Zum Inhalt der Seite

Persona: Shadows of Mirror

Kagami no Kage
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist noch nicht beta gelesen. Eventuelle Fehler bitte ich zu entschuldigen. :D Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

CXIV – Hilfreiche Gesten

Mittwoch, 23.September 2015 – Herbstanfang / Feiertag
 

Es war kurz vor Mittag, als Mirâ den Shinzaro Tempel erreichte und die letzte Stufe der alten Treppe erklomm. Schnaufend atmete sie erst einmal durch und sah sich dann um. Wieso sie an ihrem freien Tag ausgerechnet wieder hier gelandet war, wusste sie gar nicht so genau. Sie hatte nur einen kleinen Spaziergang machen wollen und war letzten Endes hier herausgekommen, weshalb sie sich kurzfristig dazu entschlossen hatte die Treppe hinaufzusteigen. Selbst wenn sie keinen besonderen Grund gehabt hatte, so genoss sie die Ruhe, die an diesem Ort herrschte. Denn obwohl der Tempel mitten in der Stadt stand, so herrschte an diesem eine angenehme Stille, die ihr half von dem ganzen Trubel herunterzukommen. Außerdem bestand immer die Chance auch Masaru zu treffen, was natürlich ein sehr positiver Nebeneffekt wäre. Doch als sie oben ankam konnte sie niemanden entdecken. Viel mehr herrschte hier gähnende Leere. Selbst das kleine Häuschen, in dem die Familie Glücksbringer verkaufte, war an diesem Tag geschlossen und von dem Schwarzhaarigen war weit und breit keine Spur. Die Einzige Person, die Mirâ erblicken konnte, war eine junge Frau in einer Miko-Tracht mit türkisgrünen Haaren, welche sich gelangweilt auf den Stiel eines alten Reisigbesens stützte und herzhaft gähnte. Sie wirkte nicht sehr motiviert und schien daraus auch keinen großen Hehl zu machen. Es handelte sich um Chisato, welche, wie sie mittlerweile erfahren hatte, nebenbei hier jobbte. Allerdings wunderte die Oberschülerin das schon, denn eigentlich durften Betriebe Schüler erst ab er Oberstufe einstellen. Das Mädchen war allerdings eindeutig noch in der Mittelstufe. Aber vielleicht gab es für Tempel auch eine Ausnahmegenehmigung. Während sie die Grünhaarige so beobachtete, fiel ihr nicht einmal auf, dass ihre Anwesenheit von dieser bereits bemerkt wurde.

„Masaru-san ist heute nicht da“, rief die Jüngere ihr zu, woraufhin Mirâ aus ihren Gedanken schrak.

Genervt lächelte Mirâ auf die Aussage hin und ging auf die Grünhaarige zu: „Wie kommst du darauf, dass ich immer zu ihm will, wenn ich hier bin?“

„Ist doch eindeutig…“, murmelte Chisato gähnend und richtete dann ihren Blick wieder auf die Ältere.

Die Ältere zuckte etwas zusammen und beendete den Augenkontakt zu der Mittelschülerin, weshalb diese sich in ihrer Aussage bestätigt fühlte und darauf nur seufzte.

„Heute hat der Tempel Ruhetag. Deshalb ist er heute nicht da“, sagte sie schulterzuckend.

Mirâ sah sich um. Nun verstand sie auch, wieso hier nichts los und der Talismanshop geschlossen war. Das allerdings warf die Frage auf, was die Mittelschülerin hier tat. Es war ziemlich unfair, wenn alle heute Ruhetag hatten und sie schuften musste. Jedoch schätzte die Violetthaarige Masaru und seine Eltern nicht so ein, dass sie so etwas tun würden. Vor allem einer Mittelschülerin gegenüber.

„Und wieso arbeitest du dann hier?“, sprach sie die Frage aus, die ihr auf der Zunge brannte, „Wurdest du dazu gezwungen?“

„NEIN!“, entgegnete die Jüngere sofort lautstark und bemerkte dann, dass sie etwas übertrieben hatte, weshalb sie sich räusperte, „Niemand hat mich gezwungen hier zu arbeiten. Ich hatte nichts zu tun und wollte den Hof fegen. Aber das mache ich freiwillig…“

Die Oberschülerin legte den Kopf schief, weil die Jüngere den letzten Satz nur vor sich hingemurmelt hatte und es nicht so klang, als würde sie das wirklich ernst meinen.

„Darf ich dich fragen, was genau du überhaupt hier im Tempel machst?“, fragte sie deshalb nach, woraufhin sie kurz ein böser blick traf, der aber gleich darauf wieder verschwand.

Chisato seufzte: „Sieh es als eine Art Praktikum an… ich helfe hier aus und erlerne nebenbei die Fähigkeiten einer Miko. Masaru-sans Mutter unterweißt mich darin.“

„Das heißt, du willst später mal eine richtige Miko werden?“, folgte bereits die nächste Frage.

Auch wenn die Jüngere es wohl so auffasste, fragte Mirâ nicht, um sich darüber lustig zu machen. Viel mehr fand sie es interessant, da es nicht mehr viele junge Mädchen gab, die sich danach sehnten dieser Berufung nachzugehen. Immerhin musste man sich dabei mit Sicherheit vielen strengen Regeln unterordnen und auf einiges verzichten. Zwar war eine Miko nicht mit einer Nonne zu vergleichen, die abstinent und keusch lebte, jedoch mussten auch sie sich an bestimmte Dinge halten. Und zudem auch noch einen starken Glauben haben.

Die Grünhaarige jedoch wich ihrem Blick aus, bevor sie antwortete: „Sieht so aus…“

„Klingt ja nicht so, als sei das dein Traumberuf“, leget Mirâ den Kopf wieder schief, doch wich zurück, als sich ihr Gegenüber ruckartig zu ihre umdrehte:

„Doch! Und überhaupt, was geht es dich an?“

Schnell hob die Oberschülerin beide Hände und entschuldigte sich für ihre unüberlegte Aussage. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass die Jüngere etwas daran störte und sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich so ernst meinte, wie sie es vorgab. Doch da Chisato das Thema nicht weiter ausbauen wollte, beließ Mirâ es erst einmal dabei. Trotz allem spürte sie in ihrer Brust ein Leuchten, dass ihren Körper mit angenehmer Wärme füllte und ihr verriet, dass sie einen Schritt weiter bei dem Social Link der Kleinen gekommen war. Diese wandte sich nun von der Oberschülerin ab und wollte sich wieder auf ihren Besenstiel stützen, als ihr eine alte Dame auffiel, welche die Treppen hinaufsteig. Aus Reflex gab sie den Besen an Mirâ weiter und lief auf die Frau zu, welcher sie die letzten Stufen hinaufhalf.
 

„Vielen Dank, mein Kind“, bedankte diese sich bei der Mittelschülerin.

Angesprochene schüttelte mit dem Kopf: „Schon in Ordnung. Aber ich glaube Sie sind umsonst hier hochgekommen. Der Tempel hat heute Ruhetag und ist geschlossen.“

„Das ist kein Problem, mein Kind“, lächelnd legte die alte Frau ihre knochige Hand auf den Arm der Jüngeren, welche sie noch immer stützte, „Ich wollte nur ein Gebet abgeben. Das geht ja auch, wenn der Tempel zu ist.“

„Sicher…“, sagte Chisato und ließ von dem Großmütterchen ab, die sich langsam in Richtung des Gebetsschreins aufmachte.

Die beiden Schülerinnen sahen ihr nach, wie sie nach einiger Zeit hinter dem Talismanshop verschwand. Erneut seufzte die Mittelschülerin, nahm ihrem Gegenüber wieder den Besen ab und verabschiedete sich dann erst einmal, bevor sie in Richtung des Wohnhauses lief. Auch ihr sah die Oberschülerin kurz nach und entschied dann, auch noch ein Gebet abzugeben. Der nächste Vollmond stand an. Es konnte nichts schaden, dafür zu beten, dass die ganze Sache nun erledigt war, auch wenn ihre Hoffnungen diesbezüglich relativ gering waren. So setzte sie sich in Bewegung und lief ebenfalls um den Shop herum, nur um einen Moment später wieder stehen zu bleiben, als ihr ein Junge mit braunen Haaren auffiel. Dieser hatte soeben sein Gebet beendet und wollte gehen, dabei fiel ihm allerdings die alte Dame hinter ihm nicht auf, weshalb er diese anrempelte. Aus Reflex griff er sofort nach dieser, damit sie nicht die Holzstufen hinunterfiel. Doch kaum hatte sie ihr Gleichgewicht wieder, wich er auch schon zurück. Nuschelnd entschuldigte er sich und wandte sich dann von dem Großmütterchen ab, welche ihn etwas irritiert ansah. Auch Mirâ irritierte diese Geste, doch schnell hatte sie einen Verdacht, was los sein könnte. Aus diesem Grund ging sie auf den jungen Mann zu, welcher mittlerweile extrem blass wirkte.

„Hallo Satoshi-kun“, grüßte sie ihn, woraufhin er sie erschrocken ansah.

„Mi-Mirâ-senpai“, wirkte er überrascht.

Die Violetthaarige zeigte auf das Großmütterchen, welches sich mittlerweile wieder die Treppen des Schreins herunterquälte: „Hast du etwas gesehen?“

Mit großen Augen sah Gemeinter sie an, woraufhin sie erklärte, dass sie ihn zufällig beobachtet hatte: „Warum hast du es der alten Dame nicht gesagt?“

Satoshi wandte den Blick ab: „Sie würde mir doch nicht glauben und Angst bekommen…“

Das war einleuchtend. Mirâ legte den Kopf schief und beobachtete gleichzeitig, wie das Großmütterchen langsam an ihnen vorbeilief. Dabei fiel ihr auch auf, dass der junge Mann immer nervöser wurde, je näher die Frau der steinernen Treppe kam, die wieder hinunter zur Hauptstraße führte, weshalb sie nachfragte, was genau er gesehen hatte. Der junge Mann schwieg kurz und schien zu überlegen, ob er es sagen sollte, doch die Violetthaarige ließ ihn nicht viel Zeit dafür.

„Hör zu Satoshi-kun. Wenn du es weißt, dann sollten wir der alten Dame helfen, bevor etwas passiert“, mahnte sie, woraufhin sie von dem Mittelschüler erschrocken angesehen wurde.

Er biss sich auf die Lippe, während er ihre Worte überdachte und dann erklärte, dass er gesehen hatte, wie die alte Frau beim herabsteigen der Treppen stürzen würde. Plötzlich zuckte er erschrocken zurück, denn obwohl er noch nicht einmal richtig zu Ende gesprochen hatte, war die Ältere bereits zu der Frau gestürmt. Sofort folgte er der Oberschülerin, welche sich mittlerweile dem Großmütterchen zugewandt hatte und ihr ihre Hilfe beim herabsteigen angeboten hatte. Dankend wurde diese angenommen, sodass sie gemeinsam hinunter gingen. Doch kaum waren sie ungefähr bei der Hälfte stolperte die alte Frau plötzlich, wurde aber von Mirâ gestützt und konnte sich dadurch auf den Stufen halten. Andernfalls wäre sie wohl wirklich die Treppe hinuntergefallen und hätte sich schwer verletzt, wenn nicht sogar schlimmer. Freundlich bedankte sie sich bei der Oberschülerin, als sie an der Hauptstraße angekommen waren und verabschiedete sich von dieser.

„Passen Sie gut auf sich auf“, winkte Mirâ ihr nach und wandte sich dann lächelnd an Satoshi, der ihnen mittlerweile gefolgt war.

„Du hast es verhindert…“, murmelte er überrascht und sah dem Mütterchen hinterher.

Immer noch lächelte die Ältere, allerdings nicht mehr so breit, wie noch zuvor: „Sicher. Ich bin der Meinung, wenn man eine solche Fähigkeit hat, dann sollte man sie auch nutzen.“

„Das ist keine Fähigkeit… sondern ein Fluch…“, der Brünette senkte den Blick und erntete einen verwunderten Blick:

„Meinst du? Ich finde nicht, dass es ein Fluch ist. Du hast mir mehrmals das Leben gerettet und nun auch dem Mütterchen. Hättest du nicht gesehen, dass sie die Treppen herunterfallen würde, dann hätte ich ihr nicht geholfen und sie hätte sich schwer verletzt oder wäre im schlimmsten Fall gestorben.“

Satoshi wirkte nicht sehr überzeugt: „Aber vielleicht ist das auch passiert, gerade weil ich sie berührt habe…“

Die Violetthaarige beobachtete ihn kurz von der Seite und schnaubte dann leicht verächtlich: „So ein Quatsch. Diese Fähigkeit zeigt dir die Zukunft. Und das ist wirklich praktisch. Damit kannst du ganz vielen Menschen helfen. Verstehst du?“

Mit großen goldgelben Augen sah er wieder zu der Oberschülerin auf, welche ihn nur breit angrinste. Noch einmal dachte er über ihre Worte nach, wirkte jedoch nicht sehr überzeug. Trotzdem nickte er.

„D-Danke, Senpai. Für diese aufmunternden Worte. Auch wenn ich nicht ganz überzeug bin“, sagte er, wandte sich dann von ihr ab und ging, „Mach’s gut.“

Mirâ sah ihm nach und spürte ganz deutlich erneut das warme Glühen in ihrem Inneren. Auch Satoshis Stufe war um eine weitere gestiegen und sie war dem jungen Mann etwas nähergekommen. Wieder legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen, während sie sich in die andere Richtung umdrehte und ihren Spaziergang fortsetzte.
 

Am Nachmittag hatte sich Mirâ wieder auf den Heimweg gemacht. Während sie eine große Runde durch die Stadt gelaufen war, hatte sie die Chance genutzt noch einige Dinge zu besorgen, die sie noch brauchte; unter anderem auch mal wieder ein paar Mangas, die sie schon länger im Blick hatte. Zwar war sie kein richtiger Otaku, wie Megumi, jedoch war sie den Comics nicht abgeneigt. Während sie ihren Weg fortsetzte, bereute sie nach einiger Zeit den Rückweg zu Fuß angetreten zu haben. Ihr taten mittlerweile die Füße weh, weshalb sie sich auf einer Bank niederließ, um kurz zu Verschnaufen. Sie wünschte sich nachhause und bereute es nicht die U-Bahn genommen zu haben. Nun war die nächste Station, von der aus sie ohne umzusteigen nachhause kam, zu weit weg, als dass es sich lohnen würde damit zu fahren. Seufzend lehnte sie sich an die Wand hinter sich und blickte in den grauen Himmel, bevor sie kurz die Augen schloss und die Ruhe genoss, welche in diesem Teil der Stadt herrschte. Plötzlich jedoch horchte sie auf, als sie ein zischendes Geräusch vernahm, dass in einem dumpfen „plopp“ endete. Überrascht öffnete sie wieder die Augen und sah sich um, bis ihr auffiel, dass sie sich in der Nähe des Kyudo-Dôjôs befand, welches sie vor einer Weile entdeckt hatte. Die Besitzerin, Moe Kawasami, hatte ihr angeboten jederzeit vorbeizuschauen, jedoch war das an die Voraussetzung gebunden, dass sie der älteren Dame ihr Können im Kyudo bewies. Und genau das bereitete ihr Bauchschmerzen. Trotzdem hatte sie das Bedürfnis hinzugehen und wenn es nur war, um Kawasami-san zuzusehen. So erhob sich die Oberschülerin wieder und folgte dem Geräusch der Pfeile, welches unter den Leuten, die diesen Sport betrieben, nur „Tsurune“ genannt wurde. Kurze Zeit später erreichte sie das offene Gelände, hinter welchem sich das Dôjô, sowie das Wohnhaus, abzeichnete und erkannte sofort genannte Frau, die bereits dabei war erneut ihren Langbogen zu spannen. Sie konzentrierte sich, bewegte sich keinen Millimeter und zielte in aller Seelenruhe auf die Scheibe sich gegenüber. Dann ließ sie los und der Pfeil flog zischend durch die Luft, bevor er in der Zielscheibe stecken blieb; wieder einmal genau in der Mitte. Derweilen trat die Frau wieder einen Schritt zurück und kniete sich hin. Sie atmete einmal durch und sah dann lächelnd in Mirâs Richtung, welche sofort zusammenzuckte.

„Hallo Shingetsu-chan“, erhob sich Moe und kam dann auf sie zugelaufen.

Es erstaunte Mirâ, dass sie sich ihren Namen gemerkt hatte, weshalb sie kurz ihre gute Kinderstube vergaß. Doch schnell fing sie sich wieder und verbeugte sich höflich:

„Guten Tag, Kawasami-san.“

„Na… hast du es dir überlegt und möchtest mir doch dein Können beweisen?“, fragte die alte Dame freundlich.

So richtig wusste die Oberschülerin nicht, was sie darauf antworten sollte und wich deshalb dem Blick ihres Gegenübers aus. In gewisser Weise war sie wirklich zwiegespalten. Einerseits juckte es sie schon in den Fingern. Sogar so sehr, wie schon lange nicht mehr. Andererseits wollte sie dieser Frau, die beim Kyudo so eine Anmut hatte, nicht ihre schlechte Form zeigen. Mit Sicherheit wäre sie dann sehr enttäuscht. Und doch…

„Du brauchst dich nicht für irgendwas zu schämen, kleines Fräulein. Das hier war früher mal eine Kyudo-Schule, deshalb ist uns auch jeder willkommen, egal welche Form er hat“, sprach Moe mit einem Lächeln, woraufhin die junge Frau sie überrascht ansah, „Das ist doch deine Sorge. Hab ich Recht?“

Die Violetthaarige senkte den Blick: „Naja…“

„Ich kann dich nicht dazu zwingen, aber eigentlich möchtest du doch schießen. Oder?“, wieder sah Mirâ die Erwachsene mit großen Augen an, „Man merkt es dir an. Also?“

Die Oberschülerin überlegte kurz und setzte dann einen entschlossenen Blick auf, bevor sie nickte. Moe lachte und bat sie daraufhin herein. Dafür musste die Violetthaarige einmal um das Gelände drumherum und dann durch einen kleinen Hof, bevor sie vor der Tür der Trainingshalle stand. Ehrfürchtig schob sie das Hindernis beiseite, trat einen Schritt hinein und verbeugte sich höflich. Derweilen war auch Moe an sie herangetreten. In ihrer Hand hielt sie einen frisch bespannten japanischen Langbogen, welchen sie, mitsamt einem Handschuh und einem Brustschutz an die junge Frau weiterreichte. Überrascht besah Mirâ sich die ihr gegebenen Gegenstände und staunte nicht schlecht über den wunderschönen und richtig professional gespannten Bogen. Er war aus dunklem Holz geschnitzt und glänzte im Licht der hereinfallenden Sonne. Sie selbst hatte nur einen schlichten Langbogen für ihren Unterricht in der Schule. Dieser war zwar mittlerweile Neu, da sie ihren alten mit in die Spiegelwelt genommen hatte, jedoch ein einfaches Modell. Was anderes hätte sie sich von ihrem Geld auch gar nicht leisten können. Ihre Mutter konnte sie auch nicht fragen, denn diese würde nur wissen wollen, was sie mit ihrem alten Bogen gemacht hatte.

„Gefällt er dir?“, fragte die alte Frau mit einem sanften Lächeln, während Mirâ nur geistesabwesend nicken konnte, „Schön. Wollen wir dann anfangen?“

Nun endlich kehrte die Violetthaarige wieder ins Hier und Jetzt zurück und nickte erneut, bevor sie mit Moe weiter hinein ging und sich währenddessen die Ausrüstung anlegte. Leider musste sie nun in ihren Straßensachen antreten, weshalb gerade der Brustschutz etwas unbequem saß. Doch das nahm sie jetzt so hin, immerhin wollte sie nicht auch noch um einen Hakama und Gi betteln, wo ihr schon der Bogen gestellt wurde. Nachdem sie sich den Handschuh übergezogen hatte, testete sie den Gegenstand in ihrer Hand gleich aus, indem sie die Sehne ohne einen eingespannten Pfeil etwas zurückzog. Dabei fiel ihr auf, wie straff alles gespannt war. Es würde ihr mit Sicherheit schwerfallen den Pfeil ruhig zu halten und nicht zu zittern. Beim Kyudo kam es nämlich auch auf den richtigen Zeitpunkt an, zu welchem man den Pfeil losließ. Dafür musste man ihn aber auch eine ganze Weile gespannt halten. Je stärker jedoch der Bogen war, desto schwerer war diese Prozedur. Trotzdem packte Mirâ plötzlich der Ehrgeiz. Sie wollte mit diesem Langbogen schießen. Um jeden Preis. So positionierte sie sich genau gegenüber der Zielscheibe, welche am anderen Ende des Areals an einem Erdhügel befestigt war und kniete sich hin. Dann atmete sie einmal tief durch und versuchte ihren Geist zu beruhigen und die Aufregung loszuwerden, bevor sie die Augen öffnete und sich wieder erhob. Sie drehte ihren Körper leicht nach links, ging einige Schritte vor und wieder zurück, während sie das Ziel fixierte. Nun endlich legte sie einen Pfeil ein und hob das Gespann mit beiden Armen über ihren Kopf, bevor sie den Bogen spannte und alles auf der richtigen Höhe positionierte. Ihr Arm zitterte, denn das Spannen und Halten kostete eine Menge Kraft. Leider schaffte sie es auch nicht Ruhe in ihre Position zu bekommen, bevor sie die Kraft verließ und sie den Pfeil fliegen ließ. Dadurch kam es allerdings wie es kommen musste. Mit einem Zischen und in einem Bogen flog das Geschoss über das Gelände und landete dann neben der Zielscheibe in der Erde. Kritisch begutachtete Mirâ ihre Fertigkeit und seufzte dann.

„Hm…“, erklang es neben ihr, weshalb sie leicht aufschreckte und dann zu Moe blickte, die ebenfalls das Ergebnis begutachtete, „Ich verstehe…“

Die Oberschülerin senkte den Blick: „Ich weiß, meine Haltung ist wirklich schlecht…“

„Ich glaube das alleine ist nicht das Problem“, meinte die ältere Dame, „Schieß doch bitte noch einen Pfeil.“

Die Violetthaarige tat wie geheißen und spannte wie bereits zuvor einen weiteren Pfeil ein, welchen sie, genau wie den Vorigen, bereits nach kurzer Zeit fliegen lassen musste, da ihr die Kraft fehlte ihn länger zu halten. Und wieder war das Ergebnis das Gleiche: Er landete neben der Zielscheibe. Unzufrieden mit sich selbst ließ Mirâ den Bogen wieder sinken und blickte auf das Geschoss, welches in der Erde steckte.

„Deine Haltung an sich ist nicht mal das Problem“, murmelte nun die ältere Dame neben ihr, „Viel mehr fehlt es dir an Kraft. Du sagtest, dass du Kyudo in der Schule machst. Das heißt, du müsstest mit der Stärke des gespannten Bogens klarkommen. Es sei denn dein eigener Bogen ist falsch gespannt. Nächstes Mal solltest du ihn mitbringen, dann schau ich mir das mal an. Trotzdem musst du an deiner Kraft und Ausdauer arbeiten.“

Angesprochene ließ sich die Worte der älteren Frau durch den Kopf gehen. Da war was dran, denn es fiel ihr wirklich unglaublich schwer diesen Bogen gespannt zu halten. Auch das ihr eigener wohl nicht sehr gut bespannt war, fiel ihr erst jetzt richtig auf.

Deshalb wandte sie sich wieder an Moe: „Kawasami-sensei, können Sie mir zeigen, wie ich die Sehne richtig auf den Bogen aufziehe? Ich weiß zwar wie es geht, aber trotzdem scheine ich es nicht richtig zu machen.“

Überrascht sah die Erwachsene sie an und lachte dann: „Sensei? So hat mich lange niemand mehr genannt. Aber sicher, ich werde es dir zeigen. Komm, mein Kind.“

So verbrachte Mirâ den restlichen Nachmittag in dem Dôjô, in welchem sie einige neue Dinge erlernte, von denen sie zuvor gar nicht oder nur flüchtig gehört hatte. Erst als die Sonne bereits am Untergehen war verabschiedete sie sich von Moe und machte sich endlich auf den Heimweg.
 

Als es dunkel war erreichte Mirâ erst die Gegend, in welcher sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester lebte. Auf der Kreuzung, an welcher Alecs Schwester vor einem Jahr ums Leben gekommen war, blieb sie kurz stehen und blickte auf die mittlerweile leere Vase am Straßenrand. Von hier aus war es nicht mehr weit, bis zu ihrem Haus. In nur wenigen Minuten wäre sie Zuhause. Doch anstatt den Weg dorthin einzuschlagen, drehte sie sich noch einmal um und lief zu dem kleinen Konbini, welcher zwei Straßenzüge weiter lag, um dort eine Blume zu kaufen. Mit dieser in der Hand kehrte sie zu der Kreuzung zurück und stellte sie in die leere Vase, bevor sie die Hände zusammenschlug und ein Gebet an die Kleine sendete. Das Geräusch eines Motorades ließ sie aufschauen. Kurz darauf stoppte die Maschine auch schon neben ihr und ein junger Mann stieg ab.

„Du lernst echt nicht… oder?“, fragte er seufzend, darauf anspielend, dass sie sich wieder im dunklen herumtrieb.

„Ich war noch nie gut darin auf andere zu hören“, grinste die Oberschülerin den Studenten an, welcher nun neben sie trat.

„Ist die Blume von dir?“, fragte Alec etwas ungläubig, woraufhin Mirâ nickte und ihm erklärte, dass die Vase so leer wirkte und sie deshalb eine Blume geholt hatte.

Der Schwarzhaarige bedankte sich und steckte ebenfalls eine Blume hinein, bevor auch er ein Gebet an seine Schwester sandte. Das Quengeln eines kleinen Kindes ließ die beiden aufblicken und zu einer Mutter sehen, die mit ihrem Sohn auf der anderen Straßenseite ging. Das Kind zog an dem Arm der Frau und meckerte, dass es die Süßigkeiten haben wollte, die es kurz zuvor im Konbini gesehen hatte. Die Mutter jedoch verneinte nur und versuchte ihren Sohn zur Vernunft zu bringen, was leider eher schlecht als recht funktionierte. Ein kleines mitleidiges Lächeln legte sich auf die Lippen der Oberschülerin, während sie das Gespann beobachtete. Junko war auch so, wenn sie etwas nicht bekam. Und dass, obwohl sie älter war, als das kleine Kind. Trotzdem erinnerte sie diese Situation an ihre kleine Schwester beim Einkaufen. Und sie zollte allen Müttern Respekt, die bei so etwas die Ruhe bewahrten. Ihre Mutter war auch so jemand, der das aussitzen konnte und sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließ. Plötzlich löste sich der kleine Junge von der Hand seiner Mutter und lief voran, während er die warnenden Rufe und Aufforderung der Erwachsenen eiskalt ignorierte. Erschrocken beobachtete sie, wie er sich immer weiter der Straße näherte, aus deren Richtung in der Ferne ein Transporter auf sie zugefahren kam. Doch noch ehe sie reagieren konnte, war Alec plötzlich aufgesprungen und zu dem Kind gerannt, hatte es kurz darauf am Kragen gepackt und wieder an den Straßenrand gezogen, kurz bevor das Fahrzeug mit quietschenden Reifen neben ihnen zum Stehen kam.

„Ist alles in Ordnung?“, stieg der Fahrer des Wagens mit blassem Gesicht aus.

Erschrocken sah der kleine Junge auf das Gefährt vor sich und fing plötzlich an zu weinen. Schnell kam seine Mutter auf ihn zu gerannt und drückte ihren Sohn an sich, während sie sich tausendmal bei Alec für die Rettung bedankte. Dieser hatte mittlerweile mit dem Fahrer gesprochen und diesen beruhigt, dass nichts passiert war, woraufhin der seine Fahrt fortsetzte; wahrscheinlich aber mit sehr mulmigem Gefühl. Mirâ derweilen kam ebenfalls auf die kleine Gruppe zu und beobachtete, wie sich Alec noch einmal zu dem Jungen hinunterhockte und ihm beruhigend über den Kopf strich. Dann zog er ein kleines Bonbon aus seiner Jackentasche und hielt es dem Kind entgegen, welches die Leckerei mit großen verweinten Augen ansah und dann danach griff. Plötzlich strahlte der Junge wieder und bedankte sich bei dem Onkel. Auch die Mutter schien mittlerweile wieder etwas beruhigter, weshalb auch sie sich noch einmal richtig bei dem Studenten bedankte und sich dann mit ihrem Mündel auf den Weg machte. Alec und Mirâ sahen den beiden nach und winkten, als sich das Kind noch Mal zu ihnen umdrehte.

Erst als die beiden außer Sichtweite waren, eröffnete Mirâ wieder das Gespräch: „Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde. Es scheint mir, dass du sofort zur Stelle bist, wenn jemand Hilfe braucht. Du wirkst schon fast wie ein Schutzengel.“

Ein überraschter Blick traf sie, woraufhin die Violetthaarige kichern musste: „Du bist wahrscheinlich einfach ein guter Mensch, der gerne hilft.“

„Hör auf damit!“, ließ sie Alecs aufgebrachte Stimme zusammenzucken und erschrocken zu ihm aufsehen, „Das stimmt nicht! Ich bin alles andere, als ein guter Mensch! Mich so zu bezeichnen habe ich nicht verdient.“

Damit hatte sich der Student von ihr abgewandt und war auf sein Motorrad zugegangen, welches er kurz darauf startete und damit verschwand. Etwas verwirrt sah die Oberschülerin ihm nach und wusste nicht so recht, was nun der Fehler war. Es war nicht so, dass sie ihn damit beleidigen wollte. Viel mehr war er für sie einfach ein guter Mensch, immerhin hatte er ihr mehrmals geholfen und nun auch den kleinen Jungen gerettet. Wieso also war er der Meinung, dass er diese Bezeichnung nicht verdient hatte? Vor einer Weile hatte er ja schon gemeint, dass er keine Freunde verdient hatte. Das kam ihr damals auch schon komisch vor. Sie warf einen Blick auf die kleine Vase am Straßenrand, in welcher nun die zwei Blumen steckten. Ob es mit dem Unfall und Tod seiner Schwester zu tun hatte? Eine Antwort darauf wollte ihr nicht einfallen, weshalb sie trotz des warmen, angenehmen Glühens in ihrem Inneren, kein gutes Gefühl hatte, wenn sie an die ganze Sache dachte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho Leute und eine schöne Weihnachtszeit ^^
Habt ihr schon euren ersten Glühwein getrunken oder wart ihr schon auf dem Weihnachtsmarkt? =D
Meinem Dienstplan ist es zu verdanken, dass das Kapitel heute ausnahmsweise mal einen Tag eher kommt, als sonst. Ich würde es morgen nur vergessen, da ich Tagschicht habe und erst am späten Abend an den Laptop kommen würde. x'D Also kommt das Kapitel jetzt schon. ^^
Dieses Mal ist es keine große Sache... Mirâ füllt wieder fleißig Social Links und bekommt eine kleine Stunde im Kyudo. x'D Joah... also nichts weltbewegendes. Aber ich hoffe, dass euch das Kapitel trotzdem gefallen hat. ^^
Wir lesen uns dann wieder im neuen Jahr. =D
In diesem Sinne wünsche ich euch frohe Weihnachten und schonmal einen guten Rutsch ins neue Jahr. ^^/) Bleibt alle Gesund!
LG
Eure Shio~ Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  fubukiuchiha
2022-12-20T18:26:17+00:00 20.12.2022 19:26
Huhu Shio,

etwas spät, aber hier ist das Review ^^''

Mirâ hat frei und zufällig schlendert sie zu Masarus Tempel. Zufällig... Ist klar, Mirâ XD das glaube ich dir sofort. Leider ist Masaru nicht da und sie trifft nur auf Chisato, die sie mit einer Aussage direkt wieder auf 180 bringt XD wenn das Kuraiko wäre, hätte Chisato sich längst eine eingefangen, aber ja. Sie will freiwillig sauber machen, aber da bleibt die Motivation aus, man kennts XD Mirâ hat allerdings ein bisschen was über Chisato erfahren, auch wenn sie darauf ziemlich zickig reagiert. XD aber ich weiß ja, was meine kleine Miko da so treibt. Immerhin ist sie nett zu besuchenden Omas.

Von Chisato geht es sofort weiter zu dem lieben Satoshi, der leider das Pech hat, die eben besagte alte Dame zu berühren und hat leider wieder ne Vision. Junge, ob du willst oder nicht, Mirâ wird dich schon dazu bringen, mit deiner Fähigkeit ins Reine zu kommen und siehe da, unsere werte Protagonistin kann den Sturz der Frau verhindern und hat so Satoshis Vision abgeändert. Take that, Destiny! Ich bin auf jeden Fall gespannt, in was für Situationen die beiden noch kommen werden XD Autos, Treppen, als nächstes Stahlträger?

Der Tag ist für Mirâ immer noch nicht vorbei und als nächstes kommt sie wieder bei der alten Dame vorbei, die das Kyudo Dojo betreibt. Sie will nicht, aber sie muss hingehen XD ich habe das Gefühl, die Alte weiß genau, wie sie mit Mirâ umzugehen hat, um sie aus sich herauszulocken und ich weiß genau, wie sich so ein schöner Bogen in der Hand anfühlt. Ich kann Mirâ auch verstehen, wenn man einen Bogen mit hohem Zuggewicht ziehen will... Da zittern dir die Arme wie Espenlaub XD natürlich trifft man dabei nicht, aber die Fehlschüsse bringen Mirâ eine Lehrmeisterin ein und ich schwöre, wenn Mirâ ein bisschen mit ihr trainiert hat, hagelt es Headshots auf die Shadows XD Auf die Lehrstunden bin ich auch schon gespannt.

Als ob der Tag nicht schon angespannt genug war, geht es am Ende noch mit Alec weiter, der mal wieder Mirâ einen Vorwurf macht, nur um dann ein Kind vor einem Lastwagen zu retten. Mirâ hat ihre eigene Sicht auf Alec, welche dieser aber anscheinend absolut nicht teilt... Ich fürchte, dieser Link wird noch ein sehr düsteres Geheimnis lüften. Es bleibt aber definitiv spannend.

Schade, dass es mit den neuen Kapiteln erst im nächsten Jahr weitergehen wird XD auch wenn es nur noch 11 Tage sind.
Auf jeden Fall wünsche ich dir schöne Feiertage und einen guten Rutsch.

Lg Fubuki


Zurück