Teach me how to love again von Lelu ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Zehn Jahre zuvor Mit einem Schrei fuhr Charles aus dem Schlaf hoch und sah sich hektisch in seinem Zimmer um. Er lag, schwer atmend, auf dem Rücken und versuchte panisch die Beine zu bewegen. Es ging nicht, er spürte sie nicht. Genauso wie er sie schon seit fünf Wochen nicht mehr spürte. Er hatte sich mittlerweile fast daran gewöhnt. Die angehaltene Luft ausstoßend fuhr er sich mit zwei Händen über das Gesicht und zwang sich ruhig zu atmen. „Schon wieder dieser Traum...“ Seit sie von Kuba zurückgekommen waren, hatte er immer wieder diesen Traum. Er war immer wieder am Strand und versuchte Erik aufzuhalten und immer wieder traf ihn diese eine Kugel. Er spürte diesen quälend stechenden Schmerz und konnte sich im nächsten Moment nicht mehr bewegen. Das schlimmste aber war nicht, dass sein Gefühl aus seinen Beinen gewichen war, das Schlimmste war, dass Erik ihm den Rücken gekehrt hatte und dann verschwand. Er lag am Strand, konnte sich nicht rühren und keiner war da, der ihm half. Dann kam die Flut und mit ihr ein sengender Schmerz, der seinen ganzen Körper ergriff. Und so ertrank er, Nacht für Nacht, in den Fluten seiner Schmerzen und mit der Gewissheit immer allein zu sein. Wenn ihn nicht dieser Traum quälte, dann waren es Träume anderer, die ihn nicht in Ruhe ließen. Ununterbrochen hörte er Stimmen, konnte sie nicht mehr ausschließen oder auseinander halten. So viele Schüler waren gekommen oder von ihm in die Schule geholt worden. Mittlerweile waren es ungefähr sechzig. Weniger als er sich erhofft hatte, aber im Endeffekt mehr, als erwartet. Das Problem war nur, dass er die Gedanken dieser sechzig Schüler immer mitbekam. Nachdem er das Gefühl in seinen Beinen verloren hatte, war seine Gabe stärker geworden und er konnte sie noch nicht richtig kontrollieren. Deshalb konnte er auch die Gedanken anderer nicht mehr aus seinem Kopf vertreiben oder auch nur ignorieren. Er wusste so ziemlich alles über seine Schüler, was natürlich auch ein Vorteil sein konnte. Aber er hätte auch gerne einfach einmal seine Ruhe gehabt und keine einzige Stimme mehr gehört… Zwei Wochen später wünschte er sich, das niemals gedacht zu haben. Nun fuhr er durch die Gänge des leeren Schulgebäudes und sah sich um. Noch vor zwei Wochen waren Schüler durch die Flure gerannt, die Schule hatte gelebt. Charles hätte schwören können, dass sie ein eigenständiges Wesen geworden war, das durch seine Bewohner lebte und es freute ihn, so vielen Mutanten helfen zu können. Die Flure und Räume waren immer erfüllt von Stimmengewirr gewesen. Jetzt schien es, als wäre dieses wundersame Wesen gestorben und er hörte nur das traurige Pfeifen des Windes, der sich durch jede Ritze drückte und zu seiner Niedergeschlagenheit und seiner Trauer betrug. Der Großteil seiner Schüler war zum Wehrdienst eingezogen worden und einige haben sich auch freiwillig dafür gemeldet. Charles hatte sie nicht aufhalten oder ihnen helfen können. Alles reden hatte nichts genutzt, sie mussten zum Wehrdienst antreten. Einen Moment hatte er mit dem Gedanken gespielt, seine Gabe einzusetzen, um sie von dieser Pflicht zu befreien. Aber wenn er einen General manipulierte, würde der nächste kommen und der übernächste…es hatte also keinen Sinn. Wenn er vor zwei Wochen nachts wach gelegen hatte, dann wegen den vielen Stimmen in seinem Kopf. Jetzt lag er wach, weil es zu ruhig war. Außer Hanks Stimme hörte er keine mehr. Alle, die nicht in die Armee eingezogen worden waren, waren nach Hause gegangen, weil sie Angst hatten die Schule würde zu viel Aufmerksamkeit auf sie lenken. Das war der Zeitpunkt gewesen, in dem sich Charles Herz der Außenwelt verschlossen hatte. Er litt unter dem Verlust seiner Schüler. Aber vor allem litt er darunter sich jetzt wieder an jemand anderen zu erinnern. Sobald es still in der Villa geworden war, hatte Erik wieder Einzug in seine Gedanken gehalten und hielt diese gefesselt. Charles ertappte sich oft dabei, nachts wach zu liegen und mit seinen Kräften die nahe Umgebung abzutasten, aber es war immer nur Hank, den er spürte. Er benutzte auch Cerebro, um nach Erik zu suchen und fand ihn sogar, aber nur als leises Flüstern irgendwo in seinem Hinterkopf und sobald Erik bemerkte, dass er da war, verschwand dessen Bewusstsein keine Sekunde später. Charles vermutete, dass er den Helm aufsetzte, um nicht mit ihm reden zu müssen und das warf ihn in ein Fass ohne Boden. Das war der Auslöser für all seine Leiden und Probleme die danach kamen. Doch der Schlimmste Schlag sollte noch kommen. An einem Tag hatte er beschlossen noch einmal nach Erik zu suchen und fuhr den Steg in Cerebros Mitte entlang, zum Kontrollpult. Er zog den Helm auf und konzentrierte sich. Doch es war nicht Erik, den er aufspürte, sondern seine Schüler. Ein Keuchen kam über seine Lippen. Sie waren in einem Kampf und ihre Einheit hatte schon hohe Verluste zu melden. Im nächsten Moment musste Charles einen Aufschrei unterdrücken, als einer seiner Schüler getötet wurde. Obwohl er es wollte, schaffte er es nicht, sich von Cerebro zu lösen und musste mitansehen, wie seine Schüler reihenweise fielen. Ein Gefühl unendlicher Schuld baute sich in seinem Herzen auf. Er hatte sie gehen lassen und keinen aufgehalten. Er war schuld an ihrem Tod. Eine Stunde später fuhr er, mit roten und vom weinen geschwollenen Augen zu seinem Zimmer zurück. In dieser Nacht hatte es angefangen... Nicht, bitte! Tun sie ihm nicht weh! Du mieses Stück Deck, am liebsten würde ich dich… Nein! Lass mich! Charles schlug die Augen auf und presste die Hände gegen den Kopf. Gefühle und Empfindungen strömten in seine Gedanken und wuschen jede weg, die ihm selbst gehörte. Er hörte Schmerzens- und Wutschreie, ängstliches Wimmer und gequältes Stöhnen und Keuchen. Hunderte Stimmen tobten wie ein Orkan durch seinen Kopf und Charles hatte das Gefühl verrückt zu werden. Er wusste nicht, wie lange er schon darum rang seinen Verstand zu behalten, als eine weitere Stimme in seinen Kopf drang. Allerdings nahm er diese nicht mit seiner Gabe wahr, sondern mit seinen Ohren. „Professor? Professor? Charles!“ Es war Hanks Stimme und er versuchte sich auf sie zu konzentrieren, aber es wollte ihm nicht gelingen. Es waren zu viele anderen Stimmen in seinem Kopf. Was tust du da? Nein, nicht sie! Du darfst nicht sterben! Nach einer Ewigkeit, wie es Charles schien, wurden die Stimmen endlich leiser, verschwanden aber nicht. Zitternd öffneten sich seine Lider und er versuchte seinen Blick auf Hank zu konzentrieren, war dazu jedoch zu erschöpft. In einem Moment sah er ihn, dann war alles schwarz und er glitt in eine befreiende Ohnmacht. „Nein, das kann ich nicht machen, Professor. Ich weiß nicht, wie Sie auf das Serum reagieren. Es könnten Schädigungen auftreten, die nicht mehr zu beheben sind.“ „Schlimmer als die, die ich jetzt schon davongetragen habe?“ Charles drückte eine Hand gegen die Schläfe und kämpfte um seine Konzentration auf das Gespräch. Immer noch wüteten unzählige Stimmen in seinem Kopf und alle schienen nur an ihre Probleme zu denken oder hatten Schmerzen. Er wollte das alles einfach nicht mehr hören, seine eigenen Schmerzen reichten ihm vollkommen aus. Sollten die anderen zu zusehen, wie sie selbst klar kamen. „Hank bitte, ich flehe dich an! Ich will einfach nur dass es aufhört…“ Hank stand vor ihm, mit verschränkten Armen und sah kopfschüttelnd zu ihm herab. In der einen Hand hielt er die Whiskyflasche, in der anderen eine Spritze mit seinem Serum. Beides hatte er Charles weggenommen. Diesem war nämlich, nachdem er schon einen Schluck über den Durst getrunken hatte, eine Idee gekommen. Wenn Hank seine Gabe, mit Hilfe des Serums unterdrücken konnte, welches er vor einer Woche entwickelt hatte, klappte das vielleicht auch bei ihm. Da Charles wusste, dass Hank dagegen sein würde, hatte er sich in dessen Zimmer geschlichen. Allerdings war der Größere überraschend hereingekommen, als Charles sich die Spritze gerade geben wollte und hatte sie ihm weggenommen. Der Whisky folgte der Spritze, gleich als Hank ihn sah. „So leid es mir tut, aber dieses Serum ist für meine Mutation entwickelt worden. Ich kann es ihnen nicht einfach geben. Es könnte sie, im Schlimmsten Fall, sogar töten.“ „Dann hätte ich wenigstens meine Ruhe!“ Wütend fuhr Charles an Hank vorbei. Er wollte doch nur Stille in seinen Gedanken, war das so schwer zu verstehen? Von da an, führten sie dieses Gespräch immer häufiger und Hank fiel es immer schwerer Charles flehen nicht nachzugeben. Diese eine Bewusstlosigkeit, nachdem Charles den ersten Anfall gehabt hatte, war so erholend gewesen, dass er sich schon fast schmerzlich danach sehnte. Wenn Hank ihm nicht helfen wollte, dann würde er anders Stille in seinen Kopf bekommen. Dieser Entschluss war gefährlich, da Charles danach wirklich alles tat, um das Bewusstsein zu verlieren. Die zwei schlimmsten Methoden waren jedoch, dass er sich in seinem Zimmer einschloss und so viel Whisky trank, bis er ohnmächtig wurde, oder einfach mit seinem Rollstuhl die Treppen hinunter fuhr. Beides war sehr effektiv und er hatte einige Stunden seine Ruhe. Aber immer wenn er wieder wach wurde, kamen die Stimmen penetranter zurück. Immer öfter geschah es, dass er sich in ihnen verlor. Dann saß er da und starrte ins Leere, während ihm Tränen unaufhaltsam über die Wangen liefen. Gerade als er mal wieder begann sich in dem Stimmengewirr zu verlieren, holte Hanks Stimme ihn wieder zurück. Dennoch fiel es Charles schwer, sich auf den anderen zu konzentrieren. „Professor? Ich habe etwas für Sie.“ Er hielt ihm eine Spritze hin, die mit einer fast klaren Flüssigkeit gefüllt war. Charles sah ihn verständnislos an. „Ich habe mein Serum etwas verändert und auf Ihre Mutation angepasst. Ich weiß zwar nicht, ob es hilft, aber wenn Sie es versuchen wollten…“ Er hielt ihm die Spritze hin und Charles griff ohne zu zögern danach. Ohne etwas zu sagen, ging Hank neben seinem Rollstuhl in die Hocke und schob den linken Ärmel von Charles Hemd hoch. Dann wickelte er ihm ein Gummiband um den Oberarm und nickte. Jetzt zögerte Charles doch. Er hatte sich noch nie eine Spritze gegeben und er konnte hören, dass Hank sie ihm nicht verabreichen würde. Also holte er tief Luft, setzte die Nadelspitze auf die Haut an seiner Armbeuge und stach zu. Zuerst pikte es nur, dann, als der Serum in seine Vene floss, breitete sich ein brennender Schmerz in seinem Arm aus und er ließ vor Schreck die Spritze fallen. Fast Augenblicklich wurden die Stimmen in Charles Kopf leiser und nach wenigen Sekunden waren sie vollkommen verschwunden. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen und glaubte zum ersten Mal seit Wochen wieder befreit atmen zu können. Dann riss er plötzlich die Augen auf und starrte auf seine Beine. „Was ist? Stimmt etwas nicht? Ist Ihnen Schlecht? Haben Sie Schmerzen?“ Hanks Stimme überschlug sich fast und Sorge schwang in ihr mit. Umso verwirrter sah er Charles an, als dieser ihn anlächelte. „Nein, es ist alles in Ordnung“, meinte er. „Ich höre keine Stimmen mehr und ich…kann meine Beine spüren, Hank. Ich spüre meine Beine wieder!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)