Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 90: XC – Mirâs Wutausbruch ---------------------------------- Montag, 07.September 2015 Müde schaute Mirâ aus dem Fenster der U-Bahn und beobachtete, wie die grauen Wände an ihr vorbeihuschten. Die Sommerferien waren vorbei und der normale Alltag würde sie nun wieder heimsuchen. Auch das Wetter schien sich dieser Situation anzupassen, dann schon vor einigen Tagen hatte die Luft begonnen sich abzukühlen. Es war noch nicht so kalt, dass man zwingend eine dicke Jacke brauchte, doch für ein einfaches Shirt war es ihrer Meinung nach schon wieder zu frisch. Da war sie ganz froh, dass Anfang September der Wechsel von der Sommeruniform auf die Winteruniform stattfand und sie so bereits die Jacke und ihre schwarzen Overknees wieder tragen konnte. Ansonsten hätte sie wohl auf dem Weg zur U-Bahn mächtig gefroren. Sie seufzte, während es hinter der Scheibe wieder heller wurde und die Bahn kurze Zeit später in die nächste Station einfuhr. „Nächster Halt: Tsukimi-kû Zentralstation. Tsukimi-kû Zentralstation“, ertönte es aus den Lautsprechern und ließ die junge Frau sich erheben. Hier musste sie umsteigen, um mit der Hahen Linie bis zur Zentralstation von Jûgoya-kû zu fahren. Von dort aus hatte sie dann die Möglichkeit zu laufen oder in die Taiô Linie umzusteigen und bis zu ihrer Schule zu fahren. Meistens jedoch entschied sich die junge Frau für den Fußweg. Von der Zentralstation aus war es nicht wirklich weit. Häufig war man zu Fuß auch schneller, da die U-Bahn einmal quer durch das Stadtviertel fuhr, während man so den direkten Weg nehmen konnte. Dem Strom folgend verließ Mirâ den Bahnsteig, um den der Hahen Ringlinie eine Etage tiefer zu erreichen. Auf diesem angekommen sah sich die Violetthaarige um, auf der Suche nach ihrer besten Freundin mit welcher sie sich hier treffen wollte. „Guten Morgen…“, ließ sie eine übermüdete Stimme sich umdrehen. Daraufhin fiel ihr Blick auf gesuchtes Mädchen, welches durch ihr zerzaustes Haar und ihre faltige Uniform ganz schön zerknittert aussah. Dunkel Ringe lagen unter ihren roten leicht geschwollenen Augen, die Mirâ müde ansahen. Allgemein wirkte Akane an diesem Tag nicht so, als würde es ihr gut gehen. Andererseits konnte es die Violetthaarige verstehen. Sie hatte am Abend zuvor noch mit der Brünetten telefoniert, wo diese ihr unter Tränen erzählt hatte, dass Yasuo im Frühjahr wohl Kagaminomachi verlassen würde, um in Aehara auf die Universität zu gehen. Sie hatte Angst, den Kontakt zu ihm zu verlieren und wusste nicht, was sie nun machen solle. Beruhigend hatte Mirâ auf ihre beste Freundin eingeredet und ihr erklärt, dass es ja kein Abschied für ewig sei und Aehara im Grunde nur ein Katzensprung entfernt lag. Sie konnte ihn also trotzdem jederzeit besuchen und sehen. Außerdem bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass er weiterhin in Kagaminomachi blieb und nur pendelte. Natürlich konnte sie die Brünette verstehen, immerhin würde es ihr wohl genauso ergehen. Wenn sie erfahren würde, dass ihr Schwarm sie alsbald verlassen würde, wäre sie wahrscheinlich genauso niedergeschlagen. Aus diesem Grund war es auch ihre Aufgabe als Freundin Akane eine seelische Stütze zu sein. „Deine Nacht schien nicht besonders gut gewesen zu sein…“, erwähnte sie vorsichtig, woraufhin die Angesprochene seufzend den Kopf hängen ließ. „Nein… ich habe versucht zu schlafen, aber jedes Mal musste ich an das Gespräch mit Senpai denken und hab angefangen zu weinen. Ich konnte es nicht unterdrücken. Meine Mutter hat mich beim Frühstück schon gefragt, ob ich Liebeskummer habe… an das Gespräch danach mit meinem Vater mag ich gar nicht mehr denken“, murmelte die Brünette mit gesenktem Blick, „Und dann beginnt heute die Schule wieder… echt ätzend. Außerdem weiß ich nicht, wie ich mich Senpai gegenüber verhalten soll…“ „Naja es ist ja nicht so, als hättest du ihm ein Geständnis gemacht oder so. Also solltest du vielleicht versuchen dich normal zu verhalten?“, versuchte die Violetthaarige zu helfen, wobei sie selber keine wirkliche Ahnung hatte, was ihre Freundin nun tun sollte. Sie steckte immerhin nicht in der gleichen Situation oder hat jemals in einer solchen gesteckt. Ob sie da überhaupt das Recht hatte irgendwelche Tipps zu geben, mochte sie bezweifeln. Aber Kommentarlos konnte sie es auch nicht belassen, immerhin würde sich sonst auch ihre Freundin nicht ernst genommen fühlen. Diese seufzte schwer und hob den Blick, als durchgesagt wurde, dass der Zug nun einfahren würde: „Das ist einfacher gesagt als getan…“ Die Bahn fuhr ein und die beiden Mädchen stellten sich zu den anderen wartenden Menschen an die Markierungen, die Gedrängeln beim Ein- und Ausstieg verhindern sollten. Besorgt sah Mirâ die niedergeschlagene Brünette an und wusste nun auch nicht mehr, was sie noch dazu sagen sollte. Das Thema war wirklich nicht einfach, doch würde sich Akane in Yasuos Gegenwart anders verhalten als sonst, dann würde er doch mit Sicherheit irgendwann stutzig werden und nachfragen. Eigentlich gab es nur die Möglichkeit, dass die junge Frau ihm erklärte, was sie bedrückte. Doch dann müsste sie ihm auch ihre Gefühle gestehen und da lag nun wieder das nächste Problem. Würde der Ältere die Gefühle ihrer besten Freundin nicht erwidern würde ihr das das Herz brechen. Ganz zu schweigen von den Problemen, die sich innerhalb der Gruppe ergeben würden. Andererseits würde Mirâ es der Brünetten gönnen, wenn Yasuo die gleichen Gefühle wie sie hätte. Sie seufzte leise und folgte der jungen Frau vor sich in den Zug, wo sie sich schweigend einen Platz suchten. Es war wirklich kompliziert. Wären sie ganz normale Schülerinnen gewesen ohne die Kraft einer Persona oder wäre der Schwarm ihrer besten Freundin nicht ebenfalls in ihrer Gruppe, sie hätte ihr sofort geraten mit ihm darüber zu sprechen. Aber so… „Oh… Hiroshi kommt heute nicht zur Schule…“, holte sie Akanes Stimme aus den Gedanken. Fragend richtete sie ihren Blick auf die Brünette, welche ihr Smartphone in der Hand hatte und eine Nachricht las, welche offenbar von dem Blonden kam. Diese bemerkte den Blick ihrer Kameradin und sah sie nun ebenfalls an: „Er hat sich wohl gestern Nachmittag beim Fußball lang gemacht und ist auf seine Hand gefallen. Heute Morgen war sie wohl blitzeblau, deshalb lässt er sich von seinem Vater erstmal ins Krankenhaus bringen, um das abchecken zu lassen. Dadurch schafft er es aber nicht zum Unterricht, ich soll ihn bei Frau Masa für heute entschuldigen.“ „Ach so… hoffentlich ist es nichts Schlimmes“, meinte die Violetthaarige mit einem besorgten Blick, welchen sie wieder aus dem Fenster richtete, während sich der Zug in Bewegung setzte. Die ersten vier Unterrichtsstunden bis zur Mittagspause zogen sich wie Gummi, was vor allem für Akane ein Problem war. Mirâ hatte nicht nur einmal Mühe ihre beste Freundin davon abzuhalten einzuschlafen, welche deshalb die 10 Minuten Pausen zwischen den Stunden für ein kurzes Nickerchen nutzte, sofern sie nicht den Raum wechseln mussten. Umso erleichterter war sie, als es endlich zur Mittagspause klingelte. Schnell hatte sie sich erhoben und ihren Rücken durchgestreckt, bevor sie vorgeschlagen hatte gemeinsam auf dem Dach zu essen. Die kurzen Nickerchen zwischendurch schienen ihre Wirkung zu zeigen, denn die junge Frau wirkte schon wieder etwas entspannter, als noch am frühen Morgen. Erleichtert darüber erhob sich auch Mirâ und machte sich mit ihrer besten Freundin auf den Weg zum Dach. Unterwegs wurden sie jedoch von Shuya und einem ihr noch unbekannten jungen Mann aufgehalten, welcher sich als Naoto Obata vorstellte. Der Violetthaarigen blieb dabei nicht unbemerkt, wie Akane das Gesicht verzog, als sie den Brünetten erkannte. Die zwei schienen sich also zu kennen und die junge Frau nahm sich vor, ihre Freundin bei Gelegenheit danach zu fragen. Stattdessen wandte sie sich erst einmal den beiden jungen Männern zu, welche sich nun zu ihnen gesellten und nachfragten, ob sie wüssten wo Hiroshi wäre. Shuya hätte ihn an diesem Tag noch nirgends gesehen und konnte ihn auch nicht via Chat erreichen. Schnaufend hatte Akane ihren Blick von Naoto genommen und die Arme vor der Brust verschränkt, während sie erzählte was ihr der Blonde am frühen Morgen geschrieben hatte. „Dann scheint der Sturz gestern doch schlimmer gewesen zu sein als gedacht“, mischte sich Naoto plötzlich ein. Noch einmal schnaubte die Brünette und zog eine Augenbraue in die Höhe: „Klingt so, als wart ihr dabei?“ Shuya begann plötzlich zu kichern, als er an die Szene zurückdenken musste und erklärte, dass der Blonde unglücklich aufgetreten war und deshalb einen spektakulären Sturz hingelegt hatte. „Sah schon lustig aus, wie er plötzlich verschwunden war…“, kicherte der Blau-Violetthaarige. Er zuckte plötzlich zusammen, als Naoto ihm einen Klaps auf den Hinterkopf verpasste und ermahnte, dass das nicht lustig sei. Doch wirklich ernst nehmen konnte man diese Aussage nicht, denn man sah ihm an, dass er sich selber zurückhalten musste nicht zu lachen. Genervt stöhnte Akane auf und wandte sich nun endlich wieder der Treppe zu, welche sie hinaufstieg: „Oh man… da hat er sich ja ein paar schöne Freunde geangelt…“ Ohne weiter darauf einzugehen folgte die Violetthaarige ihrer Freundin, drehte sich aber trotzdem noch einmal um und sah wie die beiden Jungs plötzlich in schallendes Gelächter ausbrachen. „Oh Mann, solche Idioten…“, schimpfte Akane, während sie sich auf die niedrige Mauer setzte, die das Schuldach umgab. „Es schien als würdest du Obata-kun kennen…“, begann Mirâ vorsichtig, weil sie nicht wusste wie sensibel dieses Thema war. „Ich kann ihn nicht leiden!“, reagierte die Angesprochene genauso, wie die Violetthaarige es erwartet hatte. Ihre Freundin öffnete ihre Bentobox und fischte sich ein Sandwich heraus, welches darin lag, bevor sie erzählte, dass sie in der Mittelstufe ständig mit ihm Probleme hatte. Und nicht nur sie… auch Hiroshi war ständig mit diesem Idioten aneinandergeraten, weshalb sie absolut nicht verstand, wie er sich mit ihm verstehen konnte. Zwar hatte der Blonde ihr versichert, dass Naoto sich geändert hatte, jedoch änderte das nichts an ihrer Meinung zu ihm. Mirâ nickte und sie musste an das Gespräch denken, welches die beiden Freunde den einen Abend in der U-Bahn geführt hatten, während sie so tat als würde sie schlafen. Nun verstand sie auch, worum es damals ging und wieso die Brünette während ihrer Mission so sauer auf den Blonden war. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie ihr Mittagessen ebenfalls auspackte und daran dachte, wie froh sie war, dass sich die beiden an dem Abend wieder vertragen hatten. Sie verband eine besondere Freundschaft, die Mirâ bisher niemals erfahren hatte und dafür beneidete sie ihre Freunde sehr. „Entschuldigung…“, holte sie eine weibliche Stimme aus den Gedanken. Überrascht sah sie auf, woraufhin ihr Herz einen kurzen Aussetzer machte, als sie auf ein Mädchen blickte, deren hellbraune Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Mirâ erkannte sie sofort als die junge Frau wieder, die sie nun schon mehrmals in Hiroshis Nähe gesehen hatte, weshalb in ihr wieder leichte Eifersucht aufstieg. Die Brünette trug eine schwarze Kapuzen-Sweatjacke, deren Ärmel sie bis zu den Ellenbogen hochgezogen hatte. Darunter erkannte Mirâ eine weiße Bluse, welche definitiv nicht zur Schuluniform gehörte. Unter dem Saum der schwarzen Jacke schaute der rote Faltenrock hervor und um ihre Beine schmiegten sich weiße Overknees. Mit fragenden dunkelbraunen Augen sah sie die beiden jungen Frauen an, vermied dabei allerdings jeglichen Augenkontakt, was Mirâ schon etwas unhöflich vorkam. Auch Akane blickte nun auf und sah ihr Gegenüber fragend an: „Können wir die helfen?“ Die Brünette nickte und fragte nach, ob es sich bei der Dunkelbrünetten um eine gewisse Akane Chiyo handelte. Gesuchte nickte: „Und was möchtest du von mir?“ „Ein Glück hab ich dich gefunden. Ich hätte eine Bitte“, freute sich die Andere und griff in ihre Jackentasche, bevor sie einen kleinen USB-Stick hervorholte, „Shuyan meinte, du bist sehr gut mit Hiro befreundet. Könntest du mir einen Gefallen tun und ihm den Stick zurückbringen?“ Akane zog eine Augenbraue in die Höhe: „Kannst du ihm das Teil nicht selber zurückgeben?“ „Würde ich, wenn ich könnte. Aber heute Nachmittag habe ich Basketballtraining und danach muss ich gleich Nachhause. Leider kann ich Hiro aktuell nur in der Schule treffen, aber ich weiß ja nicht, ob er die Woche noch einmal wiederkommt. Und ich möchte den Stick nicht länger als nötig behalten, sonst vergesse ich es“, kam prompt eine Erklärung, „Und Shuyan meinte, dass du Hiro wahrscheinlich eh die Unterlagen von heute vorbeibringen würdest. Ich bitte dich.“ Murrend nahm Akane den Stick entgegen und schimpfte dann über Shuya, welcher nicht einfach irgendwelche Leute zu ihr schicken solle, für die sie Botengänge erledigen musste. Dabei bemerkte die Violetthaarige einige ziemlich dunkle Flecken auf dem Unterarm des Mädchens, die diesen schnell zurückzog, sich kurz darauf verbeugte und von den beiden verabschiedete. Mirâ sah ihr nach und bemerkte nicht einmal, was für einen bösen Gesichtsausdruck sie dabei machte. Sie hatte die Brünette genau beobachtet und dabei war ihr aufgefallen, dass sie während des Gesprächs wieder jeglichen Augenkontakt zu Akane vermieden und stattdessen an dieser vorbeigeschaut hatte. Abgesehen davon, dass die junge Frau das mehr als unhöflich fand, regte sie jedoch mehr auf, dass das Mädchen über Hiroshi so vertraut sprach. So als würde sie ihn schon ewig kennen. Wieder einmal stieg Eifersucht in ihr auf, doch verschwand diese mit einem Male wieder, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Erschrocken sah sie zu ihrer Freundin. „Lass uns lieber in die Klasse gehen und dort weiter essen“, sagte Akane und zeigte dann gen Himmel, „Das da gefällt mir nicht…“ Irritiert richtete die Violetthaarige ihren Blick gen Himmel und erkannte eine tiefschwarze Wolke, welche sich in einem doch beachtlichen Tempo über die Felsen des Gebirges schob, das die kleine Stadt umgab. Leises Grummeln war zu vernehmen, was mit jeder Minute näherkam. Ein Unwetter schien sich anzubahnen. Die junge Frau seufzte leise und nickte dann, bevor sich beide Schülerinnen erhoben und wieder zurück ins Schulhaus gingen. Verunsichert stand Mirâ am Nachmittag vor den Toren eines teuer wirkenden Apartmenthochhauses und schielte unter ihrem Schirm hervor hinauf zur Spitze, welche weit in den Himmel reichte. Ein Wassertropfen traf sie im Gesicht, weshalb sie den roten Schirm schnell wieder über sich zog und dann auf ihr Smartphone schaute, welches sie in der anderen Hand hielt. Auf ihrem Display war in der Navigations-App ein Ziel markiert, an welchem sie sich laut der netten Computerstimme nun befinden sollte. Akane hatte ihr die Koordinaten geschickt, damit sie sich hierherfand. Aufgrund des Unwetters war bei der Violetthaarigen der Kyudoclub ausgefallen, weshalb ihre Freundin sie gebeten hatte an ihrer Stelle zu Hiroshi zu gehen, um ihm die Unterlagen des Tages vorbeizubringen. Die junge Frau hatte erst protestiert und gemeint, dass sie ja gar nicht wisse, wo der Blonde wohnte, doch das hatte die Brünette nicht gelten lassen und ihr stattdessen die Koordinaten geschickt. Und nun stand sie hier, die Unterlagen und den USB-Stick von dem fremden Mädchen in der Tasche, und wusste nicht so recht was sie nun machen sollte. Es war nicht so, dass sie ihrem Kumpel nicht helfen wollte, jedoch war es ihr doch etwas unangenehm zu diesem Nachhause zu gehen. Zumal sie immer noch peinlich berührt war wegen der Sache am Samstagabend. Nicht nur, dass er sie in ihrer knappen Uniform der Karaokebar gesehen hatte, sie war auch noch eifersüchtig auf seine Cousine geworden. Ob er das wirklich mitbekommen hatte, wusste sie nicht, aber peinlich war es ihr trotzdem gewesen. Vor allem, weil sie plötzlich geflüchtet war, als sie erfahren hatte wer Shina wirklich war. Scham stieg in ihr auf, während sie daran dachte und sie entschied sich, ihrem Kumpel die Sachen abzufotografieren und dann per Chat zu schicken. Doch kaum hatte sie sich umgedreht und wollte gehen, machte sie eine erneute Drehung und betrat leise fluchend das Gebäude. Seufzend schloss sie ihren Schirm und sah sich um. Sie stand inmitten einer großen Empfangshalle auf deren rechte Seite eine große Scheibe war, die den Einblick in ein kleines Büro gab. Jedoch konnte sie dort niemanden vorfinden, weshalb sie das Zimmer erst einmal ignorierte. Ihr gegenüber befanden sich zwei Fahrstühle, über welchen Haus A und B stand und zu ihrer rechten Seite fand sie Briefkästen vor, welche sich beinahe über die komplette Länge der Wand zogen und ebenfalls in Haus A und B unterteilt waren. Unschlüssig wo sie nun genau hin musste stand sie also da und verfluchte ihre Freundin für diese überaus glorreiche Idee gerade sie hierher zu schicken, die noch nie bei dem Blonden Zuhause war. Für einen Moment hatte sie die Idee die Unterlagen einfach in den Briefkasten zu schmeißen, doch musste dann wieder feststellen, dass sie ja trotzdem nicht wusste in welchem der beiden Blöcke Hiroshi überhaupt wohnte. Wenigstens das hätte Akane ja noch erwähnen können. Sie nun zu fragen brachte jedoch auch nichts, da sie aktuell beim Judotraining war. Aber was sollte sie nun machen? „Kann ich dir helfen, junges Fräulein?“, holte sie eine männliche Stimme aus ihren Gedanken. Erschrocken drehte sie sich um und erkannte einen Mann mittleren Alters mit hellbraunem, leicht grau meliertem Haar, welches ordentlich zurückgekämmt war. Er trug einen teuer wirkenden dunkelblauen Anzug und hielt in der einen Hand eine schwarze Aktentasche und in der anderen einen dunkelgrauen zusammengeklappten Schirm. Mit dunkelblauen Augen lächelte er die junge Frau freundlichen an. Erschrocken wich sie ein kleines Stück zurück, als ihr die Ähnlichkeit zu einer bestimmten Person auffiel. Wobei Ähnlichkeit schon fast untertrieben war, denn das Gesicht des Mannes glich fast eins zu eins dem von Hiroshi, nur dass es vom Alter gezeichnet war. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, entschuldigte sich der Mann plötzlich, „Du gehst auf die Jûgoya oder? Suchst du etwas?“ Es dauerte einen Moment, bevor Mirâ aus ihrer Starre erwachte und endlich ihre Sprache wiederfand: „Ähm… J-Ja entschuldigen Sie. I-Ich wollte zu einem Klassenkameraden, um ihm die heutigen Schulaufgaben zu bringen. Ähm… S-Sein Name ist Hiroshi Makoto.“ Ein überraschter Blick traf sie, welcher sich jedoch gleich wieder in ein Lächeln verwandelte: „Oh? Ich wusste gar nicht, dass Hiroshi so hübsche Mädchen kennt.“ Verlegen über dieses Kompliment senkte die Violetthaarige den Blick und lief rot an, bevor ihr einfiel, dass sie die Unterlagen ja eigentlich gleich weiterreichen und dann ganz schnell verschwinden könnte. Doch gerade als sie wieder aufblickte bemerkte sie, dass der Mann bereits zum Fahrstuhl gegangen war und diesen gerufen hatte. „Möchtest du gleich mit hochkommen und Hiroshi die Unterlagen geben?“, fragte er anschließend. Überrascht sah die junge Frau ihn an, weshalb er erst einmal zu bemerken schien, wie merkwürdig das rüberkam. Deshalb räusperte er sich einmal kurz und kam dann noch einmal auf sie zu, ehe er ihr eine Visitenkarte vorhielt. „Entschuldige, das war unhöflich und klang sicher etwas merkwürdig. Ich bin Hiroshis Vater“, stellte er sich anschließend mit einem verlegenen Lächeln vor, „Hiroshi kommen so selten junge Damen besuchen, da war ich doch glatt etwas neben der Spur.“ Höflich nahm die Oberschülerin das angebotene Kärtchen mit beiden Händen entgegen und las die schwarze fein säuberliche Aufschrift: „Makoto Hiroki – Anwalt für Strafrecht“ Überrascht sah sie den älteren Herren wieder an, als sie bemerkte, dass er sogar einen ähnlichen Vornamen wie ihr Kumpel hatte. Zudem verstand sie nun auch, wie sich die Familie eine westliche Wohnung in einem doch recht teuren Apartmenthaus leisten konnte. „Oh der Fahrstuhl…“, holte sie die Stimme von Hiroshis Vater wieder aus den Gedanken, „Möchtest du nun mit hochkommen?“ Eigentlich hätte Mirâ die Unterlagen einfach weiterreichen und dann gehen sollen, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund nickte sie nur und stieg dann mit in den Fahrstuhl, welcher die beiden in das siebte Stockwerk fuhr. Während der Fahrt nach oben schwiegen die beiden Parteien. Allerdings beobachtete die Schülerin den Erwachsenen aus dem Augenwinkel dabei, wie er in seine Jackett-Innentasche griff und ein Smartphone herauskramt und etwas zu lesen schien. Trotz seines ihm anzusehenden Alters sah er Hiroshi wirklich zum Verwechseln ähnlich. Selbst ihre blauen Augen glichen sich. Genau wie die ihres Kumpels, strahlten die seines Vaters eine herzliche Freundlichkeit aus, die einem das Herz wärmte. Ihr blick fiel auf seine für japanische Verhältnisse auffallend hellen Haare und ihr kam der Gedanke, ob die Haare des Blonden eigentlich auch diese Farbe besaßen. Zudem wirkte er nun, im Gegensatz zu ihrem ersten Aufeinandertreffen, ziemlich souverän. „Ob Hiroshi auch zu so einem stattlichen Mann wird, wenn wir erwachsen sind?“, ging ihr durch den Kopf, doch erschrak über ihren Gedanken und lief dabei rot an. Was dachte sie da eigentlich? Hiroshi war doch nur ihr Kumpel, ein Klassenkamerad und Teamkollege. Wieso also driftete sie immer und immer wieder in solche Gedanken ab? Es war ja nicht nur das. Auch ihre ständig aufkommende Eifersucht, wenn sie den Blonden mit einem Mädchen außerhalb ihrer Gruppe sah, war mittlerweile auffällig. Doch wieso nur? Sie war sich doch eigentlich sicher, dass er nur ein Freund für sie war. Nicht mehr. Aber immer wieder kamen ihr solche und ähnliche Gedanken und das machte ihr etwas Angst. Sie schüttelte den Kopf und versuchte so ihre Gefühle wieder in den Griff zu bekommen. „Ist alles in Ordnung, junges Fräulein?“, holte sie die Stimme von Hiroshis Vater wieder in das Hier und Jetzt. Etwas erschrocken sah sie auf und bemerkte nun, dass die Tür des Fahrstuhls wieder geöffnet war und der Mann bereits in den Gang getreten war und sie fragend ansah. Sofort war sie wieder komplett da und lächelte freundlich, während sie ihm in den Gang folgte. Ihr Lächeln wurde erwidert, bevor sich der Ältere wieder in Bewegung setzte. Kurz darauf traten beide auf einen Balkonähnlichen Gang, der die gesamte Länge des Gebäudes einzunehmen schien. Auf der linken Seite reihten sich mehrere Türen in gebürtigem Abstand voneinander auf, während man auf der rechten Seite hinaus auf die Straße blicken konnte. Es regnete immer noch, sodass der Boden durch den hereinfallenden Regen leicht nass war. Mirâ folgte dem Brünetten bis fast zum Ende des Ganges, wo er schlussendlich vor einer schwarzen Tür zum Stehen kam und diese aufschloss. „Komm ruhig rein“, bat er, während er eintrat, sich ordentlich die Schuhe auszog und dann endgültig in die Wohnung trat. Mirâ blieb etwas verunsichert im Eingangsbereich stehen und blickte sich um. Vor ihr erstreckte sich ein länglicher Flur an dessen Ende sich eine angelehnte Tür befand, die den Blick auf die Ecke eines hellen Sofas preisgab. Anscheinend befand sich dort das Wohnzimmer. Rechts daneben machte der Flur einen Knick und führte wohl weiter in die Wohnung hinein. An der Wand zu ihrer Linken befanden sich zwei Türen. Eine in ihrer unmittelbaren Nähe und eine am Ende des Flures, da beide allerdings geschlossen waren konnte die junge Frau nicht sagen, was sich dahinter befand. An der Wand zu ihrer Rechten stand ein niedriges Schuhregal, auf dem eine Schale lag, in die der Brünette seine Schlüssel legte, bevor er kurz darauf rechts in dem Gang verschwunden war. Sie vernahm ein leises Klopfen und die Stimme von Hiroshis Vater, bevor sie hörte wie sich eine Tür öffnete. Sie hörte wie sich die beiden Männer kurz unterhielten, jedoch war es zu leise, um etwas zu verstehen. Schnelle Schritte erklangen, bevor einen Moment später Hiroshi am Ende des Flures auftauchte und sie mit verwirrtem Blick ansah. „Wo ist denn Akane?“, fragte er etwas überfordert, da er anscheinend mit seiner Sandkastenfreundin gerechnet hatte. Leicht verlegen verschränkte Mirâ die Hände hinter dem Rücken und erklärte, dass Akane sie gebeten hatte herzukommen, da ihr Klub aufgrund des schlechten Wetters ausgefallen war. Hiroshi trat näher: „Sie hat gar nicht gesagt, dass du vorbeikommst. Hast du dich denn gut hergefunden?“ „Naja bis hierher hat es ganz gut funktioniert…“, lächelte die junge Frau verlegen, „Und hier hoch hat mir dein Vater geholfen. Ich war echt ein wenig überfordert…“ „Akane hat dir nicht gesagt, wo genau du hin musst oder? Oh Mann, dieses Weib“, genervt wischte sich der junge Mann mit der linken Hand übers Gesicht. „Willst du deinen Besuch nicht hereinbitten, Hiro?“, fragte plötzlich der ältere Mann, woraufhin er von dem Blonden nur angekeift wurde, dass er endlich verschwinden solle. Erschrocken war Mirâ leicht zusammengezuckt, doch der Brünette hatte darauf nur gelächelt und war dann in dem Raum am Ende des Flures verschwunden. Während der Oberschüler nur genervt seufzte und sie dann trotzdem freundliche hereinbat. Mit einem Lächeln lehnte die junge Frau jedoch ab und kramte stattdessen die Unterlagen aus ihrer Tasche, die sie ihrem Kumpel dann überreichte. „I-Ich wollte dir nur die Unterlagen bringen und dann gleich wieder nachhause“, erklärte sie anschließend. Sie wollte nicht unhöflich sein, jedoch war es ihr dann doch zu unangenehm. Sie waren zwar Freunde, jedoch gehörte es sich für ein junges Mädchen nicht, einfach in das Zimmer eines Jungen zu gehen. Jedenfalls war das ihre Auffassung der Dinge, obwohl sie wahrscheinlich mittlerweile gefühlt die Einzige mit dieser Einstellung war. Trotzdem hielt sie daran fest. „Schade…“, der Blonde nahm ihr mit der linken Hand die Papiere ab und lehnte sich dann gegen die Garderobe, während er einen Blick auf die Schriftstücke warf. Mirâ beobachtete ihn einen kurzen Moment. Dabei fiel ihr auf, dass er seine Haare nicht wie sonst zusammengebunden hatte, weshalb sie ihm leicht auf die Schultern fielen. Er trug ein schwarzes Shirt mit einem großen „Disturbed“-Aufdruck. Die junge Frau nahm an, dass es sich dabei um eine westliche Band handelte. Sie kannte sich mit westlicher Rockmusik nicht aus, jedoch wusste sie mittlerweile, dass ihr Kumpel so etwas hörte. Dazu trug er eine graue Trainingshose mit weißen Streifen, die ihm etwas zu lang war und deshalb seine nackten Füße leicht verdeckte. Ein leichter Rotschimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt, während sie den jungen Mann beobachtete. Auch wenn es recht schlampig wirkte, so musste sie sich eingestehen, dass der Aufzug dem jungen Mann stand. Bevor sie jedoch tiefer in diese Gedanken eintauchte fiel ihr Blick auf seine rechte Hand, welche in einen weißen Verband gewickelt war. „Ist es sehr schlimm?“, fragte sie plötzlich, während ihr Blick auf seiner Hand hängen blieb. „Hm?“, fragend sah der Angesprochene von den Unterlagen auf und dann auf seine Hand, die er leicht anhob, „Nein… nur verstaucht. Allerdings ziemlich geschwollen. Das wird einige Zeit dauern bis es verheilt, deshalb soll ich die Hand nicht so stark belasten.“ Er grinste und bewegte seine verletzte Hand leicht, woraufhin er jedoch zusammenzuckte. Besorgt wollte die junge Frau gerade ansetzen und fragen, wie es mit der Schule weitergehen würde, da wurde sie aber bereits wieder unterbrochen, als sich hinter ihr mit einem metallenen Geräusch die Tür öffnete. Überrascht drehte sie sich um und erkannte dann eine ältere Frau mit dunkelbraunem langem Haar, welches sie zu einem ordentlichen Dutt gebunden hatte. Sie trug ein anliegendes dunkles Kleid mit langen Ärmeln, welches ihr bis knapp über die Knie reichte und dazu schwarze Absatzschuhe. In ihren Händen hielt sie zwei Einkaufstüten, die sie nun auf den Boden stellte, bevor sie ihre braunen Augen wieder auf Mirâ richtete. „Was ist denn hier los? Hiroshi wer ist dieses Mädchen?“, fragte sie plötzlich mit einer so kalten Stimme, dass es der Violetthaarigen eiskalt den Rücken herunterlief. Sie reagierte mit einem Male ganz automatisch und verbeugte sich höflich: „M-Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Ich freue mich Sie kennenzulernen. I-Ich gehe in Hiroshi-kuns Klasse u-und habe ihm die Unterlagen von heute vorbeigebracht.“ „Ach so?“, fragte die Brünette nur, während sie ihre Schuhe auszog, die Einkaufstüten nahm und dann einfach an der Schülerin vorbei ging, „Wollte nicht Akane-chan vorbeikommen?“ „Sie hat noch Klubaktivitäten und hat deshalb Mirâ gebeten, deren Klub ausgefallen ist…“, erklärte der junge Mann, während seine Mutter an ihm vorbeiging ohne weitere Kenntnis von Mirâ zu nehmen. Diese schluckte schwer, auf dieses kalte Verhalten und sah ihren Kumpel an, welcher ihr nur ein entschuldigendes Lächeln schenkte. Die Brünette richtete ihren Blick auf ihren Sohn und beschwerte sich darüber, wie er es überhaupt wagen konnte wieder einmal so schlampig herumzulaufen und so auch noch Besuch zu empfangen. Kopfschüttelnd öffnete sie die Tür, welche sich links am Ende des Flures befand und war kurz darin verschwunden. „Also wirklich… und denk ja nicht, dass du wegen deiner Hand jetzt auf der faulen Haut liegen kannst, Freundchen. Egal ob mit oder ohne verletzte Hand, morgen gehst du wieder in die Schule.“, meckerte sie, während sie wieder in den Flur trat und mit Verachtung auf die verletzte Hand ihres Sohnes schaute, „Hoffentlich war dir das endlich mal eine Lehre und du hörst auf mit diesem Schwachsinn. Du siehst ja wohin das führt, außerdem lenkt es dich von deinen schulischen Leistungen ab, zumal du damit sowieso keinen Erfolg haben wirst. Aber du machst ja eh immer was du willst, anstatt dir ein Beispiel an deinem Bruder zu nehmen.“ Sie seufzte: „Wirklich… wärst du nur annährend so wie Rin, wir hätten wesentlich weniger Probleme und müssten uns nicht so für dich schämen…“ Geschockt sah Mirâ auf die ältere Frau, die anscheinend nichts Besseres zu tun hatte, als ihren eigenen Sohn vor seinen Freunden nieder zu machen. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie sich ihr Kumpel verkrampft hatte. Seine gesunde Hand verkrampfte sich um die Unterlagen, die er darin hielt, und sie konnte ganz deutlich hören, wie er mit den Zähnen knirschte. Offensichtlich biss er sich auf die Zunge, um nicht auszuflippen. So langsam bekam sie ein Bild davon, wie es bei ihm ablief. Bisher hatte er ihr davon ja nur erzählte. Wie streng seine Mutter mit ihm umging, merkte man auch daran, dass er es sich traute seinen Vater wegen einer Lappalie anzuschnauzen, während er den Frust der älteren Frau gegenüber zu schlucken versuchte. Auch in ihr stieg langsam Wut an, denn sie verstand nicht, wie diese Frau so herzlos über ihren Sohn meckern und ihm sein liebstes Hobby runter machen konnte. Und wie konnte sie ihm einfach ins Gesicht sagen, dass sie sich für ihn schämte? Ihr Kumpel tat ihr leid. Wie… „Wie können Sie nur so herzlos sein?“, platzte es plötzlich aus der jungen Frau heraus, woraufhin sie jeweils ein braunes und ein blaues Augenpaar traf. Sie wusste nicht wieso, doch es kam plötzlich über sie. Es musste raus. Ihre in kürze angestaute Wut über so viel Unverständnis musste sie loswerden und so plätscherte es nur so aus ihr heraus: „Wie können Sie ihren Sohn nur so herunterputzen und das in Gegenwart einer seiner Freunde? Das ist gemein und absolut unnötig. Hiroshi-kun ist so ein herzensguter Junge und hat für alle immer ein offenes Ohr, wenn man Probleme hat. Und das obwohl er selber genug eigene Probleme hat. Und dann machen Sie ihn so fertig und vergleichen ihn mit seinem großen Bruder, der ein völlig anderer Mensch ist. Ich kenne Rin-san nicht, aber ich weiß, dass Sie kein Recht haben einen Vergleich zwischen den Beiden zu ziehen. Hiroshi-kun ist nicht der Ersatz für seinen Bruder, er ist ein Mensch für sich und gut so, wie er ist. Mit all seinen kleinen Macken und Makeln, denn genau diese machen ihn doch aus und zu dem Menschen, der er ist. Das sollten Sie endlich lernen zu akzeptieren.“ Mit großen Augen sahen die ältere Frau und ihr Kumpel sie an, während sie langsam realisierte, was da gerade geschehen war. Sie hatte einer vollkommen fremden Frau einfach so unvermittelt die Meinung gesagt. Schnell hielt sie sich den Mund zu und befürchtete bereits das Schlimmste. Doch noch bevor die Brünette reagieren konnte, hatte sich Hiroshi in Bewegung gesetzt, sich ein paar Schlappen übergezogen, die Violetthaarige am Oberarm gepackt und aus der Wohnung gezogen. Mit einem schweren Ton fiel die Wohnungstür ins Schloss, während der Blonde sie eilig durch den Gang zu dem Fahrstuhl führte. Mirâ sagte nichts, betrachtete nur den Fußboden und ließ sich von dem jungen Mann führen, während sie über ihr Verhalten nachdachte. Mit Sicherheit würde das ihrem Kumpel noch Schwierigkeiten bereiten. Schon tat ihr die Aktion auch wieder leid und sie blickte vorsichtig hoch, auf den Rücken ihres Kumpels, welcher sie immer noch sanft, aber bestimmt mit sich zog. Für sie fühlte sich der Weg zum Fahrstuhl plötzlich wie eine Ewigkeit an und sie richtete noch einen kurz den Blick über ihre Schulter, um sicherzugehen, dass ihnen seine Mutter nicht gefolgt war. Die Tür des Fahrstuhls schloss sich hinter den Schülern, während der junge Mann die Taste für das Erdgeschoss drückte und sich dann an die Wand lehnte. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung und man vernahm nur noch das Surren der Motoren, während sich die Kabine langsam nach unten bewegte. Beide hatten ihre Blicke gesenkt und schwiegen, weshalb sich in Mirâ ein ungutes Gefühl breit machte. Hatte sie einen Fehler begangen? War ihr Kumpel nun sauer auf sie? Verdenken konnte sie es ihm nicht, immerhin hatte sie ihm mit Sicherheit Schwierigkeiten bereitet. Sobald er wieder oben war, gab es ganz sicher mächtigen Ärger. Vorsichtig blickte sie auf ihren Kumpel, dessen Blick immer noch gesenkt war. Seine Schultern bebten leicht. Ob alles in Ordnung war? „E-Es tut mir leid, Hiroshi-kun. I-ich weiß nicht, was…“, setzte sie zu einer Entschuldigung an, wurde jedoch unterbrochen, als der Blonde plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach. Irritiert blickte sie ihn an. Was war denn daran so witzig? Sie konnte daran nichts Lustiges finden, immerhin hatte sie ihn in noch größere Schwierigkeiten gebracht. Doch der junge Mann schien die ganze Sache sehr amüsant zu finden. „Wofür entschuldigst du dich denn? Du hättest ihr Gesicht sehen sollen. Unbezahlbar. Ehrlich“, brachte der Blonde nur unter lachen heraus. „A-Aber bekommst du deshalb nicht Ärger?“, fragte sie besorgt. Hiroshi winkte ab und wischte sich die Freudentränen aus den Augenwinkeln, während er erklärte, dass es wahrscheinlich so kommen würde, er aber drüberstehe: „Außerdem hat sie das mal gebraucht. Und für dieses Gesicht nehme ich es gerne im Kauf.“ Wieder begann er zu lachen, während Mirâ daran immer noch nichts Lustiges finden konnte. Sie senkte stattdessen den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie daran dachte, dass ihr Kumpel sowas jeden Tag ertragen musste, wurde ihr schwer ums Herz. Sie fand es nicht fair, dass er so behandelt wurde, nur weil sein Bruder so ein Mustersohn war. Auch wenn er nicht der Musterschüler oder Vorzeigesohn war, sowas hatte er nicht verdient. Eine Hand legte sich auf ihren Kopf und ließ sie den Blick heben, worauf sie in zwei warme dunkelblaue Augen sah, die sie anlächelten. Ein angenehmes warmes Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus, als würden hunderte von Schmetterlingen sich in die Lüfte erheben und darin herumflattern. „Danke, dass du für mich in die Presche gesprungen bist. Das freut mich wirklich. Aber mach dir darüber nicht so viele Gedanken. Okay? Sie ist wie sie ist und ich kann sie leider nicht ändern. Ich habe gelernt damit umzugehen“, sagte ihr Kumpel anschließend mit einem leichten Schulterzucken, doch weiterhin mit diesem Lächeln, welches ihr das Gefühl gab zu fliegen. Sie konnte es nicht leugnen: Es war dieses Lächeln, was sie so sehr an ihm mochte und ihr Wunsch war es, dass er sie immer so anlächeln würde. Die Fahrstuhltür öffnete sich und sie wurde mit einem sanften Schubs hinausgeschoben. Überrascht sah sie auf den jungen Mann, der nun die Hand hob und sie immer noch anlächelte, bevor er sich von ihr verabschiedete. „Wir sehen uns dann morgen in der Schule. Okay? Komm gut Heim und danke nochmal.“ Die Fahrstuhltür schloss sich wieder und zurück blieb eine vollkommen verwirrte junge Frau, deren Gesicht einer Tomate glich. Noch eine gefühlte Ewigkeit blickt sie auf die silberne Tür, welche sie leicht verschwommen reflektierte, bevor sie wieder endgültig zu sich kam und sich abwandte. Sie beruhigte sich langsam, doch das Kribbeln in ihrem Bauch wollte nicht vergehen. Die Schultern angezogen machte sie eine ruckartige Drehung und steckte die Hände in die Tasche ihrer Jacke, während sie sich auf den Weg machen wollte. Doch dann stoppte sie noch einmal, als sie etwas zu greifen bekam und es aus der Tasche zog. Zum Vorschein kam ein kleiner silberner USB-Stick. Mit einem Klatschen, welches in der gesamten Halle widerhallte, haute sie sich ihre flache Hand an die Stirn. Sie hatte vergessen den USB-Stick zu übergeben… Seufzend und sich ärgernd über ihre eigene Vergesslichkeit ließ sie den Kopf sinken und verließ das Gebäude. Dann musste sie ihn halt am nächsten Tag übergeben, denn sie hatte keine Lust bei der Menge an Briefkästen den richtigen zu suchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)