mussten aber auch verschiedene dieser kleinen Gebäude aufgebaut und Material besorgt werden. Um dies alles zu bewältigen wurden die Jungs mit der Materialbeschaffung beauftragt. Viel Budget hatten sie dafür nicht, doch einige der jungen Männer hatten schon eine Idee, wo sie alles herbekommen wollten. So wollten sie unter anderem auch bei Eltern ihrer Klassenkameraden nachfragen, die Holz und andere Materialien vertrieben. Und so waren sie an diesem Morgen nach der letzten Besprechung losgezogen, während die Mädchen in der Schule zurückblieben und die künstlerischen Dinge übernahmen, wie Plakate zeichnen und so weiter. Es war eine sehr ausgelassene Stimmung, in der sie alle viel Spaß hatten und sich irgendwie auch etwas näherkamen. Jedenfalls hatte Mirâ das Gefühl. Bisher hatte sie sich immer an Hiroshi und Akane gehalten und kaum richtigen Kontakt mit ihren anderen Klassenkameraden gehabt. Wenn, ging es nur mal um belanglose Dinge oder Lösungen von Prüfungen, jedoch nie um Tiefgründiges. Doch an diesem Tag hatte Mirâ mehrere Gespräche mit den Mädchen ihrer Klasse, die sich auch nicht scheuten ein paar persönlichere Fragen zu stellen; vor allem in Bezug auf ihre Beziehung zu Hiroshi. Verwunderlich war das mit Sicherheit nicht, denn sie hing ja wirklich häufig mit dem Blonden ab. Aber auch wenn sie die Mädchen überzeugen konnte, dass ihre Beziehung nur freundschaftlich war, waren ihr diese Fragen mehr als peinlich. Selbst Akane blieb vor diesen nicht verschont, immerhin kannte sie Hiroshi von allen am besten. Die Brünette jedoch ließen diese Fragen mehr als kalt und sie beantwortete sie in einer Neutralität, an der man merkte, dass ihr Sandkastenfreund auch nicht mehr als das für sie war. Auf die Frage jedoch, was mit dem blauhaarigen Jungen war, dem sie vor einiger Zeit kreischend in die Arme gesprungen war, wurde selbst die standhafte junge Frau verlegen. Nur nuschelnd brachte sie über die Lippen, dass er ihr Freund sei, was allgemeines Raunen verursachte. Ihr knallig rotes Gesicht verriet jedoch, dass ihr die Frage sehr peinlich war, weshalb man ihr regelrecht ansah, wie froh sie war, als die stellvertretende Klassensprecherin dem ganzen Einhalt gebot. Murrend ließen die Mädchen so von diesem Thema ab, sodass sich wieder jeder auf die Aufgabe konzentrieren konnte, für die er eingeteilt war. Nach dem Mittagessen fand sich Mirâ in der Trainingshalle des Kyudo Clubs ein, um auch hier bei den Vorbereitungen zu helfen, denn auch ihr Club hatte etwas für das Culture Festival geplant: Sie wollten ein kleines Schauturnier veranstalten. Zudem wollten sie den Zuschauern ermöglichen selber einmal mit einem Langbogen zu schießen. Hierfür mussten allerdings genügend Bögen vorbereitet werden, ebenso wie Zielscheiben. Auch das Gelände musste soweit auf Vordermann gebracht werden, dass sie Gäste empfangen konnten. Da sich diese Vorbereitungen allerdings nicht wirklich von den Aufgaben unterschieden, die sie sowieso zu erledigen hatten, fühlte es sich eher so an, als hätten sie einen normalen Clubnachmittag, an dem nur nicht trainiert wurde. Das hielt Dai jedoch nicht davon ab seine Teammitglieder anzustacheln ihr Bestes zu geben. Nicht nur einmal hatte Mirâ Amy mit einem Seufzen reden hören, dass er es nicht so übertreiben solle, doch der junge Mann ließ sich nicht davon abbringen. So verging der erste Tag der Vorbereitungen wie im Flug und sie traf sich mit Akane am Schultor, als die Sonne bereits dabei war unterzugehen. Der Himmel am Horizont, welcher durch die wenigen offenen Stellen in der Wolkendecke zu sehen war, war in ein tiefes Orange gefärbt, was dem ganzen Phänomen hinter den Wolken etwas Faszinierendes gab. „Endlich Schluss“, streckte sich Akane, die ebenfalls bei den Arbeiten in ihrem Club geholfen hatte. „Was macht ihr?“, hakte Mirâ nach, woraufhin ihr ihre Freundin erklärte, dass es eine Art Probetraining geben wird. Natürlich nur unter speziellen Sicherheitsvorkehrungen, immerhin konnte man sich beim Judo auch ernst verletzen, wenn man es nicht konnte. Sie persönlich war auch eigentlich dagegen, eben weil es so gefährlich war, wurde aber von den ganzen Mitgliedern überstimmt. Deshalb hatte sie sich gebeugt, jedoch mit der Voraussetzung, dass sie nicht die Verantwortung übernehmen würde; selbst, wenn sie die Teamkapitänin war. Sie seufzte: „Die haben doch alle den Gong nicht gehört…“ Besänftigend klopfte ihr die Violetthaarige auf die Schulter und hoffte, dass es ihr half wieder etwas runterzukommen. Ein herzhaftes Gähnen ließ Mirâ einen Moment später jedoch aufhorchen. Auch Akane hatte das Geräusch vernommen, woraufhin sie beide zeitgleich in Richtung des Innenhofs schauten, wo Yasuo geradewegs auf sie zukam. Noch einmal gähnte er herzhaft, bis er die beiden jungen Frauen bemerkte und zum Gruß die Hand hob. „Senpai, du bist auch noch da?“, lief Akane auf den Blauhaarigen zu und hakte sich bei diesem unter. „Ja… Masaru hat mich abgefangen, als ich gehen wollte, und mir irgendwelche anderen Aufgaben aufgebrummt. Dieser Sklaventreiber…“, murmelte Angesprochener und rieb sich den Nacken, bevor ihm ein weiteres Gähnen entkam, „Nur noch schnell nachhause, eine Runde mit Bejû gehen und dann ins Bett…“ „Kann ich euch begleiten?“, fragte die Brünette sofort mit strahlenden Augen. Ihr lieb über den Kopf streichend, nickte der junge Mann und bestätigte damit die Anfrage. Freudenstrahlend klammerte die Jüngere sich fester an seinen Arm. Lächelnd beobachtete Mirâ das frisch zusammengekommene Paar. Sie freute sich für die beiden, aber allem voran für ihre beste Freundin. Endlich konnte sie ihre Gefühle dem Älteren gegenüber frei zeigen, ohne sich verstellen zu müssen. Das musste wirklich befreiend sein. Ein wenig beneidete sie die Brünette dafür. Gerne würde auch sie Masaru alles sagen, was ihr auf der Seele lag, doch das traute sie sich einfach nicht. Irgendwas hielt sie davon ab. Es war, als würde ihr eine innere Stimme davon abraten. Und schwieg diese Stimme einmal und sie hatte den Mut und die Gelegenheit, dann kam immer etwas oder jemand dazwischen und störte sie. Daraufhin war ihr Mut dann wieder weg und die innere Stimme meldete sich erneut. Es war einfach wie verhext. Vielleicht sollte es auch einfach nicht sein. Dieser Gedanke jedoch bereitete ihr Kummer, immerhin hatte sie wirklich starke Gefühle für den Älteren. „Mirâ ist alles in Ordnung?“, holte sie Akanes Stimme aus ihren Gedanken. Diese hatte von Yasuo abgelassen und war an sie herangetreten, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Mit besorgten grünen Augen sah sie ihre beste Freundin an, welche jedoch nur ein Lächeln aufsetzte und den Kopf schüttelte. Bevor sie jedoch dazu kam richtig zu antworten, wurde die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen auf Yasuo gelenkt, dessen Handy plötzlich klingelte. Seufzend zog er dieses aus deiner Hosentasche und blickte dann irritiert auf das kleine Gerät, bevor er abnahm: „Jii-chan?“ Im nächsten Moment konnte man genau beobachten, wie ihn plötzlich die Farbe aus dem Gesicht wich, während er schweigend lauschte, was ihm am anderen Ende der Leitung erzählt wurde. Eine halbe Stunde später erreichten die drei Oberschüler das Zentralkrankenhaus von Kagaminomachi. Noch immer war der ältere Schüler weiß wie Mehl im Gesicht, doch versuchte sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Das allerdings gelang ihm nicht wirklich gut. Zuvor hatte ihn sein Großvater angerufen und darüber informiert, dass seine Großmutter ins Krankenhaus gebracht wurde. Daraufhin hatte Yasuo den beiden Mädchen schon fast panisch berichtet, was los war und dass er so schnell wie möglich losmusste. Aus Sorge um den Blauhaarigen hatten sie ihn begleitet, was sich im Nachhinein als richtige Entscheidung entpuppt hatte. Denn der junge Mann war so durch den Wind, dass er die Haltestelle eiskalt verpasst hätte, wenn sie ihn nicht darauf hingewiesen hätten. Mirâ bezweifelte, dass er es sicher hierhergeschafft hätte, wenn niemand in seiner Nähe gewesen wäre. Auch Akane war die innere Unruhe ihres Freundes aufgefallen, weshalb sie versuchte ihn wieder etwas zu beruhigen. Jedoch war dies mit recht wenig Erfolg gekrönt. Noch immer wussten sie nicht, was genau passiert war. Auch Yasuos Großvater schien mit den Details gespart zu haben, was wohl den Umstand verstärkte, dass der Blauhaarige eher kopflos drauflos stürmte. Ein Umstand, den man von ihm sonst nicht kannte. So betraten sie den Eingangsbereich des Krankenhauses und steuerten direkt auf den Infoschalter zu, wo der Ältere so ruhig, wie es ihm möglich war, um Auskunft zu seiner Großmutter bat. Die Schwester hinter dem verglasten Tresen sah ihn kurz an und tippte dann in aller Ruhe auf ihrem Computer herum, während man dem jungen Mann anmerkte, dass sein Geduldsfaden ziemlich gespannt war. Dann aber bekam er die gewünschte Information und machte sich sofort auf dem Weg zu ihm genannten Ort, woraufhin die kleine Gruppe nach kurzer Zeit vor einem Krankenzimmer stand. Beruhigend stellte Mirâ fest, dass es sich dabei nicht um die Intensivstation handelte, was erst einmal ein gutes Zeichen dafür war, dass es nichts Schlimmeres war. Ihren Senpai jedoch schien das gar nicht zu interessieren. Seine innere Unruhe wollte einfach nicht weichen. Mit zitternder Hand klopfte er vorsichtig an die Tür und öffnete sie. Daraufhin trat er in einen hellen Raum, in welchem sich nur ein älteres Ehepaar befand: Seine Großeltern. Mit großen Augen sahen sie zu den Ankömmlingen und lächelten dann lieb, als sie erkannten, um wen es sich handelte. Erleichtert sah Mirâ auf die alte Dame, die, eine Decke über die Beine gelegt, aufrecht in dem mit weißer Bettwäsche bezogenen Bett saß. Bis auf einen Zugang, durch welchem ihr eine Flüssigkeit gegeben wurde, waren an ihr aber keinerlei Gerätschaften angeschlossen, was die Vermutung der Oberschülerin bestätigte, dass mit ihr nichts Ernstes geschehen war. Doch auch das ignorierte Yasuo, ging stattdessen auf das Bett zu und blieb am Fußende stehen, während er seine Hände um den dort befindlichen metallenen Rahmen klammerte. „Baa-chan, ist alles in Ordnung?“, fragte er mit immer noch fahlem Gesicht. Überrascht sah ihn die alte Frau an und wandte sich dann an ihren Ehemann: „Was hast du dem armen Jungen erzählt? Er ist blass wie ein Geist.“ Sie richtete sich wieder an ihren Enkelsohn und lächelte ihn beruhigend an: „Keine Sorge, mein Junge. Es ist alles in Ordnung. Mir ist beim Einkaufen schwarz vor Augen geworden, weshalb die Verkäuferin einen Krankenwagen gerufen hat, der mich hergebracht hat. Es war wahrscheinlich nur mein Kreislauf. Aber um auf Nummer sicher zu gehen, wollen sie mich noch bis Ende der Woche hierbehalten.“ „Es ist… wirklich nichts Schlimmes?“, fragte der Blauhaarige noch einmal nach und wirkte dabei schon fast wie ein kleines Kind. Immer noch lächelnd nickte seine Großmutter, woraufhin Yasuo erleichtert aufatmete. Plötzlich verließ ihn die Anspannung, woraufhin er sich erst einmal hinhocken musste, um nicht gänzlich den Halt zu verlieren: „Ein Glück…“ Erschrocken war Akane sofort zu ihm geeilt, um ihn zu stützen. Auf die Frage hin, ob mit ihm alles in Ordnung sei, beruhigte er die Jüngere mit einem kleinen Lächeln und wandte sich dann wieder an seine Großeltern. „Jagt mir doch nicht so einen Schrecken ein“, erhob er sich langsam mahnend, „Ich habe schon gedacht…“ Weiter kam er nicht, denn plötzlich wurde die Zimmertür erneut aufgerissen, worauf eine Frau im mittleren Alter mit schwarzen, lockigen, kurzen Haaren hereinstürmte und direkt auf das Bett zuging. Dabei nahm sie keinerlei Kenntnis von den drei Oberschülern. „Mutter ist alles in Ordnung?“, fragte sie stattdessen, als sie bei der alten Dame angekommen war. Diese seufzte schwer und schimpfte mit ihrem Mann, der anscheinend maßlos übertrieben hatte, bevor sie noch einmal erzählte, was passiert war und dass sonst aber alles in Ordnung sei und niemand sich Sorgen machen brauchte. Erleichtert atmete ihre Tochter auf: „Zum Glück. Als Vater meinte, dass du ins Krankenhaus gebracht wurdest, kamen mir gleich wieder die schlimmsten Bilder in den Sinn. Wie damals bei Saekis Unfall…“ „Chiemi!“, mahnte Yasuos Großmutter etwas lauter, woraufhin nicht nur die Schwarzhaarige zusammenzuckte. Nun schien sie erst zu registrieren, dass sich auch noch andere im Raum befanden; unter anderem auch Yasuo, welcher bei Erwähnung des Namens merklich die Fassung verloren und danach den Blick abgewandt hatte. Erschrocken schlug die Frau die Hände vor den Mund und sah den Oberschüler mit großen Augen an. Dieser wandte sich jedoch nur an seine Großmutter und erklärte, dass er erst einmal nach Hause gehen würde, um nach Bejû zu sehen. Dabei versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, doch seine Körpersprache verriet so einiges. Man erkannte, dass ihn etwas belastete, was er in diesem Moment nicht aussprechen konnte. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht nickte Yasuos Großmutter und gestattete ihm somit zu gehen. Daraufhin wandte sich der Oberschüler ab und setzte sich in Bewegung. „Yasuo… es…“, ließ ihn die Stimme seiner Tante noch einmal anhalten, kurz bevor er die Tür erreicht hatte. „Ist schon in Ordnung…“, wimmelte sie der Blauhaarige jedoch ab und verließ dann den Raum. Mit einer leichten Verbeugung verabschiedeten sich daraufhin auch die beiden Mädchen, die ihn begleitet hatten, und folgten ihm auf den Flur, wo er bereits einen beachtlichen Vorsprung hatte. Schnellen Schrittes liefen sie ihm hinterher. Dabei fiel der Violetthaarigen ein weiterer junger Mann mit schwarzen etwas längerem Haar auf, welcher, die Arme verschränkt, an der Wand lehnte und Yasuo mit einem finsteren Blick nachsah. Dieser jedoch schien das gar nicht zu bemerken, sondern lief, mit stur nach vorn gerichtetem Blick, einfach weiter. Nach kurzer Zeit hatte die kleine Gruppe das Gebäude wieder verlassen und kam in etwas Abstand dazu zum Stehen. Mit lautem Schnaufen atmete Yasuo erst einmal durch, woraufhin ihn merklich die Anspannung in seinen Muskeln wieder verließ. Die Hände fest zu Fäusten geballt war er schweigend durch die Gänge des Krankenhauses gestampft; den Blick immer geradeaus gerichtet, so als wolle er alles um sich herum ausblenden. Doch nun entspannte er sich langsam wieder und warf noch einmal einen Blick über seine Schulter zu dem Gebäude, aus welchem er mehr oder weniger geflohen war. „Ist alles in Ordnung, Senpai?“, fragte Mirâ vorsichtig nach und bekam als Antwort nur ein Nicken, „Die Frau… war das deine Tante? Die dich nicht aufnehmen wollte?“ Erneut nickte der Blauhaarige und seufzte dann: „Sie ist die jüngere Schwester von meinem Vater. Aber egal…“ „Saeki…“, sprach die Violetthaarige den Namen vorsichtig aus, welcher ihr Gegenüber erneut zusammenzucken ließ, „Ist das der Name deines Vaters?“ Wieder wandte er den Blick ab, versuchte dem ihren auszuweichen, so als wolle er nicht, dass jemand eine Regung in seinem Gesicht lesen konnte. Doch das war auch nicht nötig. Seine Körpersprache verriet genug, um zu bemerken, dass er dem Thema am liebsten aus dem Weg gehen wollte. Es tat ihr leid, dass sie hier wohl in ein Bienennest gestochen hatte. Doch nun hatte sie damit angefangen und konnte keinen Rückzieher mehr machen. Sie beobachtete den jungen Mann ganz genau, weshalb ihr auch auffiel, wie er sich plötzlich an die linke Hüfte fasste und diese leicht rieb. Zwar fand sie diese Geste recht ungewöhnlich, doch interpretierte nicht zu viel hinein. Wahrscheinlich war es nur eine Angewohnheit, wenn er nervös war. „Deine Tante erzählte was von einem Unfall…“, mischte sich Akane plötzlich in das Gespräch mit ein, während sie an ihn herangetreten war und ihre Hand auf seinen Rücken gelegt hatte. Erneut zuckte Yasuo kurz zusammen, schwieg aber noch einen Moment, als müsse er erst einmal überlegen, was er dazu sagen sollte. Doch dann seufzte er plötzlich und atmete noch einmal kurz durch, um sich etwas zu beruhigen. Er hob den Blick und schaute in den Himmel: „Ja, Saeki war der Name von meinem Vater. Vor sieben Jahren, noch bevor meine Mutter ihrer Krankheit erlegen ist, hatte er einen Verkehrsunfall und kam dabei ums Leben.“ Geschockt zuckten die beiden Mädchen zusammen und wussten nicht so recht, was sie dazu sagen sollten. Das jedoch mussten sie auch nicht, denn in diesem Moment sprach der junge Mann weiter: „Wie ihr euch vorstellen könnt, rede ich nicht gerne darüber. Deshalb…“ „Senpai… es…. Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahetreten“, entschuldigte sich Mirâ, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. Auch Akane hakte sich mit ein, doch der Blauhaarige schenkte ihnen nur ein kleines gequältes Lächeln: „Ist schon in Ordnung. Ich sagte doch, dass der Tod zum Leben dazu gehört, auch wenn es schwer ist.“ „Aber das…“, wollte die Brünette noch etwas sagen, doch wurde von ihrem Freund unterbrochen, der ihr nur sanft über den Kopf strich und meinte, dass sie es dabei belassen sollten. „Ich mach mich jetzt los. Bejû wird sicher schon verrückt vom Warten“, murmelte der Blauhaarige. „D-darf ich dich begleiten, Senpai?“, fragte Akane noch einmal vorsichtig nach und bekam als Antwort ein Nicken, „E-entschuldige Mirâ. Ich begleite Senpai noch nach Hause. Wir sehen uns dann morgen in der Schule.“ „Kein Problem. Machts gut ihr beiden. Bis morgen“, verabschiedete sich auch die Violetthaarige und sah ihren Freunden nach, welche kurz darauf um die nächste Ecke verschwunden war. Das kräftige Leuchten, welches ihre Brust erwärmte und ihr sagte, dass sie eine weiter Social Link Stufe erklommen hatte, wurde von einem bitteren Beigeschmack begleitet. Sie befürchtete, dass sie noch so einige erschütternde Dinge erfahren würde, wenn sie den Social Link ihres Senpais weiter nach vorne trieb. Und das machte ihr Angst. Das, was sie mittlerweile schon über ihn erfahren hatte, reichte ihr bisweilen schon. So viele Schicksalsschläge, wie er schon in jungen Jahren erfahren hatte, musste ein Mensch erst einmal verarbeitet bekommen. Dass er daran noch nicht zerbrochen war, grenzte schon beinahe an ein Wunder. Dazu kam dann noch, dass seine restliche Familie, insbesondere seine Tante, ihm suggerierte, dass er nicht willkommen war. Dadurch wurde ihr aber auch endlich klar, wieso sich der Ältere so in seinem Dungeon verhalten hatte. Nun ergab es endlich Sinn. Sie hob ihren Blick und sah auch noch einmal zum Krankenhaus zurück. Es blieb nur zu hoffen, dass ihr Senpai nun endlich Ruhe haben würde; dass ihn kein weiterer Schicksalsschlag treffen würde und er endlich glücklich werden konnte. Mit diesem Gedanken wandte sie sich ab und machte sich auch auf den Weg nachhause. Kapitel 113: CXIII – Problematische Vorbereitungen -------------------------------------------------- Dienstag, 22.September 2015 Lächelnd betrat Mirâ an diesem Morgen ihr Klassenzimmer und blieb sofort überrascht in der Tür stehen. Kaum hatte sie den Raum geöffnet, bemerkte sie schon die gedrückte Stimmung, welche das gesamte Zimmer ausfüllte. Ihre Klassenkameraden standen die Köpfte gesenkt in einem großen Kreis und schwiegen. Sich fragend was los war, trat die junge Frau in den Raum und ging auf Hiroshi zu, welcher ihr am nächsten stand. „Was ist denn hier los? Wieso so eine gedrückte Stimmung?“, fragte sie ihren Kumpel, welcher sich direkt zu ihr umdrehte. „Wir wollten doch für unseren Jahrmarkt eine Bude bauen, in der man Ballons mit Dartpfeilen abschießen kann“, erklärte der Blonde, „Gestern wollten einige von uns nach günstigen Pfeilen dafür schauen, aber leider reicht unser Budget vorne und hinten nicht. Selbst die Günstigsten sind zu teuer.“ „Wir hatten überlegt selbst welche zu basteln, aber so richtig funktionieren will es nicht“, erklärte der Klassensprecher, „Wenn wir den Stand weglassen haben wir eine Lücke und für etwas anderes haben wir auch kein Budget mehr.“ Wieder kehrte Schweigen ein, welchem sich die Violetthaarige anschloss. Das war ein Problem. Was sollten sie nun machen? Eine Lücke in ihren Ständen sah mit Sicherheit merkwürdig aus, zumal sich die Jungs bereits solche Mühe gegeben hatten die Bude dafür zu bauen. Für etwas anderes blieb kein Geld mehr. So sehr sie auch darüber nachgrübelte, es fiel ihr auch keine kostengünstigere Variante ein. Was nun? „Wir könnten mal im Spieleclub nachfragen…“, warf plötzlich ein Mädchen in die Runde, woraufhin alle Blicke auf sie gerichtet waren. Sofort zuckte sie leicht zurück und meinte dann, dass es nur ein Gedanke war. Mirâ jedoch erstaunte viel mehr, dass es einen Spieleclub gab. Davon hatte sie noch gar nicht gehört. Andererseits waren japanische Schulen in solchen Dingen relativ locker, was die Gründung von Clubs anging, solange sich genügend Mitglieder fanden. Aber mal ganz davon abgesehen war die Frage, ob ein solcher Club überhaupt so etwas wie Dartspiele besaß. Auch sowas musste ja irgendwie besorgt werden und die Schule machte nicht bei allem mit. „Mehr als probieren können wir es nicht. Ich habe gehört der Clubleiter ist jemand aus dem ersten Jahr“, meinte ihr Klassensprecher und wandte sich an Mirâ und Hiroshi, „Ihr seid doch mit Schülern aus dem ersten Jahr befreundet. Würdet ihr euch darum kümmern?“ „Ich übernehme das“, bot sich Mirâ sofort an, da sie gerade eh nicht viel zu erledigen hatte. Sie stellte ihre Tasche auf einen freien Stuhl und machte sich auf den Weg zum ersten Jahr. Zuerst musste sie in Erfahrung bringen wen sie überhaupt diesbezüglich ansprechen musste und dann wo sich der Clubraum befand. Dazu würde sie sich wohl durchfragen müssen und die erste, die ihr diesbezüglich einfiel war Megumi. Deshalb steuerte die Violetthaarige deren Klassenraum an. Zu ihrer Freude fand sie gesuchtes Mädchen sogleich in diesem vor. Sie saß mit einigen anderen Schülern an einem langen zusammengeschobenen Tisch; vor sich ein weißes Plakat ausgebreitet, dass sie gestaltete. „Megumi-chan?“, rief Mirâ vorsichtig und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Brünetten auf sich, welche sofort ihre Sachen beiseitelegte und dann zu ihr kam. „Mirâ-senpai. Hallo“, grüßte sie erfreut. „Guten Morgen“, grüßte auch die Ältere zurück und sah sich kurz in dem Klassenraum um, „Ist bei dir allen in Ordnung? Macht dir wieder jemand Probleme?“ Die Kleinere schüttelte den Kopf: „Nein. Seit einiger Zeit lassen sie mich in Ruhe. Das habe ich euch zu verdanken.“ „Ach was. Bestimmt machte es ihnen auch keinen Spaß mehr, weil du dich nicht hast ärgern lassen“, lächelte die Violetthaarige zurück, woraufhin ihr Gegenüber jedoch nur leicht lachte. „Was kann ich denn für dich tun? Du bist doch nicht nur deshalb hier. Oder?“, kam ihre Kohai wieder aufs Thema zurück. Auch die Ältere kam nun wieder darauf zurück und fragte ihr Gegenüber, wen sie wegen des Spieleclubs ansprechen müsse und wo sie diesen finde. Die Brünette überlegte kurz und erwähnte dann Ryu, der wohl Mitglied in besagtem Club sei. Dieser hatte allerdings einige Zeit zuvor den Raum verlassen und war seither nicht wieder aufgetaucht. Wo genau er hingegangen war wusste Megumi allerdings nicht, immerhin meldete sich der Gleichaltrige nicht persönlich bei ihr ab. Sie gab Mirâ aber den Tipp doch mal bei den Kultur-Clubräumen nachzuschauen. Soviel ihr bekannt war, musste sich besagter Club wohl dort befinden. Dankend wandte sich die Ältere daraufhin von Megumi ab und verabschiedete sich erst einmal von ihr, bevor sie sich auf den Weg zu genanntem Gang machte. Es dauerte nicht lange bis sie die Clubräume erreicht hatte. Doch kaum war sie dort angekommen, hörte sie mehrere männliche Stimmen, die sich wütend anschrien. Zusätzlich erklangen dumpfe Geräusche, die sich so anhörten, als würde auf etwas eingeschlagen. Mirâ ahnte schlimmes und legte sofort einen Zahn zu, um dorthin zu gelangen. Schnell schritt sie um die nächste Ecke und wich erschrocken kurz zurück, bevor sie auf die Gruppe von jungen Männern zuging, welche sich um einen weiteren Jungen gescharrt hatte und auf ihn eintraten. „Nun bist du nicht mehr so mutig, was!?“, sagte einer der Jungs und trat noch einmal auf den am Boden kauernden Jungen, welchen Mirâ sofort an seinen rotbraunen Haaren erkannte. „Ryu-kun!“, rief sie erschrocken und richtete damit die Aufmerksam der Jungs auf sich. Ein weiterer schnalzte mit der Zunge: „Nicht die schon wieder…“ „Hey! Was macht ihr da?“, fragte die Ältere wütend und drängte sich an der Gruppe Jungs vorbei zu ihrem Kohai, der auf dem Boden lag. Vorsichtig hob sie ihn leicht an: „Ryu-kun alles in Ordnung?“ „Mirâ-senpai?“, murmelte der Rotbraunhaarige. Angesprochene wandte sich an die jüngeren Jungs und sah sie böse an: „Sagt mal, spinnt ihr? Was wird das hier? Habt ihr nicht mehr alle Tassen im Schrank?“ „Was mischt ihr euch da immer wieder ein? Wir haben doch gesagt, dass das nur Arabai und uns was angeht“, einer der Jungs griff nach Mirâs Schleife und zog sie ein Stück zu sich. Da keiner der Jungs aus ihrer Gruppe und auch nicht Akane bei ihr war, fühlten sich diese Halbstarken anscheinend plötzlich ganz groß und versuchten ihr Angst zu machen. Die Ältere ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und sah ihren Gegenüber nur weiterhin mit wütenden roten Augen an. Von solchen Idioten ließ sie sich garantiert nicht einlullen. Plötzlich griff eine Hand nach dem Arm des Jungen, wodurch er ihre Schleife losließ. Daraufhin richtete sich Ryu langsam auf und sah seinen Widersacher ebenfalls böse an: „Lass sie in Ruhe. Sie hat nichts damit zu tun.“ „Kche“, plötzlich holte besagter Junge aus und schlug dem Brünetten mitten ins Gesicht, der den Arm wieder losließ. Erschrocken schrie Mirâ kurz auf und kümmerte sich dann wieder um den zu Bodengegangenen: „Ryu-kun.“ Wieder sah sie zu der Gruppe, stand dann wütend auf und klatschte ihrem Gegenüber eine. Dieser sah sie mit einem Mal vollkommen perplex an, da er mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte. Auch die anderen sahen kurz irritiert drein, bis der Geohrfeigte wieder zur Besinnung kam. Wütend knirschte er mit den Zähnen und griff erneut nach Mirâs Schleife, um sie näher an sich zu ziehen und sie bedrohlich anzusehen. „Was fällt dir eigentlich ein, du kleines Miststück“, sagte er wütend. Langsam wurde die Situation auch für sie brenzlich, denn sie hatte weitaus nicht so viel Kraft wie der junge Mann ihr gegenüber. Trotzdem versuchte sie standhaft zu bleiben und seinen Blick ebenso finster zu begegnen ohne zurückzuweichen. Ganz davon abgesehen, dass sie das Verhalten dieser verrohten Jugend nicht gutheißen konnte; sie ließ auch keinen ihrer Freunde im Stich, selbst wenn sie dafür einstecken musste. Die Atmosphäre war zum Greifen gespannt und die Älteste rechnete jeden Moment mit einem Schlag, als plötzlich Schritte ertönten und kurz darauf eine Person um die Ecke kam. „Was ist denn hier los?“, fragte Mrs. Masa erschrocken, als sie die Ansammlung an Schülern sah. Sofort ließ der Jüngere die Violetthaarige wieder los, nuschelte jedoch, dass die Sache damit noch nicht gegessen war, bevor er sich an die Lehrerin wandte: „Nichts. Wir haben nur etwas besprochen und sind auch schon wieder weg.“ Damit hatte er seine beiden Freunde eingesammelt und war an der Erwachsenen vorbeigegangen, die ihnen skeptisch nachsah. Mirâ unterdessen blieb schweigend stehen und blickte gen Boden. Es brauchte eine Weile, bis sie registriert hatte, dass ihre Klassenlehrerin sie gerade aus dieser brenzlichen Situation gerettet hatte. „Was ist hier passiert?“, kam die Ältere auf die zwei zurückgebliebenen Schüler zu und bemerkte dann Ryu, welcher auf dem Boden hockte, „Arabai. Was ist denn mit dir passiert?“ „Nichts…“, nuschelte der Brünette und richtete sich wieder auf, was auch Mirâ aus ihrer Starre holte. Er wandte sich von der Lehrerin und seiner Senpai ab und wollte gerade gehen, als die Violetthaarige ihn jedoch am Arm packte und damit am Weitergehen hinderte. Irritiert sah er die Ältere an, welche sich sofort an ihre Klassenlehrerin wandte. Dieses Mal würde sie nicht zulassen, dass Ryu es einfach so herunterspielte, nur weil er meinte seine Probleme alleine lösen zu müssen. Sie würde sich für ihn einsetzen. Mit Sicherheit hatte auch Mrs. Masa dafür ein offenes Ohr. Es konnte nicht angehen, dass Ryu ständig fertig gemacht wurde und niemand etwas unternahm, obwohl er in der Vergangenheit mehrmals bei seinem Lehrer um Hilfe gebeten hatte. Es musste endlich etwas unternommen werden. Der Jüngere ahnte was sie vorhatte und wollte sich wehren, doch Mirâ ließ ihn nicht gehen und zog ihn im Schlepptau direkt auf ihre Lehrerin zu. „Mrs. Masa. Hätten Sie kurz Zeit? Wir müssen etwas besprechen, was Ryu-kun hier betrifft“, fiel sie mit der Tür ins Haus und erntete dabei einen fragenden Blick der älteren Frau, welche danach auch Ryu irritiert ansah. Eine halbe Stunde später traten beide Oberschüler sich bedankend und mit einer Verbeugung aus dem Lehrerzimmer hinaus in den Gang und schoben hinter sich die Tür wieder zu. Erleichtert atmete Mirâ auf und sah zu Ryu, welcher immer noch angespannt wirkte. Gerade hatten sie mit ihrer Lehrerin über das Problem des Jüngeren gesprochen und dass er ständig fertig gemacht wurde. Ruhig hatte die Lehrerin ihnen zugehört und war umso erschrockener, als sie erfuhr, dass ihr Kollege, Ryus Klassenlehrer, es nicht auf die Reihe bekam einzugreifen, sondern diese Probleme herunterspielte. Auch der Erwachsenen waren die Wunden des Brünetten immer wieder aufgefallen, jedoch hatte sie nie damit gerechnet, dass er einfach so verprügelt wurde. Viel mehr hatte sie gedacht, dass er sich immer mit älteren anlegte und dann Prügel kassierte. Mehrmals hatte sich Mrs. Masa bei dem Schüler entschuldigt, dass sie nichts bemerkt hatte und schwor, sich darum zu kümmern. Es konnte nicht angehen, dass ein Schüler so etwas durchmachen musste. Auch mit ihrem Kollegen wollte sie noch einmal sprechen, immerhin hatten Lehrer eine Aufsichtspflicht, die er eindeutig vernachlässigt hatte. Nun standen die beiden Oberschüler schweigend vor dem Lehrerzimmer. Mirâ beobachtete ihren Kohai, welcher in Gedanken versunken schien. Ob sie einen Fehler gemacht hatte? Sie wusste ja, dass Ryu versuchen wollte seine Probleme selber zu lösen, immerhin wurde ihm das viele Jahre eingebläut. Trotzdem war das der falsche weg; da war sie sich sicher. Es musste einfach etwas geschehen. Mit Sicherheit würde das auch den Zorn dieser Idioten auf sie richten, doch da musste sie nun einfach durch. Auch Hiroshi und Akane machten nie einen Rückzieher, also würde auch sie nicht zurückweichen. „Tut mir leid, Senpai“, entschuldigte sich Ryu plötzlich, woraufhin ihn Angesprochene verwundert ansah, „Jetzt habe ich dich auch mit in die Sache hineingezogen. Wenn sie rausfinden, dass wir sie verpetzt haben, werden sie sicher stinksauer sein.“ „Das mag sein, aber trotzdem kann das nicht so weitergehen, Ryu-kun. Sie werden nicht damit aufhören, wenn niemand etwas unternimmt. Versuch bitte nicht alles auf eigene Faust lösen zu wollen“, sagte Mirâ mit einem Lächeln, „Manche Probleme kann man nur gemeinsam bewältigen.“ Überrascht sah der Brünette sie an und wirkte dann, als würde er über ihre Worte nachdenken. Dann lächelte er plötzlich ebenfalls und nickte: „Vielleicht hast du recht, Mirâ-senpai. Vielen Dank für deine Hilfe.“ Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrer Brust aus und zeigte ihr an, dass sie eine weitere Stufe bei Ryus Social Link aufgestockt hatte. „Was hattest du überhaupt dort zu suchen, Senpai?“, fragte der Jüngere plötzlich, „Versteh mich nicht falsch, ich bin dir dankbar, dass du mich dort rausgehauen hast, aber um die Zeit kommt eigentlich selten jemand dorthin.“ Fragend sah die Oberschülerin ihren Kohai an, bis ihr plötzlich wieder einfiel, was ihr eigentliches Ziel war. „Ah“, schlug sie mit der Faust auf ihre geöffnete Hand, „Megumi-chan hat mir gesagt, dass du im Spieleclub bist. Habt ihr auch Dartspiele?“ Ryu zwinkerte zweimal irritiert, bevor er richtig zu verstehen schien, was sie eigentlich von ihm wollte, und nickte dann: „Ähm ja… sowas habe ich da.“ „Super“, freute sich Mirâ und erklärte daraufhin ihrem Kohai die Situation, in welcher ihre Klasse gerade steckte. Nach einer weiteren viertel Stunde betrat Mirâ mit einer Hand voll Dartpfeilen wieder ihr Klassenzimmer. Erstaunt hatte sie bei besagtem Club erfahren, dass Ryu der Clubgründer und bisweilen auch das einzige Mitglied war. Kein Wunder also, dass der Clubraum eher einer Abstellkammer glich. Der Jüngere mochte wohl Spiele jeglicher Art, doch seine größte Leidenschaft war Dart. Jedoch konnte er keinen direkten Dartclub gründen, da das Interesse daran zu gering gewesen wäre. Deshalb hatte er sich für einen Spieleclub entschieden, aber auch hier war das Interesse eher bedeckt, aber er gab die Hoffnung nicht auf, dass sich noch Mitglieder finden würden. Auf dem Rückweg zu ihrer Klasse war Mirâ die Idee gekommen während des Schulfestes für seinen Club ein wenig die Werbetrommel zu rühren, immerhin war er so freundlich gewesen der Klasse die Dartpfeile auszuleihen. Kaum hatte sie die Tür beiseitegeschoben und war eingetreten, wurde sie von mehreren Augenpaaren besorgt angesehen. „Mirâ wo warst du denn so lange?“, fragte Akane. „Du warst fast eine Stunde weg. Hat es so lange gedauert den Club zu finden?“, kam auch Hiroshi auf sie zu, welchem kurz darauf auffiel, dass die Schleife der Violetthaarigen ziemlich unordentlich wirkte, „Was ist denn mit deiner Schleife passiert? Das ist doch sonst nicht deine Art so unordentlich herumzulaufen.“ Fragend warf Angesprochene einen Blick auf besagten Gegenstand über ihrer Brust und musste feststellen, dass sie halb offen war. Vorsichtig legte sie die Dinge in ihren Händen auf einen der Tische neben sich und richtete das rote Band um ihren Hals wieder, während ihre Freunde sie genau beobachteten. Sie seufzte und überlegte, was sie sagen sollte. Die beiden würden wohl stinksauer werden, wenn sie erfuhren, was ihr passiert war. Andererseits war die Sache ja erst einmal erledigt und lag nun bei ihrer Lehrerin auf dem Tisch. Es würde alles also nur noch komplizierter machen, wenn sich nun auch Hiroshi und Akane einmischen würden. Deshalb entschied Mirâ diese Sache erst einmal für sich zu behalten und lächelte stattdessen: „Ich muss irgendwo hängen geblieben sein. Da ist sie wohl aufgegangen.“ Sie bemerkte, dass ihre Freunde ihr nicht so wirklich glauben wollten, weshalb sie schnell wieder die Pfeile griff und sich an ihre Klasse wandte, um dieser zu erklären, worauf sie zu achten hatten, wenn sie damit hantierten. Ihre Hoffnung war, dass Akane und Hiroshi es damit erst einmal dabei beruhen ließen. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie beide einen fragenden Blick tauschten und war dann erleichtert, als sie nicht weiter darauf eingingen. Am Nachmittag hatte sich Mirâ in eine Schürze gekleidet und mit Gartenwerkzeug bestückt vor dem Eingang der Schule eingefunden. Rechts und links von ihr säumten Blumenbeete ihren Weg, welche in der Regel durch Kuraiko bepflanzt wurden und zu diesem Zeitpunkt jedoch alle leer waren. Sie waren der Grund, wieso sie nun hier war. Während der Mittagspause war ihre Freundin auf sie zugekommen und hatte sie um Hilfe gebeten. Die Beete sollten für das Schulfest wieder hergerichtet werden; dieses Mal mit Wetterfesten Blumen, die auch kälteren Temperaturen standhalten konnten. Diese standen in kleinen Paletten vor ihr und warteten nur darauf endlich eingepflanzt zu werden. Mirâ hob ihren Blick und sah zu Kuraiko, die die Liste der bestellten Pflanzen noch einmal durchging und sich dann jedes einzelne Beet ansah, bevor sie wieder auf die Liste schaute. Die Violetthaarige stand derweilen eher da wie bestellt und nicht abgeholt da und wartete darauf, dass die Schwarzhaarige ihr Anweisungen gab, was sie zu machen hatte. Zwar war sie nun auch Mitglied des Botanikclubs, jedoch hatte sie immer noch keine wirkliche Ahnung davon. Sie seufzte leise und blickte auf die Paletten neben sich, welche voller Blumen waren. Dann sah auch sie auf die Beete und war sich eigentlich ziemlich sicher, dass sie diese Arbeit nicht schaffen würden bis es dunkel wurde. Sie waren nur zu zweit und die Beete waren verdammt lang. Ihr war deshalb auch klar, wieso Kuraiko sie heranzitiert hatte. Allerdings war das auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, wie Mirâ fand. „Gut“, holte die Stimme ihrer Freundin sie aus den Gedanken, „Es scheinen alle da zu sein. Dann können wir ja anfangen. Als erstes müssen wir mit Stöcken und Fäden das Muster abstecken und danach geht es ans einpflanzen.“ Sie hob ihre Hand, in welcher sie mehrere Stöckchen und eine Rolle mit einem dicken, rauen, braunem Faden hielt. Mirâ trat auf sie zu und nahm ihr etwas davon ab, war aber tierisch verunsichert, was sie nun genau machen sollte. Der Schwarzhaarigen fiel es auf, weshalb sie seufzte und ihr dann ein Blatt Papier vor die Nase hielt, auf dem ein weißt-rotes Wellenmuster abgebildet war. „Das hier muss auf die Beete“, sagte sie und ging dann auf das erste Beet zu, „Komm ich zeig dir was du zu machen hast. Aber nur einmal. Danach musst du es alleine machen.“ Am äußersten Rand des Beetes blieb die Schwarzhaarige stehen und steckte einen der Stöcker in die Erde, bevor sie an dessen untere Hälfte das Band befestigte und dann ein Stückchen weiter ging, um ein weiteres Holzstück in den Boden zu stecken. Diese Prozedur wiederholte sie einige Male, bevor sie sich an Mirâ wandte und fragte, ob sie es verstanden hatte. Nickend gab sie zu verstehen, dass dies der Fall war, woraufhin die Schwarzhaarige sie mit dem Beet alleine ließ und sich dem anderen zuwandte. Stille kehrte ein, während sich die beiden Mädchen an die Arbeit machten, wobei Mirâ auffiel, dass schon alleine die Absteckarbeiten ein ziemlicher Zeitfresser waren. So würden sie wohl noch bis spät am Abend hier sitzen. Ein Knacken ließ die beiden Frauen nach einer Weile aus ihrer vertieften Arbeit aufschrecken. Den Rücken durchstreckend richtete Mirâ ihren Blick auf das Geräusch und erkannte Shirota, welcher genau in der Mitte der beiden Beete stand und die beiden beobachtete. Auch Kuraiko war der junge Mann aufgefallen, doch sie hatte sich nur etwas Schweiß von der Stirn gewischt und sich dann weiter ihrer Arbeit gewidmet. Zeitgleich mahnte sie Mirâ weiterzumachen, bevor es dunkel werden würde. Diese reagierte jedoch nicht darauf und trat auf den Schwarzhaarigen zu, dessen Haut immer noch so ungesund blass wirkte. „Ist alles in Ordnung, Tsukiyama-kun? Du bist so blass“, ging sie auf ihn zu, woraufhin er sie mit großen tiefroten Augen anstarrte. Dann schüttelte er den Kopf: „N-nein… alles in Ordnung. I-ich bin immer so blass.“ „Wirklich?“, hakte die Ältere nach, doch beließ es dann dabei, „Möchtest du uns helfen, Tsukiyama-kun? Kennst du dich mit sowas aus?“ Überrascht sah der junge Mann sie an und nickte, doch zuckte plötzlich zusammen, als Kuraiko auf die beiden zukam: „Sag mal hast du was auf den Ohren, Mirâ? Oder ist dein Gedächtnis so kurz, dass du schon wieder vergessen hast, was ich dir das letzte Mal gesagt habe?“ Auch die Violetthaarige zuckte zusammen und sah ihre Freundin erschrocken an, doch lächelte dann lieb: „Aber Tsukiyama-kun sah so aus, als würde es ihm in den Fingern jucken. Außerdem wären wir dann schneller fertig. Findest du nicht? Und er kennt sich sicher besser mit sowas aus, als ich Anfängerin.“ Ihre schwarzhaarige Freundin zuckte ebenfalls kurz zusammen und wollte etwas entgegnen, doch schienen ihr die Argumente auszugehen, weshalb sie sich umdrehte und wieder ihrer Arbeit nachging: „Ach macht doch, was ihr wollt. Shirota, wenn du wirklich helfen willst, dann greif gefälligst Mirâ unter die Arme. Sie ist wirklich noch eine blutige Anfängerin und das hier muss perfekt werden.“ Wieder blickte Angesprochener überrascht drein und wandte sich dann an genanntes Mädchen, welches ihn nur anlächelte und dann ebenfalls wieder auf ihr zugeteiltes Beet ging. Der junge Mann zögerte einen Moment, doch folgte ihr dann und sah sich erst einmal an, was sie bisher geschafft hatte. „Ähm… warte kurz. Das hier ist falsch“, sagte er jedoch plötzlich und griff ein, bevor Mirâ einen größeren Fehler machen konnte, „U-und danke dir, S-senpai…“ Mit großen Augen sah sie ihre Hilfe an und lächelte dann breit, während sich in ihrer Brust eine angenehme Wärme breit machte. So arbeiteten sie sich nach und nach voran und schafften es sogar die Hälfte ihres Anteils zu bewältigen. Bei einem Blick auf die Arbeit von Kuraiko stockten sie jedoch kurz, dann sie war alleine sogar etwas weitergekommen, als die beiden zusammen. Mirâ vermutete jedoch, dass es ihre Schuld war, immerhin musste Shirota sie ständig ausbessern, während Kuraiko geradewegs durcharbeiten konnte. Trotzdem schien die Schwarzhaarige ganz zufrieden: „Naja… geht ja. Den Rest erledige ich die TageS alleine.“ „Also wenn du…“, fing Mirâ an und wurde sogleich mit einem Blick der jungen Frau unterbrochen, der keine weiteren Worte mehr zuließ. Shirota bemerkte die angespannte Stimmung, weshalb er sich vorerst von den beiden Mädchen verabschiedete, welche ihm kurz nachsahen. „Ähm“, setzte die Violetthaarige noch einmal an. Doch die Gleichaltrige ließ ihr gar keine weitere Chance etwas zu sagen: „Ich sag es dir nur noch einmal. Hör auf dich in diese Gelegenheit einzumischen. Hörst du? Das geht nur diesen Idioten und mich was an. Außenstehende haben sich da rauszuhalten. Also lass es! Verstanden?“ Damit hatte sie sich von ihr abgewandt, die ganzen Werkzeuge zusammengesammelt und war damit im hinteren Teil des Schulgeländes verschwunden, während Mirâ alleine zurückblieb und sich darüber Gedanken machte, ob sie einen Fehler begangen hatte. Kapitel 114: CXIV – Hilfreiche Gesten ------------------------------------- Mittwoch, 23.September 2015 – Herbstanfang / Feiertag Es war kurz vor Mittag, als Mirâ den Shinzaro Tempel erreichte und die letzte Stufe der alten Treppe erklomm. Schnaufend atmete sie erst einmal durch und sah sich dann um. Wieso sie an ihrem freien Tag ausgerechnet wieder hier gelandet war, wusste sie gar nicht so genau. Sie hatte nur einen kleinen Spaziergang machen wollen und war letzten Endes hier herausgekommen, weshalb sie sich kurzfristig dazu entschlossen hatte die Treppe hinaufzusteigen. Selbst wenn sie keinen besonderen Grund gehabt hatte, so genoss sie die Ruhe, die an diesem Ort herrschte. Denn obwohl der Tempel mitten in der Stadt stand, so herrschte an diesem eine angenehme Stille, die ihr half von dem ganzen Trubel herunterzukommen. Außerdem bestand immer die Chance auch Masaru zu treffen, was natürlich ein sehr positiver Nebeneffekt wäre. Doch als sie oben ankam konnte sie niemanden entdecken. Viel mehr herrschte hier gähnende Leere. Selbst das kleine Häuschen, in dem die Familie Glücksbringer verkaufte, war an diesem Tag geschlossen und von dem Schwarzhaarigen war weit und breit keine Spur. Die Einzige Person, die Mirâ erblicken konnte, war eine junge Frau in einer Miko-Tracht mit türkisgrünen Haaren, welche sich gelangweilt auf den Stiel eines alten Reisigbesens stützte und herzhaft gähnte. Sie wirkte nicht sehr motiviert und schien daraus auch keinen großen Hehl zu machen. Es handelte sich um Chisato, welche, wie sie mittlerweile erfahren hatte, nebenbei hier jobbte. Allerdings wunderte die Oberschülerin das schon, denn eigentlich durften Betriebe Schüler erst ab er Oberstufe einstellen. Das Mädchen war allerdings eindeutig noch in der Mittelstufe. Aber vielleicht gab es für Tempel auch eine Ausnahmegenehmigung. Während sie die Grünhaarige so beobachtete, fiel ihr nicht einmal auf, dass ihre Anwesenheit von dieser bereits bemerkt wurde. „Masaru-san ist heute nicht da“, rief die Jüngere ihr zu, woraufhin Mirâ aus ihren Gedanken schrak. Genervt lächelte Mirâ auf die Aussage hin und ging auf die Grünhaarige zu: „Wie kommst du darauf, dass ich immer zu ihm will, wenn ich hier bin?“ „Ist doch eindeutig…“, murmelte Chisato gähnend und richtete dann ihren Blick wieder auf die Ältere. Die Ältere zuckte etwas zusammen und beendete den Augenkontakt zu der Mittelschülerin, weshalb diese sich in ihrer Aussage bestätigt fühlte und darauf nur seufzte. „Heute hat der Tempel Ruhetag. Deshalb ist er heute nicht da“, sagte sie schulterzuckend. Mirâ sah sich um. Nun verstand sie auch, wieso hier nichts los und der Talismanshop geschlossen war. Das allerdings warf die Frage auf, was die Mittelschülerin hier tat. Es war ziemlich unfair, wenn alle heute Ruhetag hatten und sie schuften musste. Jedoch schätzte die Violetthaarige Masaru und seine Eltern nicht so ein, dass sie so etwas tun würden. Vor allem einer Mittelschülerin gegenüber. „Und wieso arbeitest du dann hier?“, sprach sie die Frage aus, die ihr auf der Zunge brannte, „Wurdest du dazu gezwungen?“ „NEIN!“, entgegnete die Jüngere sofort lautstark und bemerkte dann, dass sie etwas übertrieben hatte, weshalb sie sich räusperte, „Niemand hat mich gezwungen hier zu arbeiten. Ich hatte nichts zu tun und wollte den Hof fegen. Aber das mache ich freiwillig…“ Die Oberschülerin legte den Kopf schief, weil die Jüngere den letzten Satz nur vor sich hingemurmelt hatte und es nicht so klang, als würde sie das wirklich ernst meinen. „Darf ich dich fragen, was genau du überhaupt hier im Tempel machst?“, fragte sie deshalb nach, woraufhin sie kurz ein böser blick traf, der aber gleich darauf wieder verschwand. Chisato seufzte: „Sieh es als eine Art Praktikum an… ich helfe hier aus und erlerne nebenbei die Fähigkeiten einer Miko. Masaru-sans Mutter unterweißt mich darin.“ „Das heißt, du willst später mal eine richtige Miko werden?“, folgte bereits die nächste Frage. Auch wenn die Jüngere es wohl so auffasste, fragte Mirâ nicht, um sich darüber lustig zu machen. Viel mehr fand sie es interessant, da es nicht mehr viele junge Mädchen gab, die sich danach sehnten dieser Berufung nachzugehen. Immerhin musste man sich dabei mit Sicherheit vielen strengen Regeln unterordnen und auf einiges verzichten. Zwar war eine Miko nicht mit einer Nonne zu vergleichen, die abstinent und keusch lebte, jedoch mussten auch sie sich an bestimmte Dinge halten. Und zudem auch noch einen starken Glauben haben. Die Grünhaarige jedoch wich ihrem Blick aus, bevor sie antwortete: „Sieht so aus…“ „Klingt ja nicht so, als sei das dein Traumberuf“, leget Mirâ den Kopf wieder schief, doch wich zurück, als sich ihr Gegenüber ruckartig zu ihre umdrehte: „Doch! Und überhaupt, was geht es dich an?“ Schnell hob die Oberschülerin beide Hände und entschuldigte sich für ihre unüberlegte Aussage. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass die Jüngere etwas daran störte und sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich so ernst meinte, wie sie es vorgab. Doch da Chisato das Thema nicht weiter ausbauen wollte, beließ Mirâ es erst einmal dabei. Trotz allem spürte sie in ihrer Brust ein Leuchten, dass ihren Körper mit angenehmer Wärme füllte und ihr verriet, dass sie einen Schritt weiter bei dem Social Link der Kleinen gekommen war. Diese wandte sich nun von der Oberschülerin ab und wollte sich wieder auf ihren Besenstiel stützen, als ihr eine alte Dame auffiel, welche die Treppen hinaufsteig. Aus Reflex gab sie den Besen an Mirâ weiter und lief auf die Frau zu, welcher sie die letzten Stufen hinaufhalf. „Vielen Dank, mein Kind“, bedankte diese sich bei der Mittelschülerin. Angesprochene schüttelte mit dem Kopf: „Schon in Ordnung. Aber ich glaube Sie sind umsonst hier hochgekommen. Der Tempel hat heute Ruhetag und ist geschlossen.“ „Das ist kein Problem, mein Kind“, lächelnd legte die alte Frau ihre knochige Hand auf den Arm der Jüngeren, welche sie noch immer stützte, „Ich wollte nur ein Gebet abgeben. Das geht ja auch, wenn der Tempel zu ist.“ „Sicher…“, sagte Chisato und ließ von dem Großmütterchen ab, die sich langsam in Richtung des Gebetsschreins aufmachte. Die beiden Schülerinnen sahen ihr nach, wie sie nach einiger Zeit hinter dem Talismanshop verschwand. Erneut seufzte die Mittelschülerin, nahm ihrem Gegenüber wieder den Besen ab und verabschiedete sich dann erst einmal, bevor sie in Richtung des Wohnhauses lief. Auch ihr sah die Oberschülerin kurz nach und entschied dann, auch noch ein Gebet abzugeben. Der nächste Vollmond stand an. Es konnte nichts schaden, dafür zu beten, dass die ganze Sache nun erledigt war, auch wenn ihre Hoffnungen diesbezüglich relativ gering waren. So setzte sie sich in Bewegung und lief ebenfalls um den Shop herum, nur um einen Moment später wieder stehen zu bleiben, als ihr ein Junge mit braunen Haaren auffiel. Dieser hatte soeben sein Gebet beendet und wollte gehen, dabei fiel ihm allerdings die alte Dame hinter ihm nicht auf, weshalb er diese anrempelte. Aus Reflex griff er sofort nach dieser, damit sie nicht die Holzstufen hinunterfiel. Doch kaum hatte sie ihr Gleichgewicht wieder, wich er auch schon zurück. Nuschelnd entschuldigte er sich und wandte sich dann von dem Großmütterchen ab, welche ihn etwas irritiert ansah. Auch Mirâ irritierte diese Geste, doch schnell hatte sie einen Verdacht, was los sein könnte. Aus diesem Grund ging sie auf den jungen Mann zu, welcher mittlerweile extrem blass wirkte. „Hallo Satoshi-kun“, grüßte sie ihn, woraufhin er sie erschrocken ansah. „Mi-Mirâ-senpai“, wirkte er überrascht. Die Violetthaarige zeigte auf das Großmütterchen, welches sich mittlerweile wieder die Treppen des Schreins herunterquälte: „Hast du etwas gesehen?“ Mit großen Augen sah Gemeinter sie an, woraufhin sie erklärte, dass sie ihn zufällig beobachtet hatte: „Warum hast du es der alten Dame nicht gesagt?“ Satoshi wandte den Blick ab: „Sie würde mir doch nicht glauben und Angst bekommen…“ Das war einleuchtend. Mirâ legte den Kopf schief und beobachtete gleichzeitig, wie das Großmütterchen langsam an ihnen vorbeilief. Dabei fiel ihr auch auf, dass der junge Mann immer nervöser wurde, je näher die Frau der steinernen Treppe kam, die wieder hinunter zur Hauptstraße führte, weshalb sie nachfragte, was genau er gesehen hatte. Der junge Mann schwieg kurz und schien zu überlegen, ob er es sagen sollte, doch die Violetthaarige ließ ihn nicht viel Zeit dafür. „Hör zu Satoshi-kun. Wenn du es weißt, dann sollten wir der alten Dame helfen, bevor etwas passiert“, mahnte sie, woraufhin sie von dem Mittelschüler erschrocken angesehen wurde. Er biss sich auf die Lippe, während er ihre Worte überdachte und dann erklärte, dass er gesehen hatte, wie die alte Frau beim herabsteigen der Treppen stürzen würde. Plötzlich zuckte er erschrocken zurück, denn obwohl er noch nicht einmal richtig zu Ende gesprochen hatte, war die Ältere bereits zu der Frau gestürmt. Sofort folgte er der Oberschülerin, welche sich mittlerweile dem Großmütterchen zugewandt hatte und ihr ihre Hilfe beim herabsteigen angeboten hatte. Dankend wurde diese angenommen, sodass sie gemeinsam hinunter gingen. Doch kaum waren sie ungefähr bei der Hälfte stolperte die alte Frau plötzlich, wurde aber von Mirâ gestützt und konnte sich dadurch auf den Stufen halten. Andernfalls wäre sie wohl wirklich die Treppe hinuntergefallen und hätte sich schwer verletzt, wenn nicht sogar schlimmer. Freundlich bedankte sie sich bei der Oberschülerin, als sie an der Hauptstraße angekommen waren und verabschiedete sich von dieser. „Passen Sie gut auf sich auf“, winkte Mirâ ihr nach und wandte sich dann lächelnd an Satoshi, der ihnen mittlerweile gefolgt war. „Du hast es verhindert…“, murmelte er überrascht und sah dem Mütterchen hinterher. Immer noch lächelte die Ältere, allerdings nicht mehr so breit, wie noch zuvor: „Sicher. Ich bin der Meinung, wenn man eine solche Fähigkeit hat, dann sollte man sie auch nutzen.“ „Das ist keine Fähigkeit… sondern ein Fluch…“, der Brünette senkte den Blick und erntete einen verwunderten Blick: „Meinst du? Ich finde nicht, dass es ein Fluch ist. Du hast mir mehrmals das Leben gerettet und nun auch dem Mütterchen. Hättest du nicht gesehen, dass sie die Treppen herunterfallen würde, dann hätte ich ihr nicht geholfen und sie hätte sich schwer verletzt oder wäre im schlimmsten Fall gestorben.“ Satoshi wirkte nicht sehr überzeugt: „Aber vielleicht ist das auch passiert, gerade weil ich sie berührt habe…“ Die Violetthaarige beobachtete ihn kurz von der Seite und schnaubte dann leicht verächtlich: „So ein Quatsch. Diese Fähigkeit zeigt dir die Zukunft. Und das ist wirklich praktisch. Damit kannst du ganz vielen Menschen helfen. Verstehst du?“ Mit großen goldgelben Augen sah er wieder zu der Oberschülerin auf, welche ihn nur breit angrinste. Noch einmal dachte er über ihre Worte nach, wirkte jedoch nicht sehr überzeug. Trotzdem nickte er. „D-Danke, Senpai. Für diese aufmunternden Worte. Auch wenn ich nicht ganz überzeug bin“, sagte er, wandte sich dann von ihr ab und ging, „Mach’s gut.“ Mirâ sah ihm nach und spürte ganz deutlich erneut das warme Glühen in ihrem Inneren. Auch Satoshis Stufe war um eine weitere gestiegen und sie war dem jungen Mann etwas nähergekommen. Wieder legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen, während sie sich in die andere Richtung umdrehte und ihren Spaziergang fortsetzte. Am Nachmittag hatte sich Mirâ wieder auf den Heimweg gemacht. Während sie eine große Runde durch die Stadt gelaufen war, hatte sie die Chance genutzt noch einige Dinge zu besorgen, die sie noch brauchte; unter anderem auch mal wieder ein paar Mangas, die sie schon länger im Blick hatte. Zwar war sie kein richtiger Otaku, wie Megumi, jedoch war sie den Comics nicht abgeneigt. Während sie ihren Weg fortsetzte, bereute sie nach einiger Zeit den Rückweg zu Fuß angetreten zu haben. Ihr taten mittlerweile die Füße weh, weshalb sie sich auf einer Bank niederließ, um kurz zu Verschnaufen. Sie wünschte sich nachhause und bereute es nicht die U-Bahn genommen zu haben. Nun war die nächste Station, von der aus sie ohne umzusteigen nachhause kam, zu weit weg, als dass es sich lohnen würde damit zu fahren. Seufzend lehnte sie sich an die Wand hinter sich und blickte in den grauen Himmel, bevor sie kurz die Augen schloss und die Ruhe genoss, welche in diesem Teil der Stadt herrschte. Plötzlich jedoch horchte sie auf, als sie ein zischendes Geräusch vernahm, dass in einem dumpfen „plopp“ endete. Überrascht öffnete sie wieder die Augen und sah sich um, bis ihr auffiel, dass sie sich in der Nähe des Kyudo-Dôjôs befand, welches sie vor einer Weile entdeckt hatte. Die Besitzerin, Moe Kawasami, hatte ihr angeboten jederzeit vorbeizuschauen, jedoch war das an die Voraussetzung gebunden, dass sie der älteren Dame ihr Können im Kyudo bewies. Und genau das bereitete ihr Bauchschmerzen. Trotzdem hatte sie das Bedürfnis hinzugehen und wenn es nur war, um Kawasami-san zuzusehen. So erhob sich die Oberschülerin wieder und folgte dem Geräusch der Pfeile, welches unter den Leuten, die diesen Sport betrieben, nur „Tsurune“ genannt wurde. Kurze Zeit später erreichte sie das offene Gelände, hinter welchem sich das Dôjô, sowie das Wohnhaus, abzeichnete und erkannte sofort genannte Frau, die bereits dabei war erneut ihren Langbogen zu spannen. Sie konzentrierte sich, bewegte sich keinen Millimeter und zielte in aller Seelenruhe auf die Scheibe sich gegenüber. Dann ließ sie los und der Pfeil flog zischend durch die Luft, bevor er in der Zielscheibe stecken blieb; wieder einmal genau in der Mitte. Derweilen trat die Frau wieder einen Schritt zurück und kniete sich hin. Sie atmete einmal durch und sah dann lächelnd in Mirâs Richtung, welche sofort zusammenzuckte. „Hallo Shingetsu-chan“, erhob sich Moe und kam dann auf sie zugelaufen. Es erstaunte Mirâ, dass sie sich ihren Namen gemerkt hatte, weshalb sie kurz ihre gute Kinderstube vergaß. Doch schnell fing sie sich wieder und verbeugte sich höflich: „Guten Tag, Kawasami-san.“ „Na… hast du es dir überlegt und möchtest mir doch dein Können beweisen?“, fragte die alte Dame freundlich. So richtig wusste die Oberschülerin nicht, was sie darauf antworten sollte und wich deshalb dem Blick ihres Gegenübers aus. In gewisser Weise war sie wirklich zwiegespalten. Einerseits juckte es sie schon in den Fingern. Sogar so sehr, wie schon lange nicht mehr. Andererseits wollte sie dieser Frau, die beim Kyudo so eine Anmut hatte, nicht ihre schlechte Form zeigen. Mit Sicherheit wäre sie dann sehr enttäuscht. Und doch… „Du brauchst dich nicht für irgendwas zu schämen, kleines Fräulein. Das hier war früher mal eine Kyudo-Schule, deshalb ist uns auch jeder willkommen, egal welche Form er hat“, sprach Moe mit einem Lächeln, woraufhin die junge Frau sie überrascht ansah, „Das ist doch deine Sorge. Hab ich Recht?“ Die Violetthaarige senkte den Blick: „Naja…“ „Ich kann dich nicht dazu zwingen, aber eigentlich möchtest du doch schießen. Oder?“, wieder sah Mirâ die Erwachsene mit großen Augen an, „Man merkt es dir an. Also?“ Die Oberschülerin überlegte kurz und setzte dann einen entschlossenen Blick auf, bevor sie nickte. Moe lachte und bat sie daraufhin herein. Dafür musste die Violetthaarige einmal um das Gelände drumherum und dann durch einen kleinen Hof, bevor sie vor der Tür der Trainingshalle stand. Ehrfürchtig schob sie das Hindernis beiseite, trat einen Schritt hinein und verbeugte sich höflich. Derweilen war auch Moe an sie herangetreten. In ihrer Hand hielt sie einen frisch bespannten japanischen Langbogen, welchen sie, mitsamt einem Handschuh und einem Brustschutz an die junge Frau weiterreichte. Überrascht besah Mirâ sich die ihr gegebenen Gegenstände und staunte nicht schlecht über den wunderschönen und richtig professional gespannten Bogen. Er war aus dunklem Holz geschnitzt und glänzte im Licht der hereinfallenden Sonne. Sie selbst hatte nur einen schlichten Langbogen für ihren Unterricht in der Schule. Dieser war zwar mittlerweile Neu, da sie ihren alten mit in die Spiegelwelt genommen hatte, jedoch ein einfaches Modell. Was anderes hätte sie sich von ihrem Geld auch gar nicht leisten können. Ihre Mutter konnte sie auch nicht fragen, denn diese würde nur wissen wollen, was sie mit ihrem alten Bogen gemacht hatte. „Gefällt er dir?“, fragte die alte Frau mit einem sanften Lächeln, während Mirâ nur geistesabwesend nicken konnte, „Schön. Wollen wir dann anfangen?“ Nun endlich kehrte die Violetthaarige wieder ins Hier und Jetzt zurück und nickte erneut, bevor sie mit Moe weiter hinein ging und sich währenddessen die Ausrüstung anlegte. Leider musste sie nun in ihren Straßensachen antreten, weshalb gerade der Brustschutz etwas unbequem saß. Doch das nahm sie jetzt so hin, immerhin wollte sie nicht auch noch um einen Hakama und Gi betteln, wo ihr schon der Bogen gestellt wurde. Nachdem sie sich den Handschuh übergezogen hatte, testete sie den Gegenstand in ihrer Hand gleich aus, indem sie die Sehne ohne einen eingespannten Pfeil etwas zurückzog. Dabei fiel ihr auf, wie straff alles gespannt war. Es würde ihr mit Sicherheit schwerfallen den Pfeil ruhig zu halten und nicht zu zittern. Beim Kyudo kam es nämlich auch auf den richtigen Zeitpunkt an, zu welchem man den Pfeil losließ. Dafür musste man ihn aber auch eine ganze Weile gespannt halten. Je stärker jedoch der Bogen war, desto schwerer war diese Prozedur. Trotzdem packte Mirâ plötzlich der Ehrgeiz. Sie wollte mit diesem Langbogen schießen. Um jeden Preis. So positionierte sie sich genau gegenüber der Zielscheibe, welche am anderen Ende des Areals an einem Erdhügel befestigt war und kniete sich hin. Dann atmete sie einmal tief durch und versuchte ihren Geist zu beruhigen und die Aufregung loszuwerden, bevor sie die Augen öffnete und sich wieder erhob. Sie drehte ihren Körper leicht nach links, ging einige Schritte vor und wieder zurück, während sie das Ziel fixierte. Nun endlich legte sie einen Pfeil ein und hob das Gespann mit beiden Armen über ihren Kopf, bevor sie den Bogen spannte und alles auf der richtigen Höhe positionierte. Ihr Arm zitterte, denn das Spannen und Halten kostete eine Menge Kraft. Leider schaffte sie es auch nicht Ruhe in ihre Position zu bekommen, bevor sie die Kraft verließ und sie den Pfeil fliegen ließ. Dadurch kam es allerdings wie es kommen musste. Mit einem Zischen und in einem Bogen flog das Geschoss über das Gelände und landete dann neben der Zielscheibe in der Erde. Kritisch begutachtete Mirâ ihre Fertigkeit und seufzte dann. „Hm…“, erklang es neben ihr, weshalb sie leicht aufschreckte und dann zu Moe blickte, die ebenfalls das Ergebnis begutachtete, „Ich verstehe…“ Die Oberschülerin senkte den Blick: „Ich weiß, meine Haltung ist wirklich schlecht…“ „Ich glaube das alleine ist nicht das Problem“, meinte die ältere Dame, „Schieß doch bitte noch einen Pfeil.“ Die Violetthaarige tat wie geheißen und spannte wie bereits zuvor einen weiteren Pfeil ein, welchen sie, genau wie den Vorigen, bereits nach kurzer Zeit fliegen lassen musste, da ihr die Kraft fehlte ihn länger zu halten. Und wieder war das Ergebnis das Gleiche: Er landete neben der Zielscheibe. Unzufrieden mit sich selbst ließ Mirâ den Bogen wieder sinken und blickte auf das Geschoss, welches in der Erde steckte. „Deine Haltung an sich ist nicht mal das Problem“, murmelte nun die ältere Dame neben ihr, „Viel mehr fehlt es dir an Kraft. Du sagtest, dass du Kyudo in der Schule machst. Das heißt, du müsstest mit der Stärke des gespannten Bogens klarkommen. Es sei denn dein eigener Bogen ist falsch gespannt. Nächstes Mal solltest du ihn mitbringen, dann schau ich mir das mal an. Trotzdem musst du an deiner Kraft und Ausdauer arbeiten.“ Angesprochene ließ sich die Worte der älteren Frau durch den Kopf gehen. Da war was dran, denn es fiel ihr wirklich unglaublich schwer diesen Bogen gespannt zu halten. Auch das ihr eigener wohl nicht sehr gut bespannt war, fiel ihr erst jetzt richtig auf. Deshalb wandte sie sich wieder an Moe: „Kawasami-sensei, können Sie mir zeigen, wie ich die Sehne richtig auf den Bogen aufziehe? Ich weiß zwar wie es geht, aber trotzdem scheine ich es nicht richtig zu machen.“ Überrascht sah die Erwachsene sie an und lachte dann: „Sensei? So hat mich lange niemand mehr genannt. Aber sicher, ich werde es dir zeigen. Komm, mein Kind.“ So verbrachte Mirâ den restlichen Nachmittag in dem Dôjô, in welchem sie einige neue Dinge erlernte, von denen sie zuvor gar nicht oder nur flüchtig gehört hatte. Erst als die Sonne bereits am Untergehen war verabschiedete sie sich von Moe und machte sich endlich auf den Heimweg. Als es dunkel war erreichte Mirâ erst die Gegend, in welcher sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester lebte. Auf der Kreuzung, an welcher Alecs Schwester vor einem Jahr ums Leben gekommen war, blieb sie kurz stehen und blickte auf die mittlerweile leere Vase am Straßenrand. Von hier aus war es nicht mehr weit, bis zu ihrem Haus. In nur wenigen Minuten wäre sie Zuhause. Doch anstatt den Weg dorthin einzuschlagen, drehte sie sich noch einmal um und lief zu dem kleinen Konbini, welcher zwei Straßenzüge weiter lag, um dort eine Blume zu kaufen. Mit dieser in der Hand kehrte sie zu der Kreuzung zurück und stellte sie in die leere Vase, bevor sie die Hände zusammenschlug und ein Gebet an die Kleine sendete. Das Geräusch eines Motorades ließ sie aufschauen. Kurz darauf stoppte die Maschine auch schon neben ihr und ein junger Mann stieg ab. „Du lernst echt nicht… oder?“, fragte er seufzend, darauf anspielend, dass sie sich wieder im dunklen herumtrieb. „Ich war noch nie gut darin auf andere zu hören“, grinste die Oberschülerin den Studenten an, welcher nun neben sie trat. „Ist die Blume von dir?“, fragte Alec etwas ungläubig, woraufhin Mirâ nickte und ihm erklärte, dass die Vase so leer wirkte und sie deshalb eine Blume geholt hatte. Der Schwarzhaarige bedankte sich und steckte ebenfalls eine Blume hinein, bevor auch er ein Gebet an seine Schwester sandte. Das Quengeln eines kleinen Kindes ließ die beiden aufblicken und zu einer Mutter sehen, die mit ihrem Sohn auf der anderen Straßenseite ging. Das Kind zog an dem Arm der Frau und meckerte, dass es die Süßigkeiten haben wollte, die es kurz zuvor im Konbini gesehen hatte. Die Mutter jedoch verneinte nur und versuchte ihren Sohn zur Vernunft zu bringen, was leider eher schlecht als recht funktionierte. Ein kleines mitleidiges Lächeln legte sich auf die Lippen der Oberschülerin, während sie das Gespann beobachtete. Junko war auch so, wenn sie etwas nicht bekam. Und dass, obwohl sie älter war, als das kleine Kind. Trotzdem erinnerte sie diese Situation an ihre kleine Schwester beim Einkaufen. Und sie zollte allen Müttern Respekt, die bei so etwas die Ruhe bewahrten. Ihre Mutter war auch so jemand, der das aussitzen konnte und sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließ. Plötzlich löste sich der kleine Junge von der Hand seiner Mutter und lief voran, während er die warnenden Rufe und Aufforderung der Erwachsenen eiskalt ignorierte. Erschrocken beobachtete sie, wie er sich immer weiter der Straße näherte, aus deren Richtung in der Ferne ein Transporter auf sie zugefahren kam. Doch noch ehe sie reagieren konnte, war Alec plötzlich aufgesprungen und zu dem Kind gerannt, hatte es kurz darauf am Kragen gepackt und wieder an den Straßenrand gezogen, kurz bevor das Fahrzeug mit quietschenden Reifen neben ihnen zum Stehen kam. „Ist alles in Ordnung?“, stieg der Fahrer des Wagens mit blassem Gesicht aus. Erschrocken sah der kleine Junge auf das Gefährt vor sich und fing plötzlich an zu weinen. Schnell kam seine Mutter auf ihn zu gerannt und drückte ihren Sohn an sich, während sie sich tausendmal bei Alec für die Rettung bedankte. Dieser hatte mittlerweile mit dem Fahrer gesprochen und diesen beruhigt, dass nichts passiert war, woraufhin der seine Fahrt fortsetzte; wahrscheinlich aber mit sehr mulmigem Gefühl. Mirâ derweilen kam ebenfalls auf die kleine Gruppe zu und beobachtete, wie sich Alec noch einmal zu dem Jungen hinunterhockte und ihm beruhigend über den Kopf strich. Dann zog er ein kleines Bonbon aus seiner Jackentasche und hielt es dem Kind entgegen, welches die Leckerei mit großen verweinten Augen ansah und dann danach griff. Plötzlich strahlte der Junge wieder und bedankte sich bei dem Onkel. Auch die Mutter schien mittlerweile wieder etwas beruhigter, weshalb auch sie sich noch einmal richtig bei dem Studenten bedankte und sich dann mit ihrem Mündel auf den Weg machte. Alec und Mirâ sahen den beiden nach und winkten, als sich das Kind noch Mal zu ihnen umdrehte. Erst als die beiden außer Sichtweite waren, eröffnete Mirâ wieder das Gespräch: „Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde. Es scheint mir, dass du sofort zur Stelle bist, wenn jemand Hilfe braucht. Du wirkst schon fast wie ein Schutzengel.“ Ein überraschter Blick traf sie, woraufhin die Violetthaarige kichern musste: „Du bist wahrscheinlich einfach ein guter Mensch, der gerne hilft.“ „Hör auf damit!“, ließ sie Alecs aufgebrachte Stimme zusammenzucken und erschrocken zu ihm aufsehen, „Das stimmt nicht! Ich bin alles andere, als ein guter Mensch! Mich so zu bezeichnen habe ich nicht verdient.“ Damit hatte sich der Student von ihr abgewandt und war auf sein Motorrad zugegangen, welches er kurz darauf startete und damit verschwand. Etwas verwirrt sah die Oberschülerin ihm nach und wusste nicht so recht, was nun der Fehler war. Es war nicht so, dass sie ihn damit beleidigen wollte. Viel mehr war er für sie einfach ein guter Mensch, immerhin hatte er ihr mehrmals geholfen und nun auch den kleinen Jungen gerettet. Wieso also war er der Meinung, dass er diese Bezeichnung nicht verdient hatte? Vor einer Weile hatte er ja schon gemeint, dass er keine Freunde verdient hatte. Das kam ihr damals auch schon komisch vor. Sie warf einen Blick auf die kleine Vase am Straßenrand, in welcher nun die zwei Blumen steckten. Ob es mit dem Unfall und Tod seiner Schwester zu tun hatte? Eine Antwort darauf wollte ihr nicht einfallen, weshalb sie trotz des warmen, angenehmen Glühens in ihrem Inneren, kein gutes Gefühl hatte, wenn sie an die ganze Sache dachte. Kapitel 115: CXV – Weitere Vorbereitungen ----------------------------------------- Donnerstag, 24.September 2015 „Vielen Dank, dass du mir hilfst“, bedankte sich Masaru, während Mirâ mit ihm auf dem Weg zum Raum der Schülervertretung war. Sie war gerade gemeinsam mit Akane und einigen anderen Mädchen damit beschäftigt gewesen ein weiteres Plakat für ihr Festevent vorzubereiten, als der Schwarzhaarige plötzlich in der Tür stand und sie um ihre Unterstützung bat. Er hatte erklärt, dass der Schülerrat durch die Vorbereitungen für das Culture Festival so viel zu tun hatte, dass das Personal vorne und hinten nicht reichte. Deshalb suchten sie nach Leuten, die etwas helfen konnten. Naru hatte sie wohl vorgeschlagen, erklärte Masaru, weshalb er sich auf den Weg zu ihrer Klasse gemacht hatte. Natürlich war Mirâ sofort bereit zu helfen, brauchte jedoch vorher die Erlaubnis ihres Klassensprechers, welcher sie von ihren Aufgaben befreien konnte. Dieser war zwar nicht sonderlich begeistert darüber, jedoch stimmte er zu, da es sich bei der Sache um eine Bitte der Schülervertretung handelte. Unter den missmutigen Blicken einiger Klassenkameraden war sie daraufhin dem Älteren gefolgt. Auch Hiroshi gehörte zu diesen Schülern, was in ihr ein leichtes schlechtes Gewissen auslöste. Es war ja nun nicht so, dass sie sich vor den Aufgaben in ihrer Klasse drücken wollte; aber sie musste natürlich zugeben, dass sie sich freute ihrem Senpai helfen zu können. Deshalb hoffte sie, dass ihre Klasse und ihre Freunde Nachsehen mit ihr haben würden. Nach wenigen Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht und Masaru öffnete die Tür, welche sie in den Raum der Schülervertretung führte. Dort erwarteten sie mehrere Schüler, unter welchen sich auch Naru befand, die ihr freudig zuwinkte. „Vielen Dank für deine Unterstützung“, kam der Schulsprecher auf die junge Frau zu. Dabei handelte es sich um einen sehr groß gewachsenen jungen Mann mit sehr kurzen dunkelbraunen Haaren, die schon fast schwarz wirkten. Er stellte sich als Keisuke Himekawa vor. Seine dunkelgrünen Augen wirkten sehr ernst, strahlten aber auch eine gewisse Art von Freundlichkeit aus. Auch sonst war sein Auftreten sehr erwachsen und respekteinflößend. Mit Sicherheit nahm er seine Aufgabe sehr ernst, weshalb sich Mirâ gut vorstellen konnte, wieso er zum Vorstand des Schülerrates gewählt wurde. Der Ältere wies auf einen freien Platz neben Naru und erklärte ihr dann, was sie zu tun hatte, während sich Masaru auf seinem ihn zugewiesenen Stuhl setzte. Die Aufgabe schien eigentlich ziemlich simpel: Es mussten die einzelnen angemeldeten Events für die zwei Tages des Festes sortiert und zeitlich eingeteilt werden, sodass sich nicht zu viele davon überschnitten. So sollte jeder Schüler die Chance bekommen so viele Veranstaltungen wie möglich sehen zu können. Jedoch musste die Violetthaarige letzten Endes feststellen, dass sich dies schwieriger als gesagt herausstellte. Es gab so viele Anmeldungen, dass es beinahe unmöglich war sie sich zeitlich nicht überschneiden zu lassen. „Was das angemeldete Konzert angeht…“, unterbrach Keisuke plötzlich die vorherrschende Stille und zog so die Aufmerksamkeit aller voll auf sich. Mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand, in welcher er auch zeitgleich einen Stift hielt, massierte er sich die Stirn, während er missmutig auf das Blatt Papier in seiner Linken schaute: „Dass das vom Schulleiter erlaubt wurde wundert mich wirklich. Aber bei der Masse an Unterschriften dieser Petition ist es kein Wunder, dass er letzten Endes eingeknickt ist. Gefühlt hat da doch jeder Schüler unserer Schule unterschrieben. Wessen Idee war das eigentlich?“ Er sah von dem Schriftstück in seiner Hand, zu einem vor sich liegenden Stapel und dann in die Runde von Schülern, bis sein Blick an Masaru hängen blieb: „Kam das von dir Shin?“ Angesprochener hatte sich mittlerweile wieder seinen Unterlagen zugewandt und tat mehr als unbeteiligt: „Ich weiß nicht was du meinst.“ Es kehrte wieder Stille ein, in welcher Masaru von seinem Vorgesetzten eingängig beobachtet wurde. Jedoch ließ er sich davon nicht weiter beirren, weshalb der große Braunhaarige letzten Endes seufzte und es erst einmal dabei beließ. Mirâ jedoch rang dies ein kleines Schmunzeln ab, denn sie wusste genau, dass ihr Senpai Shuya diesen Vorschlag gemacht hatte. Auch wenn Masaru manchmal so streng wirkte, war er eigentlich sehr zugänglich, aber das wusste die junge Frau ja mittlerweile. „Jedenfalls haben Nagase, Toyama und Mizuno beantragt, dass sie am Sonntag ganz zum Schluss auftreten wollen. Als Abschluss sozusagen“, kam der Vorsitzende des Schülerrates wieder zum Thema zurück, „Zu dieser Zeit findet aber eigentlich das Feuerwerk statt und die Abschlussrede des Direktors.“ „Und wenn wir das kombinieren?“, hob Naru die Hand, „Erst könnte der Direktor seine Abschlussrede halten, dann wäre das Konzert und zum krönenden Abschluss verfeuern wir das Feuerwerk.“ „Die Idee hatte ich auch schon, aber dafür bräuchten wir die Erlaubnis der Stadt. Immerhin würde sich das Feuerwerk so nach hinten verschieben“, kam Einwände des Älteren, „Das ganze nach vorne zu schieben wird auch schwierig. Wir bekommen so schon alles schwer zusammen.“ „Das muss der Schulleiter klären. Dafür müsstest du allerdings mit ihm sprechen“, sagte plötzlich Masaru ohne von seinen Unterlagen aufzuschauen, „An sich sollte das kein Problem sein. Letztes Jahr wurde das Feuerwerk immerhin auch zeitlich nach hinten verschoben. Im Grunde müsste das nur mit den Ortsvorstehern hier abgeklärt werden. Es betrifft ja hauptsächlich die Ruhestörung hier auf dem Campusgelände der Oberschule und der Uni. Die hat dieses Wochenende auch Tag der offenen Tür, weshalb es für deren Besucher ja auch ein Spektakel wäre.“ Der Schülersprecher seufzte: „Ich versteh bis heute nicht, wieso du den Posten als Vorstand ausgeschlagen hast. Na gut, ich werde mit dem Direktor diesbezüglich sprechen. Wenn er dem ganzen schon zugestimmt hat, sollte er es auch ermöglichen. Als nächstes das Fußballspiel…“ Überrascht sah Mirâ zu ihrem älteren Teamkameraden, der sich mittlerweile wieder dem Schulsprecher zugewandt hatte, während sie gar nicht mehr so richtig mitbekam worüber sie sich als nächstes unterhielten. Sie wusste, dass Masaru der Stellvertreter war, jedoch nicht, dass er den Posten des Schulratsvorsitzes abgelehnt hatte und ihr stellte sich dabei die Frage nach dem Warum. Immerhin schien es so, als hätte ihr Senpai weitaus mehr Ahnung von dem, um was sie sich zu kümmert hatten, als der eigentliche Schülersprecher. Zwar unterstützte Masaru den Gleichaltrigen tatkräftig, hatte allerdings letzten Endes keinen wirklichen Einfluss auf das, was wirklich entschieden wurde. Ob es an der Verantwortung lag, die der Posten mit sich brachte? Dabei war sie eigentlich der Meinung, dass ihr Senpai mit so etwas umgehen konnte, weshalb ihr dieser Grund als unwahrscheinlich erschien. Etwas eckte sie in die Seite, woraufhin sie erschrocken zu Naru sah, welche ihr bedeutete, dass sie sich lieber wieder auf ihre Unterlagen konzentrieren sollte, da das Gespräch anscheinend beendet war. So wandte sich Mirâ wieder dem Stapel Blätter vor sich zu und beließ das Thema vorerst dabei. In der Mittagspause wurde Mirâ wieder aus dem Schülerrat entlassen. Mit vereinter Stärke hatten sie es geschafft die vorgeschlagenen Events in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Um das Zeitmanagement wollte sich der Schülerrat dann nach der Pause kümmern, doch da brauchten sie die Hilfe von Außenstehenden nicht mehr. Mit einem Dank des Vorsitzenden konnten diese also nun gehen. Seufzend verließ Mirâ deshalb den Raum und beobachtete ihre Mitschüler, die sich wieder zurück in ihre Klassen machten. „Nochmal vielen Dank für deine Hilfe, Mirâ“, ließ sie Masarus Stimme aufschrecken und umdrehen. Der junge Mann stand hinter ihr im Türrahmen und lächelte sie freundlich an. Eine leichte Röte bildete sich auf den Wangen der Violetthaarigen, weshalb sie schnell den Kopf schüttelte. „Mhm… schon in Ordnung. Das hab ich gerne gemacht“, sagte sie anschließend, „Aber es hat mich schon überrascht…“ Ein fragender Blick traf sie, weshalb sie sofort weitersprach: „Naja, dass du den Posten als Schülersprecher abgelehnt hast. Das wusste ich gar nicht. Wieso eigentlich?“ Der Schwarzhaarige wandte den Blick von ihr ab, während er sich an der Wange kratzte. Er trat komplett aus dem Raum und schloss hinter sich die Tür: „Naja weißt du, es ist nicht so, dass ich mich vor der Verantwortung drücken will oder so. Aber der Posten verlangt einem wirklich ziemlich viel ab. Das habe ich letztes Jahr ganz gut beobachten können. Vor allem ist er sehr zeitintensiv und ich habe so schon relativ wenig Zeit, die ich für Freunde nutzen kann. Immerhin habe ich noch meine Aufgaben im Tempel…“ „Ich verstehe…“, murmelte Mirâ und ärgerte sich schon ein wenig, den Älteren drauf angesprochen zu haben. Sie wusste immerhin, dass die Sache mit dem Tempel ihn ziemlich belastete und nun hatte sie indirekt in eine offene Wunde gestochen. Andererseits verstand sie so natürlich nur zu gut, dass Masaru deshalb lieber auf einem Posten eingeteilt war, der nicht ganz so zeitintensiv war. Wobei sie schon das Gefühl hatte, dass er mehr machte, als er wahrscheinlich musste. Bestätigt wurde dieses, als hinter ihnen die Tür wieder aufging und eine Schülerin den Schwarzhaarigen bat wieder hereinzukommen, weil seine Hilfe benötigt würde. Und obwohl es seine Mittagspause war, war der junge Mann sofort zur Stelle und verabschiedete sich mit einem erneuten Dank von Mirâ, bevor er wieder im Raum verschwunden war. Noch einen Moment betrachtete die Violetthaarige die Tür vor sich, während sie in ihrem inneren wieder das kräftige warme Glühen spürte, dass ihrer Meinung nach mit jedem Mal stärker wurde. Was das zu bedeuten hatte wusste sie nicht, doch es interessierte sie in diesem Moment auch nicht. Seufzend wandte sie sich vom Zimmer der Schülervertretung ab und machte sich auf den Weg zurück in ihre Klasse, um dort die Pause mit ihren Freunden verbringen zu können. Auch an diesem Tag standen am Nachmittag einige Vorbereitungen in den Clubs an, doch da Mirâ sich bereits am Vormittag vor ihren Aufgaben in der Klasse gedrückt hatte, schaffte sie es erst ziemlich spät zum Kyudo-Club. Die Hände zusammengelegt hatte sie sich mehrmals bei ihren Kameraden für ihr Zuspätkommen entschuldigt, bevor sie sich an die ihr zugeteilte Aufgabe machte. Gemeinsam mit Amy hatte sie sich in eine ruhige Ecke gesetzt und bereitete dort das Papier vor, welches später auf Holzringe gespannt und somit zum Mâto, der Zielscheibe im Kyudo, wurde. Nebenbei unterhielten sie sich darüber, wieso die Violetthaarige an diesem Tag später gekommen war. Irgendwie hatte sie an diesem Tag wirklich kein Glück gehabt. Erst hatte sie ihre Klassenkameraden verärgert, als sie Masaru geholfen hatte, weshalb sie dazu verdonnert wurde, ihre Aufgabe nach dem Mittag nachzuholen. Und genau deshalb war sie auch hier zu spät gewesen und schaffte demnach nur einen Teil der Aufgaben, die eigentlich anstanden. Dass einige ihre Teamkameraden das nicht so toll fanden, konnte sie sich durchaus denken, selbst wenn sie es nicht offen sagten. Aber was hätte sie machen sollen? Es war ja nicht so, als hätte sie das alles mit Absicht gemacht. Ganz davon abgesehen, dass sie gerne geholfen hatte. Erst am späten Nachmittag, als die Sonne schon im Begriff war unterzugehen, erklärte Dai die Vorbereitungen für beendet und schickte seine Mitglieder allesamt nach Hause. So verließ auch Mirâ die Kyudo-Halle und streckte sich erst einmal genüsslich, um ihre doch recht steif gewordenen Muskeln zu lockern. Der Tag hatte sich wirklich ganz schön in die Länge gezogen und eigentlich wollte sie nur heim. Sie war müde. Dass sie ein Tag, an dem sie nicht einmal lernen musste, so schlauchen konnte hätte sie nicht gedacht. Aber bei der Masse an Dingen, die sie heute geschafft hatte, wunderte sie das nicht. „Shingetsu, hast du kurz einen Moment?“, holte sie Dais Stimme aus ihren Gedanken. Überrascht drehte sie sich zu dem Älteren um und sah ihn mit großen Augen an: „Sicher. Was gibt es? Ähm… dass ich heute zu spät gekommen bin tut mir wirklich leid…“ Der Brünette lachte und hob beschwichtigend die Hand: „Keine Sorge. Darum geht es nicht. Ich hab schon mitbekommen, was los war. Dass Masaru dich mit eingespannt hat und du deine Aufgaben nachholen musstest und so. Also alles gut.“ Fragend legte Mirâ den Kopf schief und veranlasste damit ihren Senpai weiterzusprechen: „Ich wollte mich nochmal wegen der Sache mit Amy bedanken. Dass du dich so für sie eingesetzt hast, meine ich.“ „Das war selbstverständlich, immerhin ist sie meine Freundin“, kam es ziemlich schnell von der Violetthaarigen. Dai blickte zu Boden: „Ja, ich weiß. Aber obwohl auch ich mit ihr befreundet bin, konnte ich mich nicht für sie stark machen. Das macht mir schon ein ziemlich schlechtes Gewissen, immerhin wusste ich schon länger, wie sehr sie sich für den Club aufopfert. Ich glaube auch, dass sie mir das irgendwie übelnimmt. Jedenfalls verhält sie sich seit einiger Zeit mir gegenüber ziemlich distanziert.“ Die Jüngere sagte nichts dazu, sondern beobachtete den Älteren, welcher sich wirklich Gedanken darüber zu machen schien. Sie wusste ja irgendwie um seine Gefühle für die Blonde, weshalb sie gut verstehen konnte, dass ihn die Sache ziemlich belastete. Andererseits war er Kapitän des Clubs und musste eine gewisse Neutralität wahren. Man brauchte also gar keine Gedanken lesen zu müssen, um zu wissen, dass er sich dadurch in einer Art Zwickmühle befand. Jedoch glaubte Mirâ nicht, dass Amy sich aufgrund dessen von ihm distanzierte, falls das überhaupt wirklich der Fall war; es konnte immerhin auch sein, dass der Brünette es sich nur aufgrund seines schlechten Gewissens einredete. Aber falls dies wirklich der Fall sein sollte, dann lag es mit Sicherheit nicht an der Aktion im Club. Die Blonde war zwar auf ihre Art eigen, doch sie wusste um Dais Position als Kapitän und dass er keine Mitglieder bevorzugen durfte. Wenn sie wirklich Abstand zu ihm nahm, dann musste das einen anderen Grund haben. Und die Violetthaarige hatte da auch eine Vermutung. „Sag mal, Senpai. Hast du seither mal mit Amy-senpai darüber gesprochen?“, fragte sie deshalb direkt nach, weshalb Dai sie erst mit großen Augen ansah und dann den Blick abwandte. Daraufhin seufzte die Jüngere nur: „Ich denke nicht, dass sie wegen der Sache sauer ist oder so. Sie weiß, dass du als Kapitän neutral bleiben musst. Von daher scheint mir das als Grund ausgeschlossen.“ „Woran könnte es denn dann liegen?“, fragte Dai etwas verunsichert. „Bist du denn froh, dass sie noch im Club ist?“, kam eine Gegenfrage, woraufhin sie wieder ein überraschter Blick traf, „Du sagtest, dass du weißt, wie sehr sie sich für den Club aufopferst und hast dich bei mir bedankt, dass ich mich für sie eingesetzt habe. Aber bist du auch froh, dass sie bleiben darf?“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Ja na sicher! Sie ist… unersetzlich für… den Club.“ Mirâ hatte bemerkt, dass der Brünette etwas anderes sagen wollte, jedoch noch kurz vorher die Kurve bekommen hatte. Allerdings ahnte sie, was der wahre Sinn des Satzes war, weshalb sie lächelte: „Dann solltest du ihr das auch sagen. Ich denke nach so einem Erlebnis wird sie sich sehr darüber freuen. Vor allem, wenn diese Aussage von dir kommt.“ „Meinst du?“ Mirâ nickte und grinste dabei schon fast: „Na sicher.“ Auch auf Dais Gesicht legte sich nun ein Lächeln und er nickte ebenfalls: „Gut. Dann werde ich mit ihr darüber sprechen. Danke dir, Shingetsu. Mir geht es damit schon etwas besser. Also dann. Komm gut nachhause. Wir sehen uns.“ Damit wandte sich der Ältere ab und machte sich auf den Heimweg. Mirâ sah ihm lächelnd nach und hoffte sehr, dass er und Amy sich baldmöglichst ihre Gefühle gestanden. Zwar unternahmen sie mittlerweile viel zusammen, wie ihr die Blonde berichtet hatte, jedoch waren sie nie weiter gegangen. Dabei war eindeutig, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten. Doch wahrscheinlich sollte sie in dieser Beziehung am leisesten sein, denn auch sie schaffte es nicht, demjenigen ihre Gefühle zu gestehen, für den ihr Herz schlug. Seufzend setzte sie sich nun auch Bewegung und machte sich auf den Weg nach Hause; begleitet von dem angenehmen, warmen Glühen in ihrer Brust, dass sie verspürte, seit Dai sich bei ihr bedankt hatte. Kapitel 116: CXVI – Nächtlicher Ausflug --------------------------------------- Donnerstag, 24.September 2015 – Stadtteil Mangetsu-ku Wohnsiedlung – später Abend Auf Zehenspitzen schlich sich der junge Mann mit den rotbraunen, zerzausten Haaren die Treppe hinunter; gut darauf bedacht ja keinen Mucks zu machen und dabei immer seine Umgebung, insbesondere die Türen, im Blick. Bepackt war er mit einem vollgestopften Rucksack, den er sich auf seine zierlichen Schultern geschnallt hatte. Endlich hatte er das Ende der Treppe erreicht und trat auf den vor sich befindlichen Fußboden, welcher jedoch sofort ein leicht knarzendes Geräusch von sich gab. Erschrocken zuckte der Junge zusammen und sah sich augenblicklich um, während er hoffte, dass niemand das Geräusch vernommen hatte. Dabei blieb sein Blick vor allem an der aus Milchglas bestehenden Wohnzimmertür hängen, durch welche das flackernde Licht des Fernsehers, sowie dessen leise Geräusche drangen. Widererwartend erschien niemand in der Tür, weshalb er erleichtert ausatmete und seinen Weg nun vorsichtig fortsetzte. Wenn er Glück hatte war sein Vater wieder einmal vor dem Fernseher eingeschlafen und seine Mutter in eines ihrer Bücher vertieft, sodass sie nicht mitbekommen hatten, wie er sich aus seinem Zimmer geschlichen hatte. Präzise hatte er sich auf den bevorstehenden Ausflug vorbereitet und sogar eine zusammengerollte Decke in sein Bett gelegt, für den Fall, dass seine Eltern auf die Idee kamen in sein Zimmer zu schauen. Natürlich würde er sich beeilen müssen, damit sein Verschwinden nicht auffallen würde, jedoch war er sich sicher, dass er so erst einmal durchkommen würde. Er hatte gerade das Ende des Flures erreicht und wollte in seine Turnschuhe schlüpfen, als plötzlich das Licht in der Küche anging, welche sich unmittelbar in der Nähe des Eingangs befand. Erschrocken drehte er sich um und erkannte einen schmalen Schatten im Türrahmen. „Ryu, wo willst du um diese Zeit noch hin?“, erklang leise eine weibliche Stimme, „Du weißt genau, dass du das Haus um diese Zeit nicht mehr verlassen sollst. Nicht nachdem das alles passiert ist.“ Obwohl die Anspannung in Ryu nicht gänzlich weichen wollte, so war er doch erleichtert, dass es sich bei der Person, die ihn ertappt hatte, um seine Mutter handelte. Sicher, sie ging nicht dazwischen, wenn sein Vater ihn schellte, jedoch war sie wesentlich lockerer als dieser. Letzten Endes gab sie ihm doch immer Recht. Traurig fand er allerdings, dass sie dies nie tat, wenn er mit seinem Vater aneinandergeriet. Trotzdem konnte es in diesem Moment nur von Vorteil sein. „Ähm… mir ist gerade eingefallen, dass ich vergessen habe einiges für das Schulfest zu besorgen, was ich holen sollte. Morgen früh habe ich dafür aber keine Zeit mehr, deshalb wollte ich es jetzt noch schnell holen“, versuchte sich der Brünette an einer Ausrede. „Um diese Uhrzeit?“, fragte die Ältere misstrauisch. „J-ja… es sind Dinge, die ich im Konbini bekomme…“, stotterte Ryu zurecht. Seine Mutter jedoch sah ihn nur eine ganze Weile schweigend an, bevor sie seufzte: „Also gut. Aber trödle nicht herum und pass auf, dass dein Vater nicht mitbekommt, wie du zurückkommst. Ich möchte nämlich auch keinen Ärger. Egal ob es für die Schule ist oder nicht. Er möchte nicht, dass du das Haus so spät noch verlässt.“ „Ich weiß“, murrte Ryu und zog die Schleife an seinem Turnschuh fest, bevor er sich erhob und seiner Mutter ein kleines Lächeln schenkte, „Ich beeile mich. Danke, Mama.“ Leise öffnete er die große Flügeltür und verließ das Haus; genau darauf achtend, die Tür so leise wie möglich ins Schloss fallen zu lassen. Er beeilte sich das Grundstück so schnell wie möglich zu verlassen, aus Angst sein Vater könnte von dem Gespräch etwas mitbekommen haben. Dann wollte er nämlich nicht mehr in der Nähe sein, auch wenn er wusste, dass seine Strafe damit nur aufgeschoben werden würde. Doch kaum hatte er das Tor des Grundstückes erreicht und war hinaus auf die Straße getreten, wurde er bereits wieder aufgehalten. „Wohin des Weges?“, fragte ihn eine ihm bekannte männliche Stimme. Wütend drehte er sich zu der sich ihm nährenden Person und erkannte den dunkelbrünetten Kommissar, welcher ihn erst vor kurzem vor einem anderen Polizisten gerettet hatte, der einige unangenehme Fragen stellen wollte. Auch wenn er dankbar über diese Rettung war, so war Ryu über das Auftauchen dieser Person alles andere als Begeistert. Sein Vater hatte also wirklich intensiv dafür gesorgt, dass er keine Sekunde aus den Augen gelassen wurde. Das könnte wirklich zu einem Problem werden. „Haben Sie um diese Zeit nichts Besseres zu tun, als mich zu überwachsen, Makoto-san?“, fragte er deshalb, während er den Rucksack auf seinen Schultern richtete, „Sie haben doch sicher Familie.“ Der ältere Mann seufzte genervt: „Glaub mir, mir macht das auch keinen Spaß. Es ist ja nichts so, als hätte ich nichts Besseres zu tun, als den Babysitter für dich zu spielen. Aber so lautet nun mal der Befehl von deinem Vater.“ „Kche… ja so egoistisch schätze ich ihn auch ein…“, murmelte der Oberschüler, „Aber Sie brauchen nicht an mir zu kleben, wie eine Klette. Ich habe die Erlaubnis meiner Mutter das Haus zu verlassen. Ich muss noch einige Dinge für das Schulfest besorgen, die ich vergessen habe. Und ehrlich gesagt habe ich keine Lust, Sie die ganze Zeit an mir kleben zu haben.“ „Wenns so einfach wäre…“, kam es von dem Erwachsenen, „Komm, ich bring dich zum Konbini…“ „Danke“, schien der Jüngere sich zu ergeben, doch nahm plötzlich die Beine in die Hand und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon, „Aber nein, danke!“ Perplex sah der Ältere ihm nach und nahm die Verfolgung auf, doch Ryu kannte sich in diesem Viertel besser aus, als in seiner Westentasche. Deshalb dauerte es nicht lange, bis er den Polizisten abgehängt hatte und sich auf den Weg zur U-Bahn machen konnte. Zur Sicherheit zog er die Kapuze seines blauen Pullis über, um nicht so schnell erkannt zu werden. Ein wenig tat ihm die Aktion ja schon leid, immerhin würde der Kommissar mächtigen Ärger bekommen, wenn sein Vater herausbekam, dass Ryu ihm entwischt war. Andererseits musste sein Vater endlich verstehen, dass er keinen Babysitter brauchte. Aber Ryu verstand ihn sowieso nicht. Zum einen wollte sein Vater, dass er seine Probleme in der Schule selber löste, zum anderen ließ er ihn nun überwachen, damit er nicht wieder einfach verschwinden konnte. Sicher, er hatte seinen Eltern vorgelogen, dass er weggelaufen war, aber so richtig glauben wollte ihm sein Vater das nicht. Ob er einfach der Meinung war, dass Ryu es sich nicht trauen würde einfach abzuhauen oder er irgendwie den Braten roch, konnte der Oberschüler nicht einschätzen. Aber er wusste, dass er seinem Vater gegenüber vorsichtig sein musste. Es dauerte nicht lange bis der Brünette das Stadtzentrum und kurz darauf auch das Einkaufszentrum erreicht hatte, welches mittlerweile still dastand. Nur vereinzelt erkannte man noch Licht in den einzelnen Geschäften, welches verhindern sollte, dass jemand einbrach. Ryu jedoch störte sich nicht daran, sondern lief an dem riesigen Gebäude vorbei zu der Stelle, an welcher er vor wenigen Tagen noch die Spiegelwelt gemeinsam mit seinen Senpais verlassen hatte. Angespannt sah er sich um und ging damit sicher, dass auch wirklich niemand mehr da war, der ihn beobachten konnte, bevor er an die verspiegelte Wand herantrat und kurz darauf darin verschwunden war. Spiegelwelt Zur selben Zeit ließ ein Schauer auf Mikas Rücken sie aufschauen. Wieso auch immer, aber sobald jemand die Welt, in der sie lebte, betrat, spürte sie dies sofort. Und genau das war soeben geschehen. Ein Umstand der sie beunruhigte, denn sie hatte mit ihren Freunden nicht ausgemacht, dass sie an diesem Tag hinüberkommen wollten. Zumal sie alle mitten in den Vorbereitungen zum Schulfest steckten, wie sie wusste. Ob es sich dabei um ein weiteres Opfer handelte? Ihr Blick ging nach oben in den Himmel, woraufhin sie feststellte, dass der Mond noch mitten in der abnehmenden Phase war. Die Zeit war also noch gar nicht ran. Was hatte das nur zu bedeuten? Sie drehte sich um, in die Richtung, in welcher das Einkaufszentrum lag. Sollte sie nachsehen? Besorgt blickte sie in den Himmel, bevor sie in den Ärmel ihres Kimonooberteils griff, in welchem sie den Handspiegel verwahrte, den ihr Mirâ geschenkt hatte. Doch sie zögerte noch den kleinen Gegenstand zu öffnen und nach ihrer Freundin zu rufen. Es war bereits spät. Wer wusste schon, ob sie sie überhaupt erreichte. Und was sollte sie sagen, wenn die Violetthaarige fragte, wieso sie sie rief? Der Griff um den kleinen runden Spiegel wurde stärker, während sie krampfhaft überlegte, was sie machen sollte. Doch plötzlich traf sie eine Entscheidung. Schnell steckte sie den Gegenstand in ihrer Hand wieder zurück an seinen Platz, ehe sie sich entschlossen in Bewegung setzte. Es dauerte eine Weile, bis sie am Einkaufszentrum angekommen war. Doch kaum hatte sie den großen Platz erreicht, blieb sie erschrocken stehen und starrte auf die Szene vor sich. Dort befand sich eine Horde von Shadows, welche es auf eine einzelne Person abgesehen hatte. Diese stand, umzingelt von der Masse an Gegnern, mitten auf der Freifläche und wehrte sich mit aller Kraft gegen die unzähligen Angriffe. Als Waffe nutzte er dafür kleine Wurfgeschosse, welche sich zwischen seinen Fingern befanden und die er mit gekonnten Handbewegungen gegen die Shadows feuerte. Mehr konnte das blauhaarige Mädchen jedoch nicht erkennen, da es dafür doch etwas zu dunkel war. Dass es sich bei besagter Person um Ryu handelte, erkannte sie jedoch ziemlich genau. Gewannt sprang der recht schmächtige Junge zur Seite, sobald einer seiner Gegner einen Angriff deklarierte und schaffte es so den meisten der Attacken zu entgehen. Von Vorteil war mit Sicherheit auch, dass es sich bei den Shadows um kleine, meist schwache Wesen handelte, sodass er mit diesen recht gut klarkam. Als die Anzahl jedoch überhand zu nehmen schien, erkannte Mika plötzlich einen leuchtenden Gegenstand in der Hand des jungen Mannes. Kurz darauf bildete sich um ihn eine blaue Aura, aus welcher sich nur einen Augenblick später seine Persona Heh bildete und sogleich einen mächtigen Angriff deklarierte. Am Himmel über dem Getümmel bildete sich plötzlich eine leuchtende Kugel, welche sich so anhörte als würde sie sich mit Energie füllen. Das Geräusch verstummte und genau in diesem Moment explodierte die Kugel mit einem lauten Knall. Um sich vor dem aufkommenden Staub zu schützen hatte die Blauhaarige die Arme vor ihr Gesicht genommen, aber auch so hatte sie leichte Probleme von der Druckwelle nicht von den Beinen gerissen zu werden. Dann kehrte tiefe Stille ein, während ein leichter Windstoß aufkam und so den aufgewirbelten Staub davonfegte. Vorsichtig öffnete Mika die Augen, woraufhin sie Ryu erblickte, der nun vollkommen alleine mitten auf dem leergefegten Platz stand. Überrascht sah er auf sein Smartphone, welches sein Gesicht erleuchtete, und schien vollkommen überrumpelt von der Macht, welche in ihm steckte. Verdenken konnte man es ihm nicht, immerhin hatte er soeben alle seine Gegner mit einem einzigen Schlag weggepustet. „Ryu-kun?“, Mika hatte endlich wieder Gewalt über ihren Körper und hatte sich in die Richtung des Brünetten in Bewegung gesetzt. Erschrocken blickte dieser auf, als er seinen Namen vernahm und starrte das kleine Mädchen einen Moment an. „Alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig, „Das war der Wahnsinn.“ Immer noch gab Ryu keinen Ton von sich und sah die Blauhaarige nur mit großen Augen an, bevor er seine Sprache wiederzufinden schien: „Mika-chan, ist… alles in Ordnung?“ Mika nickte: „Ja. Ich war nur etwas erschrocken. Aber… was machst du hier? Und das auch noch alleine. Hatten Mirâ und die anderen dir nicht gesagt, dass es gefährlich ist, alleine herzukommen?“ „Sagt diejenige, die hier alleine lebt…“, wandte der junge Mann den Blick wieder von ihr ab. Die Kleine seufzte mit einem leichten Lächeln und verschränkte die Arme hinter dem Rücken: „Ich kenne es doch nicht anders. Außerdem lassen mich die meisten Shadows ja in Ruhe.“ Ryu richtete sein Gesicht gen Himmel, doch bedachte sie mit einem Seitenblick: „Trotzdem…“ Das Lächeln von Mika wurde breiter: „Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.“ Eine kurze Pause entstand, in welcher es keiner der beiden wagte seine Position zu ändern, die jedoch letzten Endes von Ryu unterbrochen wurde. Er seufzte plötzlich und nahm den Rucksack von seinem Rücken. In aller Seelenruhe begann er daraufhin diesen auszupacken, woraufhin ein paar recht klein wirkende Turnschuhe, ein T-Shirt und eine sehr große, aber dafür schön warm wirkende Strickjacke zum Vorschein kamen. „Ich wusste deine Größe nicht, hoffe aber, dass dir die Schuhe passen. Meine Cousine ist ungefähr genauso groß wie du. Ich habe mich an ihr orientiert“, murmelte der Braunhaarige ruhig, ohne den Blick von den Gegenständen vor sich zu nehmen. Verwirrt legte Mika den Kopf schief: „Was ist das alles?“ „N-naja… d-deine Sachen wirkten schon so kaputt… u-und du läufst die ganze Zeit barfuß herum… i-ich dachte dir könnte kalt sein. A-also habe ich dir ein paar Sachen zum drüberziehen mitgebracht“, stotterte Ryu, woraufhin ihn die Kleine überrascht ansah und dabei den leichten Rotschimmer auf seinen Wangen bemerkte. Auch ihr Gesicht begann kurz darauf zu glühen, als ihr richtig bewusstwurde, was der Oberschüler ihr gegenüber gerade gesagt hatte. Sie richtete ihren Blick auf die Gegenstände vor sich, um so von ihrer eigenen Scham abzulenken und betrachtete die Mitbringsel. Bei den Turnschuhen handelte sich um einfache Sneaker, wie sie auch Akane trug. Sie griff danach und betrachtete die Schuhe eingängig, welche wie sie schwer erkannte dunkelblau und mit einer weißen Spitze aus Gummi versehen waren, die im abnehmenden Licht des Mondes glänzte. Geschnürt wurden sie mit weißen Schnürsenkeln. „K-keine Sorge… d-die sind nicht gebraucht oder so“, versuchte Ryu die Blauhaarige zu beruhigen, da ihm anscheinend in diesem Moment einfiel, dass es wohl so rüberkommen musste. Ein erneut überraschter Blick traf ihn: „Hast du die… extra für mich gekauft?“ Das Glühen im Gesicht des Oberschülers wurde so intensiv, dass es selbst bei diesem fahlen Licht zu erkennen war. Doch trotzdem nickte er entschlossen, was Mika noch einmal verwundert auf die Mitbringsel schauen ließ, deren vorgebundene Schleifen sie daraufhin vorsichtig öffnete, nur um einen Moment später hineinzuschlüpfen. Ryu beobachtete sie dabei mit seinen großen rehbraunen Augen. Als sie beide Schuhe über die Füße gestreift hatte, stand Mika auf und tippte dann mit den Spitzen kurz auf den Boden, bevor sie einige Runden über den Platz lief. Der Oberschüler mit den rotbraunen Haaren ließ sie dabei keinen einzigen Moment aus den Augen und bemerkte dabei nicht einmal, wie sich unbemerkt ein kleines Lächeln auf seine Lippen schlich, als das kleine Mädchen begann regelrecht über die Freifläche zu hüpfen. „Die sind echt super bequem und passen perfekt“, freute sich die Blauhaarige und blieb kurz darauf erneut neben den restlichen Gegenständen stehen. Dabei blieb ihr Blick an der hellen Strickjacke hängen, deren Farbe sie nicht genau einschätzen konnte. Im Licht des Mondes wirkte sie leicht grünlich, allerdings konnte die Farbe auch täuschen. Sie griff danach und hob die Jacke an, während sie bemerkte, wie weich sich der Stoff zwischen ihren Fingern anfühlte. Auch dieses Mitbringsel begutachtete sie eingängig. Dabei war nicht wirklich schwer zu erkennen, dass diese Jacke definitiv zu groß war. Selbst für Ryu wirkte sie eindeutig zu groß, was die Blauhaarige etwas irritierte. Das Kleidungsstück hatte der junge Mann jedenfalls nicht für sie gekauft. Er hatte so eine genaue Vorstellung von der Größe der Schuhe, dass sich Mika nicht vorstellen konnte, dass er es bei einer Jacke so extrem verpatzen würde. Zumal es sich hierbei eindeutig um eine Männerjacke handelte. Mika hatte nicht wirklich viel Ahnung von Kleidung, wusste jedoch, dass diese unterschiedlich geschnitten war, je nachdem für welches Geschlecht sie waren. Trotzdem knöpfte sie die Jacke vorsichtig auf und zog sie sich über das Kimonooberteil. Dafür musste sie den Spiegel aus dem einen Ärmel nehmen und diese daraufhin um ihre Arme wickeln. Anders wäre sie nicht in das Kleidungsstück gekommen. Wie zu erwarten war ihr die Jacke wirklich viel zu groß und reichte ihr bis kurz über die Knie, sodass ihr türkisblauer Rock gerade so hervorlugte. Auch die Ärmel waren viel zu lang, weshalb sie sich ein wenig wie ein Clown vorkam. Trotzdem fand sie den Stoff der Jacke unglaublich bequem und obwohl sie in dieser Welt noch nie gefroren hatte wurde ihr sogleich viel wärmer. Entschlossen diese Jacke nicht wieder freiwillig auszuziehen krempelte sie die Ärmel so weit hoch, dass ihre kleinen Hände hervorlugten. Es sah damit nicht wirklich besser aus, doch das war Mika egal. Viel mehr freute sie sich über das Geschenk des Oberschülers, weshalb sie sich mit einem breiten Lächeln zu ihm herumdrehte. „Und? Wie findest du es?“, fragte sie. Überrascht sah Ryu sie mit immer noch knallrotem Gesicht an, doch konnte plötzlich ein Lachen nicht mehr verkneifen: „Sie ist dir wirklich viel zu groß…“ Beleidigt blähte die Blauhaarige die Wangen auf, doch ehe sie etwas sagen konnte hatte sich ihr Gegenüber bereits wieder beruhigt. Ein ebenso breites Lächeln, wie ihres kurz zuvor, lag auf seinem Gesicht: „Es steht dir wirklich gut.“ Leicht erschrocken über diese Reaktion zuckte Mika kurz zurück, während sie spürte, wie ihr Herz heftig gegen ihre Brust hämmerte. Ihr Gesicht glich mittlerweile wahrscheinlich wieder einer überreifen Tomate. Erst recht erschrocken war sie, als Ryu sich plötzlich erhob und auf sie zu kam. Kurz war sie zurückgewichen, doch blieb dann verwundert stehen, als dieser den Kragen der Strickjacke fasste, um ihn etwas umzuschlagen und somit zu richten. „Leider hatte ich nichts anderes mehr und es war mir zu peinlich in einen Laden zu gehen, um Mädchensachen zu kaufen. Dann fiel mir ein, dass ich diese Jacke noch im Schrank hängen hatte. Ich habe sie vor einiger Zeit gekauft, weil sie mir gefiel, aber es gab sie nur noch in dieser Größe. Irgendwie hatte ich die Hoffnung irgendwann hineinzuwachsen, aber viel wird bei mir wohl nicht mehr kommen. Deshalb bin ich froh, dass sie dir gefällt“, erklärte er die Jacke betrachtend. Dabei lag ein so sanfter Ausdruck in seinen Augen, dass es Mika für einen Moment die Sprache verschlug. Plötzlich wirkte der Brünette ihr gegenüber so erwachsen, dass es ihr Herz dazu veranlasste nochmal an Frequenz zuzulegen. So standen die beiden eine gefühlte Ewigkeit da und starrten sich an, während kein weiteres Wort über ihre Lippen kam. Eine Situation, welche Mika vollends verwirrte. Sie kannte dieses Gefühlschaos, welches sich in kürzester Zeit in ihr breit gemacht hatte, nicht und irgendwie machte ihr das etwas Angst. Es war nicht so, dass dieses Gefühl unangenehm war. Eigentlich war sogar das Gegenteil der Fall. Doch es brachte sie so durcheinander. Just in diesem Moment schien Ryu ihr Unbehagen zu bemerken und löste sich von ihn, um etwas Abstand zu nehmen. „Entschuldige“, murmelte er seinen Arm vor das Gesicht gelegt, „I-ich wollte nicht, d-dass du dich bedrängt fühlst. I-ich werde mich jetzt wieder auf den Heimweg machen. D-Das Shirt kannst du auch behalten und es unter die Jacke ziehen, wenn du magst.“ Während er seinen Rucksack wieder schulterte, wandte er sich ab und wollte sich gerade auf den Weg zum Ausgang machen, als Mika ihn noch einmal stoppte: „W-warte…“ Abrupt blieb der Brünette stehen, stand jedoch immer noch mit dem Rücken zu ihr. Das jedoch hielt sie nicht davon ab, zu sagen was sie zu sagen hatte: „D-du hast mich nicht bedrängt. I-ich habe nur nicht mit so einer Geste gerechnet. Vielen Dank für die Sachen. Ich werde gut drauf achtgeben. Versprochen!“ Nun sah Ryu doch noch einmal zu dem blauhaarigen Mädchen, welches ihm ein glückliches breites Lächeln schenkte, dass auch ihm ein kleines Lächeln auf das Gesicht zauberte: „Kein Problem. Ich freue mich, dass du glücklich bist. Bitte pass auf dich auf. Wir sehen uns dann zur nächsten Mission wieder.“ Mit diesen Worten hatte er sich endgültig abgewandt und kurz darauf bereits die Spiegelwelt verlassen. Mika sah ihm noch eine ganze Weile nach, selbst dann, als er schon längst nicht mehr zu sehen war. Unbewusst umarmte sie sich selbst und drückte so den weichen Stoff der hellen Strickjacke an sich. Sie wusste nicht wieso, aber seit sie wusste, dass diese ein privates Kleidungsstück von Ryu war, fühlte sie sich noch viel bequemer und wärmer an, als eh schon. Sie dankte dem Brünetten wirklich sehr für diese Geste, mit der sie niemals im Leben gerechnet hatte. Kapitel 117: CXVII – Ehrliche Meinung ------------------------------------- Freitag, 25.September 2015 – Mittagspause Seufzend verließ Mirâ ihren Klassenraum und atmete einmal tief durch. Auch wenn man es ihr in diesem Moment nicht ansah, so war sie erleichtert. Denn obwohl ihnen allen nicht viel Zeit für die Vorbereitungen des Schulfestes blieb, hatte es ihre Klasse trotzdem noch rechtzeitig geschafft ihr Event für dieses vorzubereiten. Es fehlten nur noch einige Kleinigkeiten, die sie jedoch an diesem Nachmittag noch fertigbekommen sollten. Nie hätte sie gedacht, dass der Aufbau des Schulfestes in solch einen Stress ausarten würde. Wie auch? An den letzten Schulen, auf die sie gegangen war, hatten sie immer die übliche vorgegebene Zeit gehabt. Jedoch musste Mirâ auch zugeben, dass dieses Jahr einiges durcheinandergeraten war. Es waren Dinge geschehen, mit denen die Schule nicht gerechnet hatte, als immer wieder plötzlich Schüler verschwanden. Dass die Leitung da andere Probleme hatte, als sich um die Vorbereitungen für das Schulfest oder eine angemessene Klassenfahrt für das zweite Jahre zu kümmern, war irgendwie schon verständlich. Sie fand es zwar schade, dass es keinen richtigen Ausflug gegeben hatte, umso mehr freute sie sich aber auf das Culture Festival. Auch wenn die Zeit knapp war, so war sie sich sicher, dass das Fest ein voller Erfolg werden würde. „Sieh mal da…“, schnappte sie in jenem Moment auf, als zwei Schülerinnen an ihr vorbeiliefen. Überrascht folgte sie den beiden mit ihrem Blick und erkannte kurz darauf Shio, welche soeben aus ihrem Klassenraum getreten war und sich genüsslich streckte. Bevor sie jedoch die Chance hatte zu ihrer Freundin zu gehen, hatten bereits die beiden Mädchen auf die Schwarzhaarige zugesteuert. Allerdings nicht, um mit ihr zu sprechen, wie Mirâ daraufhin feststellen musste. Denn anstatt etwas zu ihr zu sagen, liefen sie kichernd einfach nur an dieser vorbei und das so nah, dass eines der Mädchen Shio direkt anstieß, welche mittlerweile mit dem Rücken zu ihr stand. Überrumpelt von dieser Aktion war sie einige Schritte nach vorn gestolpert, konnte aber verhindern gänzlich umzufallen und sah überrascht zu der Unfallverursacherin. „Hupsa… Sorry Hamasaki…“, meinte diese jedoch nur beiläufig, sodass man sofort merkte, dass sie es nicht ernst meinte. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich grinsend wieder ihrer Freundin zu und ignorierte dabei die Schwarz-Blonde gänzlich. Sofort schrillten bei Mirâ alle Alarmglocken, denn dieses Verhalten wies darauf hin, dass es kein Unfall war. Der Gedanke kam in ihr auf, dass auch ihre Freundin Mioshirô Probleme mit ihren Klassenkameraden haben könnte, wenn auch vielleicht auf etwas anderer Ebene. Aus diesem Grund wollte sie eigentlich sofort zu dieser gehen und sie darauf ansprechen, doch noch ehe sie sich überhaupt in Bewegung setzen konnte, hatte die Schwarzhaarige bereits reagiert. „Hey! Was sollte das?“, sprach sie die Anremplerin direkt an, woraufhin diese abrupt stehen blieb und sie mit großen Augen ansah. „Wieso? Ich habe mich doch entschuldigt. Was willst du?“, kam es nur übertrieben unschuldig von dieser. „Das frage ich dich“, sagte Shio in einem recht ruhigen Ton, obwohl man ihr ansah, dass sie wütend war, „Ist ja nicht das erste Mal, dass du sowas machst. Im Club bringst du auch ständig solche Aktionen. Also, was soll das?“ Ihr Gegenüber schnalzte verächtlich mit der Zunge und verschränkte die Arme vor der Brust: „Meine Güte. Ich weiß nicht was du von mir willst.“ „Das Prinzesschen muss sich anscheinend nur wieder aufspielen“, sagte plötzlich die andere abfällig und sah Shio eindringlich an, „Sobald sie keine Aufmerksamkeit bekommt, wird sie gleich zickig…“ Unangenehme Stille bereitete sich aus, in welcher Mioshirô die beiden nur mit ihren großen violetten Augen anstarrte. Plötzlich jedoch gab es einen lauten Knall, als sie mit der blanken Faust gegen den roten Kasten neben sich schlug, in dem sich ein Löschschlauch befand, und somit alle Anwesenden erschrocken zusammenzucken ließ. „Ah I understand. That‘s the case”, nuschelte sie, während ihr Gesicht mit einem Mal ein diabolisches Grinsen zierte, „Da lang läuft der Hase. Ihr beiden seid sauer, weil ihr letzte Woche tierischen Ärger von unserem Trainer bekommen habt. Außerdem habt ihr mitbekommen, wie er mir für das nächste Jahr einen Stammplatz angeboten hat. Das nervt euch. Right?“ Noch einmal zuckten alle beteiligten erschrocken zusammen, als die Schwarzhaarige erneut gegen den roten Kasten neben sich schlug: „Well, I tell you something. Den Ärger hättet ihr euch wohl ersparen können, wenn ihr das Training nicht ständig wegen irgendwelchem Beauty-Mist schleifen lassen oder gar schwänzen würdet. Dann wäre auch eure Kondition und vor allem euer Spiel besser und ihr müsstet euch nicht profilieren, indem ihr euren Frust an anderen Leuten auslasst. Noch dazu, wenn sie nichts dafürkönnen. Ich bin nicht euer Sandsack, verstanden? Und schon gar nicht, wenn ihr es so hinterfotzig macht.“ Eine kurze Pause folgte, ehe Shio laut wurde: „Wenn ihr ein Problem mit mir habt, dann sagt es mir gefälligst direkt ins Gesicht. Eure Hinterhältigkeit könnt ihr euch sonst wohin stecken. Und bevor ihr andere Leute für ihre Leistungen fertig macht, arbeitet gefälligst vorher an eurer eigenen! Verstanden!?“ Damit wandte sie sich ab und stampfte, die Hände fest zu Fäusten geballt, direkt an Mirâ vorbei in die Sanitärräume. Die Violetthaarige, sowie die beiden Mädchen waren vollkommen perplex und standen wie erstarrt da. Erst als einige Schüler neugierig aus den jeweiligen Klassenräumen lugten, weil sie wissen wollten, woher der Lärm kam, fingen sich die drei wieder. Während die beiden Mitschülerinnen plötzlich anfingen zu fluchen und dann davonstolzierten, drehte sich Mirâ um und betrat ebenfalls die Frauentoilette. Dort fand sie ihre Freundin vor, welche sich auf dem Waschbecken abstützte und einmal richtig tief durchatmete. „Shio? Ist alles in Ordnung?“, fragte Mirâ vorsichtig, um die Schwarzhaarige nicht zu erschrecken. Diese zuckte jedoch trotzdem zusammen und sah sie dann mit großen Augen an, bevor sie registrierte, dass es sich nur um die Violetthaarige handelte. „Du bist es, Mirâ…“, murmelte sie und lächelte dann, „Ja, alles in Ordnung. Mein Herz rast nur gerade wie wild. Ich habe schon lange nicht mehr so frei meine Meinung gesagt. Mein Bruder meinte, das ist hier nicht so üblich, deshalb soll ich mich zurückhalten…“ „Ja, deshalb waren die beiden wohl auch so überrumpelt“, konnte sich die Violetthaarige ein Kichern nicht verkneifen, doch wurde dann wieder ernst, „Stimmt es, dass sie sowas öfters mit dir machen?“ „Erst seit ein oder zwei Wochen. Eigentlich habe ich ja kein Anrecht mehr auf einen Stammplatz, weil ich zu spät dazu gestoßen bin. Aber unser Trainer kam vor einiger Zeit auf mich zu und hat mir einen Stammplatz in Aussicht gestellt. Er mag wohl meinen Stil“, erklärte die Austauschschülerin ruhig, während sie sich dem Waschbecken zuwandte und sich die Hände wusch, „Das hat mich natürlich gefreut. Aber wie du siehst regt das die anderen auf, die schon viel länger im Klub sind. Dabei habe ich diese beiden Weiber in den letzten Monaten vielleicht drei oder viermal beim Training gesehen und wenn der Trainer sie fragte, wo sie die letzten Male waren, dann haben sie irgendwelche Ausreden gefunden. Naru hat mir aber letztens erzählt, dass sie sie während der Klubzeiten in der Nähe des Einkaufszentrums gesehen hatte. Solche Weiber sind echt nervig. Das lag mir schon eine ganze Weile auf der Seele. Bin echt froh, es los zu sein.“ „Ich finde es wirklich toll, dass du den Mut aufgebracht hast offen deine Meinung zu sagen. Wir Japaner fressen lieber alles in uns hinein, aus Höflichkeit, weil wir niemandem auf den Schlips treten wollen“, sagte Mirâ, „Das kann wirklich belastend sein.“ Ihre schwarzhaarige Freundin war unterdessen fertig mit Händewaschen und trocknete sich die Hände ab, während sie lächelnd auf die Gleichaltrige zukam: „Ja ich weiß. Ich wurde aber so erzogen, dass ich offen meine Meinung sage, wenn mir etwas gegen den Strich geht. Ich versuche mich anzupassen, aber irgendwann reicht es auch mal. Ich finde es ist auch nichts Schlimmes dabei, anderen seine Meinung zu sagen. Die Gesellschaft muss sowas aushalten können. Es hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun.“ Sie legte ihrer violetthaarigen Freundin die Hand auf die Schulter und lächelte breit: „Aber ich danke dir, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast. Das hat mich gefreut. Wir sehen uns später.“ Kurz darauf war Mirâ alleine in den Räumlichkeiten, während sie über die Worte der Tennisspielerin nachdachte und dabei eine angenehme Wärme in ihrer Brust verspürte. Später Nachmittag Sich genüsslich streckend verließ Mirâ das Schulgebäude und wandte sich dann noch einmal dem großen, bunten Bild zu, welches über dem überdachten Eingangsbereich aufgehängt wurde. Endlich waren die Vorbereitungen für das Culture Festival vollständig abgeschlossen. Der nächste Tag konnte also getrost kommen. Vorfreude stieg in ihr auf. Ja, sie konnte nicht leugnen, dass sie sich auf morgen freute. Vor allem, da sie diesen Tag gemeinsam mit ihren Freunden verbringen würde. Sie hatten sich vorgenommen, so viel wie möglich zusammen zu machen, sofern es ihre Zeit zuließ. Es war klar, dass sie nicht alles schaffen würden, doch die gemeinsame Zeit war ihnen wichtig. Mirâ lächelte und wandte sich von dem bunten Schild über ihr ab. Dabei fiel ihr Blick auf zwei Personen, welche etwas entfernt von ihr unter einem der Bäume standen und bei denen es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelte. Besonders auffallend war ihr enormer Größenunterschied, bei dem die junge Frau ihrem Gegenüber gerade mal bis knapp an die Brust reichte und damit schon beinahe wie eine Grundschülerin wirkte. Es fiel der Violetthaarigen schwer ein kleines Schmunzeln zu unterdrücken, denn das Bild vor ihr war einfach nur zu niedlich. Bei den beiden Anwesenden handelte es sich um ihre Freundin Megumi und Hiroshis Kumpel Naoto. Da es so wirkte als würden sie etwas Wichtiges besprechen, wollte die Violetthaarige nicht stören, weshalb sie sich vornahm ohne weiteres Aufsehen an ihnen vorbei zu gehen. Doch kaum war sie ungefähr auf ihrer Höhe verabschiedete sich Naoto auch schon von der Brünetten. „Also dann, Yoshiko-chan. Ich freu mich auf morgen“, rief er und lief dann mit einem kurzen Nicken an Mirâ gerichtet an dieser vorbei. Die Schülerin sah ihm kurz nach, bis er aus dem Schultor verschwunden war und wandte sich dann an Megumi, die dem Älteren ebenfalls einen Blick hinterherwarf und dabei einen leichten Rotschimmer auf den Wangen hatte. Dann jedoch schien sie ihre Senpai zu bemerken und senkte etwas beschämt den Blick. „Entschuldige Megumi-chan. Ich wollte euch nicht stören. Eigentlich wollte ich so unauffällig wie möglich an euch vorbei“, entschuldigte die Violetthaarige mit einem kleinen Lächeln. Die Jüngere jedoch schüttelte nur den Kopf und nestelte mit ihren Fingern herum: „Nein schon gut. Obata-senpai musste sowieso zur Arbeit.“ „Wollt ihr morgen zusammen über das Fest spazieren?“, fragte Mirâ frei heraus, woraufhin die Brünette sie mit großen grünen Augen und hochrotem Gesicht ansah. Plötzlich jedoch schüttelte sie wieder den Kopf, jedoch heftiger als noch zuvor: „N-nein… S-senpai hat mich gebeten m-morgen z-zum Fußballspiel z-zu kommen und ihm zu-zuzusehen.“ Ein Grinsen legte sich auf die Lippen der Älteren: „Und? Gehst du hin?“ Bildlich gesprochen explodierte über dem Kopf der Jüngeren eine kleine Dampfwolke. Sie wandte den Blick gen Boden und nestelte weiter mit ihren Fingern. Man sah ihr sofort an, dass ihr diese Situation alles andere als angenehm war, weshalb Mirâ nur ein leichtes Lächeln aufsetzte und auf die Kleine zuging. Sanft legte sie ihr die Hand auf die Schulter und zwang sie so sie wieder anzusehen. „Schon okay Megumi-chan“, lächelte die Ältere, „Wollen wir ein Stück zusammen gehen?“ Die Jüngere nickte und so machten sich die beiden Mädchen gemeinsam auf den Heimweg. Dabei nutzte die Violetthaarige die Gelegenheit nachzuhaken, woher sich Megumi und Naoto überhaupt kannten. Sicher, Zufälle gab es immer wieder. Aber alleine anhand der Reaktion der Brünetten konnte man erkennen, dass sie den Größeren niemals von sich aus angesprochen hätte. Überrascht hatte diese Mirâ kurz angesehen und dann wieder mit ihren Fingern herumgespielt, ehe sie doch begann zu erzählen, wie es zu ihrer Bekanntschaft mit Naoto kam. So erfuhr Mirâ, dass der Brünette ebenso auf Anime und Manga stand, wie die jüngere Schülerin und dass sie sich zufällig am Fluss getroffen hatten, wo er mitbekam, wie sie an einem Bild arbeitete. „Anfangs hab ich noch gedacht, dass mich Obata-senpai nur ärgern möchte, aber er hat wirklich nicht locker gelassen“, lachte die Brünette fröhlich, während ihre Anspannung immer mehr wich, „Ah! Wusstest du, dass er Saxophon spielt? Senpai ist auch im Orchester und wird am Sonntagnachmittag mit diesem eine Vorstellung geben. Ich freu mich schon drauf. Er kann das echt super. Manchmal spielt er auch bekannte Anime-Songs.“ Lächelnd beobachtete die Ältere ihre Kohai, wie diese von dem Brünetten schwärmte und freute sich darüber, dass Megumi sich so gut mit ihm verstand. „Senpai ist schon toll…“, murmelte diese mit vor den Mund gelegten Händen und wurde plötzlich etwas wehmütig, „Aber mehr als eine Freundschaft sollte ich mir wohl nicht erhoffen.“ Überrascht sah Mirâ sie an: „Wie kommst du darauf?“ Megumi senkte den Blick: „Naja… wieso sollte ein so toller Junge wie Senpai Interesse an einem Mauerblümchen wie mir haben? Es gibt andere Mädchen, die viel besser zu ihm passen. Die viel hübscher sind und vor allem mehr Selbstvertrauen haben.“ „So ein Unsinn, Megumi-chan“, holte sich die Violetthaarige die Aufmerksamkeit der kleineren Schülerin, „Hör auf dich so unter den Scheffel zu stellen. Du bist doch in Obata-kun verliebt. Hab ich Recht? Dann häng dich rein. Zeig ihm, dass du gerne in seiner Nähe bist.“ „Wenn das so einfach wäre…“, murmelte Megumi, während sie ihren Rock umklammerte und dabei über die Worte ihrer Senpai nachdachte. Vielleicht stellte sie sich wirklich viel zu sehr unter den Scheffel und nahm sich zu sehr zurück. Dabei wollte sie Naoto ja eigentlich wirklich zeigen, dass sie gerne mehr Zeit mit ihm verbringen würde. Doch bisher hatte sie einfach nicht den Mut dazu gehabt ihn zu fragen. Das gemeinsame „Date“, wenn man es denn so nennen konnte, vor einiger Zeit war auch von ihm ausgegangen, weil er ihr angeboten hatte sie zu begleiten. Wenn sie wirklich öfters etwas mit ihm unternehmen wollte, dann musste sie den Mut aufbringen ihn direkt danach zu fragen. Doch sie wusste auch, wie schwer das für sie werden würde. Trotzdem… Sie löste den Griff an ihrem Rock und sah Mirâ mit festem Blick an: „Senpai, ich denke du hast Recht. Ich möchte stärker werden. Nicht nur in der Spiegelwelt, sondern auch hier. Und dann möchte ich Senpai fest entgegentreten und ihm sagen, was ich für ihn empfinde. Ich weiß, dass es ein schwerer und steiniger Weg wird, aber trotzdem. Deshalb bitte ich dich mir dabei zu helfen stärker zu werden.“ Überrascht sah die Zweitklässlerin ihre Freundin an und grinste einen Moment später: „Sicher! Du kannst auf mich zählen, Megumi-chan.“ „Vielen Dank, Mirâ-senpai“, freute sich die Jüngere. Ein liebevolles Lächeln legte sich auf Mirâs Gesichtszüge, während sie in ihrer Brust erneut das warme Glühen verspürte, welches ihr verriet, dass sie Megumi wieder etwas nähergekommen war. So liefen die beiden Oberschülerinnen noch ein ganzes Stück nebeneinander her, bis sich Megumi von Mirâ verabschiedete, da sie in der Innenstadt noch ein paar Besorgungen erledigen wollte. Einen Moment lang sah die Ältere ihrer Kohai hinterher und wünschte ihr gedanklich Glück bei ihrem Unterfangen in Bezug auf Naoto. Mit einem kleinen Lächeln im Gesicht wandte sie sich daraufhin ab und machte sich auf den Weg nach Hause. Kapitel 118: CXVIII – Culture Festival - Part I ----------------------------------------------- Samstag, 26.September 2015 – Schulfest 1. Tag Lauter Jubel schallte quer über das Gelände der Jûgôya High School, auf welches nach und nach immer mehr Menschen strömten. Der große Platz vor dem Schulgebäude war übersäht mit verschiedenen Ständen, welche zum Essen oder Verweilen einluden, während Schüler die herannahenden Gäste mit ihren Spezialitäten oder Events zu sich riefen. Ein leichter Wind kam auf und trug erneut lauten Jubel herüber, welcher jedoch durch das Schulgebäude etwas gedämpft wurde. „Was ist das für ein Jubel?“, fragte ein kleiner Junge einen der Oberschüler, welcher gerade ein paar Okonomiyaki für diesen zubereitete. „Ah, das kommt von dem Fußballspiel, was gerade stattfindet. Unser Club hat die Uni-Mannschaft um ein Freundschaftsspiel gebeten“, erklärte dieser und reichte das fertige Essen weiter. „Papa, das will ich sehen“, rief der Junge aus und zog seinen Vater, welcher neben ihm stand, mit sich. Währenddessen befand sich der Fußballclub der Jûgôya High School mitten in einem Spiel, welches sie sich anders vorgestellt hatten, als es nun wirklich ablief. „Herzlich Willkommen allen Gästen des Culture Festivals der Jûgôya High School beim Freundschaftsspiel unserer Mannschaft gegen die Studenten der Jûgôya University“, schallte es aus den Lautsprechern, die um den großen Fußballplatz verteil angebracht waren, „Wir befinden uns mitten in der ersten Halbzeit und bisher konnte unser Fußballclub noch keinen Stich gegen die Unimannschaft sehen. Jegliche Versuche durch die Verteidigung der Gegner zu kommen, wurden zum Großteil bereits an der Mittellinie vereitelt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es bereits 0:2 für die Gegner steht. Doch bleiben wir gespannt, wie es weitergeht. Vielleicht hat unser Trainer ja noch ein Ass im Ärmel…“ „Das dumme Gelaber kann sich der Mediaclub wirklich sparen…“, schimpfte Hiroshi hechelnd, während er erneut zurück in die eigene Hälfte laufen musste, weil einer seiner Senpais aus der Uni ihm den Ball geklaut hatte. „Hör auf zu Meckern und lauf lieber!“, rief ihm Naoto zu, welcher an ihm vorbeikam. „Jetzt seid doch nicht so genervt. Ist doch nur ein Spiel“, grinste Shuya und stürmte ebenfalls an den beiden vorbei, direkt auf den Spieler zu, welcher aktuell in Ballbesitz war. In diesem Moment sah er seine Chance und setzte zu einer Grätsche an, mit welcher er den Ball zurückerobern konnte. Erschrocken sah ihm der ältere Spieler hinterher, während sich der Blau-Violetthaarige grinsend wieder zum Angriff aufmachte und nach vorne stürmte. Hiroshi und Naoto folgten ihm. „Oh Nagase hat den Ball zurückerobern können und stürmt nun schnurstracks zurück in die generische Hälfte. Doch die Verteidiger stellen sich ihm wieder in den Weg. Wird er es dieses Mal schaffen bis zum Tor vorzustoßen?“, schallte es erneut aus den Lautsprechern. Shuya ignorierte die Ansage gekonnt und konzentrierte sich vollkommen auf seine Aufgabe. Vor sich hatte er zwei Verteidiger, die direkt auf ihn zugelaufen kamen, während er im Augenwinkel sah, wie Hiroshi von hinten zu ihm aufholte. „Hiro!“, rief er und spielte den Ball genau zu seinem blonden Kumpel. Dieser musste zwar noch einen Zahn zulegen, doch schaffte es den Pass anzunehmen und weiter nach vorne zu stürmen. Doch auch ihm wollten es die Studenten nicht einfach machen, weshalb es nicht lange dauert bis auch er vor sich einen Spieler hatte. Mit seinen Augen suchte er das Spielfeld ab. Er sah zu Shuya, der versuchte sich von den beiden Verteidigern zu trennen, es allerdings nicht wirklich schaffte. Er war aktuell also keine wirkliche Anspieloption. Zu seiner Linken bemerkte er eine Bewegung und erkannte kurz drauf, wie Naoto angerannt kam. Noch war er frei, weshalb Hiroshi diese Chance nutzte und abgab. Mit einem Satz nahm der Brünette den Ball entgegen und bemerkte, wie Shuya es mittlerweile geschafft hatte sich von seinen Verfolgern zu lösen. „Shuyan!“, rief er und passte zu diesem hinüber. „Da ist die Chance! Los Nagase!“, rief der Kommentator. Grinsend stürmte der Blau-violetthaarige auf den Ball zu und nahm ihn entgegen, nur um ihn einen Moment später direkt auf das Tor zu schießen. Dann war es für einen Moment sehr still, während der Ball durch die Luft flog und der Torwart bereits zu einem Sprung ansetzte. Plötzlich gab es einen lauten metallenen Klang und der Ball flog einmal über das Tor hinweg ins Aus. „EH!?“, kam es nur vollkommen überrascht von dem Schützen, „NEIN VERDAMMT!“ „Oh nein! Der ging nur an die Latte. So ein Pech aber auch“, ertönte ein Kommentar vom Mediaclub. „Nein. Das war die erste Chance und mein erster Schuss aufs Tor. Urgh verdammt!“, schimpfte der junge Mann vor sich hin und wirkte so, als würde die Welt untergehen. Hiroshi legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter: „Ganz ruhig. Das war ein guter Schuss. Sowas passiert.“ Shuya jedoch sah ihn nur verzweifelt an: „Du hast ja keine Ahnung, Hiro. Ich bin verloren.“ Vollkommen irritiert legte der Blonde den Kopf schief, weil er keinen blassen Schimmer hatte, was sein Kumpel damit meinte. Nur weil er den Schuss aufs Tor vergeigt hatte, ging doch nicht gleich die Welt unter. Zumal es sich hierbei nur um ein Freundschaftsspiel handelte und nicht die Schulmeisterschaft. Weitere Gedanken darüber konnte er sich allerdings nicht machen, da der Schiri sie zum Weiterspielen antrieb. So musste er sich wohl oder übel bis nach der ersten Hälfte gedulden, um seinen Kumpel zu fragen, was eigentlich los war. „Was war das denn?“, fragte Akane seufzend, während sie auf einer Anhöhe im Gras saß und das Spiel beobachtete. Neben sich bemerkte sie eine Bewegung und wandte den Blick nach oben, wo sie Mirâ erkannte, die sich neben ihr nieder ließ: „Wie sieht es aus?“ „Nicht gut. Sind am Verlieren“, murmelte die Brünette und sah wieder zum Spielfeld hinunter, „Sie haben zwar noch eine Halbzeit, aber wenn sie weiter so machen, werden sie fertig gemacht.“ Auch die Violetthaarige sah nun hinunter zum Spiel und beobachtete in diesem Moment, wie Hiroshi erneut der Ball vom Fuß geklaut wurde und er wieder zurücklaufen musste. Er rief seinen Teamkameraden etwas zu und versuchte das runde Leder erneut zurückzuerobern, allerdings mit wenig Erfolg. Ein kleines Lächeln legte sich auf Mirâs Lippen, als sie ihren blonden Kumpel so beobachtete. Obwohl er leicht gestresst wirkte, schien er Spaß zu haben. Ein leiser Seufzer entwich ihr, als ihr Bewusst wurde, dass sie gleich wieder gehen musste. Weder hatte sie den Beginn des Spieles gesehen, noch konnte sie bis zum Schluss bleiben, da sie von ihrer Klasse am Vormittag zum Dienst eingeteilt worden war. Sie hatte jetzt ihr kurze Pause genutzt, um mal schnell zum Fußballfeld hinüber zu gehen und zu schauen, wie sich die Jungs so machten. Dabei hätte sie ihrem Kumpel gern bis zum Schluss zugesehen. So in Gedanken versunken, bemerkte sie nicht einmal, dass sie aus dem Augenwinkel von Akane beobachtet wurde. „Wenn du möchtest übernehme ich den Rest deiner Schicht“, sagte diese plötzlich und sah wieder hinunter zum Spiel. Überrascht wandte sich Mirâ ihrer Freundin zu: „Eh!?“ „Naja, du möchtest doch sicher bis zum Schluss bleiben. Oder?“, meinte die Brünette ruhig, ohne den Blick wieder auf sie zu richten. „Ähm ja schon, aber…“, weiter kam die Violetthaarige nicht, denn plötzlich sprang Akane jubelnd auf und ließ sie etwas zurückschrecken. Kurz darauf schallte erneut lauter Jubel über das Feld, was Mirâ dazu veranlasste wieder auf das Geschehen zu schauen und zu beobachten, wie sich die Spieler der High School um den Hals fielen. „Und da war es endlich, das erste Tor für die Jûgôya High School“, schallte es über den Platz zu ihr hinüber, „Gerade noch rechtzeitig vor dem Abpfiff der ersten Halbzeit hat es Nagase geschafft ein Tor zu erzielen. Können unsere Fußballcracks es noch schaffen aufzuholen oder gar zu gewinnen? Es bleibt spannend. Mit einem Ergebnis von 1:2 für die University gehen wir in die Halbzeitpause. Bis später.“ Lächelnd beobachtete Mirâ, wie Hiroshi seinem Kumpel über den Kopf wuschelte und dann gemeinsam mit seinen Teamkameraden das Feld verließ. Auch sie erhob sich nun wieder und kassierte dadurch einen fragenden Blick ihrer Freundin. „Danke für das Angebot, Akane. Aber ich wurde nun mal jetzt eingeteilt. Das lässt sich nicht ändern“, meinte sie anschließend, „Wir wollen uns ja dann eh zum Mittagessen mit den anderen treffen. Nicht wahr?“ Ihre Freundin nickte und setzte ein Lächeln auf: „Na gut, wie du meinst. Ich erzähl dir nachher, wie das Spiel ausging.“ „Danke. Bis später“, damit hatte sich Mirâ abgewandt und war zurück zum Schulgebäude gegangen, während ihre Freundin ihr nachblickte. Erschöpft und mit einem Handtuch um den Hals gelegt ließ sich Hiroshi auf die Spielerbank sinken und griff nach seiner Wasserflasche, die kurz zuvor von der Managerin des Teams bereitgestellt wurde. Mit einem kräftigen Zug nahm er einen Schluck aus dem schwarzen Gefäß, bevor er sich mit dem Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischte. „Die von der Uni sind echt stark. Was?“, setzte sich Naoto neben ihn. „Was anderes hab ich von unseren Senpais nicht erwartet…“, murmelte Hiroshi, „Aber dass sie uns so auseinander nehmen… ich bin jetzt schon fertig.“ „Sie sind uns einige Schritte voraus“, lehnte sich der Brünette zurück, „Das nervt schon… Wenn wir nicht noch ne Schippe drauflegen sehen wir keinen Stich mehr. Aber sag mal. Weißt du, was vorhin mit Shuya los war?“ „Keinen Plan. Wo ist er überhaupt?“, der Blonde hob den Kopf und schaute sich um, konnte seinen anderen besten Kumpel aber nirgends entdecken. Sein Kumpel zuckte nur mit den Schultern: „Er ist plötzlich davon gestürmt. Nachher wird er sicher Ärger vom Trainer bekommen deshalb…“ Hiroshi seufzte und ließ seinen Blick kurz über das Gelände schweifen. Auf einer der Anhöhen, von welchen das Spielfeld umgeben war, erkannte er Akane, welche ihm grinsend zuwinkte. Er lächelte leicht, doch seufzte dann, als ihm bewusstwurde, dass Mirâ bereits wieder gegangen war. Kurz vor dem Abpfiff, nachdem Shuya sein Tor geschossen hatte, war er sich eigentlich sicher gewesen, sie noch bei seiner Kindheitsfreundin gesehen zu haben. Er hätte sich wirklich gefreut, wenn sie ihm bis zum Schluss zugesehen hätte. Allerdings wusste er auch, dass sie für den Dienst um diese Zeit eingeteilt worden war und wohl nur ihre kurze Pause verwendet hatte, um vorbeizuschauen. Trotzdem fand er es schade, aber ändern konnte er es nicht. Er seufzte wieder und schüttelte leicht den Kopf, bevor er sich an Naoto wandte und dabei bemerkte, dass auch dieser sich umsah. Jedoch wirkte er so, als suche er gezielt jemanden – und dieser jemand war mit Sicherheit nicht Shuya. „Alles okay, Nao?“, fragte Hiroshi nach, „Suchst du wen?“ „Ah!“, kam es just in diesem Moment von dem Brünetten, welcher plötzlich jemandem zuwinkte. Irritiert über diese Aktion, sah der Blonde an seinem Kumpel vorbei und erblickte kurz darauf Megumi, die kurz etwas irritiert wirkte und dann schüchtern zurückwinkte. Etwas verwirrt sah der blonde Oberschüler erst zu seiner Teamkameradin und dann zu Nao, der das nicht einmal mitbekam. Obwohl auch andere Mädchen dem jungen Mann zuwinkten, welche in der Nähe der Brünetten standen und wohl vermuteten, dass Naoto sie meinte, so war Hiroshi in diesem Moment vollkommen klar, dass Megumi gemeint war. Nicht, dass es ihn wirklich extrem irritieren würde, aber es überraschte ihn schon, dass sich die beiden zu kennen schienen. Vor allem nachdem er wusste, dass die Jüngere zu den schüchternen Menschen zählte. Diese schien ihn nun auch zu bemerken und lächelte plötzlich etwas beschämt, während sie die Hände hinter dem Rücken versteckte. Selbst aus der Entfernung konnte der Blonde erkennen, wie rot sie angelaufen war. Auch Nao bemerkte das Verhalten der Kleinen und sah nun irritiert zu seinem blonden Kumpel, welcher ihn nur angrinste. „Sag mal, läuft da was zwischen dir und Megumi-chan?“, fragte Hiroshi nur. Erschrocken zuckte der Brünette zurück und lief ebenfalls etwas rot an: „A-also nicht, was du denkst. Wir verstehen uns recht gut, würde ich sagen…“ „He?“, kam es langgezogen von dem Blonden, dessen Grinsen immer breiter wurde und der ihm plötzlich mit der Hand auf die Schulter klopfte, „Dann viel Erfolg.“ „Lass den Mist…“, nuschelte Nao nur genervt. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen und er setzte zu einem erneuten Satz an, wurde jedoch unterbrochen als Shuya wieder an sie herantrat und fragte, worum es ginge. Nur beiläufig bekam Naoto dabei mit, wie Hiroshi dem Blau-Violetthaarigen die Lage erklärte und spürte dann erneut ein Klopfen auf seiner Schulter, welches dieses Mal von dem Älteren kam. „Kommt sie jetzt eigentlich besser zurecht in ihrer Klasse?“, fragte dieser jedoch plötzlich an den Blonden gerichtet. Überrascht sah Naoto auf und wollte nachfragen, was gemeint war, wurde jedoch wieder unterbrochen, als der Trainer an die drei Jungs herantrat und Shuya einen Klapps auf den Hinterkopf verpasste. Erschrocken war dieser zusammengezuckt und musste sich dann eine gewaltige Standpauke anhören, wieso er einfach nach dem Abpfiff verschwunden war. Naoto beobachtete, wie sein Kumpel mit dem Erwachsenen diskutierte, bis ein lauter Ton über den Platz schallte und damit ankündigte, dass die zweite Halbzeit begann. Mit einem letzten Blick zu der Brünetten, welche am Spielfeldrand stand, erhob sich der junge Mann und streckte sich kurz. Das musste also bis zum Ende des Spiels warten. Vielleicht machte er sich aber auch einfach zu viele Gedanken darüber. Trotzdem würde er Hiroshi nach dem Spiel dazu befragen. Doch nun musste er sich erst einmal auf die zweite Halbzeit konzentrieren. Ein Pfiff vom Schiri war zu hören, bevor ihr Trainer ihnen noch einmal letzte Instruktionen gab und sie dann wieder das Spielfeld betraten. In der Mittagspause trafen sich Mirâ und ihre Freunde vor dem Schulgebäude, wo die meisten Lebensmittelstände aufgebaut waren, um dort gemeinsam Pause zu machen. Sie alle hatten es einrichten können am Mittag frei zu bekommen, sodass sie die Zeit zusammen verbringen konnte. Mit verschiedenen Leckereien bewaffnet hatten sie sich kurz darauf unter einen der Bäume gesetzt, welche sich verteilt auf dem Hof befanden. „Ich hab gehört ihr habt euch ganz schön fertig machen lassen“, bemerkte Kuraiko und ließ Hiroshi betroffen zusammenzucken. Genervt schnalzte er mit der Zunge und wandte den Blick ab: „Erinnere mich nicht daran…“ Er wollte nicht darüber sprechen, denn obwohl sie letzten Endes noch ein Tor geschossen hatten, war dies nur Ergebnismakulatur gewesen. Zum Schluss war das Spiel 2:5 für die Studenten ausgegangen, was ihn tierisch anstank. Auch die Tatsache, dass einer seiner ehemaligen Senpais ihm trotzdem versichert hatte, dass sie gut gespielt hatten, änderte nichts daran. Noch mehr ärgerte ihn jedoch, dass die Idee zu diesem Freundschaftsspiel von ihm kam. Zu dem Zeitpunkt war er jedoch auch der Auffassung, dass das Fußballteam gut genug war, um gegen ehemalige Mitglieder des Klubs bestehen zu können. Zu seinem Bedauern wurde er dabei eines Besseren belehrt. „I-ich finde ihr habt trotzdem gut gespielt, Senpai“, brachte Megumi ein und ließ den Älteren kurz zu ihr aufschauen. Er seufzte: „Das ist lieb von dir Megumi-chan. Aber eigentlich haben wir uns ganz schön blamiert.“ „Das ist ja nichts Neues“, murmelte Kuraiko und kassierte daraufhin einen wütenden Blick des Blonden, den sie jedoch gekonnt ignorierte. „Nun übertreib es nicht. Ich habe von einigen Besuchern gehört, dass sie von eurem Spiel sehr begeistert waren“, mischte sich Masaru ein, bevor das Gespräch wieder in einem Streit endete, „Die Spieler der Uni sind älter und haben auch viel mehr Erfahrung, als ihr. Ist doch klar, dass sie besser abschneiden. Es bringt nichts sich darüber zu ärgern. Ihr habt unsere Schule gut repräsentiert. Außerdem ist ja nicht das Ergebnis eines Freundschaftsspiels ausschlaggebend, sondern das Ergebnis in der Schullandesliga. Oder irre ich mich da? Und da steht ihr doch ganz gut da.“ Überrascht sah Hiroshi den Schwarzhaarigen an und wuschelte sich dann etwas peinlich berührt durch das blondierte Haar: „Du hast ja recht, Senpai…“ „Also alles gut. Nicht wahr Hiroshi?“, klopfte ihm seine Sandkastenfreundin grinsend auf die Schulter. Leider legte sie dabei etwas zu viel Kraft hinein, sodass der überraschte junge Mann kurzer Hand vorne überkippte und es gerade so schaffte, sich noch zu fangen, bevor er mit dem Gesicht im Gras landete. Sofort beschwerte er sich bei der Brünetten, welche sich nur lächelnd bei ihm entschuldigte und versuchte ihn mit einigen Snacks gnädig zu stimmen. Mirâ beobachtete die beiden mit einem kleinen Lächeln und ärgerte sich erneut darüber, dass sie das Spiel nicht bis zum Schluss sehen konnte. Gerne hätte sie Hiroshi auch ein paar aufmunternde Worte geschenkt, doch da sie die Partie nicht wirklich gesehen hatte, wusste sie nicht was sie sagen sollte. Das beschäftigte sie, zumal sie ihrem Kumpel sofort angesehen hatte, dass sie verloren hatten. Direkt nach dem Spiel war er zurück in die Klasse gekommen, um seine Schicht anzutreten. Doch sein finsterer Gesichtsausdruck sorgte dafür, dass er relativ schnell hinter die Kulissen geschickt wurde, um die Gäste nicht zu verschrecken. „Was war eigentlich mit Nagase-senpai los nachdem er das erste Tor vergeigt hatte? Er sah so aus, als würde die Welt unter gehen“, fragte plötzlich Ryu und ließ die Violetthaarige aus ihren Gedanken schrecken. Der Fußballer jedoch zuckte nur mit den Schultern: „Ich habe keine Ahnung. Ehrlich nicht. Als ich ihn nach dem Spiel gefragt habe, meinte er nur, dass ich ihn nicht fragen solle. Während des Spiels meinte er sogar, es wäre sein Ende. Auch Nao hat nichts aus ihm herausbekommen und bevor wir näher drauf eingehen konnten, hatte er sich schon wieder aus dem Staub gemacht.“ „Hmpf“, kam es wieder von Kuraiko, „Wahrscheinlich hat er nur wieder rumgesponnen und maßlos übertrieben. Das kann der Idiot ja wirklich gut.“ „Ernsthaft… ich frage mich wirklich, was Shuyan an einer Zicke wie dir findet. Eigentlich kann er einem nur leidtun…“, nuschelte Hiroshi und erntete dafür einen vernichtenden Blick. „Ich habe ihn nicht darum gebeten. Klar? Er kann mir gerne gestohlen bleiben“, sagte die Schwarzhaarige genervt und schob sich eines ihrer Tako-yaki in den Mund. Mit einem mitfühlenden Lächeln beobachtete Mirâ ihre beiden Freunde, welche das Thema anscheinend für beendet erklärten. Während Kuraiko schweigend ihr Mittagessen verspeiste, seufzte Hiroshi nur und beließ es dabei. Ein wenig tat ihr Shuya jedoch wirklich leid. Man merkte dem jungen Mann an, dass er die Schwarzhaarige wirklich gern mochte, auch wenn er eine ziemlich aufdringliche Art hatte das zu zeigen. Jedoch konnte sich die Violetthaarige nicht vorstellen, dass ihre Freundin gar nichts für den Älteren empfand. Sie tat zwar immer so, als würde es sie nerven, wenn er ihr näher kam, doch andererseits ließ sie ihn ja trotzdem relativ nah an sich heran. Jeden anderen hätte sie wahrscheinlich schon längst in die Hölle geschickt, aber bei Shuya sah das anders aus. Außerdem war Mirâ nicht entgangen, dass die Schwarzhaarige erst recht genervt war, wenn andere Mädchen den jungen Mann umzingelten. Zumal sie schon einmal erwähnt hatte, dass sie es nicht leiden könne, wie andere Mädchen ihn umschwärmten. Dieses Gefühl konnte sie nur zu gut selbst nachvollziehen. Ihr Blick ging zu Hiroshi und Masaru, welche nebeneinandersaßen und in ein Gespräch vertieft waren. Obwohl es bei ihr ja doch etwas anders war… „Lasst uns nach dem Essen noch durch die Schule streifen und schauen, was die anderen Klassen so machen“, schlug Akane vor und riss sie somit aus ihren Gedanken. Ryu schien von der Idee begeistert: „Ja gern. Masaru-senpai, stimmt es, dass deine Klasse ein Gruselkabinett macht?“ Erschrocken zuckte das ältere brünette Mädchen neben ihm zusammen und ahnte bereits, worauf das hinauslaufen würde. Bestätigt wurde ihre Vermutung, als sie Masarus finsteres Grinsen erblickte, welches er als Antwort auf Ryus Frage aufgesetzt hatte und das sogar Hiroshi zurückschrecken ließ. Sofort sah Mirâ ihrer besten Freundin an, dass sie ihren Vorschlag durch die anderen Klassen zu spazieren mit einem Mal bereute. Trotzdem beobachtete sie, wie die Brünette ihre Angst versuchte herunterzuschlucken und nun selbst in die Runde warf, dort einmal vorbeizuschauen. Natürlich hatte die Violetthaarige Respekt dafür übrig, dass Akane sich anscheinend ihrer Angst stellen wollte, trotzdem hatte sie zugleich auch das Gefühl, dass dies nicht gut enden würde. Kapitel 119: CXIX – Culture Festival – Part II ---------------------------------------------- Samstag, 26.September 2015 – Schulfest 1. Tag Gemeinsam erreichte die Gruppe um Mirâ nach ihrem gemeinsamen Mittagessen den Raum der 3-1, der Klasse von Masaru und Yasuo. Zweiterer hatte sie bis hierhin begleitet und sich dann verabschiedet, weil er seinen Dienst antreten musste. Wirklich begeistert schien er darüber nicht zu sein, doch Masaru hatte ihn noch einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass er keine andere Wahl hatte. So war er murrend in dem Raum verschwunden, welcher von außen mit langen schwarzen Tüchern verhangen war. Über dem Eingang stand in geschnörkelter Schrift „Geisterhaus“. Schwer schluckend starrte Akane auf das Schild und bereute ihren Vorschlag, sich noch einmal in den anderen Klassen umzuschauen. Eigentlich hätte sie ja damit rechnen können, dass Masarus Klasse so etwas in der Art macht, immerhin war dieser ein echter Horror-Freak, wie sie in Ryus Dungeon feststellen musste. Noch einmal schluckte sie schwer. Sie wollte nicht dort rein. Denn obwohl sie wusste, dass es sich dabei nur um Menschen in Kostümen oder irgendwelche Aufsteller handelte, fürchtete sie sich davor. Der Gedanke, dass irgendjemand aus einer dunklen Ecke auftauchen könnte, machte ihr einfach Angst. Mit solchen Situationen konnte sie einfach nicht umgehen. Am liebsten wäre sie davongerannt, doch das wäre ihren Freunden gegenüber wohl ziemlich unfair. Immerhin waren die ersten Mitglieder ihrer Gruppe bereits hineingegangen. Trotzdem rebellierten ihre Beine dagegen sich in Bewegung zu setzen. Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie mit einem unterdrückten quietschen zusammenzucken. „Entschuldige Akane“, hörte sie die Stimme ihrer besten Freundin, „Hör mal, du musst da nicht mit rein, wenn es dir Angst macht.“ „Do-Doch. I-ist schon okay. I-ich komme schon klar“, versuchte die Brünette ihre Unsicherheit zu überspielen, was ihr jedoch nicht wirklich gelang. „Sollen wir zusammen reingehen?“, fragte die Violetthaarige, woraufhin Akane sie mit großen Augen schon beinahe flehend ansah. Vorsichtig nahm die Anführerin der Persona-User die Hand ihrer besten Freundin und betrat daraufhin mit ihr den Raum. Kaum war der schwere Vorhang hinter ihnen wieder zurück in seine ursprüngliche Position gerutscht wurde es düster um sie herum. An einigen Stellen des vor ihn liegenden Ganges standen kleine batteriebetriebenen Lämpchen, sodass sie nicht in vollkommener Finsternis herumirren mussten. Trotzdem fiel es ihnen schwer den Weg vor sich zu erkennen. Angestrengt blickte Mirâ in die Dunkelheit, um zu erkennen wo sie lang mussten und setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Währenddessen klammerte sich Akane schon regelrecht an ihren Arm, um so ein wenig Sicherheit zu bekommen. Beruhigend strich die Violetthaarige ihr über die Hand, um sie so etwas zu beruhigen, während sie immer weiter in den Raum hinein gingen. Ein kalter Hauch traf die Brünette im Nacken, woraufhin sie erneut zusammenzuckte und dabei versuchte einen Schrei zu unterdrücken. Immer wieder hörte Mirâ, wie sich die junge Frau leise zusprach, dass sie sich nicht umdrehen dürfe. Anscheinend hatte sie noch mehr Angst, dass sie etwas von hinten erschrecken könnte. Auch sie selbst zuckte immer wieder hier und da zusammen, als plötzlich aus der Wand eine Hand nach ihr griff oder eine Spinne von der Decke kam. Jedoch erschreckte sie das nicht so stark, dass sie die Flucht hätte ergreifen können. Ihre Begleitung allerdings kam mit jedem Mal immer mehr an ihre Grenzen und war erleichtert, als endlich ein Schild erschien, welches auf den Ausgang hinwies. Ganz langsam wich die Anspannung aus ihren Knochen. Sie war froh, dass der Albtraum bald vorbei sein würde und sehnte sich schon nach dem Tageslicht, welches sie erwartete. Gemeinsam traten die beiden Mädchen um die letzte Ecke, welche sie zum Ausgang bringen würde, als plötzlich eine Gestalt vor ihnen erschien. Trotz der Dunkelheit erkannte Mirâ ein weißes langes Laken, welches um den großen Körper geschlungen und mit, im Dunkeln leuchtender, Farbe besprenkelt war. Auch das Gesicht, welches unter einer langen schwarzen Perücke hervorschaute, war mit dieser Farbe bemalt. „Seid verflucht“, ertönte eine tiefe, leicht verstellte, tiefe Stimme, welche die junge Frau jedoch sofort erkannte. Im Gegensatz zu ihrer besten Freundin, welche plötzlich einen lauten Schrei von sich gab und ausholte, um kurz darauf die Gestalt vor sich mit einem Kinnhaken zu Boden zu strecken. Mit einem dumpfen Knall landete die Person, welche mindestens eineinhalb Köpfe größer war, als sie selbst, auf dem Boden und blieb reglos liegen. „Oh nein, Yasuo-Senpai!“, rief Mirâ erschrocken aus. Als sie den Namen ihres Freundes hörte, schien nun auch Akane zu bemerken, was sie getan hatte. Doch ehe sie reagieren konnte, wurde es plötzlich hell um sie herum, als Masaru hereingetürmt kam und dabei die Vorhänge beiseiteschob. „Was ist denn hier passiert?“, fragte er, als er seinen Klassenkameraden bewusstlos am Boden wiederfand, worauf er fragend zu den beiden Mädchen sah. „E-Es tut mir so leid, Senpai!“, rief die Braunhaarige aus und kniete sich zu dem älteren Schüler runter. Langsam kam dieser wieder zu sich: „Aua… was für ein Schlag.“ „Verzeih mir. Das wollte ich nicht. Ich hab mich nur so erschreckt“, Akane war schon den Tränen nahe, immerhin hatte sie ihren geliebten Freund verletzt. Dieser jedoch setzte nur ein ganz kleines Lächeln auf: „Naja, dann war meine Einlage ja gar nicht so schlecht…“ „Das ist nicht lustig“, schimpfte Akane. Masaru seufzte: „So kannst du nicht weitermachen, Yasuo. Bringen wir dich erstmal hier raus.“ Mit einer Hand legte er sich den Arm des Blauhaarigen um die Schulter und half ihm so wieder auf die Beine, bevor sie gemeinsam den Raum verließen. Draußen angekommen wurden sie von den umstehenden Schülern fragend beobachtete, zu welchen auch die anderen Mitglieder ihrer Gruppe gehörten. Unter den Blicken der anderen Schüler brachte der Schwarzhaarige seinen Klassenkameraden in einen leeren Raum, welcher zum Umziehen und vorbereiten genutzt wurde und setzte ihn auf einen Stuhl. Kaum saß der Blauhaarige zog er sich die Perücke vom Kopf und lehnte sich erst einmal zurück. Ein wenig schwindelig war ihm von der Aktion schon noch, weshalb er kurz brauchte um sich wieder zu orientieren. Währenddessen betrachtete Masaru die rote Stelle an Yasuos Kinn. „Wow. Ein glatter Kinnhaken“, murmelte er, bevor er sich wieder aufrichtete und den Finger an sein Kinn legte. So konnte Yasuo definitiv nicht weitermachen, das war klar. Wer hätte aber auch gedacht, dass Akane so reagieren würde. Wobei der Schwarzhaarige die Tatsache, dass sein Klassenkamerad ausgerechnet von dessen Freundin niedergestreckt wurde, irgendwie amüsant fand. Trotzdem unterdrückte er das in ihm auskommende Grinsen und überlegte, wie sie nun weitermachen sollten. Der Geist am Ende des Kabinetts war das Highlight ihres Events. Geplant war eigentlich, dass er die Besucher dazu veranlasste wieder zurückzugehen, um einen anderen, versteckten Weg zum Ausgang zu nutzen. Ohne ihn würde ihr Gruselhaus also keinen großen Sinn mehr ergeben. Was also nun? Er wandte seinen Blick zu Yasuo, zu welchem sich mittlerweile Akane und Mirâ gesellt hatten. Mit Tränen in den Augen entschuldigte sich die Brünette für ihr Verhalten, was der junge Mann jedoch nur mit einem leichten Lächeln abwinkte. Das jedoch schien die junge Frau nicht zu beruhigen. „Hört mal, Mädels. Kann ich euch kurz rausbitten?“, unterbrach Masaru das Gespräch, woraufhin ihn die beiden Schülerinnen mit großen Augen ansahen, „Ich werde für Yasuo übernehmen. So kann er schlecht weitermachen.“ Kurz wirkten die beiden jungen Frauen etwas verwirrt, doch schienen dann zu verstehen was ihr Senpai vorhatte und verließen daraufhin gemeinsam den Raum. Nicht mal zehn Minuten später traten die beiden jungen Männer wieder aus dem Raum. Yasuo nun in seine Uniform gekleidet und Masaru in dem Kostüm, dass zuvor der Blauhaarige getragen hatte. Mit der Bitte an Akane doch nun nicht nochmal ins Gruselkabinett zu kommen, verabschiedete sich der Schwarzhaarige von den dreien und ging wieder zu seiner Klasse. Zurück blieben die beiden Zweitklässlerinnen und der blauhaarige Drittklässler, der dem Schwarzhaarigen hinterherschaute. Sich den Nacken reibend, seufzte er. Irgendwie tat ihm ja schon leid, dass dein Kamerad nun seine Freizeit dafür aufbringen musste. Andererseits war er über seine nun frei gewordene Zeit nicht unglücklich. „Naja nen Vorteil hat die Sache ja“, murmelte er daraufhin, „Ich hab nun den Nachmittag frei… auch wenn mir ganz schön der Kopf brummt.“ „Es tut mir so leid, Senpai“, kam es erneut von seiner Freundin, welcher er jedoch nur über den Kopf strich und meinte, dass sie sich ständig dafür entschuldigen müsse. „Du musstest es natürlich wieder übertreiben, Akane“, hörten sie eine ihnen bekannte Stimme, welche sie dazu veranlasste sich dieser zuzuwenden. Daraufhin erkannten die drei Hiroshi, welcher mit den Händen in den Hosentaschen auf sie zugelaufen kam. Beleidigt blähte seine Sandkastenfreundin die Wangen auf und wollte sich erneut verteidigen, als Mirâ dazwischenging, um so eine sinnlose Diskussion zu verhindern. „Wo sind die anderen, Hiroshi-kun?“, fragte sie den Blonden stattdessen. „Zurück in ihren Klassen. Bei Ryu und Megumi beginnt gleich die Schicht und Kuraiko wird wohl irgendwie gebraucht. Wo ist Masaru?“, kam eine Antwort mit einer Gegenfrage. Mit schief gelegtem Kopf erklärte die Violetthaarige dem jungen Mann, dass dieser dem älteren Schüler unterwegs hätte begegnen müssen, da er aus der gleichen Richtung kam. Fragend blickte ihr Klassenkamerad noch einmal in den Gang, konnte sich aber nicht erinnern den Schwarzhaarigen gesehen zu haben. „Ach… Senpai übernimmt Yasuo-senpais Schicht. Er trägt das Kostüm, deshalb hast du ihn wahrscheinlich nicht erkannt“, fiel der jungen Frau daraufhin wieder ein. Verstehend nickte ihr Kumpel und wandte sich dann wieder an die Gruppe: „Dann bleiben ja nur noch wir vier. Wollen wir noch irgendwo zusammen hingehen?“ Kurzes Schweigen breitete sich aus, während Akane fragend zu Yasuo blickte. Man sah ihr an, dass sie den Nachmittag nun gerne mit ihm verbracht hätte, jedoch immer noch von ihrem schlechten Gewissen geplagt wurde. Zudem war nicht ganz klar, ob es dem Älteren wirklich gut ging. Immerhin waren die Schläge der Brünetten nicht zu unterschätzen. Der Blauhaarige jedoch setzte nur ein kleines Lächeln auf und strich seiner Freundin erneut über den Kopf. „Was meinst du, Senpai?“, stellte Mirâ die stumme Frage von Akane. Der Ältere wandte sich ihr zu: „Mir geht es gut. Wenn ihr möchtet können wir uns noch umschauen. Was macht eure Klasse?“ „Einen kleinen Jahrmarkt. Willst du ihn sehen?“, fragte Akane vorsichtig und bekam als Antwort ein Nicken. Somit war also entschieden, was sie als nächstes tun würden. Also machten sich die vier auf den Weg in die Etage des zweiten Jahrgangs. Kurze Zeit später traten sie in den Raum der 2-1, welcher bunt geschmückt war. An den Wänden entlang waren fünf Buden aufgebaut, wie man sie von Stadtfesten kannte; jedoch waren sie verständlicherweise wesentlich kleiner. Jeder einzelne Stand bot eine Attraktion an, welche man ausprobieren konnte: Dosenwerfen, Dartpfeile werfen, Goldfische fangen, jedoch mit kleinen Plastikfischen, Ringe werfen und Leiterwurf. Kaum trat die Gruppe in den Raum, wurde ihnen von einer grinsenden Schülerin ein kleiner Zettel in die Hand gedrückt, auf welchem eine kleine Tabelle mit den einzelnen Betätigungen zu finden war. Während Akane, Mirâ und Hiroshi genau wussten, was es damit auf sich hatte, starrte Yasuo etwas verwirrt auf das kleine Stück Papier. „Man hat bei uns die Möglichkeit alle Stationen abzugehen und sein Glück zu versuchen. Dann werden dort die Punkte drauf geschrieben, die man erreicht hat. Die werden am Ende zusammengezählt und dann kann man eine Kleinigkeit gewinnen“, erklärte Akane, „A-aber es ist wirklich nichts großes.“ „Hm?“, kam es etwas länger gezogen von Yasuo, bevor er sich in Bewegung setzte und zum ersten Stand ging. Als erstes versuchte sich der Ältere am Dosenwerfen, was ihm jedoch nur wenige Probleme bereitete, da er recht viel Übung darin hatte. Immerhin warf er auch für Bejû oft den Ball und manchmal erkor er sich dabei auch ein Ziel aus, welches er dabei anvisierte. So war es wenig verwunderlich, dass bereits nach zwei Würfen alle Dosen den Weg gen Boden gefunden hatten und er sich dem nächsten Stand zuwenden konnte. An diesem war es seine Aufgabe mit Dartpfeilen auf Ballons zu werfen. Diese Aufgabe erwies sich schon als etwas schwieriger, denn die kleinen bunten Latexbälle schienen beinahe ein Eigenleben zu führen. So schaffte es der Blauhaarige in sechs würfen nur auf drei Ballons, was die Aufsicht der kleinen Bude sofort in seinen kleinen Zettel eintrug. Beim Goldfischfangen wiederum hatte er keine großen Probleme. Mit der gleichen Ruhe, welche er bereits beim Tsukinoyo aufgebracht hatte, fing er mehrere kleine Plastikfische mit einem Mal. Bis dann das kleine Blättchen auf dem Fänger gerissen war, hatte er bereits eine halbe kleine Schale voll. Erstaunt blickte die Schülerin, welche an diesem Stand Aufsicht hatte, auf die Masse an bunten Fischen in der Schüssel. Somit brauchte sie auch eine Weile, um die Punktezahl für den älteren Schüler zu ermitteln und sie auf sein Los zu schreiben. Als nächstes versuchte er sich am Ringe Werfen. Auch hier wirkte Yasuo wie ein Profi, sodass die Ringe schnell und zumeist in der Mitte landeten. Nur das letzte Spiel, der Leiterwurf, bereitete ihm wirklich Probleme. Bei dieser Tätigkeit musste man ein kurzes Seil, dessen Enden mit Kugeln beschwert waren, gegen eine dreisprossige Leiter werfen und darauf hoffen, dass es hängen blieb. Je nachdem welche Sprosse man traft gab es ein bis drei Punkte. Nach drei versuchen hatte der junge Mann jedoch nur einmal die unterste Stufe getroffen und bekam dadurch nur einen Punkt. Leicht missmutig betrachtete er das Spiel, welches er schon als Kind nicht gerne gespielt hatte, weil das Seil nie hängen bleiben wollte und nahm dann seinen Zettel entgegen, auf welchem nun alle Ergebnisse eingetragen waren. Gemeinsam führten die drei Zweitklässler den Älteren daraufhin zu einem Tisch, an welchem zwei Schüler die Auswertung der Punkte übernahmen. Es dauerte einen kurzen Moment, doch dann hatte sein Gegenüber alles zusammengerechnet: „Glückwunsch! 15 Punkte. Beim Fischesammeln hast du ganz schön abgeräumt, Senpai.“ Er griff in eine kleine Kiste, welche unter dem Tisch stand, zog daraufhin einen kleinen gelbbraunen Anhänger hervor und übergab ihn Yasuo. Dieser betrachtete den kleinen aus Wolle gearbeiteten Gegenstand und versuchte herauszufinden, um was es sich dabei handelte. Von der Form her erinnerte es ihn an ein recht schmales Daruma. Jedoch befanden sich oben am Kopf zwei merkwürdige Knubbel, welche allerdings auf unterschiedlichen Höhen waren. Unten erkannte man etwas, was wohl einem Schwanz ähneln sollte. Was sollte das darstellen? Er war so mit der Lösung beschäftigt, dass er nicht einmal bemerkte, wie Akane neben ihm zusammenzuckte. „Argh… musste es genau der sein?“, fragte die Brünette ihren Klassenkameraden, woraufhin sich auch die Aufmerksamkeit ihres Freundes wieder auf sie richtete. Überrascht blickte ihr Gegenüber sie an: „Oh… ich seh schon. Sorry, ich hab einfach nur gegriffen. Senpai, wenn du möchtest kannst du gerne auch tauschen.“ „Was ist los?“, fragte Yasuo nun doch etwas irritiert. Hiroshi blickte ihm über die Schulter und grinste plötzlich: „Ach so. Das undefinierbare Teil hat Akane gebastelt. Au…“ Noch während der Blonde sprach, boxte ihm seine Kindergartenfreundin in die Seite: „Halt die Klappe! Und nenne es nicht undefinierbar!“ „Urgh… spinnst du?“, schimpfte der junge Mann, sich die schmerzende Seite reibend, „Aber stimmt doch. Was soll das darstellen?“ „Moah! Eine Katze, du verdammter Idiot!“, boxte die Brünette weiter auf den Blonden ein, „Du weißt genau, dass ich sowas nicht kann! Hättet ihr besser mit dem Geld gearbeitet, was wir hatten, dann hätten wir uns den Mist ersparen können!“ „Ich bin doch nicht daran schuld. Jetzt hör endlich auf, verdammt. Das tut weh“, artete dieses Gespräch schon beinahe in einer handgreiflichen Diskussion. „Das hast du gemacht, Akane?“, fragte Yasuo nach und beendete damit vorerst den Streit. Mit knallrotem Gesicht wandte Akane den Blick ab und erklärte dann, dass ihrer Klasse das Geld ausgegangen war, bevor sie kleine Preise kaufen konnten. Deshalb hatten sie entschieden mit dem Restgeld günstige Materialien zu kaufen und selber Kleinigkeiten herzustellen. „Aber ich bin in sowas eine absolute Niete“, murmelte sie, „Tut mir leid. D-Du kannst es gerne auch gegen einen schöneren Anhänger tauschen.“ Mit großen Augen sah der Größere sie an und schaute dann wieder auf den kleinen Anhänger in seiner Hand, den er eine Weile eingängig betrachtete. Dann setzte er ein kleines Lächeln auf und ließ die undefinierbare Katze in seiner Hosentasche verschwinden. Daraufhin traf ihn ein fragender Blick der Brünetten, woraufhin er ihr nur erneut über den Kopf strich. „Ich behalte ihn, ist immerhin auch was Besonderes“, erklärte er daraufhin. „Senpaiiii“, war das Einzige, was Akane darauf nur herausbekam, bevor sie dem Größeren in die Arme fiel. Mit einem Lächeln betrachtete Mirâ ihre beiden Freunde und freute sich über die Reaktion ihres Senpais. Immerhin hatte er ihrer besten Freundin damit eine riesige Freude gemacht. Ein Seufzen ließ die junge Frau neben sich schauen und blickte damit auf Hiroshi. Dieser hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und schaute etwas missmutig auf seine Sandkastenfreundin und deren Freund. „Was ist?“, fragte Mirâ auf den Blick ihres Kumpels. Etwas irritiert blickte der Blonde sie an. Anscheinend hatte er nicht einmal bemerkt, was für einen Blick er aufgesetzt hatte, doch trotzdem kratzte er sich daraufhin im Nacken und schien zu überlegen was er darauf antwortete. „Naja… ich finde, dass die beiden ruhig etwas mehr Rücksicht auf ihre Umgebung nehmen könnten. Vor allem könnte Akane etwas mehr Rücksicht auf dich nehmen…“, murmelte er dann. Fragend sah die Violetthaarige den jungen Mann an, doch lächelte dann, während sie ihren Blick wieder auf das Pärchen richtete: „Ach was… ich freu mich für die beiden.“ „Trotzdem…“, seufzte Hiroshi. Das breite Lächeln seiner Freundin traf ihn und ließ kurz sein Herz höher schlagen: „Es ist okay. Wirklich. Wie wäre es, wenn wir beide uns noch etwas umschauen?“ „Ähm… klar, gerne“, mit großen Augen starrte Hiroshi Mirâ an, welche in diesem Moment zu ihrer Freundin ging und dieser Bescheid gab. Zwar wirkte Akane kurz etwas irritiert, doch blickte dann zu ihrem blonden Kumpel und grinste ihn breit an, was dazu führte, dass ihm etwas Scham ins Gesicht stieg. Mirâ jedoch bekam davon nicht wirklich etwas mit. Lächelnd trat sie wieder auf ihn zu, woraufhin sich die beiden alleine auf den Weg machten, um zu schauen, was es noch alles gab. Kapitel 120: CXX – Culture Festival – Part III ---------------------------------------------- Sonntag, 27.September 2015 – Schulfest 2. Tag Mittag Seufzend ließ sich Kuraiko auf einem der freien Stühle nieder, welche neben der Eingangstür zur Schulküche standen und nutzte die kurze Zeit der Ruhe. Seit dem Morgen waren sie und noch einige andere Schülerinnen ihrer Klasse damit beschäftigt zu backen, denn das Maid- und Butlercafé war ein voller Erfolg. Zum Ärger der Schwarzhaarigen, denn diese hatte dadurch Unmengen an Arbeit und das bereits seit dem Vortag. Zwar hatte sie gestern am Nachmittag kurzzeitig frei gehabt, doch konnte sie sich da auch nicht wirklich erholen, weil sie gemeinsam mit ihren Freunden durch die Schule gelaufen war, um sich die Events der anderen Klassen anzusehen. Nie im Leben hätte sie gedacht, so etwas jemals zu tun. Die letzten Jahre hatte sie die Schulfeste immer alleine verbracht und sich hauptsächlich um ihre Aufgaben während der Events gekümmert. Ein kleines kaum erkennbares Lächeln zierte ihre Lippen, als sie daran dachte wie es dieses Jahr war. Dieses jedoch verschwand sofort wieder, als die hintere Tür des Raumes aufgezogen wurde und eine Schülerin leicht panisch hereinkam. „Wir brauchen mehr von den Eclairs“, sagte sie mit einem Blick zu Kuraiko. Diese schnalzte mit der Zunge und erhob sich von ihrem Stuhl, um sich wieder an die Arbeit zu machen. Viel Zeit zum Ausruhen hatte sie nicht gehabt, doch sie wusste auch, dass es nur noch dieser Tag war. Und den würde sie auch noch schaffen. Während sie sich an die Arbeit machte, bemerkte sie nicht, wie die Tür, neben welcher sie gesessen hatte, ein kleines Stück aufgezogen wurde und kurz darauf eine Hand erschien. Diese schnappte sich die Jacke, welche über dem Stuhl hing, auf dem sie zuvor noch gesessen hatte und verschwand dann mit dieser wieder im Flur, bevor die Tür wieder leise geschlossen wurde. „Fukagawa, hast du zufällig meine Jacke gesehen?“, fragte eine ihrer Klassenkameraden ungefähr 30 Minuten später. Die Schwarzhaarige, welche gerade dabei war die ersten Eclairs zum Abkühlen vom Bleck zu nehmen, sah zu dem Mädchen hinüber und schüttelte dann den Kopf. Als sie sich vorhin dorthin gesetzt hatte war die Jacke definitiv noch da gewesen, da war sie sich sicher. Immerhin hatte sie extra drauf geachtet, dass sie nicht herunterfiel. Was jedoch passiert war, nachdem sie aufgestanden war, wusste sie nicht. Aber so eine Jacke konnte ja auch nicht einfach verschwinden. „Ist sie heruntergefallen?“, fragte sie nach. „Nein…“, ratlos sah sich das Mädchen um. Ein plötzlicher Aufruhr im Flur ließ die Gruppe aufhorchen und das Mädchen aus dem Raum lugen. Während sich die andere Oberschülerin zu ihr gesellte, versuchte Kuraiko dem Drang zu widerstehen nachzusehen. Wahrscheinlich hatte eine andere Klasse diesen Aufruhr verursacht, um auf ihr eigenes Event aufmerksam zu machen. „Ist das nicht Shuya?“, fragte eine der beiden Schülerinnen und ließ damit die Schwarzhaarige doch aufhorchen, „Wieso trägt er die Mädchenuniform? Und wo hat er sie her?“ „Gute Frage. Aber irgendwie sieht er süß aus“, meinte die andere und schrak plötzlich auf, als sie beiseitegeschoben wurde. Irritiert sah sie auf und blickte auf Kuraiko, welche vollkommen geschockt auf die Szene schaute, die sich vor ihr zeigte. Nur wenige Meter von ihnen entfernt kam tatsächlich Shuya durch den Gang stolziert; gekleidet in die Mädchenuniform der Schule und seine Haare zu zwei Zöpfen gebunden. Unter dem Rock erkannte man seine schwarze Hose, welcher er sich wohl nicht getraut hatte wegzulassen. Trotzdem wirkte er sehr selbstsicher und schreckte auch nicht davor zurück, den anderen Jungs wie ein Mädchen zuzuzwinkern und kleine Küsschen zu verteilen. Plötzlich jedoch blieb er ruckartig stehen, als er hinter sich eine eiskalte, düstere Aura spürte, die ihm einen Schauer über den Rücken laufen ließ. „Na~ga~se~“, erklang eine zischelnde Stimme, die selbst die Hölle gefrieren lassen konnte. Ganz vorsichtig drehte sich der Blau-Violetthaarige um und wurde plötzlich am Kragen gepackt. „Sag mal, kannst du mir verraten was das hier soll?“, schnauzte ihn Kuraiko an, „Wieso rennst du in der Mädchenuniform herum… und woher verdammt hast du die?“ Verlegen kratzte sich der Schüler an der Wange und überlegte, wie er die Situation am besten erklärte: „Naja… da war diese Wette… und ja… d-den Rock hat mir ne Freundin geliehen… und die Jacke ist deine…“ „Hu? Meine? Bist du doof? Ich trage so gut wie nie diese dumme Jacke…“, meinte Kuraiko plötzlich mit einer Stimme, die schon fast an einen Gangsterboss erinnerte. Nun hatte sie auch eine Vermutung, wohin die Jacke ihrer Klassenkameradin verschwunden war: „Sag bloß…“ Weiter kam die Schwarzhaarige jedoch nicht, denn plötzlich tauchte hinter der nächsten Ecke eine Meute an Schülern auf, welche ihre Handys gezückt hatten. Sie alle hatten nur ein Ziel: Ein Foto von Shuya in der Mädchenuniform zu schießen. Erschrocken blickte dieser nun auf die Meute vor sich und nestelte solange an den Händen der jungen Frau herum, bis diese ihn endlich losließ. Da diese in dem Moment selber vollkommen verwirrt war, gelang es ihm auch recht schnell sich zu befreien. Bevor Kuraiko jedoch reagieren konnte, hatte der Ältere bereits die Beine in die Hand genommen und war in die andere Richtung verschwunden. Perplex blieb die Schwarzhaarige zurück und spürte wie immer mehr Wut in ihr aufstieg. Zähneknirschend setzte sie sich daraufhin in Bewegung und rannte dem Schüler nach, gefolgt von der fotogeilen Masse, während ihre beiden Kameradinnen und einige Besucher ratlos im Gang zurückblieben. Zur gleichen Zeit war Mirâ gerade auf dem Außengelände der Schule unterwegs und wollte sich etwas zum Mittag kaufen. Sie hatte bereits einen Stand im Sinn, auf den sie schnurstracks zuging, doch hielt plötzlich inne, als an ihr ein stark leuchtender blauer Schmetterling vorbeiflog. Irritiert folgte sie ihm mit ihrem Blick und erkannte kurz darauf am Schultor eine Person mit mittelblauen, langen Haaren, welche etwas hilflos auf einen Zettel starrte und sich dann umsah. Überrascht Rin hier anzutreffen, ging die Violetthaarige auf die junge Frau zu und hob dann zur Begrüßung die Hand: „Hallo Rin-chan. Möchtest du unser Schulfest besuchen?“ Etwas erschrocken darüber, unvermittelt angesprochen zu werden, sah Besagte auf und lächelte dann, als sie ihr Gegenüber erkannte: „Mirâ. Schön dich zu sehen. Ja, Shû-chan hat mich eingeladen, weil er heute ein Konzert spielt. Er wollte mich eigentlich hier abholen, aber…“ Sie sah sich um, doch von besagtem Jungen war weit und breit nichts zu sehen: „Und übers Handy erreiche ich ihn auch nicht…“ „Vielleicht ist er noch im Café seiner Klasse beschäftigt und hat es nicht rechtzeitig raus geschafft. Wollen wir mal gemeinsam hinschauen?“, fragte die Violetthaarige nach und bekam daraufhin ein Nicken als Antwort. Lächelnd setzte sie sich, gefolgt von Rin, somit in Bewegung und führte die Blauhaarige über das Gelände, während sie ihr ein wenig versuchte zu erklären, wo sich was befand. Als sie auf das Fußballfeld zu sprechen kam, erzählte sie ihrer Begleitung auch gleich von dem Spiel am vergangenen Tag und dass die Oberschule dieses leider verloren hatte. „Das wird Shû-chan sicher geärgert haben…“, meinte Rin, während sie durch die Eingangstür ins Innere der Schule traten. „Hiroshi-kun hat es auf jeden Fall geärgert“, lachte Mirâ sachte. „Was hat mich geärgert?“, ließ die Stimme von Besagtem sie zusammenzucken und erschrocken zu ihm blicken, „Yo.“ „Hi-Hiroshi-kun, bitte erschrick mich nicht so“, fasste sich die junge Frau an die Brust. „Gomen“, entschuldigte sich ihr Gegenüber und wandte sich dann an Rin, „Hallo Aikawa. Das ist ja eine Überraschung. Hat Shuyan dich eingeladen?“ „Wer denn sonst?“, lachte die Blauhaarige. Irritiert darüber, dass sich Hiroshi und Rin zu kennen schienen, blickte Mirâ zwischen den beiden Parteien hin und her. Andererseits war das mit Sicherheit nicht verwunderlich, immerhin war Shuya ihr gemeinsamer Kumpel. Da gab es sicher bereits die ein oder andere Situation, wo sie aufeinandergetroffen waren. Trotzdem überraschte es die Oberschülerin. Doch ehe sie dazu kam nachzuhaken, ertönte aus einem der Gänge ein enormer Lärm. Kaum hatte sie sich diesem zugewandt, um nachzusehen, woher er kam, rannte auch schon Shuya an ihnen vorbei: Gekleidet in einer Mädchenuniform und die Haare zu zwei Zöpfen gebunden. „Entschuldigt mich“, hatte er noch gerufen, bevor er an dem Dreiergespann vorbeigeeilt war. Kurz darauf folgte bereits Kuraiko, deren wütende Aura man durch den kompletten Eingangsbereich spüren konnte und der dafür sorgte, dass alle möglichen Schüler und Besucher beiseite gingen. Sauer schrie sie dem Blau-Violetthaarigen zu, dass er gefälligst stehen bleiben solle, damit sie ihn umbringen konnte. Als wenn das jedoch nicht schon genug der Kuriosität war, wurden die beiden zusätzlich noch von einem Pulk an Schülern verfolgt, welche alle ihre Handys gezückt hatten und versuchten Fotos zu schießen. Vollkommen perplex sahen die drei Oberschüler dem Geschehen nach und wussten nicht so genau, was sie eigentlich sagen sollten. Plötzlich jedoch setzte sich Rin in Bewegung und folgte der Meute mit den Worten „das muss ich sehen!“. Auch Hiroshi rannte nun hinterher, während er seiner Teamkameradin eine Entschuldigung zurief und kurz darauf um die nächste Ecke verschwunden war. Zurück blieb eine vollkommen verwirrte Mirâ, die nicht wusste, was hier eigentlich los war. „Was war das denn? Geht das hier an eurer Schule immer so ab?“, wurde sie jedoch plötzlich unvermittelt angesprochen, weshalb sie erschrocken herumfuhr. Daraufhin erkannte sie ein junges Mädchen mit orangebraunen, wunderschön gelockten Haaren, die sie mit einem roten Perlenhaargummi zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Sie war ein Stückchen kleiner, als die Violetthaarige, weshalb sie einschätzte, dass es sich bei ihr um eine Mittelschülerin handelte. „Ähm… nein eigentlich nicht“, meinte Mirâ, während sie sich peinlich berührt an der Wange kratzte, „Bist du alleine hier?“ „Ja. Meine Mutter wäre nie mit mir hierhergekommen“, nuschelte die Jüngere, „Ich schaue mir gerade potentielle Oberschulen an. Da kam mir das Schulfest heute ganz gelegen.“ Fragend legte die Ältere den Kopf schief, da man sich Oberschulen eigentlich ansah, wenn sie offizielle Besuchstage hatten. Immerhin wurde den Schülern an diesen Tagen die Schule richtig gezeigt und auch erklärt, welche Klubaktivitäten es gab. Meistens fand die Besichtigung kurz vor der Prüfungsphase statt, bevor sich die Mittelschüler auf ihre bevorzugte Oberschule bewerben mussten. Deshalb verstand sie auch nicht, wieso die junge Frau ausgerechnet am Tag des Schulfestes herkam. Immerhin was es währenddessen viel zu chaotisch, um sich alles anzuschauen. „Wäre dafür nicht der offizielle Besuchstag besser geeignet. Ich glaube da siehst du mehr und die Lehrer haben auch mehr Zeit, um dir Fragen zu beantworten“, sprach die Oberschülerin das Thema direkt an. Die Orangebraunhaarige jedoch zuckte nur mit den Schultern: „Nein, das ist schon okay so. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Mutter mich hierher lassen würde. Ich war nur gerade zufällig in der Stadt und dachte, dass ich diese Gelegenheit beim Schopfe ergreife.“ Mirâ verstand es immer noch nicht genau, doch glaubte, dass dieses Mädchen schon ihre Gründe haben würde. Deshalb schlug sie der Jüngeren kurzerhand vor sie herumzuführen, immerhin hatte sie an diesem Tag sowieso keinen Dienst mehr und wusste nichts mit ihrer Freizeit anzufangen, da alle ihre Freunde aktuell irgendwo eingespannt oder beschäftigt waren. Auch wenn einige von ihnen einer eher merkwürdigen Beschäftigung nachgingen. Noch einmal sah sie kurz in die Richtung, in welche Shuya mitsamt Sack und Pack verschwunden war und konnte sich dabei ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Die Jüngere wiederum war kurz etwas über ihr Angebot irritiert, doch nahm dieses letzten Endes dankend an, woraufhin die beiden mit der Führung begannen. „Darf ich eigentlich fragen wie du heißt?“, fragte Mirâ nachdem sie einige Meter gegangen waren, „Es wäre umständlich, dich die ganze Zeit mit du anzusprechen. Mein Name ist im übrigen Mirâ Shingetsu.“ „Mein Name ist Nami Takahashi. Freut mich sehr dich kennenzulernen, Shingetsu-senpai“, stellte sich die Jüngere vor und deutete eine Verbeugung an, „Und vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst mich etwas herumzuführen.“ „Kein Problem. Also dann, Takahashi-chan, beginnen wir mit der Tour durch die Jûgôya High School“, grinste die Violetthaarige. So liefen die beiden Mädchen durch das Schulhaus, während die Ältere der Mittelschülerin erklärte, was sich in welchem Stockwerk und Raum befand und welche Klubaktivitäten die Schule so bot. Natürlich konnten sie nicht wie beim Besichtigungstag in alle Räume hineinschauen, da die meisten mit den Events der einzelnen Klassen bestückt waren, trotzdem sah sich die Orangebraunhaarige interessiert um. Hier und da stellte sie auch einige Frage, welche Mirâ mal gut, mal weniger gut beantworten konnte. In diesen Fällen verwies sie auf die Internetseite der Schule, auf welcher auch noch mal alle wichtigen Punkte zusammengefasst waren. Sie selbst hatte von der Homepage auch erst erfahren, als sie bereits einige Monate auf dieser Schule war, hatte selbst aber bisher noch nie wirklich draufgeschaut. Sie wusste aber, dass dort viele interessante Informationen niedergeschrieben waren. Unterwegs trafen sie auch noch einmal auf Shuya, welcher mittlerweile von Kuraiko eingeholt und mächtig zusammengestutzt worden war, während sich die restliche Schülerschar bereits aus dem Staub gemacht hatte. Flehend hatte er vor der Schwarzhaarigen gekniet und diese um Verzeihung gebeten, während sich Hiroshi und Rin vor Lachen nicht mehr einbekamen. Dieses Grüppchen zurücklassend, führte Mirâ die Jüngere weiter durch die Schule, bis sie schließlich wieder am Eingang zum Stehen kamen. „So damit wären wir durch“, beendete die Violetthaarige den Rundgang. Noch einmal ließ Nami ihren Blick durch die Eingangshalle schweifen und wandte sich dann an die Ältere: „Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, Senpai.“ „Sehr gern“, lächelte die Oberschülerin, „Vielleicht entscheidest du dich ja für unsere Schule. Dann sehen wir uns vielleicht wieder.“ Ihr Gegenüber nickte lächelnd: „Das wird sich zeigen. Jedenfalls konnte ich mir heute schonmal ein gutes Bild machen.“ Sie blickte auf ihre Uhr und stellte fest, dass es langsam Zeit für sie war zu gehen. Die Frage Mirâs, ob sie sich noch das Konzert und das Feuerwerk am Ende anschauen wollte, musste sie leider verneinen und erklärte, dass sie es gerade so geschafft hatte, sich bis jetzt freizuschaufeln. Auch wenn sie sich das Spektakel am Ende gern angesehen hätte. Die Violetthaarige lächelte und hielt der Jüngeren die Hand entgegen, während sie ihr alles Gute und eine sichere Heimreise wünschte. Erst sah Nami die ihr angebotene Hand etwas irritiert an, dock lächelte dann und ergriff sie. Kaum hatten sich die beiden jungen Frauen jedoch berührt spürte Mirâ eine angenehm warme Aura, welche die Jüngere plötzlich zu umgeben schien. Sie kannte dieses Gefühl. Als sie vor einiger Zeit in Osaka war und auf Aiden getroffen war, hatte sie genau das gleiche verspürt. Und wieder überkam sie eine üble Vorahnung, während sie die Mittelschülerin vor sich leicht musterte. Das Ganze dauerte nicht mal einen Wimpernschlag, sodass die Jüngere das gar nicht mitbekommen hatte, als sie die Hand der Oberschülerin wieder losließ und sich nun endgültig verabschiedete. Besorgt blickte Mirâ ihr nach, als sie das Gebäude verließ, und hoffte, dass sich ihre Vermutung nicht bestätigen möge. Kapitel 121: CXXI – Culture Festival - Part IV ---------------------------------------------- Sonntag, 27.September 2015 – Schulfest 2. Tag später Nachmittag Der Tag neigte sich langsam dem Ende und während sich der Himmel sanft orange färbte versammelten sich die Schüler der Jûgôya vor der großen Freilichtbühne, welche extra für diesen Tag aufgebaut wurde. Noch wenige Stunden zuvor hatte hier das Schulorchester ein Konzert zum Besten gegeben, doch nun waren alle nur noch auf den Höhepunkt dieses Festes gespannt. Nachdem Shuya vor einigen Wochen mithilfe einer Petition dafür gekämpft hatte mit seiner Band „Blue Butterfly“ auf dem Schulfest auftreten zu dürfen und damit mächtig die Werbetrommel gerührt hatte, wollten nun alle wissen, was sie erwarten würde. Auch Mirâ und ihre Freunde hatten sich mittlerweile vor der Bühne eingefunden und suchten sich einen Platz, von welchem aus sie gut sehen konnten. Alle waren anwesend. Selbst Yasuo und Masaru, ja sogar Kuraiko, hatten sich zu ihnen gesellt. Auch sie wollten wissen, was für Musik der Blau-Violetthaarige gemeinsam mit seiner Band machte. Doch noch mussten sie sich etwas gedulden. Stattdessen beobachteten sie, wie sowohl Shuya, als auch seine vermeintlichen Bandmitglieder immer wieder auf der Bühne hin und her rannte, diese verließen und wieder zurückkamen, und so nach und nach alle Instrumente, Mikrofone und die ganze Technik an ihren Platz brachten. Sobald diese an ihrem Platz war schlich eine zierliche Gestalt über die Bühne, welcher man selbst auf die Entfernung ansah, dass sie blasser als Mehl war. Zudem wirkte sie ziemlich müde, doch schien genau zu wissen, was sie tat. Ab und an gab es einen kurzen Soundcheck, bevor das Gewusel weiter ging. So ging das eine gute halbe Stunde, bis auch das letzte Instrument an seinem Platz und das letzte Kabel in der richten Steckdose war. In dieser Zeit hatte sich auch der Platz vor der Bühne gut gefüllt, sodass dem Beginn eigentlich nichts mehr im Wege stand. Das schienen auch die einzelnen Bandmitglieder von Blue Butterfly so zu sehen und sie begaben sich an ihre Instrumente. Nun konnte man auch genau sehen, wie sich die Band zusammensetzte. So bestand diese aus einer Gitarristin, einem Bassisten, einem Schlagzeuger, einem Keyboarder und Shuya als Sänger. Die Gitarristin, die auch das einzige Mädchen in der Gruppe war und links neben Shuya stand, hatte dunkelbraune lange Haare, mit gebleichten Spitzen. Um ihren Kopf hatte sie ein schwarz-weißes breites Haarband, ähnlich dem von Naoto. Sie trug die Bluse der Uniform offen und hinter dem Rücken zusammengebunden, während sie die Ärmel nach oben gekrempelt hatte. Darunter erkannte man ein weißes Top. Um ihre Hüfte und über dem roten Rock der Uniform hatte sie eine schwarz-hellblaue Jacke gebunden, welche stark an die Weste erinnerte, welche ihr blau-violetthaariger Bandkollege ständig trug. Bei genauerer Betrachtung fiel sogar auf, dass alle Mitglieder etwas ähnliches trugen, nur eben teilweise als Pullover, Weste oder eben Jacke. Der Bassist, der rechts neben Shuya stand, war ein großgewachsener junger Mann, mit blonden, am Ansatz glatten und an den Spitzen nach außen stehenden kurzen Haaren. Er trug eine schwarze Jeans, welche an einigen Stellen etwas aufgerubbelt war und an dessen linker Seite eine silberne Kette baumelte. Wie Shuya hatte er die schwarze Weste mit den blauen Elementen und darunter ein graues Shirt an. Um seine Handgelenke erkannte man mehrere Lederarmbänder. Sowohl der Keyboarder, als auch der Drummer hielten sich mehr im Hintergrund, jedoch erkannte man, dass es sich bei zweiterem um den jungen Mann handelte, welcher sich noch kurz zuvor um die Technik gekümmert hatte. Er hatte hellbraune, wuschelige Haare und wirkte etwas lustlos hinter dem massigen Schlagzeug. Er trug einen schwarzen Pulli, welcher ebenfalls mit blauen Elementen besetzt war. Der Keyboarder wiederum wirkte voll bei der Sache. Er hatte schwarze Haare, welche sein linkes Auge verdeckten und unter der schwarz-weißen Beanie hervorschauten, die von den Farben her an das Haarband der Gitarristin erinnerte. Er trug die gleiche Jacke, wie das Mädchen der Gruppe, mit hochgekrempelten Ärmeln, unter welcher man den Pullover der Uniform erkennen konnte. Seine Handgelenke waren mit schwarzen Stulpen bedeckt. Shuya, welcher die Jacke seiner Uniform ausgezogen hatte, sodass man die schwarz-blaue Weste, die er immer trug, genau sehen konnte, war der einzige, welcher ohne Instrument nach vorne trat. Mit geschlossenen Augen stand er konzentriert auf der Bühne und hielt dabei das Mikro fest in seiner rechten Hand, bereit sofort loszulegen. „Welche Art von Musik macht Nagase eigentlich?“, hakte Masaru nun doch mal nach. Er hatte eigentlich überhaupt keine Ahnung, was für eine Art Band Blue Butterfly war. Zwar hatte er eine Vorahnung, da er ungefähr den Musikgeschmack des Blau-Violetthaarigen kannte, doch sicher war er sich nicht. Eins war ihm jedenfalls klar, einigen Lehrern würde es wahrscheinlich nicht gefallen und er würde sich am Ende mit Sicherheit noch einiges anhören dürfen. Doch nun war es eh zu spät sich über irgendwelche Konsequenzen Gedanken zu machen. Irgendwie würde er es schon erklären können. Als Hiroshi ihn angrinste und meinte, dass er es nur abwarten sollte, wurde er jedoch nur in seiner Vermutung bestätigt. Also seufzte er, denn jetzt war es sowieso zu spät einen Rückzieher zu machen. Stille kehrte ein, bis der junge Mann am Schlagzeug dreimal mit seinen Drumsticks aufeinanderschlug und daraufhin laute, powervolle Musik erklang, welche sich durch Keyboardsound und Gitarrenriffs hervorhob. Widererwartend war jedoch nicht Shuya derjenige, welcher den Gesang eröffnete, sondern das einzige Mädchen der Band. Erst nachdem sie einige Zeilen gesungen hatte, stieg auch der Blau-Violetthaarige in das Lied mit ein, sodass ein Wechselgesang der beiden entstand. Nur während des Refrains erklangen ihre Stimmen gemeinsam, bevor sie wieder in den sich abwechselnden Gesang verfielen. Nicht einmal verlor ihr Song an Power, selbst dann nicht, wenn Shuya wie ein aufgedrehtes Duracellhäschen über die Bühne sprang. Und das geschah nicht nur einmal. Die anderen Lieder, welche sie von sich zum Besten gaben, nahmen sich in punkto Härte und Power nichts und klangen trotzdem durch die abgestimmten Stimmen ihrer beiden Sänger klar. So sorgten sie dafür, dass selbst diejenigen, die keinen Metal mochten begannen mit zu wippen. Völlig gebannt schaute sich die Gruppe um Mirâ das Konzert ihres Kumpels an. Grinsend sprang er immer wieder über die Bühne und interagierte mit dem Publikum, um es noch ein wenig mehr anzuheizen. Obwohl es sich bei den fünfen nur um eine Schülerband handelte, wirkte ihr Auftritt ziemlich professionell, was Mirâ eigentlich am meisten erstaunte. Allerdings hatte sie bisher nur ein richtiges Konzert gesehen und das war das von Akisu während des Tsukinoyo gewesen. Deshalb konnte sie natürlich keinen richtigen Vergleich ziehen, aber sie fand den Auftritt wirklich fesselnd. Mit einem lauten Knall endete das Konzert, welches die Schülerband an diesem Abend spielen durfte und plötzlich kehrte Stille auf dem Platz vor der Bühne ein. Dann, ganz zögerlich, begann der Applaus, welcher immer lauter wurde und durch pfeifen und rufe untermalt wurde. Schwer atmend standen die einzelnen Bandmitglieder vor der jubelnden Masse und überblickten alles mit großen Augen, als könnten sie nicht glauben, dass das gerade wirklich passiert war. Erst einige Minuten später schien es bei ihnen so richtig angekommen zu sein und einige der Mitglieder begangen bis über beide Ohren zu grinsen. „Vielen Dank, dass ihr uns heute alle so zahlreich zugehört habt“, sprach Shuya ins Mikrofon. „Und wir möchten uns auch ganz herzlich für die tolle Unterstützung bedanken. Ohne euch hätten wir heute nicht auftreten dürfen. Vielen Dank“, rief das einzige weibliche Mitglied in ihr Mikro, „Wir hoffen ihr hattet heute genauso viel Spaß wie wir.“ Jubel erschallte von der Masse an Schülern, was die beiden Frontmitglieder wieder grinsen ließ. „In wenigen Minuten beginnt der Abschluss des Culture Festivals mit der Rede des Direktors und dem Höhepunkt des heutigen Abends, dem diesjährigen Feuerwerk“, ertönte plötzlich die Stimme eines Mitglieds des Mediaklubs aus den Lautsprechern der Schule. „Ihr habt es gehört. Viel Spaß beim Feuerwerk euch allen“, damit verabschiedete sich Blue Butterfly von den anderen Schülern und verließ schnurstracks die Bühne. Auf diese trat kurz darauf der Direktor der Schule und stimmte eine Rede an, in welcher er sich bei den Schülern für ihre aufgeopferte Zeit bedankte, mit welcher sie diesen Tag zu einem echten Erfolg gemacht hatten. Kurz schweifte er ab, als er davon erzählte, wie sehr sich das Schulfest in den letzten Jahren gewandelt hatte, was für ihn jedoch nichts Schlechtes bedeutete. „Meine lieben Schüler. Genießt nun alle den Höhepunkt dieses Wochenendes, bevor es an die Aufräumarbeiten geht und ihr morgen wieder in eine erfolgreiche Woche starten könnt“, beendete er anschließend seine Rede, welche von verhaltenem Beifall kommentiert wurde, während er selbst die Bühne wieder verließ. Die Aufmerksamkeit aller versammelten Schüler richtete sich mit einem Mal gen Himmel, als dort mit lautem Knall eine aus Lichtpartikeln bestehende Blume auftauchte. Ein Raunen ging durch die Reihen, bevor die nächste Rakete gen Himmel stieg und erneut allgemeines Erstaunen erzeugte. Mit strahlenden Augen blickte Mirâ nach oben und beobachtete wie nach und nach immer wieder Raketen in verschiedensten Farben explodierten. Damit war das Schulfest offiziell beendet. Hiernach stand nur noch Aufräumen an der Tagesordnung, bevor es am nächsten Tag wieder mit dem regulären Unterricht weiterging. Etwas wehmütig sah die Violetthaarige zu, wie die nächste bunte Blume am Himmel explodierte, als sie an die vergangenen Tage zurückdachte. Sie hatten einiges an Stress gehabt, da die Zeit für die Vorbereitungen des Schulfestes aufgrund der Planung kürzer ausfiel, als normal. Doch trotz aller Widrigkeiten hatten sie es alle geschafft und die zwei Tage zu einem Erfolg gekrönt. Sie selbst hatte dabei ihre eigene Klasse viel besser kennengelernt und auch Seiten einiger Schüler kennengelernt, die sie noch nicht kannte, weshalb sie sich ihrer ganzen Kameraden nun näher fühlte, als noch zu Beginn des Jahres. Damals kam sie mit dem Gedanken an diese Schule, dass sie eh nicht lange hierbleiben würde. Doch nun war sie bereits ein gutes halbes Jahr hier, hatte so viel Schönes und auch Schreckliches erlebt und dabei Freunde gefunden, die ihr sehr wichtig waren. Und dafür, dass sie diese Tage nun mit eben jenen Freunden verbringen konnte, war sie unendlich dankbar. Neben sich bemerkte sie eine Bewegung, weshalb sie leicht zur Seite sah und bemerkte, wie Hiroshi sich neben sie gestellt hatte. Überrascht sah sie ihn an, während er ihr nur ein liebes Lächeln schenkte, welches sie daraufhin erwiderte. Plötzlich jedoch schrak sie zur Seite, als der Blonde mit einem überraschten Ausruf einen Satz nach vorn machte. Grund dafür war Shuya, der ihm mit viel Schwung von hinten den Arm über die Schulter gelegt hatte und ihn damit nach vorne gezogen hatte. Grinsend sah er seinen Kumpel an: „Na! Habt ihr zugeschaut?“ „Was denkst du denn?“, lachte Hiroshi, welcher sich wieder von seinem Kumpel löst. Dessen Grinsen wurde immer größer, während ihm alle bestätigten, wie beeindruckt sie von dem Auftritt seiner Band waren. Selbst Kuraiko hatte ein paar nette Worte für den Blau-Violetthaarigen übrigen, der dies gleich wieder zum Anlass nahm sich der jungen Frau zu nähern. Diese jedoch verpasste ihm nur einen Schlag in die Seite und wandte sich genervt mit verschränkten Armen von ihm ab, während sie schimpfte, dass er das nicht falsch verstehen sollte. Zumal sie nachweislich immer noch über die Aktion des Älteren sauer war, welche er am Vormittag abgezogen hatte. Wo Mirâ wieder beim Thema war: „Sag mal Nagase-kun. Was war das eigentlich für eine Aktion heute Vomittag?“ Erschrocken zuckte Angesprochener zusammen und kratzte sich dann peinlich berührt am Hinterkopf, bevor er erklärte, dass es eine Idee seiner Band gewesen war: „Sie haben gemeint, dass ich beim Spiel gestern sowieso mein erstes Tor in den Sand setze. Ich war etwas selbstüberschätzt und habe natürlich dagegengehalten. Deshalb ist ne Wette draus geworden. Der Einsatz war, dass ich als Mädchen verkleidet durch die Schule laufen muss, wenn ichs vergeige. Naja…“ „Ach deshalb warst du gestern so drauf, als würde die Welt untergehen“, fiel es nun auch Akane auf, woraufhin Shuya nickte. „Tze“, folgte von Kuraiko, „Und deshalb musst du einfach die Jacke eines der Mädchen aus unserer Klasse klauen?“ „Ich hab mich doch entschuldigt…“, kam es von dem Jungen, welcher sich augenblicklich hinter Rin versteckte, „Ich dachte halt, es wäre deine…“ „Hu!?“, kam es wieder genervt von der Schwarzhaaren, woraufhin ihr Klassenkamerad augenblicklich komplett hinter Rin verschwand, welche sich ein Kichern nicht verkneifen konnte. Die anderen, mit Ausnahme von Kuraiko und Shuya, fielen in das Lachen mit ein, während zweiterer nur beleidigt die Wangen aufblies. „Ding Dong Dung“, erschallte es plötzlich aus den auf dem Gelände verteilten Lautsprechern und unterbrach damit die ausgelassene Stimmung der Gruppe, „Damit ist das diesjährige Schulfest offiziell beendet. Wir möchten nun alle Schüler bitten sich in ihren Klassen einzufinden, um mit den Aufräumarbeiten zu beginnen.“ „Jetzt kommt der unangenehme Teil“, streckte sich Akane und beobachtete, wie Yasuo sich gähnend von der Gruppe abwandte, um Richtung Schultor zu gehen. Jedoch wurde er von Masaru davon abgehalten: „Wo willst du hin?“ „Nach Hause… bin müde…“, murmelte der Blauhaarige und bekam daraufhin einen allessagenden Blick des Schwarzhaarigen zugeworfen, welcher ihn veranlasste murrend in Richtung Schulhaus zu gehen. Lächelnd sah Akane den Älteren nach, die ihnen zum Abschied noch einmal zuwinkten und wandte sich dann an ihre anderen Teamkameraden. Auch Megumi und Ryu verabschiedeten sich daraufhin und machten sich auf den Weg in ihre Klasse, sodass am Ende nur noch die Zweitklässler übrigblieben. „So, ich verabschiede mich dann. Ich muss langsam zurück nach Aehara“, meldete sich plötzlich Rin zu Wort, die ein Grinsen aufgesetzt hatte, „Danke für die Einladung, Shû-chan. Es war wirklich ein sehr amüsanter Tag.“ „Soll ich dich zum Bahnhof begleiten?“, wandte sich Angesprochener an die Blauhaarige, wurde jedoch plötzlich auch am Kragen im Nacken gepackt. „Und wer soll bitteschön hier aufräumen?“, fragte Kuraiko gereizt. „A-aber ich will Rinacchi doch nur helfen…“, klagte Shuya, bekam jedoch nur einen Dämpfer der Schwarzhaarigen, dass er sich sowieso nur verlaufen würde. Rin kicherte, doch lehnte das Angebot freundlich ab: „Ich komm schon klar, Shû-chan. Aber danke. Außerdem hat deine Freundin recht. Ich hab auch nicht die beste Orientierung, aber mit dir verlaufe ich mich erst Recht.“ „Das ist hart, Rinacchi“, jammerte der Ältere, bekam als Antwort jedoch nur ein erneutes Kichern. „Dann komm gut Heim, Aikawa“, verabschiedete sich Hiroshi von der jungen Frau. Diese nickte: „Vielleicht sieht man sich ja irgendwann mal wieder. Also machts gut. Shû-chan, viel Spaß beim Aufräumen.“ Damit hatte sich die Gleichaltrige von der Gruppe abgewandt und war in Richtung Schultor verschwunden. Noch kurz sahen die Schüler der Jûgôya ihr nach, bevor sie sich nun ebenfalls auf den Weg in ihre jeweiligen Klassen machten, um sich beim Aufräumen zu beteiligen. Mit wackeligen Schritten schlich Megumi etwas später durch die Gänge der Schule und versuchte an den Kartons in ihren Armen vorbei zu schauen, um überhaupt etwas zu sehen. Ganz zu schweigen davon, dass diese viel zu hochgestapelt waren, waren sie auch noch verdammt schwer; vor allem für eine einzelne, zierliche Person wie sie. Trotzdem hatten ihre Klassenkameraden ihr diese Masse aufgedrückt. Ryu wollte ihr helfen, doch bevor er überhaupt dazu kam, ihr etwas abzunehmen, wurde er bereits für andere Aufgaben eingespannt. Erschöpft lehnte die brünette die Kartons gegen die Wand und verschnaufte einen Moment. Ihr war ja klar, dass sie so schnell wie möglich alles aufräumen mussten, doch musste es wirklich sein, dass man ihr diese Aufgabe gab? Sie war sich sicher, dass ihre Klasse das mit Absicht gemacht hatte, zumal sie Ryu abgehalten hatten ihr zu helfen. Es machte sie sauer, aber viel dagegen tun konnte sie in diesem Moment nicht. Also hatte sie sich erstmal ihrem Schicksal ergeben, selbst wenn sie sich dafür nun verfluchte. Megumi wandte ihren Blick nach rechts und erkannte bereits die Abstellkammer, zu welcher sie ihr Gepäck bringen musste. Sie hatte es also fast geschafft. Deshalb atmete sie einmal kräftig durch und setzte dann dazu an, die Kartons wieder richtig zu tragen. Dabei hatte sie jedoch so viel Schwung, dass sie nach hinten stolperte und im Begriff war mit Sack und Pack zu stürzen. Plötzlich jedoch packte sie jemand an der Schulter und verhinderte so, dass sie fiel. Gleichzeitig griff derjenige auch nach dem oberen Karton, welcher durch den Schwung beinahe auf sie gefallen wäre. Überrascht riss die Kleine die Augen auf und wandte sich ihrem Retter zu, bevor sich ein rosafarbener Schimmer auf ihren Wangen bildete. "Obata-senpai", brachte sie nur überrascht heraus, als sie den braunhaarigen, jungen Mann mit der gebräunten Haut hinter sich sah. "Alles in Ordnung, Yoshiko-chan?", fragte er nach und erhielt als Antwort ein leichtes Nicken, bevor er ihr half sich wieder richtig hinzustellen und dann die zwei obersten Kartons von dem Stapel nahm, "Ganz schön schwer. Ist das nicht etwas viel für eine Person?" Kurz zuckte die Jüngere zusammen und wandte dann den Blick gen Boden: "Ähm ja... a-aber e-es konnte mir keiner helfen. A-alle waren beschäftigt." Sie spürte Naotos Blick auf sich ruhen, weshalb sie nur schluckte. Doch anstatt darauf zu reagieren wandte sich der Brünette von ihr ab und lief zielstrebig auf das Lager zu. "Ich helfe dir. Das ist viel zu schwer für dich", meinte er dann. Überrascht sah die Kleine auf, doch folgte ihm dann lächelnd: "Vielen Dank, Senpai." Gemeinsam verfrachtete sie die Kisten im Raum, wechselten dabei jedoch kein weiteres Wort. Besonders für Megumi war diese Situation etwas unangenehm. Sie hatte das Gefühl, dass den Älteren etwas beschäftigte, denn solch eine Situation mit ihm kannte sie nicht. Eigentlich hatte er immer irgendetwas zu erzählen, doch seit er ihr die Kartons abgenommen hatte, schwieg er und es war diese merkwürdige Stimmung zwischen ihnen. Hatte sie ihn irgendwie verärgert? Stumm stellte sie ihren Karton in eines der Fächer und überlegte, was sie falsch gemacht haben könnte. "Hör mal", ließ Naotos Stimme sie plötzlich erschrocken zusammenzucken. "J-ja", fragte Megumi verunsichert und drehte sich vorsichtig zu dem Älteren herum. Dieser lehnte mittlerweile an dem Regal ihr gegenüber und hatte die Arme vor der Brust verschränkt, während er sie eindringlich musterte. Ein wenig unangenehm berührt, sah sie wieder zur Seite. "Diese Aktion hier mit den Kisten... hat das deine Klasse mit Absicht gemacht?", fragte er frei heraus und bemerkte dabei, wie die Jüngere wieder kurz zusammenzuckte, "Das wäre schon für eine große, kräftige Person viel zu viel gewesen. Für jemanden von deiner Statur ist das dann erst recht zu viel. Kein normaler Mensch würde auf die Idee kommen, jemand zierlichen, wie dich, sowas alleine schleppen zu lassen." Die Brünette schwieg einen Moment. Er hatte die Situation vollständig durchschaut, aber das wollte sie ihm nicht unter die Nase reiben. Sie konnte ihm doch nicht sagen, dass sie in ihrer Klasse immer wieder Opfer von Mobbing wurde. Was würde er dann von ihr denken? Gerade ihm gegenüber wollte sie nicht so schwach wirken, wie sie eigentlich war. Sie schluckte und setzte ein kleines Lächeln auf, während sie sich ihm zuwandte: "N-nein. Ich habe freiwillig gesagt, dass ich das mache. W-wie gesagt, die anderen waren beschäftigt. A-aber danke, dass du dir Sorgen..." Noch bevor sie den Satz beendet hatte, trat der Ältere auf sie zu und knallte seine Hand neben sie gegen das Holz des Regales, was die Kleine einen Schritt zurückweichen ließ. Erschrocken sah sie zu dem Größeren auf und versuchte seinen Gesichtsausdruck zu erkennen, doch aufgrund ihrer Position war ihr dies unmöglich. Während beide Parteien in dieser Position verweilten breitete sich unangenehme Stille aus, die Megumi leicht frösteln ließ. Angst stieg in ihr auf, dass sie den Älteren nun wirklich verärgert haben könnte. Dabei wollte sie doch nur nicht, dass er sich irgendwelche Sorgen machte. "Gestern... hatte Shuyan Hiro gefragt, ob du in deiner Klasse nun zurechtkommst, was mir echt komisch vorkam. Deshalb hab ich Hiroshi nach dem Spiel gefragt, was Shuyan meinte und er hat mir erzählt, dass du in deiner Klasse fertig gemacht wirst", erklärte Naoto plötzlich, was die Jüngere nur wieder leicht zusammenzucken ließ, "Ich habe mich schon immer gewundert, wieso deine Blöcke so zerfetzt aussehen. Aber ich dachte, das liegt an der großen Abnutzung, immerhin zeichnest du ja viel und gerne. Entschuldige... mir ist nie in den Sinn gekommen, dass deine Klasse so etwas..." Überrascht über diese Worte starrte die Brünette ihren Senpai mit großen Augen an und schaffte es nun sein Gesicht zu erkennen, welches wirkte, als würde er sich Vorwürfe machen. Sie seufzte. Vorsichtig legte sie ihm ihre Hand gegen die Brust und veranlasste ihn daraufhin etwas Abstand von ihr zu nehmen. "Du brauchst dich nicht entschuldigen, Senpai. Ich habe es ja auch nie erwähnt. Ich… wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Nein… wohl eher wollte ich nicht, dass du denkst ich sei schwach, weil ich gemobbt werde. Aber davon abgesehen...", meinte sie daraufhin in einem erstaunlich ruhigen Ton, "Solange sie nicht an meine persönlichen Sachen gehen, stört es mich nicht." "Was? Aber das ist nicht in Ordnung", unterbrach Naoto sie. Doch Megumi ließ sich davon nicht beeinträchtigen und setzte ein Lächeln auf: "Das ist mir bewusst... aber ich sehe es trotzdem positiv. Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass wir uns kennengelernt hätten, wenn es meine Klasse an diesem einen Tag nicht so übertrieben hätte. Denn dann wäre ich nicht an den Fluss zum Zeichnen gegangen und… du hättest mich wahrscheinlich nie angesprochen. Im Grunde müsste ich ihnen also dankbar sein. Deshalb denke ich immer an diesen Moment, wenn sie es wieder übertreiben… und dann geht es mir wieder besser.“ In diesem Moment bemerkte die Jüngere, was sie da gerade von sich gab und wurde mit jedem Mal kleinlauter und leiser, während ihr Gesicht mit jedem Wort dunkler wurde. Im Grunde klang das doch total nach einem Liebesgeständnis. Oder? "A-also... w-was ich m-meine ist, d-dass ich froh bin, d-dass wir dadurch Freunde geworden sind u-und...", murmelte sie und hob dabei den Blick, wobei ihr auffiel, dass auch das Gesicht ihres Senpais einen leichten Rotschimmer hatte. "Hey Megumi, sorry, dass...", ließ beide die Stimme von Ryu aufschrecken, als dieser plötzlich in der Tür stand. Voller Scham nahmen beide Parteien wieder etwas mehr Abstand voneinander. Überrascht sah Megumis Klassenkameraden die beiden Schüler an: "Komm ich ungelegen?" "W-was? N-nein, a-also...", stammelte die Brünette. Der Rotbraunhaarige verschränkte die Arme hinter dem Kopf und wandte sich dann ab: "Ich wollte nachsehen, ob du es alleine schaffst. Aber wie ich sehe hattest du Hilfe. Da bin ich ja beruhigt. Wenn du soweit bist, kannst du nachhause gehen. Wir sind fertig. Bis morgen dann." Damit setzte er sich in Bewegung und ging zurück zur Klasse. "Ähm Ryu-kun...", begann die Brünette, doch da war ihr Teamkamerad bereits verschwunden. Ihr Gesicht glich einer überreifen Tomate. Konnte diese Situation eigentlich noch peinlicher werden, als sie eh schon war? Vorsichtig sah sie zu Naoto, welcher in die Richtung blickte, in die Ryu verschwunden war. Dabei erkannte sie, dass seine Ohren noch immer leicht rot waren, was ihr ein leichtes Schmunzeln abrang. Irgendwie fand sie das süß. Erschrocken zuckte sie jedoch einen Moment später zusammen, als Naoto sich wieder ruckartig zu ihr umdrehte und sein Smartphone aus der Hosentasche kramte. Etwas irritiert beobachtete Megumi, wie ihr Senpai auf dem Gerät herumtippte, bevor er es ihr vor die Nase hielt. Überrascht blickte sie auf das schwarze Telefon, auf dem sie eine Zahlenkombination vorfand, weshalb sie leicht irritiert zu ihrem Senpai guckte: "Eh?" Dieser hatte den Blick wieder etwas abgewandt, um so seine Scham zu verbergen: "Meine Nummer. D-dann kannst du dich ruhig bei mir melden, wenn etwas ist. Dann bin ich sofort zur Stelle." Mit großen Augen sah sie Naoto an und wusste nicht genau, was sie dazu sagen sollte. Schon lange hatte sie vor ihn nach seiner Nummer zu fragen, doch jedes Mal den Mut verloren, wenn sie die Gelegenheit dazu hatte. Und nun gab er ihr diese einfach so. Es kam ihr vor wie ein Traum vor und doch wusste sie, dass es real war. Als sie nicht gleich reagierte, traf sie ein fragender Blick, weshalb sie nun doch endlich aus ihrer Starre erwachte und schnell ihr Handy aus der Rocktasche kramte, um sich die Nummer zu notieren. Einen Moment später klingelte kurz das Telefon des Älteren, welches sie angeklingelt hatte, um ihm so auch ihre Telefonnummer durchzugeben. Auch Naoto wirkte etwas überrascht, doch grinste dann: "Danke. Du kannst mir natürlich auch gern jederzeit einfach so schreiben, wenn dir danach ist." Wieder sah die Brünette ihn mit großen Augen an, doch bevor sie reagieren konnte, wandte sich ihr Senpai mit einem Grinsen von ihr ab und verabschiedete sich erst einmal von ihr, da er noch gebraucht wurde. Mit knallrotem Gesicht sah sie ihm nach und drückte dabei ihr Smartphone an ihre Brust, während sich auf ihren Lippen ein Lächeln bildete. Kapitel 122: CXXII – Vorahnung ------------------------------ ??? Stille umgab sie, welche ab und zu durch ein gleichmäßiges Piepsen unterbrochen wurde. Ein sanfter Windzug berührte ihre Hände und veranlasste sie langsam ihre Augen zu öffnen. Daraufhin schaute sie auf eine dunkle Zimmerdecke, welche durch eine ihr unbekannte Lichtquelle an einer Ecke leicht erhellt wurde. Wo war sie? Sie versuchte sich aufzurichten, doch egal was sie versuchte, ihr Körper verweigerte ihr jeglichen Dienst. Egal ob sie versuchte ihre Arme oder ihre Beine zu bewegen, nichts gelang. Einzig und alleine ihre Augen taten noch, was sie wollte. So versuchte sie sich so gut es ging umzusehen. Zu ihrer Linken erkannte sie die Ansätze von Fenstern, von denen eines angekippt war, sodass die davorhängenden Vorhänge durch den hereinkommenden Wind sanft wehten. Ihr Augen wanderten weiter zu ihrer linken entlang und kamen schließlich ungefähr auf Höhe ihres Kopfes zum Stehen, wo sie einen Ständer erkannte, an welchem ein Gefäß mit einer Flüssigkeit hing. Noch ein Stück höher erkannte sie mehrere Bildschirme, auf welchen bunte Farben flackerten und von denen eindeutig das Piespen ausging. Sie schaute sich weiter um und blieb am Ende an einer Tür zu ihrer Rechten hängen. Diese stand einen Spalt offen, während darin eine junge Frau mit weißer Haube auf dem Kopf stand und sie erschrocken ansah. Plötzlich stürmte sie aus dem Zimmer und rief panisch nach dem Doktor. In genau diesem Moment wachte Mika auf und blickte sich irritiert in dem dunklen Zimmer um, welches in der realen Welt Mirâ gehörte. Panisch sah sie in alle Richtungen und bemerkte erst nach und nach, wo sie sich wirklich befand. Zitternd legte sie sich die Hand an die Stirn, als ihr bewusst wurde, dass sie wieder einmal geträumt hatte. Und wieder war es ein solcher Traum, in dem sie sich anscheinend in einer anderen Welt befand. Was hatte das nur zu bedeuten? Zitternd nahm sie ihre Hand von der Stirn und blickte auf diese, welche sie daraufhin zu einer Faust ballte, um sie wieder zu beruhigen. Was waren das nur für Träume, die sie da heimsuchten? Und sie wurden mehr und wie sie fand auch schlimmer... Je häufiger sie einen Dungeon besuchte und je mehr Leute sich ihrer Gruppe angeschlossen hatten, desto häufiger wurde sie davon verfolgt. Seufzend lehnte sie sich gegen die Wand. Sie war müde. Der fehlende Schlaf machte ihr zu schaffen. Dass sie jemals so etwas wie Schlafmangel empfinden könnte, hätte sie vor einigen Monaten nicht einmal gedacht. Andererseits konnte sie sich auch nicht mehr genau erinnern, wie sie damals so durchgekommen war. Sie erinnerte sich, wie sie durch diese merkwürdige Welt geschlichen war, aber... hatte sie damals jemals geschlafen? Daran erinnerte sie sich nicht mehr. Jetzt jedoch war sie so unendlich müde und wollte nur noch schlafen, doch sie konnte nicht. Viel zu sehr trieb sie in diesem Moment die Angst um erneut von diesen Träumen eingeholt zu werden. Noch einmal seufzte das kleine Mädchen, eh sie sich mit Schwung erhob und dann das Haus verließ, um einen Spaziergang zu machen. ??? Langsam öffne ich meine Augen und finde mich erneut im Velvet Room wieder. Überrascht sehe ich mich um, finde dann allerdings nur ein leeres Sofa vor. Sofort überkommt mich eine böse Ahnung und ich schaue erschrocken in einen der Spiegel, die mich umgeben. Doch dieser wirkt normal. Kein dunkler Schatten wabbert um mich herum und droht mich zu verschlingen und auch kein unangenehmes Gefühl kommt in mir auf. Es schien also alles in Ordnung. Erleichtert atme ich auf und richte meinen Blick wieder auf das blaue Sofa mir gegenüber, wo ich nun plötzlich Margaret sitzen sehe, welche mich freundlich anlächelt. "Willkommen im Velvet Room, werter Gast", begrüßt sie mich, "Verzeih, dass ich dich so unvermittelt hergestellt habe." "Du hast mich hierhergeholt?", mit ihr zu reden fällt mir wesentlich leichter, als mit Igor. Die Platinblonde nickt und legt das Kompendium auf den Tisch, welches sie sonst immer im Arm hält. Vorsichtig schlägt sie die erste Seite auf, woraufhin ich die Arcana mit der 0 erkenne. Auf der Seite daneben erscheinen Bilder von Momenten, an denen sich der Social Link fortgesetzt hatte und zeigen mir noch einmal, was zu dem Zeitpunkt geschehen war. "Ich habe dich zu mir gerufen, um deinen Werdegang in Bezug auf deine Social Links zu bereden", erklärte Margaret ohne von dem Buch aufzuschauen, "Ich bin sehr über deine Fortschritte erstaunt. In den letzten Monaten hast du viele deiner Bekanntschaften stark vertieft und auch neue kennengelernt. Sie alle werden dir auf deinem Weg helfen." Gebannt lausche ich den Worten der blonden Frau, während ich auf die geöffnete Seite des Buches starre. Diese spricht nun weiter: „Die Arcana des Narren ist bereits auf Stufe sechs. Du selbst hast leider keinen großen Einfluss auf die Entwicklung dieser Karte. Sie entwickelt sich mit der Stärke deines Teams.“ Überrascht schaue ich auf und in das lächelnde Gesicht der Blonden. Ehrlich gesagt, habe ich bereits selber diese Vermutung gehabt. Immerhin füllte sich der Link immer nur dann, wenn wir einen Dungeon beendet und uns danach besprochen hatten. Margarets Worte bestätigten diesen Verdacht nun. Sie blättert weiter: „Du hast es auch endlich geschafft eine Bindung zum Magier aufzubauen und ihm zwei Stufen zu verschaffen. Auch die Arcana der Priesterin hast du in der Zwischenzeit für dich gewinnen können. Wirklich erstaunlich. Dagegen hast du die Kaiserin mittlerweile auf Stufe fünf gebracht. Der Kaiser im Gegenzug ist noch auf Stufe drei.“ Immer weiter blättert sie durch das dicke Buch: „Auch den Hierophanten hast du mittlerweile eingesammelt und auf Stufe zwei gebracht. Doch lass mich dich kurz warnen.“ Sie blättert weiter auf die Karte der Liebenden: „Es kann sein, dass dir das Fortführen des Hierophanten Probleme mit der Karte der Liebenden bringen könnte. Wenn du nicht sorgsam genug bist, könnte es passieren, dass diese hier dir entgleitet.“ Ich seufze. Damit habe ich gerechnet. Kuraikos Beziehung zu Shirota war kompliziert und ihre persönliche Art machte die Sache nicht einfacher. Wenn selbst Margaret mir dahingehend einen Tipp mitgibt, muss die ganze Situation einfach kompliziert sein. Das wird mich mit Sicherheit noch einige Nerven kosten. Die Bewohnerin dieser Welt blättert weiter zur Arcana des Streitwagend, welcher sich bereits auf Stufe sieben befindet, hinüber zur Gerechtigkeit auf Stufe sechs, sowie dem Hermit auf Stufe fünf. Ich bin selber erstaunt, wie weit die meisten meiner Social Links bereits geklettert sind. In den letzten Wochen habe ich selten noch wirklich aktiv in die App geschaut, selbst wenn sie mir anzeigte, dass sich etwas getan hatte. Ansonsten wäre ich wohl wesentlich informierter, über den Werdegang. Andererseits will ich aber auch nicht ständig daran erinnert werden, dass diese Freundschaften im Zusammenhang mit meiner Fähigkeit als Wild Card stehen. Der Gedanke, dass sie zerbrechen könnten, wenn meine Aufgabe beendet ist, macht mich einfach zu fertig, weshalb ich daran nicht denken will. Wir gehen die einzelnen Arcanas weiter zusammen durch. Die Schicksals-Arcana befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf Stufe drei, die Stärke, also Senpais Arcana, auf der acht und ist damit von allen bisherigen am weitesten geklettert. Alec mit dem Gehängten ist aktuell auf der sechs und Mika mit der Karte des Todes ebenfalls auf der acht. Ihre Arcana macht mir immer noch Sorgen, doch bevor ich mir weiter Gedanken machen kann, blättert Margaret bereits weiter zur Mäßigkeit von Megumi auf Stufe vier. Diese habe ich ja erst vor einigen Tagen wieder erweitert. Auch der Teufel von Kyo war bereits auf der achten Stufe gelandet, was mich ziemlich erstaunt, da ich mir Anfangs ja vorgenommen hatte ihm lieber aus dem Weg zu gehen. Dass ich nun doch relativ schnell so weit mit ihm gekommen bin, erstaunt mich dabei ganz schön. Matsurika mit dem Turm, Shio mit dem Stern und Amy mit dem Mond sind alle auf Stufe fünf und Hiroshi mit der Sonne am Schluss schon auf der sechs. Wenn ich richtig zähle, dann sind es alles in allem 19 Social Links, von denen ich auf 18 selber Einfluss habe. Wie genau das allerdings funktioniert, habe ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht herausgefunden. Eigentlich sind es normale Gespräche, die dazu führen, dass sie sich füllen. Allerdings nicht bei jedem x-beliebigen Gespräch, sonst wäre ich mit Akane, Hiroshi und den anderen aus meinem Team schon wesentlich weiter. Wie also…? "Damit wären wir am Ende unserer Besprechung", schlägt Margaret ihr Buch wieder zu und holt mich damit aus meinen Gedanken. Plötzlich bemerke ich, wie die Welt um mich herum beginn zu verschwimmen. Doch bevor ich vollkommen wegdrifte wendet sich Margaret wieder an mich: "Ach eines habe ich noch... Du hattest uns vor einer Weile wegen der anderen Wild Cards gefragt. Halt die Augen offen, ich habe das Gefühl, dass dir bald jemand mit dieser Kraft begegnen wird." Damit ist unser Gespräch beendet und ich stürze in tiefe Dunkelheit. Montag, 28.September 2015 - Vollmond Gähnend betrat Mirâ die Eingangshalle der Schule und schlurfte müde zu dem Fach, in welchem ihre Hausschuhe standen. Halb in Trance öffnete sie dieses und wechselte, einem Zombie ähnelnd, ihre Schuhe. Sie war so müde. Ganz davon abgesehen, dass die Aufräumaktion am Vorabend ziemlich lange ging und sie erst spät zuhause war, so hatte ihr der Besuch im Velvet Room den Rest gegeben. Hatte sie überhaupt geschlafen? So recht wusste sie es nicht. Sie fühlte sich, als habe sie die ganze Nacht durchgemacht. "Ohayou Mirâ", wurde sie von der Seite freundlich begrüßt. Sie drehte sich zu der Person um, welche sie angesprochen hatte und erkannte Akane, die sie lieb anlächelte: "Du siehst müde aus. Hast du schlecht geschlafen?" "Ich habe das Gefühl gar nicht geschlafen zu haben", gähnte die Violetthaarige. Ihre brünette Freundin legte fragend den Kopf schief, doch Mirâ winkte nur ab und meinte, dass es egal sei. Stattdessen setzte sie sich in Bewegung und machte sich auf den Weg zu ihrem Klassenraum. Akane schloss sich ihr an und lief dabei neben ihr her. Gerade als sie in die große Empfangshalle traten, kamen ihnen zwei Erwachsene entgegen, von denen einer der Konrektor war. Die andere Person kannte Mirâ nicht, jedoch nahm sie diese in dem Moment auch nur flüchtig wahr, immerhin war sie noch viel zu müde. Höflich verbeugten sich die beiden Mädchen, als die Männer sie passierten. Plötzlich war Mirâ wieder hellwach, als sie eine blaue Bewegung im Augenwinkel wahrnahm. Überrascht drehte sie sich noch einmal zu den beiden Erwachsenen um und erblickte dann einen strahlenden Schmetterling. Er unterschied sich eindeutig von denen, welche sie vorher bei den anderen ehemaligen Persona-Usern gesehen hatte, doch bevor sie ihn genauer betrachten konnte, war er bereits wieder verschwunden. Ebenso wie die beiden Männer, welche soeben in das Lehrerzimmer eintraten. Irritiert starrte die Oberschülerin in genau diese Richtung und überlegte, ob sie sich das gerade einfach nur eingebildet hatte oder nicht. Ein Tippen auf ihrer Schulter ließ sie wieder zurück ins Hier und Jetzt kommen und zu ihrer besten Freundin sehen. "Ist alles in Ordnung?", fragte sie mit besorgtem Blick und sah dann in die Richtung, in die die Erwachsenen verschwunden waren, "Kanntest du den Mann?" "Ähm nein. Nicht wirklich. Ich dachte nur, ich hätte etwas gesehen...", murmelte die Violetthaarige, welche sich wieder abwandte und nun den Weg zu ihrer Klasse antrat. Akane sah ihr kurz irritiert nach, bevor sie noch ein letztes Mal zum Lehrerzimmer schaute und ihr dann folgte. Mirâ war bewusst, dass sie ihre beste Freundin damit verwirrt hatte, doch solange sie sich nicht sicher war, ob ihre Vermutung stimmte, wollte sie nicht darüber sprechen. Wenn sie sich nicht irrte, so hatte sie eben erneut einen ehemaligen Persona-User gesehen, aber sie wusste es nicht zu einhundert Prozent. Vor allem, da ihr der Schmetterling dieser Person merkwürdig vorkam. Er war anders, das war sicher. Aber vielleicht hatte sie ihn sich auch nur eingebildet, immerhin war sie noch nicht richtig wach. Ihr Gehirn hätte ihr also auch einfach einen Streich spielen können. Bis sie also geklärt hatte, ob und was sie gesehen hatte, wollte sie die Sache lieber erst einmal für sich behalten. In der Mittagspause hatte sich Mirâ auf dem Weg zur 2-3 gemacht, in welche Kuraiko ging. Nach dem Gespräch mit Margaret, in welchem sie auf die Problematik mit Kuraikos und Shirotas Social Links aufmerksam gemacht wurde, hatte sich die Violetthaarige vorgenommen das Gespräch mit der Schwarzhaarigen zu suchen. Es musste eine Möglichkeit geben, beide Arcanas weiterzubringen, ohne dass es Probleme mit der jeweils anderen gab. Wie genau wusste sie nicht, doch sie würde es nicht herausfinden, wenn sie es nicht wenigstens versuchte. Noch einmal tief durchatmend kam sie an besagter Klasse an und lugte durch die geöffnete Tür, woraufhin ihr sofort die Schwarzhaarige in den Blick fiel. Diese saß ihr genau gegenüber, in der letzten Reihe hinten am Fenster und war gerade dabei ihre Lunchbox auszupacken. In diesem Moment schien sie jedoch Mirâ im Augenwinkel zu bemerken und sah sie argwöhnisch an, während diese nur freundlich winkte. Kurze Zeit später fanden sich beide Mädchen in einer ruhigen Ecke des Schulgebäudes wieder; ihre beiden Bentoboxen vor sich ausgebreitet. „Also, was wolltest du von mir?“, fragte Kuraiko unvermittelt, während sie sich ein Tamagoyaki aus ihrer Box fischte. „Nun…“, begann Mirâ und überlegte kurz, wie sie anfangen sollte. So richtig hatte sie sich da eigentlich keinen Plan gemacht, was sie nun schon irgendwie bereute. Doch es gab kein Zurück mehr, weshalb sie einfach ansprach, was ihr gerade in den Sinn kam: „Erstmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich mich schon wieder bei dir und Tsukiyama-kun eingemischt habe. Du sagtest ja, dass ich mich raushalten soll. Es ist nur…“ „Was?“, genervt hob ihre Freundin die Augenbraue. Die Violetthaarige schluckte kurz und sprach es direkt an: „Kann es sein, dass es da etwas Unausgesprochenes zwischen euch gibt, was… naja eure Beziehung stört? Ich habe das Gefühl, dass dich etwas belastet, sobald Tsukiyama-kun auftaucht und dass du deshalb nicht möchtest, dass er in deiner Nähe ist.“ „Urgh meine Fresse! Hör auf einen auf Gutmenschen zu machen! Das nervt tierisch!“, wurde die Schwarzhaarige plötzlich laut und ließ damit ihre Freundin zusammenzucken, „Wieso kannst du dich nicht einfach raushalten, wie jeder andere!?“ „Sorry…“, beinahe wäre Mirâ wieder eingeknickt, doch dann schüttelte sie den Kopf und nahm all ihren Mut zusammen. Sie war doch hier, um das Problem irgendwie zu lösen und nicht, um es wieder dabei zu belassen: „Ich mache mir halt Sorgen, Kuraiko! Wenn da etwas zwischen euch steht, dann solltet ihr darüber sprechen. Vor allem wenn es dich belastet. Und genau das tut es. Auch wenn du versuchst es zu überspielen. Immerhin seid ihr Kindheitsfreunde.“ „Ich überspiele absolut nichts“, kam es nur genervt zurück, was Mirâ jedoch nicht zurückhielt. „Von wegen!“, schimpfte nun auch sie und ließ Kuraiko damit zum ersten Mal erstaunt dreinschauen, „Ständig überspielst du deine Schwächen. Das ist ja auch in Ordnung, aber mir gegenüber kannst du sie doch zeigen. Immerhin sind wir Freunde!“ Schweigen brach aus, in welchem sich die beiden jungen Frauen nur gegenseitig ansah. Dann jedoch unterbrach die Schwarzhaarige den Blickkontakt und schaute wieder auf ihre Brotdose, die immer noch gut gefüllt war. „Oh man… du bist echt nervig…“, seufzte sie letztendlich geschlagen, „Dass wir Sandkastenfreunde sind weißt du ja bereits. Als Kinder waren wir echt dicke miteinander und haben fast jeden Tag miteinander gespielt. Bis zur Mittelschule war auch alles gut und dann plötzlich hat der Idiot angefangen mich zu meiden. Gleichzeitig veränderte er sich äußerlich auch so radikal. Sagt dir Albinismus etwas? Mit Sicherheit. Betroffenen fehlen bestimmte Farbpigmente, die Haare und Augen färben. Shirota ist davon betroffen. Eigentlich sind seine Haare schneeweiß, deshalb wirken seine schwarz gefärbten Haare auch so fehl am Platz. Wie ich herausgefunden habe, färbt er sich die Haare, weil sein Vater es so will. Er will es ihm recht machen, der perfekte Sohn sein… und dafür hat er mich einfach fallen lassen.“ Mirâ hörte schweigend zu, bemerkte jedoch, dass es Kuraiko zunehmend schwer fiel über diese Angelegenheit zu sprechen. Ihre Vermutung, dass ihre Freundin dieses Thema belastete, war also richtig gewesen. „Im zweiten Jahr der Mittelschule kurz nach den Sommerferien war er plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Er tauchte einfach nicht mehr in der Schule auf. Unsere Klassenlehrerin erzählte mir dann, dass er ganz plötzlich die Schule gewechselt hatte. Sie konnte mir aber auch nicht sagen zu welcher Schule er gewechselt ist. Also hab ich versucht es selber herauszufinden. Mag sein, dass ich manchmal etwas komisch bin, aber Freunde sind selbst mir wichtig. Seine Großeltern haben mir letzten Endes erzählt, dass sein Vater ihn zu sich genommen hat und er deshalb die Schule wechseln musste. Sie gaben mir auch seine neue Adresse, zu der ich gegangen bin, um mit Shirota zu reden. Er meinte aber nur, dass ich verschwinden solle. Also habe ich begonnen dieses Spiel mitzuspielen und mir angewöhnt, niemand mehr näher an mich heranzulassen. Ich wollte so etwas nicht noch einmal durchmachen“, erzählte die Schwarzhaarige weiter, „Und im Führjahr tauchte er dann auch plötzlich hier auf und trat dem Botanikclub bei. Ich dachte vielleicht möchte er sich endlich mal dafür entschuldigen. Aber er kam nur am ersten Tag zur Vorstellung, danach blieb er dem Club, wie alle anderen, fern und ich wurde wieder wütend. Dieser Idiot kann mir ernsthaft gestohlen bleiben.“ Die Zuhörerin schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie verstand nun, wieso Kuraiko so wütend auf den jungen Mann war und konnte es sogar nachvollziehen. Wahrscheinlich würde sie genauso reagieren. Trotzdem… „Jetzt weißt du, was zwischen uns abläuft“, Kuraiko packte ihr Essen zusammen und sah ihre Freundin mit einem ernsten Blick ab, „Deshalb bitte ich dich ein letztes Mal, dich aus der Angelegenheit herauszuhalten. Ich meine es ernst.“ Ohne eine Antwort von Mirâ abzuwarten erhob sie sich und ging. Die Violetthaarige sah ihr besorgt nach. Das warme Gefühl in ihrer Brust, wurde von einem bitteren Beigeschmack begleitet. Egal was sie nun machen würde. Mit Sicherheit würde ihre nächste Aktion Kuraiko sehr wütend machen. Sie musste mit Shirota sprechen und sich damit einmischen. Ihr war klar, dass es anders nicht gehen würde. Gab es denn überhaupt einen Weg, ihre Freundin nicht sauer zu machen? Die Hoffnung darauf hatte die Oberschülerin bereits während des Gespräches mit der Schwarzhaarigen verloren. Doch wie sollte sie sonst weiter vorgehen? Das blieb fraglich und bereitete ihr mehr als nur tierische Bauchschmerzen. Später Nachmittag – Fußballclub Ein lauter Pfiff ging über den Platz und veranlasste die Fußballer der Jûgôya High School ihren Lauf, welchen sie bereits seit 15 Minuten um den Platz machten, zu verlangsamen und letzten Endes zu beenden. „Alle in einer Reihe aufstellen“, rief ihr Trainer, „Ich habe eine Bekanntgabe zu machen!“ Überrascht sah Hiroshi auf, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und erblickte dann neben seinem Trainer noch eine weitere Person: Einen jungen Mann, vielleicht Anfang 20, mit ungewöhnlichen dunkelgrauen, kurzen Haaren. Er trug einen dunkelroten Jogginganzug mit weißen Streifen. Unter der offenen Jacke erkannte man ein weißes Shirt, über dem eine kleine Trillerpfeife baumelte. Der Blonde kniff kurz die Augen zusammen, denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass mit besagtem Mann etwas nicht stimmte. Für einen Moment war ihm, als würde diesen eine bläuliche Aura umgeben. Doch nachdem er sich kurz die Augen gerieben hatte, war sie verschwunden. Kaum hatten sich alle Anwesenden wie geheißen in einer Reihe aufgestellt, richtete ihr Trainer auch bereits das Wort an seine Schützlinge. Er zeigte auf die Person neben sich: „Das hier ist Narukami-kun. Er ist Lehramtsstudent und als Dozent an unsere Schule gekommen, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Nebenbei wird er mir bei eurem Training helfen.“ Benannter machte eine höfliche Verbeugung: „Es freut mich, Jungs. Mein Name ist Narukami Yu. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit.“ „Auf gute Zusammenarbeit“, schallte es im Einklang der Fußballspieler, welche sich ebenfalls verbeugten. Ein Ellenbogen traf Hiroshi in die Rippen und ließ ihn zu seinem Kumpel Shuya schauen, der neben ihm stand. „Findest du das nicht auch komisch? So mitten im Jahr?“, fragte dieser etwas irritiert. „Mhm“, der Blick des Blonden ging wieder unbemerkt auf ihren neuen Trainer, welcher sie alle nur anlächelte. Shuya war zwar manchmal etwas verpeilt, jedoch hatte dieser ein gutes Gespür und vor allem sehr gute Menschenkenntnis. Deshalb musste Hiroshi ihm auch zustimmen. Sie hatten schon einige Male Dozenten an der Schule, aber selten kamen sie mitten im Schuljahr. Irgendwas an dieser Situation war merkwürdig. Er hatte ein schlechtes Gefühl, hoffte jedoch, dass er sich irrte und dass es sich hier wirklich nur um einen Zufall handelte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er plötzlich den Blick des Grauhaarigen auf sich spürte, und ließ ihn zusammenzucken. Doch als er dem Älteren direkt ins Gesicht sah, blickte dieser in eine andere Richtung, als sei nichts gewesen. Hier stimmte wirklich etwas nicht. Ganz und gar nicht. Da war sich Hiroshi sicher. „So, da wir nun alle aufgewärmt sind können wir ja mit dem Training beginnen“, holte ihn die Stimme seines Trainers aus den Gedanken, welcher sogleich erklärte, was sie an diesem Nachmittag alles machen würden. So begann das Training ohne weitere Zwischenfälle und ließ Hiroshi gar keine wirkliche Zeit weiter darüber nachzudenken. Unterdessen stand Mirâ etwas Abseits und blickte hinüber zum Spielfeld, wo der Fußballclub nun mit seinem Training begann. Der Kyudo-Club fiel an diesem Tag aus, da ihr Trainer andere Dinge zu erledigen hatte, weshalb sie eigentlich nachhause gehen wollte. Doch auf dem Weg zum Ausgang lief ihr wieder der junge Mann vom Morgen über den Weg. Und erneut war ihr dabei dieses blaue Licht aufgefallen, welches sich tatsächlich als Schmetterling entpuppte. Dieser erinnerte sie an den, welchen sie in Iwatodai im Krankenhaus gesehen hatte oder besser gesagt: An den von Makoto Yuki. Trotzdem unterschied er sich von diesem, denn er leuchtete viel heller und intensiver, als der des Blauhaarigen. Konnte es sein? War ihr hier eine Wild Card erschienen? Sie erinnerte sich an Margarets Worte, welche sie darauf aufmerksam gemacht hatte, die Augen offen zu halten. Das wäre jedoch wirklich ein ziemlich großer Zufall. Entweder die Bewohner des Velvet Rooms wussten noch mehr, als sie zugaben, oder aber irgendjemand hatte hier seine Hände im Spiel. Vielleicht lag es auch an beidem. Mirâ seufzte, während sie den Grauhaarigen beobachtete, um den nun dauerhaft dieser kleine Schmetterling flog, als wäre er eine Blüte mit Nektar. Plötzlich wandte der junge Mann jedoch den Blick von dem Geschehen vor sich ab und sah genau zu ihr. Augenblicklich schrak die Violetthaarige auf. Ihr war, als würde sein Blick sie durchbohren. Sie schluckte schwer und deutete schnell eine Verbeugung an, bevor sie die Beine in die Hand nahm und sich aus dem Staub machte. „Das war unheimlich…“, ging ihr durch den Kopf, „Was hat das nur alles zu bedeuten? Wer ist das nur?“ Am späten Abend stand die junge Frau besorgt vor ihrem Spiegel. Seit sie nachhause gekommen war, hatte sie versucht Mika zu erreichen, doch das ohne Erfolg. Egal, ob sie es über den Standspiegel in ihrem Zimmer oder über den kleinen Handspiegel versucht hatte, ihre kleine Freundin meldete sich einfach nicht. Sorgenvoll wandte sie ihren Blick ab und schaute aus dem Fenster auf den weißen Vollmond, welcher direkt in ihr Zimmer schien. In den letzten Monaten war genau an solchen Tagen immer jemand in die Spiegelwelt verschleppt worden. Um das zu überprüfen, wollte sie mit der Blauhaarigen sprechen, doch diese war nicht erreichbar. Was sollte sie nun machen? Alleine in die Welt hinter dem Spiegel gehen und nach Mika oder einem vermeintlichen Opfer suchen? Oder gar gleich Megumi mitnehmen? Nein, das war keine Option. Diese Welt war gefährlich, vor allem wenn man alleine ging. Sie würde Megumi und sich selbst nur unnütz in Gefahr bringen. Was blieb ihr also noch? Wieder sah sie zu ihrem Spiegel und versuchte es ein letztes Mal, doch erneut kam keine Antwort. Stattdessen starrte sie nur auf ihr eigenes Ebenbild. Mirâ seufzte. Es hatte keinen Sinn mehr. Gegebenenfalls musste sie es am nächsten Tag noch einmal versuchen. Vielleicht hörten sie ja auch morgen schon von einem plötzlichen Verschwinden. Natürlich war immer noch ihre Hoffnung, dass niemand dort drüben war, doch vorerst musste sie immer mit dem Schlimmsten rechnen. Noch einmal seufzte sie und wandte sich dann ab, um zu ihrem Futon zu gehen. Schwerfällig ließ sie sich darauf fallen und hing dann ihren Gedanken nach. Irgendwas braute sich da zusammen. Sie wusste nicht wieso, aber sie hatte da so ein Gefühl. Erst tauchte dieser merkwürdige Mann an ihrer Schule auf, der womöglich eine Wild Card war, und dann konnte sie Mika nicht erreichen, obwohl sie abgemacht hatten zum nächsten Vollmond miteinander zu sprechen. Was ging hier nur vor? Plötzlich wurden ihre Augen schwer und bevor sie sich weitere Gedanken machen konnte, war sie bereits im Land der Träume verschwunden. Kapitel 123: CXXIII – Schmerzhafte Erinnerungen ----------------------------------------------- Dienstag, 29.September 2015 Gemeinsam mit Akane verließ Mirâ die U-Bahnstation in Jûgôya-ku, von welcher aus sie zu ihrer Schule gelangten, und schaute überrascht auf Hiroshi, welcher bereits am Ausgang auf sie wartete. „Morgen“, hob er zur Begrüßung die Hand. „Ohayou Hiroshi-kun“, grüßte auch die Violetthaarige ihren Kumpel, welcher ihr ein liebevolles Lächeln schenkte. „Kommt nicht oft vor, dass du uns hier abfängst“, meinte Akane, welche genau wusste, dass Hiroshi immer eine andere U-Bahn nahm und sie sich deshalb eher selten auf dem Weg trafen, „Hat das nen Grund?“ Der Blonde kratzte sich am Hinterkopf: „Wenn ich ehrlich bin, dann schon… es gibt da etwas, was mich beschäftigt.“ Seine Sandkastenfreundin hob die Augenbraue: „Etwas privates? Oder etwas wegen der Spiegelwelt? Dann sollten wir das lieber alle gemeinsam besprechen.“ „Nein, es reicht, wenn Mirâ davon erfährt“, meinte der junge Mann nur, was die beiden Frauen dazu veranlasste sich kurz gegenseitig fragend anzusehen, „Ich weiß nicht, ob ihr das schon mitbekommen habt, aber wir haben seit gestern einen neuen Referendar an unserer Schule.“ „Ah dieser grauhaarige Typ. Meinst du den?“, fragte Akane frei heraus und bekam daraufhin ein Nicken als Antwort, „Was ist mit dem?“ „Sein Name ist wohl Narukami Yu. Er ist seit gestern auch Trainer des Fußballclubs. Aber… findet ihr es nicht auch komisch, dass mitten im Schuljahr ein Dozent an unsere Schule wechselt? Ganz zu schweigen, dass ich das Gefühl habe, dass mit dem Typen etwas nicht stimmt“, Hiroshi hatte sich den Finger ans Kinn gelegt und wirkte, als würde er über etwas nachdenken. Überrascht sah Mirâ ihren Kumpel an. Er hatte also auch so eine Ahnung wie sie. „Ich weiß was du meinst, Hiroshi-kun“, sagte sie deshalb, „Ich glaube auch, dass da etwas nicht ganz stimmt. Aber wir sollten die Situation vielleicht erst einmal beobachten und nichts überstürzen.“ Ihre beiden Freunde, die sie bereits seit Beginn dieses Abenteuers begleiteten, sahen sie kurz fragend an, doch schienen es dann ebenfalls für besser zu halten, das Ganze zu beobachten. Unnütz in Gefahr bringen wollten sie sich immerhin auch nicht. Es war klar, dass die Sache zum Himmel stank, doch sich kopflos hinein und am Ende vielleicht noch in eine aussichtslose Situation zu stürzen, brachte sie auch nicht weiter. Deshalb machte Mirâ den Vorschlag, dass sie die Sache noch einmal in Ruhe mit den anderen besprechen sollten, sobald sich die Gelegenheit ergab. Nickend stimmten ihre Klassenkameraden ihr zu und beließen es erst einmal dabei. „Aber hört mal, ich hab da noch was…“, meinte die Violetthaarige plötzlich und bekam so wieder die volle Aufmerksamkeit ihrer Freunde, „Seit gestern erreiche ich Mika nicht mehr. Ich habe es mehrmals versucht, aber sie reagiert nicht. Das macht mir wirklich Sorgen.“ „Gestern war Vollmond, oder?“, fragte Akane, „Vielleicht hat sie eine Spur aufgenommen und deshalb nicht mitbekommen, wie du sie gerufen hast.“ Mirâ dachte über die Worte ihrer Freundin nach. Da war natürlich etwas dran. Über diese Möglichkeit hatte sie gar nicht nachgedacht. Es konnte natürlich sein, dass wirklich jemand drüben war und Mika dessen Spur aufgenommen hatte. Plötzlich merkte die Oberschülerin, wie ihre innere Unruhe langsam abklang. Ein wenig jedenfalls, denn ein einige kleine Zweifel und damit Sorge blieben. Trotzdem beließ sie es erst einmal dabei. Mit Sicherheit würde sich Mika bei Gelegenheit bei ihr melden. So versuchte sie erst einmal nicht weiter darüber nachzudenken, während sie mit ihren beiden Freunden die Schule erreichte. Der restliche Schultag verging weitgehend ereignislos, weshalb die Stimmung zwischen Mirâ und Akane ziemlich ausgelassen war, als diese das Schulgebäude verließen. Sie hatten sich vorgenommen noch einen kurzen Abstecher in der Innenstadt zu machen und einen Bubble Tea zu trinken und etwas zu bummeln, bevor sie Nachhause fahren würden. Ausgelassen unterhielten sich die beiden jungen Frauen auf dem Weg zur U-Bahn, als Akane etwas im Augenwinkel auffiel. Sie stoppte in ihrem Satz und blickte fragend auf die andere Straßenseite, wo sie Hiroshi, Shuya und Naoto erkannte. Zweiterer winkte den beiden Mädchen zu, was für sie eine Aufforderung sein sollte, kurz zu ihnen zu stoßen. Akane jedoch hatte nicht wirklich Lust dazu, vor allem nicht, nachdem sie Obata gesehen hatte. Zwar war sie während der Klassenfahrt mit ihm ausgekommen, aber auch nur um den Frieden in der Gruppe zu bewahren. So jedoch ging sie ihm lieber weiterhin aus dem Weg. Doch bevor sie irgendwie protestieren konnte, hatte Mirâ sich bereits bei ihr untergehakt und sie in die Richtung der Jungs gezogen. „Na ihr beiden? Auf dem Heimweg?“, fragte Shuya grinsend. „Fast, wir wollten noch einen Bubble Tea trinken gehen“, antwortete Mirâ lachend. „Klingt lecker. Können wir uns euch anschließen?“, kam eine weitere Frage des Blau-Violetthaarigen, welcher kurz darauf jedoch von Hiroshi unterbrochen wurde. „Ich dachte wir wollten auf den Bolzplatz“, gab er seinem Kumpel einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. Dieser zuckte kurz zusammen: „Ach ja… vergessen…“ „Oh man Shuyan, war doch dein Vorschlag“, lachte Naoto. „Na dann hat sich das ja erledigt. Komm Mirâ, wir gehen, bevor es zu voll wird“, zog Akane leicht an Mirâs Ärmel, weil sie nur noch schnell wegwollte. Fragend richteten sich die roten Augen ihrer besten Freundin auf sie, während diese zu einem Satz ansetzen wollte. Doch ehe die Violetthaarige etwas sagen konnte, ertönte plötzlich ein hämisches Lachen in ihrer Nähe, weshalb sie den Blick abwandte. Dieser richtete sich daraufhin auf zwei junge Männern in typischen schwarzen Oberschuluniformen mit Stehkragen. Dieser wiederum war blau und von einem weißen Streifen durchzogen, ebenso wie der breite Saum der Jacken. Neben sich vernahm Mirâ ein genervtes „oh nein“, doch bevor sie darauf reagieren konnte, begann bereits einer der beiden Jungs das Gespräch. „Wenn das nicht Shuya ist“, sagte er fies grinsend, „Ist ja lange her. Du bist ja wirklich an die Jûgôya gegangen. Hätte gar nicht gedacht, dass du die Aufnahmeprüfung dort bestehst.“ Sein Blick wanderte hinter den Blau-Bioletthaarigen zu Hiroshi und Naoto: „Gleiches gilt für euch beide. Pff. Sag mal, Shuya, wird es dir nicht langsam leid, dich mit diesen Loosern von Gaijins zu umgeben?“ Überrascht über diesen Ausdruck, riss Mirâ die Augen auf. Sicher, Hiroshi und Naoto sahen nicht unbedingt wie typische japanische Jungs aus, doch niemals wäre sie auf die Idee gekommen, sie als Ausländer zu betiteln. Und vor allem so abwertend. Sie wollte etwas sagen, doch plötzlich trat Akane vor: „Na hört mal…“ Auch sie stoppte plötzlich, als Shuya sich vor sie stellte und sein Gegenüber böse anschaute: „Hast du ein Problem damit, dass ich auf die Jûgôya gehe? Oder seid ihr neidisch? Für mehr als die Yûzora hat es bei euch ja anscheinend nicht gereicht. Also lasst mich mit eurem dummen Gesülze in Ruhe und macht euch vom Acker. Es ist und bleibt meine Sache, mit wem ich mich umgebe.“ Damit hatte er sich in Bewegung gesetzt und ging. Seine Schulkameraden folgten ihm und ließen die beiden perplex wirkenden Schüler zurück. „Irgendwann kriegst du das zurück, Nagase!“, rief einer der beiden ihnen noch nach, doch Shuya hob nur zum Abschied den Arm und reagierte nicht weiter darauf. Schweigend lief die Gruppe daraufhin einige Meter nebeneinander her. Mirâ lagen verdammt viele Fragen auf der Zunge, doch sie traute sich nicht diese auszusprechen, zumal seit dem Zusammentreffen eine so merkwürdig gedrückte Stimmung war. Plötzlich jedoch hielt der Blau-Violetthaarige an und veranlasste so auch den Rest der Gruppe stehen zu bleiben. „Hiro, Nao. Sorry deswegen…“, wandte er sich mit einem kleinen Grinsen an seine beiden Kumpels, welche jedoch nur den Kopf schüttelten. „Wir sind es doch gewohnt. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Shuyan“, meinte Hiroshi lächelnd und mit den Schultern zuckend, welchem Naoto nur nickend zustimmte. „Ähm… entschuldigt, wenn ich da so direkt frage. Aber was sollte das von denen?“, stellte Mirâ nun doch die Frage, die ihr auf der Seele brannte und auf die kurzes Schweigen folgte. Ihr blonder Kumpel seufzte plötzlich und kratzte sich am Hinterkopf: „Tja… wie erkläre ich das jetzt?“ Fragend sah die Oberschülerin den jungen Mann an, welcher zu überlegen schien wo genau er anfangen sollte. „Weißt du“, versuchte Naoto einen Anfang zu finden, „Diese beiden sind mit uns gemeinsam auf die Mittelschule gegangen. Und… naja…“ „Diese beiden Ar***** haben Hiroshi extrem gemobbt“, kam es plötzlich von Akane, welche den Blick gesenkt und ihre Hände zu Fäusten geballt hatte, „Bringt es doch einfach auf den Punkt!“ Sofort war die Aufmerksamkeit aller, allem voran Mirâ, auf die Brünette gerichtet. Doch so schnell wie die Violetthaarige zu ihrer besten Freundin geschaut hatte, so schnell war ihr Blick auch wieder zu Hiroshi gewandert. Dieser hatte ein kleines Lächeln auf den Lippen, welches die junge Frau jedoch nicht wirklich zuordnen konnte, und beobachtete seine Sandkastenfreundin. Egal wie sie es drehte und wendete, sie konnte das Gesagt nicht wirklich zuordnen. Sicher, es würde einiges erklären, vor allem sein Verhalten in Ryus Dungeon, doch es passte einfach nicht. Hiroshi wirkte nicht, wie der Typ Mensch, der normalerweise zum Opfer von Mobbing wurde. Der Blonde schien ihren Blick auf sich zu bemerken und nickte dann, bevor er sich abwandte. Seufzend lehnte er sich an das Geländer hinter sich und blickte gen Horizont: „Akane hat Recht… Weißt du, ich war nicht immer so, wie jetzt. In der Grund- und Mittelschule hatte ich überhaupt kein Selbstvertrauen und habe versucht jedem Streit aus dem Weg zu gehen. Ich konnte mich nicht wehren, weil ich zu viel Angst davor hatte. Dazu hatte ich von Natur aus schon immer hellere Haare als alle anderen, was selbst den Lehrern sauer aufstieß. Also war ich das perfekte Mobbingopfer. Während der Grundschulzeit und im ersten Jahr der Mittelschule habe ich mich deshalb hauptsächlich hinter Akane versteckt. Und sie ist für mich jedes Mal in die Presche gesprungen und hat versucht mich zu verteidigen.“ „Mit mäßig Erfolg, wie ich gesehen habe…“, murmelte Erwähnte. Hiroshi sagte dazu erst einmal nichts, sondern erzählte weiter: „Nachdem du die Schule gewechselt hast, Akane, wurde es tatsächlich schlimmer. Ich hatte keine Lust mehr in die Schule zu gehen, aber hatte keine andere Wahl. Wie hätte ich das auch erklären können? Hilfe von Lehrern konnte ich auch nicht erwarten. Denen war nur wichtig, dass ja nichts davon nach außen gelang. Und meine Eltern? Mit denen konnte ich auch nicht drüber sprechen. Rin wollte ich damit nicht belästigen. Tja… ich war irgendwann soweit, dass ich einfach nur verschwinden wollte. Und wäre Shuya damals nicht gewesen…“ Er brauchte nicht einmal weiterzusprechen, damit Mirâ verstand, was er damit sagen wollte. Mit vor den Mund gelegten Händen starrte sie ihren Kumpel geschockt an. Sie wusste gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Ihre Freundin Akane jedoch schon. Diese stürmte plötzlich an ihr Vorbei und packte Hiroshi wütend am Kragen. „Sag mal willst du mich verarschen?“, schrie sie ihn an. Ruhig blickte er sie jedoch nur mit seinen blauen Augen an und brachte sie dann mit einem gekonnten Griff dazu ihn loszulassen. Auch als er sein Hemd wieder richtete sagte er nichts dazu. Stattdessen ergriff Shuya das Wort: „Ich habe damals, als ich in Hiros und Naos Klasse gekommen bin mitbekommen, dass die Klasse es auf ihn abgesehen hatte. Weil ich sowas von meiner Schwester kannte und wusste, wohin das führt, habe ich versucht dagegen vorzugehen. Das Beste ist natürlich jemanden in die Klasse zu integrieren, was allerdings ein wenig Mitarbeit desjenigen bedeutet. Wenn derjenige sich sperrt wird es schwer. Hiro war leider am Anfang so ein Fall, was ich allerdings bei jahrelanger Schikane auch verstehen kann. Es hat mich einiges an Zeit gekostet überhaupt sein Vertrauen zu bekommen, was unsere Klasse wieder versucht hat zu zerstören. Ich wollte nie wieder miterleben, wie sich jemand etwas antut, weil er von anderen fertig gemacht wird. Vor allem, wenn es sich dabei um Familienmitglieder und Freunde handelt. Deshalb bin ich bis heute froh, dass ich damals rechtzeitig kam.“ Überrascht sahen die beiden Frauen zu Shuya, welcher nur leicht grinste. „Ich hab doch mal erwähnt, dass ich Shuyan einiges zu verdanken habe. Jetzt wisst ihr, was ich damit meinte…“, meinte Hiroshi; den Blick wieder auf den Horizont gerichtet. Wieder breitete sich Schweigen aus. Doch wie hätte es anders sein sollen nach solch einem Thema? Mirâ wurde allerdings einiges klar. Sie verstand nun, wieso die Freundschaft der beiden Jungs etwas so Besonderes war und wieso die Sache mit Ryu und Megumi Hiroshi so an die Nieren ging. Und gleichzeitig dankte sie Shuya dafür, dass er damals an Ort und Stelle war. Wie hätte sie sonst Hiroshi kennenlernen können? Klar und deutlich spürte sie das warme Glühen in ihrer Brust, welches dieses Mal jedoch um einiges stärker war, als sonst. „Entschuldige Mirâ. Aber mir ist gerade die Lust auf Bubble Tea vergangen. Ich geh nach Hause“, sagte Akane plötzlich mit zittriger Stimme. Sie hatte den Blick gesenkt und die Hände zu Fäusten geballt, was darauf schließen ließ, dass sie kurz davor war zu weinen. Angesprochene ging auf sie zu und wollte mit ihr sprechen, doch ehe sie die Brünette überhaupt erreicht hatte, rannte diese plötzlich davon. Vollkommen perplex von dieser Reaktion sah Mirâ ihr kurz nach, bevor sie sich ebenfalls in Bewegung setzte. Sie rief den Jungs noch eine Verabschiedung zu und folgte dann ihrer besten Freundin. In so einer Situation wollte sie sie nicht alleine lassen. Dass Hiroshi ihnen dabei mit traurigem Blick nachschaute, fiel ihr nicht auf. Es dauerte eine Weile, bis Mirâ ihre beste Freundin eingeholt hatte, was vor allem daran lag, dass diese eindeutig eine bessere Ausdauer hatte, als sie selbst. Doch endlich schaffte sie es deren Hand zu greifen und sie damit zum Anhalten zu bewegen. „Akane… ich verstehe dich. Mich hat es auch geschockt, was ich da gehört habe“, sagte sie vorsichtig, „Möchtest du darüber sprechen?“ „Sag mir bitte, dass das nur ein böser Traum war, Mirâ“, nuschelte die Brünette nur verzweifelt, doch bekam darauf keine Antwort, „Verdammt… verdammt… verdammt…“ Ihre beste Freundin wusste nicht, was sie darauf sagen sollte: „Ich verstehe dich…“ Ihr Gegenüber schüttelte jedoch plötzlich den Kopf: „Nein Mirâ. Entschuldige, aber das tust du nicht… weißt du… ich habe Hiroshi immer verteidigt, weil ich dachte, ihm damit zu helfen. Aber eigentlich habe ich damit nichts erreicht… viel mehr… oh Gott… Mirâ, er wollte dich das Leben nehmen! Ich kann das nicht glauben!“ „Das ist aber nicht deine Schuld, Akane. Du hast getan, was du für richtig hieltest“, versuchte Mirâ sie zu beruhigen. Doch wieder schüttelte Akane den Kopf: „NEIN! Ich hätte… ihm anders helfen müssen…“ Plötzlich versagten dem braunhaarigen Mädchen die Beine und sie sackte auf die Knie, während ihre Freundin dies zum Anlass nahm sie in den Arm zu nehmen und fest an sich zu drücken. Just in diesem Moment konnte Akane ihre Tränen nicht mehr unterdrücken und fing bitterlich an zu weinen. Mirâ unterdessen schwieg und rieb ihr nur beruhigend über den Rücken. Sie gab der Brünetten die Zeit, welche sie brauchte, um das gehörte zu verarbeiten. Dass es sie härter treffen würde, als die Violetthaarige, war vorhersehbar, immerhin stand Akane Hiroshi viel näher, als sie selbst. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass sie so reagierte. So saßen die beiden Oberschülerinnen eine ganze Weile auf dem Boden, bis sich die Brünette langsam wieder beruhigte. Erst dann ergriff Mirâ wieder das Wort: „Hör zu Akane. Ich bin mir sicher, dass Hiroshi dir nie irgendwelche Vorwürfe gemacht hat. Mit Sicherheit war er dir dankbar, dass du für ihn da warst, auf deine Art. Also hör bitte auf dir Vorwürfe zu machen.“ „Meinst du?“, schniefte Angesprochene und bekam dafür ein Nicken als Antwort, „Ich hoffe du hast Recht. Danke Mirâ. Dafür, dass du dabei und dann einfach da warst.“ „Das ist doch selbstverständlich, Akane. Du bist immerhin meine beste Freundin“, kam es lächelnd zurück, woraufhin die andere junge Frau ihr erneut in die Arme fiel. Wieder breitete sich das warme Glühen in ihrer Brust aus, als sie nun endlich auch verstand, wieso die brünette Schülerin im Dungeon so auf Hiroshis Gefühlsausbrüche reagiert hatte. Am späten Abend hockte Akane auf der Couch im Wohnzimmer und hatte dabei die Beine eng an sich gezogen. Mit immer noch roten und geschwollenen Augen starrte sie auf ihr grünes Smartphone, auf welchem sie den Nachrichtenchat mit Hiroshi geöffnet hatte. Die letzten Nachrichten waren bereits einige Tage alt, was daran lag, dass sie meisten nur in der Gruppe schrieben. Nur wenn es um wirklich private Dinge ging, schrieben sie sich direkt. Aber auch das war mittlerweile recht wenig geworden. Das letzte Thema betraf wieder einmal Rin. Sie hatte Hiroshi vor einigen Tagen gefragt, ob es diesbezüglich etwas Neues gab, doch bisher war alles unverändert. Nun jedoch starrte sie auf das geöffnete Antworten-Feld und die einzelnen Schriftzeichen, die sie nur auswählen musste, um einen Text zu verfassen. Doch sie zögerte. Was sollte sie auch schreiben? Sich entschuldigen, dass sie so reagiert hatte? Oder ihn fragen, ob er bescheuert war? Oder sollte sie sich doch lieber nach seinem persönlichen Befinden erkundigen? Andererseits hatte er sie ja auch nicht gefragt. Murrend sank ihr Kopf auf ihre Knie. Sie war wütend, wusste allerdings nicht genau auf wen. Auf sich selbst, weil sie nichts ändern konnte? Auf Hiroshi, der dass die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt hatte? Auf diese Idioten, die ihn ständig fertig gemacht hatten? Es war egal, denn nichts davon ergab Sinn. Erschrocken ließ Akane beinahe ihr Smartphone fallen, als dieses unvermittelt begann zu klingeln, während das Display Hiroshis Namen anzeigte. Überrascht darüber, dass er sie just in diesem Moment anrief, wo sie überlegte ihm zu schreiben, nahm sie das Telefonat entgegen. "Ja?", fragte sie und versuchte so normal wie möglich zu klingen. Das allerdings ging daneben, denn ihre Stimme zitterte und verriet so ihre Verunsicherung. Sie schluckte und hoffte, dass Hiroshi es nicht mitbekommen hatte. Die kurze Stille, welche jedoch folgte verriet ihr, dass er es sehr wohl mitbekommen hatte. "Hast du kurz Zeit?", fragte er ohne direkt darauf einzugehen, "Wenn ja, können wir uns kurz treffen? Am Pilzspielplatz?" Überrascht weiteten sich kurz die Augen der Brünetten, bevor sie jedoch zustimmte und auflegte. Eine viertel Stunde später saß sie auf besagtem Spielplatz auf einer der Schaukeln und sah sich um. Obwohl dieser Ort mittlerweile in die Jahre gekommen war, so hatte er nichts von seinem Charme verloren. Seinen Namen hatte er von den verschiedenen großen Steinstatuen, in Form von Pilzen, die über den Platz verteilt waren und die zum Klettern einluden. Ein kleines Lächeln legte sich auf Akanes Lippen, als sie sich daran erinnerte, wie sie gemeinsam mit Hiroshi als kleine Kinder über den Platz getobt waren, während ihre Eltern oder Rin auf sie aufgepasst hatten. Ständig war sie auf die Pilze geklettert und hatte versucht ihren Kumpel dazu zu bewegen es ihr gleich zu tun. Damals war er allerdings noch ein kleiner Angsthase gewesen und hatte sich dagegen gewehrt. Trotzdem hatten sie hier viel Spaß zusammen. Und dass, obwohl ihr Kumpel es damals sowohl in der Schule, als auch Zuhause nicht einfach hatte. Plötzlich wurde ihr Blick traurig, während sie sich wieder an das Gespräch am Nachmittag erinnerte. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals und ihr wurde übel, als sie daran denken musste, was sie über Hiroshi erfahren hatte. Sie senkte den Blick. Wie konnte es nur dazu kommen, dass er so verzweifelt war und keinen anderen Ausweg sah? Schuldgefühle kamen in ihr auf. Bereits nachdem sie erfahren hatte, was geschehen war, fühlte sie so. Wäre es anders gewesen, wenn sie ihn anders unterstützt hätte? Oder wenn sie weiterhin Kontakt gehabt hätten? Sie presste die Lippen aufeinander, als ihr so ganz langsam bewusstwurde, welchen Fehler sie damals begangen hatte. "Ist lange her, was?", holte Hiroshis Stimme sie aus ihren Gedanken. Erschrocken sah sie zu ihrem Kumpel, welcher, mit den Händen in den Hosentaschen, gemütlich auf den Spielplatz geschlendert kam und neben ihr zum Stehen kam. Sofort wandte sie sich wieder dem Boden zu. Sie konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen. Es quietschte, als sich Hiroshi neben ihr auf der Schaukel niederlies und mit dieser leicht hin- und herpendelte, während er sich mit den Füßen vorsichtig abstieß. Dann kehrte wieder Stille ein, welche nur durch das leise zirpen der letzten Zikaden unterbrochen wurde. "Dir ist klar, wieso ich das bisher nicht erwähnt habe... oder?", unterbrach Hiroshi das Schweigen mit dem Blick gen Himmel gerichtet, "Mir war klar, dass du so reagieren würdest, wenn du davon erfährst..." "Was... ist damals passiert?", fragte Akane kleinlaut ohne aufzuschauen, "Wieso bist du auf so einen irrsinnigen Gedanken gekommen?" Sie spürte trotzdem den kurzen Seitenblick des Blonden auf sich ruhen. "Hm...", kam es kurz von dem jungen Mann, welcher nun ebenfalls auf seine Schuhe schaute, "Ich hab versucht alleine klar zu kommen, nachdem du weg warst. Für unsere Klasse war das damals einfach nur ein gefundenes Fressen, aber ich dachte nur dran, dass es irgendwann auch mal zu Ende sein würde. Dann kam Shuya an unsere Schule..." Ganz ruhig erklärte er ihr, wieso sein Kumpel am Nachmittag meinte, dass er Schwierigkeiten hatte sich mit ihm anzufreunden, weil er sich so gesperrt hatte. "Du hast ja bestimmt selber mitbekommen, dass Shuyan jemand ist, der immer und überall sofort Anschluss findet und jeden mitzieht. Das war mir, der von solchen Menschen bisher immer nur fertig gemacht wurde, einfach zuwider. Ich dachte, wenn ich mich auf ihn einlasse, würde er das auch nur ausnutzen und mich später gemeinsam mit der Klasse fertig machen. Also bin ich ihm aus dem Weg gegangen", erklärte Hiroshi weiter und musste plötzlich leicht lachen, „Er war echt hartnäckig und deshalb bin ich irgendwann eingeknickt. Aber ich war echt skeptisch…“ Er erzählte weiter, dass das seiner Klasse allerdings ein Dorn im Auge war, immerhin habe Shuya ihn damals dazu gebracht mehr an sich selbst zu glauben und Selbstvertrauen aufzubauen, sodass er es sogar bereits schaffte sich gegen Kleinigkeiten zu wehren. Zusätzlich baute ihn damals auf, dass sein Kumpel ihn zum Fußballclub geschliffen hatte und er dort, mit einigen Ausnahmen, auch endlich Anschluss fand. Das machte ihn zusätzlich etwas stärker. Aber das schützte ihn nicht gänzlich vor den Sticheleien der anderen. "Dass ich Shuya als Kumpel hatte, machte es einfacher... dachte ich jedenfalls", meinte er weiter, "Aber wie gesagt, die anderen hat das genervt...“ Ein Seufzen entkam seinen Lippen, bevor er erzählte, wie er eines Morgens in die Klasse kam und vor dem Lehrerpult die Unterlagen lagen, die er am Vortag zum Lehrerzimmer hätte bringen sollen. Da er allerdings noch mit dem reinigen der Tafel beschäftigt war, hatte Shuya ihm angeboten die Unterlagen dorthin zu bringen. „Er war auch mit den ganzen Papieren losgelaufen und hatte mir am Ende sogar bestätigt, dass alles erledigt sei…“ Als sein Lehrer das Chaos bemerkte, bekam er tierischen Ärger. Auch seine Verteidigung brachte nichts. Sein Lehrer meinte damals einfach nur, dass er nicht einfach eine Ausrede für sein Fehlverhalten suchen sollte. So hatte Hiroshi begonnen zu glauben, dass Shuya ihn betrogen hatte und ihm mit der Aktion eine auswischen wollte. „Eigentlich hätte mir klar sein sollen, dass er sowas nie gemacht hätte, aber ich habe ihm einfach zu wenig vertraut und nur geglaubt, was ich sah“, erzählte er weiter und erwähnte dabei, dass er sich dann einfach nur verraten gefühlt hatte. Er fühlte sich einfach nur furchtbar alleine gelassen. Hilfe, die er sich holen wollte, wurde hart abgelehnt. Und er dachte, dass die Menschen, denen er vertraut hatte, ihn verraten hatten. Er war der Meinung gewesen, dass er nicht einmal mit seiner Familie darüber sprechen konnte. Seine Mutter hätte ihm sowieso nicht geglaubt. Dann kam an diesem besagten Tag auch noch dazu, dass seine Eltern am Morgen einen Streit hatten. Nachdem seine Mutter ihm auch noch suggeriert hatte, dass es mal wieder seine Schuld war und ihm dann auch noch die Sache in der Schule widerfahren war, fiel einfach der Schalter. „So richtig registriert, was danach passiert ist, hab ich erst, als Shuya versucht hat mich davon abzuhalten über den Zaun auf dem Dach zu klettern“, ging es weiter- Der junge Mann spürte den geschockten Blick der Brünetten auf sich, doch reagierte nicht darauf. Er selbst erinnerte sich ja selber nicht gerne daran. Stattdessen meinte er nur, dass es kein Aufsehen diesbezüglich gab, da Shuya der Einzige war, der das mitbekommen hatte. Damals hatten sie sich sogar geprügelt, weil Hiroshi so wütend auf den Blau-Violetthaarigen war. Dieser hatte sich darauf eingelassen, einfach nur, damit der Blonde damals seinen Frust loswerden konnte: "Danach hat er mir erzählt, was mit seiner Schwester passiert ist und dass er deshalb so ist, wie er ist und er mir wirklich nur helfen wollte. Ich hab diese Hilfe dann angenommen und selber etwas dafür getan, um aus diesem Strudel herauszukommen. Ach, und letzten Endes kam heraus, dass einer unserer Mitschüler, mit denen Shuya eigentlich auskam, für das Chaos mit den Unterlagen verantwortlich war. Aber eine Entschuldigung des Lehrers oder der Verantwortlichen habe ich nie bekommen.“" "Entschuldige...", kam es plötzlich von Akane, "Hätte ich dich damals anders unterstützt, dann wäre es wohl nicht so weit gekommen. Ich... hatte damals immer das Gefühl, ich müsste dich beschützen, aber... vielleicht hätte ich anders reagieren sollen oder dir helfen sollen selbstbewusster zu werden. Stattdessen bin ich immer gleich dazwischen gegangen, was dazu geführt hat, dass du dich hinter mir versteckt hast und sie dich erst recht fertig gemacht haben, nachdem ich weg war. Außerdem... hätte ich dich wohl nach meinem Umzug mal besuchen sollen. Nicht mal das habe ich für nötig gehalten. Ehrlich gesagt dachte ich anfangs, dass es vielleicht besser wäre, erstmal etwas Abstand zu dir zu nehmen, damit du für dich stärker wirst. Und plötzlich warst du auch nicht mehr auf dem Handy erreichbar. Da dachte ich, dass du mich wirklich nicht mehr brauchst und habe mich erst recht nicht mehr getraut, zu dir zu kommen. Hätte ich damals doch nur anders reagiert... in allen Situationen... es tut mir so leid, Hiroshi..." Eine Hand legte sich auf ihren Kopf, den sie wieder hängen ließ, und wuschelte ihr leicht durch das Haar. "Du brauchst dich weder entschuldigen, noch dir für irgendwas die Schuld geben", meinte der Oberschüler neben ihr nur ruhig und erklärte dann, dass es nichts brachte sich nun darüber den Kopf zu zerbrechen, was gewesen wäre, wenn etwas anders gelaufen wäre. Er selbst hatte oft genug darüber nachgedacht und war letzten Endes zu dem Entschluss gekommen, dass es wohl nichts geändert hätte. Es gab eben Dinge, mit denen sie lernen mussten umzugehen, selbst wenn es verdammt schwer war. Und letzten Endes war ja dank Shuya nichts geschehen und er lebte noch. Den aufkommenden Protest seiner Sandkastenfreundin unterband Hiroshi schnell, als diese versuchte den Kopf zu heben, indem er diesen wieder sanft nach unten drückte. Er ahnte, dass sie eine Diskussion mit ihm beginnen würde, was gewesen wäre, wenn Shuya eben nicht da gewesen wäre, doch auf so ein Gespräch wollte er sich nun nicht einlassen. Auch darüber hatte er sich immerhin schon oft genug Gedanken gemacht. "Fang damit bitte nicht an. Es ist okay so", meinte er nur, "Was ich eigentlich sagen wollte ist, dass ich immer froh war, dich als Freundin zu haben. Zu wissen, dass du immer auf meiner Seite warst, hat mir wirklich geholfen und mir die Tage einfacher gemacht. Und ja, es war schwer, als du plötzlich nicht mehr da warst, aber auch daran bin ich ja irgendwie gewachsen. Ich konnte mich ja auch nicht ewig hinter dir verstecken. Oder?" Er lachte, merkte aber das Beben in Akanes Körper, welches kurz darauf von Schluchzen begleitet wurde, bevor die junge Frau bitterlich in Tränen ausbrach. Hiroshi ließ sie gewähren und gab ihr die Zeit, die sie brauchte, während er ihr weiter über den Kopf strich. Es war abzusehen, dass es so enden und sie sich Vorwürfe machen würde. Aus diesem Grund wollte er ihr davon auch gar nicht erzählen. Akane hatte sich immer für ihn verantwortlich gefühlt. Seit dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Und er hatte es zugelassen und diese Art von Hilfe zu gerne angenommen, immerhin war es der einfachste Weg gewesen. Im Nachhinein hätte er schon damals mehr an sich arbeiten müssen, doch er hatte es nicht für nötig erachtet, denn Akane war ja immer da. Und diese Einstellung hatte sie beide nun an diesen Punkt gebracht, an dem sie jetzt waren. So verging einiges an Zeit, bis sich die Brünette wieder soweit beruhigt hatte. "Geht es wieder?", fragte Hiroshi sanft und bekam als Antwort ein Nicken, woraufhin er sich lächelnd von der Schaukel erhob, "Ich hoffe du verstehst, wieso ich es lieber für mich behalten hätte. Ich rede ja selber nicht gerne drüber, immerhin weiß ich selber wie dumm dieser Gedanke war. Aber nun weißt du auch, wieso mich die Sache mit Ryu und Megumi erst recht beschäftigt hat. Aber ich denke um die beiden braucht man sich keine Sorgen machen. Megumi ist geistig viel stärker, als ich damals. Es hat mich wirklich erstaunt, wie erwachsen sie mit der Sache umgeht. Hätte ich damals nur halb so erwachsen denken können, ich wäre wohl nie auf den Gedanken gekommen, aufs Dach zu steigen. Und Ryu... naja er macht Fortschritte und hat gelernt, dass es keine Schwäche ist sich Hilfe zu suchen. Es ist ja nicht so, dass er nicht die Kraft hätte sich verbal zu wehren. Ihm fehlt es wohl einfach nur an körperlicher Kraft, aber das wird er schon aufholen." Akane beobachtete ihn eine Weile und lächelte plötzlich auch wieder: "Du bist auch ziemlich stark geworden..." "Hm?", fragend drehte sich der junge Mann zu ihr um, weil er nicht genau verstanden hatte, was sie gesagt hatte. Die Brünette jedoch schüttelte nur den Kopf, stand mit Schwung auf und boxte ihm plötzlich leicht mit der Faust in den Rücken, was den Blonden mit einem Schmerzenslaut nach vorne stolpern ließ. Protestierend wollte er sich zu ihr umdrehen, doch wurde von der Brünetten unterbrochen. „Ich bin froh, dass du noch lebst…“, murmelte Akane peinlich berührt, was ihrem Kumpel daraufhin jedoch ein Lächeln auf das Gesicht zauberte: „Ja, ich auch.“ Kapitel 124: CXXIV – Kopflose Unternehmung ------------------------------------------ Mittwoch, 30.September 2015 Seufzend lief Mirâ die Straße von der U-Bahnstation zur Schule entlang. Sie war heute alleine unterwegs, da Akane sich vor der Schule mit Yasuo zum Spaziergang mit Bejû treffen und danach gemeinsam mit ihm zur Schule kommen wollte. Die Violetthaarige gönnte es ihrer Freundin. Vor allem, nachdem sie am vorangegangenen Tag erfahren hatte, was Hiroshi widerfahren war. Ablenkung tat ihr also nur allzu gut, fand Mirâ. Da sie nun aber alleine war, hatte sie leider genug Zeit zum Nachdenken und eigentlich war ihr das gerade gar nicht recht. Es gab zu viel was sie beschäftigte. Allem voran Mikas Abwesenheit. Denn trotz mehrmaliger Versuche am vergangenen Abend hatte sie es immer noch nicht geschafft ihre kleine Freundin zu erreichen. Deshalb war auch immer noch nicht sicher, ob jemand während des Vollmondes in die Spiegelwelt gelangt war, den es nun galt zu retten. Und das war das nächste Problem. Da die Dungeons von Mal zu Mal schwerer wurden, war es besser sofort zu wissen, ob jemand Hilfe brauchte, denn dann konnten sie schnell Maßnahmen ergreifen. Doch so… Es musste einen Grund geben, wieso Mika sich nicht meldete und sie auch nicht erreichbar war. Mirâ hoffte, dass ihr nichts geschehen war. Zwar ließen die Shadows der Welt sie in Ruhe, aber der Reaper war da anders. Selbst sie und ihre Freunde, als Persona-User, hatten gegen ihn keine Chance. Wie sollte es dann Mika ohne jegliche Kräfte schaffen? Das machte ihr die größten Sorgen. So in Gedanken versunken, bemerkte sie nicht die Person, welche schräg vor ihr lief und dabei langsamer wurde, sodass es nicht lange dauerte, ehe sie mit der Schulter gegen diese stieß. „Oh gomen“, entschuldigte sich Mirâ etwas erschrocken und bemerkte dann, gegen wen sie gerempelt war, „Ryu-kun.“ Überrascht sah sie in zwei große, rehbraune Augen, die zu Ryu gehörten. Auch er wirkte als sei er durch den Zusammenstoß aus seinen Gedanken geschreckt. Erst langsam schien er zu registrieren, dass Mirâ vor ihm stand und grüßte sie höflich. Dabei entging der Älteren jedoch nicht der merkwürdige Unterton in seiner Stimme. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie deshalb nach, „Du wirkst etwas niedergeschlagen…“ Die Brünette wandte den Blick ab und schien nicht drüber sprechen zu wollen: „N-nein. Alles gut.“ „So sieht mir das aber nicht aus. Ist etwas passiert? Du weißt doch, dass du mit uns sprechen kannst“, versuchte es die Violetthaarige noch einmal. Der junge Mann jedoch presste die Lippen aufeinander und wirkte so, als wüsste er nicht, ob er wirklich darüber sprechen sollte. Irritiert zog Mirâ deshalb die Augenbraue nach oben. Ob es etwas mit der Sache vom letzten Mal zu tun hatte? Immerhin hatten sie mit Mrs. Masa darüber gesprochen und sie wollte sich kümmern. Irgendwie hatte sie in diesem Moment ein ganz schlechtes Gefühl, in welches sich auch noch Schuldgefühle mischten. Sie war immerhin dann an dieser Situation schuld. Trotzdem konnte es nicht angehen, dass er weiter fertig gemacht wurde und alle drüber wegsahen. Seit sie am Vortag von Hiroshi erfahren hatten, wohin wegsehen führen konnte, wollte sie das nicht akzeptieren. „Kann es sein, dass du irgendwie Probleme wegen dem Gespräch mit Mrs. Masa bekommen hast?“, fragte sie deshalb gerade heraus und bemerkte dann, wie der Jüngere merklich zusammenzuckte, „Also doch… Möchtest du mir erzählen, was genau passiert ist?“ „Nein, also…“, begann Ryu und wollte wieder ablenken. Doch die Zweitklässlerin packte ihn an den Schultern und zwang ihn so sie anzusehen: „Hör mal, wenn du deshalb Probleme bekommen hast, dann bin ich auch dran schuld. Also kannst du mir ruhig sagen was passiert ist.“ Überrascht sah der Erstklässler sie an und zögerte noch kurz, bevor er es nun doch aus ihm rausplatzte: „Mrs. Masa hat wie versprochen mit meinem Klassenlehrer gesprochen. Der hat natürlich alles abgestritten und meinte, dass es sowas wie Mobbing in seiner Klasse nicht gibt. Daraufhin hat er meine Eltern zum Gespräch geladen und ihnen erzählt, ich würde Lügen verbreiten, weil ich mich angeblich nicht in meine Klasse integrieren könne. Mein Vater war außer sich. Ich wollte ihm erklären worum es ging, aber er hörte mir mal wieder nicht einmal zu.“ Geschockt sah Mirâ ihren Kohai an und senkte dann den Blick. Es war also wirklich ihre Schuld. Dabei hatte sie es nur gut gemeint und sie war sich auch ganz sicher den richtigen Ansatz gefunden zu haben. Doch nun wusste sie auch, was Hiroshi meinte, als er sagte, dass er von seinen Lehrern keine Hilfe erwarten konnte. Mobbing war etwas, was in der japanischen Gesellschaft totgeschwiegen wurde. Offiziell existierte es nicht. Und trotzdem… „Ryu-kun, es tut mir leid, dass ich dich mit meiner Aktion in diese Lage gebracht habe. Ich denke, ich bin dafür vielleicht nicht der beste Ansprechpartner“, sagte sie plötzlich, „Aber du darfst nicht aufgeben. Das werde ich auch nicht. Lass uns mit Hiroshi-kun und Nagase-kun darüber sprechen. Sie wissen sicher, was zu tun ist. Okay?“ „Mirâ-senpai…“, der Brünette wirkte erst etwas überrascht und nickte dann, „Ja. Du hast recht. Ich möchte selber, dass dieser Teufelskreis endlich ein Ende findet, deshalb… lass uns mit den beiden reden. Danke dir.“ Ein lächeln legte sich auf Mirâs Lippen, während sie wieder das warme Glühen in ihrer Brust spürte und sich fest vornahm in der Mittagspause mit Hiroshi darüber zu sprechen, auch wenn ihr noch während des Gesprächs leichte Zweifel an dem Unterfangen kamen. Wenn sie daran dachte, was sie am Vortag über die Vergangenheit der beiden Jungs erfahren hatte, fühlte sie sich nun etwas unwohl bei dem Gedanken, Hiroshi nun damit zu belästigen. Jedoch wusste sie sich keinen anderen Rat. Außerdem hatte sie es Ryu nun versprochen, weshalb sie nun auch keinen Rückzieher mehr machen konnte. Gesagt, getan. In der Mittagspause hatte sie, wie vorgenommen, Hiroshi abgefangen, als dieser gerade loswollte, um etwas Fußball zu spielen. Gemeinsam hatten sie sich in eine ruhige Ecke zurückgezogen und Mirâ hatte ihm von dem Problem mit Ryu erzählt. „Ich habs nur gut gemeint und deshalb Mrs. Masa drauf angesprochen. Aber nun hat Ryu-kun deshalb andere Probleme“, erklärte sie, während sie mit ihren Fingern herumnestelte und dabei den Boden beobachtete, „Ich dachte mir vielleicht haben du oder Nagase-kun eine Idee, immerhin… naja… kennt ihr euch mit sowas aus.“ Der Blonde hatte ruhig zugehört und dann den Finger an das Kinn gelegt: „Hm… ja, das ist eine häufige Reaktion von Lehrern. Ich hatte ja erwähnt, dass sie das gerne unter den Tisch kehren. Das aber auch Ryus Vater davon unterrichtet wurde und er ihm nicht zuhört, macht es kompliziert. Hm…“ Er schloss die Augen und schien zu überlegen: „Ich rede mit Shuyan drüber. Irgendwas müssen wir unternehmen und das Gespräch mit Mrs. Masa war mit Sicherheit auch der erste richtige Schritt. Nur müssen wir sehen, wie es weiter geht. Ryu darf darunter nicht leiden…“ „Danke, Hiroshi-kun“, deutete Mirâ eine leichte Verbeugung an, was ihren Teamkameraden etwas irritierte. „Schon gut“, meinte er mit leichtem lächeln und wandte sich dann ab, „Wie gesagt, ich spreche mit Shuyan. Er hat da meistens die besten Ideen. Also bis später.“ Damit hatte sich Hiroshi gänzlich abgewandt und war gegangen. Die Violetthaarige sah ihm kurz nach und hoffte, dass die beiden Jungs eine Lösung für Ryus Problem finden würden. Denn so konnte es nicht weiter gehen, da waren sich alle einig. Später Abend - Spiegelwelt Vorsichtig kletterte Mirâ durch die verspiegelte Glaswand des Einkaufszentrums und sah sich achtsam um. Wie zu erwarten war es verdammt dunkel, sodass sich einzelne Gebäude und Bäume nur leicht als dunkle Schemen abzeichneten. Sie richtete ihren Blick gen Himmel auf die sich dünn abzeichnende Mondsichel. Hier war der Mond gerade im Begriff wieder zuzunehmen, sodass er kaum Licht spendete. Mirâ seufzte. So würde es schwer werden Mika zu finden, doch sie musste es versuchen. Da sie die Kleine einfach nicht erreichen konnte, musste etwas geschehen sein. Aus diesem Grund hatte sie sich alleine in die Spiegelwelt aufgemacht. Sie wusste selbst, dass dies ein irrsinniges Unterfangen war und sie dafür mächtigen Ärger von ihren Freunden bekommen würde, doch sie konnte nicht warten, bis alle sie begleiten konnten. In dieser Zeit hätte dem blauhaarigen Mädchen sonst was passieren können. Und das wollte sie nicht zulassen. Also musste sie es einfach alleine schaffen. Entschlossen setzte sie sich also in Bewegung, dabei ihre Umgebung genau im Blick, um nicht plötzlich von einem Shadow angegriffen zu werden. Eines blieb ihr dabei jedoch verborgen: Nämlich die Person, welche ihr heimlich in diese merkwürdige Welt gefolgt war und ihr versteckt in den Schatten folgte. Zur gleichen Zeit, als Mirâ durch das Portal getreten war, bemerkte auch Mika die Präsenz einer Person. Überrascht blieb sie deshalb mitten auf der Straße stehen und blickte in die Richtung, in welcher das Kaufhaus lag. Sie hob die Augenbraue, als ihr bewusst wurde, dass wieder jemand hierhergekommen war. Ihr Blick ging automatisch gen Himmel und ließ sie erschrocken zurückweichen. Der Neumond war bereits vorbei und der Mond war wieder in der zunehmenden Phase. Das war vollkommen an ihr vorbeigegangen. Die letzten Tage war sie so sehr mit ihren Gedanken und dem Versuch nicht zu schlafen beschäftigt gewesen, dass sie diesen Umstand nicht einmal mitbekommen hatte. Sie griff in die linke Tasche der beigen Jacken, welche sie von Ryu bekommen hatte, und fischte daraufhin den kleinen Handspiegel heraus. Besorgt blickte sie auf den kleinen Gegenstand und versuchte sich daran zu erinnern, ob sie Mirâs Stimme in den letzten Tagen gehört hatte. Mit Sicherheit hatte diese versucht sie zu kontaktieren. War sie so sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, dass sie es nicht mitbekommen hatte? Sie klappte den Spiegel auf und wollte gerade nach ihrer Freundin rufen, als sich ganz in ihrer Nähe eine Explosion ereignete. Erschrocken drehte sie sich um und schaute in besagte Richtung, in welcher eine Rauchwolke nach oben stieg. Das war gar nicht gut. So schnell sie konnte ließ sie den Gegenstand in ihrer Hand wieder in der Tasche verschwinden und rannte dann los, in der Hoffnung noch Rechtzeitig zu kommen. Hechelnd rannte Mirâ um die nächste Mauer, in der Hoffnung so den Shadows auszuweichen, welche sie verfolgten. Bereits kurz nachdem sie den großen Platz vor dem Einkaufszentrum verlassen hatte, wurde sie von den ersten Wesen dieser Welt angegriffen. Anfangs konnte sie ihnen auch noch gut ausweichen und die Stirn bieten, doch je länger sie hier war, desto aggressiver wurden sie. Letzten Endes hatte sie keine andere Wahl, als sich mit Hemsut und den anderen ihr zur Verfügung stehenden Personas zu verteidigen. Pfeil und Bogen hatte sie nicht dabei, immerhin brachte diese Mika immer mit, wenn sie sich trafen. So musste sie auf die Kraft ihrer Personas vertrauen. Doch so langsam schwanden ihre Kräfte. Auch körperlich wurde sie immer schwächer, denn das Wegrennen verbrauchte auch Unmengen an Kraft. Sie verfluchte sich dafür so unvorbereitet und vor allem alleine hierhergekommen zu sein. Im Nachhinein war das absolut keine gute Idee gewesen. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Sie stoppte, als ein weiterer Gegner ihr den Weg versperrte, und rief daraufhin wieder Hemsut hervor, welche sofort mit einem Eisangriff in die Offensive ging. Der Shadow löste sich in schwarzem Nebel auf und machte ihr den Weg frei, sodass sie weiterkonnte. Also nahm sie die Beine in die Hand, doch als sie die nächste Kreuzung erreicht hatte stieß ihr plötzlich jemand in die Seite und ließ sie damit zu Boden gehen. Kurz darauf spürte sie ein Gewicht auf ihrem Schoß und riss erschrocken die Augen auf, woraufhin sie Mika erkannte, die quer über ihren Beinen lag und sie ebenso erschrocken ansah. „Mirâ!“ – „Mika!“, kam es von beiden Mädchen gleichzeitig. Doch bevor sich die beiden weitere Gedanken darüber machen konnten hörten sie bereits die Shadows, welche auf sie zugestürmt kamen. Schnell versuchten sie sich aufzurichten und wurden dabei nur ganz knapp von zwei Feuerattacken verfehlt. Erschrocken schrien die beiden Mädchen auf und erwarteten bereits den nächsten Angriff. Doch plötzlich stoppten ihre Gegner, wichen kurz zurück und waren einen Moment später in alle Himmelrichtungen geflüchtet. Mit einem Mal waren die beiden alleine auf den leeren Straßen. Irritiert blickte Mirâ auf den Punkt, an welchem sich zuvor noch eine Horde Shadows befand. Lange musste sie jedoch nicht über deren Flucht nachdenken, denn plötzlich spürte sie einen eisigen Hauch, welcher um ihre Beine strich. Kurz darauf erklang auch schon das Rasseln der Ketten, welche den Reaper ankündigten. Erschrocken griff sie Mikas Hand und wollte sie mit sich ziehen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie konnte sich nicht vom Fleck bewegen, dabei kam das Geräusch mit jeder Sekunde näher und näher und ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Plötzlich erkannte sie den Zipfel des Mantels, welchen der riesige Shadow trug und kurz darauf stand er in voller Größe vor den beiden Mädchen; die Waffen gezückt und jederzeit bereit sie anzugreifen. Ein Klicken war zu hören, während der Reaper eine seiner Pistolen auf sie richtete. In diesem Moment schaffte es Mika die Kontrolle über ihren Körper zurückzugewinnen. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es ihre Freundin beiseite zu ziehen und sie damit aus ihrer Starre zu holen. Mit einem lauten Knall traf ein Schuss eine Straßenlaterne und entlockte den Mädchen einen erneuten Schrei. „Hemsut“, rief Mirâ, die ihr Handy gezückt hatte. Ihre Mainpersona erschien auf der Bildfläche und griff das riesige Monster mit einer Eisattacke an, welche jedoch keinen wirklichen Effekt hatte. Doch die Oberschülerin und ihre kleine Freundin nutzen die Chance zur Flucht und hechteten um die nächste Ecke. Das jedoch hielt den Reaper nicht davon ab sie zu verfolgen. Mit Schwung holte er mit seiner Waffe aus und schlug Hemsut damit in den Magen, woraufhin diese mit einem Schrei verschwand. Schmerzhaft zuckte ihre Besitzerin zusammen und stolperte zu Boden, woraufhin auch Mika mitgerissen wurde. Die Violetthaarige keuchte und warf einen Blick über ihre Schulter, nur um einen Moment später das blauhaarige Mädchen zu schnappen und mit dieser zur Seite zu rollen. Gleich darauf traf ein weiterer Schuss eine Mauer. „Urgh“, krümmte sich Mirâ noch immer vor Schmerzen und blickte gequält zu dem riesigen Shadow, der nun immer weiter auf sie zukam. Sie konnte nicht mehr. Ihr Körper verweigerte ihr jeglichen Dienst. Der Schmerz, der sich immer noch durch ihre Brust zog, nachdem Hemsut von ihrem Gegner vernichtet wurde, lähmte sie regelrecht. Das war es nun also gewesen. So weit war Mirâ mit ihren Freunden gekommen und mit einem einzigen Fehler würde es nun hier enden. Gegen diesen Gegner hatte sie keine Chance; nicht alleine und nicht in ihrem aktuellen Zustand. Ihr Abenteuer würde also hier und jetzt ein Ende finden, indem sie von diesem Überwesen getötet wurde. Das erneute Rasseln der Ketten ließ sie aufschrecken und einen Moment später in den Lauf der beiden Revolver blicken, die der Reaper auf sie richtete. Das war ihr Tod. Verzweifelt schloss sie die Augen und schaffte es noch Mika in ihre Arme zu schließen, als sich um den Shadow ein blaues Licht bildete. „Izanagi-no-Ookami!“, ließ sie eine männliche Stimme die Augen wieder aufreißen. In diesem Moment durschnitt etwas die Luft und wirbelte damit die bisher stehende Luft auf. Kurz darauf schrie der Reaper fürchterlich auf und löste sich plötzlich in schwarz-rotem Nebel auf. Doch kaum war das Wesen verschwunden, tauchte dahinter eine weitere Gestalt auf, welche eindeutig nicht menschlich war. Dabei handelte es sich um ein männliches Wesen, das in einen hellen langen Mantel gekleidet war, der ihm bis zu den Waden reichte. An seinen Füßen befanden sich scharfe, goldwirkende Klingen. In seiner rechten Hand hielt es eine Doppelklinge, dessen Heft in einem goldenen Ring steckte, der an den beiden Klingen befestig war. Unter dem spitzen metallenem Helm, an welchem hinten zwei lange Klingen, sowie eine vorn an der Spitze befestigt waren, erkannte Mirâ ein dunkles Gesicht, dass sie mit roten Augen anstarrte. Mirâ wusste sofort, wobei es sich bei dieser Kreatur handelte. „Eine Persona“, sprach Mika plötzlich den Gedanken aus. Auch sie hatte es also bemerkt. Noch einmal richtete die Persona ihren Blick auf die beiden Mädchen, bevor sie sich in blauen Nebel auflöste und verschwand. „Das war wirklich knapp. Ein paar Sekunden später und der Reaper hätte euch erwischt“, erklang wieder die männliche Stimme, welche zuvor die Persona gerufen hatte. Erschrocken wandten sich die beiden Mädchen dieser zu und erkannten daraufhin eine Person, die auf sie zugelaufen kam. Aus den anfänglichen Schemen entstand nach und nach eine menschliche Gestalt, bis letzten Endes ein junger Mann mit kurzem, ungewöhnlichem grauem Haar vor ihnen stand. „Narukami-sensei?“, schrak die Oberschülerin plötzlich auf, was Mika kurz fragend zu ihr und dann wieder zu dem Mann schauen ließ. Mit Schwung stand die junge Frau auf, doch schwankte kurz darauf, als sie merkte wie ihre Kräfte sie wieder verließen. Plötzlich wurde ihr schwummerig vor Augen und gleich darauf umgab sie bereits tiefe Dunkelheit. Jedoch hörte sie noch, wie Mika erschrocken ihren Namen rief, bevor sie gänzlich das Bewusstsein verlor. *~*~*~*~* Langsam erwachte Mirâ aus ihrem traumlosen Schlaf und bemerkte sogleich etwas Warmes unter sich. Irritiert suchte sie die Quelle dessen und blickte kurz darauf auf einen mit dunkelgrauen Haaren bedeckten Hinterkopf. Erst danach bemerkte sie, dass sie, mal wieder, huckepack getragen wurde. „Na, wieder wach?“, wurde sie von der Person gefragt, welche sie auf ihrem Rücken trug. Noch etwas abwesend nickte die junge Frau, während so nach und nach ihre Erinnerungen daran zurückkehrten, was geschehen war. Sie war alleine in die Spiegelwelt gegangen, um nach Mika zu suchen, welche sie nicht erreichen konnte. Dabei wurde sie von einer Horde Shadows verfolgt und hatte sich vollkommen verausgabt, als plötzlich der Reaper vor ihr und Mika stand, die sie noch gefunden hatte. Sie erinnerte sich daran, dass sie tierische Angst hatte und in den Lauf der Revolver blicken konnte. Vor sich hatte sie bereits ihr Ende gesehen. Und dann? Plötzlich schrak sie auf, als sie sich an die Persona erinnerte, welche den Reaper mit einem Schlag besiegt hatte und die Person, welche kurz daraufhin vor ihr aufgetaucht war. „Narukami-sensei?“, fragte sie irritiert. Der junge Mann lachte leicht: „Wie ich sehe ist mein Name schon zu dir vorgedrungen.“ „Ein Freund hat ihn mir verraten…“, murmelte die Oberschülerin, „Ähm… Sie… können mich wieder runterlassen. Es geht wieder…“ Der Grauhaarige blieb stehen und ließ die Jüngere daraufhin vorsichtig wieder herunter, welche kurz schwankte, sich dann aber wieder fing. Nun stand sie dem Älteren direkt gegenüber und erkannte erneut diesen strahlend blauen Schmetterling, der kurz seine Runden um ihn zog und dann wieder verschwand. Er war also wirklich ein Persona-User und dazu noch ein sehr starker, immerhin hatte er den Reaper mit nur einen Angriff zerstört. Immer mehr Fragen türmten sich in ihrem Kopf auf, sodass sie gar nicht wusste, wo genau sie überhaupt anfangen sollte. Doch als sie endlich einen Anfang gefunden hatte, wurde sie plötzlich von der Stimme ihrer Mutter unterbrochen. „Mirâ, da bist du ja endlich! Wo warst du?“, fragte sie aufgebracht und brachte Angesprochene dazu sich umzudrehen. Daraufhin fiel ihr auf, dass sie bereits fast Zuhause war. Nur zwei Eingänge trennten sie von dem Grundstück ihrer Familie. Was sie nun jedoch auch noch zu der Frage brachte, woher dieser Mann wusste, wo sie wohnte. Doch bevor sie sich weiter Gedanken darüber machen konnte, erschien auch schon ihre Mutter neben ihr und musterte genannten skeptisch. „Wer sind Sie?“, fragte sie und versuchte nicht einmal zu vertuschen, dass sie der Sache nicht traute. Der Grauhaarige lächelte und verbeugte sich leicht: „Mein Name ist Narukami Yu. Ich bin Referent für Geschichte und Sport an der Jûgôya High School. Ich habe Shingetsu-chan zufällig getroffen und ihr angeboten sie nachhause zu begleiten, weil es schon so spät war.“ Harukas Blick schnellte zu Mirâ, welche merklich zusammenzuckte: „Stimmt das?“ „Äh… j-ja. I-ich war noch kurz bei Akane, weil ich etwas vergessen hatte. U-und Narukami-sensei hat mich dann gesehen…“, antwortete sie etwas unsicher und hoffte, dass ihre Mutter es ihr trotzdem abkaufen würde. Diese starrte sie einige Sekunden lang an und seufzte dann, ehe sie sich wieder an den Referendar wandte und sich bei diesem bedankte. Gleich darauf verabschiedete sie sich auch schon von dem jungen Mann und wollte zurück ins Haus, allerdings nicht ohne auch Mirâ die Anweisung zu geben wieder hinein zu gehen. Auch Yu verbeugte sich daraufhin und wandte sich nun von den beiden Frauen ab. „Ähm… Sensei…“, begann Mirâ, doch unterbrach den Satz, als Angesprochener sie nur mit vor den Mund gelegten Finger ansah. „Es ist alles gut“, meinte er nur und ging dann seines Weges. Die Oberschülerin sah ihm nach. In ihrem Kopf schwebten unzählige Fragen, die sie geklärt haben wollte, und sie ärgerte sich, dass ihr Gespräch so jäh unterbrochen wurde. Zusätzlich war sie sauer auf sich selbst. Wäre sie in der Spiegelwelt nicht zusammengebrochen, hätte sie viel mehr Zeit gehabt den Älteren ihre Fragen zu stellen. Nun musste sie also eine weitere Gelegenheit finden alleine mit ihm zu sprechen und so wie sie die Situation einschätzte würde sich das mit Sicherheit als ziemlich schwierig herausstellen. Ein Seufzen entkam ihr, während sie sich umdrehte und nun endlich nach Hause lief. Sie musste Mika kontaktieren, sobald sie alleine war, und sie fragen ob alles in Ordnung war. Deshalb war sie ja eigentlich rüber gegangen. Dass sie nun doch keine Chance hatte mit ihr zu sprechen, weil sie zusammengeklappt war, ärgerte sie ebenso. Doch nun ließ es sich nicht mehr ändern. Sie konnte nur hoffen, dass die Blauhaarige dieses Mal mit ihr sprechen würde. Kapitel 125: CXXV – Zu viel gesagt ---------------------------------- Donnerstag, 01.Oktober 2015 Mit einem lauten Gong beendete die Schulglocke den Unterricht und sorgte dafür, dass alle Schüler ihre Sachen zusammenräumten und die Klassenräume so schnell wie möglich verließen; sei es um zu ihrem Klub oder gleich Nachhause zu gehen. Auch Mirâ hatte sich von ihrem Platz erhoben und machte sich auf den Weg zum Ausgang, um sich auf den Heimweg zu machen, nachdem sich ihre Freunde von ihr verabschiedet hatten. Da beide an diesem Tag Klubaktivitäten hatten musste sie ihren Nachhauseweg alleine antreten. Kurz hatte sie überlegt Hiroshi zu begleiten, da sie gern mit Narukami-sensei sprechen wollte. Doch schnell hatte sie diese Idee wieder verworfen. Sie hätte ihrem Kumpel sonst erklären müssen, wieso sie mit seinem neuen Trainer sprechen wollte und dann hätte er erfahren, dass sie alleine in der Spiegelwelt war. Mit Sicherheit wäre er dann sauer, denn sie hatten untereinander ausgemacht, niemals ohne die anderen auf die Seite hinter den Spiegeln zu gehen. Über den Tag verteilt hatte sie schon versucht mit dem Älteren zu sprechen, doch jedes Mal, wenn sie ihm begegnet war wurde er entweder von einem anderen Lehrer gerufen oder von anderen Schülern umzingelt, sodass sie einfach keine Chance hatte. So hatte sie ihr Vorhaben vorerst hintenangestellt und sich vorgenommen, ihren freien Nachmittag lieber für sich zu nutzen. Sie wechselte ihre Schuhe und trat aus dem Eingangsbereich, wo sie zusammenzuckte, als ein kalter Wind aufzog und sie genau erwischte. Fröstelnd zog sie die Arme heran bis der Wind sich wieder legte. Sie blickte in den wolkenverhangenen Himmel. Der Herbst hatte langsam aber sicher Einzug gehalten und sorgte dafür, dass die Temperaturen stark sanken. Bald würde sie ihre dicke Jacke herausholen müssen, denn der Blazer der Uniform würde nicht mehr lange warmhalten. Sie seufzte, während sie weiter in den Himmel blickte. Jetzt war sie mittlerweile ein halbes Jahr in dieser Stadt und hatte so viel erlebt. Sie hatte Freunde gefunden, die unterschiedlicher nicht sein konnten und trotzdem mit ihr durch die Hölle gingen. So viele Kämpfe hatten sie bereits gemeinsam ausgefochten und waren nicht nur einmal knapp dem Tode entkommen. Und trotzdem hielten sie alle noch immer zu ihr. Sie hoffte wirklich, dass dieses Verhältnis auch weiter so bestehen blieb, auch wenn das alles irgendwann einmal zu Ende war. "Mirâ, du bist ja noch da", holte sie die Stimme Akanes aus den Gedanken und ließ sich ihr zuwenden. Überrascht sah sie ihre beste Freundin an, welche in ihren Armen mehrere Zettel hielt und langsam auf sie zukam. Eigentlich hätte sie doch jetzt Judotraining gehabt. Was machte sie also plötzlich hier? Die brünette Oberschülerin schien die stumme Frage von Mirâ zu bemerken und lächelte nur, während sie erklärte, dass ihr Trainer kurzfristig erkrankt war und der Klub deshalb ausfiel. "Masaru-senpai hat mich deshalb gebeten die Unterlagen mit dem Unterrichtsstoff von heute bei Senpai vorbeizubringen", sagte Akane und zeigte auf die Unterlagen in ihren Armen. Die Violetthaarige sah auf die Blätter: "Ist Yasuo-senpai krank?" Ihre Freundin schüttelte den Kopf: "Nein. Heute ist Besichtigungstag in der Aehara Uni. Er möchte im Januar dort die Aufnahmeprüfung ablegen und sich schonmal alles anschauen. Dafür wurde er heute freigestellt." "Ach so", Mirâ nickte, während ihr einfiel, dass Akane ihr vor geraumer Zeit bereits erzählt hatte, dass Yasuo Medizin studieren wollte. Damals war sie am Boden zerstört, doch mittlerweile schien sie sich damit abgefunden zu haben. Die Violetthaarige vermutete, dass es daran lag, weil die beiden nun ein Paar waren. So konnten sie nur noch hoffen, dass der Ältere die Prüfungen an der Universität in der Nachbarstadt bestand, damit er in der Nähe bleiben konnte. Immerhin wäre die nächste medizinische Fakultät, soweit Mirâ wusste, in Tokio oder Osaka und das war schon ein ganzes Stück von Kagaminomachi entfernt. Allerdings hegte sie wenig Zweifel daran, dass Yasuo die Aufnahme bestehen würde. Trotzdem wusste man nie, wie es kam. Ihnen blieb also nichts anderes übrig, als im Januar die Daumen zu drücken. „Sag Mirâ. Möchtest du vielleicht mitkommen?“, fragte plötzlich Akane und holt die Gleichaltrige damit aus ihren Gedanken. Überrascht sah diese ihre Freundin an und verstand nicht ganz, wieso sie mitkommen sollte. Es war nicht so, dass sie etwas dagegen hatte, aber sie wollte nun nicht das fünfte Rad am Wagen sein, wenn die Brünette bei ihrem Freund war. Ihre Freundin schien ihr Unbehagen zu bemerken und lachte plötzlich: „Nun schau nicht so entgeistert. Ich weiß doch gar nicht, wie lange das heute bei Senpai dauert. Deshalb wollte ich nur schnell die Unterlagen vorbeibringen und dann wieder gehen. Oder eventuell noch mit Bejû spazieren gehen. Ich hätte dabei nur gerne etwas Gesellschaft. Gegebenenfalls können wir ja noch irgendwo was essen gehen oder so.“ „Ach so“, bemerkte Mirâ nun, „Ähm ja klar. Dann komme ich mit.“ „Super“, freute sich Akane und lief dabei an der Violetthaarigen vorbei, „Aber selbst wenn Senpai schon da wäre, ist das noch lange kein Grund zurückzustecken, Mirâ. Wir sind alle befreundet, also können wir auch zu Dritt etwas unternehmen. Meinst du nicht?“ „J-ja“, Angesprochene nickte, war jedoch nicht wirklich davon überzeugt. Sie wusste, dass die Brünette es nur gut meinte, aber wahrscheinlich würde sie sich am Ende nur überflüssig fühlen. Es war halt ein Unterschied, ob man einfach nur befreundet oder ein Paar war. Man verhielt sich automatisch anders, selbst wenn man es gar nicht will. Doch jetzt hatte sie es ihrer Freundin einmal versprochen. Deshalb setzte sie sich ebenfalls in Bewegung, um zu dieser aufzuholen und sie dann zu begleiten. Einige Zeit später erreichten sie das Haus von Yasuos Großeltern, welches am Stadtrand im Stadtteil Mangetsu-ku, in der Nähe des städtischen Waldes stand. Kaum hatte Akane das bereits rostige Gartentor geöffnet, ertönte auch schon ein lautes Bellen, woraufhin Bejû im nächsten Moment hinter dem Haus hervor gerannt kam. Das Bellen verstummte, als der beige Hund die Brünette erkannte und wich Freude, mit welcher er diese beinahe umsprang. Gerade noch so konnte sich die junge Frau halten und lachte, als ihr das Tier kurz über das Gesicht leckte. „Ist ja gut, Bejû. Ich freu mich auch dich zu sehen“, versuchte Akane den freudig erregten Hund zu beruhigen, was ihr jedoch erst gelang, als sie ernst wurde, „Sitz!“ Sofort saß Bejû aufrecht da, sah die junge Frau jedoch mit schief gelegtem Kopf und heraushängender Zunge lieb an. „Aw. Hör auf so zu schauen. Da werde ich noch schwach“, schwärmte diese daraufhin und kraulte das Tier kurz darauf hinter den Ohren, „Du bist halt ein ganz Feiner.“ Lächelnd beobachtete Mirâ ihre beste Freundin. Sie liebte wirklich jegliche Art von Tieren und kam auch irgendwie immer mit ihnen aus. Das hatte die Violetthaarige schon häufiger beobachtet. Es lag wohl daran, dass Tiere an sich einen ausgeprägten Sinn dafür hatten, wer es gut mit ihnen meinte und wer nicht. Bei Akane spürten sie dies wahrscheinlich auch sofort. Die Haustür öffnete sich und zog damit die Aufmerksamkeit der beiden Oberschülerinnen auf sich, woraufhin sie kurz darauf eine alte Dame erkannten, die sie etwas überrascht ansah. „Ach… Akane-chan, du bist es. Ich dachte schon Yasuo wäre schon wieder zurück“, meinte sie, während sie auf die Türschwelle trat und sich an Mirâ wandte, „Mirâ-chan nicht wahr?“ Erschrocken zuckte Angesprochene kurz zusammen und verbeugte sich dann: „J-ja. G-Guten Tag.“ Derweilen war Akane an Yasuos Großmutter herangetreten: „Guten Tag. Ich bringe Senpai die Unterlagen von heute vorbei.“ „Das ist aber lieb von dir, mein Kind. Yasuo müsste auch bald zurück sein. Er und sein Großvater sind schon wieder auf dem Rückweg. Kommt doch kurz rein“, bat die ältere Dame. Sie wartete nicht einmal auf eine Antwort, sondern trat bereits wieder ins Haus, um so die beiden Oberschüler hereinzulassen. Etwas überrumpelt sah Mirâ zu Akane, welche nur leicht lächelte und dann der Bitte nachkam. Ihre Freundin sah ihr kurz nach, seufzte dann und folgte ihr. So lange würde es ja mit Sicherheit nicht dauern. Kurz darauf trat sie in einen recht kurzen Flur, von welchem jeweils rechts und links ein Raum abging. Genau ihr gegenüber war eine schmale Holztreppe, die in das obere Stockwerk führte und rechts daneben ein kleiner schmaler Gang, welcher aber augenscheinlich zum Abstellen verwendet wurde. Yasuos Großmutter legte den beiden jeweils ein Paar Hausschlappen vor die Füße und verschwand dann in dem Raum zu ihrer Linken. Noch einmal blickte Mirâ fragend zu Akane, welche sie wieder nur entschuldigend anlächelte. „Sorry… Senpais Großmutter ist so. Wir bleiben nicht lange, versprochen“, flüsterte sie anschließend und schlüpfte dann in die Schlappen, um der alten Dame zu folgen. Mirâ seufzte und tat es ihr daraufhin nach. Sie wollte eigentlich keine Umstände bereiten. Außerdem würde es so darauf hinauslaufen, dass sie blieben bis Yasuo Nachhause kam und dann hätte sie genau die Situation, die sie vermeiden wollte. Es machte ihr nichts aus, wenn sie alle zusammen waren, denn dann fiel es nicht so ins Gewicht, dass Akane und Yasuo ein Paar waren. Alleine war das allerdings eine andere Sache. Sie schüttelte den Kopf, als ihr bewusst wurde, dass es ihrer Freundin ganz schön unfair gegenüber war. Eigentlich sollte sie sich für Akane freuen und sie unterstützen. Stattdessen nahm sie plötzlich eher Abstand, weil sie Angst hatte nicht mehr dazuzugehören. „Ziemlich kindisches Verhalten…“, ging ihr durch den Kopf, während sie in das mollig warme Zimmer trat. Kurz sah sie sich in dem altmodisch eingerichteten Zimmer um und erkannte dabei auch einige Fotos auf dem alten Holztisch, auf denen sie Yasuo erkannte, auch wenn er etwas anders aussah. „Wah… sind das Fotos von Senpai als Kind?“, holte sie Akanes Stimme aus den Gedanken, woraufhin sie sich zu dieser umdrehte. Die Brünette stand mittlerweile vor dem niedrigen Couchtisch und betrachtete die verschiedenen Fotos, welche auf diesem verteilt lagen. Mirâ trat nun ebenfalls näher und erkannte dann ein Foto, welches ihre Freundin aufgehoben hatte. Darauf war ein kleiner Junge mit schwarzem, strubbeligem Haar, zu sehen, der frech in die Kamera grinste. Das Pflaster auf seiner Nase gab ihm dabei einen noch frecheren Touch. „Wie süß“, schwärmte ihre brünette Freundin, die das Foto eingängig studierte. Yasuos Großmutter lachte und trat an die beiden heran: „Ja nicht wahr? Da war Yasuo gerade in die Grundschule gekommen.“ Sie sah auf die verteilten Fotos: „Beim Aufräumen habe ich die Fotos wiedergefunden und hab mich dann ein wenig in Erinnerungen verloren, bis ihr gekommen seid. Die Zeit ist so schnell vergangen. Nächstes Jahr geht Yasuo schon auf die Universität.“ Der etwas traurige Unterton in ihrer Stimme war Mirâ dabei nicht entgangen. Es musste für Eltern schwer sein ihre Kinder ziehen zu lassen, wenn sie erwachsen wurden. Yasuos Großeltern bildeten dabei keine Ausnahme, immerhin war er bei ihnen aufgewachsen. Andererseits waren sie sicher auch erleichtert, dass er auch ohne Eltern soweit klar kam. Diese konnten sie ihm immerhin nicht ersetzen. Mirâ selbst konnte sich nicht vorstellen, wie es gewesen wäre bei ihren Großeltern aufzuwachsen. Zwar wusste sie, dass diese sie liebten, aber trotzdem war sie immer froh, wenn sie wieder Zuhause war. Selbst Junko hatte einmal so etwas erwähnt. Noch einmal schüttelte sie kurz den Kopf, als sie bemerkte, wie sie mit den Gedanken abdriftet, und sah dann wieder zu Akane, die bereits das nächste Foto in den Händen hielt. Mit einem leichten Rotschimmer im Gesicht, grinste sie über beide Ohren und schwärmte darüber, wie niedlich Senpai als Kind doch war. „Aber…“, sagte sie jedoch plötzlich, „Irgendwie wirkt er auf den Fotos so ganz anders, als er jetzt ist. Viel aufgeweckter.“ „Hm, ja da hast du recht“, sagte die Älteste im Raum, die Akane das Foto aus der Hand nahm und es dann mit einem Lächeln betrachtete, „Yasuo hat sich wirklich stark verändert. Andererseits kann man es ihm nicht verdenken. Nachdem, was mit seinen Eltern geschehen ist… sie sind viel zu früh von uns gegangen. Sowas verändert ein Kind natürlich.“ Plötzlich wurde die Stimmung im Raum wirklich ernst. „Senpai hat erzählt, dass sein Vater bei einem Unfall ums Leben gekommen ist“, meinte die Brünette plötzlich und erhielt als Antwort ein Nicken der alten Dame. „Ja, das war ein schrecklicher Tag“, sagte diese, „Zumal Yasuo damals mit im Auto saß…“ „W-was?“, geschockt sahen die beiden Schülerinnen die Ältere an. Erneut nickte diese: „Yasuo und sein Vater waren auf dem Heimweg vom Krankenhaus, als Saeki die Kontrolle über seinen Wagen verloren hatte. Was genau dazu geführt hat wissen wir nicht und Yasuo kann sich nicht mehr daran erinnern.“ „Wir sind wieder da“, unterbrach eine männliche Stimme die eingetretene Stille und ließ die drei Frauen aufschrecken, „Yasuo, was stehst du dort herum?“ Kurze Zeit später trat ein älterer Herr mit grauen Haaren in das Wohnzimmer und blickte etwas irritiert auf die drei anwesenden Frauen: „Oh wir haben Besuch. Hallo Akane-chan. Und du bist?“ „Mirâ Shingetsu. Sehr erfreut“, stellte sich Mirâ mit einer kurzen Verbeugung vor, welche der alte Mann leicht erwiderte. Einen Moment später betrat auch Yasuo den Raum, jedoch fiel der Violetthaarigen sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Er wirkte ziemlich bedrückt und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas mit seinem Ausflug nach Aehara zu tun hatte. Auch fiel ihr erneut auf, wie er sich die rechte Hüfte rieb: Eine Geste, die sie bereits mehrmals bei ihm beobachtet hatte. „Senpai, willkommen zurück“, trat Akane an den Älteren heran und hielt ihm die Unterlagen der Schule entgegen, „Das hier hat mir Marasu-senpai für dich gegeben. Das ist der Unterrichtsstoff von heute.“ Der Blauhaarige nahm die Papiere entgegen, wirkte dabei aber alles andere als anwesend: „Danke.“ Die brünette Schülerin lächelte lieb, aber auch ihr merkte Mirâ an, dass sie mitbekommen hatte, dass etwas mit Yasuo nicht stimmte. Offensichtlich versuchte sie es sich nicht anmerken zu lassen und fragte den Älteren frei heraus, ob er Lust auf einen Spaziergang mit Bejû hatte. Angesprochener jedoch blätterte kurz durch die ihm gereichten Unterlagen und seufzte dann, ehe er erklärte, dass er sich gerne etwas ausruhen würde, da ihn der Tag mächtig geschlaucht hatte. „Entschuldige. Wir gehen ein anderes Mal. Ja?“, entschuldigte er sich daraufhin. Die Jüngere wirkte kurz etwas überrascht, doch setzte dann ein Lächeln auf und nickte: „Ja ist in Ordnung. Nächstes Mal dann.“ Sie wandte sich an Mirâ: „Dann sollten wir uns langsam los machen. Komm Mirâ.“ Angesprochene nickte und verabschiedete sich dann, ebenso wie ihre Freundin, von dem Blauhaarigen und seinen Großeltern, bevor sie gemeinsam das Haus verließen. Schweigend liefen die beiden jungen Frauen kurz darauf nebeneinander her. Die gedrückte Stimmung konnte man regelrecht greifen. Plötzlich blieb Akane jedoch stehen und sah noch einmal zurück. Auch Mirâ blieb stehen und beobachtete ihre Freundin, welche mehr als bedrückt wirkte. Dass Yasuo sie einfach weggeschickt hatte, tat ihr sicher weh. „Mirâ… glaubst du Senpai ist jetzt sauer?“, fragte sie plötzlich. Überrascht sah Angesprochene die Gleichaltrige an und schüttelte dann den Kopf: „Nein. Ich glaube nicht.“ „Aber er war so komisch… er hat bestimmt das Gespräch mitbekommen“, meinte die Brünette nur mit zittriger Stimme. „Wahrscheinlich“, beschönigte Mirâ nichts und ließ damit ihre Freundin zusammenzucken, „Aber ich glaube nicht, dass er deshalb auf mich oder dich böse ist. Es ist ja nicht so, dass wir nachgebohrt haben. Ich vermute, dass es einige schlimme Erinnerungen in ihm geweckt hat und er deshalb alleine sein wollte.“ „Aber sollte ich als seine Freundin dann nicht für ihn da sein? Hätte ich vielleicht bleiben sollen?“, kamen weitere unsichere Fragen. So genau wusste die Violetthaarige darauf auch keine Antwort. Sie war weder in der Position eine Beziehung zu führen, noch konnte sie sagen, was in Yasuo vorging, da sie nicht das gleiche durchgemacht hatte wie er. Zum Glück, musste sie sich eingestehen. Eine solche Erfahrung gönnte sie niemandem. Doch genau deshalb konnte sie ihrer Freundin in dieser Situation auch nicht wirklich helfen, was ihr sehr leidtat. Immerhin wollte sie Akane in ihrem Leid nicht alleine lassen. Also ging sie auf die Brünette zu und strich ihr beruhigend über den Rücken, während diese versuchte nicht wieder in Tränen auszubrechen. Geweint hatte sie in den letzten Tagen immerhin oft genug. Mirâ war mittlerweile bereits aufgefallen, dass Akane nicht nur ein großes Herz für Tiere hatte. Auch um Menschen, die ihr wichtig waren, machte sie sich ständig Gedanken und versuchte ihnen auf ihre Art zu helfen. Doch Mirâ wusste auch, dass diese Großherzigkeit sie angreifbar machte, so wie gerade eben. Denn alles was sie glauben ließ in Bezug auf ihre Freunde versagt zu haben, zog sie mächtig herunter. In ihr stieg ein angenehm warmes Gefühl auf, welches ihr nur zu gut bekannt war. „Ich bin sicher, dass alles gut ist, Akane. Yasuo-senpai wird darüber nachdenken und dann ist alles wieder gut. Da bin ich mir ganz sicher“, redete sie beruhigend auf ihre Freundin ein, „Komm, ich lade dich auf einen Tee und etwas Kuchen ein. Was hältst du davon?“ Die Brünette sah sie kurz an und nickte dann, bevor sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte und nochmal kurz durchatmete, um sich zu beruhigen. Dann wandte sie noch einmal kurz den Blick in die Richtung, in welcher Yasuo wohnte, und folgte dann ihrer violetthaarigen Freundin. Später Abend – Shâdo Erschöpft ließ sich Mirâ auf die schwarz-blaue Sitzgarnitur sinken, nachdem sie die Tische im Eingangsbereich der Karaokebar abgewischt hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie gleich Feierabend hatte und dann endlich nach Hause konnte. Obwohl es mitten in der Woche war, war das Shâdo an diesem Abend wieder stark besucht gewesen und sie war von einem Raum zum nächsten geeilt, um es den Gästen recht zu machen. Dafür hatte sie sich ihren Feierabend aber nun redlich verdient. Sie lehnte sich an die bequemen Polster und schweifte kurz mit den Gedanken ab. Nachdem sie mit Akane Tee trinken war, hatte sie diese noch nach Hause begleitet. Zwar wirkte ihre Freundin dabei wieder etwas gelassener, aber trotzdem hatte Mirâ das Gefühl, dass sie die Sache mit Yasuo immer noch beschäftigte. Verständlich war es auf jeden Fall, immerhin waren sie sowohl befreundet, als auch ein Paar. Sie selbst hoffte nur, dass sich die Sache zwischen den beiden wieder regulierte. „Beschäftigt dich etwas, Mirâ-chan?“, holte sie die Stimme von Shuichi aus ihren Gedanken. Das Polster unter Mirâ bewegte sich kurz, als sich Besagter mit etwas Schwung neben sie setzte, woraufhin sie langsam ihren Kopf hob und in sein lächelndes Gesicht sah. In diesem Moment kamen gerade ihre Kolleginnen am Eingangsbereich vorbei und verabschiedeten sich beim Vorbeigehen von den beiden, ehe sie das Lokal verließen. Shuichi hatte ihnen kurz zugewunken und ihnen einen schönen Feierabend gewünscht, bevor er sich wieder an die Oberschülerin wandte: „Na?“ Angesprochene schwieg kurz und überlegte, ob sie mit dem Älteren darüber sprechen sollte, und wenn ja, wie sie am besten anfing. Als sie sich entschieden hatte setzte sie sich wieder aufrecht hin und erklärte dem Braunhaarigen dann die Situation, welche sich an diesem Nachmittag ergeben hatte. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich richtig reagiert habe und was ich noch machen kann…“, meinte sie abschließend. Der Student neben ihr schwieg kurz und überdachte das Ganze in Ruhe, bevor er sich wieder an sie wandte: „Ich denke, du hast deiner Freundin gegenüber richtig gehandelt. Du warst für sie da, als sie dich brauchte. Das ist in Ordnung. Und ansonsten kannst du nicht viel machen. Wenn jemand etwas Schlimmes erlebt hat und daraus ein Trauma entstanden ist, dann kann man demjenigen auch nur helfen, wenn er diese Hilfe möchte. Ich bin sicher, dass dein Kumpel schon oft über seine Situation nachgedacht hat und soweit damit abgeschlossen hatte. Wahrscheinlich hat es ihn etwas überfordert, dass seine Großmutter so aus dem Nähkästchen geplaudert hat. Das hat in ihm sicher auch noch einmal diese schlimmen Erinnerungen geweckt.“ Mirâ nickte. Den Gedanken hatte sie auch schon, allerdings half ihr das nicht weiter. „Ich denke es wird alles gut“, ließ Shuichi sie aufschauen, „Wenn sich euer Kumpel beruhigt hat, wird sich sicher alles klären. Vor allem, wenn deine Freundin ihm wirklich so wichtig ist. Dann wird er ihr nicht unnütz Sorgen machen wollen.“ Der Student lächelte breit, was auch der Jüngeren ein kleines Lächeln auf das Gesicht zauberte. Ja, sie wollte dran glauben, dass alles gut wird. Immerhin liebten sich die beiden. Alleine das war schon ein Grund dafür, dass sie daran glaubte. Sie nickte erneut und bedankte sich bei dem Brünetten für die lieben Worte, während sie in ihrem Inneren das angenehm warme Glühen spürte, dass sich unaufhaltsam breit machte. Kapitel 126: CXXVI – Beziehungsdreieck -------------------------------------- Freitag, 02.Oktober 2015 „Itadakimasu“, wünschten sich Mirâ und ihre drei Freundinnen gleichzeitig. Gemeinsam mit Akane, Kuraiko und Megumi hatte sie sich an diesem Tag zum Mittagessen verabredet und sich letzten Endes in der Kantine eingefunden, da das Wetter alles andere als einladend für einen Lunch im Freien war. Vor ihnen ausgebreitet standen vier reich gefüllte und schön verzierte Bentoboxen, deren Inhalt nur darauf wartete endlich verspeist zu werden. Kuraiko war die erste, welche sich dem erbarmte und nach einem der Würstchenoktopussen in ihrer schwarzen Box, mit den violetten Blumen darauf, griff. Das nahmen auch Mirâ und Megumi zum Anlass sich ihr Mittagessen schmecken zu lassen. Nur Akane schien ihre Mahlzeit zu verschmähen. Geistesabwesend und leicht geknickt starrte sie auf ihre Box, was nicht unbemerkt blieb. Von der Seite wurde Mirâ angeeckt, weshalb sie sich zu Megumi umdrehte, die sie zu sich heranwinkte. Vorsichtig rückte sie an die Kleinere heran, woraufhin diese sie leise fragte, ob etwas mit Akane nicht stimmte. Noch einmal sah die Violetthaarige besorgt zu ihrer besten Freundin und wollte dann antworten, als Kuraiko ihr jedoch zuvorkam. „Na? Gibt es nach wenigen Tagen schon Ärger im Paradis?“, fragte sie frei heraus, was die Brünette neben ihr erschrocken zusammenzucken und aus ihren Gedanken schrecken ließ. „N-nein!“, verteidigte sie sich sofort, wurde daraufhin jedoch gleich wieder ruhiger, „Es ist nur… Senpai war heute nicht in der Schule und ich kann ihn auch nicht erreichen. Vielleicht ist er doch sauer…“ „Also doch Ärger im Paradis“, meinte die Schwarzhaarige nur, woraufhin sie von Mirâ etwas gemaßregelt wurde: „Kuraiko, das ist nicht sehr hilfreich.“ Angesprochene schnalzte kurz mit der Zunge, doch beließ es dann erst einmal dabei, während sich die Violetthaarige wieder an ihre Freundin wandte: „Vielleicht geht es ihm auch einfach nicht gut. Es kam doch schon häufiger vor, dass Yasuo-senpai nicht auf Nachrichten reagiert hat.“ „Ich weiß zwar nicht was vorgefallen ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich mit Absicht ignoriert, Akane-senpai“, sagte plötzlich Megumi, woraufhin sie von Angesprochener mit großen grünen Augen angesehen wurde, „Weißt du, auch wenn man es Yasuo-Senpai nicht sofort ansieht, merkt man doch, wie wichtig du ihm bist. Ich habe euch in Ryu-kuns Dungeon beobachtet und muss zugeben, dass ich etwas neidisch auf euch beide war. Ich bin sicher, dass er seine Gründe hat und sich sicher noch melden wird.“ „Der Meinung bin ich auch“, kam es sogar von Kuraiko, woraufhin sie von drei überraschten Augenpaaren angesehen wurde, was sie jedoch gekonnt ignorierte, „Und dass er in der Schule fehlt ist ja nichts Besonderes.“ „Auch wieder wahr…“, murmelte Akane, während sie sichtlich über die Worte ihrer Freunde nachdachte. „Und wenn du dir wirklich solche Gedanken machst, dann geh doch einfach zu ihm und sag ihm was dir auf der Seele brennt. Bringt ja nichts in einer Beziehung alles in sich rein zu fressen“, meinte die junge Frau neben ihr abschließend. Wieder waren drei Augenpaare auf sie gerichtet, was die Schwarzhaarige versuchte irgendwie zu ignorieren, allerdings eher mit geringem Erfolg. Erst als sie schimpfte, ob sie etwas im Gesicht hätte, ließen die anderen drei Mädchen von ihr ab und wandten sich endlich auch ihrem Mittag zu, weshalb dann kurz Ruhe einkehrte. Auch Akane wirkte in diesem Moment wieder etwas lockerer und schien erst einmal darüber hinweg zu sein. Jedenfalls kam es Mirâ so vor, während sie ihre beste Freundin beobachtete. Beruhigt darüber, dass es der Brünetten wieder etwas besser ging, schnappte sie sich eine kleine Frikadelle und steckte sie sich in den Mund. „Was meintest du eigentlich damit, dass du neidisch bist, Megumi-chan?“, fragte Akane plötzlich und ließ Angesprochene plötzlich aufschrecken. „Ähm naja…“, murmelte sie und wandte den Blick ab. Mirâ jedoch wusste sofort worum es ging und eckte die Jüngere nur grinsend an: „Wegen Obata-kun?“ Einer Tomate gleichend zuckte die Jüngere zusammen, während sich gleichzeitig Akane an ihrem Essen verschluckte und deshalb laut husten musste. Erschrocken sah Mirâ zu ihrer besten Freundin, welche irgendwie versuchte sich wieder zu beruhigen, während ihr Kuraiko auf den Rücken klopfte. Schnell griff sie nach ihrer Wasserflasche und leerte sie in einem Hieb zur Hälfte, was zur erhofften Erleichterung führte. Tief atmete sie ein, bevor sie sich ziemlich laut an die Erstklässlerin wandte: „Ist das dein Ernst?“ Rundherum blickten plötzlich alle Schüler zu der Vierergruppe, was die Zweitklässlerin dazu veranlasste sich schnell die Hände vor den Mund zu legen. „Ähm… naja…“, ausweichend wanderten nun jedoch Megumis Augen in alle möglichen Richtungen, nur um der Älteren nicht in die Augen sehen zu müssen, und nickte dann zaghaft, „A-aber d-das ist eh n-nur Wunschdenken. S-senpai ist so cool… ich passe doch gar nicht zu ihm.“ Ein Seufzen war zu vernehmen und ließ die Blicke der anderen drei Mädchen zu Kuraiko wandern: „Weißt du. Genau diese Einstellung ist es, die ich an dir so hasse. Hör auf dich immer so klein zu machen. Das nervt echt tierisch.“ Betroffen zuckte Megumi wieder zusammen, während die Schwarzhaarige erneut von Mirâ getadelt wurde, dass sie doch etwas mehr auf ihren Ton achten sollte. Diese jedoch schimpfte nur, dass die Violetthaarige aufhören sollte Betroffene immer vor ihr zu schützen. „Wenn du nicht mit meiner Art klarkommst, dann sag es mir gefälligst selbst, Megumi“, schimpfte sie weiter, während sie ihr restliches Bento zusammenpackte und dann aufstand, „Diese elendige Mauerblümchen-Getue nervt einfach nur. Das ist auch der Grund, wieso alle immer auf dir herumhacken. Also komm endlich aus deinem Schneckenhaus heraus. In der anderen Welt klappt es doch aus. Also wirklich. Du magst diesen Typen? Dann sag’s ihm! Wenn du dich immer nur zurücknimmst, wirst du nie erfahren, ob daraus etwas wird oder nicht.“ In diesem Moment beendete der Gong der Schulglocke die Mittagspause, weshalb sich die Schwarzhaarige von ihren drei Teamkameraden abwandte und dann ohne ein weiteres Wort die Kantine verließ. Die anderen Mädchen sahen ihr mit gemischten Gefühlen hinterher, während die Worte der jungen Frau vor allem in Megumi einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten. Nach dem Nachmittagsunterricht machte sich Mirâ auf den Weg zum Botaniclub, welchen sie neuerdings regelmäßig besuchte. Zum einen tat sie dies, um ihrer Freundin eine Freude zu machen und sie etwas zu unterstützen, zum anderen machte es ihr auch mittlerweile Spaß mit Pflanzen zu arbeiten. Sie hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt sich eine Zimmerpflanze zuzulegen und sich um diese zu kümmern. Diesbezüglich wollte sie Kuraiko auch noch um Rat fragen, immerhin kannte diese sich wirklich hervorragend mit Pflanzen aus. Sie konnte ihr da sicher einige Tipps geben. Summend betrat Mirâ den Gang, welcher sie zum Clubraum führen sollte und blieb plötzlich erstaunt stehen, als sie auf eine Person mit einem schwarzen Haarschopf blickte, dessen weiße Haut extrem hervorstach. Er stand mitten im Gang und schien sich wieder einmal uneins zu sein, was er nun machen sollte. Die Violetthaarige merkte ihm an, dass er gerne zum Club gehen würde, er sich aber wieder einmal nicht traute. Verdenken konnte man es ihm allerdings auch nicht wirklich, immerhin war Kuraiko wegen dieser Sache wirklich fuchsig. Eigentlich hatte Mirâ die Schwarzhaarige bisher nicht als so nachtragend eingeschätzt. Ihr gegenüber jedenfalls war sie bisher noch nie nachtragend gewesen und auch Shuya konnte sich merkbar einiges bei ihr erlauben, ohne dass sie länger auf ihn sauer war. Selbst auf Hiroshi war sie nie länger als nötig sauer und dieser brachte sie wirklich häufig auf die Palme. Im Grunde waren sie halt wie ihre Elemente: So gegensätzlich wie Licht und Dunkelheit. Bei Shirota jedoch lag die Sache offensichtlich anders, wobei es Mirâ da irgendwie nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich würde sie selbst genauso reagieren, wenn sie so verletzt werden würde. Andererseits hatte sie auch das Gefühl, dass Kuraiko die Sache noch auf andere Weise beschäftigte und deshalb so extrem fuchste. Aus diesem Grund wollte sie wohl auch, dass sich die Violetthaarige heraushielt. Wenn die Violetthaarige ehrlich war, dann hätte sie sich sogar wirklich gern aus der Sache herausgehalten; immerhin wollte sie keinen Streit mit ihrer Freundin provozieren. Jedoch hatte sie das Gefühl, dass es zwischen den beiden nur schlimmer werden würde, wenn nichts geschah und sie es nicht auf die Reihe bekommen würden, wenn sich nicht jemand einmischte. Sie war sich sicher, dass sich beide gerne wieder vertragen würden, die eine nur einfach zu Stur war, um es zuzugeben und der andere zu ängstlich, um sich Kuraiko zu nähern. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass sie ohne die Hilfe von Shirota auch bei Kuraiko keinen Schritt weiterkam. Irgendwas sagte ihr das. Was genau konnte sie jedoch nicht sagen. Also fasste sie einen Entschluss. Mit aufrechtem Blick und gehobener Brust stapfte sie so auf den jüngeren Schüler zu, hakte sich einfach bei ihm unter und zog ihn dann mit sich. Überrascht über diese Aktion ließ sich Shirota einige Meter mitschleifen. Doch kurz bevor sie am Clubraum waren befreite er sich aus Mirâs Griff und stolperte wieder einige Schritte zurück, was die Ältere veranlasste endlich stehen zu bleiben und sich zu ihm umzudrehen. „W-Was sollte das, Shingetsu-senpai?“, fragte ihr Kohai verunsichert. „Na was wohl? Ich schleife dich zum Club“, stemmte die Violetthaarige die Hände an die Hüfte, „Es wird Zeit, dass du über deinen Schatten springst und dich Kuraiko stellst…“ Schnell wandte der Schwarzhaarige den Blick ab und nestelte mit seinen Fingern an seinem Hemd herum: „L-lieber nicht… s-sie wird nur wieder sauer…“ „Ja sicher wird sie sauer. Nämlich weil du dich so verhältst, anstatt dich ihr selbstbewusst zu stellen“, meinte die Ältere und beobachtete genau Shirotas Verhalten. Dieser schaute immer wieder ängstlich zum Clubraum, da er anscheinend befürchtete, dass jeden Moment Kuraiko auf dem Gang erscheinen und ihn wieder anmeckern könnte. Mirâ blieb das nicht verborgen. Auch sie hoffte natürlich, dass ihre Freundin nicht in diesem Moment auftauchte, immerhin hätte das wieder Ärger bedeutet. Jedoch stand ihr Entschluss nun fest: Sie wollte, dass sich die beiden wieder vertrugen. Um Ärger kam sie so oder so nicht drumherum, also machte es keinen Unterschied. Deshalb spielte sie lieber mit offenen Karten: „Ich habe Kuraiko gefragt, was da zwischen euch gelaufen ist und sie hat es mir, wenn auch widerwillig, erzählt. Und wenn ich ehrlich bin, dann finde ich das auch nicht in Ordnung, was da passiert ist. Aber ich habe das Gefühl, dass es dir wirklich leidtut. Wieso gehst du dann nicht einfach zu ihr und entschuldigst dich?“ „W-wenn es so einfach wäre…“, murmelte Shirota aufgeregt. Die Zweitklässlerin seufzte: „Hör mal… es wird nicht besser, wenn du immer davonläufst. Eher machst du es nur schlimmer. Ich habe Kuraiko ehrlich gesagt noch nie so nachtragend erlebt, wie bei dir. Was ich allerdings bei dem was geschehen ist auch nachvollziehen kann. Aber wie gesagt habe ich das Gefühl, dass du das eigentlich nicht wolltest. Andernfalls würde es dir nicht so leidtun und du würdest auch nicht ständig hier herumlungern. Sie wird dir sicher nicht sofort verzeihen, aber mit etwas Zeit bestimmt. Aber dafür musst du dich auch endlich entschuldigen. Der Graben zwischen euch wird sonst immer tiefer und breiter.“ Ihr Kohai schwieg und ließ ihre Worte sacken, während er sie einfach nur überrascht mit seinen großen, tiefroten Augen ansah. Doch dann wandte er sich wieder ab und wuschelte sich durch die schwarzgefärbten Haare. „Das weiß ich doch selbst“, plötzlich klang seine Stimme sehr ernst und sicher, „Aber glaub mir. Es wird keinen Unterschied machen, wenn ich mich entschuldige. Vor allem nicht, wenn sie den Grund erfährt.“ „Oh? Es gab also einen Grund für dein Verhalten?“, nun war Mirâ doch etwas überrascht. „Sicher… einfach so hätte ich ihr das niemals antun können…“, Shirota wandte sich ab, „Entschuldige mich jetzt bitte.“ Er deutete eine Verbeugung an, bevor er ging und die Ältere etwas irritiert zurückließ. Nicht nur sein Verhalten am Ende verwirrte sie, sondern auch, dass er anscheinend einen wirklich driftigen Grund gehabt haben musste, um Kuraiko so zu verletzten. Obwohl sie nun auch nicht viel schlauer war, als noch zuvor, hatte sie plötzlich das Gefühl den Jüngeren etwas besser verstehen zu können, was ihr das warme Glühen in ihrer Brust nur noch einmal bestätigte. Am Abend saß Mirâ an ihrem Schreibtisch und hing über ihren Schulaufgaben, doch so wirklich konzentrieren konnte sie sich nicht. Eigentlich hätte sie lernen müssen, denn die Prüfungen standen wieder vor der Tür. Doch anstatt in ihre Hefte zu schauen, starrte sie in den mittlerweile klaren Nachthimmel hinaus. Genau vor ihrem Fenster war der nun wieder abnehmende Mond zu sehen, der einer der Gründe war, wieso sie sich nicht konzentrieren konnte. Nach ihrem misslungenen Ausflug in die Spiegelwelt, aus welcher sie von Narukami-sensei gerettet werden musste; der zusätzlich auch ein Grund für ihre Unruhe war; hatte sie es endlich geschafft ein Gespräch mit Mika zu führen. Diese hatte sie am nächsten Abend von sich aus aufgesucht und sich mehrmals dafür entschuldigt ihr Sorgen gemacht zu haben, was am Ende zu dieser Aktion geführt hatte. Mirâ hatte es so hingenommen, immerhin war sie auch selber schuld. Sie hätte mit ihren Freunden nochmal darüber sprechen können. Mit der Auffassung, dass beide ihren Anteil daran hatten, hatten sie es erst einmal dabei belassen und waren dann zum Hauptthema zurückgekehrt. Hier jedoch musste sie Mika enttäuschen, denn sie konnte niemanden in der Spiegelwelt spüren. Auch war sie sich sicher, dass während des Vollmondes in der realen Welt niemand in die Spiegelwelt gekommen war. Jedenfalls hatte sie nichts dergleichen gespürt. Aber sie wollte sich umsehen. So waren sie dann erstmal verblieben. Seither hatte sie nichts mehr von Mika gehört. Mirâ seufzte und ließ ihren Kopf auf die Tischplatte sinken. Andererseits war das auch erst einen Abend her, auch wenn es ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Sie wollte aber absolute Sicherheit, dass sich niemand in der Spiegelwelt aufhielt. Und das so schnell wie möglich, denn auch der Neumond näherte sich unaufhaltsam. „Urgh“, sie wuschelte sich durch ihre wirren, offenen Haare. Es war einfach zum Haare raufen. Im schlimmsten Fall mussten sie mit Megumi in die Spiegelwelt und diese nachprüfen lassen, ob wirklich niemand dort war. Das wiederum widerstrebte Mirâ ein wenig. Zum einen wollte sie Megumi nicht alles aufhalsen, zum anderen wollte sie auch nicht, dass Mika sich nutzlos fühlte. Ihr war schon seit Megumis Beitritt aufgefallen, dass sich die Blauhaarige diesbezüglich einige Gedanken machte und das wiederum tat ihr leid. Immerhin war Mika ein wichtiges Mitglied ihrer Truppe. Sie sollte nicht denken, dass sie nicht mehr gebraucht wurde. Mirâ seufzte. Es war alles so kompliziert geworden. Nicht nur in der Spiegelwelt, sondern auch in ihrem privaten Umfeld. Ihre Gedanken schweiften ab, zu Kuraiko und Shirota. Auch diese beiden waren einer der unzähligen Gründe, die sie vom Lernen abhielten. Nach dem Gespräch mit dem Jüngeren war Mirâ ganz normal in den Club gegangen, hatte jedoch das Gefühl, dass ihre Freundin etwas beschäftigte. Die Violetthaarige vermutete, dass sie das Gespräch irgendwie mitbekommen hatte, aber nicht zugeben wollte, dass sie gelauscht hatte. Aus diesem Grund hatte sie auch Mirâ wohl nicht drauf angesprochen oder sie erneut getadelt, dass sie sich nicht einmischen sollte. Trotzdem war da nun irgendwie eine Distanz zwischen ihnen. Das machte der Violetthaarigen etwas Sorgen, obwohl sie sich ja selbst in diese Lage katapultiert hatte. Die Schwarzhaarige hatte sie immerhin nicht nur einmal darauf hingewiesen sich herauszuhalten. Diese ganze Sache würde sie wahrscheinlich noch direkt in die Hölle befördern, da war sich Mirâ sicher. Doch nun hatte sie einmal in das Wespennest gestochen. Ein Zurück gab es nun nicht mehr. Sie konnte nur hoffen, dass sich alles irgendwie klären und ein gutes Ende haben würde. Erneut seufzte sie und verschränkte die Arme auf dem Tisch, um ihren Kopf darauf zu betten. Mit einem Mal fühlte sie sich überhaupt nicht gut. Hinter ihrer Stirn pochte es gewaltig und sie hatte das Gefühl ihr Schädel würde jeden Moment platzen. Das ganze Grübeln machte sie noch fertig. Plötzlich überkam sie Müdigkeit. Sie versuchte wach zu bleiben und ihre Gedanken zu sortieren, doch einen Moment später war sie bereits eingeschlafen. Kapitel 127: CXXVII – Schuld ---------------------------- Samstag, 03.Oktober 2015 Gähnend stieg Mirâ an der zentralen U-Bahnstation von Tsukimi-kû aus der Bahn, um hinunter zum Gleis der Hahen Linie zu gelangen, welche sie in den Stadtteil Jûgôya-kû bringen würde. Sie war so müde. Irgendwann mitten in der Nacht war sie auf ihrem Schreibtisch aufgewacht und hatte sich mit Mühe und Not in ihr Bett geschliffen, wo sie sofort wieder eingeschlafen war. Doch erholsam war der Schlaf nicht gewesen. Dazu kamen noch immer pochende Schmerzen hinter ihren Schläfen, die trotz einer Schmerztablette nicht besser werden wollten. Sie hoffte nur, dass diese Kopfschmerzen nur vom vielen Grübeln kamen und die nächsten Stunden wieder verschwinden würden. Krank zu werden konnte und wollte sie sich gerade nicht leisten, zumal immer noch nicht sicher war, ob jemand in der Spiegelwelt war. "Urgh...", fasste sich die Oberschülerin an den Kopf, als sie auf dem unteren Bahnsteig ankam, auf dem reges Treiben herrschte. Als sie den Blick wieder hob erkannte sie bereits ihre beste Freundin, welche etwas von ihr entfernt an einem Pfeiler lehnte. Dabei merkte Mirâ sofort, dass etwas nicht zu stimmen schien. Auch Akane wirkte an diesem Morgen so, als würde es ihr nicht gut gehen und die Violetthaarige hatte da auch so eine Vermutung, woran es liegen könnte. So ging sie auf die Brünette zu und tippte sie vorsichtig an die Schulter, als sie bei ihr angekommen war. Leicht erschrocken hob Besagte den Blick und sah Mirâ mit trüben grünen Augen und blassem Gesicht an, was deren Befürchtung verstärkte. "Guten Morgen, Akane. Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst nicht gut aus", grüßte sie ihre Freundin daraufhin, welche jedoch nur ein leichtes Lächeln übrighatte: "Sagt diejenigen, die Blass wie eine Hauswand ist..." Angesprochene lehnte sich neben die Brünette an den Pfeiler: "Ich bin gestern Abend am Schreibtisch eingeschlafen und als ich dann mitten in der Nacht im Bett lag, war der Schlaf alles andere als erholsam. Und bei dir? Ist es wegen Yasuo-senpai?" Akane nickte und hob den Kopf, als die U-Bahn einfuhr. Sie nahm sich noch die Zeit gemeinsam mit ihrer Freundin einzusteigen und sich dann einen Sitzplatz zu suchen, ehe sie erklärte, was sie bedrückte: "Ich mache mir Sorgen, Mirâ. Senpai war ja gestern nicht in der Schule und meine Nachrichten hat er auch ignoriert. Ich habe Angst, dass er jetzt sauer auf mich ist und mich nicht mehr sehen will." "Ach quatsch. Das kann ich mir nicht vorstellen", kam es wie aus der Pistole geschossen. Ihre Freundin jedoch seufzte nur: "Doch, ich denke schon. Das ist meine Schuld..." "Wie meinst du das?" "Wir hätten nur die Unterlagen vorbeibringen und danach gleich wieder gehen sollen. Dann hätten wir die Fotos nicht gesehen und Senpais Großmutter hätte uns nicht ohne seine Erlaubnis von damals erzählt", erklärte die brünette Schülerin niedergeschlagen, "Nur weil ich das Angebot angenommen habe..." Beruhigend strich Mirâ ihrer besten Freundin über den Rücken, während sie nun auch das schlechte Gewissen packte. Wenn jemand die Schuld dafür hatte, dann wohl eher sie selbst. Denn wenn sie nicht diese Sache mit den Social Links am Hals hätte, dann hätte sie das alles nie erfahren. Da war sie sich sicher. Aber das konnte sie Akane nicht sagen. Wie hätte sie das auch erklären sollen? Stattdessen überlegte sie, was sie tun könnten und sprach letzten Endes das Erste aus, was ihr einfiel: "Lass uns nachher zu Senpai gehen und ihn direkt selber fragen. Und wenn er heute wieder nicht in der Schule ist, gehen wir zu ihm Nachhause. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg halt zum Propheten kommen. Nicht wahr? Ich begleite dich. Okay?" Überrascht sah das andere Mädchen sie an, doch nickte dann und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, welche sich gerade angefangen hatten zu bilden. Die Hoffnung, den blauhaarigen jungen Mann in der Schule anzutreffen, erfüllte sich leider nicht. Auch an diesem Tag hatte er gefehlt. Die Nachfrage bei Masaru hatte letzten Endes nur die Folge, dass Akane erneut einen Stapel Blätter mit sich herumtragen musste. Trotzdem war sie sofort gewillt, diese an sich zu nehmen, wobei Mirâ vermutete, dass sie einfach nur eine Ausrede suchte, um letzten Endes wirklich zu Yasuo zu gehen. Immerhin konnte sie sich dann nicht mehr davor drücken. Und so machten sich die beiden Mädchen direkt nach Ende des Nachmittagsunterrichts auf den Weg zu besagtem jungen Mann, in der Hoffnung mit ihm ein vernünftiges Gespräch führen zu können und alles wieder ins Lot zu bringen. Je näher sie jedoch dem Haus kamen, desto unruhiger wurde Akane. Mirâ verstand ihre Situation; wer wollte schon auf direkten Konfrontationskurs mit einem geliebten Menschen gehen? Doch es half nichts. Wenn sie wirklich herausfinden wollte, ob Yasuo sauer war oder nicht, dann musste sie ihn direkt dazu befragen. Und da er nicht auf Nachrichten reagiert und sich die Brünette auch nicht traute anzurufen, blieb ihnen nur direkt vor Ort mit ihm zu sprechen. So schwer es auch fallen mochte. Genau aus diesem Grund war Mirâ ja auch mitgekommen. Sie wollte ihre Freundin mental unterstützen und sich gegebenenfalls ebenfalls bei ihrem Senpai entschuldigen. Immerhin war immer noch nicht klar, ob sie nicht doch eine Grenze überschritten hatten. Die Unruhe der Brünetten wurde noch stärker, als sie es endlich schafften, dass Haus der Esunos zu erreichen. Die Violetthaarige griff aus diesem Grund die Hand ihrer besten Freundin, um sie so etwas zu beruhigen. Dann schluckte diese und machte einen Schritt auf das Tor zu. "Akane?", erklang jedoch plötzlich Yasuos Stimme, welche die junge Frau mit einem "ieks" zusammenzucken und wie eine Salzsäule erstarren ließ. Überrascht sah Mirâ über ihre Schulter und erkannte dann gesuchten jungen Mann, welcher die beiden Mädchen etwas irritiert ansah. Einen Moment später spürte sie, wie etwas um ihre Beine schlich und damit ihre Aufmerksamkeit forderte, woraufhin sie nach unten blickte und Bejû erkannte. Dieser scharwenzelte schwanzwedelnd um die beiden herum und schien sich sehr über den Besuch zu freuen. Vor allem Akanes Aufmerksamkeit wollte er damit erregen, was ihm jedoch nicht so wirklich gelang. Immer noch stand diese stocksteif in der Landschaft und rührte sich nicht, was den Hund dazu veranlasste sich auf seinen Hintern zu setzen und sie mit schiefgelegtem Kopf anzusehen. "Ist etwas passiert?", forderte Yasuo wieder die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen. "A-ah. Du warst seit gestern nicht in der Schule. Deshalb haben wir uns Sorgen gemacht. Nicht wahr Akane?", vorsichtig stieß Mirâ ihrer besten Freundin in die Rippen. Diese zuckte kurz zusammen und nickte dann zaghaft. Der Blauhaarige ging sich kurz durch die Haare, bevor der Violetthaarigen auffiel, wie er sich wieder über die Hüfte rieb: "Ja, mir ging es gestern nicht so gut. Deshalb..." "Und die Nachrichten?", drehte sich Akane plötzlich um und bekam daraufhin nur einen irritierten Blick ihres Freundes als Antwort, "Ich hab dir mehrere geschrieben. Wieso hast du nicht drauf geantwortet?" "Ähm...", irritiert griff der Ältere in seine Hosentasche und fischte sein Handy heraus, um kurz darauf herum zu tippen und dann überrascht drauf zu gucken, "Oh..." "Was heißt hier oh?", zog Mirâ eine Augenbraue nach oben. Der Blauhaarige hob das Handy und zeigte den Mädchen so das Display, auf welchem man mehrere ungeöffnete Chats erkannte. Darunter auch den von Akane. "Eh?", kam es nur irritiert von dieser. "Ich mag es nicht, wenn so viele Push-Nachrichten auf dem Display sind. Ich drücke dann immer alle weg. Anscheinend waren da auch die ganzen Chatnachrichten dabei. Deshalb hab ich nicht mitbekommen, dass ihr geschrieben hattet...", erklärte der junge Mann und stolperte plötzlich etwas zurück, als er von seiner Freundin am Kragen gepackt wurde. Auch Mirâ erschrak in diesem Moment und wollte die Brünette zurückhalten, doch stoppte, als diese begann zu sprechen. "Du verdammter Idiot", murmelte sie mit gesenktem Blick, "Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich dachte du wärst wütend auf mich." Verwirrt sah Yasho sie an: "Wieso sollte ich wütend sein?" "Wegen der Sache vorgestern", ergriff die Violetthaarige das Wort, bevor ihre brünette Klassenkameradin vollkommen eskalieren konnte, "Nachdem uns deine Großmutter von der Sache erzählt hatte, warst du so komisch. Und weil du uns weggeschickt hattest, hat sich Akane Gedanken darüber gemacht. Sie dachte du wärst jetzt sauer auf sie." "Oh", schien dem Blauhaarigen nun klar zu werden, wo der Hase lief, woraufhin er sich an seine Freundin wandte, "Stimmt das?" Die Angesprochene nickte, verweilte allerdings weiterhin in ihrer Position. Plötzlich zuckte sie jedoch zusammen, als sie Yasuos warme Hände an ihren spürte, die sie mit sanfter Gewalt dazu zwangen ihn loszulassen. Ein Seufzen ließ sie aufschauen, während der junge Mann nur betroffen den Blick abwandte: "Tut mir leid, Akane. Es war nicht meine Absicht dich zu verunsichern. Es stimmt, dass ich in dem Moment etwas sauer war, aber ganz sicher nicht auf euch. Eher auf meine Großmutter, aber im Nachhinein war das such schwachsinnig. Sie hat ja nur erzählt, was geschehen ist. Es ist nur... das weckt nicht gerade schöne Erinnerungen." "Das verstehen wir doch", meinte Mirâ. Der Blauhaarige schüttelte nur den Kopf: "Trotzdem habe ich mich falsch verhalten. Tut mir leid, Akane." Nun konnte sich die Brünette nicht mehr zurückhalten und fing zum wiederholten Male in diesen Tagen bitterlich an zu weinen, während sie sich an den Größeren klammerte. Etwas überfordert mit der Situation strich Yasuo ihr über den Kopf und versuchte sie so zu beruhigen. Lächelnd beobachtete Mirâ die beiden und war froh, dass sich alles geklärt hatte und Akane nun sichtlich erleichtert war. So leid es ihr auch tat ihre Versöhnung zu stören, gab es etwas, was sie nun unbedingt herausfinden wollte. Deshalb ergriff sie wieder das Word: "Senpai entschuldige, wenn ich wieder zu persönlich werde, aber... mir ist aufgefallen, dass du manchmal eine Stelle an deiner Hüfte reibst. Hat das eine besondere Bewandtnis?" Überrascht sah der Drittklässler sie an. Ihre braunhaarige Freundin verstummte auf die Frage hin und sah fragend zu der Violetthaarigen, bevor sie wieder zu ihrem Freund sah. Auch ihr war diese Marotte des jungen Mannes schon öfters aufgefallen, doch sie dachte, es wäre einfach nur ein Tick gewesen. "Du machst das sicher unbewusst, deshalb fällt es dir gar nicht so auf, aber...", versuchte Mirâ die Situation zu entspannen, wurde jedoch von dem Älteren unterbrochen. Dieser schüttelte den Kopf, während er wieder an seine Hüfte fasste: "Habt ihr schonmal davon gehört, dass Narben plötzlich anfangen zu jucken oder brennen? Obwohl sie eigentlich verheilt sind?" "Heißt das, du hast da eine Narbe?", fragte Akane irritiert nach und bekam daraufhin ein Nicken als Antwort. Er seufzte und ließ von Akane ab, um sich kurz darauf auf den niedrigen Zaun zu setzen, der das Haus seiner Großeltern umgab: "Ich denke, ich sollte es euch erzählen..." Er schaute kurz über seine Schulter auf die verschlossene Haustür, um sich zu vergewissern, dass seine Großeltern nicht herauskamen, bevor er weitersprach: "Von dem Unfall von meinem Vater wisst ihr ja mittlerweile und auch, dass ich an dem Tag dabei war. Meine Großeltern denken, ich kann mich nicht mehr an den Tag erinnern, aber eigentlich... naja... ich erinnere mich nicht an alles... der Unfall direkt und das danach ist nur noch schemenhaft da, aber alles davor ist noch gut in meinem Gedächtnis..." "Warum erzählst du deinen Großeltern dann, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst?", fragte Akane, während sie sich neben ihn setzte. "Weil ich wohl der Grund für den Unfall war...", wieder fasste sich der Blauhaarige an die Hüfte, "Ich glaube, ich habe meinen Vater damals wegen irgendwas abgelenkt, weshalb er von der Straße abgekommen ist und dabei diesen Unfall verursachte..." Erschrocken sahen die beiden jungen Frauen den Älteren an. "Ich wurde damals schwer verletzt. Ein paar scharfkantige Teile vom Auto hatten mich an der Hüfte getroffen. Von der Wunde sind einige Narben geblieben, die jedes Mal ziemlich brennen, wenn ich an das Thema erinnert werde", meinte er, "Es heißt, dass Wunden, die durch Reue oder Hass entstanden sind, schlecht oder gar nicht verheilen, solange der Hass und die Wut der Person, die sie einem zugefügt hat, nicht erloschen ist. Vielleicht ist das meine Strafe für das, was passiert ist..." "So ein Schwachsinn!", fand Mirâ als erstes ihre Sprache wieder, "Du warst ganz bestimmt nicht Schuld an dem Unfall. Und ich glaube auch nicht, dass dein Vater dich dafür hasst. Viel mehr denke ich, dass er froh ist, dass du überlebt hast." Mit großen Augen sah der Blauhaarige sie an und richtete seinen Blick dann auf Akane, welche seine Hand gegriffen hatte: "Mirâ hat Recht. Gib dir dafür nicht die Schuld, Senpai. Auch ich glaube, dass er froh ist, dass du lebst, denn ich bin darüber auch glücklich. Sonst hätte ich dich nicht kennenlernen können." "Akane... Mirâ...", betroffen senkte der Ältere den Blick, "Danke..." Mehr als ein Lächeln konnte die Violetthaarige daraufhin nicht aufbringen, während sie beobachtete, wie ihre beste Freundin nun versuchte Yasuo zu trösten. Sie verstand nun, was den Älteren die ganze Zeit umgetrieben hatte und wieso er vor einigen Tagen so reagiert hatte und war froh, dass nun alles geklärt war. Ihre Hand auf die Brust legend, sah sie in den dämmrigen Abendhimmel, während sie ganz deutlich das warme Glühen in ihrem Inneren spürte. Erschöpft verließ Mirâ etwas später die U-Bahnstation in Tsukimi-kū. Mittlerweile war es dunkel geworden und dazu auch noch ziemlich frisch. Eigentlich hatte sie nicht gedacht, dass es so lange bei Yasuo dauern würde, doch nun war es nicht mehr zu ändern. Sie wollte nur noch nach Hause, ein warmes Bad nehmen und dann ins Bett. Dass sie die letzte Nacht so schlecht geschlafen hatte, machte sich nun brachial bemerkbar, zumal sie immer noch das leichte Pochen hinter ihren Schläfen spürte. Genüsslich gähnte sie einmal, während sie auf die große Kreuzung zulief, an welcher Alecs Schwester tödlich verunglückt war. Seit ihrem letzten Gespräch, was etwas unglücklich geendet hatte, war sie dem Studenten nicht noch einmal begegnet. Damals war er nach ihrem Gespräch sehr aufgebracht gewesen, weil sie ihn als netten Menschen bezeichnet hatte. Und das war er definitiv. Unbewusst legte sie ihren Finger ans Kinn, während sie ihren Gedanken nachhing. Was mochte nur der Grund dafür sein, dass er sich selbst so niedermachte? Es musste etwas wirklich Schlimmes sein, ansonsten würde er mit Sicherheit nicht so reagieren. Ihren Gedanken nachhängend lief sie ihren üblichen Heimweg entlang und achtete dabei gar nicht mehr so wirklich auf ihre Umgebung, als sie plötzlich am Kragen gepackt und zurückgezogen wurde. Nur wenige Sekunden später fuhr dicht vor ihr ein Auto entlang, was sie noch einmal erschrocken einen Schritt zurückmachen ließ. „Meine Güte… du magst es dich sinnlos in Gefahr zu bringen oder?“, schimpfte plötzlich eine ihr bekannte Stimme. Sie drehte sich um und erkannte darauf Alec, welcher sie etwas mürrisch ansah: „Achte gefälligst mehr auf deine Umgebung, junge Dame!“ Noch einmal sah Mirâ kurz zurück auf den Punkt, an welchem kurz zuvor das Auto vorbeigefahren war, und dann wieder zu Alec. Erst danach schien ihr so richtig bewusst zu werden, was gerade geschehen war, aber auch was der Ältere kurz darauf zu ihr gesagt hatte. Und obwohl sie nur ganz knapp einem Unfall entronnen war, fing sie plötzlich an zu lachen. Vollkommen irritiert sah der junge Mann sie an und wusste nicht so genau, wie er darauf reagieren sollte. „Was ist daran so witzig? Du wärst fast auf einem Auto gelandet!“, schimpfte er deshalb nur. Doch die Oberschülerin ließ sich davon nicht abhalten und lachte unbeirrt weiter: „Aber… du hast dich gerade angehört, wie ein alter Mann…“ „Eh!?“, erst langsam drang diese Information zu dem Studenten vor, aber auch dann konnte er an der Situation nichts Lustiges erkennen, „Sag mal…“ „Entschuldige…“, beruhigte sich Mirâ langsam wieder und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, „Ich weiß, das ist nicht witzig, aber… pff…“ Noch einmal überkam die junge Frau ein Lachflash, weshalb das Ganze von vorne losging. Alec jedoch fand immer noch nichts Lustiges an der Situation, doch ließ die Violetthaarige erst einmal gewähren, bis diese sich endlich wieder beruhigt hatte. „Hach… ich hab schon seit einigen Tagen nicht so gelacht. Mir tut der Bauch weh“, sagte sie, als sie es endlich geschafft hatte ihren Lachkrampf zu überwinden, „Entschuldige bitte.“ „Tze“, schnalzte ihr Gegenüber jedoch nur mit der Zunge. Mirâ rang dies nur ein kleines Lächeln ab, bevor sie ihren Blick auf die kleine Vase richtete, in welcher wieder eine neue Blume steckte: „Ich wollte mich noch für das letzte Mal entschuldigen. Ich scheine etwas gesagt zu haben, was dir nicht gepasst hat. Obwohl ich nicht ganz verstehe, was genau du daran auszusetzen hattest…“ Alec schwieg, aber die Oberschülerin bemerkte seinen Blick auf sich ruhen. Dann seufzte er plötzlich und lehnte sich an die Wand hinter sich, während die junge Frau nun doch zu ihm sah. „Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich habe letztes Mal überreagiert, immerhin hast du es nur gut gemeint“, meinte er anschließend. Die Jüngere legte den Kopf schief und sprach den Studenten nun direkt auf sein Verhalten an: „Gibt es einen Grund, wieso du so reagiert hast? Wieso bist du der Meinung kein guter Mensch zu sein? Hat es etwas mit dem Unfall zu tun, bei dem deine Schwester starb?“ Wieder schwieg der Schwarzhaarige und schien zu überlegen, was er darauf antwortete. Dann nickte er und erzählte, was an jenem Tag geschehen war: Dass er an diesem Tag seinen Führerschein gerade frisch bekommen hatte und eine Spritztour mit dem Wagen seiner Eltern machen wollte. Seine Schwester wollte ihn unbedingt begleiten und obwohl er erst dagegen war, ließ er es letzten Endes doch zu. „Es war alles gut. Ich war mir meiner Sache eigentlich ziemlich sicher. Bis wir an diese Kreuzung kamen und uns der LKW erfasste“, erzählte er weiter mit schmerzhaftem Blick, „Für meine Schwester kam damals jede Hilfe zu spät. Sie starb noch an Ort und Stelle.“ „Aber das ist doch nicht deine…“, begann die Oberschülerin, doch wurde sofort von dem Älteren unterbrochen: „Doch ist es! Hätte ich meine Schwester nicht mitgenommen, es ihr ausgeredet, dann wäre sie bei dem Unfall nicht ums Leben gekommen. Als Fahranfänger hätte ich anders reagieren müssen. Ich hätte sie mitnehmen sollen, nachdem ich Erfahrung gesammelt hatte. Dann…“ Der Schwarzhaarige redete sich in Rage, weshalb Mirâ nur eine Möglichkeit sah ihn zu stoppen. Es klatschte kurz, als sie ausholte und ihm eine Backpfeife verpasste. Irritiert stoppte Alec und sah sie mit großen Augen an, während sie ihn böse musterte. „Schluss damit! Denkst du ernsthaft so etwas wäre dir nicht passiert, wenn du deinen Führerschein länger gehabt hättest? Wohl kaum. Immer und überall kann dir sowas passieren. Es hätte also auch an jedem anderen Tag passieren können! Aber ganz davon abgesehen war es nicht deine Schuld!“, hielt sie ihm eine gehörige Standpauke, „Der LKW-Fahrer hat sich falsch verhalten und dadurch den Unfall verursacht! Wie hättest du da etwas machen können?“ Die junge Frau atmete kurz durch, um ihren Puls zu beruhigen: „Ich habe noch keinen Führerschein, aber ich habe schon einige Situationen erlebt, wenn meine Eltern gefahren sind. Glaub mir, es gibt Dinge, da kann man nichts machen, nicht reagieren. Vor allem an einer Kreuzung wie dieser, die ziemlich unübersichtlich ist… man sieht teilweise gar nicht, wer von Links oder Rechts kommt. Also hör auf dir die Schuld dafür zu geben und dich so runter zu putzen. Deine Schwester würde das mit Sicherheit auch nicht wollen.“ „Woher willst du…?“ „Weil ich selber eine Schwester habe!“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Alec verstummte und senkte den Blick, während er über ihre Worte nachzudenken schien. Mirâ wusste, dass sie eigentlich gar nicht in der Position war, ihm solch eine Standpauke zu halten. Sie hatte niemanden verloren, der ihr wichtig war und schon gar nicht auf solch tragische Weise. Doch sie war sich sicher, dass es der falsche Weg war, sich in solchen Momenten die Schuld dafür zu geben, vor allem, wenn man wirklich nichts dafürkonnte. Es führte nur dazu, dass man sich von seinem Umfeld abwandte, so wie Alec es tat. Doch das führte nur in eine Spirale, aus der man nicht so einfach wieder herauskam. Er musste diese also durchbrechen. Und der erste Schritt dafür war, dass er sich eingestand, dass er nichts dafürkonnte. Ein Seufzen ließ sie wieder ins Hier und Jetzt kommen und zu dem Schwarzhaarigen schauen, welcher nun gen Himmel sah. Überrascht stellte sie fest, dass ein kleines verbittertes Lächeln sein Gesicht zierte. Dann wandte er sich wieder an sie: „Vielleicht hast du Recht. Allerdings ist es nicht so einfach, dass von sich abzuschütteln. Aber ich werde über deine Worte nachdenken.“ Er wandte sich von ihr ab und ging hinüber zu seinem Motorrad, welches er kurz darauf startete und dann davonfuhr, während ihm die Violetthaarige etwas verunsichert hinterher blickte und dabei wieder das warme Glühen in ihrer Brust spürte. Kapitel 128: CXXVIII - Stadtbummel ---------------------------------- Sonntag, 04.Oktober 2015 Lachend schlängelte sich Junko an den Menschen vorbei, welche sich in der großen Einkaufsstraße von Kagaminomachi aufhielten und ihre Einkäufe erledigten. Mirâ, die Mühe hatte den kleinen Wirbelwind im Auge zu behalten, rief ihr zum wiederholten Male zu, dass sie sich nicht zu weit entfernen sollte, doch die Blauhaarige schien auf beiden Ohren taub. Seufzend versuchte die Oberschülerin aufzuholen, musste jedoch immer wieder Passanten ausweichen und aufpassen niemanden anzurempeln, sodass ihre kleine Schwester jedes Mal einen erneuten Vorsprung bekam. Genervt wich Mirâ einer weiteren Person aus und versuchte den blauen Haarschopf der Grundschülerin nicht aus dem Blick zu verlieren. Diese Situation passte ihr so gar nicht und deshalb bereute sie es auch den Vorschlag getätigt zu haben, einen kleinen Stadtbummel zu machen. Eigentlich wollte sie Junko nur beschäftigen, damit ihre Mutter Ruhe hatte einige Unterlagen und Dokumente zu sortieren. Dazu waren sie eigentlich erst auf den kleinen Spielplatz in ihrem Stadtviertel gegangen. Doch da sie auch keine anderen Kinder trafen die Junko kannte, wurde es den beiden recht schnell langweilig, weshalb Mirâ die Idee zu dem Ausflug hatte. Dass es nun so enden würde, hätte sie sich eigentlich denken können, doch hatte sie gedacht, dass Junko aus der Sache in Osaka gelernt hatte. Wie sich herausstellte war dies leider nicht der Fall. Die Oberschülerin allerdings hatte wirklich keine Lust auf den Stress und den Ärger, der sich wieder daraus ergeben würde, wenn ihre Schwester erneut verloren ging. Das letzte Mal hatte ihr wirklich gereicht. Endlich fand Mirâ eine Lücke und schaffte es so zu Junko aufzuholen und diese am Arm zu packen, nur um sie einen Moment später in eine nicht so belebte Seitenstraße zu ziehen. „Ich sag es dir nur noch einmal! Renn nicht ständig so weit vorne weg, sonst gehst du wieder verloren! Und darauf habe ich wirklich keine Lust!“, schimpfte sie daraufhin, während ihr Gegenüber sie leicht erschrocken ansah. Jedoch änderte sich Junkos Gesichtsausdruck einen Moment später bereits zu einem Beleidigten: „Hör auf mich wie ein Kleinkind zu behandeln, Onee-chan!“ Erschrocken schrak Mirâ bei diesem Satz zurück und bekam nicht einmal mit, wie sich die Kleine darüber ausließ, dass sie sich nicht in Osaka befanden und sie sich mittlerweile sehr gut in Kagaminomachi auskannte. Stattdessen blieb die Ältere wie versteinert stehen, weshalb Junko sie mit schiefgelegtem Kopf, fragend ansah. Doch auch das bekam sie nicht mehr mit. Plötzlicher Schwindel überkam sie, weshalb sie kurz schwankte und sich dann an der Hauswand neben sich abstützte, um nicht den Halt zu verlieren. Der hinzukommende stechende Schmerz in ihren Schläfen veranlasste sie die Augen zu schließen, jedoch machte dies den Schwindel nur noch stärker. Deshalb öffnete sie ihre Augen wieder und schrak erneut zurück, als sie bemerkte, wie die ganze Umgebung um sie herum vollkommen verschwommen wirkte. Zwar wusste sie instinktiv, dass sie sich immer noch in der gleichen Gasse befand, jedoch wirkte das Bild vor ihr vollkommen anders. Das Mädchen, welches ihr nun gegenüberstand, war definitiv nicht Junko. Auch wenn sie nicht viel sehen konnte, so erkannte sie schon die rückenlangen Haare, welche sanft im Wind wehten. Zudem war die Person vor ihr etwas größer als ihre kleine Schwester. Das Gesicht der Gestalt jedoch erkannte sie nicht, allerdings schon, dass sie von ihr angesehen wurde. „Hör auf mich wie ein kleines Kind zu behandeln, &%§%)=%!“, erklang eine wütende Stimme. Erneut zuckte Mirâ erschrocken zusammen, als ihr bewusst wurde, dass es sich dabei um ihre eigene handelte. Was hatte das zu bedeuten? Sie versuchte sich die Sache zu erklären, doch kam nicht weit. Denn kaum hatte sie versucht darüber nachzudenken wurde der Schmerz hinter ihren Schläfen um einiges stärker, so als wollte er verhindern, dass sie sich an etwas erinnerte. „Urgh“, sackte sie leicht in sich zusammen, als sie das Gefühl hatte ihr Kopf würde jeden Augenblick zerplatzen. Doch plötzlich wurde sie wieder in das Hier und Jetzt zurückgeholt, als sie lautstark die Stimme ihrer kleinen Schwester vernahm: „Onee-chan!? Ist alles in Ordnung!?“ Überrascht riss Mirâ die Augen auf, woraufhin auch sofort der quälende Schmerz verschwand, als sei er nie dagewesen. Irritiert sah sie sich um und brauchte einen Moment, um sich wieder zu orientieren. Kurz darauf schaute sie auf Junko, welche sie mit besorgten rot-braunen Augen musterte. Schnell wandte Mirâ den Blick wieder ab und betrachtete ihre Hand, die sich noch immer an der Hauswand abstützte. Junko hatte ihr Wegtreten also mitbekommen. Natürlich, immerhin war sie plötzlich weggesackt. Selbst einem Blinden wäre da aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Verbittert biss sie sich kurz auf die Unterlippe, denn ihre Schwester war die Letzte, die sie in solch einer Situation hätte erleben sollen. Doch nun konnte sie es nicht mehr ändern. Viel mehr musste sie nun versuchen die Kleine wieder zu beruhigen. Aus diesem Grund schloss die Oberschülerin noch einmal kurz die Augen und atmete tief durch, bevor sie langsam wieder gerade auf die Beine kam, auch wenn es noch etwas wackelig war. Dann schenkte sie dem Mädchen vor sich ein Lächeln. „Keine Sorge, Junko. Mit mir ist alles in Ordnung. Mir war nur etwas schwindelig, weil ich zu wenig getrunken habe. Bei der nächsten Gelegenheit sollten wir uns etwas holen. Oder wir gehen in ein Café und trinken etwas. Was meinst du?“, beruhigend strich sie der Blauhaarigen über den Kopf, doch diese schien nicht wirklich überzeugt und sah sie weiterhin in Sorge an. Auch als das Lächeln auf Mirâs Gesicht etwas breiter wurde änderte sich nichts an der Situation. Stattdessen sah sie die Ältere nur noch eindringlicher an. Dann jedoch schien ihr etwas einzufallen, weshalb sie einen Schritt zurück ging und sich dann umsah. Plötzlich wandte sie sich ab und rannte los: „Ich habe vorhin einen Getränkeautomaten gesehen. Warte hier! Ich hole dir Wasser!“ Noch bevor die Ältere irgendwelche Einwände hätte geben könnten, war die Grundschülerin bereits um die nächste Ecke verschwunden. Besorgt sah Mirâ ihr nach und hoffte, dass Junko sich nicht verlief, war jedoch auch dankbar über den kurzen Moment alleine. Erschöpft ließ sie sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und stützte sich so ab. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi, was eine Verfolgung Junkos so oder so unmöglich gemacht hätte. Vorsichtig wischte sie sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte zu sortieren, was da gerade eben passiert war. Es war definitiv wieder eine dieser Visionen, die sie seit dem Tsukinoyo immer wieder hatte. Doch sie wusste immer noch nicht wieso diese immer wieder auftauchten und was sie zu bedeuten hatten. Irgendwie wirkte es so, als seien es Erinnerungen, die jedoch sehr verschwommen waren. Aber das konnte doch gar nicht sein, immerhin war sie erst in diese Stadt gezogen. Es gab immer wieder Ecken, die sie noch nicht kannte. Wäre sie schon einmal hier gewesen, dann müsste sie sich doch automatisch daran erinnern. Doch so? Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Das war sicher. Doch je mehr sie versuchte der Sache auf den Grund zu gehen, desto mehr merkte sie, wie ihr Kopf wieder begann zu schmerzen. Es war kein Vergleich zu dem, was sie zuvor gespürt hatte, aber trotzdem unangenehm. Seufzend lehnte sie ihren Kopf gegen die Wand hinter sich und beobachtete den Himmel. Was war nur los mit ihr? Ob sie mit ihrer Mutter darüber sprechen sollte? Immerhin hatte sie ja wirklich einige Gedächtnislücken, nachdem sie als kleines Kind einmal einen Unfall hatte. Selbst an diesen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Irgendwann war sie mal im Krankenhaus aufgewacht, woraufhin ihr erzählt wurde, dass sie einen Unfall hatte und deshalb an einer leichten Amnesie litt. Doch das ist schon so viele Jahre her und die Erinnerungslücken betrugen nur einige wenige Stunden. Trotzdem fand sie es merkwürdig. Ob diese Bilder eine späte Folge der Amnesie waren? Vielleicht vermischte ihr Gehirn ja Erinnerungsfetzen mit Orten dieser Stadt und deshalb kamen solch verzerrten Bruchstücke dabei heraus. Das jedenfalls war das Einzige, was sich Mirâ in dieser Situation vorstellen konnte. Sicher war sie sich allerdings nicht, denn dieses ungute Gefühl, dass sich in ihr breit machte, sagte ihr etwas anders. Jedoch konnte sie nicht sagen was. Es war einfach zum Haare raufen. Etwas Kaltes berührte ihre Hand, weshalb sie diese reflexartig zurückzog und dabei aus ihren Gedanken schreckte. Schnell wandte sie ihren Blick zur Seite und erkannte daraufhin Junko, die ihr eine Flasche mit Wasser reichte. Wieder brauchte sie einen Moment, um sich zu sammeln, doch nahm das ihr angebotene Getränkt dann dankend an. Die kühle Flüssigkeit, welche ihr kurz darauf die Kehle hinunterlief tat wirklich gut und weckte in ihr neue Lebensgeister. Auch das gummihafte Gefühl in ihren Beinen ließ nach, weshalb sie sich mit leichtem Schwung wieder von der Wand abstieß und daraufhin geradestand: „Das tat gut. Vielen Dank, Junko. Wollen wir dann weiter?“ Eine kleine Hand griff nach der ihren: „Wenn es dir nicht gut geht, dann sollten wir besser wieder nach Hause fahren. Meinst du nicht, Onee-chan?“ Überrascht sah die Ältere die Grundschülerin an, immerhin hatte diese sich so sehr über den Stadtbummel gefreut. Andererseits fand sie es aber auch sehr erstaunlich, wie gut Junko in ihrem Alter diese Situation bereits einschätzen konnte und wie viel Rücksicht sie ihr damit entgegenbrachte. Doch die Oberschülerin wollte jetzt noch nicht nach Hause und sie wusste auch, dass es Junko genauso ging. Aus diesem Grund setzte sie wieder ein Lächeln auf und strich ihrer kleinen Schwester erneut über den Kopf: „Es ist alles gut, Junko. Mir geht es schon wieder besser. Lass uns ruhig noch ein wenig bummeln. Wie wäre es, wenn wir in den kleinen Handwerksladen gehen?“ Mirâ wusste, dass die Blauhaarige gerne in den kleinen Laden ging, in welchem neben Stoffe und Wolle auch kleine selbstgemachte Plüschtiere angeboten wurden. Kanji Tatsumi, ein Student an der Jûgôya, welcher zwar immer recht mürrisch wirkte, aber eigentlich sehr nett war, fertigte diese Tierchen an und verdiente sich damit etwas Studentengeld dazu. Zusätzlich gab er vor Ort auch Kurse im Nähen und anderen handwerklichen Dingen, an denen Junko mittlerweile Freude gefunden hatte, weshalb sie sich mit dem jungen Mann mehr oder weniger angefreundet hatte. Auch Mirâ schaute immer mal wieder gerne dort vorbei, auch wenn sie feststellen musste, dass sie kein wirkliches Geschick für solche Sachen hatte. Zu ihrem Glück ging ihr Plan auf, denn kaum hatte sie den Laden erwähnt, begann Junkos Gesicht zu strahlen. Nun konnte sich die Ältere ein Lachen nicht mehr verkneifen und griff nach der Hand der Jüngeren: „Na dann los!“ Nur wenige Minuten später hatten sie das gesuchte Geschäft erreicht, woraufhin Junko gleich wieder nach vorne stürmte. Seufzend unterdrückte Mirâ das Bedürfnis sie erneut zurechtzuweisen, während sie ihr schmunzelnd folgte. Jedoch hoffte sie darauf, dass nicht jemand aus dem Laden kam, den die Grundschülerin dann umrannte. Doch genau das geschah just in diesem Moment und Junko rannte gegen eine junge Frau mit dunkelblauen kurzen Haaren, die unter einer dunkelblauen Ballonmütze hervorschauten. Leicht erschrocken fing sie das kleine Mädchen auf: „Hoppla. Nicht so stürmisch, junge Dame.“ „Oh nein“, murmelte Mirâ und rannte auf die beiden zu, nur um sich sogleich zu verbeugen, „Ich bitte vielmals um Verzeihung.“ Überrascht sah die fremde Frau sie an und konnte sich dann ein leichtes Lachen nicht verkneifen: „Ach was. Schon in Ordnung. Es ist ja nichts passiert. Ich kannte auch mal eine junge Dame, die genauso ungestüm war. Vor allem wenn es um ihren großen Bruder ging.“ „Ähm okay“, bekam die Violetthaarige nur heraus und richtete sich wieder auf, woraufhin sie in das Gesicht der Blauhaarigen sah, welche etwas kleiner war, als sie selbst. Doch was die Oberschülerin mehr überraschte, war der kleine Schmetterling, welcher langsam in Schlängellinien an ihrem Gegenüber nach oben flog. Sie beobachtete das kleine blau leuchtende Tierchen einen Moment, wie es sich kurz darauf von der Blauhaarigen entfernte und in Richtung der Eingangstür des Ladens flog, welche just in diesem Moment aufging. „Naoto, du bist ja immer noch da“, kam ein schwarzhaariger junger Mann aus dem Laden, von welchem nun ebenfalls ein kleiner Schmetterling emporflog. Dieser traf auf den anderen kleinen Flattermann und drehte mit diesem einige Runden, bevor sich beide in Luft auflösten. „Ach Kanji-kun. Ja, ich wurde von dieser jungen Dame etwas überrascht umgerannt“, lachte die junge Frau namens Naoto. Überrascht sah Kanji zu besagter Dame: „Junko-chan.“ „Oh ihr kennt euch?“, fragte die Bekannte des Mannes nach. Dieser kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf: „Ah, sie kommt öfters hier vorbei.“ „Die Plüschtiere, die Tatsumi-san macht sind wirklich super süß. Er kann echt super toll nähen und solche Sachen. Und er ist so nett und zeigt anderen wie es geht. Ich hab auch schon gaaaaaaanz viel bei ihm gelernt“, sprudelte es plötzlich aus Junko heraus, woraufhin sie zwei überraschte Augenpaare trafen. Während Naoto ein Schmunzeln über die Lippen glitt, war Kanji diese Aussage so peinlich, dass er verlegen in eine andere Richtung sah und meinte, dass das doch nichts Besonderes wäre. Mirâ hingegen legte sich etwas peinlich berührt die Hand an die Stirn und hoffte, dass Junko den Studenten damit nicht auf den Schlips getreten war. Obwohl sie vor einigen Minuten schon richtig erwachsen reagiert hatte, als es ihrer großen Schwester nicht gut ging, merkte man nun mehr, dass die Blauhaarige doch nur ein kleines Kind war. Die fremde junge Frau legte der Kleinen ihre Hand auf den Kopf und erklärte, dass sie genau nachvollziehen könne, was sie meinte, immerhin kannte sie den jungen Mann schon ziemlich lange. Diesen machte die Aussage nur noch verlegener, weshalb er seine Bekannte in einem doch recht ruppigen Ton anging, ob sie nicht langsam losmüsste. Während Mirâ erschrocken zusammenzuckte, lachte die Ältere daraufhin nur und verabschiedete sich dann von der Gruppe. Überrascht sah Mirâ ihr nach und wunderte sich schon fast, dass die blauhaarige Frau so gelassen mit dem Umgangston ihres Bekannten umging. Jedoch hatte sie ja erwähnt, dass sie ihn schon länger kannte. Außerdem hatten die beiden Schmetterlinge, die sie noch wenige Minuten zuvor gesehen hatte, ihr eindeutig gezeigt in welcher Beziehung die beiden zueinanderstanden. Deshalb kam sie letzten Endes zu dem Schluss, dass es wohl böser geklungen hatte, als es gemeint war. Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als ihr bewusst wurde, wie schön es wohl sein musste, so ungezwungen miteinander umgehen zu können. Der Nachmittag neigte sich langsam dem Ende, weshalb sich Mirâ und ihre kleine Schwester so langsam auf den Heimweg begaben. Glücklich über das kleine Plüschtier, welches sie bei ihrem Besuch in dem Handwerksladen abgestaubt hatte, stolzierte Junko wieder einmal voraus. Dieses Mal jedoch nicht so weit von ihrer Schwester entfernt, sodass diese sie weiterhin beobachten konnte. Sie hatte fast die U-Bahnstation erreicht, über welche sie zurück nach Hause fahren wollten, als etwas beziehungsweise jemand Mirâs Aufmerksamkeit weckte. Voll gepackt mit Einkaufstüten kam ein Mädchen mit türkisgrünen, langen Haaren genau in ihre Richtung, welches jedoch vollkommen überfordert wirkte. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie mehr Tüten bei sich hatte, als sie eigentlich tragen konnte. Die Oberschülerin beobachtete diese Szene noch einen Moment und überlegte, was sie machen sollte, bevor sie sich mit einem Seufzen in Bewegung setzte. „Junko warte mal kurz“, hielt sie ihre kleine Schwester noch davon ab ohne sie weiter zu laufen, bevor sie auf die Türkisgrünhaarige zuging. „Hallo Chisato-chan. Kann man dir irgendwie helfen?“, fragte sie anschließend, woraufhin ihr Gegenüber erschrocken zusammenzuckte und einige der Tüten fallen ließ. „Oh nein. Verdammt“, fluchte sie und versuchte die heruntergefallenen Einkäufe wieder aufzuheben, wodurch jedoch nur noch weitere Dinge den Weg nach unten fanden, „Ah nein!“ Erneut seufzte Mirâ und ging daraufhin in die Hocke, um die heruntergefallenen Gegenstände wieder aufzuheben. Wie sie feststellen musste, waren diese zum Glück alle unbeschädigt. Auch Junko hatte mittlerweile bemerkt, was los war und hatte sich zu den beiden gesellt, um ebenfalls beim Aufheben zu helfen. „Danke“, nuschelte Chisato, welche noch nicht so wirklich registriert zu haben schien, wer ihr da eigentlich gerade half. Erst als die meisten Dinge wieder zusammengesammelt waren, wandte sie sich nun den beiden Helferinnen zu, wodurch sie nun endlich bemerkte, um wen es sich dabei eigentlich handelte: „Oh…“ „Was heißt hier oh?“, fragte die Älteste in der Runde, doch beließ es dann dabei und schaute wieder auf die ganzen Tüten, „Das ist ganz schön viel für eine Person. Brauchst du Hilfe?“ Die Mittelschülerin schien kurz mit sich zu ringen, was sie darauf antworten sollte. Es war offensichtlich, dass sie nicht unbedingt Hilfe von Mirâ annehmen wollte, aber auch, dass ihr bewusst war, dass sie das alles nicht alleine tragen konnte. Also gab sie sich nach einigen Sekunden geschlagen: „Wenn ihr so nett sein würdet, wäre ich euch für eure Hilfe dankbar.“ Mirâ lächelte und schnappte sich einige der Tüten, was ihr Junko nachtat, sodass am Ende eine überschaubare Menge für Chisato übrigblieb, die sie locker tragen konnte. Dann setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und machte sich auf den Weg in Richtung Shinzaro Tempel. Auf dem Weg ließ es sich die Violetthaarige nicht nehmen, nachzufragen, wieso sie so viele Einkäufe ganz alleine erledigte. Immerhin war es offensichtlich, dass eine einzelne Person diese Masse niemals bewältigen konnte. Selbst für zwei Personen wäre es schon grenzwertig. Die junge Mikoanwärterin antwortete jedoch nicht sofort. Viel mehr schien sie zu überlegen, ob sie überhaupt darüber sprechen sollte. „Es ist nicht so, dass mich Masaru-sans Eltern dazu gezwungen haben. Klar?“, sagte sie jedoch plötzlich, als wollte sie verhindern, dass Mirâ sich ein falsches Bild machte, „Eigentlich wollte Masaru-san mir helfen, aber er hat noch so viele andere Aufgaben zu erledigen, dass ich ihm nicht noch mehr Arbeit machen wollte. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so viel werden würde, obwohl es Masaru-san wohl schon geahnt hatte.“ „Naja, aber diese Aktion war auch nicht gerade gut durchdacht“, sagte plötzlich Junko und ließ damit die Mittelschülerin erschrocken zusammenzucken. „Junko…“, mahnte Mirâ, doch musste zugeben, dass sie dem nichts entgegenzusetzen hatte, „Allerdings muss ich meiner Schwester Recht geben. Du tust niemandem einen Gefallen, wenn du am Ende Probleme bekommst deine Aufgabe zu erledigen. Ich denke auch, dass Masaru-senpai kein Problem damit gehabt hätte, dir zu helfen, auch wenn seine Arbeit dadurch liegen bleibt.“ „Das weiß ich doch selber gut genug. Aber trotzdem…“, man merkte, dass die Sache Chisato beschäftigte und dass sie selber wusste, wie dumm ihr Alleingang war. Deshalb beließ es die Violetthaarige dabei und sprach nicht weiter darüber. „Du sag mal, Nee-san“, begann Junko ihren Blick auf Chisato gerichtet, „Du arbeitest im Tempel? Heißt das du bist eine Miko?“ Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein noch nicht. Ich bin noch in der Ausbildung. Oder besser gesagt in der Vorbereitung zur Ausbildung. Ich helfe aus und Masaru-sans Mama erklärt mir schon einiges.“ „Macht das Spaß?“, kam eine weitere Frage. Ganz deutlich merkte Mirâ, wie das Mädchen neben ihr zusammenzuckte und dann zu überlegen schien, was sie sagen sollte. Jedoch war sofort klar, welche Antwort ihr auf der Zunge lag. Und dieser Umstand fiel nicht nur der Oberschülerin auf… „Aber wenn es dir keinen Spaß macht, wieso machst du das dann?“, in ihrer unschuldigen Art sprach Junko die Frage aus, die ihrer großen Schwester schon seit längerem auf der Seele brannte. Doch da sie sich nie eine Antwort erhoffen brauchte, hatte sie nie gefragt. Mirâ beobachtete Chisato und deren Reaktion genau und konnte dabei erkennen, wie es in ihrem Kopf ratterte. Anscheinend überlegte sie, was sie darauf antworten sollte: Ob sie die Wahrheit sagen oder sich irgendeine Ausrede einfallen lassen sollte. Doch dann seufzte sie und ließ ergeben die Schultern sinken. Sie wandte ihren Blick kurz gen Himmel, bevor sie ihn wieder auf Junko richtete: „Es ist nicht so, dass es mir gar keinen Spaß macht. Um ehrlich zu sein interessiert mich dieser ganze Tempelkram sogar etwas. Ich mag die Miko-Kleidung und mit den Gebräuchen und Riten bin ich auch ganz gut vertraut. So ist es ja nicht. Aber es ist nicht das, was ich mal machen möchte. Es erfüllt mich einfach nicht. Dass ich diese dumme Ausbildung mache liegt einzig und allein an meiner Mutter, die mich da reinzwingt. Aber gegen sie zu argumentieren bringt nichts. Leider. Deshalb lasse ich das irgendwie über mich ergehen. Und naja… wenn ich mit Masaru-san zusammenarbeiten kann, dann macht es mir sogar richtig Spaß.“ Überrascht sah Mirâ Chisato an und spürte dann ganz deutlich in ihrem Inneren dieses warme Glühen, welches ihr verriet, dass der Social Link der Mittelschülerin weiter angestiegen ist. „A-Aber erzählt das nicht Masaru-san! Verstanden!?“, ließ diese sie einen Moment später erschrocken zusammenzucken. Reflexartig griff sich die Oberschülerin an die linke Brust, wo ihr Herz dank der Jüngeren einen kurzen Aussetzer gemacht hatte und atmete kurz durch, bevor sie ein Lächeln aufsetzte und dann versprach dieses Geheimnis für sich zu behalten. Es dämmerte bereits, als die drei Mädchen die gesamten Einkäufe zum Tempel gebracht hatten. Da Chisato an diesem Abend auch wieder zurück nach Gyakuten-mura fahren musste, hatte sie sich schnell von den anderen beiden verabschiedet und war im Haus verschwunden. Daraufhin hatten sich Mirâ und Junko wieder auf den Weg gemacht. Doch gerade, als sie die Treppe erreicht hatten, die sie hinunter zur Hauptstraße bringen sollte, fiel der Violetthaarigen ein auffälliger schwarzer Haarschopf auf, welcher schwerfällig die Treppen hinaufgestiegen kam. Nur einen Moment später stand dann plötzlich Shirota neben ihr und sah sie ebenso verwundert an, wie sie ihn. „Guten Abend, Tsukiyama-kun“, grüßte die Ältere ihren Kohei freundlich, „Noch ein Spätgebet absetzen?“ „Guten Abend, Shingetsu-senpai“, kam eine verhaltene Begrüßung zurück, „J-ja. I-in meiner Familie war es brauch, am frühen Abend noch einmal den Tempel aufzusuchen.“ Mirâ legte den Kopf schief: „Klingt so, als wäre deine Familie sehr religiös.“ Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf: „N-Nur meine Großeltern. Sie sind zwar schon länger nicht mehr da, aber die Angewohnheit, um diese Zeit herzukommen, ist geblieben.“ „Ach so ist das. Aber es ist schön, dass du die Tradition beibehältst. Deine Großeltern werden sicher darüber glücklich sein“, lächelte die Violetthaarige ihn an, woraufhin er jedoch nur mit den Schultern zuckte und sich wieder in Bewegung setzte. Gerade als er an der Älteren vorbei war, drehte sich diese noch einmal zu ihm um: „Hör mal, wegen Kuraiko…“ „Entschuldige mich, Senpai. Aber ich muss jetzt weiter. Mach’s gut“, würgte der Schwarzhaarige die junge Frau ab und war kurz darauf bereits weitergegangen. Leicht missmutig sah die Violetthaarige ihm nach, da man sofort bemerkt hatte, dass er dem Thema aus dem Weg gehen wollte. Dabei wollte sie noch einmal mit ihm über die Sache mit Kuraiko sprechen. Diese hatte sie zwar noch einmal eindringlich gewarnt sich herauszuhalten, aber irgendwie konnte sie das nicht. Wahrscheinlich würde sie es später bereuen, doch sie konnte nicht einfach mit zusehen, wie zwei ehemals beste Freunde sich so auseinanderlebten. Sie konnte nicht einmal wirklich sagen wieso, doch irgendwie empfand sie es als eine Aufgabe, die Dinge nicht einfach so im Raum stehen zu lassen. „Was war das denn? Wie unhöflich, dich einfach zu unterbrechen…“, schimpfte Junko mit an die Hüften gestemmten Armen. „Ach schon gut“, kicherte Mirâ und griff dann nach der Hand ihrer kleinen Schwester, „Lass uns nach Hause fahren, Junko. Mama macht sich bestimmt schon sorgen, wo wir solange bleiben.“ Damit verließen die beiden Mädchen das Tempelgelände, um zu der am Fuße liegenden U-Bahnstation zu gehen und nach Hause zu fahren. Kapitel 129: CXXIX – Unbehagen ------------------------------ Montag, 05.Oktober 2015 Zitternd zuckte Mirâ zusammen, als sie die U-Bahnstation in Jûgôya-kû verließ und ihr dabei ein eisiger Wind um die Beine wehte. Schnell steckte sie ihre Hände in die Jackentaschen ihrer Uniform, um diese vor der Kälte zu schützen. Dafür, dass es am Vortag recht angenehm war, merkte man den Temperaturen an diesem Morgen umso deutlicher an, dass sich allmählich der Herbst einstellte. Der Wetterbericht versprach zwar, dass es im Laufe des Tages wieder etwas milder werden würde, doch aktuell konnte sich Mirâ das nicht wirklich vorstellen. Sie richtete ihren Blick gen Himmel, welcher von grauen Wolken durchzogen war. Vorbei waren nun wohl die sonnigen Tage. Stattdessen würde es von nun an immer kälter werden. Der Gedanke ließ die Oberschülerin gleich noch einmal mehr frösteln, bevor sie sich mit einem Seufzen in Bewegung setzte, um endlich in das warme Schulgebäude zu gelangen. Sie ließ ihren Blick über die Masse von Schülern schweifen, welche alle den gleichen Weg hatten wie sie. Dabei fiel ihr ein Mädchen auf, dessen Uniform mit seinen Grautönen sich deutlich von der der Jûgôya High School abhob. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie ihre Schritte etwas beschleunigte, um so schnell wie möglich zu der Schülerin aufzuschließen. Bei dieser angekommen, legte sie ihr mit einer fröhlichen Begrüßung die Hand auf die Schulte, musste danach allerdings sofort wieder einen Schritt zurück machen, da sie sonst von einer Hand getroffen worden wäre. Überrascht sah sie daraufhin Shio an, welche sie mit einem ähnlichen Blick bedachte und dann schnell die Hand herunternahm. Mit so einer heftigen Reaktion hatte Mirâ gar nicht gerechnet, jedoch wollte sie ihrer Freundin auch nicht unterstellen, dass sie das mit Absicht gemacht hatte. „Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe“, entschuldigte sie sich deshalb bei der Schwarzhaarigen mit dem blonden Pony. Diese schüttelte rasch den Kopf und drückte ihre Hand an die Brust: „Nein, mir tut es leid. Ich war etwas in Gedanken. Sorry. I hope… ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan.“ Die Violetthaarige schüttelte den Kopf und lächelte: „Nein, alles in Ordnung. Obwohl mich deine Reaktion schon überrascht hat. Was ist denn los? Ist etwas passiert?“ „Hm… ich weiß es nicht genau“, antwortete Mioshirô und senkte den Blick, „Erinnerst du dich noch an den Tag, als ich den beiden Mädchen aus dem Tennisclub die Meinung gesagt habe?“ Ein Nicken als Antwort reichte, damit die junge Frau weitersprach: „Weil unser Trainer letzte Woche auf einer Schulung war, fiel der Club aus und heute ist wieder der erste Tag. Ehrlich gesagt mache ich mir Gedanken, ob diese Aktion Unruhe ins Team bringen könnte.“ Schweigend hörte Mirâ zu, während ihre Freundin erklärte, dass sie prinzipiell immer dafür ist, anderen die Meinung zu sagen, wenn einem etwas nicht passt. Jedoch wusste sie auch, wie wichtig der Zusammenhalt in einem Club oder Team war und das Streitereien da fehl am Platz waren. „In den USA wäre es wahrscheinlich nicht mal ein wirkliches Problem. Aber ich weiß, dass es vielen Japanern schwerfällt, mit der Meinung anderer umzugehen. Beziehungsweise mit der Situation von anderen die Meinung gesagt zu bekommen“, erzählte die Schwarzhaarige weiter, „Ich mache mir Gedanken, ob mein unbesonnenes Verhalten vielleicht zu Problemen führen könnte.“ Mit großen Augen sah die Violetthaarige ihre Freundin an und wunderte sich schon beinahe darüber, dass sie sich darüber Gedanken machte. Immerhin wirkte sie immer so, als würde sie so etwas nicht stören. Dass sie diese Sache doch so belastete, überraschte Mirâ dann doch ganz schön. Andererseits verstand sie auch, was Shio damit meinte und welche Ängste sie begleiteten. Ihr würde es dabei nicht anders gehen. „Hm, schwierige Situation“, meinte sie deshalb nur und setzte sich wieder in Bewegung, was ihr die Schwarzhaarige nachtat, „Aber ich glaube, dass du dir darüber keine Gedanken machen musst. Wie du bereits sagtest müssen wir Japaner lernen mit solchen Situationen umzugehen. Und je früher wir damit anfangen, umso besser. Ich bin mir sicher, dass die beiden Weiber das nicht auf sich beruhen lassen, allerdings hast du ihnen nur die Wahrheit gesagt. Entweder sie nehmen es so hin oder ändern etwas. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich bin mir sicher, dass euer Trainer das genauso sieht. Also mach dir darüber nicht zu viele Gedanken. Es wird schon alles gut gehen.“ „Meinst du?“, hakte Shio noch einmal nach, woraufhin sie erneute in Nicken als Antwort bekam. Noch einmal ließ sie sich die Worte ihrer Freundin durch den Kopf gehen und lächelte dann: „Ja, ich denke du hast recht. Thanks, Mirâ. Jetzt geht es mir besser.“ Mehr als ein Lächeln brachte die Violetthaarige nicht über die Lippen, während sie spürte, wie sich eine angenehme Wärme in ihr breit machte. Mit einer Verbeugung verließ Mirâ in der Mittagspause das Lehrerzimmer. Sie hatte sich eigentlich auf eine gemütliche Runde mit ihren Freundinnen gefreut, was ihr von ihrem Geschichtslehrer aber mächtig vermiest wurde. Durch Zufall hatte er herausgefunden, dass sie in dieser Woche Klassendienst hatte und sie sogleich dazu verdonnert die extra ausgeteilten Bücher wieder einzusammeln und zurück zum Lehrerzimmer zu bringen. Nun war bereits die Hälfte ihrer Pause rum und sie hatte noch nichts gegessen. Lautstark meldete sich just in diesem Moment ihr Magen und wies sie damit auf ihren Hunger hin, der bereits seit Beginn der Geschichtsstunde eingesetzt hatte. Jetzt musste sie sich also beeilen und noch schnell etwas aus ihrem Bento essen, um nicht mit ganz leerem Magen dazustehen. Seufzend betrat sie die Treppe des hinteren Treppenhauses der Schule, während ein erneutes Grummeln ertönte und sie sich deshalb den Bauch reiben musste. Sie hatte eigentlich selten so einen Hunger, da sie immer ausgiebig frühstückte. Aber ausgerechnet heute hatte sie nur zwei Toastscheiben mit Marmelade gegessen. Ihre Mutter hatte sehr früh das Haus verlassen und um etwas ordentliches zuzubereiten fehlte der Oberschülerin die Zeit. Deshalb hatte sie sich und ihrer kleinen Schwester nur Toast aufgetischt. Das hatte sie nun davon. Wieder knurrte ihr Magen, während sie die Treppe weiter hinaufstieg und dabei peinlich berührt zu Boden sah. Hoffentlich hörte es niemand. Plötzlich tauchten ein paar schuleigene Hausschuhe vor ihr auf, die teilweise von einer schwarzen Hose bedeckt waren und auch nicht beiseite gingen, als sie sich ihnen näherte. Überrascht hob Mirâ daraufhin wieder den Blick und erkannte dann einen jungen Mann mit dunkelbraunen Haaren, der ein Stückchen größer war als sie. Bei ihm waren zwei weitere Jungs, die etwas versetzt zu dem Braunhaarigen auf der Treppe standen. Mirâ kannte die drei. Sie gehörten zu den Leuten, die Ryu ständig schikanierten. Und sie waren es auch, die Ryu während der Vorbereitungen zum Schulfest angegriffen hatten und wegen denen die Violetthaarige mit Mrs. Masa das Gespräch suchte. Und nun standen sie mit verschränkten Armen vor ihr. „Würdet ihr bitte beiseite gehen?“, fragte die Ältere ruhig, ahnte jedoch, dass es nicht so einfach werden würde, an diesen dreien vorbei zu kommen. „Wieso sollten wir?“, kam die erwartete Gegenfrage von dem Brünetten. „Ihr steht mir im Weg“, meinte Mirâ nur und machte dann einen Schritt zurück, um dann um die Jungs herumzugehen. Als sie diesen Versuch jedoch startete, wurde sie plötzlich am Handgelenk gepackt und kurz darauf gegen die Wand gedrückt, an welcher die Treppe entlangführte. Erschrocken riss die junge Frau die Augen auf und schaute ihr Gegenüber geschockt an. Sie versuchte sich loszureißen, doch schaffte es nicht sich zu befreien. Auch wenn der Brünette ein Jahr jünger war als sie, so hatte er als Junge weit mehr Kraft, als sie. Trotzdem gab sie nicht auf und zog an ihren Armen, welche jedoch immer wieder gegen die Wand gedrückt wurden. „Lass mich los!“, schimpfte sie, „Was soll das hier eigentlich?“ Plötzlich kam ihr das Gesicht des Jungen ziemlich nahe: „Pass mal auf, du Miststück. Nur weil du Älter bist, heißt das nicht, dass wir uns von dir alles gefallen lassen müssen. Wag es nicht, dich ständig in die Sache mit Arabai einzumischen. Von einer wie dir lassen wir uns unser Opfer nicht einfach wegnehmen. Und wenn du nochmal zu einem Lehrer rennst und petzt kannst du was erleben. Verstanden?“ „Wollt ihr mir etwa drohen?“, bekam Mirâ nur mit einem hämischen Lachen heraus und wurde daraufhin noch etwas fester gegen die Wand gedrückt, „Au!“ „Wenn du willst können wir auch ernst machen“, drohte der Jüngere mit einem Blick, der die Violetthaarige nun doch ängstlich zusammenzucken ließ. Dieser Gesichtsausdruck machte ihr Angst. Für einen Oberschüler wirkte er plötzlich viel zu bedrohlich. Was waren das nur für Menschen mit denen Ryu dort verkehrte? Und wieso konnten sie ihn und seine Freunde nicht einfach in Ruhe lassen? Irgendwas stimmte doch nicht mit denen. Doch eigentlich war das in diesem Moment vollkommen egal. Sie wollte nur noch weg. Also zerrte sie noch einmal an ihren Armen, doch egal was sie versuchte, es klappte nicht. Ängstlich kniff sie die Augen zusammen und hoffte, dass es bald vorbei war, als sie plötzlich spürte, wie der Druck an ihren Handgelenken nachließ. Überrascht sah sie wieder auf und erkannte dann einen breiten Rücken vor sich, auf dessen Schultern dunkelblonde Haare ruhten. Sie blinzelte kurz, um dann den kleinen Zopf am Hinterkopf des jungen Mannes vor sich zu bemerken. „Hiroshi-kun“, kam sie nur überrascht heraus. „Mirâ-senpai!“, ließ sie die Stimme von Ryu aufschrecken und zur Seite schauten, wo genannter Junge gerade die Treppe herunterkam. Vollkommen perplex sah die junge Frau zuerst zu dem Jüngeren und dann wieder nach vorne auf Hiroshi, der schützend vor ihr stand. „Ihr habt echt nerven. Habt ihr noch nicht genug abbekommen?“, fragte er und ließ dabei seine Fingerknochen knacken, „Fasst sie noch einmal an und ich verspreche euch, dass ihr nicht nur mit ein paar blauen Flecken davonkommen werdet.“ Etwas eingeschüchtert machten die drei Jungs einige Schritte zurück. Selbst Mirâ zuckte leicht zusammen. So wütend hatte sie den Blonden noch nie erlebt. Sicher, auch in Ryus Dungeon war er sauer geworden, doch das hier war gar kein Vergleich dazu. In diesem Moment würde sie ihm sogar abnehmen, dass er seine Drohung in die Tat umsetzte. „Ich hab mit euch langsam ernsthaft die Schnauze voll. Anscheinend muss ich doch mal andere Seiten aufziehen“, drohte er weiter. „Ha… was willst du schon machen? Auch zu den Lehrern gehen, wie sie? Die machen eh nichts, solange ihr keine handfesten Beweise habt. Und wir haben gute Freunde, die für uns Aussagen. Kein Lehrer wird euch glauben“, kam es nur Lachend zurück, „Oder willst du uns verprügeln? Dann zeige ich dich wegen Körperverletzung an!“ „Das kannst gerne machen. Wenn du dann noch in der Lage dazu bist“, knackten erneut Hiroshis Fingerknochen. Erneut zuckten die drei zusammen, schluckten dann einmal und entschieden sich dann doch erst einmal für den Rückzug: „Kche… belassen wir es erst einmal dabei. Aber haltet euch gefälligst aus unseren Angelegenheiten raus.“ Sie wandten sich ab und gingen die Treppe wieder hinauf, allerdings nicht, ohne Ryu noch einmal hart mit der Schulter anzuecken, sodass er mit einem Poltern auf den Stufen landete. Mirâ und Hiroshi unterdessen sahen den drei Erstklässlern nach, während der Blonde sich murmelnd über sie echauffierte. Die Violetthaarige jedoch spürte langsam, wie die Anspannung sie verließ. Plötzlich gaben ihre Beine nach und sie sackte zu Boden. „Mirâ/-senpai“, waren Ryu und Hiroshi sofort zur Stelle. „Schon gut. Mir war nur etwas schwindelig, weil die Anspannung nachgelassen hat“, versuchte sie ihre beiden Kumpels zu beruhigen. Dabei zitterte allerdings ihre Stimme, weshalb sie sich sicher war, dass es nichts gebracht hat. „Du solltest besser ins Krankenzimmer. Ich trag dich hin“, meinte Hiroshi darauf jedoch nur und wollte sich erheben, um sich umzudrehen. Jedoch kam er nicht weit, denn kaum hatte er dazu angesetzt aufzustehen, griff Mirâ plötzlich nach seinem Hemd und zwang ihn so wieder auf die Knie zu gehen. Erschrocken und zugleich überrascht merkte er daraufhin, wie die junge Frau ihr Gesicht an seiner Brust versteckte. Mit zitternden Händen krallte sie sich an seinen Sachen fest und hielt ihn so davon ab aufzustehen. „Entschuldige… kannst du… kurz so bleiben?“, fragte die junge Frau mit leiser zitternder Stimme, „D-Danke für deine Hilfe… Hiroshi-kun.“ „S-Sicher. Und kein Problem. Nimm… nimm dir Zeit“, verlegen und mit knallrotem Kopf blickte der Blonde aus dem Fenster, um so seine Verunsicherung irgendwie zu überspielen. Ein leises Schluchzen ließ ihn jedoch wieder zu seiner Teamkameradin sehen, deren Schulter plötzlich bebten. Etwas überfordert mit der Situation war das Einzige, was Hiroshi in diesem Moment tun konnte, ihr sanft die Hand auf den Kopf zu legen und ihr die Zeit zu geben, die sie brauchte, um sich wieder zu beruhigen. Ryu beobachtete die beiden älteren Schüler, während sich Schuldgefühle in ihm breit machten. Hätte er nicht zufällig mitbekommen, wie seine Klassenkameraden sich über Mirâ unterhalten haben und wäre er deshalb nicht zu Hiroshi gegangen, um diesem Bescheid zu geben, wer weiß was mit Mirâ geschehen wäre. Er traute den Jungs zu, dass sie auch bei einem Mädchen nicht vor Gewalt zurückschrecken würden, nur um ihren Willen durchzusetzen. Diese Vorstellung war unheimlich, aber leider grausame Realität. Beschämt senkte er den Blick und formte seine Hände zu Fäusten. Er ärgerte sich über sich selber. Er trug die Schuld dafür, dass Mirâ in diese Sache mit hineingezogen wurde. Hätte er damals nur abgelehnt mit ihr ins Lehrerzimmer zu gehen, dann würden die Typen sie nun in Ruhe lassen. Doch am meisten ärgerte ihn seine eigene Unfähigkeit. Wäre er doch in der echten Welt nur genauso stark wie in der Spiegelwelt. Dann könnte er es ihnen allen heimzahlen. Von seinen eigenen Gedanken erschrocken schüttelte er jedoch schnell den Kopf. Nein. Genau diese Schwäche hatte sein Shadow ausnutzen wollen, um ihn zu töten. Er durfte nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückkehren, sondern musste selber etwas ändern… Noch einmal sah er wieder zu Hiroshi und Mirâ, die immer noch auf dem Boden hockten. Ja, er musste was ändern und zwar dringend. Am späten Nachmittag, als es bereits begann zu dämmern, betrat Mirâ die Eingangshalle, um ihre Schuhe zu wechseln. Ihr Kopf schmerzte. Nach der Aktion zur Mittagszeit hatte sie den Großteil der Zeit im Krankenzimmer verbracht, in welches Hiroshi sie getragen hatte. Die Schulärztin wirkte etwas verwirrt, als die beiden das Zimmer betreten hatten, weshalb sie ihr erklärt hatten, dass Mirâ einen leichten Schwächeanfall hatte und sich deshalb ausruhen musste. Zwar wirkte die ältere Frau etwas skeptisch, jedoch ließ sie die Schülerin gewähren und teilte ihr ein Bett zu. Danach verließen Mirâ ihre Erinnerungen. Wahrscheinlich war sie daraufhin sofort eingeschlafen. Sie erinnerte sich noch ab und an mal wach gewesen zu sein, jedoch nur sehr kurz. Erst als die Schulärztin sie zu Unterrichtsende geweckt hatte und sie bat endlich zu gehen, war sie mehr oder weniger richtig aufgewacht. Nun wollte sie nur noch nach Hause. Dort musste sie dann wahrscheinlich auch erstmal die ganzen Nachrichten beantwortet, mit denen Akane sie bombardiert hatte. Sie öffnete ihr Fach und nahm ihre Straßenschuhe heraus, während sie ihre Hausschuhe zurückstellte. Müde schlüpfte sie in ihre schwarzen Slipper und wandte sich dem Ausgang zu, als sie neben sich eine Bewegung merkte. Schnell drehte sie sich um und erkannte daraufhin Shirota, welcher sich augenscheinlich an ihr vorbeischleichen wollte. Erschrocken blieb er plötzlich stocksteif stehen, während die Violetthaarige nur leicht irritiert wirkte. „Was soll das werden?“, fragte sie deshalb nur. „Naja…“, versuchte der Jüngere eine Ausrede zu finden. Doch die Ältere seufzte nur: „Schon gut. Lass mich raten, du wolltest mir aus dem Weg gehen. Oder?“ Das Zusammenzucken des Schwarzhaarigen war Antwort genug, weshalb die junge Frau nur erneut seufzte: „War ja klar… aber wo du schon einmal da bist: Wir müssen kurz reden. Über Kuraiko.“ Wieder zuckte ihr Gegenüber zusammen, doch schien sich dieses Mal geschlagen zu geben, als er die Schultern sinken ließ und den Blick auf seine Schuhe richtete. Einige Minuten später saßen beide Oberschüler auf einer Bank, während langsam die Straßenbeleuchtung um sie herum eingeschaltet wurde und die Umgebung in sanftes Licht tauchte. „Also… Wie du weißt, hat Kuraiko mir erzählt, was zwischen euch vorgefallen ist. Und ganz ehrlich? Ich versteh es nicht wirklich. Wieso hast du plötzlich so rabiat den Kontakt zu ihr abgebrochen?“, fiel die Ältere direkt mit der Tür ins Haus, woraufhin sie bemerkte, wie sich Shirota neben ihr regelrecht anspannte, „Ich kann sie da auch vollkommen verstehen, dass sie so wütend auf dich ist. Also?“ Schweigen breitete sich aus, während Mirâ den jungen Mann beobachtete, der offensichtlich überlegte was er erzählen sollte. Anscheinend war auch für ihn dieses Thema ein rotes Tuch. Doch das war Mirâ in diesem Moment egal. Auch die Tatsache, dass Kuraiko deshalb wohl mächtig sauer auf sie werden würde, nahm sie in Kauf, nur um die Wahrheit zu erfahren. Noch eine ganze Weile hüllte sich Shirota in Schweigen, bevor er plötzlich aufgab und sehr langezogen seufzte. Er lehnte sich nach vorn, stützte seine Arme auf den Knien ab und faltete die Hände ineinander, während er seine Schuhe beobachtete. „Es ist nicht so, dass ich den Kontakt von mir aus abgebrochen habe. Viel mehr…“, begann er und machte eine kurze Pause, „Zu der Zeit hatte mich mein Vater zu sich genommen. Jahrelang war ich ihm egal gewesen, jedenfalls dachte ich das immer. Meine Mutter starb bei meiner Geburt, danach bin ich bei meinen Großeltern aufgewachsen. Meinen Vater habe ich nur einige Tage im Jahr gesehen. Wahrscheinlich auch nur, damit ich überhaupt wusste, dass er existiert. In der Mittelschule hat er dann gemeint mich doch zu sich zu nehmen und irgendwie hat mich das auch glücklich gemacht. Ich dachte nämlich endlich, dass ich ihm etwas wert bin. Doch dann schrieb er mir vor, dass ich den Kontakt zu Kuraiko, meiner besten Freundin, abbrechen sollte. Es war ein Schock für mich und eigentlich wollte ich ihm widersprechen, aber aus Erfahrung wusste ich, dass es nichts brachte sich ihm zu widersetzen. Außerdem hatte mein Vater mich zum ersten Mal beachtet. Ich hatte Angst, dass er mich wieder zurückschickt. So sehr wie ich meine Großeltern liebe, sie können meine richtigen Eltern nicht ersetzen. So dachte ich damals jedenfalls. Also habe ich ihm gehorcht und damit Kuraiko tief verletzt. Mittlerweile weiß ich, dass es ein großer Fehler war. Ich wollte die Chance nutzen und mich bei ihr entschuldigen, als ich auf die Jûgôya gewechselt bin. Aber kaum habe ich sie gesehen verließ mich der Mut. Dann hast du mir ins Gewissen geredet und ich habe wieder Mut gefasst. Aber wie du selber weißt mit mäßigem Erfolg.“ Schweigend hörte Mirâ zu und konnte nicht so wirklich fassen, was sie gerade vernommen hatte. Wie konnte Shirotas Vater nur so gemein sein? Erst kümmerte er sich nicht um seinen Sohn und dann befahl er ihm auch noch solche schrecklichen Dinge. Andererseits konnte sie Shirota nun etwas besser verstehen und spürte dabei wieder dieses warme Leuchten in ihrer Brust. Der Schwarzhaarige erhob sich: „Jetzt weißt du wieso ich das getan habe. Das, was ich gemacht habe, ist unverzeihlich und deshalb verstehe ich, dass Kuraiko mich nun hasst. Ich danke dir zwar dafür, dass du dich für mich einsetzt, aber ich möchte nicht, dass du wegen mir deine Freundschaft zu ihr aufs Spiel setzt. Wenn du so weiter machst wird sie wahrscheinlich richtig wütend. Also dann…“ Er wandte sich ab und wollte gehen, als die Violetthaarige ihn noch einmal zurückhielt und ihm ans Herz legte, dass er trotzdem nicht aufgeben solle. Immerhin glaubte sie fest daran, dass sich Kuraiko freuen würde, wenn sie sich wenigstens einmal mit ihm aussprechen konnte. Shirota hatte dafür jedoch nur ein betrübtes Lächeln übrig, bevor er endgültig ging und die Ältere alleine zurückließ. Kapitel 130: CXXX – Hilfreiche Unterstützung -------------------------------------------- Dienstag, 06.Oktober 2015 Gähnend betrat Mirâ durch das Schultor das Gelände der Jûgôya High School, während sie fröstelnd ihre Arme enger an sich presste. Der Wind wurde von Tag zu Tag ungemütlicher. Bald würde sie wohl ihren Schal und ihre dicke Jacke raussuchen müssen. Außerdem sollte sie langsam überlegen sich ein paar neue Feinstrumpfhosen für den Winter zu kaufen, die sie unter ihre Overknees ziehen konnte. Noch so in Gedanken versunken, wann sie dieses Unterfangen in Angriff nehmen sollte, bemerkte sie in einiger Entfernung Hiroshi und Emiko, die sich wieder unterhielten. Obwohl ihr Shuya mittlerweile klar gemacht hatte, dass sie sich bei der Brünetten keine Gedanken in Bezug auf Hiroshi machen musste, merkte sie erneut, wie sich langsam ihre Kehle zuschnürte und leichte Eifersucht in ihr aufstieg. Doch schnell schüttelte sie den Kopf, um das Gefühl wieder loszuwerden. Sie wusste ja selber nicht, wieso sie immer so empfand, immerhin gab es ja keinen Grund dafür. Also durfte sie sich davon nicht zu stark vereinnahmen lassen. Aus diesem Grund nahm sie dieses Mal all ihren Mut zusammen und ging nun direkt auf die beiden zu. Dieses Mal würde sie sie ganz direkt ansprechen. Es war sowieso total peinlich sich deshalb jedes Mal zu verstecken. „Und es ist wirklich alles in Ordnung?“, hörte sie leise Hiroshis Stimme, als sie sich den beiden näherte. „Ja und jetzt mach dir keine Gedanken darüber“, lachte Emiko und boxte dem Blonden dabei vorsichtig gegen die Schulter. Dabei fiel ihr Blick an diesem vorbei auf Mirâ, die von ihrem Kumpel noch nicht bemerkt worden war. Ein kleines Lächeln zierte Emikos Lippen: „Wie gesagt. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich muss jetzt los, sonst macht sich Mari noch Sorgen, wo ich bleibe. Trotzdem danke, dass du dir Gedanken machst. Ich weiß das wirklich zu schätzen, aber ich komme klar. Also dann, bis später.“ Damit hatte die Brünette ihre Tasche noch einmal gerichtet und war gegangen, während der blonde junge Mann ihr besorgt nachsah. Das Knacken eines Astes, auf den Mirâ ausversehen trat, ließ ihn jedoch zusammenzucken und sich umdrehen. Überrascht sah er seine Teamkameradin an. „Oh. Morgen Mirâ. Geht es dir wieder etwas besser?“, fragte er, ihren Zustand am Vortag ansprechend. Seine Klassenkameradin nickte: „Ja. Mir geht es wieder besser. Danke nochmal für gestern.“ Ein leichter Rotschimmer lag auf ihren Wangen, weshalb sie etwas verlegen zur Seite blickte, als sie daran denken musste, wie sie sich an den jungen Mann geklammert hatte. Dieser sah ebenfalls zur Seite, weil es ihm nicht anders ging, woraufhin Schweigen zwischen den beiden ausbrach. Das jedoch wurde Mirâ nach kurzer Zeit unangenehm. Deshalb räusperte sie sich und sah in die Richtung, in die Emiko verschwunden war: „Entschuldige, falls ich euch in eurem Gespräch gestört habe. Ich wollte auch nicht lauschen oder so. Aber kann es sein, dass Sakura-san irgendwelche Probleme hat? Du hattest sie doch gefragt, ob alles gut ist. Außerdem erwähnte Nagase-kun letztens auch so etwas in der Art…“ Auch Hiroshi sah nun kurz in die Richtung, bevor er sich Zunge schnalzend am Kopf kratzte: „Ah diese Quatschtüte… er sollte doch den Mund halten. Naja egal. Dir kann man ja vertrauen.“ Er steckte seine Hände in die Hosentasche und sah wieder zum Schulgebäude, in dem Emiko mittlerweile verschwunden war: „Weißt du… Emi steht auf Mädchen. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sie besser mit uns Jungs klarkommt. Obwohl das in der heutigen Gesellschaft eigentlich akzeptiert werden sollte, gibt es aber immer noch Menschen, die damit nicht klarkommen. Emis Mutter ist zum Beispiel eine dieser Personen, die ein Problem damit haben. Und sie zeigt ihr das nicht nur verbal.“ Geschockt legte sich Mirâ die Hand vor den Mund, als ihr etwas einfiel: „Kommen daher die blauen Flecken an ihrem Arm?“ „Du hast sie gesehen?“ Ein Nicken kam als Antwort, mit der Erklärung, dass sie die Blutergüsse bemerkt hatte, als die Brünette Akane seinen USB-Stick zurückgegeben hatte. „Verstehe…“, murmelte ihr blonder Kumpel, „Jedenfalls hält sie es deshalb vor allen geheim. Es war nur Zufall, dass Shuya und ich es herausgefunden haben. Aber sie hat Angst nicht akzeptiert zu werden, wenn sie sich outet. Ich bin der Meinung, dass das nicht stimmt. Aber ich befinde mich nicht in ihrer Lage, deshalb kann ich es nicht genau sagen. Für sie ist diese Lage wirklich schwer und ich verstehe sie auch irgendwie. Als ihr Kumpel kann ich in dem Moment nur moralisch für sie da sein. Allerdings macht es ihre Situation Zuhause nicht wirklich besser und letztens hatte sie wieder einige schlimme Verletzungen am Arm. Die waren nicht zu übersehen, auch wenn sie versucht sie zu verstecken. Deshalb mache ich mir Sorgen.“ Das violetthaarige Mädchen beobachtete den Gleichaltrigen einen Moment von der Seite, bevor sie lächelte: „Du bist einfach ein netter Mensch, Hiroshi-kun. Und das macht dich so liebenswürdig.“ Überrascht sah Gemeinter sie mit großen Augen an, bevor er seine Hand vor den Mund legte und zur Seite schaute, um seine Verlegenheit zu überspielen: „Ach… ach was.“ Auf die Reaktion des Größeren hin konnte sich Mirâ ein Kichern nicht verkneifen, weshalb auch er nach einiger Zeit lächeln musste. Dann schien ihm etwas einzufallen: „Ach so. Ich wollte eh mit dir sprechen.“ Fragend sah sie Hiroshi an, welcher ihr erklärte, dass sie Ende Oktober ein Turnier in Inaba besuchen würden, bei dem die Managerin des Fußballclubs etwas Unterstützung bräuchte. Matsurika hatte davon natürlich, wie auch immer, Wind bekommen und sich angeboten. Die Managerin hatte aber sofort abgelehnt, da sie bereits ahnte, wieso die Schwarzhaarige sich freiwillig gemeldet hatte. Sie brauchte zuverlässige Leute, die ihre Aufgaben auch gewissenhaft erledigten. „Da bist du mir in den Sinn gekommen“, kam er letzten Endes zum Punkt, „Ich weiß, dass du alles, was man dir aufträgt mit vollem Einsatz erledigst. Würdest du uns begleiten und unserer Managerin helfen?“ „Eh ich? Ich weiß nicht…“, war Mirâ etwas unsicher, immerhin kannte sie sich mit Fußball überhaupt nicht aus. „Entschuldige, dass ich dich damit überfalle. Du musst auch nicht sofort Antworten. Das Turnier ist an dem Wochenende in zwei Wochen. Du kannst also auch noch bis nächste Woche überlegen. Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber du würdest uns wirklich sehr damit helfen“, schlug der junge Mann die Hände zusammen. „Hm…“, ließ die Violetthaarige ihren Blick eine Weile auf ihrem Kumpel ruhen. Zum einen wollte sie ihm wirklich gerne helfen und es wäre mit Sicherheit auch eine tolle Erfahrung, aber immer noch hatte sie Bedenken, da sie sich mit dem Sport absolut nicht auskannte. Andererseits fiel ihr plötzlich wieder ein, dass Narukami-sensei Co-Trainer des Clubs war. Sie hatte so viele Fragen, was die Wild Card und die Sache mit den Personas anging, schaffte es aber nicht, eine ruhige Minute zu finden, um mit dem Lehrer darüber zu sprechen, da immer etwas dazwischenkam. Das könnte ihre Chance sein endlich ein richtiges Gespräch mit ihm zu führen. Auch wenn es etwas eigennützig war, so stand ihre Entscheidung in diesem Moment fest: „Also gut. Ich helfe euch.“ Überrascht sah Hiroshi sie an: „Wirklich? Du kannst dir auch noch etwas Zeit lassen.“ Die junge Frau schüttelte den Kopf: „Nein schon gut. Ich hab mich entschieden. Ich komme mit. Sagst du in deinem Club Bescheid? Und wäre es vielleicht möglich, dass ich vorher mal mit hospitieren kann, um einen Einblick zu bekommen?“ Der Blonde war total begeistert: „Ja sicher! Ich werde mit unserer Managerin darüber sprechen. Ich denke, sie wird dann auf dich zukommen. Vielen Dank, Mirâ!“ Angesprochene erwiderte nur mit einem Lächeln und hoffte, dass Hiroshi ihr auch ihre Eigennützigkeit verzeihen möge mit der sie diese Entscheidung getroffen hatte. Trotzdem freute sie sich nun irgendwie auf das Turnier. Ihr Kumpel musste direkt nach ihrem Gespräch zur Managerin seines Clubs gegangen sein, denn bereits in der Mittagspause wurde sie von dieser auf den Gang gerufen. Überrascht stand sie nun einem Mädchen gegenüber, welches ungefähr so groß war, wie sie selbst und dunkelbraune kurze Haare hatte. Auch sie trug die Sportjacke anstatt des Blazers, genau wie Akane, jedoch offen, sodass man darunter die schwarze Bluse mit der großen, roten Schleife erkannte. Dazu trug sie unter dem roten Faltenrock eine schwarze, blickdichte Strumpfhose, auf welcher Mirâ jedoch kleine silberne Sterne erkennen konnte. Sie mochte also auch solche Dinge. „Du bist Shingetsu-san?“, fragte sie direkt heraus, obwohl es eigentlich klar war. Immerhin war die Violetthaarige zu ihr gekommen, nachdem sie gerufen wurde. Das schien auch ihrem Gegenüber aufzufallen, weshalb sie räusperte und weitersprach: „Ich bin Kinako Suzuka, die Managerin des Fußballclubs. Makoto-kun meinte, dass du dich bereit erklärst mich auf dem Turnier in Inaba zu unterstützen. Stimmt das?“ „Ja das stimmt. Ich habe allerdings nicht viel Ahnung von Fußball und auch nicht von den Aufgaben einer Managerin. Deshalb würde ich gerne vorher mal bei euch aushelfen“, erklärte die Violetthaarige. Die Brünette nickte: „Das ist kein Problem. Unser Club trainiert immer Montag, Mittwoch und Freitag. Wenn du an einem der Tage keine eigenen Clubaktivitäten hast, kannst du einfach vorbeikommen.“ „Wäre dann diesen Freitag okay?“, fragte Mirâ nach, auch wenn sie wusste, dass an diesem Tag eigentlich Kuraiko im Botanik-Club war. Sie müsste es der Schwarzhaarigen also erklären und hoffte, dass sie es verstehen würde. Es war ja auch nur für die Zeit bis zu dem Turnier in Inaba. Danach würde sie sich wieder voll und ganz dem Club der Schwarzhaarigen zuwenden. „Ja, das ist okay. Komm am besten in Sportsachen hin. Einige unserer Jungs kommen sonst nur auf dumme Gedanken. Dann bis Freitag“, damit hatte sich Kinako verabschiedet und war zurück in ihre Klasse gegangen. Mirâ sah ihr kurz nach, bevor sie sich abwandte und in Richtung der 2-3 lief, um gleich das Gespräch mit Kuraiko zu suchen. Irgendwie bekam sie zwar nun doch etwas Angst vor der möglichen Reaktion der Schwarzhaarigen, aber da musste sie nun leider durch. Also atmete sie noch einmal tief durch, bevor sie die Tür zur Klasse ihrer Freundin aufschob und danach auf diese zuging. Seufzend verließ Mirâ am Nachmittag das Schulgebäude, während sie ihr Smartphone in der Tasche ihres Blazers verschwinden ließ. Shuichi hatte ihr geschrieben, ob sie an diesem Abend mal wieder eine Schicht übernehmen könnte. Obwohl sie eigentlich gar keine so große Lust hatte zu arbeiten, sagte sie trotzdem zu. Sie hatte die letzten Wochen schon weniger gejobbt und langsam ging auch ihr Taschengeld zur Neige. Es wäre also nicht schlecht wieder mal etwas dazuzuverdienen. Außerdem wollte sie sowieso mit Shuichi sprechen, nachdem sie am Morgen von Emikos Problemen erfahren hatte. Ihr älterer Kollege war, was seine Sexualität anging, in der gleichen Situation wie die junge Frau und konnte Mirâ deshalb bestimmt einige Fragen beantworten, die ihr auf der Seele brannten. Sie musste sich nur überlegen, wie sie das Thema ansprach, immerhin war es schon ziemlich prekär. Aber bis zum Beginn ihrer Schicht hatte sie noch etwas Zeit und konnte sich darüber Gedanken machen. Aus diesen wurde sie jedoch genau in dem Moment gerissen, als sie neben sich plötzlich einige Schreie hörte, die aus einiger Entfernung erklangen. Erschrocken sah sich die Oberschülerin zu allen Seiten um und versuchte die Schreie zu lokalisieren. Das dauerte einige Sekunden, doch dann war sie sich sicher, woher sie kamen und rannte sofort los. Sie lief einmal quer über den Schulhof und bog dann hinter dem Gerätelager rechts ab, um kurz darauf wie erstarrt stehen zu bleiben. Vor sich erkannte sie nun Ryu, welcher auf dem Boden hockte und sich schützend die Hände vor den Kopf hielt, während fünf Jungs um ihn herumstanden und ihn mit einem Fußball beschossen. Dabei gingen sie alles andere als zaghaft vor. Stattdessen schossen sie mit voller Kraft, sodass der Aufprall auf den Jüngeren, belgeitet von seinen Schmerzensschreien, lautstark zu hören war. Lachend wiederholten die fünf Jungs dieses Martyrium immer wieder. Wut stieg in der Violetthaarigen auf, welche jedoch auch von Angst begleitet wurde. Immerhin hatte sie den Angriff der Jungs, welche ebenfalls hier dabei waren, am gestrigen Tag noch nicht vollständig verarbeitet. Trotzdem setzte sie sich plötzlich automatisch in Bewegung und rannte auf das Geschehen zu. Kurze Zeit später prallte der Ball schmerzhaft an einer ihrer Waden ab. Es tat wirklich sehr weh, doch die junge Frau ließ sich davon nicht beirren und wandte sich stattdessen an ihren Kohai, der zusammengekauert auf dem Boden hockte. „Ryu-kun. Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt, woraufhin der Kleinere aufschaute: „Mirâ-senpai…“ „Du schon wieder? Haben wir dir gestern nicht schon gesagt, dass du dich heraushalten sollst?“, fragte der Junge, der sie am Vortag so massiv bedroht hatte. Er fing den Ball ab, welcher an der jungen Frau abgeprallt und in seine Richtung gekullert war, und hielt ihn mit dem rechten Fuß fest. „Sagt mal, habt ihr nicht langsam mal Genug davon?“, fragte Mirâ ohne auf die Aussage des jungen Mannes einzugehen, während sie aufstand und die Gruppe wütend ansah. „Kche! Du lernst es nicht. Oder? Aber wenn du nicht hören willst, dann musst du es halt auf andere Weise lernen“, ließ die Aussage ihres Gegenübers die Violetthaarige stutzen. Dieser balancierte nun den Ball auf seinem Fuß, trat ihn ein, zwei Mal in die Luft und holte dann aus, um den in der Schwebe liegenden Ball genau in ihre Richtung zu treten. Erschrocken wich die Oberschülerin zurück, doch egal was sie hätte tun können, der Ball würde sie unweigerlich mitten ins Gesicht treffen. Reflexartig hob sie ihre Hände, während sie die Augen Schloss und ihr ein ängstlicher Schrei entkam. Doch der Aufprall blieb aus. Stattdessen hörte sie die Sohlen von Schuhen, welche auf dem Boden kratzten und dann ein dumpfes Geräusch, so als wäre der Ball gegen etwas weiches geprallt. Überrascht öffnete sie daher die Augen und erkannte dann wieder Hiroshis Rücken. Dieser war zwischen sie und die Jungs getreten und hatte den Ball durch einen gekonnten Sprung mit seiner Brust abgefangen. Er landete wieder auf dem Boden, was auch der Ball ihm nachtat, jedoch dann noch einmal aufhüpfte. In diesem Moment holte der Blonde mit dem rechten Fuß aus und schoss den Ball zurück zum Absender, welcher ihn mit voller Wucht in den Bauch bekam, wo er abprallte und dann gegen sein Gesicht flog, weil er durch den Aufprall des Balles nach vorne geschaut hatte. Mit einem dumpfen Knall ging der junge Mann damit zu Boden, woraufhin die anderen sofort geschockt einen Schritt zurück machten. Überrascht blickte Mirâ auf die Szene, als ihr auffiel, dass sie diesen Angriff von Hiroshi schon häufiger in der Spiegelwelt beobachtet hatte. „Du scheinst es ja auch nicht zu lernen“, meinte ihr Kumpel wütend und ließ ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm wandern, „Habe ich dir gestern nicht schon gesagt, was passiert, wenn ihr Mirâ anrührt?“ „Alter, Makoto! Komm mal wieder runter“, sagte plötzlich einer der Jungs, die dieses Mal neu dabei waren. Sauer drehte sich der Blonde zu den beiden, die gleich zusammenzuckten: „Für dich Makoto-senpai! Und schon mal nicht in diesem Ton, du Pimpf!“ „Spiel dich nicht so auf, Senpai!“, meinte nun der andere, „Was mischt dieses Mädchen sich überhaupt ein? Und außerdem, wenn wir dem Rektor erzählen, dass du jemanden KO geschossen hast, dann droht dir nicht nur ein Schulverweis. Das ist eine klare Körperverletzung!“ „Ach? Und das was ihr hier macht wohl nicht? Langsam schlägt es echt 13. Ihr könnt froh sein, wenn ich diese Sache NUR unserem Trainer melde und ihr mit einer Suspendierung aus dem Fußballclub davonkommt“, Hiroshi war kurz davor zu explodieren. Dass sogar Mitglieder des Fußballclubs in diese Sache involviert waren und dazu auch noch einen Ball nutzen, um andere zu verletzen, regte ihn tierisch auf und machte ihn einfach nur sprachlos. Dabei warb der Fußball und auch ihr Club immer wieder mit Toleranz und Umsicht. Die beiden traten jedoch diese Grundsätze mit Füßen, nur um sich zu profilieren. Es kotzte ihn einfach an und am liebsten hätte er auch an ihnen ein Exempel statuiert. Doch das würde dann wahrscheinlich wirklich in einer Schulsuspendierung enden und darauf konnte er verzichten, selbst wenn er einen guten Grund hatte. „Kannst du bezeugen, dass wir in die Sache involviert waren? Wenn wir behaupten, dass wir auch nur dazu gekommen sind, weil wir das mitbekommen haben, hast du das Problem“, grinste der eine wieder. Da war natürlich was dran. Trotzdem konnte Hiroshi das nicht auf sich beruhen lassen. Sollte er doch andere Maßnahmen ergreifen? „Dann habt ihr wohl jetzt das Problem“, erklang plötzlich eine erwachsene männliche Stimme, woraufhin sich alle beteiligten erschrocken umdrehten. Hinter dem Schulgebäude tauchte plötzlich eine Person mit grauem Haupthaar auf. Die Arme vor der Brust verschränkt sah er die Gruppe von Schülern ernst an. „Ich habe durch Zufall mitbekommen, was hier los ist und kann bezeugen, dass die Aktion von Makoto nur eine Schutzmaßnahme war, um Shingetsu und Arabai zu schützen“, sagte diese Person. „Narukami-sensei“, brachte Mirâ etwas überrascht heraus, was nun vor allem die Jungs aus dem Fußballclub zusammenzucken ließ. „Wie mir scheint gibt es da einiges an Gesprächsbedarf. Ich werde diese Sache jedenfalls melden müssen. Haltet euch also besser bereit, euch vor dem Direktor zu äußern“, erklärte Yu ruhig, während er auf die Gruppe von Schülern zuging, „Ihr solltet jetzt besser gehen. Den Ball nehme ich in Gewahrsam.“ Mit einem gekonnten Trick hatte der Lehrer den Ball mit dem Fuß nach oben gespielt und aufgefangen, bevor er wieder zu der Gruppe von Jungs schaute. Diese sammelten ihren KO gegangenen Kumpel ein und machten sich schleunigst vom Acker, sodass nun nur noch die drei Persona-User und der junge Lehramtsstudent zurückblieben. Eine Viertelstunde später saßen Mirâ, Hiroshi und Ryu auf einer Bank auf dem Schulgelände und schwiegen sich mehr oder weniger an. Nachdem die Mobber verschwunden waren hatten die beiden Zweitklässler Narukami-sensei die Situation erklärt, woraufhin dieser meinte, dass er bereits so eine Ahnung diesbezüglich hatte. Er versprach sich nun auch zu kümmern, damit die Sache endlich ein Ende hatte, bevor er die drei Schüler in den freien Nachmittag entließ. Besorgt blickte Mirâ zu Hiroshi, welcher, die Arme verschränkt, seitlich an der Bank lehnte und in Gedanken versunken schien. Bevor der Lehramtsstudent gegangen war, hatte dieser dem Blonden noch eine kurze Warnung ausgesprochen. So sollte auch dieser sich darauf gefasst machen eine Strafe für die Aktion zu erhalten. Immerhin hatte er einen Schüler verletzt, selbst wenn das gute Gründe hatte. Zwar würde er wohl nicht mit einer Suspendierung rechnen müssen, aber es könnte gut sein, dass er an einigen Spielen des Clubs nicht teilnehmen durfte. Und gerade kurz vor dem Turnier in Inaba nahm ihn dieser Umstand ziemlich mit. Natürlich war noch nichts in Stein gemeißelt, allerdings musste Narukami-sensei auch seine Aktion melden. Würde er etwas verschweigen und die anderen Schüler würden es beim Gespräch mit dem Rektor erzählen, dann käme auch er nicht glaubwürdig rüber. Allerdings versprach Yu, dass er für den Blonden ein gutes Wort einlegen und alles tun würde, dass die Bestrafung nicht zu stark ausfiel. Trotzdem merkte man Hiroshi an, dass es ihn mitnahm. Ob er seine Entscheidung bereute? „Hiroshi-senpai, Mirâ-senpai… es tut mir leid, dass ihr da mit hineingezogen wurdet“, entschuldigte sich Ryu demütig, „Vor allem bei dir muss ich mich entschuldigen, Hiroshi-senpai. Wenn es dumm läuft wirst du für die nächsten Spiele gesperrt.“ „Kche… schon gut. Bin ja selber schuld… obwohl diese Idioten es wirklich verdient hatten“, murrte der blonde junge Mann, „Was hattest du eigentlich dort zu suchen? Es wäre wirklich sinnvoller, wenn du dich von den Kerlen fernhalten würdest.“ Der Jüngste in der Runde senkte den Blick und schwieg kurz, um zu überlegen, wie er die Sache erklären sollte: „Ich wollte ihnen sagen, dass sie Mirâ-senpai in Ruhe lassen sollen. Sie ist immerhin nur meinetwegen da mithineingeraten. Ich möchte nicht, dass sie weiter von denen bedroht wird, nur weil sie mich schützen möchte.“ „Deshalb musst du dich doch aber nicht in solch eine Situation begeben“, schimpfte Mirâ, „Du weißt doch wie sie drauf sind.“ „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich mit einem Ball beschießen würden…“, murmelte der Brünette, als ihm etwas einfiel: „Ich muss mich noch bei euch für eure Hilfe bedanken, auch wenn es…“ „Lass gut sein“, sagte Hiroshi, während er sich von der Bank abstieß und sich in Bewegung setze, „Versuch dich einfach von den Kerlen fernzuhalten. Wenn etwas ist, dann sind wir zur Stelle. Aber unternimm nicht ständig solche Alleingänge, die dich nur in Schwierigkeiten bringen. Sprich lieber mit uns darüber und wir finden eine gemeinsame Lösung.“ Während er an den beiden vorbeiging hob er die Hand und verabschiedete sich so von ihnen, bevor er das Schulgelände verließ. Mirâ und Ryu sahen ihm besorgt nach. „Er ist jetzt bestimmt sauer auf mich. Verständlicherweise…“, wandte der Brünette seinen Blick auf seine Hände, die er in seinem Schoß gefaltet hatte. Die Ältere schaute noch immer in die Richtung, in die ihr blonder Kumpel verschwunden war: „Ich denke nicht, dass Hiroshi-kun sauer auf dich direkt ist. Wohl eher auf die Situation.“ Überrascht sah Ryu sie an, woraufhin sie weitersprach: „Außerdem ist er ja nur so sauer geworden, weil ich wieder involviert war. Wenn müsste er ja auch sauer auf mich sein. Ich denke was ihn nervt ist die Tatsache, dass er eine Strafe zu erwarten hat, obwohl er nur helfen wollte. Ich kann ihn verstehen. Alle reden immer von Zivilcourage, aber sobald man das durchzieht, bekommt man am Ende nur noch mehr Schwierigkeiten. Da wundert es mich auch nicht, dass keiner mehr hilft, wenn man Probleme hat.“ „Da ist was dran“, murmelte ihr Kohai. Lächelnd wandte sich die Zweitklässlerin dem Jüngeren zu: „Mach dir also keine Gedanken darüber. Okay?“ „Ich versuch es…“, kam es nur nickend zurück, „Danke für deine aufmunternden Worte, Mirâ-senpai. Und nochmal danke, dass du mir zu Hilfe gekommen bist.“ Das Lächeln der Violetthaarigen wurde noch etwas intensiver, während sie ein angenehmes warmes Glühen in ihrer Brust verspürte. Erschöpft lehnte sich Mirâ gegen die Wand, als ihre Schicht im Shadô endlich ein Ende fand. Sie verstand, wieso Shuichi am Nachmittag um ihre Mithilfe gebeten hatte, denn der Laden hatte regelrecht gebrummt. Dabei war es wieder einmal mitten in der Woche. Doch nun war es zum Glück vorbei, weshalb sich die junge Frau langsam und schwerfällig umzog. Sie war wirklich froh, wenn sie zuhause in ihrem Bett lag und endlich die Beine hochmachen konnte. Doch obwohl ihr Nebenjob ziemlich anstrengend war, hatte sie es noch keinen Moment bereut hier angefangen zu haben. Kurz stutzte sie. Okay, in einer Situation schon. Nämlich dann, wenn Kyo wieder unausstehlich war. Aber ansonsten konnte sie sich nicht beklagen. Sich streckend verließ sie die Umkleide und ging durch den Eingangsbereich der Karaokebar. „Schönen Feierabend“, wünschte ihr Shuichi, welcher, wie immer, hinter dem Empfangstresen saß und sich um Reservierungen und ankommende Gäste kümmerte. „Ah, dir nachher…“, Mirâ stoppte, als ihr einfiel, dass sie mit dem jungen Mann noch sprechen wollte, „Shuichi-san, hast du kurz Zeit?“ Überrascht sah der Ältere sie an, doch nickte dann, woraufhin die Oberschülerin an ihn herantrat und ihm erklärte, was ihr auf der Seele brannte. Sie erzählte ihm von Emiko, die durch ihre sexuelle Orientierung Probleme hatte und es deshalb geheim hielt. „Ich habe es nur durch Zufall erfahren. Natürlich habe ich nicht vor es breit zu treten. Aber mich würde interessieren, wie du damals damit umgegangen bist. Hattest du auch solche Probleme?“, fragte sie gerade heraus, „Und wie bist du damit umgegangen?“ Der Brünette mit den blonden Strähnen hatte ruhig zugehört und schwieg dann einen Moment. Er schien zu überlegen, wo er am besten damit anfing und welche Worte er wählen sollte. Dann lächelte er: „Tja… das ist eine schwierige Situation für deine Schulkameradin. Gerade in dem Alter ist es schwer damit umzugehen, weil einem jeder einreden will, dass es nur eine Phase wäre. Das Gefühl kenne ich auch. Ich habe es auch sehr lange geheim gehalten. Ich wollte ja auch meine besten Kumpels nicht verschrecken, allerdings kamen sie irgendwann von selbst auf mich zu und haben mich drauf angesprochen. Am Anfang hatte ich Angst, dass sie sich von mir abwenden, aber erstaunlicherweise akzeptierten sie mich so, wie ich war. Das hat mich glücklich gemacht.“ „Sie hat ja auch Freunde, die das so akzeptieren. Allerdings sind es Jungs. Ich denke, die denken sowieso ganz anders darüber, als andere Mädchen. Bei euch ist es ja genauso, dass Mädchen es eher akzeptieren, als andere Jungs“, meinte Mirâ. „Das stimmt. Aber die Meinung anderer muss man leider akzeptieren, selbst wenn sie unangenehm ist“, sagte Shuichi der Violetthaarigen über den Kopf streichend. „Darf ich fragen, wie deine Eltern reagiert haben, als du es ihnen gesagt hast?“, kam die nächste Frage. Der Brünette überlegte kurz: „Vor ihnen hab ich es am längsten geheim gehalten. Erst zum Eintritt in die Uni habe ich mich geoutet. Naja, wie soll man es sagen? Sie waren nicht begeistert? Aber wer wäre das schon? Aber sie haben es nach und nach akzeptiert. Es brauchte nur seine Zeit.“ „Die Sache ist also nicht so einfach. Was?“, kam die Oberschülerin zum Schluss. Ihr Gegenüber seufzte: „Wenn es so einfach wäre, wäre die Welt wohl ein besserer Ort. Aber nun solltest du dir darüber keine weiteren Gedanken machen. Ich denke deine Schulkameradin weiß schon, wie sie am besten mit der Situation umgeht.“ „Ja, ich hoffe du hast Recht. Vielen Dank, dass du immer ein offenes Ohr für mich hast, Shuichi-san“, bedankte sich die Violetthaarige mit einer Verbeugung, „Ich wünsche dir dann nachher auch einen schönen Feierabend.“ „Komm gut Heim und sei vorsichtig“, hörte sie noch eine Verabschiedung, bevor sie aus der Bar ging und den Heimweg antrat. Das warme Glühen in ihrer Brust, welches auch den Fortschritt von Shuichis Social Link ankündigte, hielt noch ziemlich lange an und verschwand erst, als sie fast zuhause war. Kapitel 131: CXXXI – Schmerzhafte Erfahrung ------------------------------------------- Mittwoch, 07.Oktober 2015 Müde öffnete Mirâ ihr Schuhfach, um ihre schwarzen Slipper gegen ihre Schulhausschuhe zu wechseln. Leise seufzend schlüpfte sie aus den Lederschuhen, stellte diese in ihr Fach und schlüpfte dann in die von der Schule gestellten Treter. Als sie sich wieder aufrichtete, um die Tür ihres Regales zu schließen, bemerkte sie eine Person, die neben ihr stand. Erschrocken wandte sie sich dieser zu und erkannte kurz darauf Matsurika, welche sie breit grinsend ansah. „Guten Morgen, Mirâ-senpai“, grüßte sie freudestrahlend, nicht darauf eingehend, dass sie ihrer Senpai gerade einen riesigen Schrecken eingejagt hatte. „Gu-guten Morgen, Matsurika. Ist etwas passiert? D-du strahlst so“, hakte die Ältere nach, woraufhin das Strahlen im Gesicht der Jüngeren nur noch heller wurde. Plötzlich hakte diese sich bei der Violetthaarigen unter und zog sie etwas mit sich, damit andere nicht mitbekamen, worüber sie gleich reden würden. Sie rückte noch ein Stück näher, damit auch wirklich nur Mirâ hörte, was sie sagte: „Hör mal. Ich hab dir doch mal erzählt, dass ich mich in Hiroshi-senpai verliebt habe. Oder? Letztens habe ich gehört, dass er immer noch keine Freundin hat und anscheinend auch niemanden, an dem er Interesse hat. Oder fällt dir da jemand ein?“ Überrascht sah die Zweitklässlerin die Schwarzhaarige an, doch schüttelte dann den Kopf. Natürlich kannte sie niemanden. Bis gestern hätte sie vielleicht noch Emiko genannt, doch bei dieser wusste sie ja mittlerweile, in welcher Beziehung sie zu Hiroshi stand. Und jemand anderes fiel ihr auch nicht ein. Trotzdem machte sich in ihr plötzlich ein ungutes Gefühl breit. Sie wusste worauf die Vermutung der Jüngeren hinauslaufen würde und irgendwie passte es ihr nicht, auch wenn sie wusste, dass Hiroshi für die Jüngere nichts empfand. Trotzdem… Matsurika jedoch bekam von ihren Gedanken nichts mit und freute sich nur umso mehr: „Siehst du? Und genau deshalb möchte ich meine Chance ergreifen und ihm heute Nachmittag meine Gefühle gestehen.“ „EH!?“, schrak die Ältere überrascht zurück, obwohl ihr bewusst war, was kommen würde. Es jedoch direkt von der Jüngeren zu hören, war dann doch etwas anderes. Ganz von dem unguten Gefühl abgesehen, welches sich in Mirâs Magen breitmachte, empfand sie wirklich Respekt für die Erstklässlerin, dass sie sich zu diesem Schritt entschieden hatte. Sie selbst traute sich dies immerhin bei Masaru immer noch nicht. Doch war dies wohl der ungünstigste Zeitpunkt den Blonden mit so etwas zu konfrontieren. Erst am Vortag wurde ihm eine Strafe angedroht, dafür, dass er einen jüngeren Schüler verletzt hatte. Noch stand zwar nichts zu einhundert Prozent fest, jedoch würde das mit Sicherheit folgen haben. Dabei freute sich der junge Mann schon auf das Turnier in 14 Tagen. Mirâ ahnte, dass er aufgrund dessen nicht gerade pfleglich mit seinem Umfeld umgehen würde, selbst wenn er sonst sehr rücksichtsvoll war. Mit Sicherheit würde das in einem unerträglichen Drama enden. Aus diesem Grund entschied sich Mirâ die Jüngere lieber zu warnen: „Hör mal Matsurika. Vielleicht ist das gerade ein echt ungünstiger Zeitpunkt mit sowas zu Hiroshi-kun zu gehen.“ Geschockt sah die Schwarzhaarige sie an und ließ nicht einmal zu, dass sie weitersprach: „Wie kommst du darauf? Wenn nicht heute wann denn dann? Wer weiß ob ich es zu einem anderen Zeitpunkt nochmal schaffe… Moment. Kann es sein, dass du mich abhalten willst, weil du selber in ihn verliebt bist? Du willst also verhindern, dass ihn dir jemand wegschnappt. Oder?“ „N-nein, darum geht es doch gar nicht… es ist nur…“, begann Mirâ, doch kam nicht sonderlich weit. Mit einem Ruck ließ die Jüngere sie los und schaute ihr wütend ins Gesicht: „Du bist gemein, Senpai! Die ganze Zeit tust du so, als hättest du kein Interesse an ihm. Und kaum sage ich dir, dass ich ihm sagen will, was ich empfinde, willst du mich davon abhalten. Das ist gemein! Ich hasse dich!“ Ohne, dass Mirâ die Möglichkeit hatte sich wirklich zu erklären, war die Jüngere plötzlich davongerannt. Vollkommen ratlos stand die Violetthaarige im Gang und sah der Erstklässlerin nach, während sie die Blicke der anderen Schüler auf sich spürte. Hatte sie hier einen Fehler begangen? Hätte sie Matsurika nichts sagen sollen? Dabei hatte sie es nur gut gemeint, immerhin war Hiroshi wirklich nicht sonderlich gut aufgelegt. Doch irgendwie beruhigte sich in diesem Moment auch wieder das ungute Gefühl in ihrem Magen. So als sei sie erleichtert. Aber wieso nur? Es war nicht das erste Mal, dass sie so reagierte. Bei Emiko war es das Gleiche. Sie seufzte laut. Irgendwas stimmte doch nicht mit ihr. Immer noch ruhten die Blicke der anderen Schüler auf ihr, doch sie ignorierte sie und machte sich nun auf den Weg in ihr Klassenzimmer. Nach dem Unterricht würde sie noch einmal das Gespräch mit Matsurika suchen und sich bei ihr entschuldigen, in der Hoffnung, dass sie dieses Mal die Chance bekommen würde sich zu erklären. Als sie am Nachmittag dabei war im Kyudo-club aufzuräumen, entglitt ihr erneut ein langer und nicht gerade leiser Seufzer. Sie hatte den Tag über immer wieder versucht mit Matsurika ins Gespräch zu kommen, doch kaum hatte diese sie gesehen, hatte sie sich beleidigt umgedreht und war davonstolziert. So würde sie sich doch niemals erklären können. Natürlich hätte sie Megumi um Hilfe bitten können, allerdings wollte sie die Kleine nicht in ihre Angelegenheiten mit hineinziehen. Die Freundschaft der beiden stand immerhin schon einmal auf der Kippe. Wegen so etwas wollte Mirâ das nicht wieder aufs Spiel setzen. Trotzdem war die Sache echt verstrickt. Wieder seufzte sie laut, während sie eigentlich die freien Bögen wegpacken wollte, dabei aber wieder in ihre Gedanken versunken innehielt. „Das war ja ein laaaaaaanger und intensiver Seufzer“, ließ eine weibliche Stimme neben ihr sie zusammenzucken. Dabei hätte sie beinahe die ganzen Bögen fallen lassen. Schnell hatte sie diese an sich gedrückt, damit sie nicht gen Boden wanderten, und wandte sich dann an die Person neben sich. Dort erkannte sie Amy, welche sie breit Grinsend ansah. „Amy-senpai… erschrick mich bitte nicht so…“, murmelte Mirâ und packte nun endlich die Gegenstände in ihrer Hand an ihren vorgesehenen Platz. Die Blonde verschränkte die Arme hinter dem Rücken und sah die Jüngere fragend an: „Ist etwas passiert, dass du so seufzt. Das sieht dir eigentlich gar nicht so ähnlich. Beim Training warst du auch nicht wirklich konzentriert.“ Die Violetthaarige schwieg. Es stimmte. Sie war durch die Sache mit Matsurika wirklich ziemlich durcheinander. Zum einen, weil sie sich immer noch Gedanken darüber machte, ob es ein Fehler war. Und zum anderen, weil ihr eigenes Gefühl sie diesbezüglich so durcheinanderbrachte. Ihr Blick wanderte zu Amy, die sie immer noch erwartungsvoll ansah. „Weiß du…“, begann sie und erklärte daraufhin der Älteren was vorgefallen war. Diese hörte aufmerksam zu: „Ich verstehe… du hast es nur gut gemeint, aber sie hat dich nicht mal ausreden lassen. Und nun geht sie dir aus dem Weg. Richtig?“ Mirâ nickte, woraufhin die Blonde weitersprach: „Ich muss leider gestehen… auch wenn du es gut gemeint hast, ich kann auch verstehen, dass sie so reagiert hat. Bei Verliebten kommt sowas immer falsch an, selbst wenn es nicht so gemeint ist. Ich kenne das… aber um eins klar zu stellen… bist du auch in deinen Kumpel verliebt? Ich dachte immer du stehst auf Masaru.“ Erschrocken sah sich die Jüngere um, um sicher zu gehen, dass niemand ihr Gespräch mitbekommen hatte und atmete dann erleichtert auf, als dies nicht der Fall zu sein schien: „Musst du das so laut herumposaunen? Aber nein. Ich bin nicht in Hiroshi-kun verliebt…“ Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, woraufhin sie in Amys lächelndes Gesicht sah: „Dann wird sich das alles wieder klären. Ich denke deine Freundin muss selber die Erfahrung machen. Dann wird sie sich sicher wieder beruhigen. Und dann könnt ihr nochmal in Ruhe darüber sprechen.“ „Meinst du?“, ein Nicken kam als Antwort, „Dann hoffe ich, dass du Recht behalten wirst.“ „Sicher“, lächelte Amy, „Apropos… ich muss mich noch bei dir bedanken.“ Überrascht sah Mirâ ihre Senpai an, welche gleich weitersprach: „Dai kam vor einiger Zeit zu mir und entschuldigte sich dafür, dass er mir nicht besser helfen konnte. Damals, wo es um die Umfrage ging. Er sagte, dass er gerne mehr für mich getan hätte, aber wegen seiner Position nicht viel machen konnte. Ich verstehe das natürlich. Aber es hat mich wirklich glücklich gemacht, dass er nochmal zu mir kam. Vor allem, als er meinte, dass ich ein wichtiges Mitglied des Clubs wäre.“ „Und was habe ich jetzt damit zu tun?“, hakte die Jüngere nach, woraufhin ihr Gegenüber lachte. „Nun tu nicht so. Du hast doch mit Dai darüber gesprochen. Oder? Und daraufhin ist er zu mir gekommen“, meinte die Drittklässlerin, „Deshalb wollte ich mich bedanken. Also dann. Ich muss los. Hab gleich noch einen Termin. Wir sehen uns.“ Damit hatte sich Amy von Mirâ abgewandt und das Dôjô verlassen. Etwas überrascht sah die Violetthaarige ihr nach und legte unbewusst ihre Hand auf ihre Brust, in der sie ein intensives leuchten spürte. Es dämmerte bereits, als die Violetthaarige endlich auf dem Weg zur U-Bahnstation war, um nachhause zu fahren. Etwas missmutig sah sie in den Himmel. Warum musste es um diese Jahreszeit schon so früh dunkel werden? Dabei hätte man sonst noch so viel erledigen können. Stattdessen fühlte man sich bereits am frühen Nachmittag total müde und erschöpft, weil der Körper das Gefühl hatte, dass es schon extrem spät war. Irgendwie nervte das. Sie seufzte und richtete ihren Blick wieder in Richtung Schultor, wo ihr eine Person auffiel, die sich gegen den Pfeiler stützte und gen Boden sah. „Matsurika… du bist noch hier?“, fragte Mirâ, als sie besagtes Mädchen erreicht hatte, „Ich wollte mich für heute Morgen noch entschuldigen. Ich wollte dich nicht verletzen oder so.“ „Hm“, kam es nur nickend von der Schwarzhaarigen. Irgendetwas stimmt nicht. Irgendwie wirkte die Jüngere ziemlich geknickt. Ob etwas passiert war? Mirâ hatte ja eigentlich schon so eine Ahnung, wobei sie hoffte sich zu irren. „Was ist denn los?“, hackte sie deshalb nach. Kurz herrschte Schweigen. Dann jedoch fiel Matsurika ihr in die Arme und brach bitterlich in Tränen aus: „Du hattest Recht, Senpai. Ich hätte es lieber lassen sollen.“ Also war Mirâs Gefühl richtig gewesen. Die Schwarzhaarige hatte also wirklich Hiroshi mit ihren Gefühlen konfrontiert und dieser hatte sie abblitzen lassen. Sie mochte sich ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie genau er reagiert hatte. Den Tag über war er kaum ansprechbar gewesen und hatte auf Akanes Spitzen ziemlich aggressiv reagiert. Selbst für die Späße von Shuya war er nicht gut aufgelegt gewesen. Dass er aktuell ziemlich in der Schwebe hing, nervte ihn sichtlich. Doch genau dieser Umstand war es, der Mirâ in Bezug auf Matsurika Sorgen gemacht hatte. Nun allerdings hatte sie diese Erfahrung machen müssen und irgendwie tat ihr die Jüngere leid. Es muss wirklich schmerzhaft sein, wenn man von einer Person, für die man Gefühle hegt, abgewiesen wird. Deshalb zog sie die Jüngere etwas näher an sich und strich ihr beruhigend über den Rücken, damit sie sich wieder beruhigen konnte, während diese bitterlich weinte. Zehn Minuten Stunde später saßen beide auf einer der Bänke, die auf dem Schulgelände verteil standen. Immer noch schluchzte Matsurika ab und an, doch hatte sich bisher weitgehend beruhigt. So ruhig, wie es ihr in diesem Moment möglich war, berichtete sie Mirâ darüber, was geschehen war. Wie sie sich mit Hiroshi getroffen und ihm ihre Gefühle offenbart hatte. Zwar versuchte er so freundlich wie möglich zu sein, doch trotzdem wirkte er extrem angespannt. Deshalb fiel auch sein Korb ziemlich böse aus, auch wenn er das mit Sicherheit nicht so gemeint hatte. Matsurika wusste, dass er es wahrscheinlich gar nicht so gemeint hatte, trotzdem tat es weh. Außerdem hatte sie nun tierische Angst, dass er sie dafür hassen könnte. Beruhigend legte Mirâ ihre Hand auf die von Matsurika und sah sie lächelnd an: „Hiroshi hasst dich mit Sicherheit nicht. Weißt du, ich wollte dich heute Morgen genau deshalb davon abhalten, gerade jetzt damit zu ihm zu gehen. Gestern ist etwas passiert, weshalb es sein kann, dass er für die nächsten Fußballspiele gesperrt wird, wenn nicht sogar schlimmer. Deshalb ist er aktuell ziemlich angespannt.“ „D-Das wusste ich nicht“, senkte die Schwarzhaarige den Kopf. „Deshalb wollte ich dich ja warnen“, meinte die Ältere lächelnd, „Aber jetzt ist es leider schon zu spät dafür. Trotzdem solltest du dir sein Verhalten nicht so zu Herzen nehmen.“ „Ich verstehe…“, murmelte die Jüngere, „Dann tut es mir auch leid, was ich dir heute Morgen an den Kopf geknallt habe. Ich war nur irgendwie…“ „Ich verstehe es. Es ist okay“, lachte Mirâ. „Danke, dass du jetzt trotzdem für mich da warst, Senpai. Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dich jetzt noch anzutreffen. Aber ich hätte nicht gewusst, was ich gemacht hätte, wenn dem nicht der Fall gewesen wäre“, erklärte Matsurika ruhig. Die Ältere lehnte sich vorsichtig an ihre Freundin: „Ach, das ist doch selbstverständlich.“ Die Schwarzhaarige lächelte nun ebenfalls und lehnte sich auch kurz gegen die Ältere, bevor sie sich erhob und kurz streckte. „Gut. Keine Zeit weiter Trübsal zu blasen. Wenn es mit einem Freund nicht klappt, dann nutze ich die Zeit halt für meine Projekte“, streckte sie die Faust in die Luft, „Danke nochmal, Senpai. Jetzt geht es mir wieder besser.“ Mehr als ein Lächeln brachte Mirâ nicht über die Lippen, während sie wieder das angenehme Leuchten in ihrer Brust spürte. Gemeinsam verließen die beiden Mädchen daraufhin das Gelände der Schule und verabschiedeten sich wieder voneinander, woraufhin jede von ihnen ihren Heimweg antrat. Doch bevor Mirâ sich in Richtung der U-Bahnstation auf machte, sah sie Matsurika noch einmal kurz nach. Sie schien recht schnell über den Schock hinweggekommen zu sein. Trotzdem war sich die Violetthaarige sicher, dass es nur eine Momentaufnahme war und es mit Sicherheit auch Situationen geben wird, in denen die Jüngere in Tränen ausbrechen würde. Jedenfalls, wenn ihre Gefühle für Hiroshi wirklich echt waren. Endlich drehte sie sich um und bemerkte dabei missmutig, wie sich wieder Erleichterung in ihr breit machte. Schnell schüttelte sie den Kopf und versuchte dieses Gefühl gekonnt zu ignorieren. Kapitel 132: CXXXII – Wertvolle Fähigkeiten ------------------------------------------- Donnerstag, 08.Oktober 2015 Konzentriert auf ihre Notizen blickend, stieg Mirâ an der Zentralen Station in Tsukimi-kū aus der U-Bahn; darauf bedacht niemanden ausversehen umzurennen. Da die nächsten Prüfungen bald anstanden hatte sie sich kleine Karteikarten erstellt. Diese waren mit einem Ring zusammengebunden und mit Fragen und Antworten zum aktuellen Schulstoff beschrieben, die höchstwahrscheinlich auch bei den Prüfungen drankommen würden. An sich hatte die Violetthaarige eigentlich keine Probleme mit dem Lernen, doch durch die Sache mit der Spiegelwelt wurde es immer schwerer, zumal ihre Gedanken oft abschweiften. Ihr war aufgefallen, dass es dadurch nicht mehr reichte, wenn sie einige Tage vorher nochmal den Stoff durchging. Deshalb hatte sie zu einer Methode gegriffen, die sie zuletzt in der Mittelstufe angewendet hatte: Diese kleinen Karteikarten, die in jede Tasche passten und mit denen sie auf dem Weg zur Schule nochmal alles wichtige durchgehen konnte. Sie hoffte, dass es ihr half. Zwar waren ihre Noten nicht schlecht, aber trotzdem musste sie dranbleiben. "Guten Morgen, Mirâ-senpai", ließ sie eine weibliche Stimme aufschrecken. Überrascht drehte sie sich um und erkannte dann Megumi, die lächelnd neben ihr stand. "Guten Morgen, Megumi-chan", grüßte die Ältere etwas irritiert, während sie die kleinen Karteikarten in ihrer Jackentasche verschwinden ließ. Sie wusste zwar, dass die Jüngere auch in Tsukimi-kū lebte, jedoch war sie ihr noch nie auf dem Weg zur Schule begegnet. Vor allem nicht an dieser Station. Der Brünetten schien die Irritation ihrer Senpai zu bemerken und verschränkte die Arme hinter dem Rücken: "Normalerweise fahre ich immer bis zum Hauptbahnhof durch und steige dort um, weil ich die Station verpasse. Meistens zeichne ich im Zug noch etwas und bin dann so vertieft, dass ich hier immer vorbeifahre." "A-ach so", nickte die Violetthaarige. Das ergab Sinn. Da es auch zwei Linien, der Han'ei Linie gab, die abwechselnd fuhren, um in unterschiedliche Bereiche des Stadtteiles zu kommen, hätten sich die beiden Mädchen aber auch so oder so immer verpasst. Megumi kam immerhin aus dem Norden, von wo aus die A-Linie fuhr. Mirâ wiederum kam aus dem Westen, wo die B-Linie fuhr. Wenn man also nicht zwingend umstieg, verpasste man sich. Megumi sah sich kurz um: "Ist Akane-senpai nicht dabei? Ihr fahrt doch häufig zusammen." "Ja schon, aber in letzter Zeit dreht sie vor der Schule mit Yasuo-senpai und seinem Hund noch eine Runde und kommt dann mit ihm zur Schule", erklärte die Ältere und beobachtete, wie die Bahn der Hahen Ringlinie einfuhr, welche sie direkt nach Jûgôya-kū bringen würde. Die beiden Mädchen warteten, bis der Zug am Bahnsteig zum Stehen kam und die Fahrgäste ausgestiegen waren. Dann betraten sie das Fahrzeug, dessen Türen sich kurz darauf schon wieder schlossen und das daraufhin losfuhr. "Es muss schön sein, einen Freund zu haben", seufzte Megumi etwas wehmütig. Vorsichtig stieß Mirâ ihre kleine Freundin an: "Aber du hast doch Obata-kun. Also warum so wehmütig?" "S-so weit si-sind wir nicht. Außerdem weiß ich gar nicht, wie er dazu steht...", murmelte die Brünette und zog plötzlich ihr Smartphone aus der Rocktasche, als dieses ein Geräusch von sich gab. Über die Schulter der Jüngeren hinweg, erkannte Mirâ, wie diese ihr Handy entsperrte und dann eine Nachricht öffnete, die von einer Yumiki war. "Yumiki?", sprach sie ungewollt ihre Gedanken aus, woraufhin Megumi sie etwas irritiert ansah, "Entschuldige. Ich wollte nicht neugierig sein..." "Schon gut. Ist ja nichts Geheimes oder so...", zuckte ihre Freundin mit den Schultern, "Yumiki ist meine Brieffreundin. Sie heißt eigentlich Miyuki und lebt in Iwatodai. Wir schreiben uns eigentlich regelmäßig Briefe, aber ab und an schreiben wir uns auch via LINE. Meistens, wenn wir die Meinung der anderen für eine unserer Skizzen haben möchten. Miyuki mag nämlich auch Mangas und zeichnet." Die Brünette öffnete das Bild, welches ihre Freundin beigelegt hatte, sodass auch Mirâ dieses erkennen konnte. Zu sehen war erst einmal ein weißes Blatt, erst nach längerem hinsehen erkannte die Ältere mehrere farbige Linien, welche zusammen eine Skizze ergaben. Doch es brauchte eine Weile, bis ihr Gehirn richtig registriert hatte, was sie dort sah und war danach ein klein wenig geschockt. Sie kannte die Charaktere, die dort dargestellt wurden. Es handelte sich dabei um zwei Charaktere eines recht alten Anime, der sich Drachenkugel S nannte. Darin ging es, soweit sie wusste, um muskelbepackte Kerle, die mit übernatürlichen Fähigkeiten gegen außerirdische Gegner kämpften, um die Erde vor der Zerstörung zu retten. Auf diesem Bild erkannte man jedoch den Protagonisten gemeinsam mit einem seiner Mitstreiter, der, soviel Mirâ wusste, auch sein größter Rivale war, in einer eher ungewöhnlichen Situation: Eng umschlungen und kurz davor zu einem Kuss anzusetzen. So richtig wusste die Violetthaarige ehrlich gesagt nicht, was sie davon halten sollte. Sie wusste, dass es Menschen, vor allem Mädchen, gab, die so etwas toll fanden. Trotzdem war es für sie echt ungewohnt und befremdlich, obwohl die Skizze an sich echt gut war, wie sie fand. Megumi schien Mirâs leichtes Unbehagen zu bemerken und drehte das Handy wieder so, dass nur sie draufschauen konnte: "Miyuki ist eine echte Fujoshi. Sie shippt gerne Kerle, die sie cool findet." "Ah ja", murmelte die Ältere, wusste aber nichts weiter darauf zu antworten. Viel mehr schockte sie es etwas, das ihre sonst so schüchtern wirkende Freundin diese Tatsache einfach so abtat, als sei es das normalste der Welt. Nicht das Mirâ etwas dagegen hätte, aber befremdlich war es schon Kerle zusammen zu sehen, die ja offiziell sogar verheiratet waren und Kinder hatten. Selbst wenn es sich dabei um fiktive Charaktere handelte. Aber wahrscheinlich war das in der Manga- und Animeszene einfach mittlerweile so normal, dass sich ein echter Otaku darüber keine Gedanken mehr machte. Die Ältere sah wieder zu Megumi und beobachtete, wie diese das Bild etwas größer machte und eingängig studierte. So verstrich die Zeit, in der Mirâ einfach nur schwieg und zusah, was die Jüngere da trieb. Erst als die Station durchgesagt wurde, an der sie aussteigen mussten, packte die Brünette das Handy seufzend weg, um kurz darauf mit ihrer Senpai den Zug zu verlassen und Richtung Schule zu gehen. "Darf ich fragen, was du da genau geschaut hast?", fragte Mirâ nach, während sie die Treppen aus der Station hinaufstiegen. "Ich habe mir die Proportionen angeschaut. Gerade bei Drachenkugel S mit den vielen Muskeln muss man aufpassen, dass da nichts verrutscht. Aber Miyuki hat darin mittlerweile echt Übung. Trotzdem fragt sie mich immer noch ab und zu, ob alles okay ist. Ich werde ihr nachher in der Pause antworten, was ich so verbessern würde", erklärte Megumi lächelnd, "Manchmal sieht eine neutrale Person Fehler schneller, als man selbst. Deshalb schicken wir uns gerne gegenseitig Skizzen..." "Echt cool, dass ihr euch da gegenseitig helft", lächelte nun auch die Violetthaarige. Ihre Freundin nickte: "Das finde ich auch. Ich bin froh in dieser Community zu sein." Fröhlich lief die Jüngere neben ihr her, während Mirâ froh war wieder etwas mehr über Megumi und deren Welt erfahren zu haben. Tief in ihrem Inneren spürte sie das angenehm warme Leuchten, dass ihr verriet der Jüngeren wieder etwas näher gekommen zu sein. Kaum hatten die beiden Mädchen das Schultor durchschritten wurde Megumi auch schon mehr oder weniger beiseitegezogen, als sich ihre beste Freundin Matsurika an ihren Arm klammerte. Fröhlich grüßte die Schwarzhaarige Mirâ, bevor sie Megumi mit sich zog. Winkend verabschiedeten sich diese von ihrer Senpai, welche den beiden Zweitklässlern nur lächelnd nachblickte. "Sie scheint es ja doch ganz gut wegzustecken", hörte sie plötzlich ein Murmeln neben sich, welches sie ihrem Kumpel Hiroshi zuordnete. Ein kurzer Seitenblick bestätigte ihre Vermutung, weshalb sie die Arme vor der Brust verschränkte: "Ich hab schon von eurem Gespräch gestern gehört." Es klang tadelnder, als es sein sollte, weshalb ihr Kumpel leicht zusammenzuckte. Allerdings sprach sie weiter, bevor er etwas erwidern konnte: "Ich hab sie gestern Morgen allerdings versucht davon abzuhalten gerade jetzt damit zu dir zu gehen. Immerhin bist du wegen der Sache letztens nicht sonderlich gut drauf." Überrascht darüber, wie rücksichtsvoll Mirâ versuchte mit der Situation umzugehen, sah der Blonde sie an: "Ähm ja... danke. Leider hat sie nicht auf dich gehört..." "Nein", seufzte die Violetthaarige, "Sie war sauer auf mich und hat mir vorgeworfen, dass ich ihr das nur sage, weil ich in dich verliebt wäre..." Es folgte kurzes Schweigen, welches durch Hiroshis Lachen unterbrochen wurde: "So ein Unsinn." "Sie hat mir gar nicht zugehört... jedenfalls bis sie den Korb von dir bekommen hat", murmelte Mirâ mit einem Seitenblick zu dem größeren jungen Mann. "Tut mir Leid für die Umstände", grinste dieser und klopfte ihr leicht auf die Schulter, bevor er an ihr vorbeischritt, "Lass uns besser reingehen, bevor wir zu spät kommen." "Ah", kurz beobachtete die Schülerin den Rücken des Blonden. Sein Lachen und auch sein Grinsen eben wirkten ehrlich, trotzdem hatte Mirâ ein ungutes Gefühl. Auch die Tatsache, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammengezogen hatte, als ihr Kumpel meinte, dass Matsurikas Vermutung Unsinn wäre, machte sie unruhig. Es war immerhin die Wahrheit gewesen. Warum also machte ihr dieses Gespräch gerade so mächtige Sorgen? Fragend drehte sich Hiroshi zu ihr um: "Alles in Ordnung?" Sofort schrak sie auf und nickte dann, während sie dem jungen Mann folgte und die düsteren Gedanken erst einmal beiseiteschob. Am späten Nachmittag, als die Sonne bereits wieder am Untergehen war, lief Mirâ den Fluss entlang zur nächstgelegenen U-Bahnstation, welche sich unterhalb des Shinzaro Tempels befand. Als sich Mirâ auf den Heimweg machen wollte, bekam sie eine Nachricht ihrer Mutter mit Dingen, die sie unbedingt noch besorgen musste, bevor sie nachhause kam. Dass es die gewünschten Utensilien allerdings aktuell nur in der zentralen Einkaufsstraße in ganz bestimmten Läden gab, hatte Haruka dabei vollkommen ignoriert. So war sie direkt von der Schule aus ins Stadtzentrum gefahren und war die Geschäfte abgegangen, um die gesuchten Dinge für ihre Mutter zu besorgen. Zum Schluss landete sie am Ende der langen Straße und von dort aus war die Station am Tempel die, die am nächsten war. Nach nur wenigen Minuten erreichte sie die Treppe, welche nach oben zum Heim von Masaru führte und kurz überlegte sie sogar, ob sie mal vorbeischauen sollte. Letzten Endes entschied sie sich aber dagegen und wollte weiter zur U-Bahn, als sie mit der Schulter gegen jemanden rempelte, welcher die Treppen hinunterkam. Überrascht blickte die Violetthaarige auf Satoshi, welcher, gekleidet in die pompöse Uniform der Diamond Academy, vor ihr stand und sie genauso erschrocken ansah. "Hallo Satoshi-kun, was machst du denn hier?", grüßte die Ältere, nicht darauf eingehend, dass ein Mittelschüler nach der Schule eigentlich gleich nachhause gehen sollte. "Ha-hallo Mirâ-senpai", grüßte der Jüngere sie zurück, "Ähm... ich habe ein paar Glücksbringer gekauft..." Lächelnd legte die Oberschülerin den Kopf schief, als ihr wieder bewusstwurde, dass Satoshi ein Problem mit seiner außergewöhnlichen Fähigkeit hatte. Obwohl sie selbst diese Fähigkeit sehr hilfreich fand, empfand der Jüngere sie als Last. Jedoch lag das ihrer Meinung nach an seiner introvertierten Art, die es ihm schwer machte auf fremde Menschen zuzugehen. Immerhin musste man diese Leute dann auch darauf ansprechen, um sie zu warnen. Andererseits konnte sie sich auch vorstellen, dass er Angst vor der Reaktion dieser Menschen hatte. Zum einen gab es wohl kaum jemanden, der einem Fremden einfach so glaubte, dass er in Gefahr sein könnte. Zum anderen würden ihn einige daraufhin wohl für verrückt erklären oder die Polizei rufen. Und passierte dann doch etwas, dann würde es wohl so enden, dass sie ihn dafür verantwortlich machten. Das immerhin schien ihm schon vorher häufig suggeriert worden zu sein. Kein Wunder also, dass er es als Fluch ansah. Aber wenn sie daran dachte wie vielen Leuten, inklusive ihr, er mit dieser Fähigkeit in den letzten Monaten das Leben gerettet hatte, dann konnte sie ja eigentlich nicht schlecht sein. „Senpai?“, holte Satoshis Stimme sie wieder in die Realität, „Alles in Ordnung?“ Die Ältere schüttelte den Kopf: „Alles gut. Ich war kurz in Gedanken. Ist wieder etwas passiert, dass du neue Glücksbringer brauchst?“ Der Brünette schaute auf die drei kleinen Päckchen in seiner Hand und schüttelte den Kopf: „Das nicht. Aber Chisato-chan hat es mir empfohlen.“ „Du kennst Chisato-chan?“, fragte Mirâ etwas irritiert, woraufhin ihr Gegenüber nickte und erklärte, dass er die genannte junge Frau häufiger um Rat fragte. Immerhin kannte sie sich mit Spiritismus gut aus und machte hier ihre Ausbildung zur Miko. Er hatte gehofft, dass sie ihn von dieser Fähigkeit, diesem Fluch, befreien konnte. Leise seufzte Mirâ und lächelte etwas betroffen, immerhin konnte sie sich nicht vorstellen, dass es so einfach war diese Gabe loszuwerden. Aber sie verstand sehr gut, wie er sich fühlen musste. Schnelle Schritte ließen die beiden Schüler aus ihrem Gespräch schrecken und die Treppe nach oben blicken. Dort erkannten sie ein kleines Mädchen mit dunkelbraunen, kinnlangen Haaren, mit Pagenschnitt, die die einzelnen Stufen regelrecht herunterstampfte und dabei vor sich hin fluchte. „Dummer Onii-chan“, erreichte dabei mehrfach Mirâs Ohr. Ab und an kickte die Brünette kleine Steine von der Treppe, welche dann herunterkullerten. Doch während sie so fluchte und dabei kickte rutschte sie plötzlich mit dem anderen Fuß weg und stolperte dabei die letzten vier Stufen herunter. Noch ehe Mirâ reagieren konnte hatte sich bereits Satoshi reflexartig nach vorne bewegt und damit die Kleine aufgefangen. Überrascht sah diese ihn mit großen blauen Augen an, während er kurz erstarrte und dann erschrocken zurückwich. Irritiert legte die Grundschülerin den Kopf schief, doch schien dann wieder an ihre guten Manieren zu denken und verbeugte sich. „Vielen Dank“, sagte sie und wandte sich dann zum Gehen ab, ohne weiter von dem Verhalten des Älteren Kenntnis zu nehmen. Fragend sah Mirâ ihr nach, während sie überlegte, wo sie das kleine Mädchen schon einmal gesehen hatte. Irgendwie kam sie ihr bekannt vor. Auch Satoshi sah ihr nach, jedoch mit einem sehr besorgten Bick. Das was er da eben gesehen hatte, war überhaupt nicht gut und bereitete ihm mächtige Bauchschmerzen. Sollte er die Violetthaarige darüber informieren? Im Augenwinkel erkannte er eine Person, die sich an den beiden Schülern vorbeischlängelte und dabei mit ihrem schwarzen Pulli auf den ersten Blick ziemlich unauffällig wirkte. Satoshi jedoch war der Blick, den sie versuchte unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze zu verbergen, nicht unbemerkt geblieben. „Nanu? Shingetsu?“, hörte Mirâ eine ihr bekannte Stimme, die sie dazu veranlasste hinauf zum Tempel zu blicken. Dabei erkannte sie Dai, welcher die Treppe heruntergelaufen kam und dabei ziemlich gehetzt wirkte. Sofort wollte sie eine Begrüßung erwidern, doch stoppte, als etwas ihren Ärmel griff. Erschrocken drehte sie sich zu Satoshi, der sie mit käsebleichem Gesicht ansah. „Wir müssen ihr nach, Senpai! Sonst ist sie in Gefahr!“, sagte er mit ernster Miene, woraufhin die Violetthaarige sofort reagierte. Schnell rief sie dem älteren Schüler auf der Treppe zu, dass sie noch etwas erledigen musste, bevor sie sich in Bewegung setzte und dem kleinen braunhaarigen Mädchen folgte. Kurz darauf hörte sie auch schon einen lauten Schrei. Obwohl ihre Lunge brannte legte sie noch einen Zahn zu und schlitterte regelrecht um die nächste Ecke, wo sie sah, wie ein fremder Mann an dem Arm der Grundschülerin zerrte, während diese versuchte sich zu befreien. „Hey! Lassen Sie das Mädchen los!“, stürmte sie auf die beiden zu. Zwar zuckte der Mann erschrocken zurück, doch ließ die Brünette nicht los: „Was willst du? Das ist meine Tochter! Los komm jetzt. Wir müssen nach Hause.“ „Nein!“, schrie die Grundschülerin ängstlich, „Du bist nicht mein Papa! Lass mich!“ Ohne weiter darüber nachzudenken, griff die Oberschülerin das Handgelenk des Mannes und versuchte ihn so dazu zu zwingen das Kind loszulassen. Doch dieser ließ nicht nach. Stattdessen griff er mit der freien Hand den Kragen der Violetthaarigen. „Hör mir zu, du Göre. Misch dich hier nicht ein“, drohte er ihr, doch stoppte plötzlich, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. „Darf ich fragen, was Sie da mit meiner kleinen Schwester vorhatten?“, fragte eine verärgerte männliche Stimme. „Hu!?“, wandte sich der Übeltäter dem jungen Mann hinter sich zu. Dabei spürte Mirâ, wie sein Griff lockerer wurde, woraufhin sie ihre Chance ergriff und sich und die Grundschülerin daraus zu befreien. Schnell zog sie die Kleine von ihm weg, was ihn erschrocken wieder in ihre Richtung schauen ließ. In diesem Moment griff der Oberschüler hinter ihm seinen Kragen und schleuderte ihn zu Boden. „Dai, ich habe die Polizei gerufen!“, stürzte nun Masaru heran, sein Smartphone noch immer in der Hand haltend. „Danke dir“, bedankte sich Dai, der den Übeltäter am Boden festnagelte. „Senpai?“, überrascht sah Mirâ zu den beiden älteren Schülern, während sie versuchte das kleine Mädchen in ihren Armen zu trösten. „Onii-chan“, wollte diese nun zu Dai. „Bleib bei Mirâ!“, schimpfte dieser jedoch plötzlich und ließ das kleine Mädchen zusammenzucken, „Minami, du dumme Kuh! Du kannst doch nicht einfach abhauen! Siehst du, was dann passiert!?“ Erschrocken zuckte Minami nun zusammen, klammerte sich dann wieder an die violetthaarige Oberschülerin und begann bitterlich zu weinen: „Es tut mir leid… es tut mir so leid…“ Seufzend stemmte Masaru die Arme an die Hüfte, während er von der kleinen Schwester seines besten Kumpels zu genau diesem sah: „War das jetzt nötig, Dai?“ „Ach halt den Mund!“, schimpfte der Brünette mit gesenktem Blick, der sein Gewicht auf seinem Gefangenen noch einmal verlagern musste, damit dieser sich nicht befreien konnte, „Man! Wo bleibt denn die Polizei?“ Noch während sich der Oberschüler darüber beschwerte, wie lange die Beamten brauchten hörte die Gruppe bereits Sirenen, die auf sie zukamen. Kurz darauf erschien auch schon die Polizei und übernahm an Dais Stelle, welcher beiseite ging und kurz darauf bereits Minami an seinem Bein klammern hatte. Doch anstatt sie zu trösten sah er nur wütend auf den Mann, welcher nun von den Beamten abgeführt und ins Auto gesperrt wurde. Kurz darauf befragten die Polizisten die Anwesenden noch kurz was genau geschehen war, sowie nach ihren Personalien, um gegebenenfalls für Rückfragen erreichbar zu sein, bevor sie mit dem Straftäter davonfuhren. Erst dann verließ Dai die ganze Anspannung, weshalb er in die Hocke ging. Erschrocken klammerte sich seine kleine Schwester daraufhin an ihn, woraufhin er sie endlich in den Arm nahm. „Meine Güte. Du kannst einem echt Ärger machen, du Dummchen“, mahnte er sie an sich drückend, „Ein Glück ist dir nichts passiert.“ Weinend entschuldigte sich die Grundschülerin immer wieder bei ihm, während er ihr über den Rücken strich und versuchte sie so zu beruhigen. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen beobachtete Masaru seinen besten Kumpel und dessen kleine Schwester, bevor er sich an Mirâ wandte. „Mirâ, danke, dass du so geistesgegenwärtig reagiert hast“, bedankte er sich an Stelle seines Freundes. Die Violetthaarige jedoch schüttelte nur den Kopf: „Nicht mir war aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Sondern Satoshi-kun hier.“ Lächelnd packte sie den Jüngeren am Ellenbogen und zog ihn näher zu sich: „Ihm war der Mann aufgefallen, der Minami-chan gefolgt ist. Er hat mich nur gewarnt.“ Überrascht sah Dai zu dem Jüngeren, dem die Situation sichtbar unangenehm war: „Stimmt das?“ Erschrocken sah Angesprochener zu dem Brünetten, nickte dann verlegen und schrak zurück, als Dai sich im Hocken vor ihm verbeugte. „Vielen Dank! Du hast meiner kleinen Schwester das Leben gerettet. Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken kann“, bedankte sich der Oberschüler höflich. „Ähm nein… es ist schon… in Ordnung…“, murmelte Satoshi, der nicht genau wusste mit der Situation umzugehen. Eine halbe Stunde später saßen Mirâ und der Mittelschüler auf den Stufen, die hinauf zum Tempel führten. Masaru, sowie Dai und seine kleine Schwester hatten sich mittlerweile von ihnen verabschiedet. Der Brünette war der Meinung, dass Minami unbedingt nachhause musste, während Masaru die beiden begleiten wollte. Nun waren die Oberschülerin und Satoshi also wieder alleine und schwiegen sich an, während jeder seinen Gedanken nachhing. „Mirâ-Senpai…“, begann Satoshi plötzlich und ließ Mirâ zu ihm schauen, „Es war das erste Mal, dass eine fremde Person, außer dir, sich direkt bei mir dafür bedankt hat, dass ich geholfen habe. Dabei habe ich ja gar nichts gemacht. Eigentlich war es mir nur aufgefallen, weil ich es gesehen habe, als mich die Kleine berührt hat. Und da habe ich noch gezögert es dir zu sagen. Aber jetzt… bin ich froh, dass ich dir gesagt habe, was los ist.“ „Es ist dir zu verdanken, dass Minami-chan nichts ernstes passiert ist“, lächelte die Oberschülerin, „Ehrlich gesagt konnte ich mir schon denken, dass du etwas gesehen hast, als du mich so erschrocken angesehen hast.“ „Aber gegenüber deinen Mitschülern hast du das nicht erwähnt. Wieso?“, hakte der Mittelschüler nach. Das Lächeln der Älteren wurde breiter: „Na es ist doch einfacher zu sagen, dass du ein ungutes Gefühl hattest, als ihnen zu sagen, dass du es gesehen hast. Oder? Vielleicht wäre das auch eine Option für dich zu lernen mit deiner Fähigkeit umzugehen und auch auf andere zuzugehen, wenn du etwas bemerkt. Kann es sein, dass du früher die Menschen direkt auf ihr Unglück angesprochen hast?“ Überrascht sah Satoshi sie an und nickte dann, woraufhin Mirâ weitersprach: „Das habe ich mir gedacht. Und deshalb dachten alle um dich herum, dass du dafür verantwortlich bist. Hab ich Recht? Wenn du jedoch überlegst, wie du den Menschen helfen kannst, ohne, dass sie merken, dass du es gesehen hast, dann werden sie dir für deine Hilfe dankbar sein. Und dann ist deine Gabe kein Fluch mehr, sondern ein Segen.“ Mit großen goldgelben Augen sah ihr Gegenüber sie an, bevor er auf seine Schuhe blickte und sich ihre Worte offensichtlich durch den Kopf gehen ließ. So kehrte für einige Minuten Stille ein, in der Mirâ den Jüngeren erst etwas beobachtete und dann gen Himmel sah, um den vorbeiziehenden Wolken zuzusehen. Erst als sich Satoshi plötzlich erhob, sah sie wieder zu ihm. „Danke dir, Senpai. Ich kann zwar noch nicht mit Überzeugung sagen, dass ich mit dieser Fähigkeit klarkomme, doch ich denke, dass ich lernen kann damit umzugehen. Es wäre schön, wenn… du mir dabei helfen würdest“, sprach er ruhig, aber auch etwas verunsichert. Lächelnd erhob sich Mirâ und klopfte ihm leicht auf die Schulter: „Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass ich dir helfen würde. Oder? Also verlass dich ruhig auf mich.“ „Danke“, schenkte ihr der junge Mann ein ehrliches Lächeln, welches durch das warme Glühen in ihrer Brust verstärkt wurde. Am späten Abend eilte Mirâ die Straßen des Wohnviertels entlang, in dem sie wohnte. An diesem Tag war es mir ihrer Schicht ziemlich spät geworden, weshalb sie eigentlich längst zu Hause sein müsste. Ihre Mutter würde sicher wütend sein, dass sie so spät heimkam. Doch zu ihrer Verteidigung musste sie sagen, dass es verdammt voll gewesen war und sie bis zum Feierabend mächtig knuffen musste, um alles abzuarbeiten. Zwar hatte Shuichi ihr angeboten sie zu begleiten, um sich persönlich bei ihrer Mutter zu entschuldigen, jedoch hatte die Oberschülerin das abgelehnt. So nett die Geste gemeint war, irgendwie wäre es ihr dann doch unangenehm gewesen. Sie würde sich schon selbst verteidigen können. Etwas in ihrem Augenwinkel ließ sie plötzlich stoppen und quer über die Straße schauen, wo ein Streifenwagen mit eingeschaltetem roten Rundumlicht stand. Im immer wieder aufleuchtenden Rotlicht erkannte die junge Frau mehrere Personen, die sich zu Streiten schienen. Kurz darauf wurde ein junger Mann mit strubbeligem Haar von den zwei Beamten zum Wagen geführt. Doch bevor er einstieg sah er durch Zufall genau in Mirâs Richtung, weshalb sich ihre Blicke kurz trafen. Etwas erschrocken wich die junge Frau zurück, doch ehe sie das richtig registriert hatte, war der Strubbelkopf bereits eingestiegen. Überrascht und etwas ratlos sah Mirâ dem wegfahrenden Streifenwagen hinterher. „Hey! Was gibt es hier zu glotzen?“, rief eine erboste männliche Stimme, woraufhin die Oberschülerin zusammenzuckte, sich schnell vor den zwei übrigen gebliebenen Personen verbeugte und dann weiterrannte. „Uwah, hab ich mich erschreckt“, ging ihr durch den Kopf, während sie fluchtartig nachhause lief. Kapitel 133: CXXXIII – Konsequenzen ----------------------------------- Freitag, 09.Oktober 2015 „Hast du schon gehört?“, schnappte Mirâ immer wieder auf, während sie mit Akane durch die Gänge der Schule streifte, um einen ruhigen Platz zum Mittagessen zu finden. Schon als die Violetthaarige an diesem Morgen die Schule betreten hatte, war ihr die Unruhe aufgefallen, die sich durch die Schülerschaft zog. Überall hatten sich kleinere Grüppchen gebildet, die miteinander tuschelten und darüber spekulierten, was eigentlich geschehen war. Auch der Schülerrat war deshalb mächtig im Stress. Ständig sah man sie nur schnell irgendwo vorbeihuschen. Versuchte man sie anzusprechen, um herauszufinden, was denn überhaupt los war, vertrösteten sie einen auf später und waren dann bereits um die nächste Ecke verschwunden. Irgendwie fand Mirâ diese Stimmung mächtig unheimlich. „Man, was für ein Trubel“, murmelte Akane, „Was ist denn nur los? Hast du etwas gehört?“ „Keine Ahnung“, schüttelte Mirâ den Kopf und beobachtete zeitglich, wie eine Gruppe von Mädchen wieder die Köpfe zusammensteckte, um zu tuscheln. Daraufhin schluckte die Violetthaarige kurz und nahm dann all ihren Mut zusammen, um auf die Gruppe zuzugehen: „Hört mal. Könnt ihr uns sagen, was hier los ist? Alle sind so aufgeregt.“ Die Mädchen schraken kurz auf und sahen sich gegenseitig etwas verunsichert an. „Habt ihr nicht davon gehört?“, fragte eines anschließend. „Nein. Sonst würden wir ja nicht fragen. Was ist denn passiert?“, fragte Akane leicht genervt nach. Noch einmal sahen sich die Mädchen an, bevor ein weiteres sprach: „Es heißt, dass gestern ein Schüler unserer Schule einen Erwachsenen schwer verletzt hat und umgehend der Schule verwiesen wurde. Angeblich wurde er sogar wegen Körperverletzung angezeigt.“ Überrascht sahen Mirâ und Akane die Gruppe an und konnten gar nicht wirklich glauben, was sie eben gehört hatten. Ein Schüler ihrer Schule sollte wirklich jemanden verletzt haben? Wobei… Mirâ stutzte kurz, als ihr die Sache mit Dai und seiner kleinen Schwester einfiel. Nein, das konnte doch nicht sein. Oder? Immerhin hatten sie nur Minami beschützt und so wirklich schwer verletzt hatte Dai den Fremden auch gar nicht. Sollte er wirklich für so etwas suspendiert worden sein? Aber hätte Masaru ihr das nicht geschrieben? Oder war das etwa der Grund, wieso der Schülerrat so in Aufruhr war? Vielleicht war Masaru hinterher seinen besten Kumpel aus der Sache herauszuboxen. So versunken in ihre Gedanken, wie die Violetthaarige war, bemerkte sie nicht, wie sich die Gruppe von Mädchen bereits wieder von ihnen entfernt hatte. Erst als sie ein paar schnipsende Finger vor ihren Augen erkannte, erwachte sie erschrocken aus ihrem Tagtraum. „Alles okay bei dir?“, fragte ihre beste Freundin mit besorgtem Blick. „A-ah“, nickte Angesprochene nur, war jedoch immer noch unsicher. „Jetzt wo ich weiß, was los ist, weiß ich worum es geht. Es stand heute Morgen in der Zeitung“, sagte diese nur, „Ich habs durch Zufall gelesen, als mein Vater den Sportteil durchgeblättert hat. Gestern Abend soll es in Tsukimi-kû zu einem Handgemenge gekommen sein, wo ein Oberschüler plötzlich einen Erwachsenen angegriffen haben soll. Die Schule wurde dabei allerdings nicht genannt. Aber die Aufregung deshalb kann ich dann natürlich verstehen.“ Erleichtert atmete Mirâ auf, als sie hörte, dass sich die Sache in Tsukimi-kû ereignet hatte und nicht in Hansha-kû, wo sie gestern Minami gerettet hatten. Außerdem sollte der Vorfall am Abend geschehen sein. Es konnte sich bei dem Schüler also nicht um Dai handeln. Ein Stein fiel ihr vom Herzen, als ihr plötzlich noch etwas anderes einfiel: Nämlich die Verhaftung, die sie am Abend beobachtet hatte. War es etwa diese Situation gewesen, die die gesamte Schule in Aufruhr versetzt hatte? Doch wer war so dumm und verletzte einen Erwachsenen ohne Grund? Wobei… Wenn sie an die Mobber dachte, die Ryu immer fertig machten und die nicht einmal Respekt vor älteren Schülern aufbringen konnten, dann konnte sie sich so etwas schon vorstellen- Ob es sich bei dem Schüler um einen von denen handelte, die Ryu immer mobbten? Vorzustellen war es. Die junge Frau versuchte sich an das Gesicht des jungen Mannes zu erinnern, den sie gestern gesehen hatte. Doch egal wie sehr sie es versuchte, es klappte nicht. Das Einzige, was ihr immer wieder in den Sinn kam, war das merkwürdige Gefühl, dass sie hatte, als sich ihre Blicke kurz getroffen hatten. „Naja… selber schuld, wenn man sich mit Erwachsenen anlegt. Egal was der Grund dafür war, es ist einfach nur dumm einen Erwachsenen zu verletzen. Da braucht man sich über Konsequenzen auch nicht zu wundern“, Akane setzte sich in Bewegung und holte Mirâ damit aus ihren Gedanken, „Lass uns in die Mensa gehen. Hier finden wir eh keine ruhige Ecke.“ Die Violetthaarige sah ihrer besten Freundin nach. Sicher, wenn die Angelegenheit wirklich so war, wie sie beschrieben wurde, dann war der Schüler für seine Suspendierung selber verantwortlich. Aber konnte man das so einfach und pauschal sagen? Vielleicht war es ja auch ganz anders verlaufen und nur ein großes Missverständnis. Dann würde der Schüler bestraft werden, obwohl er unschuldig war. Irgendwas an der Sache störte sie, doch Mirâ konnte nicht genau sagen was es war. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie ihre beste Freundin ihren Namen rufen hörte und folgte dieser daraufhin. Als die beiden Mädchen kurz vor Ende der Mittagspause ihren Klassenraum erreichten, blieb die Violetthaarige überrascht stehen, als sie Dai erkannte, welcher offensichtlich nach ihr gesucht hatte. Verunsichert über sein Auftauchen sah sich Mirâ kurz um und bemerkte dann die verwunderten Blicke auf sich Ruhen. Es war nicht ganz so üblich, dass sich ein Drittklässler in ihre Klassenstufe verirrte, weshalb das natürlich immer für Aufsehen sorgte. Vor allem, wenn er nach einem bestimmten Mädchen fragte. Dai schien Mirâs Unbehagen zu spüren und bat sie ihr kurz zu folgen. Natürlich machte es die Situation nicht wirklich besser. Wahrscheinlich bewirkte dies nur das Gegenteil. Trotzdem folgte die Zweitklässlerin dem Brünetten, während sie Akane bat schon vorzugehen. Einige Minuten später standen beide in einer ruhigen Ecke. „W-Was gibt es, Kazuma-senpai?“, fragte sie etwas verunsichert. „Warum so ängstlich?“, lachte der Ältere. Beleidigt blähte Mirâ die Wangen auf: „I-ich bin nicht ängstlich. Aber weißt du, was jetzt in meiner Klasse abgeht? Hast du nicht die Blicke gesehen?“ Überrascht stoppte Dai und schien dann erst genauer darüber nachzudenken. Anscheinend hatte er sich noch nie über sowas Gedanken gemacht. Wahrscheinlich, weil sich Jungs nicht viel aus solchem Gerede machten. Deshalb wollte die Violetthaarige ihm auch keine böse Absicht unterstellen und räusperte sich daraufhin. „Was wolltest du denn von mir, Senpai? Konnte das nicht bis nach der Schule warten?“, fragte sie so ruhig, wie es ihr eben gerade gelang. „Ach ja. Ich wusste nicht, ob ich dich heute nach der Schule noch erwische und wollte es auch nicht zu lange vor mich herschieben“, plötzlich griff der Ältere nach beiden Händen der jungen Frau, welche ihn nur wieder erschrocken ansah, „Ich wollte mich nochmal richtig für gestern bei dir bedanken. Ich weiß, du meintest, dass es deinem kleinen Kumpel aufgefallen war und dafür bin ich ihm auch dankbar. Aber du bist ja dazwischen gegangen und hast dich selbst in Gefahr gebracht. Mir hat das die Nacht echt keine Ruhe gelassen. Also was passiert wäre, wenn Masa und ich euch nicht gleich gefolgt wären.“ Mit großen roten Augen musterte die junge Frau ihren Senpai und lächelte dann. Er hatte sich also noch den restlichen Tag über Gedanken darüber gemacht. Dabei war für sie die Sache bereits wieder erledigt gewesen, nachdem die Polizei diesen Pädophilen mitgenommen hatte. Über die Konsequenzen, was passiert wäre, wenn die beiden Jungs nicht in der Nähe gewesen wäre, hatte sie sich bis hierhin auch überhaupt keine Gedanken gemacht. Ihr war nur wichtig gewesen, dass die kleine Minami in Sicherheit war. Deshalb hatte sie auch gar nicht an sich selbst gedacht. Sie löste ihre Hände aus denen von Dai und kehrte dies um, indem sie seine in ihre nahm, woraufhin dieser sie nun ebenso überrascht ansah. „Schon okay, Senpai. Ehrlich gesagt habe ich nur an Minami-chan gedacht und bis eben gar nicht daran, was hätte passieren können. Deshalb brauchst du dir auch keine Gedanken machen. Ich habe gerne geholfen“, sagte sie lächelnd. „Nicht jeder würde so reagieren“, seufzte der brünette junge Mann, „Deshalb bin ich dir auch so dankbar. Ich schimpfe zwar oft über meine Schwester, aber sie ist mir unglaublich wichtig.“ Die Jüngere kicherte: „Das kann ich verstehen. Mir geht es mit meiner Schwester genauso.“ „Das beruhig mich“, schlich sich nun auch ein Lächeln auf die Lippen des Älteren, „Wenn ich mich irgendwie dafür erkenntlich zeigen kann, sag mir Bescheid. Okay?“ „Nett von dir, auch wenn es nicht nötig ist. Hauptsache Minami-chan geht es gut“, wieder spürte die Zweitklässlerin das warme Glühen in ihrer Brust, welches ihr zeigen sollte, dass sie Dai nähergekommen war, „Aber weißt du was? Wie du diesen Typen umgenietet hast war echt der Hammer. Ich war echt überrascht, wie leicht das bei dir aussah.“ Etwas verlegen befreite Dai seine Hände aus denen von Mirâ und kratzte sich dann im Nacken: „Ja weißt du… in der Grundschule habe ich mal eine Zeit lang Judo gemacht. Einige Griffe kenne ich noch.“ Diese Tatsache überraschte Mirâ dann doch ein wenig, immerhin hätte sie gedacht, dass Dai schon seit seiner Kindheit Kyudo betrieb, genau wie sie. Dieser schien ihre Überraschung zu bemerken und erklärte, dass er sich kurz vor Eintritt in die Mittelstufe beim Judo das Bein gebrochen hatte und danach tierische Angst hatte weiterzumachen. Deshalb hatte er aufgehört und war dann durch Zufall zum Kyudo gekommen. Die Schulglocke erinnerte beide daran ihr Gespräch schnellstmöglich zu beenden, da der Unterricht bald wieder beginnen würde. Schnell wandte sich der Ältere ab und verabschiedete sich, um in seine Klasse zu kommen, während Mirâ ihm winkend nachschaute. Nach dem Unterricht beeilte sich die Oberschülerin schnellen Schrittes, um zum Fußballclub zu kommen. Da sie in Sportkleidung erscheinen sollte, musste sie sich zuerst umziehen, was sie einiges an Zeit gekostet hatte. So bog sie schnell um die nächste Ecke, um in den Gang zu gelangen, welcher sie hinaus in den Hinterhof und damit zu den Außensportplätzen führen würde, als sie vor sich einen Schatten bemerkte. Schnell stoppte sie und das gerade noch rechtzeitig, bevor sie mit Shirota zusammengestoßen wäre. Erschrocken sah dieser die Ältere an und verbeugte sich kurz vor ihr, um dann an ihr vorbeizukommen. Überrascht sah sie ihm hinterher, bevor sie ihren Blick wieder in den Gang richtete und bemerkte, dass hier auch der Bonatik-Club war. Schnell wandte sie sich wieder um und griff nach dem Handgelenk des jungen Mannes, welcher sofort wieder wie erstarrt stehen blieb. „Warte kurz… hast du mit Kuraiko gesprochen?“, fragte die Ältere neugierig nach. Konnte es sein, dass ihre Versuche die beiden zu versöhnen nun doch Früchte trugen? Schnell wurde sie jedoch enttäuscht, als der Schwarzhaarige vor ihr den Kopf schüttelte. „Nein. Sie hat mich gleich wieder rausgeschmissen. Es hat keinen Sinn“, seufzte er. „Gib nicht so schnell auf. Natürlich geht das nicht von jetzt auf gleich. Aber sie wird dir irgendwann zuhören müssen. Okay!?“, versuchte die Violetthaarige ihm gut zuzusprechen. „Wieso bist du so erpicht darauf, dass wir uns wieder vertragen?“, fragte Shirota ganz direkt. Ja wieso eigentlich? So genau wusste Mirâ die Antwort darauf auch nicht. Vielleicht lag es daran, dass sie jeden beneidete, der eine enge Kindheitsfreundschaft pflegte und war deshalb auch der Meinung, dass diese gehütet werden sollte. Doch ganz genau konnte sie das nicht sagen. Eines wusste sie aber. Sie hatte das Bedürfnis den beiden zu helfen und auch das Gefühl, dass es für die beiden das Beste wäre. Doch wieso wusste sie nicht. „Keine Ahnung. Aber ich habe das Gefühl, dass Kuraiko sich eigentlich mit dir vertragen möchte. Und du möchtest ihr auch gerne die Wahrheit sagen. Das steht dir ins Gesicht geschrieben. Deshalb ist es mein Wunsch, dass ihr euch wenigstens einmal ordentlich aussprecht“, sprach sie deshalb aus, was ihr gerade in den Sinn kam. „Das ist lieb“, befreite sich der Jüngere nun endlich aus dem Griff der Schülerin, „Aber es ist nicht unbedingt nötig, dass du dich einmischst. Du machst Kuraiko nur wütend damit.“ „Das weiß ich, aber ich habe das Gefühl keine andere Wahl zu haben“, kam recht schnell eine konkrete Antwort. Überrascht sah Shirota sie an und wandte sich dann an: „Dann mach wie du möchtest…“ Damit hatte er sich abgewandt und war gegangen. Das Leuchten in Mirâs Brust jedoch verriet, dass sie mit ihrer Vermutung den beiden gegenüber nicht ganz unrecht hatte. „Du kommst etwas spät“, wurde sie ernst von Kinako begrüßt, welche ihr sogleich ein Klemmbrett in die Hand drückte. „Entschuldigung. Ich wurde kurz aufgehalten“, schlug Mirâ die Hände zusammen, nachdem sie sich das Brett unter die Arme geklemmt hatte. Die Ältere bedachte sie kurz mit einem Seitenblick, doch beließ es dann dabei. Es brachte ohnehin nichts nun zu meckern, immerhin wollte die Jüngere nur hospitieren und war auch noch so freundlich sie beim Turnier zu unterstützen. Deshalb erklärte die Brünette der Zweitklässlerin lieber, was ihre Aufgaben waren und was sie dafür zu tun hatte. Hauptsächlich waren sie dafür da Statistiken aufzuschreiben, wer in offiziellen Spielen wie viele Tore schoss oder für einen Treffer assistierte. Zusätzlich notierten sie auch, wer wie viele Fouls beging, Strafen kassierte oder Strafschüsse ausführte. Ebenso, wie die Spieler sich im Training machten, was sie verbessern mussten und wo ihre Stärken lagen. Diese Aufzeichnungen mussten sie am Ende an den Trainer weiterreichen, damit dieser die Aufstellung für das nächste Spiel festlegen konnte. Außerdem waren sie für die Verpflegung der Mannschaft zuständig. Das hieß explizit, dass sie darauf zu achten hatten, dass die Trinkflaschen der Jungs immer gut genug mit Wasser gefüllt waren und dass die Flaschen auch am richtigen Platz lagen. Etwas überfordert versuchte Mirâ den Erklärungen ihrer Senpai zu folgen, doch wusste schon bald nicht mehr wirklich, was überhaupt gemeint war. Kinako schien das mitzubekommen und seufzte etwas ergeben: „Ich glaube bei dir müssen wir nochmal mit den Regeln anfangen. Was?“ „Gomen nasai“, jammerte Mirâ mit gesenktem Kopf, was die Brünette jedoch nur erneut seufzen ließ. „Schon okay. Du bist ja auch nur eine Aushilfe. Wobei ich mir schon gewünscht hätte, dass Makoto jemanden aussucht, der sich besser mit Fußball auskennt. Aber okay. Er meinte du bist sehr zuverlässig. Das bekommen wir also hin“, meinte sie und klopfte neben sich auf die Bank, woraufhin sich die Violetthaarige neben ihr niederließ. Zum Glück für die Zweitklässlerin richtete das Fußballteam an diesem Tag ein kurzes Testspiel aus, weshalb Kinako ihr in aller Ruhe alle Regeln erklären konnte. Jedoch schweiften Mirâs Gedanken nicht nur einmal ab, während ihr Blick an Hiroshi kleben blieb, welcher sich mit vollem Einsatz ins Training stürzte. Die Sache mit seiner möglichen Strafe war immer noch nicht geklärt. Jedenfalls dachte sich das Mirâ, immerhin hätte ihr Hiroshi sonst mit Sicherheit davon berichtet. Soviel sie wusste sollte es wohl eine Anhörung in Beisein der Eltern geben. Wann diese jedoch stattfinden sollte, darüber hatte ihr Kumpel geschwiegen. Während sie den Blonden so beobachtete bemerkte sie immer mehr, dass auch er nicht ganz so konzentriert zu sein schien, wie er vorgab. Immer wieder passierten ihm kleine Fehler, die den Trainer und auch Yu dazu veranlassten ihn zurechtzuweisen. Die Ungewissheit machte ihm wirklich zu schaffen. „Hey! Hörst du mir zu?“, ein Schnipsen vor ihren Augen ließ sie aufschrecken und zu der Managerin des Clubs sehen, welche böse dreinblickte, „Konzentrier dich gefälligst!“ „Gomen“, senkte Mirâ den Blick und vernahm neben sich wieder ein Seufzen. „Du machst dir Sorgen um Makoto. Hab ich Recht? Ich hab von der Sache gehört. Er hat einen anderen Schüler verletzt, weil er einen Jüngeren beschützen wollte. Oder?“, sprach die Ältere das Thema an, woraufhin Mirâ sie überrascht ansah, „Auch wenn er es gut gemeint hat, so wusste er genau, was er tat. Deshalb muss er leider mit den Konsequenzen leben und das weiß er auch. Er gibt niemand anderem außer sich selbst die Schuld dafür, das heißt er muss da auch selbst mit klarkommen. Auch wenn es dir, als seine Freundin, schwer fällt sich da heraus zu halten. Es gibt nur eins, was du machen kannst… und zwar dich hier für ihn anstrengen. Immerhin hat er dich um diese Sache gebeten. Oder?“ Besorgt sah Mirâ die Ältere an, welche ihren Blick ernst erwiderte. Gab es wirklich nichts, was sie für ihren Kumpel tun konnte? „Shingetsu?“, holte sie plötzlich Yus Stimme aus den Gedanken, woraufhin sie zu ihm aufschaute. „Nach dem Club möchte dich der Direktor kurz zu der Sache von neulich befragen. Würdest du ihn dann bitte aufsuchen?“, fragte der Grauhaarige, woraufhin ihn die Schülerin mit großen Augen ansah, doch dann nickte, „Gut. Und vielen Dank für deine Unterstützung hier.“ Damit hatte sich der Student wieder umgedreht und dem Team zugewandt, welches noch immer am Trainieren war. Gedankenverloren folgte sie ihm mit ihrem Blick und hatte nun das Gefühl doch etwas tun zu können. „Danke, dass Sie mich angehört haben“, bedankte sich die Violetthaarige mit einer Verbeugung, als sie am späten Nachmittag das Büro des Schuldirektors verließ. Dieser entließ auch sie mit einem Dank für ihre Aussage, bevor sie sich abwandte, um sich endlich auf den Heimweg zu machen. Erleichtert atmete sie auf. Der Direktor wollte gerne ihre Sicht der Dinge wissen, immerhin wurde sie nur durch Zufall in die Sache verwickelt, weil sie Ryu beschützen wollte. So hatte sie ihm erklärt, wie es sich zugetragen hatte und darum gebeten mit Hiroshi und Ryu nicht zu streng ins Gericht zu gehen. Immerhin hatten sie keine Schuld. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass ihre Aussage etwas bewirken würde. Seufzend verließ sie das Schulgebäude und lief schnurstracks auf das Schultor los, als ihr ein Mann auffiel der ihr entgegenkam. Seine hellbraunen, leicht grau melierten Haare waren ordentlich nach hinten gestylt und der dunkelgraue, lange Mantel mit der Doppelknopfreihe wirkte ziemlich teuer. Höflich verbeugte sie sich vor Hiroshis Vater, als sie auf seiner Höhe war, welcher es ihr leicht nachtat, und blickte ihm dann kurz nach, als er an ihr vorbei war. So langsam ahnte sie, wieso sie gerade heute zum Direktor musste, um ihre Aussage zu tätigen und plötzlich war das gute Gefühl von eben wieder verschwunden. *~*~*~*~* Nach einem leisen Klopfen öffnete sich die große Flügeltür, die ins Rektorenzimmer führte und ein Mann mittleren Alters mit hellbraunem, leicht grau meliertem Haar trat ein. „Guten Abend“, mit einer höflichen Verbeugung grüßte er die bereits Anwesenden Personen, welche aus drei Schülern und sechs weiteren Erwachsenen bestanden. Sie alle saßen auf schwarzen Ledersofas und -sesseln, die um einen großen rechteckigen schwarzen Glastisch verteilt standen. Auf der Stirnseite in Richtung der Tür saß ein großgewachsener, kräftiger Mann mittleren Alters, mit rotbraunen sehr kurzen Haaren und strengen Gesichtszügen. Links neben ihm auf der Couch saßen Ryu, welcher neben dem älteren Herrn wie ein Grundschüler wirkte, und Hiroshi, der seinen Vater ziemlich missmutig anblickte. Ihnen gegenüber auf dem Sofa saßen ein junger Mann, dessen Gesicht mit Pflastern übersäht war, sowie dessen Eltern, die ziemlich wütend wirkten. Auf der kleinen Couch an der anderen Stirnseite saßen Mrs. Masa, die Klassenlehrerin der 2-1, und ein weiterer Lehrer mittleren Alters, sowie der Direktor selbst. Dieser erhob sich nun und begrüßte den Hinzugekommenen höflich: „Herzlich Willkommen, Makoto-san. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Bitte setzen Sie sich doch.“ Er wies zu seiner Rechten, auf die Sitzgelegenheit, auf welcher Hiroshi saß, der noch ein Stück näher an den jüngeren Schüler neben sich heranrutschte, um Platz zu machen. „Bitte verzeihen Sie meine leichte Verspätung. Ich hatte noch einen anderen wichtigen Termin zu erledigen“, entschuldigte sich Hiroki sehr formell, während er seinen Mantel auszog, diesen auf die Lehne legte und sich dann neben seinem Sohn niederließ. Er überschlug die Beine, legte seine Hände auf das obere Knie und blickte in die Runde: „Also… würde Sie mich bitte aufklären, wieso wir uns heute hier eingefunden haben?“ „Nun also“, begann der Direktor, wurde jedoch von der hysterischen Frau unterbrochen, die zu seiner Linken saß. „Ihr missratener Sohn hat unseren Sohn verletzt. Er hat ihn einfach mit dem Ball beschossen“, schimpfte diese. „Doch nur, weil IHR missratener Sohn ein übler Mobber ist, der sich an Schwächeren vergreift!“, verteidigte sich Hiroshi. „WIE BITTE?“, die Stimme der Frau ging so hoch, dass alle Anwesenden zusammenzucken mussten, „Mein Sohn würde so etwas niemals machen!“ „Dann kennen Sie ihn aber ziemlich schlecht! Er…“, Hiroshi stoppte, als sein Vater die Hand hob, „Hey!“ „Ruhe jetzt. Mit gegenseitigen Anschuldigungen kommen wir hier nicht weiter. Ich möchte bitte den Hergang erfahren“, sagte Hiroki mit strengem Blick an den Blonden gerichtet, der leicht zusammenzuckte. Ein Lachen von der anderen Stirnseite ließ alle Anwesenden zu dem kräftigen Mann schauen: „Da spricht der Anwalt aus Ihnen, was Makoto-san? Aber mich würde der Hergang auch interessieren. Vor allem, was das alles mit meinem Sohn zu tun hat.“ Genannter, der die ganze Zeit nur auf seine Füße gestarrt hatte, zuckte erschrocken zusammen. Der Direktor räusperte sich und hob mehrere Zettel an, von welchem er die jeweils berichteten Hergänge vorlas. Zuerst sprach er von dem Vorgang, wie ihn der verletzte junge Mann erzählt hatte. Laut diesem wäre Hiroshi einfach auf ihn losgegangen. Grund dafür wäre wohl ein vorausgegangener Streit gewesen, der einige Tage zurücklag. Um sich zu rächen hätte er einfach mit dem Ball auf ihn geschossen und ihn dabei ziemlich heftig erwischt. Die Pflaster wären der Beweis. Außerdem hätten die drei anderen Jungs, von denen zwei aus dem Fußballclub waren, das gleiche berichtet. Diese beiden Beschuldigten den Blonden ebenso, auch beim Club häufiger unfair zu sein, was jedoch sowohl vom Trainer, als auch Co-Trainer nicht bestätigt werden konnte. Angespannt ballte der blonde junge Mann, dem nun alle Schuld zugeschoben wurde, die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Zunge. Am liebsten hätte er etwas gesagt und sich gegen diese Vorwürfe verteidigt, doch die Handbewegung seines Vaters hatte ihm deutlich gemacht, dass er sich zurückhalten solle. Natürlich wusste Hiroshi, dass dies einen Grund hatte. Immerhin würde er die Sache damit nur schlimmer machen, doch es nervte ihn so ungemein. Als der Direktor geendet hatte griff er nach dem anderen Zettel und las vor, was Hiroshi und Ryu ausgesagt hatten. Doch der Rektor hatte noch nicht einmal richtig angefangen, da wurde er bereits wieder von der hysterischen Mutter unterbrochen, dass alles was dort gesagt wurde nur eine große Lüge war. „Gnädige Frau, ich bitte Sie. Die Aussage wurde von der Schülerin bestätigt, die darin involviert war“, versuchte der Direktor sie zu beruhigen. Das jedoch hatte nur den gegenteiligen Effekt und sie schaukelte sich immer weiter rein. Nicht einmal ihr Mann war in der Lage sie wirklich zu beruhigen. So zog sich das einige Minuten, bis sie langsam herunterfuhr und der Direktor damit weiter ausführen konnte, was auf seinem zweiten Zettel stand. „Ich verstehe“, begann Hiroki, der schweigend zugehört hatte und nun zu Hiroshi sah, nachdem der Direktor geendet hatte, „Dir ist schon bewusst, dass, egal welcher Grund nun wahr ist, du einen Fehler begangen hast. Oder? Gewalt ist nie eine Lösung.“ Der Blonde schluckte: „Si-sicher. Aber ich kann doch nicht zulassen, wenn irgendwelche Idioten auf anderen herumtrampeln… und erst recht nicht, wenn sie dann auch noch andere verletzen, die nur helfen wollen. Außerdem ist es ja nun nicht so, als hätte ich zugeschlagen oder so. Ich hab nur den Ball zurückgekickt, vielleicht etwas zu doll, aber…“ „Etwas!? Sieh dir meinen Jungen an!“, schimpfte wieder die Mutter des Schülers. „Es war nicht meine Absicht sein Gesicht zu treffen, der Ball war abgeprallt“, verteidigte sich Hiroshi. „Egal ob beabsichtigt oder nicht… es war ein Fehler“, mahnte sein Vater jedoch nur ernst. Der blonde junge Mann wusste, worauf der Ältere hinauswollte, weshalb er leise knurrte und sich dann im Sitzen vor dem Schüler verbeugte: „Es tut mir leid.“ „Senpai…“, kam es nur leise von Ryu. Wieder erklang ein Lachen: „Nun seien Sie nicht so streng, Makoto-san. Die Jugend muss lernen ihre Probleme untereinander zu lösen.“ „Arabai-san, ich verstehe, was Sie meinen. Jedoch muss eben diese Jugend auch lernen, dass sie mit Konsequenzen zu rechnen hat, wenn sie einen Fehler begeht. Gewalt ist, wie ich bereits sagte, keine Lösung und dabei spielt die Art der Gewalt keine Rolle. Wenn man sie einfach gewähren lässt, dann lernt die Jugend, dass sie mit allem durchkommen kann. Und dann haben Sie irgendwann das Problem, dass ihre Kollegen bei der Polizei ständig ausrücken müssen, um irgendwelche Gewalt- und Straftäter zu fassen. Und die landen dann bei mir und ich muss sie aus dieser Lage irgendwie herausboxen. Meinen Sie nicht, dass man solche Probleme nur an der Wurzel beseitigen kann, indem man früh präventiv dagegen vorgeht“, holte Hiroki ziemlich weit aus und ließ Ryus Vater damit verstummen. Dann wandte er sich an die Eltern den verletzten Jungen: „Das gleiche gilt für Kinder, deren Eltern über alle Fehler ihrer Kinder hinwegsehen. Aus juristischer Sicht ist auch Mobbing Gewalt und kann strafrechtlich verfolgt werden, vor allem wenn es auch zu körperlicher Gewalt kommt.“ „Wollen Sie meinem Sohn etwa auch unterstellen, dass er andere mobbt?“, fragte die Frau erneut mit extrem hoher Stimme, „So eine Frechheit!“ „Ähm“, meldete sich nun Mrs. Masa zu Wort, „Wenn ich etwas anbringen dürfte.“ Alle Anwesenden sahen zu der jungen Lehrerin, welche ebenfalls ein Schreiben in der Hand hielt. Sie räusperte sich kurz und erklärte dann, dass Ryu zusammen mit einer älteren Schülerin vor einiger Zeit ins Lehrerzimmer kam und ihr berichteten, dass der Jüngere immer wieder Opfer von Mobbing und Gewalt wurde. Sie habe deshalb versucht mit seinem Klassenlehrer darüber zu sprechen, doch dieses Gespräch verlief ins Leere. Daraufhin zuckte genannter Lehrer zusammen, während alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Plötzlich jedoch stand Ryus Vater auf. „Moment mal. Soll das heißen, das Mobbingopfer, um das es hier geht, soll Ryu sein?“, fragte er wütend, „Stimmt das Ryu?“ Angesprochener zuckte ängstlich zusammen, sagte jedoch nichts dazu. „Arabai-san, seien wir mal ehrlich. Was haben Sie geglaubt, wieso auch Ihr Sohn und Sie geladen sind? Wenn es nur um eine Zeugenaussage gegangen wäre, dann hätte es gereicht, wenn sich Arabai-kun kurz vorher schriftlich geäußert hätte“, sagte Hiroki ernst. „Halten Sie sich da raus! Ryu, stimmt es was hier gesagt wurde?“, fragte der kräftige Mann noch einmal nachdrücklicher, woraufhin Angesprochener nur leicht nickte. „D-du wurdest doch schon davon unterrichtet. Da-damals wurde einfach nur behauptet ich würde Lügen verbreiten, w-weil ich mich nicht integrieren könnte. I-ich habe versucht mit dir darüber zu sprechen. Aber du…“, der junge Mann machte eine kurze Pause und sah seinen Vater dann verzweifelt an, „Aber du hast mir gar nicht zugehört und nur gemeint, dass ich mich nicht so haben und meine Probleme selber lösen soll, anstatt irgendwelche Lügen zu erzählen. Aber ich kann das nicht! Ich bin körperlich nicht so stark, wie Hiroshi-senpai oder diese Idioten! Ich habe versucht mich zu wehren, aber es hat nur dazu geführt, dass es schlimmer wurde! Und ich habe versucht ihnen aus dem Weg zu gehen, was aber auch nicht funktioniert hat. Und das letztens kam nur dazu, weil sie vorher Mirâ-senpai bedroht hatten. Ich wollte ihnen sagen, dass sie sie in Ruhe lassen sollen. Daraufhin haben sie mich mit dem Ball beschossen. Weil zwei aus dem Fußballclub dabei waren, die echt einen starken Schuss draufhatten, konnte ich den gar nicht abwehren. Und nur weil Mirâ-senpai am Ende versucht hat mich zu beschützen hat sich auch Hiroshi-senpai eingemischt. Deshalb kam es zu dieser Situation. Aber das interessiert dich ja nicht…“ Vollkommen perplex sahen alle Anwesenden den Rotbraunhaarigen an, welcher mittlerweile auf seine Hände sah, die sich in seine Hose krallten. Auch sein Vater schien nicht genau zu wissen, was gerade geschehen war und wie er darauf reagieren sollte. Stattdessen setzte er sich nur hin und wischte sich über das Gesicht. Der Direktor hatte mittlerweile ein Taschentuch herausgeholt und wischte sich damit den Schweiß von der Stirn: „Ähm ja…“ „Wie es scheint liegt da einiges im Argen, werter Direktor. Und ich würde Ihnen empfehlen, diese und ähnliche Angelegenheiten schnell zu lösen und nicht unter den Teppich zu kehren. Sie sehen ja, wohin das führt. Sie sollten auch mit den anderen Schülern und deren Eltern ein ernstes Gespräch führen“, merkte Hiroki ernst an und blickte dann zu den empörten Eltern ihm gegenüber, „Und Ihnen empfehle ich, Ihrem Sohn Respekt beizubringen und ihm nicht alles durchgehen zu lassen. Mobbing ist kein Kavaliersdelikt. Eigentlich würde ich auf einen Schulverweis appellieren, allerdings hat mein Sohn genauso einen Fehler begangen und deshalb wäre es nur gerecht, wenn beide eine verkraftbare Strafe bekommen würden.“ Mit großen Augen sah Hiroshi seinen Vater an, doch bevor er etwas sagen konnte meldete sich bereits Mrs. Masa zu Wort: „Ja also, was die Strafe für Makoto-kun angeht… Narukami-sensei hat sich zwar für ihn eingesetzt, aber dadurch hat auch Itoki-sensei, der Trainer des Fußballclubs mitbekommen was passiert ist. Er hat entschieden, dass Makoto-kun aufgrund dessen zum Turnier in Inaba als Spieler gesperrt ist und nur als Unterstützung mitreisen darf.“ „WAS!?“, sprang der blonde junge Mann auf. Auch wenn Narukami-sensei ihn bereits vorgewarnt hatte, so traf ihn diese Entscheidung ziemlich hart. Die letzten Monate hatte er wie verrückt trainiert, um für das Turnier in Topform zu sein. Und nun sollte er nicht daran teilnehmen dürfen? Und dass nur, weil er sich gewehrt hatte. Das war doch unfair. Er wollte protestieren, doch sein Vater hielt ihn erneut zurück. „Lass gut sein. Sei froh, dass es nur das ist. Wäre dir ein Schulverweis lieber? Du weißt, was dann los wäre“, mahnte dieser. Der Oberschüler zuckte zusammen und schluckte schwer, bevor er sich wieder hinsetzte, dabei aber den Blick gesenkt hielt. Besorgt wurde er von der Seite von Ryu beobachtet, welcher nun ein schlechtes Gewissen hatte. Immerhin war er schuld daran, dass es so weit gekommen war. Wenn er doch nur stärker gewesen wäre. Schnell schüttelte er den Kopf. Er durfte nicht wieder in alte Muster verfallen. Trotzdem tat es ihm leid. Irgendwie musste er das wieder gut machen. Die Frage war nur wie. „Damit wäre das schon einmal geklärt“, sprach der Direktor und wandte sich dann an die Eltern des anderen Schülers, „W-Was die Strafe für Ihren Sohn angeht, so werden wir uns noch einmal beraten und es spätestens am Montag bekannt geben. Von einem Schulverweis werden wir aber vorerst absehen. Wie Makoto-san schon angemerkt hatte, sind beide nicht ganz unschuldig. Sollte jedoch bekannt werden, dass das Mobbing nicht endet, werden wir andere Schritte einleiten müssen.“ Wütend erhob sich die hysterische Frau und zog dabei ihren Sohn mit sich. Während sie sich unter den Blicken der restlichen Anwesenden die Jacke anzog, ließ sie sich lautstark über die Unverschämtheit aus und merkte an, dass dies noch Konsequenzen für die Schule haben würde. Kurz darauf war sie mit Sack und Pack aus dem Büro gestürmt. Seufzend erhob sich nun auch Hiroki und griff sich seinen Mantel, bevor er seinem Sohn auf die Schulter klopfte und ihm damit bedeutete, dass sie nun auch gehen würden. Höflich verabschiedete sich der Brünette von den anderen und verließ gemeinsam mit Hiroshi das Zimmer, um sich auf den Heimweg zu machen. Der junge Mann schwieg die gesamte Heimfahrt über und starrte nur aus dem Fenster auf die an ihm vorbeifliegenden Gebäude. Auch Hiroki sagte nichts zu der Situation und ließ den Blonden schmollen. Es brachte ohnehin nichts darüber zu diskutieren. Dem war sich auch Hiroshi bewusst. So betraten beide Männer eine dreiviertel Stunde später die Wohnung. Während Hiroki seine Schuhe abstellte und den Schlüssel auf der Garderobe verstaute, blieb sein Sohn noch wie angewurzelt im Eingangsbereich stehen. Der Ältere schenkte ihm einen Seitenblick, während er den Mantel auszog und ordentlich weghängte. „Ich weiß, dass das bitter für dich ist, Hiroshi. Aber diese Pille musst du nun schlucken“, sagte er dann ruhig, „So läuft das in unserer Gesellschaft nun einmal. Mir ist bewusst, dass du es nur gut gemeint hast. Du bist niemand, der andere einfach grundlos verletzt. Wahrscheinlich war es nicht mal deine Absicht ihn zu treffen, jedenfalls hoffe ich das, aber es ist nun einmal passiert. Du kannst froh sein, dass du nicht von der Schule fliegst.“ „Ach halt die Klappe!“, schrie Hiroshi und ließ den Älteren damit zusammenzucken. Wütend schlüpfte der Blonde aus seinen braunen Lederslippern und drängelte sich an seinem Vater vorbei: „Du hast ja keine Ahnung! Ihr Erwachsenen kotzt einen wirklich nur an! Kein Wunder, dass niemand mehr Zivilcourage zeigt!“ Damit war er durch den Gang gestampft und mit einem lauten Knall in seinem Zimmer verschwunden. Hiroki sah ihm nach, bevor er seufzend die Schuhe seines Sohnes richtete und dann ins Wohnzimmer trat. Kapitel 134: CXXXIV – Aussprache -------------------------------- [~Freitag, 09.Oktober 2015~] [*Abend*] Mit knirschenden Geräuschen fuhr das schwarze Auto langsam die lange Einfahrt des Anwesens entlang und hielt nach wenigen Minuten vor einem, aus dunklem Holz bestehenden, Garagentor. Der Motor stoppte, woraufhin sich die Fahrertür öffnete und eine große, kräftige Person ausstieg. Mit strengem Blick sah diese noch einmal zurück zu dem jungen Mann auf dem Beifahrersitz, welcher in seine Gedanken versunken aus dem Fenster starrte; dabei die Kapuze über seine rotbraunen Haare gezogen, die ihm tief ins Gesicht hing. Ein verstimmtes Brummen ließ ihn zusammenzucken und daraufhin ebenfalls das Auto verlassen, bevor er dem älteren Mann folgte, der sich geradewegs auf den Weg zum Eingang des Wohnhauses machte. Seine schweren Schritte wirkten unglaublich laut in der Stille, welche nur durch das leise rascheln der im Wind wehenden Blätter unterbrochen wurde, während seine Begleitung nur kraftlos hinter ihm her hatschte. Sie schwiegen. Keiner von beiden hatte ein weiteres Wort verloren, seit sie gemeinsam die Jûgôya High School verlassen hatten. Ryu hatte sich gar nicht getraut seinen Vater anzusprechen, ganz zu schweigen davon, dass er auch gar nicht mit ihm reden wollte. Er würde es ja sowieso nicht verstehen. Auch sein Gegenüber schien nicht in der Stimmung zu sein ein Gespräch anzufangen. Über diesen Umstand war der Oberschüler allerdings auch nicht böse, denn er vermutete, dass sein Vater sowieso nur ausgeflippt wäre. Darauf lief es immer hinaus. So betraten beide schweigend das Haus und wurden daraufhin herzlich von Ryus Mutter begrüßt, welche jedoch sofort einen besorgten Blick aufsetzte, als sie die beiden Männer sah. Ryu und sein Vater standen noch einen Moment schweigend im Eingangsbereich des Hauses, ohne sich zu bewegen; der Jüngere jedoch einen gebührenden Abstand zu dem Älteren haltend und dabei den Blick gen Boden gerichtet. Die schwere Eingangstür fiel ins Schloss, als sein Vater endlich seine Stimme wiedergefunden zu haben schien: „Erklär mir das, Ryu!“ Der harsche Ton ließ den Oberschüler zusammenzucken und noch etwas mehr in sich zusammenschrumpfen. Er versuchte etwas zu sagen, doch jedes Wort blieb in seinem Hals stecken und er wusste auch genau wieso: Er hatte Angst. Sein Vater war unberechenbar, wenn er wütend wurde und das wusste der Rotbraunhaarige ganz genau. Und doch wusste er auch, dass es so nicht weitergehen konnte; dass er nicht ewig schweigen und alles herunterschlucken konnte. Er musste sich äußern, doch egal was er versuchte, sein Mund blieb versiegelt. Ein abwertendes „tze“ war zu vernehmen, während sich der Polizeichef wieder umdrehte: „Ich bin enttäuscht von dir. Aber was habe ich mir erwartet? In jemanden, der nichts alleine auf die Reihe bekommt und sich ständig auf andere verlässt, hätte ich nicht so viele Hoffnungen setzen sollen.“ „Liebling!“, kam es mahnend von seiner Frau, welche jedoch wieder verstummte, als sie den Blick ihres Mannes erkannte. Auch Ryu sah seinen Vater schockiert an und wünschte sich, er hätte sich nur verhört. Doch er kannte den Mann vor sich ganz genau und wusste dadurch auch, dass das, was er gerade gehört hatte, vollkommen ernst gemeint war. Ein Zittern ging durch seinen Körper, als plötzlich eine unbändige Wut in ihm aufstieg. Wut auf seinen Vater, der nur immer wieder versucht hat sich selbst auf ihn zu projizieren. Wut auf seine Mutter, die es nicht schaffte ihrem Mann einmal kontra zu geben. Wut auf diese Idioten in der Schule, die, um sich selbst stark zu fühlen, immer wieder auf ihn losgingen. Und Wut auf sich selbst, weil er nun einmal nicht so stattlich gebaut und mental stark war, wie sein Vater, um sich gegen diese Schikane zu wehren. Aus Reflex hatte er nach dem Bund seiner Kapuze gegriffen und diese noch weiter ins Gesicht gezogen, während er sich regelrecht an den Stoff krallte. Er versuchte dieses aufkommende Gefühl zu unterdrücken; die Worte zu schlucken, die sich in ihm aufstauten. Doch egal was er versuchte, er konnte es nicht mehr aufhalten. „Es tut mir leid!“, schrie er seinen Vater plötzlich an, welcher in seiner Bewegung erstarrt war, ihm jedoch keines weiteren Blickes würdigte, „Es tut mir leid, dass ich nicht der ideale Sohn bin, den du dir wünscht! Es tut mir leid, dass ich nicht so kräftig gebaut bin wie du! Es tut mir leid, dass ich mental schwach bin! Ich entschuldige mich für alles, wenn du das willst. Aber ich werde mich garantiert nicht dafür entschuldigen, dass ich mich endlich auf andere verlassen kann!“ Nun endlich kam wieder Bewegung in den Körper des Älteren und er blickte leicht über seine Schulter zu seinem Sohn. Dieser sah ihn wütend, aber entschlossen an und sprach dann weiter: „Ja, es stimmt. Ich werde in der Schule gemobbt. Und ich habe versucht mir deinen Rat zu Herzen zu nehmen und selbst aus der Situation herauszukommen. Aber egal was ich gemacht habe, es wurde nur schlimmer. Aus diesem Grund bin ich auch immer und immer wieder zu dir gekommen. Ich wollte deine Hilfe! Deine Unterstützung! Du aber hast mir gar nicht zugehört. Stattdessen hast du mich immer wieder mit den Worten weggeschickt, dass ich mich selbst um meine Probleme zu kümmern habe. Weil du wichtigeres zu tun hättest, als dich um die Probleme eines pubertierenden Teenagers zu kümmern. Ich war verzweifelt… und dann wurde mir Hilfe angeboten. Und obwohl ich die Hand, die mir geboten wurde, immer und immer wieder weggestoßen habe, unterstützen mich diese Personen nun. Endlich habe ich Freunde gefunden! Und immer wieder bringe ich sie mit meiner Art in Schwierigkeiten…“ Ryu machte eine kurze Pause, um Luft zu holen, während er sich ganz langsam wieder entspannte und wieder gen Boden sah. Sich den Frust von der Seele zu schreien tat wirklich gut, auch wenn er wusste, dass er es am Ende bereuen würde. Mittlerweile hatte er seine Hände von seiner Kapuze gelöst und sinken lassen. Nun krallten sie sich an den Saum seines Pullovers. Noch immer zitterte er, doch seine Stimme war nun ziemlich gefasst, als er weitererzählte: „Aber was erzähle ich dir das eigentlich? Egal was ich zu dir sage, es interessiert dich nicht. Ich bin dir nämlich vollkommen egal. Es geht dir nur um dich und deinen scheiß Ruf. Dafür missbrauchst du sogar deine Macht, um irgendwelche Polizisten abzustellen, die mich überwachen.“ Die Holzdielen knacksten bedrohlich, als sich sein Vater mit einem Male umdrehte. Ryu jedoch schaffte es noch nicht einmal den Blick zu heben, bevor ihn plötzlich ein mächtiger Schlag an der Wange traf, der ihn regelrecht gegen die Eingangstür schleuderte. „Liebling!“, hörte er die entsetzte Stimme seiner Mutter, als ihm bewusstwurde, was gerade passiert war. „Nach all dem Ärger wirst du nun auch noch aufmüpfig…“, ertönte die tiefe Stimme seines Vaters. Nun endlich hob Ryu wieder den Blick und sah seinen Vater wieder direkt in die Augen. Dieser zuckte nun auch zurück, als er das erste Mal die klaren, entschlossenen Augen seines Sohnes sah. Der Oberschüler erhob sich, jedoch ohne ein weiteres Wort zu sagen und verließ dann das riesige Anwesen. Zwar hörte er noch, wie der Polizeichef wütend nach ihm rief, doch das ignorierte er. Er wollte nun einfach nur alleine sein; seine Ruhe haben. Schnellen Schrittes überquerte er das große Anwesen, lief durch das offene Eingangstor und bog dann nach links ab; dabei vollkommen den Kommissar ignorierend, welcher eigentlich dafür abgestellt war, darauf aufzupassen, dass er nicht abhaute. ~*~*~*~ „Soll ich dich wirklich nicht begleiten, Akane?“, fragte Yasuo zum wiederholten Male, als sich Akane von ihm verabschiedete. Angesprochene grinste ihn nur an: „Nein. Alles gut, Senpai. Du weißt doch, ich bin ein starkes Mädchen. Außerdem bist du doch sicher erschöpft. Wir sehen uns dann Morgen früh. Bis dann.“ Bevor der Ältere erneut die Gelegenheit ergreifen konnte, sie zu fragen, drehte sich die Brünette um und machte sich schnellen Schrittes auf den Heimweg. Sie fand diese Geste ja eigentlich ganz süß und wenn sie ehrlich war, hätte sie sich sogar über seine Begleitung gefreut. Doch dann wäre es ihr am Ende noch schwerer gefallen sich von ihm zu trennen und Nachhause zu gehen. Wäre es nach ihr gegangen, dann wäre sie am liebsten bei ihm geblieben. Sie hätte niemals gedacht, dass sie einmal jemanden finden würde, der ihr so wichtig war. „Urgh verdammt…“, alleine der Gedanke daran sorgte dafür, dass ihr die Scham ins Gesicht stieg, weshalb sie sich ihre kalten Hände an die Wangen legte, „Beruhige dich…“ Sie musste sich wieder beruhigen, bevor sie Zuhause ankam. Wenn sie mit einem so roten Gesicht durch die Tür kommen würde, dann würde ihr Vater sie nur wieder mit unangenehmen Fragen löchern. Sein Verhalten erinnerte Akane immer an eine überfürsorgliche Glucke, die auf ihre Küken aufpasste. Und auch wenn sie das Bild wirklich lustig fand, so war die wirkliche Situation recht unangenehm. Dabei hatte ihr Vater an sich nichts gegen diese Beziehung. Zwar war er am Anfang etwas geschockt, hatte sich jedoch ziemlich schnell wieder gefangen, als er erfahren hatte, dass Yasuo Medizin studieren wollte. Damit hatten sie wohl einfach einen gemeinsamen Punkt, was an sich beruhigend war. Doch sobald es darum ging, dass sie und Yasuo alleine waren, wurde ihr Vater richtig belastend. Ständig rief er sie an und fragte, was sie gerade machten, was sogar dazu führte, dass er seine Arbeit vernachlässigte. Zum Glück holte ihn ihre Mutter dann wieder zurück auf den Boden der Tatsachen, ansonsten würde es wohl bald mit der Praxis bergab gehen. „Hah“, seufzte die junge Frau und strich sich durch die Haare, „Oh man…“ Sie wollte gerade in eine der Nebenstraßen einbiegen, welche eine Abkürzung zu ihrem Heim war, als sie abrupt stehen blieb und überrascht auf die Person vor sich schaute. Diese blieb ebenso plötzlich stehen und sah sie ebenfalls mit großen Augen an. „Akane-senpai“, sagte Ryu überrascht, als er die junge Frau vor sich erkannte, „W-Was machst du hier?“ Angesprochene stemmte die Hände an die Hüfte und grinste schief: „Das könnte ich dich auch fragen, Ryu. Hm…?“ Plötzlich sah die junge Frau auf, als sie eine Bewegung hinter dem Jüngeren bemerkte und packte diesen an den Schultern, um ihn hinter sich zu schieben. Daraufhin nahm sie eine verteidigende Kampfhaltung ein und wartete darauf, dass die Person, welche dem Erstklässler gefolgt zu sein schien, aus dem Schatten trat. Verblüfft sah der Rotbrünette erst zu der Älteren, ehe er an ihr vorei blickte und dann jemanden erkannte, welcher nun in das Licht einer Laterne trat. Dabei handelte es sich um einen groß gewachsenen Mann mit dunkelbraunen, kurzen Haaren, welcher in einen langen dunkelgrauen Mantel gekleidet war. Erst, als sie sah, um wen es sich handelte, ließ Akane ihre Deckung fallen. „Hirota-ji“, sagte sie nur erstaunt, woraufhin sie jedoch einen irritierten Blick ihres Kohais kassierte, den sie jedoch nicht bemerkte. Lächelnd nahm der Kommissar seine Hände aus der Manteltasche und hielt diese beschwichtigend nach oben: „Da wurde ich doch erwischt… meine Spionage-Skills waren auch mal besser…“ Er trat an die beiden Oberschüler heran und blieb kurz vor ihnen stehen: „Es ist lange her, Akane-chan. Bei unserer letzten Begegnung habe ich dich gar nicht erkannt.“ „Ich war genauso überrascht…“, meinte die Brünette und sah dann kurz über ihre Schulte, „Ach so… du bist als Ryus Aufpasser hier. Oder?“ Der Brünette nickte: „Ja und ich muss Ryu-kun leider bitten mit mir mitzukommen. Ehrlich gesagt habe ich keine Lust auf Babysitten, aber meinen Job will ich erst recht nicht verlieren.“ Ryu schnalzte mit der Zunge: „Mein Vater ist ein ziemlich egoistischer Mistkerl… Sie haben sicher besseres zu tun, als mir nachzulaufen, Makoto-san.“ „Hah… das stimmt… aber wie gesagt, es ist aktuell mein Job…“, der Kommissar verschränkte die Arme vor der Brust, „Also dürfte ich dich bitten, Ryu-kun?“ Bevor der Angesprochene reagieren konnte, schob sich Akane noch ein Stückchen mehr zwischen die beiden Männer. „Hirota-ji, könntest du Ryu noch ein paar Minuten geben? Ich würde mich gerne kurz mit ihm unterhalten. Alleine, wenns geht…“, bittend schlug die junge Frau die Hände zusammen und sah ihren Bekannten mit bettelndem Blick ab. Dieser schwieg einen Moment und starrte sein Gegenüber nur an, bevor er sich mit einem tiefen Seufzen im Nacken kratzte und den beiden Oberschüler eine halbe Stunde zusprach. Gesagt getan. Wenige Minuten später saßen die beiden Schüler auf einem kleinen Spielplatz, welcher in der Nähe war, auf den dort stehenden Schaukeln. Der Kommissar hatte sich in gebührendem Abstand positioniert, ließ die beiden jedoch nicht aus den Augen. Ryu riskierte einen kurzen Blick über seine Schulter, ehe er versuchte ein Gespräch zu eröffnen: „Makoto-san und du… woher kennt ihr euch?“ „Hm? Na er ist Hiroshis Onkel. Daher“, kam die Antwort recht flott, „Als wir Kinder waren hat er manchmal auf uns aufgepasst und mit uns gespielt.“ „Hiroshi-senpai und du… kennt ihr euch schon sehr lange?“, kam die nächste Frage. „Ja“, mit einem Tritt schob sich Akane ab und begann etwas hin und her zu schaukeln, „Seit dem Kindergarten.“ Ryu nickte nur, während er seine Schuhe betrachtete. Die junge Frau neben ihm beobachtete ihn einen Moment. Dabei fiel ihr auch die rote und leicht geschwollene Wange des Jüngeren auf. „Was ist eigentlich mit deiner Wange passiert?“ Ertappt zuckte der Erstklässler zusammen und berührte dann vorsichtig die rote Stelle in seinem Gesicht, was ihn erneut zusammenzucken ließ. Doch ansonsten schwieg er. „Hat es etwas damit zu tun, dass du heute zum Direktor musstest?“, plötzlich traf sie ein fragender Blick, „Ich hab dich gesehen, wie du, in Begleitung eines echt furchteinflößenden Mannes, dorthin gegangen bist. Hat es etwas mit dem Vorfall zu tun, der sich vor einiger Zeit ereignet hat? Ich weiß zwar nicht genau was passiert ist, aber ich habe gehört, dass ein jüngerer Schüler verletzt worden sei.“ Ryu schwieg noch immer, doch nickte dann und begann zu erzählen, was passiert war. Dabei ließ er kein Detail aus, was vor allem Akane dazu verleitete plötzlich rabiat mit ihren Schuhen zu bremsen und ihn geschockt anzusehen. „Hiroshi hat echt nen jüngeren Schüler abgeschossen? Einen von den Idioten, die dich immer fertig machen? Und die Typen hatten Mirâ vorher bedroht?“, kamen Fragen über Fragen, während ihr Blick etwas gedankenverloren auf den Boden wanderte, „Deshalb… ich hatte mich schon gewundert, wieso Mirâ den einen Tag den Nachmittagsunterricht geschwänzt hatte. Hiroshi meinte zwar, ihr ginge es nicht gut, aber sie wollte mir auch nicht sagen, was passiert war. Und dann sowas… Hiroshi dieser Idiot. Er hätte sich ja auch mal etwas zurückhalten können.“ Die letzten Sätze hatte die Brünette nur genuschelt. Sie verstand ja den Standpunkt des Blonden. Wahrscheinlich hätte sie sogar ähnlich reagiert und die Typen mit ihren Judokünsten umgenietet, aber dass er nicht einmal soweit dachte, was die Konsequenzen sein würden, ärgerte sie. Er konnte wirklich von Glück reden, dass sein Vater ihn da halbwegs rausgeboxt hatte. Es hätte schlimmer kommen können. Wobei sie sich vorstellen konnte, dass das aktuell für ihren Sandkastenfreund trotzdem wie ein Weltuntergang sein musste. Immerhin war Fußball seine große Leidenschaft. Jetzt gesperrt zu sein… da brach sicher eine Welt zusammen. Andererseits hatte er es für seine Freunde getan. Sie wusste, dass er Unrecht nicht mitansehen konnte; und auch nur zu gut, wieso. „Ehrlich gesagt…“, holten sie Ryus Worten wieder aus ihren Gedanken und ließen sie wieder zu dem Jüngeren sehen, „Ich mache mir Vorwürfe deshalb… immerhin habe ich Mirâ-senpai und Hiroshi-senpai erst durch meine kopflose Aktion in diese Situation gebracht. Dabei wollten sie mir nur helfen. Und nun wurde Hiroshi-senpai so hart bestraft. Ich verstehe nicht, wieso er so etwas in Kauf nimmt, nur um jemanden wie mir zu helfen.“ Die Zweitklässlerin schwieg einen Moment, während sie ihren Kohai beobachtete und überlegte, ob sie das Folgende wirklich erzählen sollte. Doch andererseits würde er es sowieso irgendwann herausfinden, wenn Hiroshi es ihm nicht eh bald erzählen würde. Sie wandte ihren Blick wieder ihren Füßen zu, mit welchen sie nun begann sich wieder leicht abzustoßen, jedoch ohne den Kontakt zum Boden dabei zu verlieren: „Ich glaube es wäre egal gewesen, ob du es warst, ein anderer von uns oder einfach nur eine wildfremde Person, die Hilfe benötigte. Er hätte in dieser Situation für jeden so reagiert. So ist er einfach. Hiro kann nicht mit ansehen, wen andere gemobbt werden. Weil er weiß, wie sich das anfühlt.“ Überrascht sah der Jüngere nun zu seiner Senpai, welche weitersprach: „Hiroshi wurde früher auch sehr übel gemobbt. Wie übel es am Ende wirklich war habe ich auch erst letztens erfahren. Wenn man ihn jetzt sieht kann man sich das gar nicht vorstellen. Oder?“ Sie schenkte Ryu ein gequältes Lächeln und unterstrich damit ihre Worte mehr denn je, worauf der junge Mann dann auch nichts zu erwidern wusste, als zu nicken. „Aber genau aus diesem Grund weiß er besser, als jeder andere, wie sich jemand fühlt, der schikaniert wird. Deshalb solltest du dir keine Gedanken darüber machen, wieso er gerade dich beschützt hat. Ganz davon abgesehen, dass du ruhig etwas mehr in dir selbst sehen könntest. Was heißt hier „gerade mich“? Du bist unser Freund und ein wichtiges Teammitglied. Egal was kommt, wir stehen hinter dir. Ich kann es nicht oft genug sagen, aber du kannst uns jederzeit um Hilfe bitten, wenn du sie benötigst. Und du brauchst dir auch keine Gedanken über irgendwelche Gegenleistungen zu machen. So etwas brauchen wir nicht, denn wir sind alle Freunde. Wir helfen uns gegenseitig. Ne?“ Mit großen Augen sah Ryu Akane an und brauchte eine Weile, bis ihre Worte richtig zu ihm durchgedrungen waren. Er musste schwer schlucken, denn ehrlich gesagt hätte er beinahe vor Freude losgeweint. Solche Worte von jemandem zu hören freute ihn so unendlich, da er nun endlich das Gefühl hatte, einen Ort für sich gefunden zu haben. Noch einmal schluckte er, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken, bevor er der Älteren ein breites Grinsen schenke und nickte: „JA!“ „Ich unterbreche euch nur ungern, aber die Zeit ist um“, kam nun Hirota wieder auf die beiden Oberschüler zu, welche sich ihm überrascht zuwandten. „Schon gut“, mit Schwung sprang Ryu von der Schaukel, „Wir sind eh fertig. Akane-senpai, ich danke dir für deine lieben Worte. Das hat mir wirklich geholfen.“ Angesprochene lächelte und erhob sich ebenfalls von der Schaukel: „Gern.“ „Sollen wir dich noch Nachhause begleiten, Akane-chan?“, fragte der Erwachsene, „Es ist schon spät und dunkel…“ Die Hände hinter den Rücken verschränkt, drehte sie sich dem Älteren grinsend zu und schüttelte den Kopf: „Nein, aber danke für das Angebot. Ich wohne gleich um die Ecke. Außerdem mache ich Judo, ich weiß mich also zu verteidigen. Ganz davon abgesehen, würden meine Eltern nur dumme Fragen stellen. Also dann, Ryu. Komm gut heim und versuch deine Wange zu kühlen. Das sieht echt schlimm aus.“ Sie wandte sich von den beiden Männern ab, doch warf dann noch einmal einen Blick über ihre Schulter: „Hirota-ji, ich verstehe, dass du deinen Job nicht verlieren willst, aber du solltest auch an deine Familie denken.“ Noch ehe Hiroshis Onkel reagieren konnte, hatte sich die junge Frau endgültig von ihm abgewandt und war gegangen, während Angesprochener kurzzeitig etwas perplex wirkte, sich jedoch schnell wieder fing und dann seine Aufsichtsperson nachhause begleitete. Kapitel 135: CXXXV – Das Gefühl der Freundschaft ------------------------------------------------ [~Samstag, 10.Oktober 2015~] [*Mittag*] „Also dann Mirâ, bis später“, verabschiedete sich Akane von ihrer besten Freundin. Diese wünschte ihr nur viel Spaß, ehe die Brünette aus dem Klassenraum verschwunden war. Mit leicht besorgtem Blick sah Mirâ ihr nach. Gleich am frühen Morgen, als sie die Schule betreten hatte, war Akane auf sie zugekommen und hatte sie auf den Vorfall im Treppenhaus angesprochen, als sie von den Schülern aus dem ersten Jahr bedroht wurde. Ryu hatte ihr wohl am gestrigen Abend davon erzählt, als sie ihn zufällig traf. Eigentlich hatte Mirâ das Ganze für sich behalten wollen, weil sie ihrer besten Freundin keine Sorgen bereiten wollte. Doch nun war die Katze aus dem Sack. Und dazu auch noch der Umstand, dass Hiroshi einen Schüler aus dem ersten Jahr verletzt hatte, weil er sie und Ryu verteidigen wollte. Diesbezüglich wollte die Brünette auch noch das Gespräch mit ihrem Sandkastenfreund suchen, hatte es jedoch gelassen, als ihr seine schlechte Laune aufgefallen war. Mirâ vermutete, dass es daran lag, dass der Direktor am Vorabend zur Anhörung gerufen hatte. Jedenfalls würde das erklären, wieso Hiroshis Vater in der Schule erschienen war. Wahrscheinlich hatte ihr blonder Kumpel daraufhin mächtigen Ärger bekommen und war deshalb so mies drauf. Verständlicherweise. Ihm wurde ja bereits eine Strafe angekündigt und wie es schien fiel diese nun doch schlimmer aus, als gedacht. Dabei hatte die Violetthaarige darauf gehofft mit ihrer Aussage etwas daran ändern zu können. Sie hätte Hiroshi gerne gefragt, was nun herausgekommen war, jedoch wusste sie nicht, wie sie ihn ansprechen, geschweige denn aufmuntern konnte. Sie seufzte tief und holte ihr Bentô aus der Tasche, während sie überlegte, mit wem sie die Pause verbringen sollte. „Wollen wir zusammen Mittag essen?“, ließ sie eine männliche Stimme aufschrecken. Überrascht wandte sie sich der Stimme zu und erkannte daraufhin Hiroshi, welcher sie leicht anlächelte. Schmerzhaft zog sich plötzlich ihr Herz zusammen, als ihr auffiel, dass dieses Lächeln nur aufgesetzt und nicht ganz ernst gemeint war. Da ihr allerdings bewusst war, wieso sich der Blonde so verhielt, beließ sie es dabei und erwiderte das Lächeln freundlich. „Ja gerne. Heute ist es sehr angenehm draußen. Wollen wir vielleicht in den Hof gehen?“, fragte sie nach und bekam als Antwort ein Nicken. Daraufhin erhob sich die junge Frau und verließ gemeinsam mit ihrem Kumpel den Raum, um hinunter in den Innenhof zu gehen. Jedoch verfielen sie daraufhin sofort in einträchtiges Schweigen, weil Hiroshi in seinen Gedanken versunken war, während Mirâ überlegte, wie sie am besten ein Gespräch beginnen sollte. Mit Sicherheit war es keine gute Idee jetzt plötzlich nachzufragen, wie das Gespräch am Vorabend verlaufen war, zumal sie es sich eigentlich schon denken konnte. Wahrscheinlich würde sich damit seine Laune noch mehr verschlechtern. Kurz dachte sie daran eine lustige Anekdote aus ihrem Alltag zu erzählen, doch verwarf diesen Gedanken gleich wieder. Das wäre doch extrem merkwürdig. Ihr Kopf rauchte, während sie verzweifelt ein Thema für ein Gespräch suchte. Letzten Endes war es jedoch Hiroshi, der die Stille zwischen ihnen als Erster brach. „Akane verschwindet in letzter Zeit ziemlich oft und lässt dich alleine“, meinte er plötzlich. Überrascht sah die junge Frau zu ihrem Kumpel und tat es dann mit einem Lächeln ab: „Ach was. Ist doch schön, dass sie so viel Zeit mit Yasuo-senpai verbringen kann.“ „Dabei sollte sie aber ihre beste Freundin nicht vernachlässigen“, argumentierte der junge Mann jedoch nur. Mirâ senkte den Blick. Da war mit Sicherheit etwas dran, jedoch war es doch nicht anders zu erwarten gewesen. Eine Liebesbeziehung war immerhin etwas vollkommen anderes, als eine Freundschaft. Zumal sie an der Situation auch selber ein wenig mit Schuld war. Es war ja nicht so, als würde ihr Akane nicht immer wieder anbieten mit ihr und Yasuo gemeinsam zu speisen. Sie lehnte einfach nur meistens ab. Es war nicht so, dass sie keine Zeit mit beiden zusammen verbringen wollte, jedoch empfand sie sich selbst dann immer wie das fünfte Rad am Wagen und als Störfaktor. Dabei war es nicht einmal so, dass ihre Freunde ihr das Gefühl dazu geben würde. Sie banden sie so gut es ging in ihre Gespräche mit ein und verhielten sich auch allgemein nicht wie ein überverliebtes Pärchen. Und trotzdem schlichen sich diese negativen Gedanken in ihren Kopf und sie fühlte sich dann schlecht. Das machte sie schon ein wenig einsam, doch da sie auch noch andere Freunde hatte, mit denen sie die Pausen verbringen konnte, schluckte sie das Gefühl herunter. Trotzdem wünschte sie sich, dass sie wieder mehr Zeit mit ihrer besten Freundin verbringen könnte. „Du solltest ihr offen sagen, wie du dich fühlst. Manchmal ist Akane nämlich ein kleiner Trampel“, sprach Hiroshi weiter, den Blick starr nach vorne gerichtet. „Ach naja… aber danke für den Tipp. Ich werde es berücksichtigen“, tat Mirâ das Thema damit ab und sah den Blonden dann wieder etwas ernster an, „Und was ist mit dir? Du bist heute schon den ganzen Tag so schlecht drauf und ständig in Gedanken. Ich bin gestern Nachmittag deinem Vater begegnet. Er war auf dem Weg zur Schule. Hat es damit etwas zu tun?“ Sie erreichten den Innenhof der Oberschule und steuerten daraufhin eine Freifläche an, welche von mehreren Hochbeeten umgeben war, die allerdings schon bessere Tage gesehen hatten. Jedoch waren die Beete so gestaltet, dass man sie als Sitzbänke verwenden konnte. Hiroshi ließ sich auf einem davon nieder und seufzte schwer, während die Violetthaarige kurz das kleine Beet hinter ihm betrachtete und sich ihm dann wieder zuwandte. „Ja… gestern hat der Rektor zur Aussprache gebeten. Wegen der Sache neulich“, erzählte er daraufhin, sich den Nacken reibend. „Ehrlich gesagt konnte ich mir sowas schon denken. Ich musste gestern auch zum Rektor und ihm auch noch einmal erklären, wie ich die Sache sah“, sagte die Violetthaarige, „Deiner Laune nach zu urteilen fiel das Gespräch nicht sonderlich gut aus. Hab ich Recht?“ Ihr Kumpel starrte auf den Boden: „Ich wurde für das Turnier in Inaba gesperrt.“ „WAS!?“, sprang die junge Frau geschockt auf und ließ damit Hiroshi erschrocken zusammenzucken und zu ihr blicken, „Das ist doch unfair! Du hast nichts Unrechtes getan!“ Ein kleines, gequältes Lächeln legte sich auf die Lippen des jungen Mannes: „Leider doch… ich hab einen Schüler verletzt. Vergessen?“ „Aber doch nicht schwer!“, empörte sich die Zweitklässlerin, doch ihr Klassenkamerad zuckte nur mit den Schultern: „Leider sehen er und seine Eltern das anders… mir wurde gesagt, dass ich froh sein kann, dass es nur das ist und kein Schulverweis. Das ist ja auch richtig. Aber trotzdem kotzt es mich so dermaßen an…“ „Das versteh ich“, murmelte Mirâ und strich ihrem Kumpel beruhigend über den Rücken. Etwas anderes konnte sie gerade auch gar nicht machen. Egal was sie hätte sagen können, es änderte nichts an der Situation. Deshalb schwieg sie lieber und wartete darauf, dass sich ihr Kumpel wieder beruhigte. Ein Knacksen ließ die beiden Zweitklässler erschrocken aufschauen und zu Ryu blicken, der etwas verunsichert auf die beiden zutrat und dabei seine Füße beobachtete. Seine Hände klammerten sich um die Henkel eines kleinen Plastikbeutels, in dem sich offensichtlich gekaufte Lebensmittel befanden. Für einen Moment wirkte es so, als würde er mit sich hadern und überlegen, ob er den nächsten Schritt wirklich wagen sollte, doch dann verbeugte er sich plötzlich so unvermittelt, dass sie beiden Älteren etwas erschrocken zusammenzuckten. „Hiroshi-senpai, ich möchte mich entschuldigen!“, brach es aus dem Rotbrünetten heraus. „Ähm was?“, war das Einzige, was der Angesprochene nur hervorbrachte. Schnell hielt Ryu ihm den weißen Beutel entgegen: „Ich möchte mich entschuldigen. Meinetwegen wurdest du bestraft und deshalb… Ich weiß, dass es die Sache nicht ungeschehen macht, aber ich möchte, dass du das hier annimmst.“ Überrascht sahen seine beiden Teamkameraden auf die weiße Tüte, welche vor ihnen hin und her baumelte und wussten nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Es war offensichtlich, dass es dem Jüngeren leidtat, obwohl ihm Hiroshi bereits gesagt hatte, dass er sich darüber keine Gedanken machen sollte. Doch noch nie hatte der Blonde erlebt, dass sich jemand mit Sachgegenständen bei ihm entschuldigt hatte. Klar hatte er sich von Shuya öfters mal einladen lassen, wenn dieser Dummheiten gemacht hatte. Jedoch war das nie wirklich ernst gemeint gewesen, sondern eher Blödeleien unter Freunden. Diese Sache nun machte ihn deshalb mehr als Sprachlos und ehrlich gesagt wusste er gerade nicht, ob er das lustig finden oder wütend werden sollte. Was dachte sich der kleine Pimpf eigentlich dabei? Dass er käuflich war? Andererseits schien Ryu es nicht besser zu wissen, immerhin hatten ihn seine angeblichen Freunde ständig mit so etwas beschissen. Er sollte also nicht so hart mit ihm ins Gericht gehen. Also gab es ja nur eine Möglichkeit zu reagieren. Plötzlich brach er in schallendes Gelächter aus, während der sich die linke Hand über die Augen legte. Überrascht davon sahen sich Mirâ und Ryu kurz gegenseitig irritiert an, ehe sie wieder zu dem Blonden sahen, der den Jüngsten unter ihnen nun breit angrinste. „Du bist ne Marke, Ochibi. Ernsthaft“, lachte er anschließend und sorgte somit dafür, dass seine beiden Freunde vollends verwirrt waren. „N-nenn mich nicht immer Ochibi“, murrte Ryu, jedoch klang es eher wie eine Bitte, als eine Aufforderung, weshalb Hiroshi nur noch lauter lachen musste. Es dauerte einige Zeit, bis sich der Ältere wieder beruhigt hatte und den Rotbrünetten daraufhin wieder grinsend ansah: „Denkst du, du kannst mich mit sowas kaufen? Lass mal. Ist nett gemeint, aber bringt nichts.“ Betroffen senkte der Jüngste unter ihnen den Blick. Irgendwie hatte er es ja geahnt, immerhin hatte Akane am Vorabend schon gemeint, dass sie keine Gegenleistung für ihre Hilfe haben wollten. Trotzdem hatte er das Gefühl sich irgendwie revanchieren zu müssen. „Aber ganz davon abgesehen gibt es nichts wofür du dich entschuldigen müsstest“, ließ ihn Hiroshis Stimme wieder irritiert aufschauen, „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ein Danke viel effektiver ist, als eine Entschuldigung. Außerdem habe ich dir unsere Hilfe doch angeboten. Dass ich nun in dieser Lage bin ist meine eigene Schuld. Ich hätte den Ball ja auch danebenschießen können. Hätte nur wahrscheinlich nicht den gleichen Effekt gehabt. Es ärgert mich. Sicher. Aber ich bereue es nicht. Mir ist es wichtig, dass solche Typen kapieren, dass sie damit nicht ewig durchkommen. Manche lernen es leider nicht anders. Außerdem hat das ganze doch einen Vorteil, immerhin hat mein Vater dem Direktor ans Herz gelegt solche Sachen ernst zu nehmen. Wir können nur hoffen, dass es einen Effekt hat. Vorrangig natürlich, dass die Typen dich von nun an in Frieden lassen.“ Mit großen rehbraunen Augen starrte Ryu seinen Senpai an, der ihm nur ein breites Grinsen schenkte. Auch Mirâ lächelte unterdessen wieder. Allem voran, weil sie froh war, dass sich Hiroshis Laune wieder gebessert hatte, auch wenn der Grund dafür mehr als kurios war. Dieser erhob sich und ging auf den Kleineren zu, um ihm die Tüte abzunehmen: „Zeig doch mal, was du Feines mitgebracht hast… Oh Melonpan und Brot mit braunem Zucker. Holla… sogar Baumkuchen mit Matcha… sag mal. Bist du Krösus? Das muss doch ein Vermögen gekostet haben.“ „N-naja…“, murmelte Ryu etwas unsicher. „Tut mir leid, aber als Entschuldigung kann ich es nicht annehmen“, meinte der Größere, was sowohl Mirâ, als auch Ryu etwas schockierte. Jedoch grinste der Blonde daraufhin nur breit: „Aber als Dankeschön und Einladung mit uns essen zu wollen, nehme ich es gerne an.“ Überrascht sah der Erstklässler ihn an, während die Violetthaarige nun wieder lächelte. Hiroshi klopfte neben sich auf die Sitzgelegenheit: „Komm setz dich, Ochibi. Was möchtest du gerne haben? Kann ich den Baumkuchen haben? Mirâ was…“ Von dem Rest, den Hiroshi in diesem Moment von sich gab, bekam Ryu gar nicht mehr so wirklich mit, weil ihn so plötzlich ein angenehmes Gefühl überkam, was er bisher nicht gekannt hatte. Wieder spürte er, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, die er jedoch versuchte zu unterdrücken. In dem letzten Jahr, dass er bisher auf der Oberschule verbracht hatte, wurde er noch nie dazu eingeladen mit anderen zu essen. Geschweige denn die Dinge selbst zu essen, die er für andere gekauft hatte. Meistens hatten sie ihm die Tüte nur aus der Hand gerissen und ihn dann alleine stehen lassen. Und auch wenn er es immer vorhatte, so hatte er sich nie getraut diesen Leuten einfach zu folgen. Nun plötzlich eingeladen zu werden machte ihn so glücklich, dass er kurzzeitig tatsächlich vergaß was er als nächstes tun sollte. „Alles okay, Ochibi?“, holten ihn Hiroshis Worte aus den Gedanken, woraufhin er kurz den Kopf schüttelte und dann auf die beiden Älteren zutrat, „J-ja alles gut. Ist noch ein Melonpan da?“ Damit setzte er sich zu seinen beiden Teamkameraden und Freunden, welche ihm die Tüte reichten, aus der er sich eines der süßen Brötchen fischte. „Sag mal, Ryu… was ist eigentlich mit deiner Wange passiert?“, fragte Hiroshi, als sich die drei zum Ende der Pause wieder auf den Rückweg ins Schulgebäude machten, „Ich wollte es vorhin nicht ansprechen, aber die sieht ja echt böse aus. Waren das wieder diese Idioten?“ Zögerlich fasste sich der Jüngere wieder an die angesprochene Stelle und schüttelte dann den Kopf: „Nein. Das war… mein Vater.“ „Bitte was?“, kam es nur geschockt von den Zweitklässlern. Ryu nickte: „Nach dem Gespräch gestern, war er ziemlich sauer. Naja… ich bin dann etwas aufmüpfig geworden…“ „Das ist aber kein Grund dich zu schlagen!“, schimpfte der Blonde, doch als sein Gegenüber dazu nichts erwiderte beließ er es erstmal dabei, auch wenn es ihn wütend machte, „Naja… er wirkte gestern schon ziemlich furchteinflößend. Was macht er eigentlich beruflich? Mein Vater erwähnte etwas von Polizei…“ Peinlich berührt zog Ryu seine Kapuze plötzlich über den Kopf und nuschelte nur etwas vor sich hin: „Ähm… er ist Polizeichef…“ Die Älteren hatten es trotzdem gehört und sahen ihn mit großen Augen an, während sie für einen Moment mehr als Sprachlos waren. Zum einen natürlich, weil man nicht oft den Sohn des amtierenden Polizeichefs kennenlernt und dieser dann auch noch ein guter Freund ist; und zum anderen, weil sie gerade deshalb nicht verstehen konnten, wie dieser seinen eigenen Sohn schlagen konnte. „Ich weiß was ihr denkt…“, langsam nahm Ryu die Kapuze wieder ab und strich sich noch einmal über seine rote Wange, „Aber so ist er nun mal. Er ist sehr stolz. Deshalb hat es ihn umso mehr schockiert, dass gerade ich gemobbt werden. Wobei es nicht so wäre, dass ich nicht versucht hätte mit ihm darüber zu sprechen. Er hört mir aber gar nicht richtig zu, zieht dann irgendwelche voreiligen Schlüsse und gibt mir Ratschläge, die mir aber am Ende nichts bringen. Er will, dass ich so werde, wie er es gerne hätte und kapiert nicht, dass ich einfach ich selbst bin. Ich wollte etwas ändern und dachte, dass die Situation gestern gepasst hätte. Immerhin war das Thema einmal auf dem Tisch. Und dass er wütend wird hatte ich sogar mit einkalkuliert, allerdings nicht damit, dass er gleich ausholt. Meine Mutter hat sich heute Morgen mehrmals bei mir entschuldigt, aber auch sie sagt nichts dazu, wenn mein Vater ausflippt. Davor hat sie zu viel Angst. Aber ich weiß auch langsam nicht mehr, was ich noch machen soll.“ „Wir helfen dir!“, brach es plötzlich aus Mirâ heraus, woraufhin sie einen überraschten Blick von ihrem Kohai traf, „Ich weiß noch nicht genau wie, aber wir werden dich auf jeden Fall unterstützen. Selbst wenn wir als geschlossene Gruppe vor deinen Vater treten müssen, um ihn zu überzeugen.“ Verblüfft sah der Jüngere die Violetthaarige an und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen, bevor er ein kleines Lächeln aufsetzte: „N-naja… so richtig überzeugt bin ich von dem Plan zwar nicht, aber ich weiß die Geste zu schätzen. Danke, Mirâ-senpai!“ Ein warmes Leuchten machte sich in ihrer Brust breit, während sie das Schulgebäude betraten und verriet ihr, dass sie ihre Beziehung zu dem Jüngeren weiter vertieft hatte. „Darf ich auch etwas ansprechen, Hiroshi-senpai?“, holte sie Ryus Stimme wieder aus den Gedanken, als sie die Treppe betraten, die sie in den ersten Stock brachte, wo sich die Klassenräume der Erstklässler befanden. Im Augenwinkel erkannte Mirâ, wie der Blonde nickte, woraufhin der Jüngere wieder ansetzte: „Ähm… Akane-senpai hatte gestern erwähnt, dass du… früher auch gemobbt wurdest. Als ich das gehört habe, war ich ehrlich gesagt ziemlich überrascht. Naja… weil du…“ „Weil ich nicht wie ein typisches Opfer wirke?“, sprach der Angesprochene aus, was Ryu nicht über die Lippen brachte und kassierte dafür ebenfalls ein Nicken. „Wie… wie hast du es geschafft, da rauszukommen?“, stellte der Erstklässler nun die entscheidende Frage. Die Gruppe blieb stehen, als sie den ersten Stock erreicht hatten, wo sich Ryu eigentlich von ihnen verabschieden musste, damit sie noch eine Etage weiter nach oben konnten, während zwischen ihnen kurzes Schweigen herrschte. Etwas unruhig spielte Ryu mit den Bändern seines Pullis, welche in der Kapuze steckten. Er bereute es bereits diese Frage gestellt beziehungsweise dieses Thema überhaupt angesprochen zu haben. Wer redete auch schon gerne darüber, dass er mal gemobbt wurde? Er musste doch eigentlich genau wissen, wie sich so jemand fühlte. Plötzlich jedoch wuschelte ihm jemand durch die rotbraunen Haare, woraufhin er etwas erschrocken und irritiert aufblickte und in Hiroshis grinsendes Gesicht sah. „Na mit Hilfe meiner Freunde!“, sagte dieser daraufhin nur, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und die nächste Treppe hinaufstieg. Lächelnd folgte ihm Mirâ, die sich noch schnell von Ryu verabschiedete, während dieser etwas ratlos zurückblieb und den beiden nachblickte. [*Nach der Schule*] Als der Unterricht beendet war, packte Mirâ ihre Sachen zusammen und in ihre Tasche, als ihr plötzlich Akane an den Arm sprang. Überrascht sah die Violetthaarige zu ihrer besten Freundin, welche sich regelrecht an sie klammerte, was die ganze Sache für sie irgendwie noch merkwürdiger machte. „Was ist denn los, Akane?“, fragte sie deshalb mit einem kleinen Lächeln nach. Die Brünette schwieg kurz, während sie so zu Boden blickte, dass Mirâ ihr Gesicht nicht erkennen konnte. „Es tut mir leid, Mirâ“, sagte sie dann plötzlich, was für die Angesprochene noch weniger Sinn ergab, als die ganze Aktion eh schon. Sie hatte sich nicht mit ihrer besten Freundin gestritten oder sonstige Diskussionen gehabt. Auch hatte Akane ihr weder etwas weggenommen, noch etwas kaputt oder allgemein etwas gemacht, wofür man sich entschuldigen musste. Jedenfalls konnte sich Mirâ an keine Situation erinnern, die sie dazu bewegen würde. Was also war los? „Hör mal Akane…“, begann sie deshalb, wurde jedoch unterbrochen: „Es tut mir leid, dass ich dich in letzter Zeit immer wieder so oft versetze.“ Mit großen, verwunderten roten Augen sah die Oberschülerin das Mädchen an ihrer Seite an, die dies nur mit einem entschuldigenden Blick erwiderte. „Hiroshi hat vorhin so ne Spitze losgelassen… und auch Senpai hat mich schon drauf angesprochen. Entschuldige, dass ich nicht bemerkt habe, wie du dich dabei fühlst“, sprach Akane weiter. Nun war die Katze also aus dem Sack und endlich verstand Mirâ das Verhalten ihrer besten Freundin. Ein Lächeln schlich sich wieder auf ihre Lippen, während sie der Brünetten die Hand auf den Kopf letzte und kurz darüberstrich, was ihr ihrerseits nun einen verwunderten Blick einhandelte: „Es ist in Ordnung Akane. Ich bin ja auch selbst schuld, immerhin bietet ihr mir häufig an, euch Gesellschaft zu leisten. Das lehne ich ja meistens ab. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mich nicht traurig macht und ich die Zeit lieber mit euch verbringen würde… aber ich denke dann immer, dass ich euch vielleicht nur störe oder so.“ „Das tust du doch gar nicht!“, wurde sie schnell unterbrochen, „Wir alle verbringen doch gerne Zeit mit dir. Und wenn wir halt nur zu dritt sind, dann sind wir einfach nur eine Gruppe von Freunden. Nicht mehr und nicht weniger…“ Akane unterbrach kurz, als ihr auffiel, dass es allerdings da keinen großen Unterschied gab, immerhin änderte das ganze nichts an der Tatsache, dass sie trotzdem mit Yasuo zusammen war: „Ähm… ich weiß, das war jetzt etwas doof beschrieben… ähm… ich kann dir nicht gänzlich dieses Gefühl nehmen, aber… falls es dich beruhigt: Wir haben uns noch nie, in irgendeiner Weise von dir gestört gefühlt, wenn wir nur zur dritt waren. Das kannst du mir glauben.“ Überrascht sah Mirâ die ihre Freundin an, doch schwieg für einen Moment. Gerne wollte ihren Worten Glauben schenken, aber da war immer noch dieses ungute Gefühl in ihrem Inneren, was sie zweifeln ließ. Und doch wusste sie, dass auch sie etwas zu dieser Situation beigetragen hatte und nun ebenfalls etwas dagegen unternehmen musste. Akane hatte den ersten Schritt getan und war auf sie zugegangen, um ihr ihre Ängste und Zweifel zu nehmen. Nun musste sie auch aktiv werden. Deshalb zierte nun wieder ein leichtes Lächeln ihre Lippen: „Ich danke dir Akane. Und es tut mir leid, dass ich uns in diese Situation gebracht habe, immerhin war ich diejenige, die gezögert hat. Von nun an werde ich nicht mehr davonlaufen.“ Kurz wirkte die Angesprochene verwundert, doch grinste kurz darauf breit: „Das freut mich. Wie wäre es, wenn wir gleich damit anfangen und gemeinsam ein Eis essen gehen?“ „Bei dem Wetter?“, lachte Mirâ darauf nur, doch stimmte dann zu, „Aber gern.“ Als die beiden Mädchen aus dem Klassenraum traten wurden sie bereits von Yasuo erwartet, welcher ebenfalls ein kleines Lächeln aufgesetzt hatte, als er die beiden Arm in Arm auf sich zukommen sah. So machte sich die kleine Gruppe auf den Weg und fuhr mit der nächsten U-Bahn in Richtung Innenstadt. Dabei mussten die beiden jungen Frauen jedoch darauf achten, dass ihnen der Ältere während der Fahrt nicht einschlief. Immer wieder fiel sein Kopf kurzzeitig in den Nacken, woraufhin sie ihn anstupsten und so von seinem Nickerchen abhielten. Kichernd wiederholten sie beiden dies immer wieder und störten sich nicht einmal daran, dass sie von den anderen Fahrgästen schräg angeschaut wurden. Mit der Taiô-Linie fuhren sie bis zum Hauptbahnhof und stiegen dort aus, um anschließend zum Einkaufszentrum zu laufen. Fast dort angekommen wurde Akane jedoch plötzlich unschön von jemandem angerempelt. Da es so unverhofft geschah, riss es sie dabei regelrecht von den Füßen und sie ging zu Boden. Sofort war Mirâ zu ihrer Freundin geeilt und sich nach deren Befinden erkundigt. Auf die Bestätigung hin, dass alles in Ordnung sei, sah sich die Violetthaarige um. Vielleicht konnte sie den Übeltäter noch finden und dann zur Rede stellen. Immerhin kam auch keine Entschuldigung, was die ganze Aktion schon beinahe wie Absicht wirken ließ. Die Wucht des Zusammenstoßes ließ ebenfalls darauf schließen. „Was sollte das, Matsuo? Du könntest dich wenigstens entschuldigen“, mahnte Yasuo plötzlich ernst. Überrascht darüber, dass der Größere den Übeltäter erkannt hatte und zu kennen schien, wandten die beiden Mädchen ihren Blick auf diese. Erstaunt mussten sie feststellen, dass der junge Mann mit den kurzen, schwarzen Haaren die Uniform der Diamon Academy trug. Mit bösen grünen Augen sah er zu Yasuo, welcher ihn um mindestens anderthalb Köpfe überragte. „Vorher solltest du dich lieber bei mir entschuldigen für das, was du meiner Familie angetan hast“, schimpfte er anschließend. Sofort schnellten die Blicke der beiden Mädchen wieder zu dem älteren Schüler, welcher jedoch von der Aussage ziemlich unberührt blieb. Seufzend rieb er sich den Nacken und murmelte etwas von „dieser alten Geschichte“, bevor er sich wieder dem Jüngeren zuwandte: „Gib mir nicht die Schuld dafür, was passiert ist. Das solltest du mit deinen Eltern klären und nicht mit mir. Deine Mutter wird sich sicher Gedanken machen, wenn du dich hier herumtreibst. Du solltest lieber nach Hause gehen.“ Das Gesicht des Jüngeren wurde rot vor Wut: „Mach mir hier keine Vorschriften, du verdammter Loser!“ Damit hatte er sich plötzlich abgewandt und war davonstolziert, ohne anscheinend auch nur einen Gedanken an eine Entschuldigung zu verschwenden. Seufzend blickte ihm Yasuo hinterher und rieb sich erneut den Nacken, während er Akane eine helfende Hand reichte und sie wieder auf die Beine zog. Dabei fiel ihm aber die stechenden Blicke seiner beiden Begleiterinnen auf, welche nur darum bettelten, zu erfahren, was diese ganze Aktion eigentlich zu bedeuten hatte. Deshalb seufzte der Blauhaarige noch einmal: „Das war mein kleiner Cousin, Matsuo. Der Sohn von meiner Tante Chiemi.“ Plötzlich fiel es Mirâ wie Schuppen von den Augen und sie klopfte mit ihrer Faust auf ihre offene Handfläche: „Ah! Er war letztens auch im Krankenhaus. Richtig? Damals hatte er dich auch schon so böse angeschaut.“ „Echt?“, Akanes Blick wechselte zwischen Mirâ und ihrem Freund hin und her, „Versteht ihr euch nicht sonderlich gut?“ „Wie soll ich sagen?“, der Ältere lehnte gegen die Rückenlehne einer leeren Bank, „Wie ihr gerade gesehen habt, nicht wirklich. Er gibt mir die Schuld dafür, dass sich seine Eltern haben scheiden lassen.“ „Eh? Aber was kannst du denn dafür?“, die Brünette war sichtlich irritiert. Und das galt nicht nur für sie. Yasuo jedoch zuckte nur mit den Schultern: „Was weiß ich… aber ich glaube es liegt daran, dass die IT-Firma seines Vaters mächtig zu kämpfen hat, wenn sie nicht schon pleite gegangen ist. Mein Onkel war noch nie ein Geschäftsmann. Es war also eigentlich nur eine Frage der Zeit. Kein Wunder also, dass meine Tante irgendwann die Schnauze voll hat.“ Mirâ blickte in die Richtung, in die Matsuo verschwunden war: „Aber das hat doch noch weniger mit dir zu tun.“ Sie sah wieder zurück zu ihrem Senpai: „Da ist noch was, was du uns verschweigst. Oder?“ „Eigentlich wollte ich das nicht unbedingt erwähnen, weil das so ne Sache ist…“, meinte er anschließend, „Ein Teil der Firma meines Onkels, die Pleite gegangen ist oder was auch immer, gehörte ursprünglich meinem Vater. Mein Onkel hat sie nach seinem Tod übernommen… leider mit geringem Erfolg. Angeblich hat es sich wohl nicht rentiert. Ich vermute aber viel mehr, dass er die Firma einfach in den Ruin getrieben hat, indem er versucht hat damit seine eigene Firma zu retten. Jedenfalls ging der Verfall der Firma meines Vaters viel zu schnell. Aber das ist nur meine Vermutung, durch das, was ich so beiläufig in Gesprächen meiner Großeltern mitbekommen habe…“ „Oh…“, brachte Akane nur heraus, während Mirâ nicht wirklich wusste, was sie dazu sagen sollte. „Hah“, atmete der Blauhaarige tief durch, „Schon okay. So ist das nun mal. Ich war damals noch zu jung, um die Firma zu übernehmen. Ganz davon abgesehen, dass das auch gar nicht mein Wunsch gewesen wäre. Mit IT habe ich wirklich nichts am Hut. Ich trauere der Firma nicht hinterher. Wirklich. Aber die Sache belastet unsere ganze Familie, was echt nervig ist.“ „Tut mir leid, Senpai“, entschuldigte sich Mirâ wieder für ihr taktloses Verhalten dem Älteren gegenüber. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen nicht mehr so direkt zu sein, doch bei ihm fiel es ihr unglaublich schwer. Er jedoch lächelte die beiden Mädchen nur an: „Schon okay. Ehrlich gesagt geht es mir dadurch wieder etwas besser. Wahrscheinlich, weil ich meiner Wut etwas Luft machen konnte. Also müsste ich mich eher bedanken.“ Überrascht sah die Jüngere ihn an und spürte das warme Glühen in ihrer Brust, während der junge Mann die Hand seiner Freundin griff und sich dann wieder den beiden jungen Frauen zuwandte, um sie daran zu erinnern, dass sie doch gemeinsam ein Eis essen wollten und demnach langsam weitersollten. Während Akane sofort darauf ansprang und sich mit dem Älteren wieder in Bewegung setzte, blieb Mirâ noch kurz stehen und beobachtete ihren Senpai einen Moment. Er blieb für sie irgendwie ein ewiges Rätsel. Noch immer hatte sie das Gefühl, dass da noch mehr auf sie wartete, sobald sie ihn noch besser kennenlernte. Doch mittlerweile hatte sie so viele schockierende Dinge über seine Vergangenheit erfahren, die jeden anderen Menschen schon hätten zerbrechen lassen, dass sie sich fragte, ob und wie lange der junge Mann das noch alles ertragen konnte. Kapitel 136: CXXXVI – Ein Tag in Tokio -------------------------------------- [~Sonntag, 11.Oktober 2015~] [*Vormittag*] „WOAH!“, staunte Akane mit großen Augen, „Ist das hier alles riesig.“ Sofort drehten sich mehrere Leute nach der Brünetten um, während zeitgleich eine Gruppe von Mädchen kichernd an ihr vorbeiliefen. Das jedoch schien die junge Frau gar nicht mitzubekommen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt sich die umliegenden Hochhäuser anzuschauen, die den Hauptbahnhof von Tokio umgaben. Dieser wirkte am Haupteingang, wo sie sich gerade befanden, eher klein und unauffällig, jedoch verbarg sich hinter dem alten Gebäude einer der größten Verkehrsknoten des Landes. Alleine das hatte Akane bereits staunen lassen. Doch wo sie nun aus dem Gebäude herausgetreten waren, war sie vollkommen hin und weg. Etwas peinlich berührt lächelte Mirâ, die neben ihrer besten Freundin stand, die vorbeigehenden und starrenden Menschen an und hoffte, dass sich die junge Frau bald wieder beruhigen würde. Sie verstand deren Aufregung ja auch irgendwie. Immerhin wirkte Kagaminomachi im Vergleich zur Metropole Tokio wie ein kleines Dorf. Trotzdem war sie der Meinung, dass sich ihre beste Freundin etwas mehr zurückhalten könnte. Sie selbst rastete ja auch nicht so aus. Aber vielleicht lag das auch einfach daran, dass sie selbst lange Zeit in Osaka, der anderen Metropole des Landes, gelebt hatte. Dadurch war sie den Anblick dieser Dimensionen wahrscheinlich auch einfach gewohnt. Als sie vor einem knappen dreiviertel Jahr nach Kagaminomachi gezogen war, hatte sie schon das Gefühl in eine Provinz zu ziehen. Dabei hatte sie zuvor schon in zwei, drei anderen Kleinstädten gelebt. Mittlerweile liebte sie die Atmosphäre der Kleinstadt aber sehr. Immerhin war es viel ruhiger und nicht so voll, wie in den Metropolen. „Hör mal Akane, bitte sei nicht so laut“, bat die Violetthaarige zum wiederholten Male, doch wurde erneut ignoriert, weshalb es ihr irgendwann zu viel wurde und sie die Brünette am Arm packte. Daraufhin zog sie die junge Frau wieder zurück ins Bahnhofsgebäude, wo es in der Vorhalle etwas ruhiger war, und atmete dann erst einmal kurz durch, während ihre Freundin sie mit großen grünen Augen anstarrte. Erst jetzt schien sie ihren Fehler zu bemerken. „Go-gomen Mirâ. Es hat mir einfach überwältigt“, entschuldigte sie sich kleinlaut. Angesprochene schüttelte jedoch nur den Kopf: „Schon okay. Ich versteh dich ja. Aber es wurde wirklich langsam peinlich.“ „Sorry“, murmelte Akane. Mirâ seufzte und legte ihrer Freundin die Hand auf die Schulter. Dabei schenkte sie ihr ein liebes Lächeln. Es war nicht ihre Absicht gewesen der Brünetten ein schlechtes Gewissen zu machen, auch wenn sie froh war, dass sie keine unverwandten Blicke mehr trafen. „Lass uns heute einen schönen Tag erleben. Okay?“, lächelte die Violetthaarige und bekam als Antwort ein strahlendes Nicken ihrer Teamkameradin. „Als erstes sollten wir dir eine Suica-Karte besorgen“, sprach Mirâ weiter und sah sich nach einem geeigneten Automaten um. Fragend sah Akane sie an, weshalb die junge Frau mit einem kleinen Lächeln seufzte: „Sowas wie die Bahnkarten-App auf deinem Handy nur halt als richtige Karte. Die funktioniert ja leider nur in Kagaminomachi. Wir könnten auch Einzelfahrkarten kaufen, aber das ist zu umständlich, finde ich. Die Bahnkarte laden wir einmal auf und dann können wir den ganzen Tag quer durch Tokio fahren. Und dass was wir nicht verfahren bekommen wir am Ende zurück.“ „Brauchst du keine?“, fragte die Brünette, während sie neben Mirâ herlief. Diese zog eine Karte weiß-grüne Karte aus ihrem Portmonee, auf welchem ein kleiner Pinguin abgebildet und die mit „SUICA“ beschriftet war: „Ich habe noch eine aus meiner Zeit in Osaka. Da ich öfters meinen Vater dort besuche hebe ich sie auf, damit ich dort auch mit der U-Bahn fahren kann. Aber ich glaube, ich muss sie auch nochmal aufladen.“ Die junge Frau hielt an einem schwarzen Automaten, auf dem „Commuter Pass / Ticket Charge“ stand und steckte ihre Karte dann in ein Lesegerät. Daraufhin erschienen auf dem Touchscreen mehrere Optionen, die zur Auswahl standen. Die junge Frau wählte die Option zum Aufladen der Karte und bestückte den Automaten dann mit einigen Yen, welche sogleich auf die Suica geladen wurden. Als sie fertig war, wählte sie die Option für eine neue Karte. Das dauerte nur wenige Minuten, bevor sie ihrer brünetten Freundin die weiß-grüne Karte unter die Nase hielt. Diese nahm den ihr gereichten Gegenstand entgegen und betrachtete ihn, als wäre er etwas ganz besonders. Wieder seufzte das violetthaarige Mädchen mit einem Lächeln, immerhin handelte es sich dabei einfach nur um einen Fahrschein. So etwas gab es in Kagaminomachi immerhin auch, jedoch nutzten die meisten dort eine Handy-App dafür. „Damit können wir auf dem ganzen Netz fahren?“, fragte Akane nach und bekam als Antwort ein Nicken, „Dann auf. Wo wollen wir zuerst hin? Ich möchte auf jeden Fall den Sky Tree Tower und den Tokio Tower sehen. Oh und Akihabara… ich wollte da schon immer mal hin. Und die große Kreuzung in Shibuya.“ Wieder war die Brünette vollkommen aufgeregt, was Mirâ jedoch wieder nur ein Lächeln abrang. Irgendwie konnte sie es ja verstehen, immerhin gab es auch für sie Orte in dieser riesigen Stadt, die sie sich unbedingt ansehen wollte. Aus diesem Grund zog sie eine Karte aus ihrem Rucksack, welche sie bei ihrer Ankunft aus einem Ständer mit Flyern gegriffen hatte, und klappte diese auf. Daraufhin war eine Übersicht der einzelnen U-Bahnlinien mit touristischen Ausflugszielen an den jeweiligen Haltestellen zu sehen. „Ist das verwirrend. Wie viele Linien haben die denn?“, staunte Akane beim Blick auf die Karte, „Finden wir uns da überhaupt zurecht?“ „Ach klar. Und wenn fragen wir oder nutzen das Navi auf dem Handy“, lachte Mirâ und packte ihre Freundin an der Hand, um sie hinter sich herzuziehen, „Auf geht’s.“ Überrascht ließ diese sich mitschleifen und vertraute darauf, dass die Gleichaltrige schon wusste, was sie machten. Doch kaum standen sie in der Station schaute auch diese erst einmal wie ein Schwein ins Uhrwerk. Denn nur allein aus den ganzen Stationen und Linien, konnte man nicht herauslesen, wie sie zum Beispiel zum Tokyo Tower oder zum Tokyo Skytree Tower gelangten. Diese standen nämlich nicht mit auf dem Plan. Im Gegensatz zu bestimmten bekannten Stadtvierteln. Erwartungsvoll sah Akane also zu ihrer besten Freundin, die selbst ziemlich überfragt wirkte und dann doch etwas peinlich berührt nach ihrem Handy griff, um dieses nach dem Weg zu fragen. Dadurch erfuhren sie, dass sie zu aller erst zur Otemachi Station laufen mussten, welche sich nicht weit von ihnen entfernt befand und über welche die Toai Mita Line sie in Richtung Minatu-kû bringen würde, wo der wohl bekannteste Rundfunkturm der Welt stand. Sie waren nicht einmal zehn Minuten gefahren, bevor sie an der Onarimon Station wieder aussteigen und noch einige Meter laufen mussten, um daraufhin vor dem orange-weiß gestrichenen Konstrukt zu stehen. „Woah!“, voller Begeisterung schoss Akane sofort einige Fotos, was ihr Mirâ nachtat. Auch sie war noch nie hier gewesen und freute sich diesen weltberühmten Turm einmal hautnah zu sehen. Zusammen versuchten sie auch einige Selfies zu schießen, was jedoch eher schlecht als recht gelang, weshalb sie einen vorbeilaufenden Passanten darum baten und kurz darauf ein schönes Foto mit ihnen und dem Turm erhielten. Lächelnd schickte die Violetthaarige das Foto in den Gruppenchat ihrer Truppe und grüßte alle ganz lieb. Die Reaktionen darauf folgten prompt. Während Kuraiko und Yasuo jeweils nur einen Daumen nach oben schickten, wünschte ihnen Masaru viel Spaß bei ihrem Tagestripp. Auch Hiroshi wünschte viel Spaß, jedoch war seine Nachricht eher kurz und knapp gehalten. Anscheinend war er immer noch schlecht drauf wegen der einen Sache. Ryu reagierte ebenfalls eher gelassen und schrieb, dass er sich über Mitbringsel wie Süßigkeiten oder ähnliches freuen würde. Die Reaktion von Megumi jedoch sprengte schon fast den Chat. Die Kleine wirkte vollkommen überrascht und freute sich riesig für die beiden, während sie schrieb, dass sie auch gerne mal nach Tokio wollte. Trotzdem wünschte sie den beiden ganz viel Spaß. Doch kaum hatte sie ihre Nachrichten im Gruppenchat beendet, ploppten weitere in Mirâs privatem Chat mit der Brünetten auf. Darin bat sie darum, ob sie, falls sie nach Akihabara kamen, nach einigen Dingen gucken könnten. Sie würde es selbstverständlich bezahlen. Überrascht lasen Mirâ und Akane die Nachrichten und konnten sich dann ein Lachen nicht verkneifen. Auch wenn die Kleine nach außen hin sehr schüchtern wirkte, sobald es um ihr Hobby ging war sie Feuer und Flamme. Aus diesem Grund konnten sie ihr auch die Bitte nicht abschlagen. Allerdings mit dem Kompromiss, dass sie selber auch auf ihr Geld achten mussten. Immerhin wollten sie auch noch etwas essen und etwas sehen. Nachdem das geklärt war, stellten sich die beiden Mädchen an, um den Turm auch von innen zu betrachten. Jedoch fuhren sie letzten Endes nur bis zur ersten Aussichtsplattform, da ihnen die Fahrt nach ganz oben dann doch etwas tu teuer war. So waren sie nach ungefähr einer dreiviertel Stunde wieder unten und überlegten, wo sie als nächstes hinfahren sollten. Da sie eh nach Akihabara fahren wollten und in der gleichen Richtung auch der Skytree Tower stand, entschieden sie, zuerst den anderen großen Aussichtsturm und danach das bekannte Elektronik-Viertel aufzusuchen. So stiegen sie an der Daimon Station in die Asakusa Line und fuhren zur Oshiage Station, von welcher sie direkt zum Skytree kamen. Auch hier machten die beiden jungen Frauen mehrere Fotos und Selfies, fuhren jedoch nicht nach oben, da man dafür wohl im Voraus Tickets hätte buchen müssen. Ein bisschen ärgerlich fanden sie die Sache schon, jedoch nahmen sie es so hin. Es war immerhin nicht zu ändern. Dafür schlenderten sie durch das Einkaufszentrum, welches sich am Fuße des Turmes befand und zum Verweilen einlud, bevor sie sich auf den Weg nach Akihabara machten, welches sie über die Asakusa Line und die Ginza Line erreichten. Auch dort schlenderten sie gemütlich durch die Straßen und Geschäfte und hielten Ausschau nach dem Merchandise, was Megumi gerne haben wollte. Dabei wurden sie auch selbst fündig und so dauerte es auch nicht lange, bis sie mit ihren bepackten Rucksäcken durch die langen Straßen liefen. Bei all dem Spaß sollte jedoch auch der kulturelle Teil nicht zu kurz kommen, weshalb sie sich auch den Kanda Myôjin Schrein und den Hanabusa Inari Schrein ansahen, als sie an diesen vorbeikamen. Gegen Mittag suchten sie sich ein gemütliches kleines Restaurant und ruhten sich dort bei einem leckeren Essen etwas aus. „Der Tag geht echt schnell rum. Wir wollten uns deshalb gut überlegen, was wir als nächstes machen“, sagte Mirâ, während sie auf ihr Handy blickte, „Ich weiß nicht ob wir zwingend nach Shinjuku wollen oder uns als nächstes nur noch die große Kreuzung in Shibuya anschauen und uns danach langsam auf den Heimweg machen.“ Akane trank einen Schluck ihrer Cola und beugte sich dann etwas über den Tisch, um ebenfalls auf das Handy ihrer Freundin zu schauen: „Hm… ja also Shinjuku ist doch eigentlich hauptsächlich für seine Einkaufsstraße bekannt oder? Und gekauft haben wir eigentlich genug. Also wäre es vielleicht Sinnvoll wirklich nur noch nach Shibuya zu fahren.“ „Der Meinung bin ich auch. Vielleicht können wir dort noch ein Eis oder Crepe essen oder so“, schlug die Violetthaarige vor. „Gute Idee“, lächelte ihre brünette Freundin und ließ sich dann wieder auf ihren Sitz sinken, „Was für ein schöner Tag bisher. Wenn auch anstrengend. Ich werde nachher im Shinkansen bestimmt einschlafen.“ „Ja ich wohl auch. Da müssen wir aufpassen, dass wir unsere Station nicht verpassen“, lachte Mirâ leise, was ihr die Gleichaltrige ihr gegenüber nachtat. Diese wandte kurz darauf ihren Blick aus dem Fenster neben sich: „Da ziehen echt dunkle Wolken auf… haben wir eigentlich nen Schirm dabei?“ „Laut Wetterbericht soll es eigentlich nicht regnen. Deshalb hab ich keinen eingepackt“, wandte auch die andere Oberschülerin den Blick nach draußen, „Hoffen wir mal, dass sich das Wetter hält.“ Nach ihrer kurzen Pause machten sie sich auf den Weg zu ihrem letzten Ziel für diesen Tag. Dafür mussten sie von ihrem Standort aus zur Suehirochô Station laufen und dort wieder in die Ginza Line steigen, welche sie direkt zur Shibuya Station brachte. „Laut Navi ist die Kreuzung direkt vor dem Bahnhof“, schaute Mirâ wieder auf ihr Smartphone. „Cool“, freute sich Akane, während sie lachend erklärte, dass sie keine Lust mehr auf einen langen Fußmarsch hatte. Verdenken konnte ihre Freundin ihr das nicht. Auch ihr taten die Füße weh vom vielen Laufen, doch bisher hatte sich ihrer Meinung nach jeder Schritt gelohnt. Mit Sicherheit dachte die Brünette genauso, auch wenn sie es gerade nicht so offen sagte. „Dann los. Ich bin schon echt gespannt“, zog diese sie daraufhin mit sich, was die Violetthaarige nur mit einem Lachen kommentierte. Irgendwie war es schon merkwürdig an einen Ort zu fahren, nur um sich eine ganz bestimmte Straßenkreuzung anzusehen. Jedoch gehörte die Kreuzung Shibuya zu den bekanntesten Verkehrskreuzen der Welt. Wer hatte noch nie ein Bild der Menschenmassen gesehen, die sich über diesen riesigen Platz drängten, während alle Fahrzeuge rundherum durch Ampeln gestoppt wurden? Einmal musste wohl jeder Japaner über diese Kreuzung laufen. Mirâ jedenfalls freute sich schon darauf und ließ sich deshalb von ihrer besten Freundin mitziehen. Plötzlich jedoch erkannte sie in ihrem Augenwinkel ein leichtes blauen Leuchten, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Noch im Gehen wandte sie ihren Blick zur Seite und erkennte kurz darauf ein Mädchen ungefähr in ihrem Alter mit roten langen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Doch nicht von ihr ging das blaue Licht aus, sondern von der Schülerin, welche von ihr hinterher gezogen wurde. Auch sie hatte rote lange Haare, trug diese jedoch offen und dazu auch noch eine schwarze Brille, weshalb sie sich von dem andern Mädchen etwas abhob. Trotzdem erkannte man sofort, dass es sich dabei um Zwillinge handelte, auch wenn sie ziemlich schnell entgegen Mirâs und Akanes Richtung an ihnen vorbei schlüpften. Plötzlich stieß die Violetthaarige mit der Brillenträgerin leicht zusammen, woraufhin sich kurzzeitig ihre Blicke trafen, woraufhin sich jeweils ein paar Rubine gegenseitig überrascht ansahen. Auch wenn dieser Augenblick für beide wie in Zeitlupe verlief, so war er innerhalb eines Wimpernschlages wieder vorbei und sie waren aneinander vorbei. Schnell sah Mirâ noch einmal hinter sich, jedoch waren mittlerweile so viele Menschen zwischen ihnen, dass sie das Mädchen mit der schwarzen Brille nicht mehr sehen konnte. Wieder hatte sie ein merkwürdiges Gefühl. Irgendwas an der jungen Frau beunruhigte sie, jedoch konnte sie nicht genau sagen was. Doch das blaue Leuchten, auch wenn es noch so leicht gewesen war, konnte keine Einbildung gewesen sein. So wirklich Gedanken darüber konnte sie sich jedoch nicht mehr machen, denn kurz darauf wurde sie bereits eine Treppe hinaufgezogen und nahm somit wieder Schritt zu Akane auf, um nicht zu stürzen. Kurz darauf standen sie vor dem Bahnhof Shibuya und konnten in etwas Entfernung bereits besagte Kreuzung erkennen. Sofort war die Violetthaarige wieder im Hier und Jetzt und hatte die beiden rothaarigen Mädchen wieder so gut wie vergessen. Einige Minuten später standen die beiden Mädchen vor der Kreuzung und ließen es sich daraufhin nicht nehmen, sowohl einmal rundherum, sowie einmal quer darüber hinweg zu laufen. Auf eine Weise war es nichts wirklich Besonderes, auf andere Weise jedoch schon. Immerhin konnten sie von sich behaupten einmal über die größte Kreuzung Japans gelaufen zu sein. Wieder machten sie ein paar Fotos und Selfies und schickten diese an ihre Freunde in der Heimatstadt, welche sie mit unterschiedlichen Reaktionen kommentierten. So verweilten die beidem Mädchen noch eine Weile an diesem Ort und beobachteten die Menschen, die von einer Seite auf die andere liefen. Einige von ihnen ließen sich Zeit, während andere mächtig hetzten, was aus dem Ganzen ein ganz belustigendes Bild zauberte. Plötzlich jedoch zückten einige von ihnen einen Regenschirm und spannten diese auf, während andere sich beeilten einen sicheren Unterschlupf zu finden, als es mit einem Male begann zu regnen. Und mittendrin standen Mirâ und Akane ohne Regenschirm und in nur kürzester Zeit ziemlich durchnässt. Schnell beeilten sie sich bei der nächsten Grünphase über die Kreuzung, um zurück zum Bahnhof zu gelangen. Doch kaum waren sie über den Verkehrsknoten drüber weg, rutschte Akane weg und stolperte dabei gegen ein Mädchen, welches zufälligerweise genau neben ihr stand und einen roten Regenschirm hielt. Mit einem lauten Klatschen landeten beide junge Frauen im Nassen und sahen sich mit großen Augen gegenseitig an. „Nyoko-neechan! Ist alles in Ordnung?“, kam plötzlich ein brünetter junger Mann angerannt und half dem gefallenen Mädchen namens Nyoko wieder auf die Beine. Diese sah leicht angewidert, ob der Nässe an ihrer Kleidung, an sich herunter, richtete dann ihre schwarze Brille und schaute zu Akane, welcher von Mirâ wieder auf die Beine geholfen wurde. „Oh nein! Es tut mir leid“, entschuldigte sich diese sogleich, als sie sah, was sie angerichtet hatte. „Schon gut. Ist ja nur Wasser“, meinte Angesprochene und hob ihren roten Schirm auf, den sie wieder über ihre nun leicht nassen Haare hielt, „Ihr seid ja echt durch. Habt ihr keinen Schirm dabei?“ „Nyoko-neechan, ich denke die Frage kannst du dir wirklich sparen“, murmelte der brünette junge Mann, welcher offensichtlich der Bruder der jungen Frau war, und bekam daraufhin einen leichten Schlag in die Rippen, „Uff.“ „Und das hättest du dir sparen können Sensei-Oberschlau-Kazuki“, murrte Nyoko und wandte sich dann wieder den beiden durchnässten Oberschülerinnen zu, „Seid ihr Touristen?“ „Ähm ja“, kam die Antwort prompt von Mirâ. „Merkt man euch irgendwie an“, hielt die Brillenträgerin ihr plötzlich den Schirm entgegen, „Ihr solltet dringend erstmal ins Trockene.“ Überrascht nahm die Violetthaarige den Schirm entgegen, während die brünette junge Frau unter den ihres Bruder schlüpfte, welcher sie jedoch nur überrascht ansah. „Schau nicht so, SOK“, murrte sie und setzte sich in Bewegung, woraufhin Kazuki ihr folgte. Akane und Mirâ unter dem roten Schirm von Nyoko taten es ihm nach und befanden sich kurz darauf in der trockenen Vorhalle der Metro. Dankend gab die Violetthaarige daraufhin den Regenschutz zurück, woraufhin sie für einen kurzen Moment die Hand ihres Gegenübers berührte und sie daraufhin ein bekanntes Gefühl überkam. Es war wieder genau das Gleiche, welches sie bereits bei Aiden-kun verspürt hatte und zu ihrem Bedauern hatte es genau die gleiche Intensität. Auch bei Kenshin hatte sie das Gleiche gespürt, jedoch noch wesentlich schwächer. Doch bei Nyoko war es genau so intensiv wie bei Aiden. Was hatte das nur zu bedeuten? Hieß es, dass auch dieses Mädchen in naher Zukunft ein ähnliches Schicksal blühte? Überrascht sah dieses sie an, als sie den Schirm nicht sofort losließ. Sofort holte die Violetthaarige dies nach und versuchte so normal zu tun, wie es eben ging: „Wie können wir uns erkenntlich zeigen?“ „Beziehungsweise entschuldigen? Immerhin hab ich deine Sachen schmutzig gemacht“, redete Akane mit rein. Irritiert sahen die Geschwister die beiden Oberschüler an, bevor Kazuki lächelte: „Ach was. Das ist schon okay. Außerdem gibt es hier in der Metro nicht so viel, wo man etwas machen könnte. Und Nyoko-neechan wäre wohl auch so nicht wirklich trocken geblieben. Au…“ Wieder traf ihn ein Stoß in die Rippen, welchen er jedoch mit einem leichten Lächeln abtat, während sich nun auch Nyoko zu Wort meldete: „Sprich nicht einfach für mich Kazuki-niichan. Und was heißt hier auch?“ Sie räusperte sich kurz und wandte sich an Akane: „Aber er hat Recht. Es gibt nicht viel, was man hier machen kann. Außerdem war es keine große Sache. Das bisschen Wasser macht mir nichts. Bin ja nicht aus Zucker.“ „Es tut mir trotzdem leid“, entschuldigte sich die angesprochene Brünette jedoch noch einmal. „Wir danken euch jedenfalls wirklich sehr… ähm…“, Mirâ wusste nicht so genau, ob sie die beiden nun direkt beim Vornamen ansprechen sollte, immerhin kannte sie sie nicht. Ihr Nachname war ihr allerdings genauso unbekannt. „Nyoko und Kazuki Kiyonzu“, stellte der junge Mann sich und seine Schwester höflich vor. „Das hier ist meine Freundin Akane Chiyo und mein Name ist Mirâ Shingetsu“, stellte sich auch Mirâ kurz vor, „Also vielen Dank nochmal, Kiyonzu-san. Dafür, dass du uns den Schirm bis hier hin geliehen hast.“ „Auch wenn es eigentlich nicht mehr viel gebracht hat“, meinte die Brünette mit einem leichten Lächeln, „Aber kein Problem.“ „Wir sollten dann langsam nach Hause, Nyoko-neechan“, brachte Kazuki an, woraufhin ihn seine Schwester kurz mit großen Augen betrachtete und dann eine kaum sichtbare Schnute zog. Irgendwie hatte Mirâ in diesem Moment das Gefühl, dass die Brünette gar nicht heim wollte. Doch nachfragen wollte sie auch nicht, immerhin ging es sie nichts an. Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Lächelnd wandte sich der junge Mann also wieder an die beiden Oberschülerinnen aus Kagaminomachi: „Dann kommt gut nach Hause. Schönen Tag noch.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an und zwang Nyoko mit leichter Gewalt dazu es ihm gleich zu tun, was jedoch nur dazu führte, dass sie ihn erneut in die Seite knuffte. Trotzdem verneigte sich die junge Frau daraufhin mit einer höflichen Verabschiedung und ging dann mit ihrem Bruder von dannen. Mirâ und Akane sahen ihnen kurz nach, während sich die Brünette einen Kommentar nicht verkneifen konnte: „Komisches Geschwisterpaar.“ Ihre violetthaarige Freundin ignorierte dies gekonnte und wandte sich dann zum Gehen ab, woraufhin sich beide Mädchen wieder den Rückweg antraten. Doch egal wie sehr es Mirâ auch versuchte, sie wurde das Gefühl nicht los, dass auch den beiden bald etwas Schlimmes widerfahren würde. Kapitel 137: CXXXVII – Genervte Situation ----------------------------------------- [~Montag, 12.Oktober 2015 – Feiertag / Tag des Sports~] [*Morgen*] „Guten Morgen, Hiro“, wurde Hiroshi freundlich begrüßt, als er noch im Halbschlaf die Küche betrat. Der Geruch von frisch aufgebrühten Kaffee hatte ihn dazu bewegt endlich aus dem Bett zu fallen und sich in die Küche zu begeben, wo er nun von seinem Vater erwartet wurde. Überrascht sah der Blonde den älteren Mann an, welcher gekleidet in für ihn ungewöhnlich bequemen Sachen gerade dabei war den Tisch zu decken. Dieser hatte in seinem Tun gestoppt und sah seinen Sohn nun ebenfalls mit großen blauen Augen an, doch lächelte dann wieder, bevor er weiter seiner Tätigkeit nachging. Er stellte zwei Teller auf den Tisch, welcher schon reichlich gedeckt war. Verwundert erkannte Hiroshi die in einem Korb schön drapierten Brötchen und die verschiedenen Brotaufstriche, die dort verteilt standen. „Brötchen?“, fragte der Blonde leicht irritiert. „Ja, mir war irgendwie danach. Ich war heute so zeitig wach, dass ich drüben beim Bäcker war“, erklärte Hiroki ohne dabei sein Tun erneut zu unterbrechen, „Wolltest du lieber Reis zum Frühstück?“ „N-nein“, brachte sein Sohn nur heraus. Eigentlich hatte er damit gerechnet wieder alleine frühstücken zu müssen, was ihm allerdings im Grunde auch wesentlich lieber gewesen wäre. Die letzten Tage hatte er vehement versucht seinem Vater aus dem Weg zu gehen. Er war immer noch sauer, auch wenn er eigentlich wusste, dass sein dieser nicht mehr viel hätte tun können. Trotzdem nervte es ihn, dass er der Schule zugestimmt hatte. Doch was anderes hatte er ja eigentlich auch nicht erwartet. Oder? Nun von dem Älteren mit einem typisch deutschen Frühstück begrüßt zu werden, irritierte ihn und machte seinen Plan nun endgültig zunichte. Und doch wurde er plötzlich nostalgisch, denn als er noch ein kleines Kind war hatten sie häufig so gefrühstückt. Meistens dann, wenn seine Mutter Frühschichten hatte oder aus Nacht gekommen war, denn sie hatte immer auf ihren Reis am Morgen bestanden. Hiroshi jedoch wusste, dass sein Vater gerne auch mal Brötchen aß. Und er hatte an diese Tage nur gute Erinnerungen. Damals war die Welt noch irgendwie in Ordnung gewesen, wenn er gemeinsam mit Rin und seinem Vater den Morgen verbracht hatte. Und nun? „Hiro? Alles in Ordnung?“, holte ihn die Stimme seines Vaters aus den Gedanken. Erschrocken sah Angesprochener auf und schüttelte dann leicht den Kopf, bevor er sich in Bewegung setzte und hinüber zur Arbeitsplatte ging. Dort öffnete er ein Schubfach darunter und zog zwei Messer hervor. „Ja, alles gut. Ich war nur etwas irritiert, dich heute hier anzutreffen“, meinte er daraufhin nur und legte das Besteck auf den Tisch. Ein Seufzen erklang: „Auch ich brauche mal einen ruhigen freien Tag. Außerdem ist das ja die einzige Möglichkeit dich an deinen freien Tagen anzutreffen, nachdem du mir in letzter Zeit aus dem Weg gegangen bist.“ Erneut spiegelte sich Überraschung in den Augen des Jüngeren, während sein Vater ihm nur ein Lächeln schenkte. Dieser wandte sich dann auch der Arbeitsplatte zu und griff nach der Kanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee, die er daraufhin auf den Tisch stellte. Dann setzte er sich und wies auf den Platz sich gegenüber. „Lass uns Frühstücken“, meinte er dann und griff nach einem Brötchen, dass er sich aufschnitt und mit Marmelade bestrich. Hiroshi unterdessen zögerte noch kurz, doch setzte sich dann ebenfalls etwas widerwillig. Sein Vater hatte sein Verhalten also bemerkt. Irgendwie nervte es ihn, dass der Ältere es immer wieder schaffte ihn so gut zu durchschauen. Noch lieber wäre es ihm gewesen, er hätte es einfach so hingenommen und dabei belassen. Wieso er überhaupt wieder vermehrt versuchte sich Hiroshi anzunähern, war dem Blonden auch ein Rätsel. Immerhin war er es zuerst gewesen, der Abstand zu seiner Familie genommen hatte und nicht andersherum. Der Jüngere selbst hatte letzten Endes nur auf das Verhalten seines Vaters reagiert und ebenfalls versucht Abstand zu nehmen. „Du bist noch sauer wegen deiner Sperre für das Turnier in Inaba. Oder?“, sprach der Brünette plötzlich das Thema an, welches für seinen Sohn ein rotes Tuch war. Sogleich kassierte er dafür einen vernichtenden Blick, doch ignorierte diesen indem er sich Kaffee in seine Tasse goss und danach von seinem geschmierten Brötchen abbiss. Dann kehrte kurz Schweigen ein. „Denke nicht, dass ich deinen Ärger nicht verstehe“, meinte er anschließend, als er aufgekaut hatte, „Als junger Mann hätte ich wohl auch so reagiert. Prinzipiell finde ich es auch nicht falsch anderen zu helfen.“ „Ach ja? Und wieso hast du dann keinen Einspruch eingelegt? Das kannst du immerhin gut“, murrte Hiroshi darauf nur. Nun traf diesen ein scharfer Blick seines Gegenübers: „Weil es nun einmal die falsche Reaktion war. Ganz einfach. Würde eine Frau ihren Ehemann umbringen, weil dieser sie jahrelang malträtiert hat, dann wäre ihr Motiv für jeden nachvollziehbar. Aber trotzdem hätte sie eine Straftat begangen und müsste dafür belangt werden. Verstehst du worauf ich hinauswill, Hiroshi? Ich möchte dir keine Moralpredigt halten. Ich weiß ja, dass du es gut gemeint hast und auch, dass du niemanden einfach so verletzen würdest. Aber deine Sperre war nur eine Konsequenz aus deinem Handeln.“ „Triff eine Entscheidung und lebe mit den Konsequenzen… ist es das was du mir sagen willst?“, zitierte der Blonde seinen Vater, welcher nur nickte, „Trotzdem… die Typen haben immerhin auch Ryu verletzt… und fast auch noch Mirâ…“ „Mirâ? Das violetthaarige Mädchen von letztens?“, hakte der Ältere plötzlich nach und lächelte dann, „Ist sie das Mädchen, dass du magst?“ Erschrocken verschluckte sich der Oberschüler an seinem Nuss-Nougat-Brötchen und bereute es sofort den Namen seiner Klassenkameradin in den Mund genommen zu haben. Schnell spülte er den Klumpen mit seinem Kaffee herunter und atmete erst einmal auf, als das Brötchen runtergerutscht war. Dann wandte er hochrot den Blick ab: „Das geht dich nichts an…“ Sein Vater schwieg, doch Hiroshi spürte dessen Grinsen auf sich ruhen. Mit seiner Reaktion hatte er schon mehr verraten, als er eigentlich wollte. Der Ältere jedoch ging nicht weiter darauf ein, sondern griff nun nach seiner Zeitung und schlug diese auf. Irgendwie dankbar darüber schwieg auch der Oberschüler und griff nach einem weiteren Brötchen, um sich dieses noch einmal mit Nuss-Nougat-Creme zu bestreichen. Er wollte das Thema ohnehin nicht weiter vertiefen, immerhin wusste er genau, dass er, egal was er tat, gegen Masaru keine Chance haben und seine Gefühle ewig unerwidert bleiben würden. Fast zeitgleich trug Kuraiko in der Bäckerei ihrer Eltern, die sich im Zentrum der Stadt befand, ein großes Blech mit frisch gebackenen Melonpan aus der Backstube in den Verkaufsraum. Vorsichtig richtete sie das riesige Quadrat so aus, dass die kleinen goldgelben Brötchen in die Auslage rutschen konnten. Dabei achtete sie immer darauf, keinen direkten Hautkontakt zu dem Metall zu bekommen. Dicke Handschuhe sorgten dafür, dass sie sich nicht verbrannte. Zwar kam das Blech nicht direkt aus dem Backofen, sondern lag noch einige Minuten zum Auskühlen in einem dafür vorgesehenen Wagen, jedoch dauerte es eine ganze Weile ehe das Metall soweit heruntergekühlt war, dass es keine Verbrennungen mehr verursachte. Endlich war auch das letzte Melonpan in die Auslage gerutscht, woraufhin sie zur Seite trat, sodass ihre Mutter die kleinen Brötchen sortieren konnte, und danach wieder im hinteren Teil der Bäckerei verschwand. „Raiko, hier sind noch ein paar Törtchen die raus können“, rief ihr Vater aus dem hinteren Teil der Backstube. „Haaaaai“, rief die Schwarzhaarige zurück und schob das Blech in ihrer Hand wieder in den Wagen zurück, bevor sie sich zu dem älteren Mann begab, „Mama sagt, dass das dann erst einmal reichen sollte. Ihr sollt dann erstmal ne Pause machen.“ „Lieb von ihr“, lachte der Schwarzhaarige und wandte sich seinen beiden Gesellen zu, die ebenfalls in der Backstube tätig war, „Na dann Jungs. Gönnt euch nen Kaffee oder Tee.“ „Arigatou“, riefen die beiden jungen Männer und verschwanden daraufhin in einem kleinen Pausenraum, während sich Kuraikos Vater noch den letzten Törtchen zuwandte und diese fertig verzierte, um sie seiner Tochter mitzugeben. Diese packte die kleinen Gebäcke sorgfältig auf ein Tablett und verschwand dann wieder im Verkaufsraum. „Danke für deine Hilfe, Raiko-chan“, bedankte sich ihre Mutter, als die Schwarzhaarige wieder im vorderen Teil erschien. „Schon gut… wenn ihr dann aber nichts dagegen habt, würde ich dann gehen“, meinte die Oberschülerin und kassierte daraufhin einen verwunderten Blick der älteren Frau. Diese schien jedoch zu ahnen, was die Schwarzhaarige vorhatte und verzog dann leicht das Gesicht: „Hör mal, Kuraiko. Du solltest die Sache mit den Gewächshäusern nicht zu ernst nehmen. Es macht doch sowieso keinen Sinn…“ „Hör auf! Wieso sagst du sowas?“, unterbrach Kuraiko die ältere Frau, welche erschrocken zurückzuckte, „Ich verstehe nicht, wieso du das Werk von Obaa-chan und Ojii-chan so als Bürde ansiehst. Wieso trittst du es mit Füßen? Bedeuten sie dir gar nichts?“ Die ältere Schwarzhaarige war kurz etwas geschockt, doch seufzte dann und wandte sich wieder der Auslage zu: „Das hat nichts damit zu tun, dass ich etwas mit Füßen trete oder es mir nichts bedeutet… es ist nur… ziemlich schwierig.“ „Schwierig? Dabei kümmere ich mich doch darum. Du musst doch gar keinen Finger krumm machen!“, schimpfte die Schülerin. „Auch damit hat es nichts zu tun…“ „Womit dann? Wieso bist du so abweisend, wenn es darum geht, dass ich Omas und Opas Vermächtnis schützen will?“, fragte Kuraiko wütend, doch wartete nicht einmal die Antwort ihrer Mutter ab, „Ach komm lass. Lass mich einfach machen.“ Damit hatte sie ihre weiße Schürze abgelegt und daraufhin die Bäckerei verlassen, während ihre Mutter ihr besorgt nachblickte. Murrend stampfte die junge Frau die Treppen zur Wohnung hinauf, um daraufhin ihre sieben Sachen zusammen zu packen und sich auf den Weg zum Streitobjekt zu machen. Sie konnte und wollte einfach nicht verstehen, dass ihre Mutter einfach so losließ. So als sei es einfach ein kaputter Gegenstand, den man mal eben entsorgte. Das regte Kuraiko einfach nur auf. Das Gewächshaus ihrer Großeltern war nicht einfach irgendein Gebäude oder Gegenstand. Daran hingen so viele schöne Erinnerungen, die sie nicht verlieren wollte. Wieso konnte ihre Mutter das einfach nicht verstehen? Wieso versuchte sie so vehement es loszuwerden? Was lief nur mit ihr verkehrt? Es machte die Schwarzhaarige einfach wütend. Sie wollte und konnte nicht einfach loslassen und würde deshalb auch nicht einfach so aufgeben. Jedoch wusste sie auch, dass sich das ganze Unterfangen als extrem schwierig erwies. Kaum hatte sie eine Ecke in Ordnung gebracht und eine weitere geschafft, war die erste wieder total verwildert. Für eine einzige Person war es wirklich kaum zu schaffen. Und auch wenn ihr Mirâ ab und an half, so merkte sie einfach keine Fortschritte. Doch trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Eine knappe halbe Stunde später hatte die junge Frau die Gewächshäuser erreicht und machte sich sogleich an die Arbeit. Es wurde langsam kalt. Das hieß, sie musste anfangen alles winterfest zu machen. Tief durchatmend schaute sie auf die nun vor ihr liegende Arbeit und machte sich dann mit einem langem Seufzer dran diese zu erledigen. [*Mittag*] Seiner Lieblingsmusik lauschend, die aus speziellen Sportkopfhörer kam, joggte Hiroshi in gleichmäßigen Schritten durch einen der kleinen Parks der Stadt. Das Gespräch mit seinem Vater hatte ihn irgendwie doch etwas aufgewühlt und so versuchte er mit der kleinen Sporteinlage wieder einen freien Kopf zu bekommen. Er hätte sich auch auf einen der Bolzplätze zurückziehen und dort etwas mit dem Ball trainieren können, doch das hätte ihn nur weiter an sein aktuelles Problem erinnert. Es war ja nun nicht so, dass er die Entscheidung nicht akzeptieren konnte. Letzten Endes konnte er daran eh nichts mehr ändern. Trotzdem ärgerte es ihn, immerhin hatte er sich monatelang auf dieses Turnier vorbereitet. Kopfschüttelnd versuchte er sich wieder auf die Musik in seinen Ohren und den Weg vor sich zu konzentrieren und dabei die düsteren Gedanken wieder abzuschütteln. So lief er einige Runden durch das weitläufige Gelände, welches eine Mischung aus winzigem Stadtwald und großer Freifläche war, auf der sich ein kleiner Spielplatz befanden. Lächelnd beobachtete er beim Vorbeilaufen die kleinen Kinder, die sich auf diesem Platz austobten und dabei viel Spaß hatten. Nach ungefähr einer halben Stunde machte er eine kurze Pause und schnaufte kurz durch. Das Laufen tat wirklich gut und sorgte dafür, dass sein Kopf frei von jeglichen Gedanken war, die ihn runterziehen konnten. „Ach nee“, hörte er eine dumpfe Stimme, als gerade eine kurze Pause zwischen seinen Liedern war. Überrascht sah er auf und glaubte für einen Moment sich diese Stimme nur eingebildet zu haben. Doch als er sich umdrehte bemerkte er ein altes Gewächshaus, was definitiv schon einmal bessere Tage gesehen hatte und trotzdem einen gewissen Charme versprühte. Doch was ihn mehr erstaunte, war, dass ihm dieses Gebäude mehr als bekannt vorkam. Nur woher? Vorsichtig nahm er einen der kleinen In-Ear Kopfhörer aus seinem Ohr, während er das verglaste Konstrukt begutachtete. „Hey! Lebst du noch?“, erklang die Stimme erneut, dieses Mal jedoch wesentlich klarer und auch deutlich zu erkennen. Ein Grund, wieso der junge Mann plötzlich zusammenzuckte, während es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Natürlich kannte er das Gewächshaus. Zwar war es das letzte Mal spiegelverkehrt, da es sich in der anderen Welt befunden hatte, doch es war klar zu erkennen: Der Dungeon, aus dem sie im Frühjahr Kuraiko gerettet hatten. Und nun war auch klar von wem die Stimme kam. Langsam drehte er sich zur Seite und erkannte daraufhin genannte schwarzhaarige junge Frau, welche ihn etwas missmutig ansah. Sie trug eine ziemlich schmutzige Lederschürze über ihrer schwarzen Kleidung, welche an einigen Stellen von Staub und Dreck bedeckt war. Mit an die Hüfte gestemmte Arme und schiefgelegten Kopf musterte sie ihn mit ihren violetten Augen, weshalb er etwas erschrocken zurückwich. „Was ist das denn für eine Reaktion? So schockiert mich zu sehen?“, fragte seine Teamkameradin mit hochgezogener Augenbraue. „Das nicht… mit dir hab ich hier nur gar nicht gerechnet“, antwortete der Blonde, während er sich auch den zweiten Kopfhörer aus dem Ohr nahm. Kuraiko wandte sich ab und hockte sich wieder herunter, um einiges an Unkraut aus dem Boden zu ziehen: „Danke, das gebe ich gerne zurück.“ Hiroshi schwieg. Er wusste ohnehin nicht wirklich, was er hätte sagen sollen. Zwar gehörten sie zum gleichen Team und kämpften gemeinsam gegen Shadows, aber sonst hatten sie nicht wirklich viel gemeinsam. Die meiste Zeit bekamen sie sich eigentlich in die Haare. Ob es an ihren gegenseitigen Elementen lag oder einfach an ihren Charakteren wollte der junge Mann gar nicht einschätzen. Er wusste nur, dass er nicht wirklich mit der Schwarzhaarigen auskam, auch wenn er es versuchte. Wahrscheinlich beruhte das jedoch eh auf Gegenseitigkeit. Eigentlich wollte Hiroshi sogleich weiterjoggen, doch irgendwie hatte er das Gefühl es käme nicht sonderlich nett herüber nun einfach wieder abzuhauen. Deshalb sah er sich etwas um. „Ganz schön viel zu tun für eine Person. Oder?“, meinte er nach einer Weile. „Und wenn schon…“, murrte sein Gegenüber. Kuraiko schmiss weiteres Unkraut in einen Eimer, der neben ihr stand, und hob diesen dann auf, um die Reste auf einen Kompost zu schmeißen. Der junge Mann seufzte: „Das war jetzt nicht böse gemeint oder so. Aber es sieht wirklich nach viel Arbeit aus. Wäre es nicht Sinnvoll, wenn du dir Hilfe suchst?“ „Mirâ hilft mir ab und an, aber ich kann sie ja nicht ständig deshalb hierher bestellen“, meinte die Schwarzhaarige und wandte dann ihren Blick wieder zu Hiroshi, den sie daraufhin kurz musterte, „Und was ist mit dir? Was führt dich ausgerechnet hierher? Du wohnst ja auch nicht gerade um die Ecke…“ „Ich glaube unser Weg hierher nimmt sich nicht viel“, meinte der Blonde nur und zuckte mit den Schultern, „Aber ich brauchte etwas Bewegung, um einen klaren Kopf zu bekommen.“ „Ach wegen der Sache mit deiner Sperre…“, nickte Kuraiko wissend, woraufhin sie von ihrem Gegenüber mit großen Augen angesehen wurde, „Schau mich nicht so an. In der Schule bleibt sowas nicht lange geheim. Außerdem hat sich Nagase lautstark in der Klasse darüber echauffiert und gemeint, dass er ohne dich nicht spielen könnte und bla… der Typ ist echt ätzend.“ „Shuya tut mir echt leid… keine Ahnung, was er an dir findet“, sagte Hiroshi zum wiederholten Male und ignorierte dabei den vernichtenden Blick, der ihm zugeworfen wurde. Dann seufzte er laut auf, strich sich durch die blonden Haare und ging auf eine Bank zu, welche am Wegrand auf der anderen Seite stand, um sich mit Schwung darauf niederzulassen: „Aber ja… genau deshalb. Das ist einfach so ätzend… und dann noch mein Vater…“ „Die dummen Erwachsenen haben dann nichts Besseres zu tun, als in der Wunde zu bohren und nochmal richtig schön nachzutreten, indem sie einem irgendwelche Moralpredigen halten“, setzte sich Kuraiko murrend in Bewegung und verschwand im Gewächshaus, während Hiroshi ihr verwundert nachsah. Nach einer Weile kam die junge Frau wieder heraus und warf ihm etwas zu, was er etwas überrumpelt auffing und dann auf eine Wasserflasche schaute. Überrascht sah er zu der Schwarzhaarigen, welche auf ihn zukam und sich neben ihn setzte, was ihn jedoch nur noch mehr verwirrte. Erschrocken rutschte er ein Stück von Kuraiko weg. Irgendwie machte ihm dieses Verhalten Angst. Seine Teamkameradin jedoch bemerkte sein Verhalten und sah ihn nur wieder mit vernichtendem Blick an. „Was?“, fragte sie dann genervt. „N-nichts…“, was anderes fiel dem Oberschüler nicht wirklich ein, denn er vermutete, dass, egal was er sagen würde, sie ihn daraufhin umbringen würde. „Du sahst so aus, als hättest du Durst. Aber wenn du nicht willst, dann gib sie mir zurück“, hielt ihm die Schülerin die geöffnete Hand entgegen. Noch einmal sah Hiroshi sein Gegenüber verwundert an, dann öffnete er hastig die Wasserflasche und nahm einen kräftigen Schluck. Erleichtert über die kühle Erfrischung atmete er danach tief durch, während er von der jungen Frau beobachtet wurde. Das kleine Lächeln auf ihren Lippen verschwand sofort wieder, als sie Gefahr lief, dass ihr Teamkamerad es bemerken könnte, sodass es ihm gar nicht auffiel. Dann lehnte sich Kuraiko zurück und sah in den wolkenverhangenen Himmel. „Was war eigentlich passiert? Also nicht, dass es mich wirklich interessieren würde…“, meinte sie anschließend. Ein leichtes Grinsen legte sich auf das Gesicht des Blonden, als er die Aussage der Schülerin vernahm. Zwar verwunderte es ihn etwas, dass sie sein Problem hinterfragte, jedoch nahm er das Angebot darüber zu sprechen gerne an und erzählte so, wie es zu seiner misslichen Lage gekommen war. Die Schwarzhaarige hörte schweigend zu und seufzte dann, als er geendet hatte. „Ich verstehe…“, meinte sie anschließend und schenkte ihm einen Seitenblick, „Aber jetzt sei mal ganz ehrlich… meinst du wirklich, dass es sich gelohnt hat? Ich kann mir vorstellen, dass du das wohl für jeden von uns getan hast, aber mit dem Hintergrund, dass du Mirâ echt gernhast, muss die ganze Sache doch echt nen bitteren Beigeschmack haben. Versteh mich nicht falsch, an deinen Gefühlen für Mirâ kannst du nichts ändern. Es ist nun einmal so. Aber sie bemerkt nicht was du für sie tust und wie du empfindest. Keine Ahnung, ob sie es mit Absicht ignoriert oder es wirklich nicht kapiert, immerhin steht dir das groß auf die Stirn geschrieben. Jedenfalls verpasst sie dir jedes Mal unbeabsichtigt eine Klatsche. Macht es dann wirklich Sinn sich wegen ihr eine so harte Strafe einzufangen? Macht dich das dann nicht wütend?“ Mit großen blauen Augen sah Hiroshi seine Gesprächspartnerin an und wandte dann den Blick gen Boden, während er kurz schwieg und über ihre Worte nachdachte. Es stimmte schon, dass es jedes Mal schmerzte, wenn ihm Mirâ auf irgendeine Weise wieder eine Abfuhr verpasste. Jedoch war er an der Situation ja nicht ganz unschuldig, immerhin war er es, der sich nicht traute ihr seine Gefühle offen zu sagen. Deshalb… „Was würde es mir bringen auf Mirâ wütend zu sein? Es ist egal, ob sie es absichtlich ignoriert oder es wirklich nicht merkt. Ich spiele ja nicht mit offenen Karten und muss deshalb einfach damit leben. Und wie du schon vermutest hast: Es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn jemand anderes an ihrer Stelle gewesen wäre. Wobei ich den Ball dann vielleicht nicht ganz so doll getreten hätte… oder vielleicht sogar wirklich daneben“, er lachte über seine eigene Aussage und rieb sich dabei den Hinterkopf. Mit Schwung stand er auf und machte ein paar Dehnübungen, bevor er sich der Schwarzhaarigen wieder zuwandte: „Aber ganz davon abgesehen… du bist ja auch nicht wirklich ehrlich was Shuya angeht. Du tust zwar immer so, als würde er dich nerven, aber eigentlich magst du ihn doch. Wenn dem nicht so wäre, würdest du ihn gar nicht so nah an dich heranlassen. Hab ich Recht?“ „Was geht’s dich an?“, wandte Kuraiko den Blick ab, doch den leichten rosa Schimmer auf ihren Wangen konnte sie nicht verbergen. Der Blonde sagte jedoch nichts dazu, sondern lächelte nur. Er war sich sicher eine Klatsche zu kassieren, wenn er noch etwas dazu sagen würde. Deshalb war es besser zu schweigen. Stattdessen machte er noch ein paar weitere Dehnübungen und kramte dann seine Kopfhörer wieder aus der Jackentasche, wo er sie vorher verstaut hatte. Er steckte sich eines der kleinen Geräte ins linke Ohr und sah dann wieder zurück zu seiner Teamkameradin: „Danke für das Wasser. Bei Gelegenheit werde ich mich erkenntlich zeigen. Also dann, wir sehen uns.“ Damit hatte er sich auch den anderen Kopfhörer ins Ohr gesteckt und war wieder losgetrabt, während ihm die Schwarzhaarige nachschaute. Ein kleines Lächeln lag auf Hiroshis Lippen, denn obwohl er Kuraiko bisher immer für unausstehlich gehalten hatte, musste er heute feststellen, dass sie auch ihre guten Seiten hatte. Vielleicht würde es ja helfen, dass sie sich von nun an etwas besser verstanden. Ein leises Lachen entfleuchte ihm, während ihm ein eher naheliegender Gedanke kam: „Wohl eher nicht.“ Kuraiko unterdessen sah dem jungen Mann noch eine ganze Weile nach, bevor er um die nächste Ecke verschwunden war. Sie lächelte ebenfalls, während sie an das Gespräch mit den Blonden zurückdachte. Auch sie war bisher nicht wirklich gut mit Hiroshi klargekommen. Dass sie mit ihm in einem Team kämpfte lag einzig und allein daran, dass sie dankbar für ihre Rettung war. Außerdem wollte sie keine Unruhe in die Gruppe bringen. So unsozial war sie dann auch wieder nicht. Für einen Moment hatte auch sie den Gedanken, dass sie sich nun vielleicht etwas besser mit ihm verstehen würde, welchen sie jedoch ebenfalls mit einem Lachen wieder verwarf. Sie blickte noch einmal in den grauen Himmel, bevor sie sich erhob und sich dann wieder an die Arbeit machte. Kapitel 138: CXXXVIII – Erfahrungsreicher Traum ----------------------------------------------- [*??.???.????*] [~???~] Der Klang traditioneller Trommeln ließ Mika aufschrecken und blinzeln, da das helle Licht der bunten Lampions und Lichterketten um sie herum sie regelrecht blendete. Etwas orientierungslos sah sie sich um, als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte und erkannte Massen von Menschen um sich herum, die Großteiles in bunten Yukatas bekleidet waren und sich aufgeregt unterhielten. Das Klackern hölzerner Getas drang an ihre Ohren, als eine Gruppe von jungen Mädchen lachend an ihr vorbeilief. Nur beiläufig bekam sie dabei mit, wie sie sich darüber unterhielten, was sie als nächstes machen sollten. Aus der Ferne hörte sie leise traditionelle Musik, welche jedoch von dem Rauschen übertönt wurde, das entstand, sobald viele Menschen durcheinanderredeten. Dieser Umstand jedoch sorgte dafür, dass ihr Kopf sich plötzlich ganz dumpf anfühlte. „Ne, ne, Mika…“, holte sie eine kindliche Stimme aus ihren Gedanken. Überrascht richtete die Blauhaarige ihren Blick auf die Person neben sich und erkannte dann ein Mädchen mit dunklen, wirren Haaren, welches in diesem Moment kurz wieder in eine andere Richtung blickte. Von der Körpergröße her, musste sie ungefähr in ihrem Alter sein. Jedenfalls nahmen sie sich von der Statur her nicht viel. Da ihr Gegenüber anscheinend noch nicht bemerkt hatte, dass sie sich ihr zugewandt hatte, nutzte Mika die Gelegenheit das Mädchen zu betrachten. Die dunklen, wirren Haare fielen locker auf ihre Schultern. Darunter kam ein dunkelblaues Kimonooberteil zum Vorschein, welches an der Taille von einem breiten hellvioletten Gürtel gehalten wurde, welcher am Rücken mit einer großen Schleife in der gleichen Farbe verschlossen war. Darunter kam ein türkisblauer Faltenrock zum Vorschein, welcher den Blick auf zwei nackte Beine freigab, die in schwarzen Getas steckten. Das Outfit ähnelte dem ihren. Einzig in der Aufteilung der Farben unterschieden sie sich. „Hast du gehört?“, fragte ihr Gegenüber unvermittelt, was die Blauhaarige wieder aufschauen ließ. Endlich hatte die Dunkelhaarige sich ihr wieder zugewandt, doch kaum trafen sich ihre Blicke, wich Mika erschrocken ein Stückchen zurück, als ihr auffiel, dass das Gesicht ihres Gegenübers vollkommen verschwommen war und sie es gar nicht erkennen konnte. Was ihr jedoch auffiel, war, dass das dunkelhaarige Mädchen beleidigt die Wangen aufblähte: „Was war das denn jetzt? Seh ich so schlimm aus?“ „Ähm… n-nein…“, stotterte Mika, doch bemerkte dann, dass die Dunkelhaarige anscheinend nicht weiter drauf eingehen wollte. Stattdessen kam sie ihr noch ein Stückchen näher, was jedoch an dem Umstand nichts änderte, dass sie das Gesicht nicht erkennen konnte. Das Mädchen beugte sich leicht nach vorn und berührte dann vorsichtig die beiden Glöckchen, die Mika an ihrem hellblauen Gürtel befestigt hatte und die ihr nur wenige Tage zuvor von einem Jungen geschenkt wurden. „Die sind echt hübsch. Kann ich eins davon haben? Immerhin sind es zwei. Und wir haben doch immer Partnerlook“, sagte ihr Gegenüber. Mika betrachtete die beiden goldenen Glöckchen einen Moment, dann wandte sie sich etwas ab und schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht genau wieso, aber es widerstrebte ihr gerade diesen Gegenstand mit dem gleichaltrigen Mädchen zu teilen. Es stimmte. Sie trugen immer ähnliche oder gleiche Sachen und teilten auch sonst sehr viel. Doch diese eine Sache wollte sie nicht teilen. Ob es an dem Umstand lag, dass es sich dabei um ein Geschenk handelte oder ob dies eine tiefere Bedeutung hatte, konnte sie gar nicht genau bezeichnen. Doch egal woran es lag: Sie wollte nicht teilen. „Nein tut mir leid. Ich habe sie von jemanden geschenkt bekommen, deshalb gebe ich sie auch nicht ab“, antwortete sie nach einer kurzen Pause, merkte, dann jedoch sofort, dass ihre Begleitung wieder beleidigt die Wangen aufblähte, „Da brauchst du gar nicht wieder auf beleidigt tun. Du kannst nicht verlangen, dass wir allen miteinander teilen.“ „Das ist aber gemein! Wir sollen doch teilen!“, schimpfte das Mädchen, doch Mika ließ sich nicht erweichen. „Das gilt für Dinge, die wir von Mama und Papa und Oma und Opa bekommen, aber nicht für sowas“, protestierte sie stattdessen. „Aber ich möchte eine haben!“, kam es nur bockig zurück. Ein Seufzen erklang hinter ihnen und ließ Mika sich umdrehen, wo sie ein junges Paar erkannte, die ihre Arme ineinander verhakt hatten. „Müsst ihr selbst hier streiten?“, fragte der männliche Part der beiden. Obwohl diese Frage tadelnd wirkte, so schenkte der junge Mann den beiden Mädchen ein warmes Lächeln, dass sich auch auf dem Gesicht seiner weiblichen Begleitung wiederfand. „Mama, Papa… Mika ist wieder gemein… sie will nicht mit mir teilen“, beschwerte sich plötzlich das dunkelhaarige Mädchen bei den beiden, „Dabei sagt ihr immer, dass wir doch teilen sollen.“ Wut stieg in Mika auf, als sie das Bild betrachtete. Es war immer das gleiche. Bekam ihr Gegenüber nicht was sie wollte, dann ging sie petzen oder bettelte solange, bis sie endlich ihren Willen bekam. Zwar versuchten ihre Eltern dem entgegen zu steuern, doch leider knickten sie viel zu häufig ein. Und es würde dieses Mal wieder so laufen, deshalb entschied sich die Blauhaarige sich zu wehren: „Daran ist nichts Gemeines. Ich habe dir gesagt, dass ich sie geschenkt bekommen habe. Ein Geschenk kann ich doch nicht einfach weitergeben.“ „Da ist was dran…“, murmelte nun die junge Frau, welche ihren Mann losließ und sich dann zu dem bockenden Mädchen herunterhockte, „Hör mal, !“%“§/!. Mika hat recht. Ein Geschenk weiterzugeben wäre sehr unhöflich. Außerdem haben wir doch schon einmal darüber gesprochen oder? Du kannst nicht immer alles haben und deinen Kopf durchsetzen. Außerdem habt ihr vorhin doch schon beide etwas von uns bekommen. Nicht wahr?“ Ein beleidigtes Nicken folgte als Antwort. „Siehst du. Außerdem hast du mir versprochen, dass du dir dieses Verhalten abgewöhnst… es dauert immerhin nicht mehr lange, bis ihr beiden große Schwestern seid“, tätschelte die junge Frau dem Mädchen über den Kopf. „Ja ich weiß…“, nuschelte Angesprochene und wandte sich dann ab, „Entschuldige, Mika…“ „Schon gut“, entgegnete ihr Gegenüber nur, doch blieb skeptisch. Sie wusste genau, dass dieser Umstand nicht lange so bleiben und bald das nächste Objekt auftauchen würde, was einen Streit provozierte. Trotzdem beließ sie es dabei und beobachtete ihre Mutter dabei, wie sie sich mithilfe ihres Vaters langsam wieder erhob. Sie rieb ihren Bauch und scherzte darüber, dass sich das Kleine ganz schön breit machte, bevor sie sich abwandte und mit ihrem Blick an einem Objekt hängen blieb, welches zwar an das Festgelände angrenzte und doch etwas entfernt wirkte. „Schade, dass dieser Ort so verkommt…“, sagte sie anschließend mit besorgtem Blick, „Dabei war es hier mal so schön…“ Auch ihr Mann sah zu dem Punkt und verschränkte die Arme in den Ärmeln seines dunkelblauen Yukatas: „Das lässt sich nicht ändern. Die Familie Tsukiyama kann sich nun einmal nicht mehr darum kümmern…“ „Das könnte sie, wenn der Sohn der Familie nicht von heute auf morgen den Rücken gekehrt hätte…“, murmelte seine Frau. Ihr Gegenüber zuckte mit den Schultern und erklärte, dass es Dinge gab, die man sowieso nie ergründen würde. Fragend sah Mika zu ihren Eltern, deren Gespräch sie beiläufig mitbekommen hatte und wandte sich dann ebenfalls der Stelle zu, die sie noch immer mit ihren Blicken fixiert hatten. Doch kaum hatte sie den Punkt gefunden, trafen ihre Augen nur auf tiefe Dunkelheit. Es wirkte beinahe so, als würden die Lichter des Festplatzes diesen Ort nicht erreichen könnten; so als würde das Licht regelrecht von etwas verschlungen werden. Ein kalter Hauch streifte ihre nackten Beine und sorgte dafür, dass ein Zittern durch ihren Körper ging. Sie wusste nicht wieso, der Anblick dieses Ortes machte ihr Angst. Sie hatte das Gefühl, dass dort etwas Unheilvolles nur darauf wartete sie zu verschlingen. [~??.???.????~] [*???*] Panisch öffnete sie die Augen und wurde erneut unangenehm geblendet, als ihr Blick die weiße Decke traf, die durch die untergehende Sonne in ein tiefes, helles Orange getaucht war. Sie wollte die Augen verdecken und sich aufsetzen, doch merkte schnell, dass ihr Körper ihr erneut den Dienst verweigerte. Egal was sie versuchte, es klappte einfach nicht. Hektisch zuckten ihre Augen hin und her, versuchten irgendwo einen Punkt zu finden, an dem sie sich fixieren konnten, doch fanden diesen Punkt nicht. Gleichzeitig versuchte sie sich irgendwie wieder zu beruhigen, doch ihre Gedanken spielten vollkommen verrückt, so als würden sie eine wilde Party feiern. Sie wusste, kaum dass die die Augen geöffnet hatte, dass sie sich wieder in dem einsamen Krankenzimmer befand. Das gleichmäßige Piepen der Geräte hatten ihr den Ort verraten. Doch hatte dieser Umstand nur noch mehr dazu geführt, dass sie das Gefühl bekam durchzudrehen. Sie wollte wissen, wieso sie hier ständig aufwachte und wieso dies jedes Mal passierte, nachdem sie diesen Traum einer möglichen Vergangenheit hatte. In dieser Art war ihr das noch nie passiert. Auch ihre Bewegungsunfähigkeit war ein Umstand, der sie verrückt machte und von dem sie sich wünschte zu wissen, wieso er so war. Es musste immerhin einen Grund dafür geben. Je mehr sie versuchte sich der Sache bewusst zu werden, desto hektischer wurde ihre Atmung, was unweigerlich dazu führte, dass die Gerätschaften, an die sie angeschlossen war, Alarm schlugen und einen penetranten piependen Ton von sich gaben. Alarmiert von dem Lärm, welcher aus ihrem Zimmer kam, wurde kurz darauf die Zimmertür aufgerissen und mehrere Personen kamen hineingestürmt. „Mika-chan, bitte beruhige dich. Es ist alles gut“, hörte sie die Stimme einer Schwester, welche ihr sanft über den Arm strich, während sich die anderen Personen um ihre Stabilisierung kümmern, „Schnell benachrichtigt Tsukinashi-san!“ [~Dienstag, 13. Oktober 2015~] [*Nachts*] Mit einem Ruck saß Mika aufrecht auf dem Futon, als sie aus ihrem ohnehin unruhigen Schlaf erwachte. Schwer atmend sah sie sich in dem dunklen Zimmer um, welches durch das eindringende Licht des Mondes etwas erhellt wurde. Dabei tastete sie panisch den weichen Futon ab, um Halt zu finden, mit dem sie sich wieder beruhigen konnte. Doch alleine die Berührung mit dem weichen Stoff half ihr etwas wieder herunterzukommen. Vorsichtig legte sie ihre immer noch leicht zitternde Hand an ihre Brust und spürte ihr Herz, welches regelrecht panisch einen Marathon zu absolvieren schien. Noch einmal ließ sie ihren Blick schweifen, in der Hoffnung etwas zu finden, was ihr Antworten geben konnte. Wieder hatte sie solch merkwürdige Träume. Dieses Mal sogar noch verrückter, als die letzten Male. Endlich blieben ihre Augen am Fenster hängen, jedoch ohne es wirklich zu fixieren. Viel mehr war sie in ihren Gedanken versunken, während ihr die Bilder noch einmal durch den Kopf gingen. Da war zuerst diese Szene auf dem Volksfest. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass es sich dabei nicht einfach nur um einen Traum handeln konnte. Dafür kam ihr das alles viel zu vertraut vor. Sie konnte also davon ausgehen, dass es ein Teil ihrer Erinnerungen war. Das wiederum bedeutete, dass sie definitiv Angehörige wie Eltern und Geschwister hatte und das gab ihr etwas Hoffnung. Man musste immerhin nur ihre Angehörigen ausfindig machen, um herauszufinden, was mit ihr passiert war. An diesem Punkt ging sie gedanklich zu ihrem zweiten Traum über. Es war jetzt schon mehrere Male geschehen, dass sie sich plötzlich bewegungslos in diesem Krankenzimmer befand. Dieser Umstand der Bewegungslosigkeit musste einen Grund haben, den es zu ergründen gab, jedoch hatte sie langsam das Gefühl, dass es sich auch dabei nicht nur um Visionen handelte. Mit Sicherheit hing dies alles mit ihren verschwundenen Erinnerungen zusammen. Doch nun hatte sie immerhin endlich einen Anhaltspunkt. „Tsukinashi…“, kam ihr wieder der Name in den Sinn, welchen die Schwester in ihrem Traum erwähnt hatte. Noch während sie das Wort aussprach breitete sich in ihr ein angenehmes Gefühl aus. Der Name war ihr vertraut, weshalb sie auch gar keine Zweifel daran hegte, dass es sich dabei um ihren Nachnamen handeln musste. „Tsukinashi Mika…“, ging ihr durch den Kopf und zauberte dabei ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht. Es klang ungewohnt und doch so unglaublich vertraut. Sie hatte endlich einen Anhaltspunkt auf ihre Identität gefunden. Doch wie ging es nun weiter? Endlich löste sich ihr Blick von dem Fenster und richtete sich auf den großen Standspiegel, welche die Spiegelwelt mit der realen Welt verband. Sie erhob sich und ging auf das Möbelstück zu, um einen Blick hinein zu werfen. Doch anstatt auf ihr Ebenbild, welches sich darin spiegeln sollte, blickte sie durch die Glasscheibe hindurch in Mirâs Zimmer, welches in Dunkelheit lag. Trotzdem konnte sie in der hinteren Ecke einen kleinen Hügel ausfindig machen, der eindeutig als Mirâ zu identifizieren war, die tief und fest unter ihrer Decke schlief. Mika öffnete den Mund und wollte dazu ansetzen nach ihrer Freundin zu rufen, doch stoppte noch bevor ein Ton ihre Lippen verließ. Stattdessen trat sie wieder einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte die Violetthaarige jetzt nicht deshalb mitten in der Nacht aus ihrem Schlaf reißen. Das konnte sie wirklich nicht bringen, immerhin musste die Oberschülerin wieder früh aufstehen. Es eilte ja jetzt auch nicht, auch wenn ihr diese Frage auf der Zunge brannte. Trotzdem würde sich sicher zu einem späteren Zeitpunkt eine bessere Gelegenheit dafür bieten. Sie seufzte tief und wandte sich von dem Spiegel ab, nur um kurz darauf das Zimmer zu verlassen. Da sie ohnehin nicht wieder einschlafen konnte, empfand sie einen kleinen Spaziergang als sinnvoll. Ganz davon abgesehen, dass sie für heute genug von ihren Erinnerungs-Träumen hatte. Jetzt, wo sie wusste, worum es sich dabei handelte, machten sie ihr zwar keine Angst mehr, jedoch wusste sie nie, wo sie landete. Und gerade von den Bildern im Krankenhaus hatte sie gerade genug. Irgendwie verstörte sie der Gedanke daran so bewegungslos an ein Bett gefesselt zu sein. Deshalb reichte es auch für heute. Bisher hatte sie eigentlich immer versucht auf Schlaf zu verzichten, da ihr diese Träume Angst machten, doch leider passierte es immer wieder, dass sie doch Müdigkeit überkam. Vor allem dann, wenn sie es sich auf dem Futon von Mirâ bequem gemacht hatte. In diesen Momenten hatte sie dann immer plötzlich das Gefühl, als würde ihr Körper regelrecht zum Schlaf gezwungen. Wieso das so war, wusste sie allerdings nicht. Seufzend trat sie aus dem Haus und blickte besorgt zum Mond hinauf, der schon fast seine volle Form erreicht hatte. Bisher war kein Opfer aufgetaucht; ein Umstand, der nicht nur ihr Sorgen bereitete. Auch Mirâ machte sich diesbezüglich ihre Gedanken und hatte sie gebeten die Augen offen zu halten und sie zu kontaktieren, sobald sich eine Änderung ergab. Doch bisher war niemand aufgetaucht. Viel mehr war es viel zu ruhig. Etwas an der aktuellen Situation beunruhigte sie, doch konnte sie nicht sagen, woher dieses Gefühl kam. Es wirkte einfach so, als befänden sie sich in der Ruhe vor dem Sturm. Als würde etwas nur darauf warten erbarmungslos aus dem Hinterhalt zuzuschlagen, ohne einem die Chance zu geben sich darauf vorzubereiten. Sie hoffte, dass sich ihr Gefühl täuschte und es dieses Mal einfach eine Ausnahme war, doch egal wie oft sie versuchte sich das einzureden, es änderte nichts daran. Sie seufzte und wandte ihren Blick endlich von dem leuchtenden Himmelskörper ab, bevor sie sich umdrehte und auf den Weg in Richtung Innenstadt machte. Kapitel 139: CXXXIX – Das nächste Opfer --------------------------------------- [~Dienstag, 13. Oktober 2015~] [ -Neumond- ] [*Früher Morgen*] „Also dann Mirâ. Hier stehen alle wichtigen Telefonnummern drauf“, zeigte Haruka auf einen kleinen Zettel, den sie an eine Notizwand im Eingangsbereich gehängt hatte, „Ansonsten haben wir ja alles besprochen. Ich bin dann hoffentlich morgen Abend wieder zuhause. Sollte sich aber etwas ändern, dann rufe ich nochmal an.“ „Wir bekommen das schon hin, Mama. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Junko und ich für ein paar Tage alleine sind“, versuchte Mirâ ihre Mutter zu beruhigen, bedachte sie jedoch mit einem besorgten Blick, „Aber ist wirklich alles in Ordnung? Du wirkst irgendwie so gestresst. Ist dieser Termin denn so dringend und wichtig?“ Etwas überrascht sah die ältere Frau die Oberschülerin an und setzte dann ein Lächeln auf, welches der Jüngeren aber sehr gekünstelt vorkam: „Na klar ist alles in Ordnung, mein Schatz. Mach dir keine Gedanken. Der Kunde ist nur etwas… naja… sagen wir anstrengend, deshalb bin ich doch etwas nervös. Also dann. Passt gut auf euch auf ihr beiden. Bis morgen.“ Damit hatte sich die Maklerin von ihren Töchtern verabschiedet und war regelrecht aus dem Haus getürmt, während ihr Mirâ mit schiefgelegtem Kopf und hochgezogener Augenbraue nachsah. Irgendwas kam ihr an dieser Situation merkwürdig vor. Nicht nur, dass Haruka so plötzlich zu einem ganz dringlichen Termin musste, und dann auch noch nach Osaka, auch ihr gesamtes Verhalten war seit dem Vorabend komisch. Die Violetthaarige hatte mitbekommen wie ihre Mutter mit jemanden telefoniert hatte und daraufhin wurde sie ziemlich nervös. Sie war aufgeregt im Wohnzimmer auf und ab gegangen und schien abzuwägen, was sie als nächstes tun sollte, bevor sie wieder zum Telefon gegriffen und noch einmal mit der Person am anderen Ende gesprochen hatte. Dann hieß es plötzlich, dass sie am frühen Morgen gleich nach Osaka musste. Doch was konnte dort so wichtig sein? So viel Mirâ wusste hatte ihre Mutter gar keine Kunden mehr dort, immerhin hatten sie die letzten Jahre in verschiedenen Städten gelebt, wo Haruka für verschiedene Institutionen gearbeitet hatte, bevor sie sich als Maklerin selbstständig gemacht hatte. Wieso sollte sie, wenn sie nun in Kagaminomachi lebten, nun einen Kunden in Osaka treffen? Es war einfach nur merkwürdig. Auch würde die Oberschülerin interessieren mit wem ihre Mutter überhaupt telefoniert hatte. Da sie die Anrufe über ihr privates Handy getätigt hatte, konnte die Violetthaarige das nicht nachvollziehen. Dazu kam, dass sich Haruka sofort in einen anderen Raum zurückgezogen hatte, als der Anruf einging. Das hatte sie bisher nie gemacht, außer Junko war beim Spielen zu laut, sodass sie ihren Gesprächspartner nicht verstehen konnte. Doch gestern Abend war ihre kleine Schwester bereits im Bett gewesen, als sie angerufen wurde. Verheimlichte ihre Mutter ihr irgendetwas? Und wenn ja, wieso? Nachdenklich legte die Oberschülerin einen Finger an ihr Kinn, während sie sich der Küche zuwandte, wo die Bentos der beiden Mädchen standen. Plötzlich hielt sie inne, als ihr ein Gedanke kam, der ihr in diesem Moment als am sinnvollsten erschien. Konnte es sein, dass ihre Mutter wieder einen Mann kennengelernt hatte? Aber wieso sollte sie diese Tatsache vor ihren Töchtern geheim halten? Wollte sie sie damit überraschen? Oder hatte sie sich gar wieder mit Mirâs Vater versöhnt? Das wäre wohl wirklich eine Überraschung. „Ugrh…“, wuschelte sich die junge Frau durch den violetten Pony. Es ergab Sinn, dann aber auch irgendwie wieder nicht. Es war einfach zum Haarraufen. Wieso machte ihre Mutter auch so ein Geheimnis daraus? Sie verstand es einfach nicht. Seufzend lehnte sich Mirâ gegen die Arbeitsplatte und ließ den Kopf sinken. Langsam bekam sie Kopfschmerzen. Deshalb entschloss sie sich vorerst das Thema ruhen zu lassen. Um sich abzulenken packte sie die Bentoboxen sorgfältig in die dafür vorgesehenen Stoffbeutel und sah dann durch den Raumtrenner hindurch nach Junko, welche am Esstisch saß und auf den Fernseher starrte. „Hey! Du sollst doch Frühstücken!“, schimpfte die Oberschülerin und lief um das offene Regal herum ins Wohnzimmer, um den Fernseher auszuschalten. Sofort protestierte die Grundschülerin, weil gerade ihre Lieblingsserie lief, doch Mirâ ließ sich nicht erweichen. „Die Folgen kennst du doch eh schon. Außerdem müsstest du gleich abgeholt werden. Also mach dich endlich fertig“, argumentierte sie dann und beobachtete, wie die Jüngere murrend aufstand, um dann im Badezimmer zu verschwinden. Seufzend sah die Ältere ihr nach und räumte dann den Tisch ab. Da Junkos Grundschule in eine andere Richtung lag, als die Jûgôya hatte Haruka noch am Abend organisiert, dass Junko am Morgen abgeholt und zur Schule gefahren wurde. Zwar hätte Mirâ sie auch begleiten könnten, doch dann hätten sie wesentlich zeitiger losfahren müssen, damit auch sie es rechtzeitig zum Unterricht geschafft hätte. So war es für beide Seiten wirklich entspannter. Ein Klingeln ließ Junko aus dem Bad stürmen und zur Eingangstür rennen, um diese zu öffnen. „Guten Morgen, Mimi-chan!“, begrüßte sie fröhlich ihre kleine Freundin, welche sie breit angrinste, „Ich bin gleich soweit.“ Bei geöffneter Tür wandte sich die Grundschülerin ab und setzte sich auf den Stufenabsatz, der den Eingangsbereich vom Flur trennte, um sich ihre Schuhe anzuziehen. Seufzend trat auch Mirâ, bepackt mit Junkos rotem Rucksack und dem Bentobeutel, an die Eingangstür: „Junko, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht einfach alleine die Tür öffnen sollst. Du weißt doch gar nicht wer davor steht.“ Beleidigt zog Junko eine Schnute, während sich die Oberschülerin den beiden Gästen zuwandte. „Guten Morgen, Kazuma-san. Vielen Dank, dass Sie Junko heute mitnehmen“, begrüßte sie den älteren Herren mit einer Verbeugung, welcher hinter Minami in der Tür stand, „Und entschuldigen Sie bitte ihre Unhöflichkeit.“ „Ach was“, lachte Dais Vater, „So sind die Kleinen eben. Und nichts zu danken. Es ist ja kein großer Umweg.“ „Trotzdem… entschuldigen Sie auch, dass meine Mutter sich nicht persönlich bedanken kann. Sie ist bereits abgereist“, entschuldigte sich die Violetthaarige noch einmal, doch der Brünette winkte nur lächelnd ab. Währenddessen hatte sich die blauhaarige Grundschülerin fertig gemacht und trat nun aus der Tür. „Also dann Junko. Bis heute Nachmittag. Und benimm dich“, verabschiedete sich ihre ältere Schwester. Die Kleine quittierte dies jedoch nur mit einem beleidigten Ausdruck, bevor sie sich mit Dais Vater und kleiner Schwester auf den Weg machte. Mirâ sah den dreien kurz nach, bevor auch sie sich für die Schule fertig machte und dann das Haus verließ. [ *Morgen* ] Als sie nach einiger Zeit die Schule erreichte wurde sie am Schultor von Ryu abgefangen. Gemeinsam schritten sie über den weitläufigen Hof hinüber zum Eingangsbereich, doch obwohl der Jüngere offensichtlich auf die Zweitklässlerin gewartet hatte, schwieg dieser eine ganze Weile. „Gab es etwas worüber du mit mir sprechen wolltest, Ryu-kun?“, fragte sie letzten Endes, um das Schweigen zu brechen. Der Brünette schien davon kurz etwas überrumpelt, doch fing sich recht schnell wieder: „Ähm naja… ich wollte fragen, ob Hiroshi-senpai noch irgendwas gesagt hat. Wegen der Sache neulich… und weil ich… naja so taktlos war, ihn auf seine Mittelschulzeit anzusprechen“ Mit großen roten Augen sah die Violetthaarige ihren Kohai an und lächelte dann: „Das beschäftigt dich. Was? Aber du brauchst dir keine Gedanken machen. Er hat dazu nichts weiter gesagt. Auch zu der Sache wegen seiner Kindheit nicht. Ich denke es war eh eine Frage der Zeit, bis er es dir auch verraten hätte.“ „Aber ich kann mir vorstellen, dass er nicht gerne daran erinnert wird… jedenfalls würde es mir so gehen“, murmelte Ryu. Die Ältere verstand was der Rotbrünette meinte, immerhin hatte sie mitbekommen, wie sich Hiroshi gequält hatte, als er ihr und Akane verraten hatte, was in der Mittelschule passiert war und welche Konsequenzen er daraus ziehen wollte. Von diesem Detail schien der Jüngere bisher auch noch nichts zu wissen, jedoch fand es Mirâ auch nicht richtig es zu erwähnen. Dieses Thema war etwas, was ihren Klassenkameraden alleine etwas anging; dazu zählte auch, wem er alles davon erzählte. Mit Sicherheit würde Ryu es ohnehin später noch erfahren. Trotzdem sollte Hiroshi der Einzige sein, der ihm wenn dann davon erzählt, selbst wenn er mittlerweile auch kein Geheimnis mehr darum machte, dass ihm Mobbing widerfahren war. „Ich denke, dass du dir darüber keine Gedanken machen musst. Ich bin mir sicher, dass er dir ohnehin irgendwann davon erzählt hätte, auch um dir Mut zu machen. Hiroshi-kun ist immerhin ein positives Beispiel, dass man aus diesem Strudel entkommen kann“, versuchte Mirâ den Jüngeren zu beruhigen. Dieser nickte: „Danke… weißt du, ich bin bei sowas immer noch ziemlich unsicher und möchte mich auch nicht unbeliebt machen. Vor allem jetzt, wo ich endlich Freunde gefunden habe, denen ich wirklich vertrauen kann.“ Auch diese Sicht von Ryu konnte sie sehr gut nachvollziehen, immerhin hatte er bisher immer nur schlechte Erfahrungen mit seinen sogenannten Freunden gemacht. Dass es nun Menschen gab, die ihm bedingungslos ihrer Freundschaft anboten und mit denen er auch über nicht so angenehme Themen reden konnte, selbst wenn es sich dabei um bereits Vergangenes drehte, war für ihn Neuland. Auch verstand sie seine Angst diese Freunde aufgrund eines Fehlverhaltens wieder zu verlieren. Ihr ging es ja nicht anders, immerhin hatte sie auch das erste Mal seit vielen Jahren wieder richtige Freunde gefunden. Und auch sie hatte Angst diese wieder zu verlieren, weil sie an irgendeiner Stelle eine falsche Entscheidung traf. Deshalb legte sie dem Jüngeren die Hand auf die Schulter und lächelte ihn lieb an: „Es ist alles gut, Ryu-kun. Wir sind für dich da, egal was kommt. Also scheu dich nicht mit uns zu Reden oder auch deine Meinung kundzutun. Okay?“ „Ähm ja… ich werde mein Bestes geben“, war das Einzige, was ihr Gegenüber dazu herausbrachte, „Vielen Dank für euer Vertrauen.“ Ein warmes Licht erfüllte Mirâs Brust, als ihr klar wurde, dass sie die Verbindung zu Ryu weiter vertieft hatte. Ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, während sie dem Rotbrünetten folgte. Dabei warf sie für einen Moment den Blick über ihre Schulter, woraufhin ihr Hiroshis Onkel auffiel, welcher am Tor an einem Pfeiler lehnte und dabei die Schüler ignorierte, welche ihn verwirrt ansahen. „Sag, darf ich dir eine Frage stellen?“, fragte sie daraufhin. Der Kleinere legte den Kopf schief: „Das hast du bereits. Aber ja. Frag.“ Für einen Moment war die Violetthaarige über diese Antwort etwas überrascht, doch fing sich dann wieder: „Ähm ja… du hast ja erwähnt, dass dein Vater der Polizeichef ist und dass er nicht damit klarkommt, was geschehen ist. Er möchte, dass du deine Probleme selber löst, anstatt Hilfe zu suchen. Wieso heftet er dir dann aber einen Polizisten an die Fersen? Akane erzählte mir, dass Hiroshis Onkel eigentlich bei der Kripo arbeitet. Hat er nicht andere Dinge zu erledigen?“ Angesprochener sah nun auch noch einmal kurz über seine Schulter und zuckte dann mit eben diesen: „So genau hab ich das auch nicht verstanden. Er hat wohl Angst, dass ich wieder abhaue und versucht das so zu verhindern. Außerdem erwähnte meine Mutter mal irgendetwas davon, dass er mich im Auge behalten will, weil er befürchtet, dass ich auf Abwege gerate. Eigentlich müsste er mittlerweile wissen, dass das absoluter Schwachsinn ist… aber wie du siehst…“ Er seufzte: „Aber ich habe gestern mitbekommen, dass Makoto-san mit meinem Vater diskutiert hat. Er will wohl, verständlicher Weise, wieder seinem eigentlichen Beruf nachgehen. Anscheinend machen sich auch schon seine Kollegen darüber lustig. Mein Vater wirkte wütend, aber er weiß auch, dass er seine Macht als Chef der Polizei nicht ewig ausnutzen kann, um jemanden abzukommandieren. Vielleicht bin ich meinen Schatten also bald los…“ „Das wäre zu wünschen. Auch für Makoto-san“, murmelte Mirâ, während sie noch einmal einen kurzen Blick zu genannten warf, ehe sie mit ihrem Kohai das Schulgebäude betrat. [ *Abend* ] Nachdenklich blickte Mirâ aus ihrem Fenster in die dunkle Nacht hinaus. Durch die schwarzen Wolken hindurch konnte sie vereinzelte Sterne blitzen sehen. Wäre die Straße vor ihr nicht durch Laternen erhellt gewesen, dann würde sie in tiefste Finsternis blicken, denn es war Neumond. Sie richtete ihren Blick kurz auf den Standspiegel in ihrem Zimmer, doch wandte ihn dann wieder hinaus in die Dunkelheit. In der Spiegelwelt war heute Vollmond und das verhieß normalerweise nichts Gutes. In den letzten Monaten waren diese Abende eigentlich immer ihr Limit gewesen, um die verschwundenen Opfer zu retten. Doch dieses Mal gab es da ein kleines Problem, wenn man es überhaupt so nennen konnte: Es gab niemanden, der vermisst wurde. Mika hatte ihr in den letzten Tagen immer wieder versichert, dass niemand hinübergekommen war und auch Megumis vermehrte Scans hatten kein Ergebnis gebracht. Es war nicht so, dass sie so erpicht darauf war wieder jemanden zu retten, aber es verunsicherte sie, dass dieses Mal plötzlich nichts geschah. War ihr Abenteuer etwas damit schon beendet? Schön wäre es ja, immerhin hätten sie sich so besser darauf konzentrieren können, Mika aus dieser merkwürdigen Welt zu befreien. Jedoch würde es wohl nicht so einfach sein. Das jedenfalls konnte sich die Violetthaarige nicht vorstellen. Immerhin war da immer noch der dunkle Schatten mit seinen merkwürdigen Drohungen. Seufzend legte sie ihrem Kopf auf ihre zusammengelegten Arme. Nein. So einfach war es mit Sicherheit nicht vorbei. Doch wieso war nun niemand drüben? Sie verstand es einfach nicht. Oder hatten sie einfach irgendetwas übersehen? „Hoffentlich nicht“, ging er sofort durch den Kopf. Es wäre schrecklich, wenn jemand drüben gefangen wäre und sie ihn nur deshalb nicht gefunden hätten, weil ihnen ein Puzzleteil fehlte. Das wäre auch ein Szenario, welches sie mit ihrem Gewissen nicht in Einklang bringen könnte. Da war die Vorstellung, dass es vorbei war, doch angenehmer. Es wäre ja eigentlich schön, wenn sie dieses Mal nicht kämpfen müssten. Eine Verschnaufpause war dringend nötig. Die Suchaktionen und Bosskämpfe mit ihrem Privatleben unter einen Hut zu bekommen und dabei auch noch ihr Geheimnis zu wahren, war auf Dauer wirklich anstrengend. Noch einmal seufzte sie schwer, während sie merkte, wie ihr langsam die Augen zufielen und sie begann abzudriften. „Das war aber ein tiefer Seufzer“, ließ sie jedoch plötzlich eine Stimme aufschrecken und sich umdrehen. Dabei fiel ihr Blick auf Mika, welche sich ihr gegenüber im Standspiegel zeigte und ihr leicht lächelnd zuwinkte: „Entschuldige. Hab ich dich geweckt?“ „Nein“, schüttelte die Violetthaarige den Kopf, während sie näher heranrutschte, „Gab es eine Veränderung?“ Auch das blauhaarige Mädchen schüttelte nun den Kopf und erklärte, dass auf ihrer Seite alles ruhig war. Selbst der Vollmond wirkte ganz normal und war nicht so blutrot und riesig wie sonst an solchen Abenden. Erleichtert atmete Mirâ auf. Vielleicht hatten sie dieses Mal wirklich Glück. Zu wünschen wäre es ja. Während sie so nachdachte musterte sie die Kleine ihr gegenüber, wobei ihr etwas auffiel, was ihr die letzten Male irgendwie entgangen war. „Sag mal… trägst du neue Kleidung?“, fragte sie plötzlich. Überrascht blickte Mika an sich herunter und lächelte dann etwas schüchtern: „Ähm ja… Ryu-kun hat mir die Sachen gegeben. Er meinte, weil meine Kleidung schon so kaputt war. Ähm… es sieht komisch aus oder?“ „Nein, so war das nicht gemeint. Es steht dir. Sieht niedlich aus“, lachte Mirâ, „Es hat mich nur erstaunt. Wie lange hast du sie schon? Die letzten Male ist es mir irgendwie nicht aufgefallen.“ „Naja… ich hab sie schon eine Weile, aber ich trage sie erst seit ein paar Tagen“, murmelte die Blauhaarige und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, während ihr Gesicht leicht rosa Wangen zierten. Lächelnd beobachtete die Violetthaarige ihre Freundin und freute sich irgendwie darüber, dass Ryu sich so um sie sorgte. Dabei ignorierte sie allerdings vollkommen, dass sich der junge Mann nicht an ihre Abmachung gehalten hatte und anscheinend alleine drüben war. Aber sie durfte diesbezüglich eh nichts sagen. Immerhin war sie nicht besser gewesen. Auch sie hatte gegen diese Abmachung verstoßen und wäre dabei beinahe noch draufgegangen, wenn Narukami-sensei sie nicht gerettet hätte. „Du Mirâ, kann ich dich etwas fragen?“, holte sie Mikas Stimme wieder aus ihren Gedanken. „Ja sicher“, lächelte die Oberschülerin, während ihr Gegenüber zu überlegen schien, wie sie fragen sollte, „Hm?“ „Sagt dir der Name Tsukinashi etwas?“, stellte die Blauhaarige nun endlich die Frage, welche ihr auf der Zunge brannte, bekam jedoch nicht sofort eine Antwort drauf. Stattdessen wurde es plötzlich still. Überrascht sah die Jüngere auf und direkt zu Mirâ, welche sie mit großen, überraschten roten Augen ansah, die noch viel intensiver wirkten, da der jungen Frau die Farbe aus dem Gesicht gewichen war. „Mirâ?“, fragte die Blauhaarige deshalb noch einmal besorgt nach. „Sagtest du Tsukinashi?“, kam jedoch nur eine Gegenfrage, welche sie mit einem Nicken bestätigte, „So heißt…“ Weiter kam die Violetthaarige nicht, denn im nächsten Moment zuckte sie erschrocken zusammen, als ihre Zimmertür aufgerissen wurde und Junko zwischen Tür und Angel stand. Sofort ging ihr Blick Richtung Spiegel, welcher jedoch wieder nur ihr eigenes Spiegelbild zeigte. Zum Glück hatte sich Mika rechtzeitig wieder versteckt. Es wäre viel zu kompliziert zu erklären was es mit ihr auf sich hatte, sollte sie entdeckt werden. Den Namen, den sie noch wenige Sekunden zuvor gehört hatte, war mit einem Male wieder vergessen. Stattdessen sah sie böse zu ihrer kleinen Schwester. „Sag mal Junko, spinnst du? Wie kannst du mich so erschrecken?“, schimpfte sie sofort, woraufhin die Grundschülerin erschrocken zurückwich, „Außerdem habe ich dir schon Mal gesagt, dass du nicht einfach in mein Zimmer stürmen sollst.“ Mit großen rotbraunen Augen sah die Kleine sie an und wusste im ersten Moment gar nicht so recht wie ihr geschah. Stotternd versuchte sie etwas zu sagen, während sich Tränen in ihren Augen sammelten. Sie hatte doch gar nicht vor ihre große Schwester zu erschrecken. Sie hatte eine ihr unbekannte Stimme gehört und wollte wissen mit wem sich Mirâ da unterhielt, immerhin waren sie ja eigentlich alleine zuhause. Ja sicher, vielleicht hätte sie nicht so stürmisch sein dürfen, aber trotzdem gab das der Älteren nicht das Recht sie deshalb so anzupflaumen. All das lag Junko auf der Zunge, doch nichts davon ging ihr über die Lippen. Stattdessen flossen ihr nun Tränen die Wangen herunter, während auch sie plötzlich wütend wurde, weil sie so ungerecht behandelt wurde. Immer noch sah Mirâ die Kleine böse an, doch schrak plötzlich auf, als das Licht um sie herum begann zu flackern. Irritiert sah sie sich um, konnte sich diese Störung jedoch nicht erklären. Zur gleichen Zeit spürte Mika auf der anderen Seite des Spiegelns eine unangenehme kälte, welche sich in dem kleinen Zimmer breit machte. Sich nach der Quelle umschauend fiel ihr ein schwarzer Nebel auf, der langsam durch die geöffnete Tür hereinkam und über den Boden in Richtung Spiegel kroch. Je näher er der Blauhaarigen kam, die neben dem Spiegel stand, desto kälter wurde die Umgebung um sie herum. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und ließ sie erstarren und nahm ihr so die Chance Mirâ zu warnen. Aber selbst, wenn sie sich hätte bewegen können, mit Junko im Raum war dies eigentlich unmöglich. Andernfalls würde sie sich verraten. Doch abgesehen von dieser Situation machte ihr dieser schwarze Nebel Angst, welcher sich nun langsam vor dem Spiegel aufbaute und diesen einzunehmen schien. Was war das nur? Mirâ bekam davon auf ihrer Seite gar nichts mit. Sie war wieder damit beschäftigt Junko böse anzusehen und sah dadurch auch gar nicht den schwarzen Schatten, der sich in ihrem Spiegel zeigte. Auch die sich plötzlich zu verändernde Atmosphäre um sie herum bemerkte sie nicht. Ihr Blick war so fixiert auf die Grundschülerin, die nach geeigneten Worten zu suchen schien, während ihr Gesicht immer weiter rot anlief. Dann jedoch platzte es aus ihr heraus: „Ich habe mir doch nur Sorgen gemacht! Wieso bist du gleich wieder so gemein zu mir? Ich hasse dich, Onee-chan!“ Erschrocken wich die Violetthaarige aufgrund dieser Worte zurück und hatte mit einem Mal das Gefühl die Zeit würde stillstehen. Stattdessen verschwamm nun das Bild vor ihren Augen und vermischte sich mit einer anderen Szene, die ihr jedoch vollkommen unbekannt vorkam. Sie befand sich in einem ihr unbekannten Raum, der jedoch etwas an ein traditionelles japanisches Zimmer erinnerte. Ihr gegenüber stand eine Person, doch sie konnte nicht genau erkennen, um wen es sich dabei handelte. Viel zu sehr waren ihre Konturen verschwommen. Allerdings war klar, dass sie ungefähr genauso groß sein musste wie sie selbst. In ihrem Inneren spürte sie eine plötzlich aufkommende Wut, die drohte aus ihr herauszubrechen. Sie wollte etwas sagen, fand jedoch nicht die richtigen Worte dafür, denn sie wusste, dass sie das, was sie in ihrer Wut sagen würde, nicht wieder zurücknehmen konnte. Doch egal wie sehr sie auch überlegte, ihr fiel einfach nicht ein, wie sie sich hätte besser ausdrücken könnten. Stattdessen wurde das Gefühl in ihr immer mächtiger, sodass sie es nicht mehr schaffte es zu unterdrücken. „Ich hasse dich, &§%(§%§“, platzte es schlussendlich aus ihr heraus. In diesem Moment erwachte die junge Frau wieder aus ihrem Tagtraum, während nun auch langsam wieder Mikas Stimme zu ihr durchdrang, die ihren Namen rief. „MIRÂ! Komm zu dir! Es ist schrecklich!“, rief sie und lenkte so nun die Aufmerksamkeit der Violetthaarigen wieder auf den Standspiegel, „Junko wurde hierher verschleppt!“ Es dauerte eine Weile bis diese Information zu der Oberschülerin durchgedrungen war. Panisch sah sie sich um und erkannte dann, dass sie die Einzige in ihrem Zimmer war. Sie setzte sich in Bewegung und stürmte aus dem Zimmer, um jeden Winkel des Hauses nach der Grundschülerin zu durchsuchen. Sie konnte und wollte nicht glauben, was Mika sagte. Es durfte einfach nicht sein. Junko durfte einfach nicht in die Welt hinter den Spiegeln verschleppt worden sein. Es durfte einfach nicht… Geschockt stellte Mirâ fest, dass sie das kleine Mädchen nirgends fand. Auch die Eingangstür, welche sie noch abgeschlossen hatte, bevor sie in ihr Zimmer gegangen war, war weiterhin verschlossen, ebenso die Fenster, die auf die Veranda führten. Junko konnte also auch nicht nach draußen verschwunden sein. Also gab es nur noch eine Möglichkeit. Kreidebleich kam die Oberschülerin wieder in ihr Zimmer geschlürft und sah dann zu Mika, die ihr sofort ansah, dass sie keinen Erfolg hatte. „Es… es tut mir so leid, Mirâ! Ich… ich wollte dich warnen, aber… ich konnte mich einfach nicht bewegen. Ich war wie gelähmt… bitte… verzeih mir“, versuchte sich die Blauhaarige bei ihr zu entschuldigen. Das alles jedoch drang nur bedingt zu der Violetthaarigen vor. Geschockt von der Erkenntnis, die sie wie ein Blitz getroffen hatte, sackte sie in sich zusammen und wusste plötzlich nicht mehr was sie nun tun sollte. Kapitel 140: CXL – Verzweiflung ------------------------------- [~Dienstag, 13.Oktober~] [-Neumond-] [*Abend*] „MIRÂ! Komm zu dir! Es ist schrecklich!“, rief sie und lenkte so nun die Aufmerksamkeit der Violetthaarigen wieder auf den Standspiegel, „Junko wurde hierher verschleppt!“ Wie angewurzelt saß Mirâ noch immer auf dem Fußboden ihres Zimmers und starrte auf die dunklen Dielen unter sich, ohne diese wirklich wahrzunehmen. Dumpf und in weiter Ferne hörte sie, wie jemand nach ihr rief, doch gelang es dieser Person nicht gänzlich zu ihr durchzudringen. Viel zu sehr war sie von den Geschehnissen geschockt, die sich kurz zuvor ereignet hatten. Junko war verschwunden… und sie war schuld daran. Hätte sie den herannahenden Shadow bemerkt, der es gewagt hatte, die Grundschülerin in die Welt hinter den Spiegeln zu ziehen, wäre das niemals passiert. Sie hätte Junko beiseite ziehen oder anderweitig beschützen können. Doch stattdessen war sie wieder in einem ihrer Tagträume gefangen, der sie reglos zurückgelassen hatte. Diese Chance hatte das Wesen aus der anderen Welt genutzt und sich ihre kleine Schwester geschnappt. Damit wurden mehr denn je die Worte unterstrichen, die der unheimliche Schatten nach dem Kampf gegen Ryus Shadow an sie gerichtet hatte. Damals hatte er sie gewarnt, dass jemand hineingezogen werden würde, der ihr wichtig war, sollte sie ihren Weg weiterhin so beschreiten wie bisher. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Mirâ diese Worte wieder verdrängt gehabt, zumal ihr nicht in den Sinn gekommen war, dass eine solche Situation eintreten könnte. Doch nun war es zu spät. Das Wesen hatte seine Drohung wahr gemacht und ihre kleine Schwester zu sich geholt; eine wehrlose und unschuldige Grundschülerin, die für all das gar nichts konnte. Hätte sie etwas daran ändern können, wenn sie auf die Worte gehört hätte? Hätte sie aufgeben und nicht weiter nach einem möglichen Opfer suchen sollen? Hätte sie Junko damit vor diesem Alptraum retten können? Sie wusste keine Antwort auf ihre Fragen und fühlte sich plötzlich so machtlos. Was hatte ihre Fähigkeit für einen Nutzen, wenn sie nicht einmal dazu in der Lage war, die ihr wichtigen Menschen zu beschützen? Immer tiefer in ihren dunklen Gedanken eintauchend, sank die Oberschülerin immer mehr in sich zusammen, bis sie nur noch wie ein Häufchen Elend auf dem Boden kauerte; dabei vollkommen die Stimme Mikas ignorierend, die immer und immer wieder ihren Namen rief. „Mirâ verdammt! MIRÂ!“, rief Mika immer wieder, auch wenn ihr schon der Hals brannte und ihre Stimme drohte zu versagen. Sie wollte, nein, sie durfte nicht aufgeben. Irgendwie musste sie es schaffen die Ältere wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Eile war geboten, immerhin ging es um Junkos Leben. Doch egal wie oft sie auch den Namen ihrer Freundin rief, sie reagierte nicht. Verzweifelt legte sie ihre Stirn gegen das kalte Glas des Spiegels und rutschte dann daran herunter, bis sie auf ihren Knien saß. „Mirâ, ich bitte dich. Komm wieder zu dir“, flehte sie verzweifelt mir kratziger Stimme, „Wir müssen Junko doch da rausholen…“ Was sollte sie jetzt nur machen? Welche Optionen blieben ihr noch? Es war Tatsache, dass sie Junko retten mussten, doch dafür brauchten sie Mirâ. Und diese wirkte mit jeder Minute die verging immer kraftloserer, so als würde sie nach und nach den Willen verlieren überhaupt zu kämpfen. Die Blauhaarige hatte eine Ahnung davon, was im Kopf der Älteren vorging, immerhin hatte sie die Worte des Schattens ebenso vernommen. Mirâ gab sich mit Sicherheit die Schuld an dieser Situation. Sie machte sich Gedanken darüber, ob sie es hätte verhindern können, wenn sie aufgehört hätten. Doch was wäre dann aus möglichen Opfern geworden, die womöglich noch gefolgt wären? Hätte sie diese einfach im Stich lassen können? Das konnte und wollte Mika nicht glauben. Sie war auch der Meinung, dass es nichts an der ganzen Situation geändert hätte. Wahrscheinlich hätte es nur noch mehr sinnlose Opfer gegeben, die weniger Glück hätten, als ihre Freunde. Aus diesem Grund durften sie auch nicht aufgeben und mussten weiter machen. Nur wie sollten sie das schaffen, wenn Mirâ jeglichen Willen zu kämpfen verloren hatte und noch immer in ihren Gedanken gefangen war? Sollte sie alleine losziehen und nach Junko suchen? Doch was hätte sie dann ausrichten können, wenn sie dem Shadow gegenübergestanden hätte? Sie besaß weder eine Persona, noch die allgemeine Fähigkeit zu kämpfen. Damit war es unmöglich die Grundschülerin zu retten. Viel eher glich es einem Selbstmordkommando und damit wäre niemandem geholfen. Was also blieb ihr noch? Sie musste es irgendwie schaffen Mirâ wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Nur sie und ihre Freunde gemeinsam wären in der Lade dazu Junko zu retten. Doch auch jeder weitere Versuch zu der Oberschülerin vorzudringen waren bisher gescheitert. Verzweifelt schlug Mika mit der Faust gegen den Spiegel. Wenn sie nur in der Lage wäre diese Welt zu verlassen und hinüber zu Mirâ zu gehen, dann könnte sie die Violetthaarige notfalls mit einer Backpfeife wieder zurückholen. Doch sie saß hier fest und war machtlos. Trotzdem musste es doch eine Möglichkeit geben sie wieder zur Besinnung zu bringen. Verzweifelt kniff sie die Augen zusammen und überlegte angestrengt. Was sollte sie nur machen? Plötzlich kam ihr ein Gespräch in den Sinn, was sie einmal mit Mirâ geführt hatte. Damals hatte sie erzählt, dass sie sich beinahe in ihren dunklen Gedanken verloren hätte, wäre nicht eine ganze bestimmte Person in ihrer Nähe gewesen, die sie da wieder herausgeholt hätte. Auch wenn sich Mika nicht sicher sein konnte, so hoffte sie, dass derjenige welche auch in dieser Situation helfen und zu ihr durchdringen konnte. Sie hob den Blick und sah noch einmal zu Mirâ hinüber, die noch immer reglos auf dem Boden hockte. Dann nickte sie entschlossen. Es gab nur diese Möglichkeit. Sie musste es also einfach versuchen. Damit erhob sie sich aus ihrer Position und drehte sich auf dem Absatz um, nur um kurz darauf das Zimmer zu verlassen. Kaum war sie jedoch in den Flur getreten, blieb sie wie angewurzelt stehen, als ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Ruckartig drehte sie sich zur Seite und blickte auf eine geschlossene Tür, an welcher ein niedliches Schild mit der Aufschrift „Junko“ hing. Damit war klar wohin sie führte, doch das war nicht der Grund, wieso die Blauhaarige mit einem Ruck zurückwich. Viel mehr lag es an der unheimlichen Macht, welche unaufhörlich aus diesem Raum herausströmte und immer stärker zu werden schien. Noch einmal wurde ihr bewusst, dass Eile geboten war, weshalb sie schwer schluckte und dann so schnell wie möglich das Haus verließ, um endlich Hilfe zu holen. Leise pfeifend betrat Hiroshi sein Zimmer; dabei ein Handtuch um seinen Nacken gelegt, mit dem er sich kurz zuvor seine Haare etwas angetrocknet hatte. In seiner Hand hielt er eine Flasche Cola und eine kleine Tüte Chips, die er sich gleich schmecken lassen würde, sobald er seine Konsole gestartet hatte. Heute war der perfekte Abend für eine Gamesession. Da war zum einen der Umstand, dass er alleine war, weil seine Mutter Nachtschicht hatte und sein Vater bei einem Geschäftsessen war. Und zum anderen erwartete sie an diesem Abend endlich mal wieder kein Bossgegner, den es zu besiegen galt. Zwar hatte er sich auch Gedanken darüber gemacht, ob sie nicht doch etwas übersehen hatte, doch hatte diese damit wieder beruhigt, dass sie ja wirklich alles abgesucht und nichts gefunden hatten. So sollte ihn an diesem Abend nichts und niemand daran hindern, endlich sein neustes Videospiel zu zocken. Voller Vorfreude wandte er sich dementsprechend seiner Sitzecke zu und steuerte gezielt auf diese zu, als er plötzlich das Gefühl hatte seinen Namen zu hören. Er stoppte kurz und lauschte, konnte jedoch nichts hören. Deshalb zuckte er nur mit den Schultern und entschied, sich einfach nur verhört zu haben. Vielleicht waren es auch einfach nur die Nachbarn, die er gehört hatte. So wandte er sich wieder seinem Tun zu, als die Stimme in diesem Moment erneut ertönte; dabei jedoch um einiges Lauter: „HIROSHI!“ Dieses Mal hatte er sich die Stimme definitiv nicht eingebildet, weshalb er sich vollkommen überrumpelt umdrehte und plötzlich den Schreck seines Lebens bekam, als er eine Person in der Spiegeltür seines Kleiderschrankes vorfand. Erschrocken wich er daraufhin zurück, stolperte und fiel danach rücklinks mit einem überraschten Aufschrei über die Lehne seiner Couch, genau in die Sitzecke hinein. Ein kurzes Rumpeln ertönte, als er dabei auch noch seinen kleinen Couchtisch streifte. Das jedoch interessierte Mika nicht. Schwer atmend stützte sie sich auf ihren Knien ab und wischte sich den Schweiß vom Kinn, welcher von ihrer Stirn hinablief. „W-was zum Geier ist passiert Mika?“, setzte sich der Blonde langsam wieder auf, während er sich an der Lehne wieder nach oben zog. Angesprochene atmete tief durch, um wieder zu Kräften zu kommen: „Junko wurde entführt!“ Geschockt weitete der junge Mann seine blauen Augen, während ihm das kleine Mädchen in kürze erzählte was vor nicht allzu langer Zeit passiert war. Nur wenige Minuten später sprintete der Oberschüler durch die Straßen des Stadtviertels, dabei den kürzesten Weg nehmend, den er finden konnte. Er hatte sofort alles stehen und liegen gelassen, nachdem er erfahren hatte, was geschehen war; dabei war es ihm völlig egal, dass seine Haare noch teilweise nass waren oder er wahrscheinlich noch mächtigen Ärger bekommen würde, wenn sein Vater nachhause kam und bemerkte, dass er nicht in seinem Bett lag. Diese Dinge waren in diesem Moment einfach nur zweitrangig. Er wollte nur so schnell wie möglich zu Mirâ. Dazu hatte er sogar bewusst auf die U-Bahn verzichtet, da er der Meinung war in einem schnellen Sprint schneller an sein Ziel zu gelangen, zumal er da mehr oder weniger einmal querfeldein laufen konnte. Noch im Fahrstuhl hatte er sofort Akane kontaktiert und diese in Kürze eingeweiht, nur um ihr dann aufzutragen, die anderen zusammenzutrommeln und sie zum Einkaufszentrum zu zitieren. Auf die Frage hin, was er denn machen würde, hatte er gar nicht reagiert und sofort wieder aufgelegt, um dann Mirâ anzurufen. „Der Gesprächspartner ist aktuell nicht zu erreichen…“, erklang es jedoch darauf nur nach kurzem Klingeln aus dem Hörer. Zunge schnalzend wählte er sogleich die Wahlwiederholung und versuchte es erneut, jedoch mit dem gleichen Ergebnis. Trotzdem kam für ihn aufgeben nicht in Frage und so versuchte er es einfach immer wieder. Doch egal, wie oft er auch die Nummer der Violetthaarigen wählte, sie nahm einfach nicht ab. „Kche“, knirschte er mit den Zähnen, als er zum wiederholten Male die Bandansage hörte, versuchte es jedoch daraufhin gleich noch einmal. So erreichte er innerhalb kürzester Zeit das Haus, in dem die junge Frau wohnte und stürmte sogleich auf die Eingangstür, welche er versuchte aufzuschieben. Jedoch blockierte sie, was drauf hinwies, dass sie verschlossen war. Also betätigte er die Klingel, woraufhin aus dem Inneren das dumpfe Klingeln der Glocke zu hören war. Doch auch darauf reagierte die Oberschülerin nicht. Er trat einige Schritte zurück und sah hinauf zu den Fenstern, welche zu Mirâs Zimmer gehörten. Dabei musste er feststellen, dass sie auf jeden Fall noch hier sein musste, denn ganz leicht schimmerte Licht durch die zugezogenen Vorhänge. „Mirâ ich weiß, dass du da bist! Mach die Tür auf!“, rief er laut, dabei vollkommen ignorierend, dass es die Nachbarn hören und vollkommen falsch verstehen könnten. Das allerdings war ihm in diesem Moment ohnehin egal. Es gab wesentlich wichtigeres, als sich um solche Nichtigkeiten zu kümmern. Junko war in Gefahr und sie mussten sie retten, doch zuvor musste er es schaffen Mirâ aus diesem Haus zu bekommen. Zunge schnalzend nahm er wieder sein Handy zur Hand und wählte erneut ihre Telefonnummer, nur um daraufhin wieder mit der Bandansage konfrontiert zu werden. „Verdammt Mirâ! Du hörst mich doch! Oder? Los mach die Tür auf!“, rief er zum wiederholten Male und versuchte noch einmal telefonisch zu ihr durchzudringen. Mirâ hörte das Klappern der Haustür und das vibrieren ihres Handys, welches immer wieder über den Tisch rutschte, doch war sie nicht im Stande sich zu bewegen und darauf zu reagieren. Ihr Körper war so schwer, während sie sich selbst so nutz- und hilflos fühlte. Dabei wusste sie doch genau was zu tun war: Sie musste Junko retten. Aber wie sollten sie das schaffen? Es war unmöglich innerhalb eines Abends einen gesamten Dungeon zu erobern und im Nachhinein noch einen mächtigen Shadow zu besiegen. Das würde ihre physischen Kräfte übersteigen und den sicheren Tod bedeuten. Dieser Gedanke lähmte sie. Sie konnte doch aber ihre Schwester nicht im Stich lassen. Gab es aber überhaupt einen Weg die Grundschülerin zu retten? Ihre Gedanken drehten sich wieder im Kreis und rissen sie immer weiter in einen tiefen Abgrund, dem sie nicht entrinnen konnte. Die Zähne zusammenbeißend, kniff sie die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. Sie wollte einfach nichts mehr hören und auch nichts mehr sehen. „MIRÂ!“, drang plötzlich Hiroshis Stimme zu ihr durch. Sie zuckte zusammen, denn kaum erklang die Stimme des jungen Mannes, die ihren Namen rief, tanzten kleine Lichter vor ihrem geistigen Auge umher und erhellten die imaginäre Dunkelheit um sie herum. Immer klarer wurde das Rufen, wodurch auch das Licht vor ihr immer heller wurde. Mit einem Mal erwachte die Violetthaarige aus ihrer Starre, als erneut fordernd die Klingel ertönte. Kurz darauf begann ihr Handy wieder zu Klingeln. Erschrocken sah die junge Frau zu dem kleinen Gerät, welches Leuchtend über den Schreibtisch rutschte. Trotz ihrer Position erkannte sie sofort das Bild, was ihr bei dem eingehenden Anruf angezeigt wurde. Mit schweren Bewegungen erhob sich Mirâ endlich und griff nach dem klingelnden Gerät, auf dem das Foto von Hiroshi zu erkennen war. Zitternd wischte sie über das Display und nahm das Gespräch damit entgegen, bevor sie sich das Telefon ans Ohr hielt. „Endlich nimmst du ab!“, die Erleichterung des Blonden war ihm anzumerken. Plötzlich schwand die Anspannung, die sie die ganze Zeit gelähmt hatte, und Tränen stiegen ihr in die Augen: „Hiroshi-kun… ich… Junko…“ „Ich weiß Bescheid. Mika hat mich über alles informiert und mich hergeholt“, sagte Hiroshi mit sanfter Stimme, „Komm bitte runter und öffnete die Tür. Dann besprechen wir in Ruhe, wie es weiter geht.“ Endlich ertönte das erlösende Klacken der an der Haustür, welches verriet, dass sie entriegelt wurde. Kurz darauf kamen violette Haare zum Vorschein, als sich die Schiebetür mit einem leisen Rattern langsam öffnete. Erleichtert darüber, dass die junge Frau endlich wieder zu sich gekommen war, trat Hiroshi an sie heran, doch stolperte wieder einen Schritt zurück, als sich die Violetthaarige plötzlich an seine Brust warf und in sein Shirt krallte, dass unter der offenen Jacke zum Vorschein kam. Etwas überrumpelt von dieser Aktion, wusste er kurz nicht, was er tun sollte, doch strich Mirâ dann beruhigend mit der Hand über den Hinterkopf. Mit dem anderen Arm zog er sie fest an sich heran, um sie so wieder zu beruhigen. Mirâ ließ es geschehen, sodass sie in dieser Position eine Weile verweilten, bis das Beben in ihrem Körper langsam nachließ. „Geht’s?“, fragte der Blonde anschließend vorsichtig nach, woraufhin ihm mit einem Nicken geantwortet wurde, „Keine Sorge, Mirâ. Ich habe Akane schon informiert. Sie benachrichtigt die anderen. Wir treffen uns mit ihnen am Einkaufszentrum und retten Junko.“ Die Zweitklässlerin zuckte kurz zusammen und löste sich vorsichtig von ihrem Kumpel, während man ihr ansah, wie sie wieder jegliche Kraft verlor: „Aber… wie? Hiroshi-kun… wir müssen sie HEUTE retten. Wie sollen wir das schaffen, wenn wir erst noch einen Dungeon erobern müssen? Das ist… unmöglich…“ Wütend über die Worte seiner Teamkameradin, die vermuten ließen, dass sie bereits aufgegeben hatte ohne es versucht zu haben, packte der junge Mann sie an den Schultern und zwang sie so ihn anzusehen. Erschrocken blickte diese in die blauen Augen ihres Gegenübers, die sie ernst ansahen. „Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Aber es gar nicht erst zu versuchen, kommt nicht in Frage. Es geht hier im Junko-chan“, mahnte er und versuchte dabei seine Wut zu unterdrücken, „Los, zieh dir was über! Wir gehen!“ Die Violetthaarige zögerte, immerhin war ihr Unterfangen das reinste Selbstmordkommando. Aber… es ging im Junko… ihr kleine Schwester… „MIRÂ!“, ließ Hiroshis Stimme sie erneut aufschrecken. Nun endlich kam wieder Bewegung in ihren Körper, woraufhin sie sich schnell ihre Turnschuhe überzog und sich dann gemeinsam mit dem jungen Mann auf den Weg zum Einkaufszentrum machte; ohne jedoch ihre Zweifel gänzlich zu verlieren. Mit der U-Bahn erreichten die beiden nach nur wenigen Minuten das Einkaufszentrum, wo sie bereits von den anderen erwartet wurden. „Mirâ!“, kam sofort Akane auf ihre Freundin zugestürmt, „Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich dich nicht erreicht habe. Keine Sorge. Wir werden Junko-chan retten. Verlass dich darauf!“ Überrascht sah Angesprochene erst die Brünette an und dann hintereinander weg ihre anderen Freunde, die sich vor ihr versammelt hatten. Ihnen allen sah man an, dass sie fest entschlossen waren und keine Zweifel hegten. Das jedoch ließ ihre Ängste trotzdem nicht schwinden. „Wie könnt ihr euch da so sicher sein?“, fragte sie deshalb verunsichert, während ihr Blick auf ihre Füße wanderte. „Es gibt keine andere Option“, ließ Masarus Stimme sie jedoch wieder aufschauen, „Wenn wir Junko-chan heute nicht retten, dann ist sie für immer verloren.“ „Viel mehr ist die Frage, wieso du daran zweifelst, Mirâ“, kam es von Yasuo, welcher sie mit einem ernsten Blick bedachte, „Wieso hast du schon aufgegeben? Das sieht dir nicht ähnlich.“ „Aber… wir hatten bei Ryu-kuns Dungeon schon das Problem, dass wir mehrere Tage brauchten, um diesen überhaupt zu durchqueren. Wie sollen wir also bitte an nur einem Abend einen Dungeon erobern und dann noch einen großen Shadow besiegen?“, fragte die junge Frau und senkte wieder den Blick, „Das ist… das ist Selbstmord. Das packen wir niemals!“ Stille hatte sich über die Gruppe gelegt, da niemand so genau wusste, was er darauf antworten sollte. Mirâ war so festgefahren in ihren Gedanken, dass sie auch gar keine andere Argumentation zulassen würde. Und doch wussten sie alle, dass sie es einfach tun mussten. Doch ohne ihre Anführerin… Kuraiko löste sich als erstes aus ihrer Starre und ging dann festen Schrittes auf ihre Freundin zu. Plötzlich klatschte es, während Mirâ ihr Gesicht nun zur Seite gerichtet hatte. „Du willst also schon aufgeben ohne es vorher versucht zu haben? Schön! Aber dann komm am Ende nicht heulend angerannt, weil wir Junko nicht gerettet haben! Beschwer dich dann nicht, über deine eigene Unzulänglichkeit, die es dir verboten hat zu kämpfen, weil der Kampf vielleicht aussichtslos war“, sagte die Schwarzhaarige mit relativ ruhiger Stimme, welcher man jedoch anmerkte, dass sie sich sehr zurückhalten musste, „Du willst Junko im Stich lassen? Dann tu es! Aber ohne mich! Jemandem, der nicht einmal den Versuch unternimmt, seine eigene Schwester zu retten, kann ich nicht mehr folgen. Dann geh ich lieber alleine!“ Sie wandte sich ab und betrat ohne weiteres aufsehen die Spiegelwelt. Die anderen sahen ihr kurz nach, bevor sie sich wieder ihrer Teamchefin zuwandten. „Mirâ-senpai… Kuraiko-senpai hat Recht. Ich werde Junko-chan auch nicht im Stich lassen…“, sagte Megumi und folgte daraufhin dem Beispiel ihrer älteren Freundin. „Senpai, ich bin euch wirklich dankbar dafür, dass ihr mich gerettet habt, obwohl ihr damit euer Leben riskiert habt. Ich sehe zu euch auf. Aus diesem Grund, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um deine kleine Schwester da rauszuholen. Das verspreche ich dir“, kam es nun von Ryu, welcher danach ebenfalls in der Spiegelwelt verschwand. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und ließ sie daraufhin zu Masaru blicken: „Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn Junko-chan etwas passieren würde, in dem Wissen, dass ich es hätte verhindern können.“ Auch er wandte sich ab und verschwand durch die verglaste Fassade des Einkaufszentrums. „Es gibt eigentlich nichts, was ich dazu noch ergänzen könnte, außer das Aufgeben keine Option ist…“, damit war auch Yasuo in die andere Welt hinübergegangen. Zurück blieben Mirâ und ihre beiden Kameraden, die bereits seit Beginn dieses Abenteuers an ihrer Seite waren und sie stets tatkräftig unterstützt hatten. Auch sie konnten nicht glauben, dass Mirâ einfach so das Handtuch warf und damit riskierte, ihre Schwester für immer zu verlieren. Deshalb griff Akane nach der Hand ihrer besten Freundin und drückte diese leicht gegen ihre Brust: „Hör zu Mirâ. Ich weiß, dass du Angst hast. Die habe ich auch… wir alle haben Angst. Keiner von uns möchte sterben, aber… deshalb können wir Junko-chan nicht einfach im Stich lassen. Ich weiß, dass du das genauso siehst. Du bist ja nicht alleine, Mirâ. Wir alle sind bei dir. Wir unterstützen und beschützen dich und helfen dir. Deshalb verlier nicht den Mut. Gemeinsam können… nein werden wir Junko retten!“ Überrascht sah Angesprochene nun doch wieder auf und in das lächelnde Gesicht ihrer besten Freundin, in dem sie erst einmal keine Zweifel erkennen konnte. Doch je länger sie der Brünetten in die Augen blickte, desto mehr bemerkte sie, dass auch sie Angst verspürte. Deutlich wurde dies auch, als sie das leichte Zittern bemerkte, welches sich über deren Hände auf zu übertrug. Auch Akane hatte also Angst vor dem Ungewissen und mit Sicherheit ging es den anderen genauso. Und trotzdem hatten sie sich ohne Zögern dazu entschlossen Junko zu retten. Mit einem Mal kam sich Mirâ unglaublich dumm und feige vor. Wie konnte sie nur ihre eigene Sicherheit über das Leben ihrer eigenen Schwester stellen? Langsam aber sicher schöpfte sie neuen Mut. Ja, ihre Freunde hatten recht. Sie durfte nun nicht einfach aufgeben, nur weil die Situation nicht optimal war. Gemeinsam würden sie schon eine Lösung finden und ihre kleine Schwester da wieder herausholen. Hiroshi merkte den wieder aufkommenden Kampfgeist seiner Teamkameradin und legte ihr seine Hand auf die Schulter: „So ist es Recht Mirâ. Gib niemals auf. Egal wie verzwickt die Situation auch sein mag, du kannst dich immer auf uns verlassen. Wir werden immer hinter dir stehen.“ Er griff nach ihrer anderen freien Hand und setzte sich daraufhin in Bewegung, während Akane es ihm gleichtat. Kurz darauf war das Dreiergespannt Hand in Hand durch die verspiegelte Wand verschwunden. Kapitel 141: CXLI – Neuen Mut gefasst ------------------------------------- [ ~Dienstag, 13. Oktober 2015~ ] [ -Neumond- ] [ *Später Abend* ] [ Spiegelwelt ] Mit etwas zu viel Schwung stolperten Mirâ, Hiroshi und Akane durch das Portal in die Spiegelwelt und landeten geschlossen auf dem Boden. „Aua… keine gute Idee“, murmelte Akane. Auch die Violetthaarige war schmerzhaft auf ihren Knien gelandet, doch beschwerte sich nicht. Stattdessen kam kurz darauf ein Lachen über ihre Lippen, als sie ihre beiden Freunde auf einem Haufen vor sich liegen sah. Überrascht wurde sie dabei von ihren anderen Freunden beobachtet, welche offensichtlich doch noch auf sie gewartet hatten; in der Hoffnung, dass sie sich wieder gefangen hatte. „Scheint, als hättest du es dir nun doch überlegt“, sprach Kuraiko sie als erstes an. Mit verschränkten Armen stand sie genau neben ihr und blickte zu ihr herunter. Mirâ stoppte und sah die Schwarzhaarige daraufhin leicht überrascht an, ehe sie ein Lächeln aufsetzte und sich dann die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. Sie nickte und erhob sich langsam wieder: „Ja. Minna, entschuldigt bitte, dass ich gezögert habe. Das hätte nicht geschehen dürfen, immerhin geht es um Junko. Ich war so verzweifelt darüber, dass ich sie nicht beschützen konnte, dass ich den Mut verloren habe. Tut mir leid.“ Sie verbeugte sich höflich vor ihrem Team, dessen Mitglieder sie alle mit großen verwunderten Augen ansahen. Masaru war der erste, der sich wieder fing und dann lächelnd auf sie zukam. „Darüber mach dir mal keine Sorgen. Ich denke, jedem anderen von uns wäre es auch so gegangen. Trotzdem war es wichtig, dass du wieder zu dir kommst.“ „Ja ich weiß. Danke, dass ihr an mich geglaubt und gewartet habt“, bedankte sich die Oberschülerin lächelnd, wurde dann jedoch wieder ernst, während sie hinauf zum blutroten riesigen Mond sah, „Uns bleibt nicht viel Zeit. Egal wie, wir müssen sowohl den Dungeon, als auch den Boss heute erledigen. Ich will mir nicht ausmalen, was mit Junko passiert, wenn wir versagen.“ „Das werden wir nicht“, kam es schnell von Ryu. Überrascht sah sie zu dem Jüngeren, ehe sie vorsichtig nickte und sich wieder an alle richtete: „Danke für eure Unterstützung.“ Die selbstsicheren Blicke ihrer Freunde trafen sie, während sie jedem einzelnen kurz direkt ins Gesicht sah; dabei auch die Sorgen eines jeden einzelnen in dessen Augen wiederfindend. Auch ihre Freunde machten sich also Gedanken, ob dieses Unterfangen überhaupt klappen konnte und trotzdem waren sie ohne nachzudenken vorangestürmt. Sie waren ohne Zweifel sofort bereit gewesen sich in dieses gefährliche Abenteuer zu stürzen, um Junko zu retten. Da plagte die Violetthaarige schon etwas das schlechte Gewissen, dass sie sich so schnell so hatte gehen lassen. Gerade sie, als, wenn auch unfreiwillige, Anführerin hätte doch mit positivem Beispiel vorangehen müssen und hatte doch ihre Zweifel ihren Geist übernehmen lassen, anstatt darüber nachzudenken, was sie nun tun musste. Mirâ schloss kurz die Augen und ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen, bevor sie nun ebenfalls mit selbstsicherem Blick wieder zu ihren Freunden sah. Das Geräusch metallener Gegenstände ließ die Gruppe zum Ausgang der Gasse schauen, welcher durch das rot hineinscheinende Licht des roten Mondes noch wesentlich unheimlicher wirkte. Darin erschien kurze Zeit später ein kleiner Schatten; schwer bepackt mit verschiedenen Gegenständen. Als wäre dies das Zeichen für den Start gewesen, setzten sich die einzelnen Mitglieder um Mirâs Team in Bewegung, um von Mika ihre Waffen entgegenzunehmen, welche sie extra noch schnell geholt hatte. „Danke fürs Bringen“, bedankte sich Masaru, als er der Kleinen sein Katana abnahm. Auch Kuraiko schnappte sich ihre Sense, deren Schneideblatt durch das einfallende Licht rot zu glühen schien. Jeder einzelne nahm seine Waffe entgegen, außer Mirâ, welche noch einen Moment an Ort und Stelle verblieben war und ihre Freunde beobachtete. Mika bemerkte, dass die Ältere als einzige nicht zu ihr gekommen war und ging deshalb auf diese zu. „Mirâ… wegen vorhin…“, begann sie und wollte sich erneut entschuldigen. Es tat ihr so leid, immerhin hätte die Mirâ warnen können, als ihr die merkwürdige Atmosphäre aufgefallen war. Stattdessen hatte sie sich versteckt, aus Angst Junko könnte sie bemerken und dann konnte sie sich plötzlich nicht mehr bewegen. Hätte sie gleich reagiert, dann hätte Mirâ die Grundschülerin in Sicherheit bringen können. Aus diesem Grund wollte sie gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, doch stoppte, als sie eine Hand auf ihrem Kopf spürte. Überrascht sah sie auf und in das lächelnde Gesicht von ihrer violetthaarigen Freundin, die die letzten Zentimeter zu ihr selbst überbrückt hatte. Das Lächeln war freundlich, wenn auch mit Zweifeln und Schmerz durchzogen und trotzdem ehrlich. Es sollte ihr sagen, dass sie sich darüber keine Gedanken machen sollte und doch half es nicht viel; die Schulgefühle saßen einfach zu tief. „Mirâ, es tut mir leid“, entschuldigte sie sich nun doch mit erstickter Stimme und gesenktem Blick, „Hätte ich gleich reagiert und dich gewarnt… dann wäre das hier alles nicht passiert.“ Kurze Stille folgte auf ihre Aussage, in welcher sie schon damit rechnete, dass Mirâ nun doch böse wurde. Doch plötzlich wurde sie in deren Arme gezogen und fest an den Körper der Oberschülerin gedrückt. „Bitte entschuldige dich nicht, Mika. Ich bin dir nicht böse“, sagte diese anschließend, „Ich war genauso unfähig zu reagieren, deshalb mach dir bitte keine Gedanken.“ Vorsichtig löste sie sich von der Jüngeren und sah ihr in die ebenso roten Augen, welche durch das Licht des roten Mondes noch viel intensiver wirkten: „Und danke, dass du Hiroshi bescheid gesagt hast, damit er mich wieder zur Vernunft bringt.“ „Ich bin so froh, dass er dich erreicht hat“, war die Kleine ehrlich, „Ich habe dich immer wieder gerufen… immer wieder, aber du hast nicht reagiert. Ich war so verzweifelt…“ Noch immer lag das Lächeln auf Mirâs Lippen, welches jedoch nun mit leichten Schuldgefühlen durchzogen war, während sie die Blauhaarige beobachtete. Man sah der Jüngeren an, dass die Situation für sie genauso schlimm gewesen war, wie für die Oberschülerin. Beide hatten daran zu knabbern. Doch nun durften sie nicht wieder in ihren Zweifeln versinken und mussten nach vorne schauen. Sanft strich sie Mika deshalb über den Kopf, bevor sie sich wieder erhob und mit entschlossenem Blick zu ihren Freunden sah, welche ihr alle bestimmt zunickten. „Machen wir uns auf den Weg“, sagte die Violetthaarige bestimmt und wandte sich noch einmal Mika zu, „Weißt du, wo Junko ist?“ Ein Nicken als Antwort genügte, ehe sich die Gruppe endlich in Bewegung setzte. Doch kaum hatten sie die Gasse verlassen und waren auf den großen Vorplatz des Einkaufszentrums getreten, wurden sie von Megumi gestoppt. „Wartet kurz“, ein blauer Schein umgab sie, bevor Nechbet erschien, sich hinter ihrer Besitzerin positionierte und die Flügel um sie legte, während vor Megumis Augen der silberne Reif erschien. In aller Ruhe scannte sie mit ihrer Fähigkeit die Umgebung; dabei immer die Blicke ihrer Freunde auf sich Ruhen, die sie jedoch mittlerweile zu ignorieren wusste. Sie nickte, als Nechbet wieder verschwand und wandte sich dann der restlichen Gruppe zu: „Irgendwas stimmt hier nicht. Die ganze Atmosphäre hier ist vollkommen verändert und auch die Shadows verhalten sich plötzlich merkwürdig. Auch ihre Auren fühlen sich anders an.“ „Wie meinst du das?“, fragte Hiroshi nach, doch Megumi schüttelte nur den Kopf: „Ich kann es nicht genau erklären. Auch weiß ich nicht, woher diese Veränderung kommt. Aber wir sollten vorsichtig sein.“ Einstimmiges Nicken folgte auf die Aussage, bevor sich die Persona-User wieder in Bewegung setzen. Schnellen Schrittes führte Mika sie durch die Straßen der Innenstadt, hinüber ins Stadtviertel Tsukimi-kû, wo Mirâ in der realen Welt lebte, was dazu führte, dass diese bereits eine Ahnung davon bekam, wo sich ihre Schwester wohl aufhielt. Bestätigt wurde dieser Verdacht, als sie nach einiger Zeit ihr Ziel erreichten und nun vor dem Wohnhaus der Violetthaarigen standen. „Hier also?“, fragte Akane. Mika nickte und sah wieder zu den anderen: „Genauer gesagt in ihrem Zimmer…“ Sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet, weshalb sie sogleich weitersprach: „Als ich losgerannt bin, um Hiroshi zu holen, habe ich die dunkle Macht gespürt, die aus ihrem Zimmer strömte. Es war unheimlich. Ihr müsst unbedingt vorsichtig sein.“ „Wie stark kann der Shadow einer Grundschülerin schon sein?“, fragte Ryu etwas zu selbstsicher. Hiroshi strafte ihn mit einem strengen Blick: „Unterschätz das hier mal nicht, Ochibi. Nur weil Junko ein Kind ist, wird es mit Sicherheit nicht einfach werden. Dein Shadow war immerhin ein gutes Beispiel dafür. Gerade heute ist es wichtig, dass wir mit Bedacht an sich Sache herangehen.“ Akane trat an ihn heran: „Hiroshi hat recht. Jeder Unaufmerksamkeit kann uns heute das Leben kosten. Wir haben nur den einen Versuch heute.“ Überrascht sah der Jüngere zu seinen beiden Senpais und ließ sich dann noch einmal das Gesagte durch den Kopf gehen, eher er sich wieder der Gruppe zuwandte, welche sich einen Schlachtplan zurechtlegte. Gemeinsam besprachen sie, wer von ihnen gemeinsam mit Mirâ im Angriffs-Trupp war und wer die vordere Reihe aus dem Hintergrund supportete, so wie sie es in Ryus Dungeon bereits getan haben. Da ihre Gruppe mittlerweile größer geworden war, fiel der Violetthaarigen die Entscheidung nicht leicht. Letztendlich fiel die Auswahl auf Masaru, Kuraiko und Akane, da diese sich mit ihren Waffen und Angriffen am besten für den Nahkampf eigneten. Demnach bildeten Hiroshi, Yasuo und Ryu das Backup und würden die anderen mit ihren Waffen und Angriffen aus dem Hintergrund unterstützen, während Megumi wie immer die Navigation übernahm und dabei von Mika unterstützt wurde. Entschlossen wandte sich die Gruppe somit wieder dem Eingang des Hauses zu. Kurz bevor sie jedoch die Tür öffneten, zögerte Mirâ noch einen Moment, als sie ein merkwürdiges Gefühl überkam. Irgendwas stimmte hier nicht. Sie hatten das Haus noch nicht einmal betreten und trotzdem umgab sie bereits eine eiskalte Aura. Sie hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, doch bevor sie in irgendeiner Weise darauf reagieren konnte, flog plötzlich die hölzerne Schiebetür auf und ein schwarzer Schatten strömte heraus, erfasste die gesamte Gruppe und zog sie geschlossen ins Innere. Mit einem Lauten knall fiel die Holztür wieder ins Schloss und ließ betroffene Stille zurück. [ ??? ] Stille herrschte in der tiefen Finsternis, welche sie umgab. Wo war sie? Vorsichtig sah sie in alle Richtungen. Jedenfalls glaubte sie, dies zu tun, denn so wirklich sagen konnte sie es nicht. Es war einfach viel zu dunkel, um überhaupt irgendetwas zu sehen. Wo war sie? Mirâ versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Doch das Einzige, was ihr in den Sinn kam war, dass sie und ihre Freunde vor ihrem Haus standen, in dessen Inneren sich Junko befinden sollte. Laut Mika befand diese sich in ihrem eigenen Zimmer, doch noch bevor sie das Haus betreten hatte war da dieses ungute Gefühl, dass sie vereinnahmt hatte. Sie erinnerte sich noch an das Geräusch der geöffneten Tür. Und dann? Was war danach geschehen? Es war wie ein Blackout. Und wo waren überhaupt die Anderen? Noch einmal sah sie sich um, jedoch mit dem gleichen Ergebnis, wie zuvor: Sie sah nur tiefes Schwarz. Plötzlich bemerkte sie ein kleines Licht in ihrem Augenwinkel, welches, begleitet von einer angenehmen Wärme, immer näher zu kommen schien. Immer heller leuchtete die Lichtquelle und mit ihr wuchs auch die Wärme um es herum, doch nur einen Moment später fröstelte es ihr, als ein eisiger Windhauch ihre Oberarme streifte. Erschrocken drehte sie sich um und erkannte daraufhin ein weiteres Licht, welches jedoch bedrohlich rot glühte und von einer unangenehmen Kälte umgeben war. Es flackerte wie eine kleine Flamme und näherte sich ebenso, wie das warme blaue Licht dem gegenüber. Dieses jedoch schaffte irgendwann nicht mehr, der Kälte entgegenzuwirken. So, als würde das rote Licht dem Blauen seine Energie entziehen, je näher sie einander kamen. Beide trafen sich auf Höhe von Mirâ und blieben in einem Sicheren Abstand zueinander stehen, was jedoch dazu führte, dass die unterschiedlichen Temperaturen aufeinandertrafen und einen starken Sturm entfachten, der drohte die Violetthaarige von den Beinen zu reißen. Mit aller Kraft versuchte diese sich dem Wind entgegenzustellen und das Geschehen zu beobachten, auch wenn es ihr unglaublich schwer fiel die Augen offen zu halten. Plötzlich jedoch schrak sie auf, als die rote Flamme größer und größer wurde und drohte, das blaue Licht zu verschlingen. Sie versuchte zu schreien, die warme Quelle zu warnen, doch kein einziger Ton kam über ihre Lippen. Es gelang ihr gerade noch so den Arm nach dem Licht auszustrecken, als dieses mit einem Mal von der roten Flamme verschluckt wurde. [ Im Dungeon ] Mit einem Ruck öffnete Mirâ die Augen und schoss nach oben; ihren rechten Arm nach oben gestreckt, als wollte sie etwas damit greifen. Erschrocken über diese plötzliche Bewegung der Oberschülerin, musste Mika zurückweichen, da sie sonst Bekanntschaft mit Mirâs Stirn gemacht hätte. Dadurch hatte sie allerdings so viel Schwung, dass sie mit einem dumpfen Ton rücklinks auf ihrem Hintern landete. Irritiert sah die violetthaarige junge Frau an eine bröckelige Sandsteindecke, in dessen Mitte eine eingestaubte Lampe hing, die allerdings nicht als Lichtquelle genutzt wurde, ihr allerdings von der Form her mehr als bekannt vorkam. Allgemein wirkte der Ort nur sehr spärlich beleuchtet. Schnell wandte sie sich um und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Sie befand sich in einem viereckigen Raum, dessen Wände genau wie die Decke aus bröckeligem Sandstein zu bestehen schien. In regelmäßigen Abständen waren Fackeln angebracht, die für die spärliche Beleuchtung dieses Raumes zuständig waren. Während sie ihren Blick schweifen ließ, fiel dieser auf ein großes Fenster, das allerdings eher so wirkte, als wäre dahinter nur ein aufgeklebtes Bild der nächtlichen Umgebung. Sie sah sich weiter um und erkannte dabei immer mehr vertraute Gegenstände. Da war ein halb im Boden versunkener Futon mit dunkelblauer Decke, ein Stückchen weiter entfernt entdeckte sie einen halb aus der Wand schauenden Schreibtisch, der voll mit Schreibutensilien bedeckt war. Noch eine halbe Drehung weiter und sie erkannte einen Standspiegel, welcher zerbrochen auf dem Boden lag und dahinter einen offenen Kleiderschrank, aus dem verschiedene Klamotten schauten. Jetzt wusste sie auch, woher sie die Deckenlampe kannte. Dieser Raum… er spiegelte ihr Zimmer wider. Anders konnte sie sich die Ähnlichkeit der einzelnen Möbelstücke und den Aufbau des Raumes nicht erklären. „Endlich bist du aufgewacht…“, ließ Mikas Stimme sie aus ihren Gedanken schrecken und zu dieser schauen. Sich den Hintern reibend hatte sich das kleine Mädchen wieder erhoben und war an die junge Frau herangetreten, während diese sie mit einem fragenden Blick musterte. Plötzlich schien der Oberschülerin jedoch etwas aufzufallen und sie schaute sich erneut um. „Wenn du die anderen suchst, die sind nicht hier…“, erklang eine männliche Stimme, die sie veranlasste sich wieder umzudrehen. Daraufhin sah sie auf Yasuo, der sich auf ihren Schreibtischstuhl gesetzt hatte, welcher teilweise im Boden versunken war. Mit ernstem Blick erwiderte er den ihren und seufzte dann. „Wir wurden getrennt. Keine Ahnung wo sie sind. Suchen können wir sie aber leider auch nicht…“, erklärte er anschließend. Mirâ setzte zu einer Frage an, doch kam nicht dazu, bevor der Blauhaarige bereits eine Antwort auf den Lippen hatte: „Wir sind eingesperrt. Die Tür ist verriegelt.“ Mirâs Blick wanderte zu ihrer Zimmertür, welche von allem in diesem Raum der einzige Gegenstand war, der noch genauso aussah wie in der realen Welt. Es war also eindeutig davon auszugehen, dass dies der Ausgang war. Langsam erhob sich die Violetthaarige und ging auf die Tür zu, um selbst noch einmal zu testen, was der Ältere ihr kurz zuvor gesagt hatte. Es war das gleiche Ergebnis. Sie drückte die Klinke nach unten, doch die Tür blockierte. Das war merkwürdig. Und was war mit den anderen? Waren sie auch in diesem Dungeon? Und wenn ja, wo? „Yasuo und ich haben schon geschaut, ob wir irgendwo einen Mechanismus finden, um die Tür zu öffnen, aber wir haben keinen gefunden“, gesellte sich Mika zu ihr, „Deshalb haben wir gewartet, bis du aufwachst. Wir dachten, dass du vielleicht eine Idee hast.“ Die Schülerin hatte den Worten Mikas ruhig gelauscht und sah sich dann noch einmal genauer um, doch auch sie konnte nichts finden. In der Regel schloss sie ihr Zimmer auch nicht ab. Sie wusste auch gar nicht, ob es überhaupt einen Schlüssel gab, mit dem sie dies machen konnte. Aus diesem Grund fiel ihr auch nicht ein, wie sie sich hieraus befreien konnten. Das allerdings war die Voraussetzung dafür, um Junko retten zu können. Sie schüttelte den Kopf: „N-nein mir fällt auch nichts ein…“ Seufzend erhob sich Yasuo und stelle sich neben sie: „Dann müssen wir uns wohl etwas einfallen lassen.“ Er wandte seinen Blick wieder zurück ins Zimmerinnere und ließ ihn schweifen, um eventuell doch etwas zu finden, was nicht hier hineinpasste. Mirâ tat es ihm nach. Zwar hatte sie sich bereits umgesehen, jedoch nicht so intensiv, dass ihr beim ersten Mal etwas hätte auffallen können, dass ganz und gar nicht stimmte. Wobei man sagen musste, dass in diesem Dungeon eigentlich alles nicht stimmte. Trotzdem war sie der Meinung, dass ihr schon etwas auffallen würde, dass nicht in ihr Zimmer gehörte. Sie ließ ihren Blick schweifen und begann dabei an der Wand zu ihrer Linken, wo sich ihr verzerrter Kleiderschrank befand. An ihm konnte sie nichts Ungewöhnliches feststellen. Auch an dem anschließendem Lowboard, auf welchem normalerweise ihr Fernseher stand, der nun halb versunken in Wand und Regal klemmte, war nichts, das dort nicht hingehörte. Ihr Futon wirkte, abgesehen von seiner Position auch nicht anders, allerdings erweckte etwas daneben plötzlich ihre Aufmerksamkeit. Ein halbes, niedriges Regal ragte dort aus der Wand, doch nicht das war es, was ihr Interesse geweckt hatte, sondern etwas, was sie darin befand. Die Violetthaarige setzte sich langsam, unter den fragenden Blicken ihrer beiden Freunde, in Bewegung, ging auf besagtes Möbelstück zu und hockte sich vor diesem hinunter, um in das Fach zu blicken, dessen Inhalt sie im Verdacht hatte. Und tatsächlich saß dort etwas, das definitiv nicht ihr gehörte: Ein kleiner gelber Teddybär; gerade mal so groß, dass er in ihre Hand passte. Überrascht hob sie eine Augenbraue, immerhin besaß sie so gut wie keine Kuscheltiere mehr. Ganz davon abgesehen, dass sie bereits als Kind nicht übermäßig viele besessen hatte, so hatte sie den Großteil derer, die sie besaß, vor einigen Jahren an Junko abgetreten beziehungsweise an andere Stellen abgegeben. Einen strahlend gelben Teddy, wie diesen hier, hatte sie jedoch noch nie besessen. Noch während Mirâ überlegte, ob Junko so etwas überhaupt besaß, hatte sie nach dem kleinen Kerl gegriffen, um ihn hervorzuholen. Doch gerade, als sie ihn gegriffen hatte und herauszog, ertönte ein lautes Grollen. Plötzlich wurde sie an der Schulter gepackt und beiseite gerissen, ehe genau an der Stelle, an der sie zuvor noch stand mehrere Blitze einschlugen. Schmerzhaft schlug Mirâ gemeinsam mit Yasuo auf dem Boden auf und blickte dann geschockt auf besagtem Punkt, an dem sich nun mehrere schwarze Flecken befanden. Dann wandte sie sich Yasuo zu, der sich neben ihr langsam aufrichtete und seine linke Schulter rieb, auf welcher er anscheinend gelandet war. „Ist alles in Ordnung?“, rief Mika von der anderen Seite des Zimmers. „Ja alles gut“, antwortete der Blauhaarige und fixierte dabei den Gegnern, die nur einen Moment nach dem Angriff in der Mitte des Raumes aufgetaucht waren. Dabei handelte es sich zum einen um eine männliche, kräftige Gestalt mit goldenem Brustpanzer und gehörntem Helm, den ein weißer Umhang umwehte. Dazu trug er weiße Stiefel über seinen nackten Beinen, sowie weiße Handschuhe. In seiner rechten Hand hielt er einen goldenen Hammer, der ziemlich schwer wirkte. Hinter ihm erschienen zwei weitere Gestalten, dessen Geschlecht Mirâ jedoch nicht genau einordnen konnte. Der nackte Körper, über dessen linker Schulter ein rotes Tuch lag, war ansonsten nur von einem weißen Slip bedeckt und bunt bemalt, so als wäre es ein lebendes Gemälde von Picasso. Mit einem Band um den Hals gelegt, hing an den Hüften beider Kreaturen eine Art Holzstab. Irritiert blickten die beiden Persona-User auf ihre Gegner, welche sich so extrem von den bisherigen Gegnern dieser Welt unterschieden. Irgendetwas war an ihnen grundlegend anders. Das konnte Mirâ ganz genau spüren, während sich in ihr ein ungutes Gefühl breit machte, welches sie davor warnte, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Kapitel 142: CXLII – Im Inneren des Dungeons -------------------------------------------- [ ~Dienstag, 13. Oktober 2015~ ] [ -Neumond- ] [ *Später Abend* ] [ Spiegelwelt – Dungeon ] Eine leichte Erschütterung ließ die Wände des nur spärlich beleuchteten Raumes erzittern, wodurch sich etwas Schutt aus den bröckeligen Sandsteinwänden löste und zu Boden rieselte; genau auf den blonden, jungen Mann, welcher bewusstlos auf dem Boden lag. Die kleinen Steinchen, fielen ihm ins Gesicht und auf die Stirn, was ihn leicht zusammenzucken ließ. Langsam öffnete er endlich seine blauen Augen und ließ seinen Blick etwas schweifen, um sich kurz zu orientieren. Jedoch konnte er nicht viel erkennen, da alles um ihn herum ziemlich verschwommen wirkte. Vorsichtig tastete er den Boden ab, bevor er der Meinung war genügend Halt zu haben, um sich abzustützen. „Urgh“, vorsichtig drückte sich Hiroshi nach oben und berührte mit seiner anderen Hand seine schmerzende Stirn. Nur ganz langsam kehrte seine Orientierung wieder zurück, während die Schmerzen hinter seinen Schläfen allmählich nachließen und er in der Lage war den Blick wieder zu heben und diesen schweifen zu lassen. Wo war er hier? Direkt zu seiner Rechten befand sich eine beigefarbene Wand, dessen einzelne Ziegel schon ziemlich viele Risse aufwiesen. Er folgte dem Bauwerk nach vorn, wo es auf eine Ecke traf, an die eine Mauer vom gleichen Typ traf. Dazwischen fielen ihm verschiedene Möbelstücke wie Sessel und Stühle auf, welche teilweise in Boden und Wand verschwunden waren. Vorsichtig sah er nach oben zur Decke, welche sich jedoch auch nicht stark vom Rest des Raumes unterschied. Erneut bröckelte etwas Sand herunter, weshalb der junge Mann den Blick abwandte, um nichts von dem Dreck in die Augen zu bekommen. Stattdessen sah er sich weiter um. Überall in diesem Raum standen weitere Möbelstücke, wie Regale, ein Tisch und ein kleiner Fernsehschrank, die jedoch ebenfalls teilweise in den Wänden und dem Boden verschwunden war. Selbst der große Flachbildfernseher war nur zur Hälfte zu erkennen. In seinem Rücken befand sie eine große Fensterfront, bestehend aus gläsernen Verandatüren, die wohl eigentlich in den im Dunkeln liegende Garten führten. Jedoch wirkte es nicht so, als könnte man wirklich durch sie hinausgehen, denn das ganze wirkte wie eine große Fototapete, die nur auf die Wand aufgeklebt wurde. Davor erkannte er einen Moment später eine weitere Person, welche noch immer bewusstlos am Boden lag. „Ochibi?“, noch während er den Spitznamen seines Kohais aussprach, fiel ihm ein entscheidendes Detail auf, woraufhin er sich dieses Mal erschrocken umsah, jedoch nicht fand was er suchte. Die Anderen waren verschwunden. Wurden sie getrennt? Wenn ja, wo waren sie dann? Noch einmal sah sich der junge Mann um und blieb letzten Endes an einer großen braunen Schiebetür hängen, welche sich gegenüber der falschen Fensterfront befand und als einziges in diesem Raum wirkte, als sei sie real. Murrend, aufgrund seiner schmerzenden Knochen, erhob sich der Blonde und ging auf besagten Durchgang zu, um diese zu öffnen. Vorsichtig griff er in die Öffnung, welche als eine Art Türklinke fungierte, und versuchte das Hindernis vor ihm zur Seite zu schieben. Jedoch vergebens, denn die Tür blockierte. Er versuchte es daraufhin noch einmal, allerdings mit dem gleichen Ergebnis. Den widerspenstigen Durchgang musternd trat er einen Schritt zurück und überlegte einen Moment, was er nun machen könnte, wandte sich dann allerdings ab und entschied sich erst einmal dafür den jüngeren Schüler zu wecken, welcher mit ihm hier eingesperrt war. Zielstrebig ging er auf den Rotbraunhaarigen zu, hockte sich neben ihn und rüttelte ihn vorsichtig: „Ochibi, oi! Aufwachen.“ Er brauchte einige dieser Versuche, ehe der Jüngere endlich reagierte, leicht zusammenzuckte und die Augen öffnete. „Hiroshi-senpai? Wo sind wir? Was ist passiert?“, fragte er leise, während er sich langsam aufsetzte und dann ebenfalls kurz den Blick schweifen ließ. „Gute Frage… und ehrlich gesagt habe ich darauf keine Antwort“, auch Hiroshi sah sich noch einmal um, in der Hoffnung etwas herauszufinden. Ihm kam es so vor, als hätte er das hier alles schon einmal gesehen, konnte jedoch nicht zuordnen wo. Die Möbel, der Aufbau, die Einrichtung… alles hier erinnerte ihn an etwas, da es aber mit den Sandsteinwänden, an denen Fackeln hingen, alles so surreal wirkte, konnte er nicht sagen woher. Wo hatte er das nur schon einmal gesehen? „Sieht ja echt chaotisch hier aus…“, murmelte Ryu neben ihm, „Sind wir in dem Dungeon? Ich erinnere mich noch daran, wie Mirâ-senpai die Haustür zu ihrem Haus öffnen wollte…“ Plötzlich fiel es Hiroshi wie Schuppen von den Augen: „Natürlich! Das hier ist das Wohnzimmer!“ Überrascht sah der Jüngere zu seinem Senpai: „Wohnzimmer?“ Angesprochener nickte: „Ja… ich habe mich gewundert, wieso mir die Einrichtung hier so bekannt vorkommt. Das hier ist das Wohnzimmer von Mirâs Familie.“ „So?“, wieder ließ der Rotbrünette den Blick schweifen und blieb nun auch an der Schiebetür ihm gegenüberhängen, „Dort drüben ist eine Tür…“ „Ja schon“, begann der Blonde und erklärte dem Kleineren dann, dass er bereits versucht hatte sie zu öffnen, dies jedoch nicht geschafft hatte, „Scheint, als wären wir hier gefangen. Und wo die anderen sind, weiß ich auch nicht.“ Hiroshi erhob sich und half dem Jüngeren dann auch wieder auf die Beine. „Ich vermute, dass wir einen Mechanismus finden müssen, um hier heraus zu kommen. Den anderen geht es bestimmt ähnlich und wir treffen sie wieder, wenn wir es schaffen zu entkommen“, erklärte Ryu anschließend. Zustimmend nickte der Größere: „Den Gedanken hatte ich auch schon. Die Frage ist, wo sich dieser Mechanismus befindet. Es wird wohl etwas sein, dass hier nicht hingehört…“ Beide junge Männer starrten in den Raum hinein und versuchten irgendwie zu ergründen, welcher Gegenstand für sie relevant sein könnte. Allerdings kannten sich beide nicht in Mirâs Haus aus. Zwar war Hiroshi bereits einige Male hier zu Besuch gewesen, jedoch hatte er sich dabei nie so intensiv umgesehen, dass er nun irgendwelche Besonderheiten erkennen könnte. Ryu wiederum war noch nie hier gewesen, sodass er erst recht nichts dazu sagen konnte. Sie suchten also ins Blaue und wussten genau, dass ihnen dafür nicht unendlich Zeit blieb. Sie mussten Junko immerhin um jeden Preis retten. Mit jeder Minute, die sie länger in dieser Welt war, schwebte sie mehr und mehr in Gefahr; das war ihnen beiden mehr als bewusst. Also legten sie sich einen Plan zurecht und entschieden getrennt zu suchen. Jeder nahm sich eine Ecke vor und suchte dort nach verdächtigen Gegenständen oder versteckten Räumen. So breitete sich kurz darauf Stille aus, welche nur durch die Geräusche der beiden jungen Männer unterbrochen wurde, die sie beim Suchen machten. „Ne Senpai“, unterbrach der Jüngere jedoch nach einiger Zeit die Stille. „Hm?“, kam es nur aus der anderen Ecke des Raumen. „Kann ich dich etwas fragen?“, fragte Ryu nach einer kurzen Pause. „Sicher“, kam es wieder nur knapp zurück. Wieder zögerte der Jüngere. Er wusste nicht genau, ob es eine gute Idee war dieses Thema jetzt anzusprechen. Andererseits wusste er auch nicht, wann er wieder die Gelegenheit dazu bekommen würde, alleine mit Hiroshi zu sprechen. Meistens war dieser immerhin von seinen Freunden umgeben; auch denen die nicht zu ihrem Team gehörten. Das machte es für Ryu schwierig an ihn heranzukommen und in aller Ruhe ein Vieraugengespräch zu führen. Er wollte dieses Thema auch nicht vor anderen aufwärmen, immerhin wusste er auch nicht, wer alles in die Sache eingeweiht war und wer nicht. In Schwierigkeiten bringen wollte er den Älteren nämlich auch nicht weiter. Nach einiger Zeit des Schweigens spürte er plötzlich den fragenden Blick seines Senpais auf sich ruhen, weshalb er endlich ansprach was ihn bewegte: „Ähm… ich wollte dich fragen, w-was der Grund war, wieso… du in der Mittelschule gemobbt wurdest. Ich meine… wenn man dich so sieht, würde man nicht glauben, dass sich das jemand überhaupt trauen würde.“ Es folgte noch einmal kurzes Schweigen, weshalb Ryu es bereits bereute das Thema angesprochen zu haben, doch dann erhob der Blonde endlich die Stimme: „In der Mittelschule war ich total schwächlich und hatte kein Selbstvertrauen. Ich habe mich prinzipiell hinter Akane versteckt, die jedes Mal dazwischengegangen ist, wenn mich jemand geärgert hat. Ich habe immer versuch jedem Streit aus dem Weg zu gehen und konnte mich auch nicht wehren… weder körperlich, noch verbal“, erklärte er, während er seine Such fortsetzte, „Dazu kam, dass ich in Wirklichkeit auch ziemlich helle Haare habe. Dann noch meine für Japaner untypischen blauen Augen. Das war für viele ein gefundenes Fressen mich als Ausländer zu beschimpfen oder ähnliches…“ „Du sagtest deine Freunde hätten dir geholfen…“, der Rotbrünette beugte sich nach unten, um in ein offenes Regalfach zu schauen. „Ja… als Shuyan im zweiten Jahr der Mittelschule in meine Klasse kam, hat er gleich mitbekommen, was Sache ist und mir versucht zu helfen. Hat ne Weile gedauert, aber letzten Endes habe ich es mit seiner Hilfe aus diesem Strudel herausgeschafft“, erklärte der Ältere in aller Ruhe, „Und Akane habe ich auch viel zu verdanken. Ohne ihren Beistand wäre ich wohl schon viel früher an der ganzen Schikane zerbrochen…“ „Zerbrochen?“ Noch einmal wurde es kurz still, woraufhin Ryu das Gefühl bekam eine Grenze überschritten zu haben, die er nicht hätte überschreiten sollen. Besorgt sah er zu Hiroshi, welcher in seinem Tun kurz gestoppt hatte, sich jedoch nur einen Moment später wieder in Bewegung setzte. „Gegen Ende des zweiten Jahres der Mittelstufe hatte ich kurz denk Gedanken mich vom Dach der Schule zu stürzen…“, sagte er dann ziemlich trocken, „Hätte Shuya mich nicht aufgehalten, hätte ich das wohl auch in die Tat umgesetzt…“ Erschrocken zuckte der Jüngere zusammen und sah seinen Senpai vollkommen verstört an, während dieser sich jedoch nicht weiter beirren ließ und seine Suche fortsetzte. Ryu wusste nicht, was er darauf hätte erwidern können. Auch ihm wurden schlimme Dinge angetan, jedoch hatte er bisher noch nie den Gedanken sich etwas anzutun. Sicher tat es weh und war schwer, allerdings hing er dann doch zu sehr an seinem Leben. Was musste dem Älteren nur alles widerfahren sein, dass er mit diesem absurden Gedanken gespielt hatte. Das schlechte Gewissen machte sich plötzlich in Ryu breit. Mit Sicherheit fiel es Hiroshi nicht leicht darüber zu sprechen und nun hatte er diese schlimme Sache wieder hervorgeholt. Dabei gab es gerade wichtigeres, als alte Kamellen aus ihrer Mittelschulzeit. Er wollte zu einer Entschuldigung ansetzen, um das Thema damit zu beenden, doch stoppte plötzlich, als sein Teamkamerad etwas gefunden zu haben schien. „Ah“, sagte er plötzlich und bückte sich noch etwas tiefer, „Das passt hier irgendwie nicht hinein… oder was meinst du?“ Überrascht, dass ihn der Ältere so normal ansprach sah Ryu diesen kurz an, ehe er sich in Bewegung setzte und sich zu dem Blonden begab. Dieser zeigte mit einem kleinen Lächeln auf das kleine Fach, welches nur zur Hälfte aus dem Boden guckte, woraufhin sich der Erstklässler hinkniete und einen Blick hineinwarf. Darin erkannte er einen kleinen rot-weißen Teddybären, welcher dort irgendwie fehl am Platz wirkte. Überrascht wandte er sich noch einmal Hiroshi zu, welcher ihm nur mit einem Lächeln zunickte, woraufhin Ryu seinen Arm in die Öffnung steckte und versuchte das kleine Plüschtier zu greifen. Da die Öffnung gerade einmal so breit war, dass er seinen Arm hindurchstecken konnte, musste er blind nach dem kleinen Bärchen angeln. „Senpai, wegen gerade eben… tut mir leid, wenn ich damit taktlos einen wunden Punkt getroffen habe. Das ist sicher etwas, was dich ziemlich belastet“, sprach er dann aus, was ihm auf der Seele brannte. Der Ältere neben Ryu ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, während er ihm ein kleines Lächeln schenkte: „Schon okay. Klar werde ich nicht gerne daran erinnert, aber das ist auch ein Teil von mir. Außerdem sehe ich keinen Grund dir das zu verheimlichen… Also mach dir darüber keine Gedanken. Das ist vergangen.“ Plötzlich grinste der Größere breit, was dem Jüngeren ein Lächeln auf das Gesicht zauberte, welches jedoch erstarb, als er etwas Weiches zu fassen bekam. „Ah ich hab ihn“, schnell zog er seinen Arm aus dem Fach heraus und hatte dabei das kleine Kuscheltier in seiner Hand. Lange konnte er sich allerdings nicht darüber freuen, als er im Augenwinkel ein rotes Licht erkannte. Just in diesem Moment wurde er plötzlich zur Seite gezogen, während ihn gerade so eine Feuerwalze verfehlte, die das Mobiliar neben ihn zu Asche verbrannte. Erschrocken wandte er seinen Blick auf die Mitte des Raumes, wo sich nun mehrere Wesen befanden. Zwei von ihnen entpuppten sich als junge Frauen mit langen blonden Haaren, die jeweils ein grünes Kleid trugen, das mit goldenen Elementen bestickt war. Auf ihrem Rücken befanden sich große weiße Engelsflügel, welche sie weit ausgesteckt hatten. Zwischen ihnen stand ein männliches Wesen mit einem länglichen Kopf, dessen schwarzer Körper von einem roten Muster durchzogen war, dass an die Streifen eines Tigers erinnerte. In seiner rechten Hand hielt er eine riesige Fackel, von der eine ungeheure Wärme ausging. „Was zum Geier…?“, setzte Hiroshi an. Ryu wusste sofort was sein Senpai mit dieser überraschten Aussage sagen wollte: Diese Gegner sahen anders aus, als die, die ihn vor einiger Zeit angegriffen hatten, als er Mika die ganzen Sachen gebracht hatte. Zwar kannte er sich in dieser Welt noch nicht so gut aus, wie seine älteren Mitstreiter, jedoch hatten diese ihm erzählt, dass die Monster, welche sie Shadows nannten, nicht menschlich aussahen. So hatte er es auch damals erlebt. Diese hier wirkten jedoch absolut menschlich und noch dazu umgab sie eine merkwürdige Aura, die sich gänzlich von den Wesen unterschied, die sie bisher kannten. In diesem Moment fielen den beiden wieder die Worte Megumis ein, welche sie gewarnt hatte, dass sich etwas in dieser Welt verändert hatte und diese drei Gegner vor ihnen waren wohl der beste Beweis dafür. Und diese galt es nun zu besiegen, jedoch verblieb bei beiden jungen Männern das ungute Gefühl, dass ein Fehler in diesem Kampf schlimme Folgen haben würde. [ zur gleichen Zeit an einem anderen Ort ] Ein Geräusch ließ sie zusammenschrecken und die Dunkelheit, welche sich um die herum befand langsam schwinden. Noch einmal zuckte Megumi zusammen und öffnete dann vorsichtig die Augen, um sich kurz darauf in einer eher spärlich beleuchteten Umgebung wiederzufinden. Sie setzte sich auf und versuchte sich erst einmal zu orientieren. Wo war sie? Wieder ertönte ein Geräusch, welches an das Fallen eines Steines auf dem Boden erinnerte, und veranlasste die Brünette dazu ihren Blick schweifen zu lassen. Dabei fiel ihr auf, dass sie sich in einem kleinen Raum befand, welcher von bröckeligen Sandsteinwänden umgeben war, in denen in regelmäßigen Abständen Fackeln steckten, welche für das flimmerige Licht sorgten. Aus den Wänden ragten Möbelstücke, welche sie erst beim genaueren Hinsehen als Küchenschränke identifizierte. Diese waren zum Teil in der Mauer dahinter verschwunden, hingen schief oder sogar verkehrt herum, was dem Ganzen ein ziemlich surreales Bild verlieh. Sie sah sich weiter um und erkannte dann sogar einen Herd, der halb im Boden und halb in der Wand steckte. Daneben befand sich eine halbe Spüle, von welcher sie hauptsächlich noch den Wasserhahn erkannte. „Ach Mist“, ließ sie eine Stimme aufschrecken und sich umdrehen. Daraufhin blickte sie auf Akane, die vor einer braunen Schiebetür stand, welche in diesem Raum noch als realste Version der Einrichtung durchging. Die Ältere rüttelte noch einmal an der Tür, trat dann einen Schritt zurück und betrachtete das Hindernis vor sich. „Ob ich versuchen sollte sie aufzutreten?“, murmelte sie anschließend und wandte sich dann plötzlich Megumi zu, als sie eine Bewegung in ihrem Augenwinkel bemerkte, „Oh du bist endlich wach…“ Die Jüngere nickte, erhob sich und gesellte sich zu ihrer Senpai: „Wo sind wir?“ „Tja gute Frage“, die Zweitklässlerin zuckte mit den Schultern, steckte ihre Hände in die Taschen ihrer Jacke und betrachtete wieder die Tür vor sich, „Der Einrichtung nach zu urteilen würde ich sagen in einem Dungeon, der einer Küche nachempfunden ist.“ Sie bemerkte ein blaues Licht in ihrem Augenwinkel, auf das das Erscheinen von Megumis Persona folgte, mit welcher die Kleine die Umgebung scannte. Dann herrschte kurz Stille, in welcher sich die Jüngere ein Bild von der Situation zu machen schien. Akane schwieg derweil und ließ die Erstklässlerin machen, während sie sich abwandte und den Blick durch den Raum schweifen ließ. Mit Sicherheit gab es einen Mechanismus, der diese Tür öffnete. So war es doch meistens in irgendwelchen RPGs, wenn die Charaktere gefangen waren. Die Frage war nur, wo sich dieser Mechanismus befand. Viel gab es in diesem Raum allerdings auch nicht zu erkunden. Zwar gab es genügend Schränke, die man durchsuchen könnte, aber auch bei ihnen fielen einige bereits durchs Raster, da sie sich aufgrund ihrer Lage gar nicht öffnen ließen. Es sollte also gar kein Problem sein relativ schnell herauszufinden, wie man die Tür öffnete. Allerdings gab es da mit Sicherheit einen Haken. So einfach würden ihre Gegner es ihnen garantiert nicht machen. Da war sich die Brünette ziemlich sicher. Das blaue Licht erlosch und Nechbet verschwand, während sich Megumi wieder Akane zuwandte: „Wir befinden uns tatsächlich in Mirâ-senpais Haus. Anscheinend hat sich der Dungeon auf das gesamte Gebäude ausgebreitet, nachdem Mika-chan es verlassen hatte.“ „Hast du die anderen sehen können?“, hakte die Größere nach und bekam als Antwort ein Nicken. „Sie sind alle hier überall verteilt. Als der Dungeon uns eingezogen hatte, wurden wir wohl in Paaren getrennt. Ich vermute, dass wir zueinanderfinden, wenn wir hier rauskommen“, erklärte die Jüngere daraufhin. „Also war meine Vermutung richtig. Das Problem ist, dass die Tür blockiert ist. Wir müssen also den Mechanismus finden, der sie öffnet“, sprach Akane das Offensichtliche aus, „Kannst du mit deiner Persona nicht herausfinden, wo sich der Mechanismus befindet?“ Noch einmal rief Megumi ihre Persona und scannte den Raum, doch schüttelte kurz darauf den Kopf: „Irgendwas hier sorgt dafür, dass ich nicht hinter die Gegenstände schauen kann…“ Ihre Senpai seufzte schwer und kratzte sich im Nacken, während sie sich wieder umsah: „War ja klar. So ist es ja meistens in RPGs. Wäre ja sonst zu einfach…“ Sie setzte sich in Bewegung: „Dann müssen wir wohl selbst suchen. Übernimm du die unteren Schränke. Ich schau in die oberen… ich hoffe, ich komm da ran…“ Megumi musste auf diese Aussage kurz schmunzeln, denn auch Akane gehörte nicht gerade zu den größten Mädchen ihrer Gruppe. Tatsächlich war die Brünette nach ihr selbst die Zweitkleinste in der Gruppe. Auch sie brauchte also für höher gelegene Orte Hilfe. Einen Moment noch blieb ihr Blick auf der Älteren hängen, bevor sich Megumi ebenfalls abwandte und begann zu suchen. Dadurch kehrte kurz Stille ein, die nur durch das Öffnen der Schränke immer wieder unterbrochen. Der älteren Brünetten jedoch schien es irgendwann etwas unheimlich zu werden, weshalb sie kurz darauf das Wort ergriff: „Du stehst doch total auf Animes und Mangas. Oder? Spielst du da auch gerne RPGs oder sowas?“ Von der Frage etwas überrumpelt, zuckte die Jüngere kurz zusammen und musste kurz überlegen, ehe sie weitersuchte und antwortet: „Ab und an spiele ich auch mal RPGs. Aber weil sie so viel Zeit in Anspruch nehmen, ist das eher selten. Wenn, dann müssen sie mich wirklich richtig mitreißen. Du scheinst aber gerne zu spielen. So oft wie du Vergleiche anstellst.“ „Mein Cousin hat mich drauf gebracht. Er zockt wirklich viel. Aber mir geht es da ähnlich, wie dir. Die Spiele müssen mich richtig flashen, damit ich dranbleibe“, erklärte Akane daraufhin, „Spielst du da lieber für dich oder online?“ „Lieber für mich, weil man da nicht an Gruppen oder Zeiten gebunden ist. Aber ich hab vor einiger Zeit mal ein ziemlich altes Online RPG gefunden und angefangen, weil es so gute Kritiken hatte. Leider ist da aber kaum noch einer unterwegs, weshalb ich wieder aufgehört hatte“, erzählte Megumi weiter, „Sagt dir „Innocent Sin“ etwas?“ Die junge Frau auf der anderen Seite des Raumes zuckte zusammen: „J-ja…“ Überrascht von der Reaktion, sah Megumi auf und blickte Akane fragend an, welche das zu bemerken schien. Schnell machte sich diese an das nächste Fach, um weiter zu suchen, ging aber nicht weiter darauf ein. „Hast du es auch gespielt?“, fragte die Jüngere deshalb nach. „Ähm…“, kam als Reaktion nur zurück, auf welche noch einmal kurz Schweigen folgte, ehe die Dunkelbrünette seufzte, „J-ja… aber der Anfang war mir zu unheimlich. Also hab ich gleich wieder aufgehört…“ Erneut musste Megumi schmunzeln, als ihr wieder bewusstwurde, dass ihre Senpai nicht so mit Horror-Dingen klarkam. Da war es eigentlich schon verwunderlich, dass sie sich überhaupt getraut hatte „Innocent Sin“ zu starten. Die Beschreibung ließ eigentlich schon erahnen, dass es sich nicht unbedingt um ein Spiel mit süßen Bildern handelte. Wiederum konnte sie aber gut verstehen, dass man auf das Spiel neugierig werden musste. Ihr war es ja nicht anders gegangen. Sie wandte sich wieder ihrer Suche zu und öffnete den nächsten Schrank, bei dem es überhaupt möglich war, woraufhin sie plötzlich auf einen kleinen schwarz-violetten Teddybären schaute, welcher hier vollkommen fehl am Platz war. Ein merkwürdiges Gefühl breite sich in ihrer Magengegend aus. Mit Sicherheit hatte der kleine Bär etwas zu bedeuten, wenn er nicht sogar der Schlüssel war, um diesen Raum zu verlassen. Trotzdem überkam sie der ungute Verdacht, dass etwas Schlimmes passieren würde, sobald sie ihn berührte. Akane, welche auf der anderen Seite des schmalen Raumes gesucht hatte, bemerkte, dass ihre Mitstreiterin plötzlich erstarrt war und wandte sich dieser fragend zu. Erst als sie einige Schritte auf die Jüngere zugegangen war, konnte sie um diese herumschauen und erkannte daraufhin ebenfalls das kleine Plüschtier. Anders als bei ihrer Teamkameradin löste er in ihr jedoch kein ungutes Gefühl aus, weshalb sie ohne weiteres darauf zuging. „Warum sagst du denn nicht, dass du etwas gefunden hast? Das hier sieht doch ziemlich verdächtig aus“, sagte sie anschließend, während sie nach dem Teddybären griff. Megumi wollte sie davor warnen, doch da war es bereits zu spät und das Kuscheltier, welches nicht größer war, als eine Hand, befand sich bereits in den Fängen der Älteren. Fragend betrachtete diese den Gegenstand, den sie auf ihre Handfläche gesetzt hatte und versuchte dann zu ergründen, wie er ihnen helfen könnte. Ein Geräusch in ihrem Rücken ließ sie aufschrecken, doch bevor sie die Chance bekam sich umzudrehen, wurde sie bereits zur Seite gezogen. Im nächsten Moment zerschellte an gleicher Stelle ein riesiger Eisblock. Erschrocken blickte die Dunkelbrünette auf besagte Stelle und dann zu Megumi, welche sie beiseite gezogen hatte. Erst danach suchte sie die Quelle des Angriffs, welcher relativ schnell ausgemacht war. Dort in der Mitte des Raumes, welcher bis eben noch, bis auf sie und Megumi, leer war, erschienen mehrere kleine schwarze Wesen mit violetter Mütze, welche stark an Mirâs Persona Jack Frost erinnerten und doch anders waren. Für einen Moment überlegte Akane, wo sie dieses Wesen schon einmal gesehen hatte, da es ihr bekannt vorkam, doch im nächsten Moment musste sie bereits erneut mehreren Eisblöcken ausweichen. Um gleichzeitig Megumi zu beschützen, hatte sie diese auf ihre Arme genommen und setzte sie dann in sicherem Abstand wieder ab, während sie die Gruppe von Gegnern betrachtete, welche sich gänzlich von den Gegnern unterschied, mit denen sie es bisher zu tun hatten und aus sechs dieser Wesen bestand. Kurz warf sie einen Blick aus dem Augenwinkel auf ihre Freundin hinter sich, welche bereits am Eingang der Spiegelwelt angesprochen hatte, dass etwas in dieser Welt nicht stimmte. Dem Ausdruck ihres Gesichtes nach zu urteilen gehörte diese Veränderung anscheinend ebenfalls dazu. Dieser Kampf würde sicher kein Zuckerschlecken werden, zumal sie auch noch alleine Kämpfen musste, da es sich bei Megumis Persona hauptsächlich um einen Supporttyp handelte. Andererseits hatte sie den Vorteil die durchschauenden Fähigkeiten ihrer Freundin auf ihrer Seite zu wissen. Akane wandte sich wieder ihren Gegnern zu und begab sich in Kampfstellung. Dass es nicht einfach werden würde, war ihr von vornherein klar gewesen, also würde es jetzt auch nichts bringen, sich darüber zu beschweren. Sie würde einfach wie immer drauflos schlagen, in der Hoffnung sich und Megumi damit aus diesem Raum zu befreien. Kapitel 143: CXLIII – Der Kampf beginnt --------------------------------------- [~Dienstag, 13. Oktober 2015~] [*Später Abend*] [ Spiegelwelt – Dungeon ] Genervt starrte Kuraiko auf ihr eigenes Spiegelbild, welches von den großen Verandatüren wiedergegeben wurde, die eigentlich einen Blick ins Innere des Hauses ermöglichen sollten. Diese hier jedoch waren verspiegelt und gaben nichts von dem Preis, was drinnen geschah. Mehrmals hatte die Schwarzhaarige versucht die Türen zu öffnen, die an diesem Ort von allem, was sie umgab, noch am Normalsten wirkten. Noch einmal seufzte sie und wandte sich von den großen Spiegeln ab, um sich noch einmal umzusehen. Sie befand sich eindeutig im Garten von Mirâs Familie, der allerdings mehr als surreal wirkte. Das gesamte Grundstück war von einer Brusthohen Hecke umgeben, deren Blätter jedoch aus kleinen Glassplittern bestand. Auch die einzelnen Blumen, die hier und dort standen, bestanden aus solchen Splittern, die jedoch in verschiedensten Farben glänzten. Auf dem ganzen Gelände lagen Gartenmöbel verteilt, die zum Teil im Boden versunken waren. Dafür, dass der Garten relativ klein war, waren es allerdings eindeutig zu viele Möbelstücke, was die junge Frau vermuten ließ, dass sie ihnen eine Bedeutung beimessen musste. Welche jedoch war ihr noch nicht ganz klar. Erneut seufzte sie und drehte sich wieder zu den Verandatüren, die in eine bröckelige Sandsteinwand eingelassen waren. Und obwohl die Mauer so instabil aussah, war es einfach unmöglich die großen Fenster zu öffnen oder zu zerstören. Sie hatte es bereits mehrere Male versucht und nicht nur sie… Wieder entkam ihr ein Seufzen, während ihr Blick auf den schwarzhaarigen jungen Mann etwas entfernt von ihr wanderte, der sich der Hecke zugewandt hatte und versuchte einen Weg darüber hinweg zu finden. Allerdings stellte sich auch das als unmöglich heraus, denn kaum hatte er seine Hand über das Gestrüpp gestreckt, stieß er an ein unsichtbares Hindernis. Plötzlich zog er die Hand zurück und rieb sich diese, als ihn ein kleiner elektrischer Schlag traf. „Autsch…“, skeptisch starrte er auf die Stelle, welche er eben noch berührt hatte und wandte sich dann seiner Begleiterin zu, „Also hier kommen wir auch nicht drüber…“ „Wäre ja auch zu schön gewesen“, murmelte Kuraiko und sah sich noch einmal um, „Also was machen wir nun?“ Masaru trat an sie heran und sah sich ebenfalls noch einmal um: „Tja gute Frage. Wir müssen hier auf jeden Fall irgendwie raus… oder auch rein… wie man es eben nimmt. Ich kann mir vorstellen, dass es hier irgendwo einen Mechanismus geben muss, der die Türen öffnet… jedenfalls hoffe ich das.“ „Das hab ich befürchtet… aber wo soll der sein? Es gibt hier nichts, wo etwas versteckt sein könnte…“, ihr Blick fiel auf zwei Spaten, die an der Wand neben den Verandatüren standen. Für die Verhältnisse dieser Welt wirkten sie auch viel zu normal, als dass sie sie ignorieren konnte und sie bekam langsam eine Idee, wie sie an ihr Ziel gelangen könnten. Ohne ein weiteres Wort zu sagen ging sie auf die beiden Spaten zu und griff sich einen davon, den sie kurz eingängig betrachtete. Unter den fragenden Blicken Masarus stieß sie das Gerät einen Moment später in den Boden, prallte jedoch an diesem ab, während ein leicht metallener Klang zu hören war. „Hm…“, sie sah sich kurz um und ging dann auf eine Stelle zu, aus welcher eines der Gartenmöbel herausschaute. Auch hier stieß sie den Spaten in den Boden, welcher dieses Mal im Boden verschwand: „So ist das…“ Fragend sah der Ältere zu der jungen Frau, welche ihn anwies sich den anderen Spaten zu schnappen und dann an Stellen zu graben, aus denen die Gartenmöbel schauten. „Mit Sicherheit ist hier irgendwo was versteckt“, sagte Kuraiko daraufhin nur als Erläuterung, während sie weiter grub. Masaru zögerte einen Moment, doch tat dann wie geheißen und nahm sich den andern Spaten, um es der Schwarzhaarigen an einer anderen Stelle nachzumachen. Daraufhin war nur noch das scharrende Geräusch der Schaufeln zu hören, die immer wieder in den Boden gestoßen wurden, um die Erde dort herauszuholen. Nach einigen Minuten jedoch erklang auf Masarus Seite ein erneuter metallener Klang, welcher darauf schließen ließ auf ein Hindernis gestoßen zu sein. Doch als der junge Mann genauer hinsah, befand sich dort nichts weiter als Schwärze. So als wäre unter der Erde eine dunkle Plane gespannt, die verhindert sollte, dass man tiefer grub. Auch bei Kuraiko ertönte kurz darauf dieses Geräusch, welches sie dann die Zunge schnalzen ließ. Genervt stieß sie die Schaufel neben das Loch in die Erde, hatte dabei jedoch das gleiche Ergebnis, als der Gegenstand in ihrer Hand mit einem metallenen Klang vom Boden absprang. Auch Masaru verstand sofort, was das bedeutete. Es gab nur ganz bestimmte Stellen, an denen sie graben konnten. Die Erde daneben war durch eine Art Barriere geschützt, die verhindern sollte, dass sie größere Löcher gruben als nötig. „So was umständliches…“, murrte die jüngere Frau, während sie auf die nächste Stelle zuging, aus welcher ein Möbelstück herausragte und dort begann zu graben. Ihr Senpai tat es ihr nach und suchte sich ebenfalls den nächsten Abschnitt, an welchem er graben konnte. So ertönte kurz darauf wieder das schabende Geräusch von Metall, während sich die beiden anschwiegen. „Woher wusstest du, dass wir die Spaten nutzen müssen?“, unterbrach Masaru jedoch kurz darauf das Schweigen. „Ich wusste es nicht, aber diese Teile sahen zu normal aus, als dass sie keine Bedeutung haben konnten“, erklärte die Jüngere ohne sich bei ihrer Arbeit beirren zu lassen. „Und wie kamst du auf die Stellen?“, kam die nächste Frage. „Diese aus der Erde ragenden Möbelstücke waren mir schon die ganze Zeit suspekt. Und da es dort nicht geht, wo keine Möbel sind, habe ich das geschlussfolgert. Kche“, erneut stieß Kuraiko an das Ende des Loches, in dem sie graben konnte und wandte sich dem nächsten Platz zu, „Ernsthaft… was ist das hier für ein Mist? Wonach sollen wir überhaupt suchen?“ Auch Masaru hatte sich derweilen eine neue Stelle zum Graben ausgesucht, da er das Ende des möglichen erreicht hatte: „Das ist wirklich echt anstrengend… da wären mir einige Kendoübungen lieber…“ Noch einmal kehrte Schweigen zwischen den beiden ein, als Kuraiko nicht weiter auf diese Aussage einging, bevor der Ältere wieder das Wort ergriff: „Da bekomme ich echt Respekt davor, was du regelmäßig in der Schule machst.“ „Obwohl im Schülerrat regelmäßig darüber debattiert wird den Botanik-Club zu schließen?“, seine Teamkameraden hob nicht einmal den Blick, was jedoch nichts daran hinderte, dass ihn diese Aussage ziemlich traf. „Wenn es nur nach mir ginge, dann würde ich darüber nicht mal diskutieren. Immerhin kümmerst du dich mit deinem Club darum, dass das Gelände der Schule schön aussieht“, kam jedoch nur als Antwort, „Aber es gibt leider auch Vertreter aus dem Schülerrat, die mitbekommen haben, dass viele deiner Mitglieder nur auf dem Papier dabei sind.“ „Dafür kann ich ja nichts. Die tauchen nur nie auf… mit Ausnahme von Mirâ, wenn sie nicht gerade wichtigeres vorhat“, murmelte Kuraiko. Dabei verbarg sie auch nicht ihre Verstimmung darüber, dass Mirâ sie einmal hat sitzen lassen, um beim Fußballclub zu hospitieren. Als die Violetthaarige mit ihr darüber gesprochen hatte, hatte sie nichts dazu gesagt, da sie den Grund schon irgendwie nachvollziehbar fand. Trotzdem war sie darüber nicht gerade begeistert gewesen. Viel mehr war sie schon recht sauer gewesen, aber sie gehörte nicht zu der Art Mensch, die andere zu etwas zwangen. Immerhin war sie der Meinung, dass jeder so leben sollte, wie er es für richtig hielt. Deshalb würde sie die Violetthaarige auch nicht aufhalten, wenn sie andere Pläne hatte. Masaru hatte kurz in seinem Tun gestoppt, um seine jüngere Mitschülerin zu beobachten, wodurch ihm sehr wohl auffiel, dass ihr etwas missfiel. Jedoch ging er nicht weiter darauf ein, immerhin wusste er nicht, was genau los war, allerdings hatte er eine Vermutung, immerhin hatte er am letzten Freitag gesehen, wie Mirâ im Fußballclub ausgeholfen hatte. Mit Sicherheit hatte es etwas damit zu tun. Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu: „Und was ist mit diesem Erstklässler?“ Dem Älteren fiel auch dieses Mal auf, dass die Jüngere eine Regung zeigte, in dem sie kurz in ihrem Tun innehielt, jedoch dann unbeirrt weiter machte: „Welcher Erstklässler?“ „Na der mit den schwarzen Haaren und roten Augen… wie hieß er noch?“, Masaru schien kurz zu überlegen, „Ich glaube er hieß Tsukiyama… ja genau… ich erinnere mich an ihn, weil sein Name mich an die Familie erinnert, die früher den alten Tempel geführt hat, der auf dem Gelände vom Einkaufszentrum stand.“ Irritiert sah Kuraiko zu dem Älteren und ging nicht weiter auf Shirota ein, stattdessen wechselte sie das Thema: „Du kennst den Tempel noch?“ „Aktiv nur noch als Ruine… aber meine Eltern und mein ältester Bruder kennen den Tempel noch, wie er mal aussah, bevor er verlassen wurde“, erklärte ihr Teamkamerad, „Als Kind bin ich aber oft durch die Ruine geschlichen, bis mein Bruder mich wütend nachhause geschliffen hat.“ Er musste kurz lachen, während er an die alten Zeiten dachte. „Wer hätte gedacht, dass der tugendhafte stellvertretende Schulsprecher mal so ein Draufgänger war“, meinte die junge Frau darauf nur, woraufhin das Lachen noch etwas stärker wurde. „So tugendhaft, wie ihr mich immer alle hinstellt, bin ich gar nicht“, meinte er daraufhin nur und kam wieder zum eigentlichen Thema zurück, „Aber nun versuch nicht einfach das Thema zu wechseln… was ist mit Tsukiyama? Ich sehe ihn regelmäßig zum Botanik-Clubraum laufen.“ „Ach der kann mir gestohlen bleiben… hm?“, überrascht sah Kuraiko auf das kleine graue Etwas, welches leicht aus der dunklen Erde ragte, „Was ist das denn?“ Überrascht unterbrach der Schwarzhaarige seine Arbeit und ging zu ihr hinüber, während sich die junge Frau auf den Boden hockte und mit den Händen weiter in der Erde buddelte. Kurz darauf kam ein kleiner grau-weißer Teddybär zum Vorschein, welcher nicht viel größer als eine Handfläche war. Er war ziemlich verdreckt von der Erde, wirkte aber ansonsten sehr neu. Irritiert griff die Schwarzhaarige mach dem kleinen Plüschtier und begutachtete es einen Moment. Dieses kleine Tierchen passte hier mal so überhaupt nicht hin. Selbst wenn alles um sie herum nicht sehr real wirkte, irgendwo ergab das Ganze doch einen Sinn. Immerhin hatten sie hier Gartenmöbel vorgefunden und kein Sofa oder eine Dusche oder etwas, mit dem sie gar nicht gerechnet hatten. Umso mehr fiel dieser kleine Bär doch auf. Ob er der Schlüssel war? Ein Geräusch von sich aufladender Energie, ließ die beiden Oberschüler, die bis zu diesem Zeitpunkt noch voll auf das Kuscheltier fixiert waren, aufhorchen. Langsam drehten sie sich um und schafften es dann gerade noch so auszuweichen, bevor genau vor ihnen mehrere Lichtkugeln explodierten und im darunter befindlichen Boden schwarze Flecken hinterließen. Erschrocken blickten die beiden kurz darauf auf zwei weiße Pferde, die aus dem aufgewirbelten Staub auftauchten und auf denen eine Gestalt saß, die in einen schwarzen langen Mantel gekleidet war und in einer Hand eine riesige Sense hielt. Beim Anblick des Wesens wich beiden Oberschülern die Farbe aus dem Gesicht, als sie auf den Totenschädel sahen, welcher unter der Kapuze hervorschaute. Es war, als würden sie dem Tod direkt ins Gesicht blicken und führte dazu, dass es ihnen eiskalt den Rücken herunterlief. „Nicht euer Ernst oder?“, kam es nur schockiert von Kuraiko. „Was sind das für Gegner?“, stellte Masaru eine rhetorische Frage. Dann jedoch fiel ihm wieder ein, was ihre Navigatorin am Eingang der Spiegelwelt gesagt hatte: Dass sich die Aura der Shadows in dieser Welt verändert hatte. Damit war wohl auch diese Veränderung gemeint, denn die beiden Shadows, die ihnen gegenüberstanden, sahen vollkommen anders aus, als die, gegen die sie bisher gekämpft hatte. Und es war ganz sicher, dass sich diese Gegner auch in ihrer Stärke von den bisherigen unterschieden. Sofort zogen die beiden Schwarzhaarigen ihre Waffen und gingen in Angriffsstellung, während ihre Gegner sie für einen Moment zu beobachten schienen. Dann bildete sich um den skelettierten Reiter zu ihrer Linken ein blaues Licht, auf das ein Rot-Schwarzes folgte, dass sich vor Masaru formte. Bevor der junge Mann jedoch reagieren konnte, explodierte es bereits vor ihm und riss ihn direkt von den Füßen. Erschrocken sah Kuraiko zu dem älteren Schüler und wandte sich dann wieder ihrem Gegner zu, ehe sie ihr Handy zückte und Kadesch rief, mit welcher sie einen Eiha-Angriff auf den Reiter losließ, der Masaru angegriffen hatte. Doch leider zeigte dies keine Wirkung. Stattdessen wurde der Angriff auf sie zurückgeworden, dann jedoch von der Fähigkeit ihrer Persona wieder neutralisiert. „Er reflektiert Flüche? Na so ein Ärger aber auch…“, murmelte die junge Frau und bereitete sich bereits auf einen Gegenangriff vor, jedoch blieb dieser von ihren beiden Gegnern aus. Plötzlich jedoch ergriff sie ein starker Wind und riss sie von den Beinen, sodass sie einige Meter entfernt schmerzhaft auf dem Boden landete. Irritiert sah sie auf und blickte dann auf Harachte, welcher die Hand auf die gerichtet, vor ihr schwebte. Ihr Blick wanderte an der Persona herunter, auf Masaru, der sein Smartphone in der Hand hielt, das leicht bläulich schimmerte. Dabei wirkten seine Augen jedoch so trüb, dass sich nicht einmal der blaue Schimmer seines Handydisplays darin spiegeln konnten. „Na klasse… das auch noch…“, murrte die Schwarzhaarige. Im Augenwinkel schimmerte wieder ein blaues Licht, welches dieses Mal wieder von den Reitern ausging, auf welches sich vor ihr und Masaru mehrere Kugeln bildeten, die sich anhörten, als würden sie sich elektrisch aufladen. Schnell sprang die junge Frau zur Seite und riss dabei ihren älteren Teamkameraden mit, der aktuell unter dem Einfluss der Gegner stand. Allerdings war sie einen Moment zu spät gesprungen, sodass sie am Bein getroffen wurde, als die Lichtkugeln explodierten. Schmerzhaft landete sie gemeinsam mit Masaru auf dem Boden und betrachtete dann die Wunde an ihrer Wade, die unter den zerrissenen Leggings hervorschaute. „Urgh…“, zuckte sie zusammen, als der Schmerz ihr Gehirn erreicht hatte. Als wäre das nicht schon genug gewesen, hatte sie Mühe Masaru ruhig zu stellen, welcher versuchte sich wehrhaft von ihr zu trennen. Jedoch musste sie irgendwie verhindern, dass er erneut mit Harachte angriff und sie noch einmal verletzte. Sie musste ihn irgendwie wieder zur Vernunft bekommen. Weshalb sie, den Schmerz ignorierend, in der Persona-App nach einem Item suchte, welches den Schwarzhaarigen wieder zur Vernunft bringen würde. Wieder bemerkte sie das blaue Licht, das eindeutig von ihren Gegnern ausging und schaffte es dann gerade so einem erneuten physischen Angriff auszuweichen, die sie wahrscheinlich wie Masaru mit einer Gehirnwäsche belegt hätte. Dabei musste sie jedoch den Älteren doch loslassen, um sich hinter einem aus der Erde ragenden Tisch zu verstecken, was dafür sorgte, dass der junge Mann nun doch wieder dem Angriff des anderen Reiters getroffen wurde und zu Boden ging. Dadurch hatte Kuraiko jedoch Zeit ein Gegenmittel zu suchen, weshalb sie hoffte, dass der Schwarzhaarige ihr verzeihen möge. Schnell suchte sie das Gegenmittel heraus und schickte es an ihren Kameraden, der damit endlich wieder zu sich kam. „Urgh… was ist passiert?“, fragte er anschließend, als er sich schmerzhaft am Boden wiederfand. Während sich der Ältere versuchte zu orientieren, rief Kuraiko ihre Persona, um auf sich selbst Dia zu wirken. Das sanfte grüne Licht der Fähigkeit legte sich um ihren Körper und heilte die Verletzung an ihrem Bein soweit ab, dass sie nicht mehr so sehr schmerzte. Danach griff sie zu ihrer Sense und stürzte sich auf die beiden Shadows vor sich. Mit Schwung ließ sie ihre Waffe auf einen der beiden Reiter niedersausen, was endlich Wirkung zeigte, als das Ungetüm leicht zurückwich. „Du wurdest manipuliert“, rief sie dabei, als sie an dem Größeren vorbeikam, „Sorry… musste dich kurz als Ablenkung verwenden…“ Etwas irritiert sah der schwarzhaarige junge Mann sie an, bis er verstanden hatte, was sie ihm damit sagen wollte. Daher also die Wunden. „Na danke auch“, ging ihm durch den Kopf, während er wieder zu seinem Smartphone griff und Harachte rief, der sofort mit einer Garu-Attacke auf beide Gegner losließ. Jedoch zeigte dieser keine Wirkung und die beiden Wesen zeigten sich mehr als unbeeindruckt, was den jungen Mann dazu veranlasste ebenfalls nach seiner Waffe zu greifen und sich damit auf die Shadows zu stürzen. Mit Schwung zog er sein Katana aus der Scheide und sprang nach oben, um so mehr Schwung zu haben und den Gegner schwerer zu Treffen. Die Klinge sauste an dem Gegner entlang und ließ auch diesen etwas zurückweichen. Während er wieder Abstand zu den beiden Wesen nahm, zog er wieder sein Smartphone aus der Jackentasche und rief sein anderes Ich, dass das Schwert an seiner Hüfte zog und ebenfalls auf die Shadows zustürmte und diesem einen kritischen Treffer verpasste, sodass er zu Boden sank. Auch Kuraiko stürmte wieder voran und ließ ihre Sense auf den am Boden liegenden Feind niedersausen, um diesen damit endlich in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Ein schriller Schrei ertönte, als sich der Reiter in schwarz-rotem Nebel auflöste. „Bleibt noch einer“, wandte sich die Oberschülerin an den noch übrig gebliebenen Gegner, während sie ihre Sense auf ihrer Schulter abstützte. Auch Masaru richtete seine Aufmerksamkeit dem Gegner, der nun ebenfalls zum Angriff überging und seine Sense auf die beiden fallen ließ. Die schwarzhaarige junge Frau wehrte diesen Ansturm mit ihrer Waffe ab, sodass ihr älterer Mitschüler an ihr vorbeihuschen und mit dem Katana ausholen konnte, dessen Klinge den Reiter genau in den Bauch traf. Schreiend wich er daraufhin zurück, doch ließ dann das Pferd die Vorderhufe anheben, während sich um ihn wieder das blaue Licht bildete. Dieses verschwand kurz darauf wieder, während der Reiter mit dem Pferd auf den Boden aufstampfte Der Boden vibrierte und die beiden Oberschüler spürten, wie sie erneut von etwas getroffen wurden und das nicht nur einmal. Wieder riss es Masaru von den Beinen, da er gegen solche Angriffe keine Chance hatte, doch Kuraiko blieb standhaft und ging im nächsten Moment schon wieder zum Gegenschlag über. Sie holte wieder weit mit ihrer Sense aus und stieß diese dann auf ihren Gegner, der versuchte den Angriff zu parieren. Jedoch erschien in diesem Moment Harachte und attackierte sein Gegenüber ebenfalls mit dem Schwert. Darauf hatte der Reiter nichts mehr zu entgegnen und verschwand kurz darauf mit einem schrillen Schrei in dem üblich aufkommenden Nebel. Völlig erschöpft ließen die beiden jungen Menschen sich auf den Boden sinken und schnauften erst einmal durch. Solch einen Kampf alleine zu bestreiten war wahrlich kein Zuckerschlecken. Mit vereinten Kräften wäre es ihnen mit Sicherheit leichter gefallen, doch so auf sich gestellt war das schon eine ganz andere Nummer. „Irgendwie…“, begann plötzlich Kuraiko und war sich damit der Aufmerksamkeit ihres älteren Senpais sicher, „Es wirkt so, als wären wir bewusst zusammengewürfelt worden…“ „Du meinst weil der Shadow sowohl gegen Wind, als auch gegen Flüche resistent war?“, hakte Masaru nach, der bereits den gleichen Gedankengang hatte, und bekam darauf ein Nicken als Antwort, „Das wird schon so gewesen sein. Ich denke damit versucht der Oberboss uns zu schwächen, wenn nicht gar komplett aus dem Weg zu räumen.“ „Wäre ja zu einfach gewesen, hier hereinzustürmen und Junko zu retten…“, meinte die Schwarzhaarige nur genervt. Ein Klacken ließ sie und ihren Teamkameraden aufhorchen und ihre Blicke gen Verandatüren wandern. Die Scheiben gaben ein klackerndes Geräusch von sich, als sie sich langsam beiseiteschoben und damit den Blick auf einen grau-schwarzen Wirbel freigaben, der sich nun anstelle der Inneneinrichtung befand. Überrascht und verwirrt zugleich sahen die beiden Oberschüler auf das Gebilde vor sich, ehe sie begriffen, dass sie damit wohl wieder zurück zu den anderen finden würden. So erhoben sich beide schwerfällig, griffen dann nach ihren Waffen und machten sich gemeinsam auf den Weg, bis sie in dem grau-schwarzen Gewirr verschwunden waren. Zurück blieb ein leerer Garten und die offene Verandatür, die jedoch mit einem lauten Knall plötzlich wieder zufiel. Kapitel 144: CXLIV – Das Spiel von Eis und Feuer ------------------------------------------------ [ ~Dienstag, 13. Oktober 2015~ ] [ -Neumond- ] [ *Später Abend* ] [ Spiegelwelt – Dungeon ] „Heeeeee-hooooo! Heeeeee-hooooo!“, schallte es durcheinander durch den kleinen Raum, in welchem Akane und Megumi gemeinsam eingesperrt waren. Vor ihnen hatte sich eine Gruppe von sieben gleich aussehenden Shadows positioniert, die wie wild hin und her tanzten und immer wieder dieses „hee hoo“ riefen. Sie erinnerten stark an die Persona Jack Frost, welche Mirâ einige Zeit verwendet hatte, und sahen doch etwas anders aus. Anders als Jacks Frosts Körper, der weiß war, war der dieser Wesen schwarz, während sie anstatt blauer Mützen und Kragen, violette trugen. Auch ihr Gesichtsausdruck war alles andere als niedlich und glich eher einem fiesen Grinsen. Durch die Eisangriffe der Wesen war die Temperatur im Raum immer weiter abgesunken. Angespannt starrte Akane auf die Gegner vor sich, während sie versuchte die, durch ihre Kleidung dringende, Kälte zu ignorieren. Sie holte tief Luft und atmete ruhig wieder aus, wodurch sich ihr Atem sichtbar vor ihr abbildete. Diese Shadows waren anders, als die, die sie bisher bekämpft hatte. Das war eine Tatsache, die sie auch ohne Megumis Scans sagen konnte. Trotzdem hatten bisher immer die gleichen Regeln in dieser Welt gegolten. Und das bedeutete für sie, dass sie den Schwachpunkt ihrer Gegner recht gut vorhersagen konnte. „Sie greifen mit Eis an… also sollte das funktionieren“, ging ihr durch den Kopf, während sie ihr Smartphone aus der Jackentasche angelte und kurz darauf Wadjet rief. In blauem Leuchten erschien die rothaarige Persona und ging sogleich mit Maragi in die Offensive. Kurzzeitig erhöhte sich die Temperatur in dem Raum wieder, als mehrere Feuerbälle auf die Gruppe von Gegnern niederregnete. Doch plötzlich geschah etwas, mit dem die Brünette nicht gerechnet hatte, als der gesamte Angriff geballt wieder auf sie zurückkam. Es kam so unverhofft, dass sie nicht mehr die Gelegenheit hatte auszuweichen und nur noch dazu in der Lage war ihre Arme schützend vor ihr Gesicht zu halten. „Akane-senpai!“, rief Megumi geschockt, als die Feuerwalze über ihre Freundin hinüberrauschte. „Alles gut. Keine Sorge“, ließ sie die Stimme der Älteren kurz darauf jedoch wieder erleichtert aufatmen. Der Rauch lichtete sich wieder und die brünette Kämpferin kam wieder zum Vorschein; ohne wirklich große Verletzungen davongetragen zu haben. Einzig und allein ihre Klamotten waren an einigen Stellen etwas angesengt. Dankend sah sie zu ihrer Persona, welche sich vor sie positioniert und damit den Großteil des Angriffs abgefangen hatte. Ihre Feuerresistenz hatte sich in diesem Falle als äußerst hilfreich erwiesen, ansonsten wäre von der jungen Frau wohl nur noch ein Häufchen Asche übriggeblieben. Akane warf einen kurzen Blick über ihre Schulter zu der jüngeren Schülerin, die sie noch immer besorgt ansah. Doch kaum hatte sie den Gesichtsausdruck der Älteren bemerkt, wusste sie sofort was zu tun war. Sie griff nach ihrem Smartphone, wählte die Option ihre Persona zu rufen und legte ihre Hände mitsamt Gerät auf ihre Brust. Um sie herum bildete sich das blaue Leuchten, welches Nechbet hervorrief, die sich sofort hinter der Schülerin positionierte und ihre Flügel um sie legte. Über Megumis Augen erschien wieder der silberne Ring, der an eine VR-Brille erinnerte und ihr half ihre Scans durchzuführen. Dann schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf ihre Gegner, während Akane einem weiteren Angriff der kleinen Quälgeister auswich und darauf auf sie zustürmte. Mit Fäusten und Füßen prügelte sich die junge Frau durch die Gruppe von Gegnern, was diesen jedoch nur geringem Schaden zufügte. Als wäre das jedoch nicht genug gewesen, taten diese es der jungen Frau nach und griffen ebenfalls physisch an, sodass sie sich nun auch gleichzeitig verteidigen musste. Währenddessen versuchte ihre jüngere Freundin die Schwächen der Gruppe herauszufinden, doch irgendetwas stimmte dabei nicht. Sie konnte zwar erkennen, dass ihr Name Black Forst war, allerdings erkannte sie keine Schwachpunkte. Irgendetwas blockierte sie. „Aaaaaah!“, ein Eisblock erwischte Akane und schleuderte sie neben Megumi in die Wand, woraufhin diese ihren Scan abbrach. Erschrocken drehte sie sich zu ihrer Freundin um, die vollkommen fertig an der Wand lehnte. Die jüngere Brünette lief auf die Zweitklässlerin zu und wählte währenddessen ein Item aus der Persona-App aus, die der älteren Helfen sollte. Ein seichtes grünes Licht legte sich auf Akane und ließ ihre Wunden teilweise verschwinden. Erleichtert atmete sie auf und bedankte sich bei ihrer Freundin, bevor sie sich langsam wieder aufrichtete. „Senpai… es tut mir leid. Ich kann keine Schwächen finden“, entschuldigte sich die Jüngere, „Ich erkenne das, was bereits durch deine Angriffsversuche klar ist, aber mehr auch nicht. Irgendwie scheint es so, als wäre meine Kraft bei diesen Shadows blockiert.“ „Schon gut, Megumi-chan. Ich krieg das schon hin…“, sagte die Ältere, „Physische Angriffe funktionieren… es ist zwar umständlich, aber damit sollte ich sie irgendwann klein kriegen. Wäre schön, wenn du mich etwas mit Items unterstützen könntest. Wadjets Kraft zerrt ganz schön…“ „Si-sicher“, antwortete die Jüngere leicht verunsichert. Sie machte sich Sorgen und spürte ihr schlechtes Gewissen. Da ihre Persona ein Supporttyp war, konnte sie mit ihr nicht kämpfen und ihre Teamkameradin auch nicht groß unterstützen. Dass sie nun nicht einmal den Schwachpunkt der Gegner herausfinden konnte, machte sie ganze Sache nicht unbedingt besser. Dabei wollte sie doch unbedingt helfen. Besorgt blickte sie Akane hinterher, die sich erneut mit ihrer Persona ins Getümmel stürzte. Abwechselnd griff sie mit ihrer Persona direkt an, ohne Magie zu nutzen, da diese eh wieder nach hinten losgehen würde. Doch dabei blieb es nicht aus, dass sie körperlich immer Schwächer wurde. So oft es möglich war nutzte Megumi Heil-Items, um ihre Freundin zu unterstützen, aber ein Blick auf die Liste der Gegenstände verriet der jungen Frau, dass diese sich langsam dem Ende zuneigten. Irgendetwas musste sie unternehmen, denn die Ältere hatte es gerade einmal geschafft drei der Shadows zu besiegen. Mit etwas Abstand zu ihren Gegnern war sie nun zum Stehen gekommen und versuchte wieder zu Atem zu kommen. „Das nimmt kein Ende… verdammt“, sich den Schweiß aus dem Gesicht wischend beobachtete Akane die vier übrig gebliebenen Gegner, welche nicht wirkten, als seien sie auch nur annährend erschöpft. Wenn das so weiterginge, würden sie und Megumi hier sterben. Das durfte einfach nicht geschehen. Aber was sollte sie noch machen? Ihre physischen Kräfte ließen allmählich nach, sodass auch die Angriffe ihrer Persona nicht mehr den gleichen Effekt hatten, wie noch zu Beginn des Kampfes. Sie musste das hier also schnell beenden. Die Frage war jedoch, wie? Vorsichtig sah sie an den Gegnern vorbei zu Megumi, die sie besorgt musterte, jedoch nicht viel ausrichten konnte. Kurz schnalzte Akane mit der Zunge, bevor sie sich wieder den Black Frosts zuwandte und zurück zum Angriff überging. Unruhig beobachtete Megumi immer noch das Geschehen vor sich und wünschte sich etwas ausrichten zu können. Wenn sie doch nur kämpfen könnte. Zwar hätte sie die Möglichkeit Items zum Angriff zu nutzen, allerdings gab es nur wenige, die einen physischen Angriff auslösten. Magische Items nutzten immerhin in diesem Kampf nichts. Aber eine Schwäche musste diese Art von Shadows doch haben. „Wenn doch nur mein Scan funktionieren würde…“, verzweifelt klammerte sie sich an ihr Smartphone und schloss die Augen. Ihr vorrangiges Ziel war es doch Junko zu retten. Doch wenn sie hier schon versagten, dann war alles vorbei. Aber wie sollten sie das schaffen? Die Geräusche des Kampfes ließen sie wieder aus ihren Gedanken schrecken und nach ihrer Freundin schauen, die gerade wieder dabei war sich mit Kampfgebrüll ins Getümmel zu stürzen. Mittlerweile war ein weiterer Gegner gefallen, doch noch immer waren drei übrig, während Akane wirkte, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Erschrocken über diese Erkenntnis warf Megumi wieder einen Blick auf ihr Smartphone, um erneut ein Heil-Item auszuwählen, dass der Brünetten etwas helfen sollte. Jedoch blieben ihre Augen dabei auf einem vollkommen anderen Item hängen, welches ebenfalls in der Liste angezeigt wurde. Dabei handelte es sich um einen Lichtzauber. Sie wusste eigentlich, dass magische Angriffe nichts bei diesem Gegner bewirkten und doch breitete sich in ihrem Inneren ein ganz bestimmtes Gefühl aus, als sie den Gegenstand unter ihrem Daumen sah. Sie wusste nicht wieso, aber irgendwie war ihr so, als würde dieses Item etwas nützen. Noch immer versuchte sich Akane durch die Gruppe von Gegner zu kämpfen, während sie sich gleichzeitig gegen deren Angriffe verteidigen musste. Das erwies sich alles andere als einfach, denn immer mehr verließen sie ihre Kräfte. Noch länger konnte sie diesen Kampf nicht bestreiten, das war ihr bewusst. Doch trotzdem durfte sie nicht aufgeben. Plötzlich wurde es um sie herum hell, als sich um die Shadows jeweils eine Lichtsäule bildete, die mit Bannzetteln besetzt war. Das Licht wurde stärke und zog sich mit einem Mal so stark um die Gegner, dass diese mit einem lauten Kreischen zusammenbrachen. Aufgrund der Helligkeit hatte die junge Frau die Augen geschlossen und diese mit ihren Armen verdeckt, doch als sie diese einen Moment später wieder öffnete waren die Black Frosts verschwunden. Irritiert sah sich die junge Frau um, woraufhin ihr Blick auf Megumi fiel, die nun ebenfalls ziemlich verwirrt wirkte. Akane kam es so vor, als wäre die Jünger plötzlich aus einer Art Trance erwacht. Irritiert und etwas unsicher sah sie sich um, während die ältere Brünette wieder auf sie zuging. „Vielen Dank Megumi-chan. Wie hast du das gemacht?“, fragte sie anschließend. Noch immer leicht überrascht, dass der Kampf so plötzlich vorbei war, schrak Angesprochene auf und sah dann auf ihr Smartphone, in welchem noch immer die Items-Liste geöffnet war. Fragend blickte Akane ihr über die Schulter, woraufhin beide auf den Namen des Gegenstandes blickten, der nun ganz oben stand. „Segaki Rice?“, fragte die Zweitklässlerin mit schiefgelegtem Kopf. Megumi konnte sich nicht erinnern dieses Item ausgewählt zu haben. Allgemein fehlten ihr die Erinnerungen der letzten Sekunden, bevor der Kampf beendet war. Sie wusste noch, dass sie auf diesen Gegenstand geschaut und dann ein merkwürdiges Gefühl hatte. Und was war dann geschehen? Sie konnte allerdings nicht weiter darüber nachdenken, denn plötzlich fiel ihr Akane um den Hals und bedankte sich überschwänglich dafür, sie gerettet zu haben. Ohne ihre Hilfe wäre der Kampf wohl anders ausgegangen. Auch wenn sich die Jüngere nicht mehr erinnern konnte, so beließ sie es dabei und war froh darüber, dass sie es irgendwie geschafft hatten. Jedoch würde sie sich die Schwäche dieser Gegner merken, falls sie ihnen noch einmal begegnen würden. Mit Sicherheit war dies nicht ihr letztes Aufeinandertreffen mit den Black Frosts. Ein Klacken erklang und ließ die beiden Mädchen aufschrecken. Langsam drehten sie sich herum und erkannten in diesem Moment, wie sich langsam die Schiebetür öffnete, die ihnen bisher den Durchgang verwehrt hatte und daraufhin einen grau-schwarzer Wirbel zum Vorschein kam. „Ich verstehe… der Teddy hat den Angriff der Shadows ausgelöst und unser Sieg gegen sie war der Schlüssel, um die Tür zu öffnen… sehr raffiniert…“, murrte Akane, während sie ihre Freundin langsam wieder losließ, „Ich hoffe mal, dass uns nicht noch mehr solche Überraschungen erwarten und wir gleich zu den anderen kommen.“ „Zu hoffen wäre es…“, murmelte Megumi darauf nur, „Es wäre von Vorteil, wenn dich jemand heilen könnte, Akane-senpai.“ „Das stimmt… schauen wir mal. Also auf geht’s“, damit hatte die Brünette die Hand der Jüngeren gegriffen und zog diese genau auf den Strudel vor sich zu, welchen sie kurz darauf durchschritten hatten, während sich die Tür hinter ihnen mit einem lauten Knall wieder schloss. [ zur gleichen Zeit in einem anderen Raum ] Krachend ging ein greller Blitz auf Hiroshi und Ryu nieder, welche in letzter Minute auswichen. Besorgt blickte Ryu auf die Stelle, an welcher sich nun ein schwarzer Fleck befand. Eine Minute später und sie wären geröstet worden. Lange konnte er sich jedoch keine Gedanken darüber machen, als bereits der nächste elektrische Angriff auf sie folgte. Wieder wichen sie aus und versuchten eine Lücke zu finden, in der sie zum Zuge kommen könnten, doch bisher ließen ihnen ihre Gegner dafür keine Chance. Kaum war die erste Attacke vorbei, folgte meistens bereits die zweite und danach gleich die nächste. Die Gruppe von Shadows wusste sich also abzusprechen, selbst wenn sie kein Wort sagten. Trotz allem agierten sie ziemlich menschlich, anders als die Kreaturen, denen sie die letzten Male begegnet waren. Eine gigantische Feuerwalze rollte auf die jungen Männer zu, welche allerdings so breit war, dass es gar keine Möglichkeit gab, um auszuweichen. Dieser Angriff würde definitiv sein Ziel treffen. „Oh verdammt“, hörte Ryu Hiroshi fluchen, während er selbst nach seinem Smartphone griff. „Heh!“, rief er aus, woraufhin sich um ihn das blaue Leuchten bildete und seine Persona erschien. Entschlossen stellte sie sich zwischen die beiden Oberschüler und schützte sie so vor dem Feuer. Überrascht sah Hiroshi zuerst zu der Persona und dann zu Ryu, welcher jedoch auf die Gegner vor sich fixiert war und es dann wagte auch in die Offensive zu gehen. Heh erhob sich von der grünen Matte, auf welcher er eigentlich immer kniete und richtete die beiden überkreuzen Stäbe in seinen Händen auf die Gegner. Daraufhin bildete sich in deren Mitte ein Kreis aus mehreren Lichtkugeln, die sich aufzuladen schienen. Das Geräusch wurde immer greller, bis zu dem Punkt, als die Energiekugeln plötzlich explodierten. Staub wurde aufgewirbelt, wodurch sie kurzzeitig nicht sehen konnten, was geschehen war. Also blieb ihnen erst einmal nichts anderes als abwarten. Plötzlich jedoch krachte es wieder und ein Blitz traf den Rotbrünetten mit voller Wucht. „RYU!“, rief Hiroshi erschrocken. Er versuchte durch den Staub hindurch etwas zu sehen und zu dem Jüngeren vorzudringen. Ausgerechnet jetzt wäre die Persona von Masaru äußerst hilfreich gewesen, die ihnen mit Wind freie Sicht ermöglicht hätte. Doch so musste er auf seine Intuition vertrauen. Zum Glück ließ ihn diese nicht im Stich und er erreichte nur wenige Sekunden später seinen Kohai, welcher sich vor Schmerzen krümmend, auf dem Boden lag. „Aton!“, rief der Blonde und heilte mithilfe der Fähigkeit seiner Persona den Jüngeren von den schlimmsten Verletzungen, „Alles in Ordnung?“ „J-ja es geht. Danke“, langsam richtete sich Ryu wieder auf und starrte auf die beiden Gegner, welche vollkommen unberührt von allem schienen, „So ein Mist. Nukleare Angriffe nützen nichts…“ „Scheint so, aber einen Versuch war es wert. Ohne Megumi-chan bleibt uns ohnehin nichts anderes übrig, als selber ihren Schwachpunkt herauszufinden…“, murmelte Hiroshi und stand, den Blick auf seine Persona gerichtet, wieder auf, „Vielleicht funktioniert das ja…“ Er wählte einen Skill in seiner Liste aus, welcher erst nach dem Kampf mit Ryus Shadow aufgetaucht war und wesentlich präziser zu agieren schien, als es Hama je könnte. Aton erhob sich in die Lüfte und richtete seine Hand auf die drei Gegner, vor welchen sich nun erneut Lichtkugeln bildeten. Diese allerdings waren gelb-weiß und schienen sich nicht aufladen zu müssen. Kurz darauf wurde es für einen Moment sehr hell und die Kugeln verformten sich zu langen Pfeilen, die auf die Shadows einstachen. Den beiden weiblichen Wesen schien diese Attacke nichts auszumachen, die männliche schwarz-rote Kreatur jedoch zuckte für einen Moment zusammen. Zumindest bei ihm schien Licht also zu wirken. „Das könnte mühselig werden, aber sie scheinen nicht unbesiegbar zu sein“, grinste der Blonde plötzlich und ließ dann seinen Fußball kurz auf den Boden aufprallen, „Versuchen wir es mal damit.“ Der Ball sprang wieder nach oben und in diesem Moment trat der Fußballer mit voller Wucht dagegen, ähnlich der Situation, als er Mirâ und Ryu in der Schule beschützen wollte. Das runde Objekt machte einen Bogen und flog genau auf eine der beiden Elfen zu, welche sie mit voller Wucht traf. Mit einem leisen Schrei wich diese zurück, während Hiroshis eigentümliche Waffe wieder zu ihm zurückkehrte. Ryu verstand, worauf sein Senpai hinauswollte und zog seine Dartpfeile aus einer Gürteltasche, die er um die Hüfte trug. Gezielt warf er die kleinen Geschosse in seiner Hand auf die Gegner. Da es sich um mehrere der kleinen Pfeile handelte, konnte er damit auch mehrere Ziele treffen. Mit einem dumpfen Geräusch trafen die kleinen Geschosse ihr Ziel und richteten damit moderaten Schaden an. Leider ließen es ihre Gegner damit nicht auf sich beruhen und gingen nun ebenfalls wieder zum Gegenangriff über. Wütend schrie eine der Feen auf, während sich ein blaues Licht um sie bildete. So schnell konnten die beiden jungen Männer nicht schauen, da hatte sich bereits vor Hiroshi eine sich aufladende Lichtkugel gebildet, welche so schnell explodierte, dass er keine Chance hatte auszuweichen und die ihn gegen die nächste Wand schleuderte. Auch Ryu konnte nicht so schnell reagieren, um diesen Angriff abzufangen, allerdings war er für einen Moment so abgelenkt, dass er den Angriff der zweiten Fee nicht bemerkte. Krachend ging erneut ein Blitz auf ihn hernieder, welcher ihn zu Boden riss. Der Staub legte sich und gab den Blick auf die beiden ramponierten Jungs frei, die vollkommen fertig auf dem Boden lagen, dazu unfähig sich weiter zu wehren. Als wäre dies nicht genug gewesen, rollte in diesem Moment eine weitere Feuerwalze über die beiden hinweg. Während jedoch Ryu davon relativ unbeschadet blieb, versuchte sich Hiroshi mit seinen Händen irgendwie zu schützen, was jedoch nur bedingt funktionierte. Schmerzhaft schrie er auf, als die heißen Flammen seine Haut berührten und damit verbrannten. „Senpai!“, rief der Jüngere und versuchte sich wieder aufzurichten, fiel jedoch wieder zu Boden. Er wollte dem älteren Schüler helfen, doch hatte nicht einmal mehr die Kraft sich aufzusetzen. Was sollten sie nur machen? Gegen diese Gegner hatten sie doch keine Chance. Frustriert sah er auf die drei Shadows, welche nun einfach nur dort dastanden und die Situation zu beobachten schienen. Wie konnten sie gegen sie ankommen? Licht und Nukleare Angriffe brachten nichts. Nur Physische Angriffe schienen etwas zu bringen. Es schien, als wären diese Gegner absichtlich so gewählt worden, dass sie keine Chance hatten. Als lag darin ein richtiger Plan. Aber war das überhaupt möglich? Sie befanden sich immerhin in Junkos Dungeon. Konnte eine Grundschülerin, die noch nicht einmal Ahnung von dieser Welt hatte, sich so eine Strategie ausdenken, nur um sie fertig zu machen? „Urgh…“, hörte der Jüngere hinter sich, was seinen Blick kurz wieder auf Hiroshi lenkte, der versucht hatte sein Smartphone zu nutzen. Aufgrund der Schmerzen in seiner Hand jedoch war er nicht mehr in der Lage dazu das Gerät zu halten, weshalb es mit einem Klappern zu Boden fiel. Schlimmer konnte es nicht kommen. Die Persona des Blonden war in diesem Moment die Einzige mit der Fähigkeit der Heilung. Wenn der Ältere Aton nicht rufen konnte, dann würden sie auch ihre Wunden nicht heilen können. „Nein halt… das ist Falsch…“, ging dem Rotbrünetten plötzlich durch den Kopf und er versuchte nun ebenfalls nach seinem Telefon zu greifen, das sich in der Bauchtasche seines Pullis befand. Schmerzhaft zuckte er dabei zusammen, doch ignorierte es, während er das Gerät herausangelte. Mit leicht verschwommenem Blick starrte er auf das blaue Display und ging dabei die Item-Liste durch, welche, wie er feststellen musste, bereits geschrumpft war. Anscheinend hatten auch die anderen Probleme und mussten sich daraus bedienen. Mit der Hoffnung, dass das, was er suchte, noch nicht genutzt worden war, ließ er die Liste an sich vorbeirauschen. Bereits kurz nach dem Kampf gegen seinen Shadow und dem Erwachen seiner Persona hatte er sich die App, welche sich plötzlich auf seinem Telefon installiert hatte, intensiv durchgearbeitet, um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dabei war ihm auch ein ganz besonderes Item ins Auge gesprungen, bei welchem er sich bereits gewundert hatte, dass es noch nicht genutzt wurde. Dazu hatte er zwei Theorien: Die Eine war, dass seine Freunde es einfach noch nicht gebraucht hatten. Die Andere, dass sie gar nicht wussten, wie wertvoll es im Kampf war. Als er das letzte Mal geschaut hatte, waren davon noch drei Stück in ihrer Liste und er hoffte, dass mindestens noch eines da war. Zwar wäre es sinnvoll gewesen, dieses Item für wann anders aufzuheben, jedoch gab es jetzt in diesem Moment keine andere Möglichkeit, um halbwegs unbeschadet aus dieser Situation herauszukommen. Er weitete seine Augen, als er das Scrollen mit dem Finger stoppte und dabei genau auf den Namen des Mittels schaute, welches sie jetzt benötigten. Der Raum wurde wieder in ein leicht blaues Licht getaucht, während sich die Gegner erneut zum Angriff machten, um den beiden Oberschülern den letzten Stoß zu verpassen. Schnell tippte Ryu auf den Namen des Items und hoffte darauf, dass es genau die Wirkung zeigte, die er sich erhoffte… und das hoffentlich auch sehr schnell. Die Temperatur im Raum stieg, als plötzlich noch einmal eine Feuerwalze durch den Raum rauschte und alles unter sich begrub und zu Asche verwandelte, was noch nicht verbrannt war. Mit einem lauten Knall traf sie auf die Wand und wirbelte dann wieder glühend heißen Staub auf, der den Raum vollkommen einhüllte. Dann wurde es Still im Raum. Niemand rührte sich, während es wirkte, als sei die Zeit für einen Moment stehen geblieben. Plötzlich wurde es Hell, als sich vor dem schwarz-roten männlichen Wesen eine riesige Lichtkugel manifestierte, die explodiere und viele kleine goldene Pfeile regnen ließ, die ihr Ziel schmerzhaft schreiend zurückweichen ließ. Kurz darauf flogen mehrere Dartpfeile durch den Staub und trafen den gleichen Shadow im Gesicht, woraufhin er erneut aufschrie. Ein Ball kam geflogen, traf an der gleichen Stelle, in welcher noch die Pfeile steckten, was nun endlich zum erwünschten Ergebnis führte. Sich unter Schmerzen windend verschwand der erste der drei Shadows in einem schwarz-roten Nebel. Zurück blieben die beiden Feen, die sich etwas irritiert über diese Aktion umsahen. Plötzlich stieg vor einem der der weiblichen Wesen eine Feuerseule in die Höhe, die sie schreiend zurückweichen ließ. Wieder flogen Dartpfeile, welche dieses Mal jedoch gleich zum Erfolg führten und die erste Fee wieder dorthin schickten, wo sie herkam. Der Staub legte sich wieder und gab den Blick auf die beiden Persona-User und die letzte Fee frei, die nun erschrocken zurückwich. „Wartet!“, erklang plötzlich eine hohe Stimme, die die Jungs etwas irritiert aufschauen ließ, „Es tut mir leid. Ich wollte das nicht, aber wir hatten keine andere Wahl. Bitte lasst mich gehen. Ich werde euch auch nichts mehr tun.“ „Kam das von dem Shadow?“, fragend sah Ryu zu Hiroshi, der den Blick weiter auf das Wesen gerichtet hatte. „Bitte, verschont mich. Ich habe solche Angst“, erklang wieder die Stimme, die eindeutig von der Fee ausging, „Wenn ihr mich verschont, dann werde ich euch bei nächster Gelegenheit einen Gefallen tun! Okay?“ „Einen Gefallen? Wie sollen wir das verstehen?“, fragte der Blonde nun nach und ging damit auf das Gespräch ein, auch wenn er es wirklich merkwürdig fand. „Das wird sich dann zeigen. Ich verspreche es euch aber, also bitte lasst mich gehen“, flehte die Fee erneut. „Also schön“, Hiroshi ließ seine verteidigende Haltung fallen und stelle sich aufrecht hin, was ihm einen vollkommen verwirrten Blick des Jüngeren einbrockte, „Aber keine Spielchen, sonst wird’s nochmal ziemlich heiß…“ Er hob sein Smartphone; den Daumen über der Fähigkeit Agilao seiner Persona schwebend. „Schon gut, schon gut. Mein Leben ist mir lieb. Also dann Jungs, machts gut“, damit verschwand das Wesen in einem schwarz-roten Nebel und ließ die beiden Oberschüler alleine zurück. „Was war das?“, kam Ryu auf den Älteren zu, „Wieso hast du sie gehen lassen?“ „Ich habe keine Ahnung was das sollte, aber es kann nicht falsch sein, seine gerade wieder gewonnene Energie aufzusparen. Wenn die nächsten Gegner genauso werden, wie die drei und wir ihnen wieder alleine Begegnen sollten, dann sehe ich echt schwarz“, erklärte sich der Blonde, „Aber sag mal. Was hast du da eigentlich für ein Item benutzt, um uns zu heilen. Selbst unsere Energie ist wieder aufgeladen.“ Der Kleinere hob sein Smartphone und öffnete die Liste mit den Items, um dem Älteren zu zeigen, was er genutzt hatte. Überrascht sah dieser auf das Mittel, welches mit „Souma“ betitelt war und er ahnte bereits, was es damit auf sich hatte. Es war immerhin Gang und Gebe, dass es in RPGs ein Allheilmittel gab, dass der Held im letzten Moment nutzen konnte, um sich aus einer schwierigen Situation zu retten. Nie wäre dem Blonden in den Sinn gekommen, dass es in dieser Welt ebenfalls so ein Mittel gab. Vor allem war ihm nicht klar, dass sie es besaßen. Erstaunt sah er zu dem Jüngeren, der sich wieder seinem Handy zugewandt hatte. Anscheinend hatte er sich intensiv mit der App beschäftigt, seit er seine Persona erweckt hatte. Das machte den Älteren etwas verlegen. Zwar hatte er sich dieses Programm mal angesehen, jedoch nie so intensiv, dass er genau wusste, welche Items sie unterwegs eingesammelt hatten oder ähnliches. Vielleicht sollte er sich daran ein Beispiel nehmen, um für weiter Notfälle vorbereitet zu sein. Ein Klacken ließ die beiden jungen Männer aufschrecken und zur Tür schauen, die sich langsam aufschob und den Blick auf einen grau-schwarzen Strudel freigab. Das bedeutete wohl sie hatten ihre Aufgabe gemeistert und durften nun weitergehen. Entschlossen sahen sich beide kurz an, bevor sie sich abwandten und dann durch das Portal traten, welches sich hinter ihnen mit einem lauten Knall wieder schloss. Kapitel 145: CXLV – Die erste Etappe erreicht --------------------------------------------- [ ~Dienstag, 13. Oktober 2015~ ] [ -Neumond- ] [ *Später Abend* ] [ Spiegelwelt – Dungeon ] Zunge schnalzend starrte Yasuo auf die drei Gegner, die sich vor ihm und Mirâ positioniert und bereits mehrere Angriffe gegen sie deklariert hatten und damit verhinderte, dass einer von ihnen in die Offensive gehen konnte. Ein einziges Mal hatte es der Blauhaarige geschafft seine Persona zu rufen und die Fähigkeit Mazionga einzusetzen, in der Hoffnung, dass es etwas brachte. Allerdings ging dies mächtig nach hinten los, als die Shadows, die einem Gemälde von Picasso glichen, die Blitze wieder auf die Gruppe zurückschleuderten. Nur dank der Fähigkeiten von Geb und der aktuell ausgerüsteten Persona von Mirâ, die sich Vasuki nannte, konnten die beiden User dem Gegenschlag entgehen. Seither waren sie nicht mehr dazu gekommen es erneut zu versuchen, was sich unter den Umständen, dass die Gegner resistent gegen Elektrizität waren nicht gerade als einfache Herausforderung herausstellte. Zwar hatte Mirâ derzeit eine Persona aktiviert, die gegen Blitze ebenfalls resistent war, die allerdings auch keine besonderen Angriffe besaß, die sie hier weiterbringen konnten. Auch Yasuo waren unter diesen Bedingungen die Hände gebunden, zumal er nicht einmal dazu kam einen physischen Ansturm mit seinem Frisbee zu starten und auch der Versuch die Fähigkeit „Elec Break“ zu nutzen, war bisher kläglich gescheitert. So standen sich die beiden Parteien nun gegenüber und warteten ab, wer den nächsten Zug machte. Aktuell befanden sie sich in einer Pattsituation, in der keiner der einzelnen Fraktionen etwas ausrichten und somit auch keinen Sieg erringen konnte. Jeder wartete einfach nur darauf, dass der andere einen Fehler beging, um dann den entscheidenden Schlag durchzuführen. Wer also am Ende siegreich hervorgehen würde, war noch offen. „Was machen wir?“, fragte Mirâ mit einem Seitenblick zu ihrem Senpai. Sie hatte bereits überlegt die Persona zu wechseln und eine zu wählen deren Fähigkeiten eventuell helfen könnten. Allerdings gab es da einen Haken. Sie kannte die Schwäche ihrer Gegner nicht. Zwar kam ihr die logische Schlussfolgerung, dass Wind gegen diese Shadows helfen könnte, allerdings war sie sich zu unsicher. Zumal es ein großes Risiko barg eine Persona mit Windfähigkeiten zu beschwören. Diese waren meistens schwach gegen Elektrizität und könnten in diesem Fall für ihren Untergang sorgen. Jedoch würden sie so nicht weiterkommen. Irgendwann musste irgendwer den ersten Schritt wagen. „Hättest du denn eine Persona parat, die gegen diese Typen helfen könnte und gleichzeitig gegen Blitze resistent ist?“, kam eine Gegenfrage. Zum wiederholten Male schaute die Violetthaarige die Liste ihrer Personas durch, konnte aber nichts finden. Zwar hatte sie einige, die hilfreiche Angriffsfähigkeiten hatten, allerdings hatten sie keine Resistenz. „Nein… aber anders kommen wir nicht weiter. Ich denke, wir müssen es einfach riskieren…“, murmelte die Jüngere und scrollte noch einmal durch die Liste, bis sie sich für eine Persona entschieden hatte. Der Blauhaarige nickte zustimmend und nahm eine verteidigende Stellung ein, während er sein Smartphone etwas anhob und kurz zu Geb blickte, der noch immer über ihm schwebte. Notfalls musste er die Jüngere mit seiner Persona abschirmen. Es war riskant, aber eine andere Wahl blieb ihnen nicht. „Change“, sagte die junge Frau ruhig, während sie ihre Wahl traf. Als hätten die Shadows auf diesen Moment gewartet, setzten auch sie sich wieder in Bewegung, als sich um eines der bunten Wesen ein blauer Strudel bildete. Kurz darauf wurde Mirâ von etwas getroffen, was allerdings auf den ersten Blick keinen Schaden angerichtet hatte. Yasuo jedoch hatte da eine Ahnung, doch noch bevor er reagieren konnte, polterte lautstark ein Blitz auf die Violetthaarige, der sie schmerzhaft zu Boden riss. Zwar erkannte der junge Mann auf den ersten Blick, dass es kein kritischer Treffer war, jedoch war die Auswirkung auf die Oberschülerin ziemlich heftig gewesen, weshalb seine Vermutung nur bekräftigt wurde. „Ein Zauber, der die Verteidigung senkt… so ein Mist“, ging ihm durch den Kopf. „Mirâ!? Was ist los?“, ließ ihn die Stimme von Mika wieder zu der jüngeren Schülerin blicken. Diese lag zuckend auf dem Boden, während mehrere kleine blitze um sie herum flackerten. Schmerzhaft schrie sie auf, als sie versuchte sich zu bewegen und dabei einen erneuten Stromschlag bekam. Mika war zu ihr gelaufen und wollte ihr aufhelfen. „NICHT BERÜHREN!“, schrie Yasuo und ließ die Jüngste erschrocken zurückschrecken. Fragend sah sie zu dem Blauhaarigen, welcher nun auf die beiden zukam: „Mist… auch noch eine Fähigkeit, die einen lähmt.“ Er zog sein Handy aus der Hosentasche und öffnete das Item-Menü, doch noch bevor er nach einem Mittel suchen konnte, dass die Lähmung aufhob, musste er plötzlich ausweichen, als er im Augenwinkel einen goldenen Hammer auf sich zu sausen sah. Schnell stolperte er nach hinten und ließ dabei das Telefon fallen, welches zu Boden fiel. Aus sicherer Entfernung konnte er dann erkennen, wie auch die bunten Wesen nun zum Angriff übergingen, welcher der auf dem Boden liegenden Violetthaarigen galt. „Verdammt!“, schnell setzte er sich wieder in Bewegung und stürzte sich zwischen die Jüngere und die Gegner, woraufhin er die volle Kraft der Attacke abbekam und zurückstrauchelte. Es schmerzte fürchterlich und kurz wurde ihm auch schwarz vor Augen, doch trotzdem blieb er festen Standes vor der Jüngeren stehen. Er durfte nicht zulassen, dass sie noch schwerer verletzt wurde. Plötzlich traf ihn der goldene Hammer des muskulösen Riesen genau in der Magengrube, weshalb er drohte davon geschleudert zu werden. Doch noch einmal gab er sich alle Mühe nicht zu unterliegen, was jedoch extrem an seiner Physis nagte. Einem weiteren Schlag würde er nicht standhalten können. Da war er sich sicher. Trotzdem musste er Mirâ irgendwie beschützen, immerhin war sie unersetzlich, wenn sie Junko retten wollten. Vor ihm tauchte die Spitze eines Holzstabes auf, der genau auf seine Brust zielte. Bevor er jedoch reagieren konnte, wurde er bereits getroffen und durch den Raum gegen die Wand geschleudert. Krachend landete er einen Moment später zusammen mit einzelnen Trümmern auf dem Boden. Seine letzten Gedanken galten der Tatsache, dass diese Shadows vollkommen anders waren, als die, die sie bisher bekämpft hatten. In den vorangegangenen Kämpfen hatte er, außer bei den Bossgegnern, nie das Gefühl bekommen, dass sie eine Strategie verfolgten oder groß zusammenarbeiten würden. Diese Wesen hier allerdings, machten genau das und das machte sie so extrem gefährlich. Er schaffte es noch einmal kurz zu der Violetthaarigen zu schauen, ehe er endgültig das Bewusstsein verlor. Die Gruppe von Shadows hatte sich für einen Moment dem jungen Mann zugewandt, um sicher zu gehen, dass er wirklich außer Gefecht gesetzt war und sie nun nicht mehr stören konnte. Als er sich nicht mehr rührte legten sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Mirâ, welche nun ihr nächstes Ziel sein sollte. Doch noch bevor die Gruppe einen weiteren Angriff deklarieren konnte, sank plötzlich rapide die Temperatur im Raum und riesige Eisblöcke erschienen, die die Shadows für einen Moment umgaben und dann zersplitterten. Jaulend wurden die Wesen zurückgeschlagen, bevor sie überrascht zu der jungen Frau sahen, die bis vor wenigen Minuten noch geschockt am Boden lag. Mit Ausnahme einiger Blessuren hatte sie sich von diesem Schlag recht gut erholt und danach wieder gebührenden Abstand zu ihren Gegenspielern gesucht. Wütend starrte sie ihre Gegner an, dabei ihr leuchtendes Smartphone in der Hand haltend. Über ihr schwebte ein schlangenähnlicher blauer Drache mit roter Unterseite, dessen Atem in der kalten Umgebung bei jedem Zug deutlich zu erkennen war. Den Shadows nicht einmal die Chance für einen weiteren Gegenschlag zu gewähren, wählte sie erneut die Fähigkeit Mabufudyne, welche die drei Wesen erneut in Eis hüllte, dass dann krachend zersprang. Wieder wurden die Wesen zurückgeschleudert und allmählich zeigte dieser Angriff auch Wirkung. Die drei sahen mittlerweile genauso fertig aus, wie sie selbst. „Noch einmal! Los Seiryu!“, rief die Violetthaarige laut, woraufhin der Drache sich aufbäumte und noch einmal seine stärkste Eisfähigkeit auf seine Gegenüber losließ. Und endlich war es geschafft. Jaulend lösten sich alle drei in schwarz-rotem Nebel auf und ließen die Violetthaarige mit ihren Freunden alleine zurück. Noch eine Weile starrte die junge Frau auf den Punkt, an dem die Shadows verschwunden waren, bevor sie sich gewahr wurde, dass Yasuo in einiger Entfernung verletzt auf dem Boden lag. Schnell setzte sie sich in Bewegung, um zu dem Älteren zu gelangen, der noch immer bewusstlos war. „Senpai!“, rief sie, doch bekam keine Antwort, „Kche…“ „Change! Hemsut!“, wählte sie aus ihrem Handy ihre Mainpersona aus, welche sofort erschien und ihre Hände auf den älteren Jungen richtete. Ein grüner Schleier legte sich um seinen Körper und heilte damit die stärksten Wunden. Es dauerte eine Weile, doch dann waren sie verschwunden und es kehrte wieder Leben in den jungen Mann. Er zuckte kurz, bevor er langsam wieder zu sich kam und sich dann etwas irritiert umsah. „Urgh“, sich den Kopf reibend setzte er sich vorsichtig auf, „Sind sie weg?“ „Ja. Mirâ hat sie fertig gemacht, nachdem du zu Boden gegangen bist“, kam es gleich begeistert von Mika, woraufhin der Blauhaarige zu der Gemeinten sah. Diese nickte: „Dein Eingreifen hat mir Zeit gegeben, mich aus der Lähmung zu befreien. Entschuldige, dass du wegen mir so schwer verletzt wurdest.“ „Schon gut. Wenn es zum Kampf etwas beigetragen hat, dann ist ja gut“, wuschelte sich der Ältere durch die blau-schwarzen Haare. Er sah auf, als ihm ein Gegenstand vor die Nase gehalten wurde, welches sich als sein Smartphone entpuppte. Mika hatte es aufgehoben und zu ihm gebracht. Dankend griff er nach dem Gerät und betrachtete es für einen Moment. Erst als er sich sicher war, dass nichts kaputt war, steckte er es wieder in seine Hosentasche und erhob sich dann gänzlich. „So und nun?“, fragte er, doch wandte sich dann der Tür zu, als ein Klicken ertönte und die Tür einen Spalt aufsprang. Auch Mirâ sah hinüber zu dem nun geöffneten Durchgang, bevor sie sich in Bewegung setzte und die Tür komplett öffnete, nur um dann vor einem grau-schwarzen Strudel zu stehen. „Anscheinend ist unsere Mission erledigt. Wenn wir Glück haben treffen wir wieder auf die anderen. Das hoffe ich jedenfalls“, murmelte Yasuo, der neben sie getreten war. Die junge Frau nickte darauf nur, während sie nach Mikas Hand griff, um dann gemeinsam mit ihr und dem Älteren durch das Portal zu treten, bevor es sich hinter ihnen lautstark schloss. [ ??? ] Überrascht öffnete Mirâ wieder ihre Augen und fand sich dann im Flur ihres Wohnhauses wieder. Sie schaute direkt ins offene Wohnzimmer, hindurch in den kleinen Garten, welcher durch das einfallende Licht des Mondes blutrot erstrahlte. Sie wandte sich zur Seite und erkannte dann die Holztreppe, die sie in das obere Stockwerk bringen würde, in dem sich Junkos Zimmer befand, wo sie vermeintlich auf einen weiteren Shadow treffen würden. Sie hatten es also halbwegs unbeschadet aus ihrem Zimmer geschafft, in dem sie eingesperrt gewesen waren. Als sie ihren Blick jedoch schweifen ließ fand sie außer Yasuo, der an der Wand neben ihr lehnte und Mika, die noch immer ihre Hand hielt, keinen anderen ihrer Freunde vor. Besorgt sah sie sich zu allen Richtungen um und hoffte, dass sie alle es unbeschadet überstehen würden. Wenn sie alle auf solche Gegner getroffen waren, wie die, gegen die sie antreten mussten, dann würden sie mit Sicherheit auch ihre Schwierigkeiten haben. Sie schüttelte leicht den Kopf. Nein, sie durfte nicht zweifeln und musste an ihre Freunde glauben. Ganz sicher würden sie es alle schaffen. Eine Bewegung zu ihrer Rechten, ließ sie in Richtung der Küche schauen, welche dort an den Flur anschloss und deren Durchgang plötzlich zu einem grau-schwarzem Strudel wurden. Kurz darauf trat jemand daraus hervor, jedoch so schnell, dass er genau mit der Violetthaarigen kollidierte. Ein dumpfes Geräusch erklang, als zwei Köpfe gegeneinanderstießen, gefolgt von lautem Schmerzschreien: „AUA! Urgh!“ Überrascht hatte Yasuo den Blick angehoben und bekam so genau den Moment mit, als Mirâ mit ihrer besten Freundin zusammenstieß, während es Megumi, die Akane gefolgt war, gerade noch so geschafft hatte nicht ebenfalls in die beiden hineinzulaufen. Etwas ratlos stand sie vor den beiden jungen Frauen, die auf dem Boden hockten und sich jeweils die Stirnen rieben. „A-alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig nach. Akane jedoch reagierte gar nicht darauf, als der Schmerz in ihrer Stirn nachließ. Stattdessen sah sie sich kurz etwas verwundert und trotzdem auf der Hut seiend um, woraufhin ihr Blick auf ihre beste Freundin traf, die sich noch immer die Stirn rieb. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Brünetten aus, während sie der Violetthaarigen freudig um den Hals fiel. „Wir haben es geschafft… und ihr auch! Ich bin so froh“, freute sie sich. Ohne etwas darauf zu erwidern nahm die junge Frau die Brünette lächelnd in den Arm und war beruhigt darüber, dass es die ersten wieder zurückgeschafft hatten. Nur einen Moment später bildete sich im Zugang zum Wohnzimmer ebenfalls dieser Strudel, woraufhin Mirâ ihre beste Freundin so schnell wie möglich auf die Beine und außer Reichweite zog, soweit es in dem engen Flur möglich war. Etwas überrumpelt, ließ sich die junge Frau mitziehen und bemerkte dann, wie Hiroshi und Ryu aus dem Strudel traten, genau auf die Stelle, wo sie zuvor mit der Gleichaltrigen gesessen hatte. Überrascht schon einen Teil des Teams vorzufinden, kratzte sich der blonde junge Mann im Nacken und sah sich dann um: „Warum schaut ihr so entgeistert? Freut ihr euch nicht, uns zu sehen?“ Erleichtert atmete die Teamleiterin auf und schüttelte dann lächelnd den Kopf: „Nein. Wir wollten nur einen weiteren schmerzhaften Zusammenstoß verhindern, als ihr so unvermittelt aufgetaucht seid.“ „Schmerzhafter Zusammenstoß“, legte Ryu fragend den Kopf schief. Doch noch ehe er eine Antwort bekam bemerkte er etwas im Augenwinkel. Alle Blicke richteten sich auf die verglasten Verandatüren, die nun ebenfalls in dem Muster erstrahlten, dass kurz zuvor bereits die anderen Teammitglieder wieder zurückgebracht hatte. Die Glastüren flogen scheppernd auf und nur einen Moment später stolperten Kuraiko und Masaru in den Raum. „Damit wären wir wohl wieder komplett“, stellte die Schwarzhaarige fest, als sie in die überraschten Gesichter ihrer Freunde sah. Mirâ nickte und warf dann einen Blick auf die dunkle Holztreppe. Obwohl sie den Drang verspürte sofort loszueilen, hielt sie sich zurück. Es war wichtig sich gut vorzubereiten und sich abzusprechen. Außerdem war es wichtig sich kurz eine Auszeit zu nehmen, um wieder zu Kräften zu kommen. Nicht nur sie, auch ihre Freunde sahen ziemlich fertig aus. Sich so in den alles entscheidenden Kampf zu stürzen, würde wirklich einem Selbstmordkommando gleichen und damit wäre niemandem geholfen. Vor allem, wo sie nun alle mitbekommen hatten, wie stark die Shadows in diesem Dungeon waren. Da war mit dem Endgegner mit Sicherheit nicht zu Spaßen. Ein falscher Schritt und ihr Abenteuer könnte hier enden. Eigentlich war genau die Situation eingetreten vor der sich die Violetthaarige am meisten fürchtete: Sie waren von ihren Kämpfen vollkommen ausgelaugt und konnten den Dungeon auch nicht verlassen, um wieder zu Kräften zu kommen. Dafür reichte die Zeit nicht. In diesem Zustand zu kämpfen war eigentlich purer Wahnsinn, allerdings blieb ihnen allen keine andere Wahl. Immerhin mussten sie Junko hier rausholen. Sie wandte sich wieder ihren Freunden zu und blickte sie ernst an: „Lasst uns eine kurze Pause machen. Wir müssen wieder etwas zu Kräften kommen. Außerdem sollten wir unsere Wunden versorgen und uns noch einmal besprechen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten schritt sie an ihren Teamkameraden, die mit ihr im Flur standen, vorbei ins Wohnzimmer und setzte sich dort auf die Couch. Kurz wirkten die anderen irritiert, doch taten es ihr dann gleich und verteilten sich in dem großen Raum, um für einen Moment durchzuatmen. Hiroshi war der erste der die Stille wieder brach: „Sagt mal… waren die Shadows bei euch auch so merkwürdig?“ Die Aufmerksamkeit aller war ihm sicher, während er fragend in die Runde blickte. „Wenn du mit merkwürdig meinst, dass sie echt unverschämt stark waren, dann ja“, kam es murrend von Kuraiko. „Auch ihr Aussehen war anders…“, warf Akane ein, „Wir hatten eine Horde von Shadows, die aussahen wie Mirâs Persona Jack Frost. Ihre Körper waren aber schwarz anstatt weiß.“ „Black Frost war ihr Name“, kam es nun von Megumi, woraufhin die ältere Brünette betonte, dass sich sogar die Namen glichen. „Ich hatte das Gefühl, dass sie sogar die Intelligenz besaßen richtige Strategien aufzustellen… sie haben regelrecht auf einen Fehler von uns gewartet“, sagte Yasuo gedankenverloren. „Die Shadows bei uns haben mit uns gesprochen“, kam es nun von Ryu, woraufhin ihn sieben überaus verwunderte Blicke trafen. Sein blonder Senpai seufzte: „Ums genau zu nehmen hat einer der Shadows um Gnade gefleht, als wir gerade dabei waren ihnen den Arsch zu versohlen.“ „Und was habt ihr gemacht?“, fragte die brünette Navigatorin aufgeregt. Der Ältere zuckte mit den Achseln: „Wir haben sie fliehen lassen…“ Kuraiko sprang auf: „Sag mal spinnst du? Du kannst doch die Gegner nicht einfach abhauen lassen. Was wenn sie einen Hinterhalt planen?“ Wieder zuckte der Angesprochene mit den Achseln, was beinahe dazu führte, dass ihm die Schwarzhaarige an die Gurgel gesprungen wäre. Akane und Mirâ hielten sie jedoch davon ab, ehe Ryu das Wort ergriff: „Nein, ich denke nicht, dass das der Fall sein wird. Sie meinte, dass sie uns von nun an einen Gefallen schuldet. Ich bin gespannt, wie der aussehen wird, wenn es soweit ist.“ „Du bist echt naiv, Kleiner“, seufzte Kuraiko, beließ es aber dann erst einmal dabei und wandte sich wieder der jüngeren Brünetten zu, „Megumi, ist das die Veränderung, die du gemeint hast?“ „Ich denke schon. Jedenfalls fühlt sich die Energie der Shadows ähnlich zu der an, die ich auf dem Weg hierher verspürt habe. Mit Sicherheit hat das etwas damit zu tun.“ „Aber was sind das für Wesen?“, fragte Masaru, der bis dahin nur schweigend zugehört hatte, „Sie verhalten sich anders und sehen auch anders aus…“ „Ich glaube…“, meldete sich Mirâ wieder zu Wort, stockte dann aber, weil sie sich nicht sicher war, ob sie aussprechen sollte, woran sie dachte. Schon seit diese neuen Shadows vor ihr aufgetaucht waren, hatte sie dieses merkwürdige Gefühl ihnen gegenüber gehabt. Anfangs war es nur ein sehr schwaches Glühen gewesen, welches jedoch stärker wurde, je länger der Kampf gedauert hatte. Erst als sie dann aber die Gruppe von Gegnern besiegte hatte sie mehr oder weniger Gewissheit. Dieses Stechen in ihrer Brust war eindeutig gewesen und hatte ihr das wahre Wesen der neuen Shadows verraten. Erwartungsvolle Blicke waren auf sie gerichtet, während sie noch immer mit sich kämpfte. Doch nun hatte sie das Thema einmal angeschnitten, also sollte sie damit auch nicht mehr hinter dem Berg halten. Sie seufzte schwer und sah dann ernst in die Runde: „Ich glaube, diese Shadows sind in Wirklichkeit Personas.“ Kapitel 146: CXLVI – Unerwartetes Hindernis ------------------------------------------- [ ~Dienstag, 13. Oktober 2015~ ] [ -Neumond- ] [ *Später Abend* ] [ Spiegelwelt – Dungeon ] „Ich glaube, diese Shadows sind in Wirklichkeit Personas.“ Schweigen hatte sich innerhalb der Gruppe ausgebreitet, während alle ihre Teamleaderin ungläubig anstarrten. Keiner von ihnen konnte so recht glauben, was ihre Anführerin da eben gesagt hatte. Die Gegner, von denen sie hinterrücks angegriffen wurden, sollten allesamt eigentlich Personas sein? Diese Tatsache wollte keinem von ihnen so wirklich in den Kopf gehen, weshalb es Mirâ auch langsam bereute ihre Gedanken frei heraus ausgesprochen zu haben. Immerhin hatte sie keine Beweise dafür, außer ihrem Bauchgefühl. Sie selbst war sich der Sache eigentlich ziemlich sicher, aber sie wusste nicht, wie sie es ihren Freunden begreiflich machen sollte. „Bist du dir sicher? Aber wie…?“, stellte Akane die Frage, die ihnen allen auf der Zunge brannte. Die Violetthaarige nickte und legte ihre Hand auf die Stelle, an der ihr Herz schlug: „Ich bin mir ziemlich sicher, weil ich es gespürt habe. Ich kann euch nicht erklären, wieso… aber ich habe einmal gelesen, dass zwischen Personas und Shadows an sich kein Unterschied besteht. Beides sind Masken, die wir aufsetzen, um uns selbst zu schützen. Das erklärt auch, dass ein Shadow zu einer Persona werden kann, sobald man ihn akzeptiert.“ „Hm“, Megumi legte sich einen Finger ans Kinn und ließ sich die Worte von Mirâ noch einmal durch den Kopf gehen, „So abwegig klingt das alles gar nicht, wenn man es genau bedenkt. Seht es mal so… eure Personas sind aus euren Shadows geboren. Es würde auch erklären, wieso sich ihre Aura so verändert hat. Ehrlich gesagt ähnelt diese nämlich wirklich der von Personas, wenn ich es jetzt so bedenke. Vorhin konnte ich es nicht richtig zuordnen, aber wenn man diesen Aspekt bedenkt…“ „Wir müssen also jetzt gegen Personas kämpfen oder etwas, was ihnen ähnelt. Schön und gut, aber wieso dieser plötzliche Wandel? Ich meine… die ganze Zeit haben wir gegen diese primitiven Dinger gekämpft und urplötzlich verschwinden sie und es tauchen neue auf, die auch noch denken können?“, warf Kuraiko in den Raum und war sich damit der gesamten Aufmerksamkeit der Truppe sicher. Masaru legte sich ebenfalls den Finger ans Kinn und überlegte kurz: „Da ist was dran. Diese plötzliche Änderung ist merkwürdig. Das kam einfach zu plötzlich.“ „Vielleicht lag an meinem Dungeon? Ich meine, bis dahin waren es doch noch die anderen Wesen. Oder?“, fragte Ryu, doch schüttelte dann den Kopf, „Nein halt… später waren sie auch noch so…“ Das letzte hatte er nur vor sich hingenuschelt, um so weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, woher er es wissen konnte. Immerhin hatte er eine der Regeln der Gruppe gebrochen und war vor einiger Zeit mal alleine in die Spiegelwelt gekommen, um Mika einige Dinge vorbeizubringen. Hiroshi blickte in die Runde: „Gab es etwas anderes Besonderes in letzter Zeit?“ Einheitliches Kopfschütteln kam als Antwort, woraufhin der junge Mann nur seufzend die Schultern sinken ließ. Auch dem Rest der Truppe entfleuchte ein mächtiger Seufzer. Sie konnten es in diesem Moment drehen und wenden, wie sie wollten. Ohne nähere Informationen würden sie nicht herausfinden, was diese Veränderungen hervorgerufen hatte. Sich darüber also nun den Kopf zu zerbrechen, würde vorerst nichts bringen. Mirâ nahm sich jedoch vor bei Gelegenheit Igor und Magarete zu fragen, wenn sie das nächste Mal im Velvet Room landen würde. Zwar erhoffte sie sich keine wirkliche Antwort davon, aber vielleicht gaben sie ihr ja ein paar Anhaltspunkte. „Belassen wir es am besten erst einmal dabei. Wir kommen hier sowieso nicht weiter“, meinte Yasuo, während er sich durch die strubbeligen Haare strich, „Viel wichtiger wäre es wohl sich auf den nächsten Kampf vorzubereiten. Sollten wir nicht wiedererwartend doch wieder irgendwie gestört werden, ist unser nächstes Ziel der Bossraum in Junkos Zimmer.“ „Senpai hat recht“, stand Akane nun auf und wandte sich dann an Mirâ, „Wäre es möglich meine Wunden zu heilen? Der Kampf gegen die Jack Frosts hat mich einiges gekostet. Leider sind deshalb auch einige Heilitems aufgebraucht wurden…“ Überrascht sah die Violetthaarige zu ihrer Freundin, doch nickte dann und rief Hemsut, die Diarama auf die junge Frau anwendete und damit deren letzte Wunden verschwinden ließ. „Wir sollten auch unsere seelische Kraft auftanken“, sagte Ryu und scrollte bereits durch die Liste von Items, wo er einige davon auswählte und auf die verschiedenen Gruppenmitglieder anwendete. So bereitete sich das Team auf den nächsten Gegner vor, so gut es eben in diesem Moment ging. Da sie nicht wussten, was sie in Junkos Zimmer erwarten würde, gingen sie erst einmal vom Schlimmsten aus. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn sie Junko dort alleine vorfinden würden und einfach nur mitnehmen könnten. So wie Mirâ diese Welt allerdings in den letzten Monaten kennengelernt hatte, war sie sich jedoch sicher, dass es nicht so einfach werden würde, wie erhofft. Jeder von ihnen prüfte noch einmal seine Ausrüstung und seine Waffen, bevor sie sich darauf einigten der Strategie zu folgen, die sie besprochen hatten, bevor sie in den Dungeon gezogen und getrennt wurden. Dann sammelten sie sich vor der Treppe zum ersten Stock und folgten der Violetthaarigen kurz darauf hinauf. Bereits als sie die ersten Stufen betreten hatte spürte Mirâ den eiskalten Windhauch, der ihnen entgegenwehte und immer schlimmer wurde, je näher sie dem Zimmer der Grundschülerin kamen. Davor angekommen blieben sie alle wie angewurzelt stehen. Die Macht, die ihnen in diesem Moment entgegenströmte war unglaublich furchteinflößend und sorgte dafür, dass sich ihnen allen die Nackenhaare aufstellten. Allen war anzusehen, wie viel Angst ihnen diese Situation machte und trotzdem machte keiner einen Rückzieher. Sie wussten worum es ging und dass es keinen anderen Weg gab, als sich dieser Macht zu stellen. Mirâ atmete noch einmal tief durch, bevor sie ihre Hand vorsichtig auf die Klinke legte und ihren Freunden noch einen Schulterblick schenkte, die ihr nur ermutigend zunickten. Daraufhin drückte sie die Klinge nach unten und wollte den Raum öffnen, in welchem sie erhofften Junko zu finden. Doch zu ihrem Erstaunen tat sich nichts. Noch einmal wiederholte sie den Vorgang und drückte sich gegen das Hindernis, doch nichts geschah. Irritiert schaute sie auf das Hindernis vor sich. „Was ist los?“, fragte Hiroshi nach. Mit besorgtem Blick wandte sich die Oberschülerin ihren Freunden zu: „Die Tür lässt sich nicht öffnen.“ „Eh?“, sofort war Akane zur Stelle und schob ihre beste Freundin zur Seite, bevor sie es ebenfalls mit ganzer Kraft versuchte. „Haben wir was übersehen?“, fragte Masaru nach und blickte, mit an das Kinn gelegten Finger, auf die verschlossene Tür. „Du meinst, dass es vielleicht auch hier einen Mechanismus gibt, der die Tür öffnet?“, kam eine Gegenfrage von Ryu, der die Tür ebenfalls eingängig betrachtete, „Wäre nicht verwunderlich bei diesem Dungeon…“ „Aber… was sollen wir denn machen?“, fragte Mirâ leicht verzweifelt nach. „Gute Frage…“, murrte Kuraiko, die sichtlich genervt von dieser Situation war. Nicht nur sie störte diese Art von Dynamik in diesem Dungeon. Als hätte es nicht bereits gereicht, dass sie nur in Zweiergruppen kämpfen mussten. Nun waren sie hier an eine Sackgasse geraten, dabei drängte sie Zeit. Schweigen breitete sich innerhalb der Gruppe aus. Während die Mädchen darüber nachdachten, ob sie irgendetwas übersehen hatten, starrten die Jungs geschlossen auf die Tür, so als erhofften sie dabei, eine Antwort auf ihre Fragen zu bekommen. Mit Gewalt würden sie hier bestimmt nicht weiterkommen. Es musste also eine andere Möglichkeit geben. Yasuo war der erste, dem etwas auffiel, was merkwürdig wirkte. Mit hochgezogener Augenbraue trat er an die Tür heran, blieb jedoch rund einen Schritt entfernt daneben stehen. Fragend blickten die andern drei Jungs zu dem Größeren, woraufhin auch ihnen die kleine Einbuchtung auffiel, welche sich dunkel neben der Tür abzeichnete. „Was ist los Jungs?“, fragte Akane, die das Verhalten ihrer Teamkameraden mitbekommen hatte, ehe sie ebenfalls an sie herantrat, „Was ist das?“ Nun wurden auch die anderen Mädchen aufmerksam, doch da sich mit den vier Jungs und Akane bereits zu viele vor der Tür aufhielten, konnten sie nicht erkennen, was die Gruppe sich dort ansah. Fixierend kniff die Brünette die Augen zusammen, da sie das Gefühl hatte innerhalb der viereckigen Einbuchtung etwas weiteres sehen zu können. Und tatsächlich. Bei genauerer Betrachtung war innerhalb des Gebildes etwas zu erkennen. „Das sieht aus wie Formen… genauer gesagt wie… ah!“, sie sah auf und griff in ihre Jackentasche, nur um einen Moment später den kleinen Teddy herauszuholen, welcher der Schlüssel zur Öffnung der einzelnen Türen war. „Was hast du vor?“, fragte Kuraiko nach und griff dabei nach dem Arm der Brünetten, welchen sie gerade heben wollte, um den kleinen Bären dort einzusetzen. Überrascht sah diese über ihre Schulter: „Na den Teddy in die Form stecken. Anscheinend müssen die dort rein, um das Schloss zu öffnen.“ „Und woher willst du wissen, welches dieser Viecher an welche Stelle muss?“, fragte die Schwarzhaarige nach, woraufhin ihr Gegenüber eine Weile brauchte, um zu verstehen, was sie meinte, „Was ist, wenn wir eine bestimmte Reihenfolge einhalten müssen?“ „Dann probieren wir einfach alle aus?“, kam es nur mit schiefgelegtem Kopf von der Brünetten. „Urgh du machst mich verrückt. Wie viele Versuche willst du da durchziehen?“, verließ Kuraiko langsam die Geduld, „Und was ist, wenn etwas Schlimmes passiert, wenn wir falsch liegen?“ Nun schien Akane auch ihre Zweifel zu bekommen und ließ die Hand mit dem Teddy wieder sinken. Erleichtert seufzte ihr Gegenüber und wandte sich dann dem Rest der Gruppe zu: „Wir sollten genau überlegen, wie wir nun vorgehen, immerhin sind wir alle ziemlich angeschlagen.“ „Kuraiko hast Recht. Unbesonnenes Handeln sollten wir tunlichst vermeiden“, warf Masaru ein. „Aber irgendwo müssen wir ja mal anfangen…“, sagte Hiroshi, „Wenn wir gar nichts machen, rennt uns die Zeit davon…“ Er blickte auf die Öffnungen und überlegte. Auch wenn es ihm widerstrebte; Kuraikos Einwurf, dass sie hier eine bestimmte Reihenfolge einhalten mussten war gar nicht zu weit hergeholt. Die Frage war jedoch, welche es war. Der junge Mann griff nun in seine Hosentasche und zog dort den kleinen Bären heraus. Wieso er ihn eingesteckt hatte, wusste er gar nicht mehr. Wahrscheinlich aber war, dass er es aus Reflex getan hatte, als sie so plötzlich angegriffen wurden. Nun jedoch war es von Vorteil. Auch Ryu, welcher neben ihm stand starrte auf den kleinen Bären und wandte sich daraufhin an seine restlichen Teamkameraden, um diese aufzufordern auch die anderen Plüschtiere herauszuholen, die sie gefunden hatten. Es dauerte einen Moment, doch dann hielten sowohl Mirâ, als auch Akane, Kuraiko und Hiroshi die kleinen Tiere in seine Richtung. „Ein gelber, ein rot-weißer, ein schwarz-violetter und ein grau-weißer…“, der Brünette überlegte kurz doch schüttelte dann den Kopf, „Nein… das ergibt irgendwie keinen Sinn. Ich dachte, dass die Bären vielleicht eine Art Regenbogen oder so etwas bilden. Aber die Farben sind dann doch zu unterschiedlich…“ „Wie wäre es, wenn wir sie in der Reihenfolge einlegen, in der wir in den Flur gelangt waren?“, warf plötzlich Akane ein. Alle Anwesenden sahen zu der Brünetten und schienen dann zu überlegen. Sie wussten nicht was passieren würde, wenn sie falsch lagen. Andererseits hatten sie keinen anderen Hinweis. Das Einzige, was sie genau wussten war, in welcher Reihenfolge sie es geschafft hatten aus den einzelnen Räumlichkeiten zu entkommen. Trotzdem blieben Zweifel, immerhin wirkte das schon ziemlich offensichtlich. Aber welche andere Wahl blieb ihnen? Kuraiko seufzte: „Das ist wohl aktuell der einzige vernünftige Ansatz…“ Sie wandte sich an Mirâ: „Die Entscheidung liegt aber bei dir Mirâ…“ Angesprochene zuckte kurz zusammen und schien dann noch einmal zu überlegen, ehe sie nickte und dem Unterfangen zustimmte: „Es ist eine Chance… Das heißt, der hier zuerst…“ Sie trat an die Öffnung heran und setzte dann den gelben Teddy in ihrer Hand ein. Mit einem leisen Klicken schien er sich mit dem Gebilde zu verbinden, bevor ein leises Rauschen erklang, dass die Gruppe den Blick schweifen ließ. „In letzter Zeit hat Onee-chan kaum noch richtig Zeit für mich…“, erklang plötzlich Junkos leicht traurige Stimme, die sich jedoch einen Moment später wieder hob, „Aber dafür unternimmt sie mit mir etwas Besonderes, wenn sie endlich Zeit für mich hat.“ Überrascht sah sich Mirâ um. Waren das gerade Junkos Gedanken? Die Violetthaarige konnte nicht leugnen, dass sie weniger Zeit mit Junko verbrachte, seit sie in Kagaminomachi lebte und in dieses Abenteuer gestürzt war. Dies war jedoch der Tatsache geschuldet, dass sie durch all das, was geschah, so gute Freunde gefunden hatte. Die Jahre zuvor hatte sie sich ja weitgehend von ihren Klassenkameraden ferngehalten, weshalb sie natürlich weitaus mehr Zeit für ihre kleine Schwester hatte. Trotzdem wirkten diese Gedanken nicht so, als wäre die Kleine ihr dafür böse, dass sie aktuell weniger zusammen unternahmen, was jedoch nicht bedeutete, dass es der Violetthaarigen kein schlechtes Gewissen machte. Sie blickte auf die Einbuchtung, in der nun noch drei Plätze frei waren. Würden sie bei den anderen auch solche Gedanken erwarten? Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihre aus. Sie hatte Angst davor zu erfahren, was Junko womöglich wirklich über sie dachte. Akane jedoch bekam von Mirâs Überlegungen nichts mit und trat nun ebenfalls an die Öffnung, wo sie den schwarz-violetten Bären, den sie gefunden hatte, an zweite Stelle setzte. Erneut erklang ein Klacken, gefolgt von einem Rauschen, ehe Junkos Stimme ertönte. „Ah ich habe genug. Was ist nur los mit Onee-chan? In letzter Zeit meckert sie mich nur noch aus, egal was ich mache. Das nervt!“, schimpfte die erboste Stimme, „Wieso hat sie sich so verändert? So wie Mirâ zur Zeit ist, hasse ich sie!“ Erschrocken zuckte die Violetthaarige zusammen, als sie hörte was ihre kleine Schwester dachte. Hatte sie sich wirklich so negativ ihr gegenüber verändert oder gar verhalten? Ja, sie erinnerte sich daran, dass sie in letzter Zeit häufiger mit Junko schimpfte, allerdings hatte sie nicht das Gefühl bekommen, dass es überhandnahm. Das allerdings war nur ihre eigene Einschätzung. Die Grundschülerin jedoch schien es ziemlich zu belasten. Mit einem kurzen, besorgten Blick auf seine Teamleaderin trat nun Hiroshi an die Vorrichtung heran und steckte den kleinen rot-weißen Bären in die Öffnung, der sich mit einem Klicken einsetzte. „In letzter Zeit hat sich Onee-chan stark verändert. Ich freue mich, dass sie Freunde gefunden hat, auch wenn sie dadurch weniger Zeit für mich hat. Aber sie hat sich auch sonst so verändert. Sie ist immer so in Eile und wirkt gehetzt. Das macht mir Angst…“, erklang wieder Junkos Stimme, die besorgt und gleichzeitig etwas ängstlich wirkte, jedoch weitaus freundlicher, als zuvor. Dass sie sich verändert hatte, konnte Mirâ nicht abstreiten. Aber hatte sie sich wirklich so sehr verändert, dass es Junko Angst machen könnte? War sie wirklich immer so in Eile oder gehetzt? Sie selbst empfand das eigentlich nicht, aber Außenstehende oder gar Kinder hatten da natürlich einen ganz anderen Blick drauf, als man selbst. „Wir also als letztes…“, holte sie Kuraikos Stimme aus ihren Gedanken, die nun ebenfalls an die Einrichtung herantrat, dann aber stoppte und einen doch recht besorgten Blick zu ihrer Teamleaderin wandte. Erwähnte merkte den Blick auf sich ruhen, doch nickte dann, woraufhin ihre schwarzhaarige Freundin den letzten Teddybären einsteckte, der sich mit einem Klacken verhakte. Wieder erklang das Rauschen, ehe Junkos Stimme ertönte, die überaus Glücklich wirkte: „Ich habe die beste Schwester der Welt. Sie ist immer für mich da und spielt ganz viel mit mir. Ich liebe sie!“ Überrascht über diese Worte, die ein kompletter Kontrast zu dem zuvor gehörten waren, weiteten sich Mirâs Augen. Sie freute sich über diese Worte, die jedoch im Kontext zum Vorherigen einen bitteren Beigeschmack hinterließen. Das schlechte Gewissen nagte nun doch an ihr, da sie durch die Sache mit der Spiegelwelt und dem, was alles drumherum passierte, nur noch selten Zeit für Junko gefunden hatte. Kein Wunder also, dass ihr Gemütszustand so stark schwankte. Und Mirâ hatte nichts davon mitbekommen, weil sie so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt war. Was war sie nur für eine große Schwester? Beinahe wäre sie wieder an ihren Gedanken verzweifelt, hätte sie nicht kurz darauf eine Hand auf ihrer Schulter gespürt, die sie aufschauen und zu Hiroshi blicken ließ. Dieser schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln: „Mach dir keine Gedanken, Mirâ. Wir alle wissen, wie wichtig Junko-chan dir ist und mit Sicherheit weiß sie das auch. Dass sie mal wütend auf dich wird, weil du ihr nicht so viel Aufmerksamkeit schenkst, ist normal. So sind jüngere Geschwister eben. Glaub mir, ich weiß wovon ich spreche.“ Er grinste breit, während die Violetthaarige einige Sekunden brauchte, um zu verstehen, was er mit seinem letzten Satz sagen wollte. „Da gebe ich Hiroshi recht“, lachte Masaru plötzlich, „Das Gefühl, wenn der ältere Bruder oder die ältere Schwester einen wegschickt, weil sie gerade „wichtigeres“ zu tun haben, ist echt unangenehm.“ Überschwänglich machte er mit den Fingern das Zeichen für Gänsefüßchen, während er das sagte. „Oh ja, wie wahr oder wenn man sich nicht ernst genommen fühlt“, seufzte Megumi. Überrascht sah die Wild Card-Besitzerin zu ihren drei Freunden und schien dann erst zu verstehen, was sie meinten. Sie alle drei hatten ältere Geschwister und konnten dadurch nur zu gut Junkos Gedanken nachvollziehen, da sie alle bereits in eine ähnliche Situation geraten waren, in der ihre Geschwister keine Zeit für sie hatten. „Mach dir also keine Gedanken, Mirâ“, wandte sich Hiroshi wieder an sie, „Nur weil Junko gerade böse auf dich ist, heißt das nicht, dass sie dich wirklich hasst. Sie ist nur etwas eingeschnappt, da kommen einen solche Gedanken schonmal. Aber du hast sie ja nicht mit Absicht auf Abstand gehalten oder so.“ „Richtig. Wenn du wieder mehr Zeit für sie hast und etwas mit ihr unternehmen kannst, dann hat sie das ganz schnell wieder vergessen“, lächelte der ältere Schwarzhaarige. Ihre Navigatorin stellte sich vor sie und machte eine aufmunternde Geste: „Also verzweifle nicht!“ Erneut sah Mirâ die jüngere etwas überrascht an, doch lachte dann leicht. Sie alle hatten ja Recht. Es war nie ihre Absicht gewesen Junko so zu behandeln. Sobald sie wieder zuhause waren würde sie der Jüngeren wieder mehr Zeit widmen. Die Kleine konnte immerhin nicht für das, was um sie herum passierte und von dem sie das meiste nicht einmal mitbekam. Mit neuer Entschlossenheit blickte sie auf die immer noch verschlossene Tür und machte sich bereit dazu sie zu öffnen. „Hat es geklappt?“, holte sie Akanes Stimme aus ihren Gedanken. „Das werden wir gleich sehen“, mit festem Schritt ging Mirâ auf die Tür zu, legte ihre Hand auf die Klinke und drückte diese herunter, bevor sie dagegen drückte. Doch widererwartend bewegte sich nichts, stattdessen strömte plötzlich aus den Spalten des Türrahmens schwarz-violetter Nebel auf und umhüllte die überraschte Gruppe, woraufhin sie in Dunkelheit eintauchten. Nur wenige Sekunden später lichtete sich der Nebel wieder und das Team fand sich in einem weiteren Raum wieder, der jedoch definitiv nicht Junkos Zimmer sein konnte. Es war kein besonders großes Zimmer, jedoch wirkte es für Mirâ wesentlich größer, als es eigentlich wirklich war. In der hintersten Ecke entdeckte sie einen schwarzen Schreibtisch, der flankiert von zwei großen Regalen, die mit Ordnern gefüllt waren, teilweise in Wand und Boden verschwunden war. Auch zu ihrer Rechten und Linken erkannte sie mehrere brusthohe Regale, die gerade so aus dem Boden ragten. Mirâ wandte sich schnell um und musste dann erschrocken feststellen, dass sie nur zu viert waren. Leicht panisch sah sie sich zu allen Seiten um, konnte aber nur Akane, Kuraiko und Hiroshi erkennen, die mit ihr in diesem Raum eingesperrt war. Sie wurden also wieder getrennt. „Wo sind wir jetzt gelandet? Ist das der Bossraum?“, fragte Akane, die neben ihre Freundin trat und sich dabei umsah. „Nein, ich denke nicht“, murmelte die Violetthaarige, „Wenn das hier der Bossraum sein sollte, dann hätten wir doch in Junkos Zimmer landen müssen. Das hier ist aber das Büro meiner Mutter.“ „Sie hat ein eigenes Büro?“, fragte die Brünette plötzlich überrascht nach. „Es ist eigentlich nur eine kleine Kammer, aber dort kann sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen…“, seufzte Mirâ. „Als wäre das jetzt wichtig“, kam es genervt von Kuraiko, „Wieso sind wir hier gelandet? Und wo sind die anderen?“ „Ich würde sagen die Reihenfolge der Teddys war falsch und deshalb wurden wir wieder getrennt“, warf Hiroshi ein und erntete damit einen vernichtenden Blick der Schwarzhaarigen. Dieser blieb jedoch nicht lange auf dem Blonden ruhen, sondern wanderte dann zu Akane: „Siehst du was ich meinte?“ „Ja doch… aber ihr habt doch zugestimmt!“, beschwerte sich die Angesprochene und zuckte plötzlich zusammen, als sie ein lautes Grummeln vernahm, „W-Was war das?“ Erneut ertönte das Geräusch und ließ die Gruppe sich umschauen. Doch war auf den ersten Blick nichts zu erkenne, während das Grummeln immer lauter wurde. Plötzlich löste sich etwas aus der bröckeligen Sandsteinwand, dem das Knurren eindeutig zuzuordnen war. Der Schatten wabberte für einen Moment und nahm dann die Form eines überdimensionalen Teddybären ein. Ein schrilles Quietschen kam aus Akanes Richtung, die sich plötzlich schräg hinter ihrer besten Freundin versteckte, als sich das Wesen in voller Erscheinung zeigte. Erschrocken wich auch Mirâ leicht zurück, als sie den Bären erblickte, dessen Bauchnaht zum Teil aufgerissen war, wo mehrere Totenköpfe herausschauten. Gleichzeitig rann ihm Blut aus seinem, mit scharfen Zähnen versehenen, Maul. Mit eiskalten und durchdringenden Augen starrte er auf die Persona-User, die sofort eine verteidigende Stellung einnahmen. „Das ist gar nicht gut“, ging Mirâ durch den Kopf. Nicht nur, dass sie von den vorherigen Kämpfen angeschlagen waren, nun waren sie wieder getrennt. Zwar würde es dieses Mal mit Sicherheit etwas besser laufen, da sie wenigstens als ganzes Team angreifen konnten, jedoch bedeutete dies auch, dass sie erneut ihre Kraft einsetzen mussten, bevor sie überhaupt bei Junko angelangt waren. Und von der war ohnehin kaum noch etwas übrig. Ein blaues Licht ließ sie aus ihren Gedanken schrecken und wieder zu ihrem Gegner schauen. Um diesen hatte sich der blaue Strudel gebildet, ehe sich über die Ebene ein violetter Nebel legte, der die Gruppe kurzzeitig einhüllte, jedoch nichts weiter anrichtete. „Nehmt euch in Acht“, rief Kuraiko, die anscheinend bereits ahnte, was es mit dem Nebel auf sich hatte. Sie festigte den Griff um ihre Sense und stürmte dann auf den Bären zu. Als sie in Reichweite war ließ sie ihre Waffe auf diesen niedersausen, was ihn etwas zurückweichen ließ. Kurz darauf stürmte bereits Akane an ihr vorbei und verpasste dem braunen Tier einen gekonnten Tritt in die Seite. Erneut strauchelte er, doch wirkte ansonsten eher unbeeindruckt. Ein Pfeil zischte an den beiden Mädchen vorbei und traf das Wesen am Kopf, bevor auch ein Fußball auf den Boden aufschlug und den Gegner am Kinn traf, was ihn endlich zu Boden riss. Sofort nutzte die Gruppe ihre Chance und griff gemeinsam an, doch erreichte dieser Angriff nicht den gewünschten Effekt. Zwar war der Shadow stark getroffen, jedoch nicht ausreichend, um besiegt zu werden. Deshalb dauerte es auch gar nicht lange, ehe er wieder auf beiden Beinen stand und erneut eine Beschwörung tätigte. Sofort gingen alle in die Verteidigung, was jedoch nicht verhinderte, dass Kuraiko einen Moment schwer von einem Schlag getroffen wurde, der sie schmerzhaft zu Boden riss. „Na warte!“, rief Akane und beschwor Wedjet, die den Gegner nun ebenfalls angriff, was jedoch nur einen geringen Effekt erzielte. Währenddessen richtete sich Kuraiko wieder auf, hielt ihren Blick jedoch gesenkt. „Alles in Ordnung?“, fragte Hiroshi, bekam jedoch keine Antwort. Überrascht sah er zu der Schwarzhaarigen, über welcher in blauem Licht ihre Persona Kedesh erschien. Im nächsten Moment bemerkte er im Augenwinkel ein rotes Licht, welches sich unter seinen Füßen bildete. Doch da war es leider schon zu Spät. Noch während er versuchte beiseite zu springen bildete sich aus dem roten Licht ein Strudel, welcher ihn umgab und schmerzhaft zu Boden riss. Als wäre dies nicht genug gewesen, wiederholte die junge Frau ihm gegenüber diesen Angriff ein weiteres Mal, während sie ihn mit trüben Augen anblickte. Schmerzhaft fasste sich der junge Mann an die Brust, während er versuchte sich wieder aufzurichten. „Hiroshi-kun!“, rief Mirâ erschrocken, als sie mitbekam, was neben ihr passiert war. Doch gerade, als sie ihr Smartphone zücken wollte, um Hemsut zu rufen, die den jungen Mann hätte heilen können, erblickte sie in ihrem Augenwinkel wieder ein blaues Licht, was von dem überdimensionalen Teddybären ausging. Schnell ging sie in die Verteidigung, doch spürte keinen Schmerz. Stattdessen hörte sie Akane kurz darauf schmerzhaft aufschreien, welche es jedoch nicht von den Beinen gerissen hatte, wie Kuraiko zuvor. Trotzdem hatte Mirâ plötzlich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Erschrocken wich sie zurück, als ihre beste Freundin sich ihr zuwandte und sie mit ebenso trüben grünen Augen anstarrte. Plötzlich kam die Brünette auf sie zugestürmt, griff sie am Arm und schleuderte sie daraufhin über ihre Schulter, genau auf Hiroshi, welcher es endlich schaffte sich langsam wieder aufzusetzen. Gemeinsam schlidderten die beiden Persona-User einige Meter über den rauen Sandsteinboden und blieben dann mehr oder weniger übereinander liegen. „Urgh…“, erklang die Stimme des Blonden unter der jungen Frau, „Alles in Ordnung, Mirâ?“ „J-ja… ich denke schon“, vorsichtig löste sich die Violetthaarige aus dieser Position und stemmte sich mit den Händen nach oben, um etwas Abstand zu bekommen. Vorsichtig schüttelte sie den Kopf und blickte dann zu ihren beiden Freundinnen, die langsam auf sie zugelaufen kamen. „Das ist gar nicht gut“, murmelte ihr Kumpel, der sich langsam aufsetzte und damit seine Beine unter ihr hervorzog. Das war es wirklich nicht. Zähneknirschend sah Mirâ zu den beiden Mädchen, die durch einen Zauber von ihrem Gegner kontrolliert wurden. Zu ihrem Ärger hatte sie gerade keine Persona zur Hand, die ihnen helfen konnte den Statuszauber aufzuheben und die Suche nach einem passenden Item würde wohl zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Es sah also wirklich schlecht aus. In diesem Moment zückte Kuraiko erneut ihre Handy und rief Kadesh, die auf Hiroshi erneut Eiha anwendete. Plötzlich spürte Mirâ, wie sie an der Schulter gegriffen und zur Seite geschubst wurde, sodass sie außerhalb der Reichweite des Angriffs landete. „HIROSHI-KUN!“, schrie sie erschrocken, als der Blonde von einem roten Strudel erfasst wurde, der ihm den Rest geben würde. Plötzlich jedoch prallte der Angriff ab und verschwand, ohne dass dem jungen Mann etwas passiert war. Irritiert blickte die Violetthaarige auf das Wesen, welches mit einem Mal vor dem Blonden erschienen war. Die junge Frau mit den blonden langen Haaren und dem grünen Kleid, wandte sich dem jungen Mann mit einem Lächeln zu und hob dann die Hand, woraufhin sich nicht nur um ihn, sondern auch und die drei Mädchen ein grüner Schimmer legte, welcher alle ihre Wunden heilte. „Eh was!?“, fragte Kuraiko vollkommen verwirrt, deren Statuseffekt nun anscheinend vorbei war, „Was ist passiert? Und was…?“ Auch sie blickte zu dem blonden Wesen, welches nun in die Runde schaute. „Cool Mirâ. Ich wusste gar nicht, dass du eine neue Persona hast“, kam es von Akane, bei der der Effekt des Shadows nun auch schon nachgelassen hatte. Die Angesprochene jedoch schüttelte nur den Kopf ohne den Blick von der blonden Persona zu nehmen: „Das ist nicht meine Persona…“ „Eh!?“ Die blonde Frau wandte sich wieder dem jungen Mann hinter sich zu und kicherte: „Ich habe ja gesagt, dass ich mich revanchieren werde für vorhin. Deshalb helfe ich euch hier.“ Erneut hob sie die Hand, dieses Mal in Richtung des Teddybären, unter dem sich kurz darauf ein hellblauer Kreis bildete, der nur einen Moment später mit einem lauten Knall explodierte und ihn damit zu Boden riss. Noch immer von der Szene vor sich irritiert starrten die User auf die Persona vor ihnen, welche sie plötzlich anschrie, dass sie gefälligst ihre Chance nutzen sollten. Daraufhin erwachten die Anwesenden aus ihrer Starre und starteten einen gemeinsamen Angriff auf den Shadow, welcher sie so unvermittelt angegriffen hatte. Die Attacke endete und der Bär verschwand in einer schwarz-roten Wolke. Doch als wäre dies nicht das Ende gewesen verzog sich plötzlich der Raum und kurz darauf landete die Gruppe wieder im Flur vor Junkos Zimmertür. „Wo wart ihr?“, fragte Masaru erschrocken und schien dann erst die Persona zu bemerken, welche noch immer zwischen den eben wieder erschienenen Usern schwebte, „Eine… neue Persona?“ „Ähm nein… das…“, begann Mirâ, wusste jedoch nicht, wie sie es erklären sollte. Sie wusste ja selbst nicht genau, wie sie sich das hier erklären konnte. Sie kannte diese Persona nicht und doch war sie vor ihnen erschienen und hatte ihnen geholfen. „Du bist doch der Shadow… die Persona von vorhin…“, warf plötzlich Ryu ein, weshalb einen Moment alle Blicke auf ihn gerichtet waren. „Richtig“, kicherte die blonde Frau und wandte sich dann wieder Hiroshi zu, „Ich hatte bei ihm noch eine Rechnung offen. Damit sollten wir jetzt quitt sein. Nicht wahr, mein süßer?“ Erschrocken wich angesprochener zurück, während ihn die Blicke der anderen durchbohrten. „Eins noch…“, ohne weiter darauf einzugehen, drehte sich die Persona zu Mirâ, „Ihr sucht das kleine Mädchen, das hier festsitzt. Nicht? Um zu ihr zu gelangen, müsst ihr die Schlüssel in der richtigen Reihenfolge einsetzen.“ „Kennst du die Reihenfolge?“, fragte Mirâ nach, doch lächelte ihr Gegenüber nur. „Ich kann dir so viel verraten, dass dieses Kind aus irgendeinem Grund ihr Lächeln verloren hat. Also dann machts gut. Vielleicht sieht man sich mal wieder“, mit diesen Worten verschwand das Wesen und ließ die Gruppe ratlos zurück. „Was meinte sie damit, dass Junko-chan ihr Lächeln verloren hat?“, fragte Megumi nach. Auch Mirâ überlegte kurz, doch hatte dann eine Idee, weshalb sie ohne weitere Worte auf die Einrichtung neben der Tür zuging, unter welcher die kleinen Teddybären lagen, die nach dem Fehlversuch zu Boden gefallen waren. Sie hob alle nacheinander auf und sah diese dann eingängig an, während sie versuchte sich zu erinnern, welchen Gedanken ihrer kleinen Schwester sie bei welcher Farbe gehört hatte. Danach setzte sie diese vom hellsten zum dunkelsten Ton ein, ohne dass dabei jedoch noch einmal die Gedanken zu hören waren. Dies war auch nicht nötig, da sie sich ohnehin in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten. Die junge Frau setzte den letzten Bären in die Vorrichtung, woraufhin kurz darauf ein lautes Klacken ertönte, das ihnen sagte, dass der Weg nun frei war. Hosted by Animexx e.V. 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