Love and Blood von -B-chan- ================================================================================ Prolog: Light and Dark ---------------------- Dies ist eine Geschichte über Leben und Tod. Über Schmerz und Trauer, durchflochten von kleinen Momenten der Freude. Über Blut und Abschied und der schwachen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Doch hat diese Hoffnung eine Chance oder ist sie zum Vergehen verdammt? Wird am Ende alles gut oder bleibt nichts zurück außer Leere und Einsamkeit und der Wunsch, das Leid möge endlich enden? In dieser Welt leben Menschen friedlich zusammen, unwissend, dass böse Geschöpfe in der Finsternis lauern. Der Mond gibt ihnen Kraft und eine andere, stärkere Form und ist der Durst nach Blut stark, so gibt es nur wenige, die ein schützendes Schild zwischen Leben und Tod oder Verdammnis bilden. Noch sind es wenige und noch wissen auch wenige von ihnen, aber die Bedrohung existiert. Ob nun jetzt oder in ferner Zukunft. In der Nacht, so sagt man, sind alle Katzen grau, aber kann man das selbe auch über Wölfe sagen? Gefahr droht. Wenn menschliche, leuchtende Augen dich aus einem tierischen Gesicht heraus ansehen, solltest du besser rennen. Doch tauchen wir zuerst ein in die Geschichte eines Jungen und seiner Schwester, die nichts auf der Welt trennen konnte. Beinahe nichts... Kapitel 1: Life and Death ------------------------- Es war der wohl aufregendste Moment in Basts Leben. Schon den ganzen Tag über lief er immer wieder geschäftig vom Haus aus ins nahe gelegene Dorf, um verschiedene Besorgungen zu machen und für den großen Augenblick alles vorzubereiten. Oder besser: dabei zu helfen. Heute Abend sollte es ein großes Festessen geben. Er hatte sich sogar mit zwei älteren, erstaunlich zähen Frauen in die Haare bekommen, als es darum ging, auf dem Marktplatz die größte und schönste Gans zu erhaschen. Siegreich und mit breitem Grinsen hatte er das wundervolle Stück zusammen mit anderen Zutaten nach Hause gebracht. Die Feuerstelle, auf der er sie zubereiten würde, musste er zwar erst noch entzünden, aber da das Holz fein säuberlich und gut getrocknet neben dem Haus aufgestellt war, würde das schnell gehen. Als er wieder nach Hause kam, mit Speisen und Feuerholz beladen, stand seine Mutter Lilia tatsächlich noch in der Küche. „Du solltest dich doch hinsetzen oder hinlegen, Mama. Ich kümmere mich schon um alles.“, meinte er, während er das Holz zu einem schönen Haufen auf die umsteinte Feuerstelle legte. Zugegeben, Bast war erst sieben Jahre alt, aber in diesem Alter musste man eben schon mit anpacken, wo es ging. Vor allem heute! Als er den Feuerstein zum Entzünden der Holzes nahm, streichelte ihm seine Mutter liebevoll über den Kopf. „Ich kann mich jetzt nicht hinlegen. Jedenfalls noch nicht.“ Sie wartete kurz ab, bis ein kleines Häufchen Stroh die Funken aufgefangen hatte und Bast damit das Holz entzünden konnte, ehe sie seine Hand nahm und sie auf ihren hochschwangeren Bauch legte. „Spürst du es? Dein kleiner Bruder oder deine kleine Schwester ist schon ganz ungeduldig darauf, dich endlich kennen zu lernen.“ Tatsächlich hatten die Wehen schon vor ein paar Stunden leicht angefangen. Aber das würde sie ihrem Sohn natürlich nicht sagen. Er konnte sich ohnehin nichts darunter vorstellen. Auf Basts Gesicht zeigte sich ein begeistertes Lächeln. Er legte auch sein Ohr auf den Bauch. „Ja, ich merke es.“ Kurz zuckte er zurück. „Ich glaub, es hat mich gerade angetippt.“, teilte er seiner Mutter in heller Begeisterung mit. Diese entgegnete ihm: „Bast. Wenn es erst mal da ist, musst du immer gut auf dein kleines Geschwisterchen aufpassen. Das ist deine wichtigste Aufgabe als großer Bruder.“ „Das werde ich. Versprochen.“ Er näherte sich mit dem Mund ganz nah dem Bauch, um mit seinem noch ungeborenen Geschwisterchen selbst zu sprechen. „Pass nur auf. Wenn du da bist, dann gibt es eine riiiiesige Festgans. Das wird dir gefallen.“ Als könnte das Kleine schon gleich was davon essen. Seine Mutter schien diese Szene zutiefst zu freuen. „Na komm. Sollen wir die Gans zusammen zubereiten? Das Kleine lässt mich im Moment ohnehin nicht zur Ruhe kommen.“ Besser, sie bewegte sich, um ein wenig von den Wehen abzulenken, die im Moment noch nicht zu sehr schmerzten. Bast schätzte die Situation kurz ab. „In Ordnung. Aber wenn du nicht mehr kannst, dann mach ich alles fertig. Vergiss nicht, Bescheid zu sagen.“ Seine Mutter lächelte ihn liebevoll an. „Ja, das werde ich.“ Man sah, wie stolz sie auf ihren Sohn war. Die beiden standen schon geraume Zeit in der Küche, als Bast die Haustür hörte und kurz darauf die großen und schweren Schritte seines Vaters über den Gang näher kamen. Wenige Augenblicke später kam ein groß gewachsener Mann mit strahlenden Augen herein. Er umarmte seine Ehefrau liebevoll von hinten. „Die Hebamme ist in einer Stunde bei uns, Liebling.“ Das schien die angehende Mutter zu beruhigen. Mittlerweile merkte sie es doch, dass die Zeit der Niederkunft näher rückte. „Und du hast Mama schön brav geholfen?“, fragte Osmund Bast, als er Maria wieder losgelassen hatte und seinem Ältesten durch die Haare wuschelte. Dieser nickte „Ich hab mit Mama schon die Gans aufgesetzt. Später können wir es uns richtig gut gehen lassen.“ Sein Vater nickte zufrieden. „Dann kannst du ja jetzt mir helfen. Ich will noch ein Schaf scheren, damit wir ein schönes warmes Fell für die Wiege haben.“ Mit geübten Händen war das ja schnell gemacht. Und Bast konnte es reinigen, dann hatte man die Arbeit im Nu erledigt. Gesagt, getan, begaben sich die beiden nach draußen. Als die Hebamme kam, waren sie gerade fertig geworden und Oswald hatte das Fell in die Wiege gelegt. Nun waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Es dämmerte schon und ein sichelförmiger Mond war aufgegangen, als die Hebamme endlich verkündete, dass die Geburt nun begonnen hatte. Osmund ging während der Geburt nervös auf und ab und Bast wusste nicht wirklich, was er mit sich anfangen sollte. Beide waren mehr als erleichtert, als die Schreie der werdenden Mutter aufhörten und stattdessen von den Schreien des Neugeborenen abgelöst wurden. Dass alles gut war, merkte Bast, als er das breite Lachen auf den Gesichtern seiner Eltern und die leuchtenden Augen seines Vaters sah. Die Hebamme machte das Baby nur noch sauber und wickelte es in ein warmes Tuch. Inzwischen war auch Bast näher gekommen und hatte sich an die Bettkante gesetzt. Für ihn war es unglaublich, was für einen Lärm so ein kleinen Wesen machen konnte. Erst, als seine Mutter es an die Brust nahm, verstummte es und fing an, begierig zu saugen, als ob es von allen anwesenden die meiste Arbeit geleistet hätte. „Bast, du hast jetzt eine kleine Schwester.“, verkündete ihm seine Mutter. „Ihr Name ist Saria.“ Sein Vater legte ihm eine Hand auf den Kopf. „Von jetzt an musst du gut auf sie aufpassen und sie immer beschützen.“ Der Junge nickte und wandte dann seinen Blick zum neuen Familienmitglied. „Hallo, kleine Schwester. Ich bin Bast und ich werd' gaaaaanz gut auf dich Acht geben.“ Er streichelte ihren Kopf, der merkwürdig weich war und schon erste, rötliche Haare zeigte. Alles hätte so schön sein können, wäre es dabei geblieben. Dass aber etwas nicht stimmte, stellte sich schneller heraus, als ihnen allen lieb war. Die Hebamme war eine Zeit lang beobachtend daneben gestanden und hatte noch auf etwas gewartet. Allerdings schienen die Minuten nach der Geburt nicht so zu verlaufen, wie sie es gehofft hatte, denn ihr Gesicht verdüsterte sich und sie scheuchte Bast und Osmund vom Bett weg, nachdem die nun schlafende Saria in die Wiege gelegt hatte. Es dauerte eine Weile, aber schließlich merkte auch Bast, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. „I-ist da immer so viel Blut?“, fragte er seinen Vater. Aber dieser schwieg nur. Sein Gesicht war ernst und steinern geworden. Seine Mutter versuchte anfangs noch, ihn zu beruhigen: „Alles in Ordnung, das wird schon wieder.“ Aber ihre Stimme wurde immer schwächer und leiser. Und das Blut...da war so viel Blut. Alles war in rot getränkt und das eilige Hin- und Herlaufen der Hebamme machte nur noch deutlicher, dass eben nicht alles in Ordnung war. Bast war inzwischen wieder näher zum Bett gekommen und hatte die Hand seiner Mutter genommen. Sie war eiskalt und er merkte, wie schwach sie schon war, als sie versuchte, beruhigend seine Hand zu drücken. Sein Vater rührte sich noch immer nicht und er sagte auch kein Wort. Erst, als die Hebamme ihn zur Seite nahm und etwas von einem Geistlichen redete, schien er zu realisieren, was hier überhaupt passierte. „Die letzte Ölung?“, stieß er erstickt hervor, drehte sich aber erschrocken um, ob jemand das gehört hatte. Aber es war wohl schon zu spät, denn Bast hatte mitbekommen, wie ernst die Lage war. Nur seine Mutter schien schon so schwach zu sein, dass sie darauf nicht mehr reagierte. Ihr Blick war glasig geworden und auch wenn ihre Augen noch offen waren und umherblickten, so schienen sie an nichts mehr hängen zu bleiben, nicht einmal mehr an Bast, der doch direkt vor ihr saß. So verließ die Hebamme schließlich das Haus, das nun in völlige Stille fiel. Selbst der Atem von Bast Mutter war inzwischen so langsam und leise geworden, dass man ihn nicht mehr hören konnte und sie mehr einem Geist als einem lebendem Menschen glich. Ihre Haut war nahezu weiß und nicht mehr nur ihre Hände, sondern ihr ganzer Körper waren so furchtbar kalt geworden. Die Schritte des Pfarrers kamen fast wie eine Erlösung, aber auch sein Aufenthalt war nur von kurzer Dauer. Er sprach seine Worte, die nur Oswald und Bast noch hören konnten und vielleicht noch der letzte Rest von Lilias Geist, der noch in ihrem Körper wohnte. Schließlich aber kehrte mit dem Abschied des Priesters die düstere und leblose Ruhe zurück ins Haus. Man konnte nun nichts mehr tun als darauf zu warten, dass der letzte Rest Leben aus dem Körper der Sterbenden wich. Dass es schließlich vorbei war, merkte man, als Bast Vater sich vom Bett entfernte und einfach das Zimmer verließ. Bast blieb allein mit seiner schlafenden Schwester zurück. Kapitel 2: Love and Hatred -------------------------- Die Nacht war für Bast schrecklich gewesen. Zumindest der Teil, der von ihr noch übrig gewesen war. Bast Mutter war von der Hebamme noch gewaschen worden und sie hatte ihrem leblosen Körper ein frisches, sauberes Kleid angezogen, ehe Maria auf ein Totenbrett gelegt und zur Totenwache in die kühle und große Stube gebracht wurde, wo zu späteren Gebeten und Rosenkränzen auch eine größere Zahl an Menschen Platz haben würde. Nachdem sein Vater einfach ohne ein Wort das Zimmer verlassen hatte, war es an Bast hängen geblieben, sich um seine Schwester zu kümmern. Diese hatte zunächst ruhig und friedlich geschlafen, aber gerade in dem Moment, wo auch Bast das fast geschafft hätte, war sie aufgewacht und hatte zu weinen und schreien angefangen. Bast, der sich in eine Ecke des Raums verkrochen hatte, weil er sich unmöglich ins Bett und noch weniger in die kleine Wiege hätte legen können, sprang sogleich auf, eilte zu letzterer und blickte über den Rand, was Saria denn fehlte. Da er aber natürlich nichts entdecken konnte, versuchte er, sie durch Hin- und Herwiegen zu besänftigen. Dabei blickte er immer wieder zu Tür, ob nicht sein Vater hereinkommen würde, um ihm zu helfen. Darauf wartete er jedoch vergeblich. Und auch die wiegende Bewegung half nicht dabei, Saria zu beruhigen. Da fiel ihm etwas ein, was ihm seine Mutter vor ein paar Tagen noch gesagt hatte: „Kleine Neugeborene haben viiiel Hunger. Noch mehr sogar als du. Und besonders nach der Geburt.“ Außerdem hatte sie gesagt, dass er deshalb fleißig beim Essen machen mithelfen musste. Das 'mithelfen' war nun nicht mehr möglich, aber Bast glaubte nun zu wissen, was zu tun war. So eilte er kurz in die Küche, um Ziegenmilch zu holen. Es war wichtig, dass es Ziegenmilch war, denn von Kuhmilch würde sie Durchfall bekommen, wie ihm seine Mutter erklärt hatte. Er wärmte es über der Feuerstelle, die mittlerweile fast erloschen war, ein wenig auf. Nachher dufte er nicht vergessen, Holz zu holen und das Feuer wieder anzufachen, damit es warm im Haus blieb. Dann eilte er zurück zu seiner Schwester, die mehr als begierig von der Milch trank und ihn dann mit einem forschenden Blick betrachtete. Und er tat das selbe. Diese blauen Augen waren aber auch faszinierend. So schauten sie sich eine Weile stumm an. So lange, bis sie wieder zu weinen anfing und dieses Mal auch stärker als zuvor herumstrampelte. Was ihr dieses Mal fehlte, wusste er beim besten Willen nicht. Wie schon vorhin half das Wiegen auch dieses Mal nichts. Als er schließlich gar nicht mehr weiterwusste, hob er sie vorsichtig aus der Wiege und trug sie beruhigend schüttelnd und an sich gedrückt im Raum hin und her, so wie er es oft bei Frauen im Dorf gesehen hatte. „Sch...ist schon gut. Ich bin ja da.“ Mit solchen und ähnlichen Worten bemühte er sich, ihr Weinen aufhören zu lassen, aber auch das half nicht sofort. Erst als sie ein Bäuerchen gemacht hatte (bei dem auch gleich noch etwas von der Ziegenmilch mitkam), ließ sie sich beruhigen. Die ganze Zeit über hatte Bast gehofft, dass sein Vater kommen würde, aber so wie es aussah, war er auf sich allein gestellt. Sein Vater hatte sich dem Anschein nach in eine Kammer eingeschlossen und reagierte selbst dann nicht, als Bast nach ihm rief. Saria schlief schließlich wieder ein und nun ließ auch Bast es zu, dass die Erschöpfung gewann und ihm etwas Schlaf schenke, bis ihn sein natürlicher Tagesrhythmus keine zwei Stunden später zu Sonnenaufgang weckte. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken, so müde er auch war und so stand er auf, schaute kurz nach seiner schlafenden Schwester und ging zum Feuerholz holen nach draußen, nachdem er sich frische, saubere Kleidung angezogen hatte. Draußen musste er zum Glück wenigstens kein Holz hacken, da das sein Vater Tags zuvor noch gemacht hatte. Bast konnte das zwar auch schon irgendwie, aber er brauchte fünfmal so lang wie sein Vater, der mit zwei kräftigen Hieben ein Holzstück in vier Scheite spalten konnte. Gerade, als er ein paar dieser Scheite auf seine Arme gestapelt hatte, erklang vollkommen abrupt Sarias wimmernde Stimme. Selbst hier draußen erkannte man sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Schreie waren plötzlich erklungen und hatten einen erschrockenen Unterton. Sofort ließ Bast das Holz fallen und rannte zurück ins Haus, direkt in das Zimmer, in dem das Bettchen seiner Schwester stand. Was er dort sah, ließ ihm den Atem stocken. Er roch sofort die Fahne seines Vaters, der mit blutunterlaufenen Augen und einer halb leeren Flasche selbstgemachten Brombeerweins in einer Hand über der Wiege stand und auf Saria einschlug. Bast, der seinen Vater noch nie so gesehen hatte, stand schockiert in der Tür, kam dann aber wieder zu Sinnen und rannte auf ihn zu, um ihn mit ganzer Kraft vom Bett wegzuschubsen. „Lass sie in Ruhe!“, schrie er ihn an. Da sein Vater gut doppelt so groß war und um vieles schwerer als er selbst, setzte er sein ganzes Körpergewicht ein, aber es war viel einfacher als gedacht, ihn wegzustoßen. Sein Vater stolperte schwanken zurück und fiel gegen die Wand. Der Blick, mit dem er dann Bast betrachtete, war furchteinflößend, aber selbst, als er mit schrecklich wütender Stimme Bast befahl, zur Seite zu gehen, schüttelte dieser den Kopf und blieb genau dort, wo er war. Zwischen seinem Vater und Sarias Wiege, so viel Angst er auch haben mochte. 'Beschütze sie.', hatte er gesagt. Bast hatte nichts anderes vor. „Dieses Ding ist daran schuld, dass...“, wie auch immer er hatte ausdrücken wollen, dass seine Frau und Basts Mutter tot war, er ertränkte es in einem weiteren, großen Schluck aus der Flasche in seiner Hand. „ZUR SEITE!“, brüllte er dann noch lauter und schmetterte die Flasche vor Bast auf den Boden. Wahrscheinlich hatte er ihn sogar treffen wollen, war aber dafür viel zu betrunken. Nach Alkohol stinkend kam er einen schwankenden, aber großen Schritt näher. Als Bast aber auch dieses Mal nicht nachgab und, standhafter als er sich fühlte, mit einem „Nein!“, antwortete und dort stehen blieb, wo er war, sah dieses Mal er die starke Hand des Erwachsenen auf sich zufliegen. Die Kraft, mit der ihn die Ohrfeige traf, ließ ihn kurz schwindelig werden und zurücktaumeln. Bast aber war robuster als er aussah, sodass er sich schnell wieder fing und mit demselben unnachgiebigem Gesichtsausdruck wieder vor der Wiege stand, um seine Schwester vor weiteren Schlägen zu beschützen. „Verschwinde.“ Bast sah seinen Vater mit vollkommen ernstem Blick an. „Raus hier.“ Er wusste, dass er gegen den viel größeren Mann keine Chance haben würde, würde dieser sich dazu entscheiden, diesen Worten keine Folge zu leisten, aber er durfte dennoch keine Furcht zeigen, denn dann, so wusste er, hätte er verloren. So harrte er mit festem Blick aus, während er spürte, wie sein Wange heiß und wahrscheinlich auch rot wurde. Irgendwie schien sein Vater sich auch dazu zu entschließen, genau das zu tun und den Raum zu verlassen. Vielleicht lag er tatsächlich an Basts Auftreten oder, was viel wahrscheinlicher war, daran, dass ihm der Alkohol ausgegangen war. Jedenfalls wankte Osmund ohne ein weiteres Wort aus dem Raum, direkt auf die kleine Speisekammer zu, wo auch die Weinflaschen gelagert wurden. Bast hingegen eilte zur Zimmertür und verriegelte sie so schnell er konnte. Jetzt sofort würde er eine solche Situation nicht nochmal meistern. Mit nun zitternden Händen hob er Saria aus dem Bett und versuche sie und auch sich selbst zu beruhigen. So fest, wie er sich traute, drückte er sie an sich, nachdem er nachgesehen hatte, was ihr fehlte. Er schien zum Glück schnell genug gewesen zu sein, um das schlimmste zu verhindern, denn er entdeckte 'nur' ein paar gerötete Stellen an den Armen und Beinen. Den heftigsten Schlag schien er selbst abbekommen zu haben und das beruhigte ihn ungemein. Und nun wusste er auch, dass er Saria nicht alleine lassen dufte, wollte er verhindern, dass so etwas nochmal passierte. Sein stetes und sanftes Murmeln zusammen mit dem wärmende Schafsfell, in das sie gewickelt war, schienen nach einiger Zeit zumindest Saria ins Land der Träume zu bringen. Er selbst aber war viel zu nervös, um einschlafen zu können. Ständig horchte er, ob die schweren Schritte seines Vater zu hören waren oder gar näher kamen. War letzteres der Fall, schlug sein Herz schneller und er drückte sich selbst weiter in die Ecke, in die er sich wieder verkrochen hatte, und Saria stärker an sich. Ein paar Mal versuchte der Vater, die Klinke nach unten zu drücken, um wieder ins Zimmer zu kommen und jedes Mal betete Bast dann, dass er nicht auf die Idee kam, die Tür einzutreten. Mit genügend Kraft wäre ihm dies ein leichtes gewesen, das wusste Bast. Aber er versuchte nichts dergleichen und so blieb Bast mit seiner Schwester allein im Zimmer. Zumindest so lange, bis sie wieder Hunger bekommen würde. Bast fürchtete sich vor diesem Moment. Kapitel 3: Fear and Courage --------------------------- Bast hatte diesen Tag so lange hinausgezögert, wie es nur ging, aber irgendwann hatte es doch sein müssen: er musste ins Dorf. Die leicht verderblichen Vorräte, soweit sie sie nicht selbst unter anderem von ihren Hühnern bekamen, gingen zu Neige und Bast war schlau genug zu wissen, dass sein Vater sich nicht um Nachschub kümmern würde. Also musste er gehen. Mit Saria. Er konnte sie unmöglich alleine daheim lassen. Selbst wenn er sie einsperren würde und sie vorerst augenscheinlich in Sicherheit wäre, konnte er nicht ausschließen, dass sie irgendwann zu weinen anfangen würde. Und wäre er dann nicht da, würde sie auch sicher nicht damit aufhören. Bis zu dem Punkt – und der würde schnell kommen – an dem sein Vater seine Geduld, oder zumindest die von Wein verursachte Betäubung, verlieren und sich mit ziemlicher Sicherheit Zugang zu ihrem Zimmer verschaffen würde. Was dann passieren könnte, wagte sich Bast gar nicht vorzustellen. Nein, Saria musste mit. Nur bei ihm war sie in Sicherheit. So bereitete er den Leiterwagen vor, wo er nicht nur Saria, sondern auch nachher die besorgten Waren hineinlegen konnte. Als er seine Schwester aus der Wiege hob, war sie wach, aber ruhig. Mittlerweile hatte sie sich wohl an sein Gesicht gewöhnt. Oder an seine Stimme. Er hatte festgestellt, dass sie ihn anfangs immer forschend anschaute und erst beruhigt reagierte, wenn sie seine Stimme hörte. Nachdem er ihr also ein paar freundliche Worte geschenkt hatte, nahm er sie aus der Wiege heraus und brachte sie leise zum Leiterwagen. Den Weg zum Dorf darin zurückzulegen, schien ihr zumindest nicht zu missfallen, denn sie blieb die ganze Strecke über ruhig. Als sie im Dorf angekommen waren, waren sie gerade so gekommen, dass alle Marktstände aufgebaut, aber noch nicht so viele Leute unterwegs waren. So konnte Bast mit dem Leiterwagen leicht durch die Reihen lenken. Die Stimmung auf dem Markt allerdings war irgendwie merkwürdig. Natürlich wurde er mit einigen mitleidigen Blicken bedacht, aber da war noch etwas anderes. Bast wusste zunächst nicht, was es war, aber als er nach einer Weile an einen Gemüsestand trat, an dem schon mehrere ältere Frauen standen, fand er schnell heraus, was los war. „...wie sie gesagt hat.“, war der erste Gesprächsfetzen, den er hörte, als er sich der Gruppe näherte. Die Frauen versuchten gar nicht erst, leiser zu sprechen, selbst als er direkt neben ihnen stand. „Wie eine Hexe.“, erklang die Stimme einer Frau, die ihm schon so oft Pflaumen geschenkt hatte, wenn er auf dem Weg zur Schule an ihrem Zaun vorbeigekommen war. Bast wusste sofort, dass sie damit die roten Haare Sarias meinte, die bereits den Kopf dicht bedeckten. Dasfür sich war schon relativ ungewöhnlich für Neugeborene, die meistens eher kahl waren oder nur einen leichten Haarfilm besaßen. „So ein Unglückskind kann nur den Tod bringen.“, fügte eine zweite Frau der Gruppe hinzu. Bast stand wie angewurzelt da. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Gerade, als er etwas entgegnen wollte, hörte er hinter sich ein Poltern und das erschrockene Aufwimmern Sarias. Natürlich drehte er sich sofort um, um zu sehen, was passiert war. So entdeckte er verschiedenes Gemüse im Leiterwagen. Dass es nicht die beste Qualität war, sah er mit einem Blick. „Zahl und verschwinde dann.“, sagte die Standbesitzerin woraufhin die dritte der Frauengruppe donnerte:. „Genau. Wir wollen so ein verfluchtes Gör nicht unter uns haben.“. Da endlich fand Bast seine Stimme wieder. „Saria ist nicht verflucht!“ Böse Blickte schossen ihm daraufhin entgegen. „Natürlich ist sie das. Wer nicht als ein Monster wie sie könnte uns die geliebte Maria entreißen?“ Was sollte er nur darauf sagen? Das war doch Unsinn! „Sie hat das nicht mit Absicht gemacht.“ Das musste doch jeder hier wissen. „Widersprich meiner Frau nicht.“, ertönte daraufhin die tiefe Stimme eines Mannes, der ihm mit seiner Hand auch gleich eine belehrende Kopfnuss verpasste und die Bast erschrocken zusammenzucken ließ. Mittlerweile hatten sich mehrere Menschen vor dem Stand angesammelt, um dem Geschehen zuschauen zu können. Bast hatte das zunächst gar nicht gemerkt. Aber nun sah er klar und deutlich, was ihn vorhin neben den bemitleidenden Blicken so beunruhigt hatte: Diese vielen feindseeligen Gesichter, die ihm und noch mehr Saria entgegenblickten. Er wusste, dass es nichts bringen geschweige denn helfen würde, noch irgendetwas zu Sarias Verteidigung zu sagen, also legte er stumm die Münzen, die er der Verkäuferin schuldete, auf die Theke und sah zu, dass er seine Schwester und sich von hier wegbrachte. Sie war ohnehin kurz davor, zu weinen anzufangen. Als er ein ruhiges Eck gefunden hatte, beruhigte er erst einmal Saria, ehe er sich dann überlegte, was er tun sollte. Er hatte zwar schon fast alles beisammen, aber noch konnte er das Dorf nicht verlassen. Wie er es auch drehte und wendete, er musste noch zum örtlichen Metzger. Und er fürchtete sich davor. Die Dorfbewohner waren eigentlich nette und freundliche Leute, aber der Mann, zu dem er jetzt musste, war zuvor schon immerstreng, ernst und furchteinflößend gewesen. Bast wollte sich gar nicht ausmalen, in welcher Stimmung er nun war. Hoffentlich würde er ihm überhaupt irgendwas verkaufen. So machte er sich auf zur Metzgerei. Gerade aber, als er um ein Hauseck bog, um zu seinem Ziel zu kommen, hörte er die Stimme, die er gerne noch für die Dauer von ein paar Schritt mehr aufgespart hätte. „Bast.“ Tief und brummig machte der stämmige Mann auf sich aufmerksam und winkte den Jungen zu sich zum Hintereingang des Gebäudes. Sein Zögern herunterschluckend setzte dieser sich in Bewegung und blieb erst wieder stehen, als er etwas mehr als eine Armlänge von dem rauen Mann entfernt war. War Basts Vater schon ein kräftiger Mann, so war dieser hier wie ein Bär. Besser, Bast ging auf Nummer sicher, sodass dessen starken Arme ihn nicht sofort mich aller Wucht würden treffen können, sollte er seine höchst wahrscheinlich vorhandene Wut nicht zurückhalten können. Ein paar schrecklich lange Momente folgten, in denen er Bast und Saria still und mit scharfem Blick musterte. Und dann kam, was Bast wirklich als allerletztes erwartet hatte: „Es tut mir Leid wegen deiner Mutter. Sie war ein guter Mensch.“ Da er nicht wusste, was er darauf sagen sollte, nickte Bast nur vorsichtig. Das jedoch wiederum war wohl das, was Laurence, den Metzger, wohl wirklich wütend machte. Wie sich herausstellte, lag das aber nicht direkt an Bast scheuer Reaktion. „Ich habe von deinem Vater gehört. Das ganze Dorf redet schon über sein furchtbares Auftreten. Dabei sollten sich alle selbst an die Nase fassen. Es ist unmöglich, wie sich alle aufführen.“ Basts Anblick jedoch, der wie ein Häufchen Elend vor ihm stand, ließen seine Stimme wieder sinken. „Du siehst schlecht aus. Du schläfst nicht genug, richtig?“ Und das war nicht alles. Er sah, dass der Junge tapfer damit kämpfte, die Tränen zurückzuhalten. Es wunderte ihn nicht. Auf einen Schlag war da niemand mehr gewesen, der sich um ihn kümmerte. So reif Bast für sein Alter sein mochte, Kind blieb Kind. Und doch half alles nichts. „Du musst stark bleiben. Auch für sie.“ Laurence nickte kurz zum Wagen. Mit diesen Worten streckte er Bast ein schweres Päckchen entgegen. „Das sollte für die nächste Zeit reichen. Den Preis dafür kannst du bei mir abarbeiten. Ich werde dir alles beibringen und dir zeigen, wie man die Tiere schnell und richtig schlachtet.“ Das war mehr, als Bast sich hatte erhoffen können. Gerade von der Person, von der er am meisten Angst gehabt hatte, hatte er die einzigen freundlichen Worte erhalten und - noch viel wertvoller - Hilfe angeboten bekommen. Und doch war ein leises „Danke.“ alles, was es an Worten aus seinem Mund schaffte. Das Bündel mit Fleisch war erstaunlich schwer, was die Geste nur noch bedeutsamer machte. Sorgsam und vorsichtig verstaute Bast es im Leiterwagen. Laurence nickte zufrieden und verschränkte die Arme vor seinem Körper. „Und jetzt solltest du nach Hause. Nicht, dass dich hier noch jemand sieht. Das wäre für uns beide nicht gut. Du könntest dann nicht mal mehr hierher kommen. Und ich lege dann doch Wert auf meine Kundschaft, so ungehobelt sie sich einem Jungen gegenüber auch aufführen mag.“ Das ließ Bast sich nicht zweimal sagen. Er nickte und setzte sich dann in Bewegung, nicht aber ohne sich noch einmal bedankt zu haben. Dann ging es nach Hause. Davor fürchtete er sich noch mehr, als er es vor dem Gang zum Metzger getan hatte, denn hier wusste er, was ihn erwartete. Kapitel 4: Smile and Tears -------------------------- Saria tollte draußen im Garten herum. Bast hatte es ihr erlauben können, nachdem er festgestellt hatte, dass sein Vater tief und fest schlief oder zumindest so weggetreten war, dass es dazu fast keinen Unterschied mehr gab. So schwer es auf diese Weise mit seinem Vater auch sein mochte, hatte Bast doch gelernt, immer dafür zu sorgen, dass genug Alkohol im Haus war. Das erste und einzige Mal, wo das nicht der Fall gewesen war, wäre fast in einer Katastrophe geendet. Der unbändige Zorn zusammen mit dem Alkoholentzug wären schon schlimm genug gewesen, aber ihn damals wirklich gefährlich gemacht hatte, war der viel klarere Verstand, der ihn wieder Herr über seinen Körper hatte werden lassen. Bast konnte sich an diesen Abend nicht mehr so recht erinnern, wenn er es denn versuchte, aber irgendwie musste er es damals geschafft haben, Saria aus Osmunds Griff zu befreien und sie über die eingetretene Tür, dessen Schlüssel er stets an einem Lederband um den Hals trug, raus aus dem Haus zu schaffen. So schnell er es mit einem hinkenden Bein gekonnt hatte, war er zum einzigen sicheren Ort gerannt, der ihm eingefallen war. Laurence, so hatte er gebetet, konnte ihm hoffentlich zumindest für ein paar Stunden ein sicheres Dach über dem Kopf geben. Bast wollte dessen großzügige Hilfsbereitschaft nur ungern ausnutzen, aber in letzter Zeit hatte man von zu vielen Menschen gehört, die im Wald einfach verschwunden waren. Und – was noch viel unheimlicher war – von Wölfen mit menschlichen Augen. Im Wald hätte er also auf keinen Fall Schutz finden können. Nachdem er an die Hintertür geklopft hatte, hatte er noch eilig das Blut ausgespuckt, das sich von der aufgeplatzten Lippe im Mund gesammelt hatte, und dann seinen Blick mit einem halb zugeschwollenen Auge auf die Tür fixiert. Es war die reinste Erlösung gewesen, als sie sich geöffnet und die stämmige Gestalt des Metzgers vor ihm gestanden hatte und dieser ihn stummt musterte. „Kann...ich ein paar Stunden hier bleiben?“, hatte Bast vorsichtig gefragt. „Und meine Schwester auch?“ Laurence hatte es ihm zu Bast größter Erleichterung erlaubt. Dessen Frau war schon länger im Bett gewesen und hatte bereits tief und fest geschlafen. Zum Glück hatte sich Saria bis dahin auch wieder beruhigt gehabt, sodass er sich zusammen mit ihr auf einer gepolsterten Bank ein wenig hatte hinlegen können. Laurence, einer der wenigen, der wohl an so etwas teures rankam, hatte ihm sogar etwas Eis für sein schmerzendes Auge gegeben. Bast hatte später auf dieser harten Bank so gut wie schon lange nicht mehr geschlafen, Saria eng an sich gedrückt. Dieser Vorfall hatte ihn aber schlauer gemacht. Nochmal passierte ihm das nicht. Er konnte nicht immer auf Laurence' Freundlichkeit bauen, auf wenn dieser Vorfall nun schon wieder einige Jahre her war. Und Freunde, bei denen er Unterschlupf hätte finden können, hatte er schon lange nicht mehr. Die Mütter hatten penibel darauf geachtet, dass jeder Kontakt mit ihm abgebrochen wurde, um gar nicht erst das Risiko eingehen zu müssen, dass Saria irgendwann Teil der Gemeinschaft werden könnte. Mit der Schule war es für Bast auch vorbei gewesen. Zunächst hatte er sich ja immer um Saria kümmern müssen und als es schließlich so weit war, dass sie auch ein paar Stunden lang ruhig gewesen wäre, sodass er sie zum Unterricht hätte mitnehmen können, ohne dass sie diesen gestört hatte, ließ man ihn nicht mehr ins Klassenzimmer hinein. Zum Glück, damals hatte sich sein Vater noch um solche Dinge gekümmert, hatte er davor schon lesen gelernt und Rechnen beziehungsweise der Umgang mit Zahlen war ihm schon immer leicht gefallen. Das war auch gut so, denn Laurence legte großen Wert darauf, dass Bast gut und schnell im Kopfrechnen war, um Waren und Zutaten richtig aufzuteilen oder zusammenzusetzen. Nicht, dass Bast oft Zeit hatte, zu ihm zu kommen, aber wenn er dafür mal bei ihm war, wollte er das sein seltenes Erscheinen zumindest durch doppelten Einsatz wett machen. Das war er Laurence schuldig. Dank ihm konnte Bast mittlerweile schon kleine Tiere selbst schlachten und korrekt ausnehmen, sodass er zumindest in dieser Hinsicht schon selbstständig war. Mit seinen elf Jahren hatte er inzwischen den Haushalt schon komplett im Griff. Nur, wenn er hin und wieder Fleisch von großen Tieren wie Schweinen oder Rindern haben wollte, musste er auf das heimliche Angebot, das ihm gemacht worden war, zurückgreifen. Im Moment nun aber war alles in Ordnung. Zumindest so in Ordnung, wie es sein konnte. Mit der Zeit, in der Saria nun schon etwas herangewachsen war, hatte sich herausgestellt, dass sie ein kleiner Engel war. Sie erinnerte ihn mehr und mehr an seine Mutter und immer, wenn er mit ihr Zeit verbrachte, konnte er sich zumindest dann entspannen. Er ertappte sich selbst immer öfter beim Lächeln oder sogar Lachen, wenn sie zusammen draußen spielten. Vor ihrem Vater aber fürchtete sich Saria schrecklich. Sie hatte nie seine freundliche Seite kennen gelernt. An guten Tagen ignorierte er sie einfach, wenn sie zufällig doch mal im selben Raum waren. Derer Tage waren nicht viele. Oft ertappte Bast Saria dabei, wie sie heimlich in einer Ecke weinte, damit er es nicht sah. Und doch merkte er, wie sie immer und immer wieder dessen Nähe suchte. Sie wollte es wohl einfach nicht wahr haben, dass er keine Liebe für sie spürte und versuchte oft, durch kleine Gesten seine Zuneigung zu gewinnen. Meistens endete es damit, dass er sie anbrüllte. Trotzdem entdeckte Bast regelmäßig kleine Blumensträuße von der Wiese draußen oder verschiedene Früchte vor der Tür, hinter der sich ihr Vater immer einschloss. Kapitel 5: Weapons and Shields ------------------------------ Saria und Bast lagen schon im Bett. Natürlich teilten sie sich ein Zimmer. So war sie immer in seiner Nähe und er konnte nachts besser auf sie aufpassen, wenn ihr Vater seinen nächtlichen 'Rundgang' machte. Anfangs war es damit noch nicht so schlimm gewesen, aber über die Jahre hinweg war er zu so später Stunde immer unruhiger geworden. Besonders schlimm war es immer, wenn der Zeitpunkt gekommen war, zu dem seine Frau gestorben war. Mittlerweile rumorte und murmelte er dann immer irgendwelche Worte herum. Bast war in diesen Momenten hellwach und ging sicher, dass die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen blieb. Saria schlief mittlerweile zum Glück immer darüber hinweg. Er konnte sich noch gut erinnern, wie sie anfangs immer zitternd vor Angst zu ihm ins Bett gekrochen war. Jetzt gerade aber schliefen sie noch nicht. Dazu war Saria viel zu aufgedreht. Sie war mittlerweile sieben Jahre alt und deshalb hatte Bast ihr das Lesen beigebracht und nun bestand sie immer darauf, ihm eine Geschichte aus einem Märchenbuch vorzulesen, bevor sie sich schlafen legten. Charles Perrault Volksgeschichten hatten es ihr wirklich angetan. Als Bast es kurz vor Sarias Geburtstag von einem unwissenden fahrenden Händler gekauft und ihr danach geschenkt hatte, hatte er nicht gedacht, dass sie so viel Freude daran haben würde. Dafür hatte sich der hohe Preis auf jeden Fall gelohnt. Heute war einmal mehr ihr Lieblingsmärchen an der Reihe. Vom 'Gestiefelten Kater' konnte sie einfach nicht genug bekommen. Ihrem Lesetempo nach zu urteilen konnte sie das Märchen mittlerweile schon auswendig und hätte es ihm wohl auch ohne das Buch fehlerfrei erzählen können. Wann immer ihre Lieblingsstelle im See passierte, glänzten ihre Augen hell auf. Bast konnte sich gut vorstellen, dass sie manchmal selbst davon träumte, während eines Bads von einem reichen Prinzen 'gerettet' zu werden, um dann in einem Schloss zu leben. Nachdem Saria geendet hatte, legte sie das Buch sorgsam zur Seite. Für sie war es wie ein großer Schatz und sie hütete es wie ihren Augapfel. Mit einem Lächeln im Gesicht kuschelte sie sich dann ins Bett. „Gute Nacht, Bruder. Schlaf schön.“ Dieser nickte leicht lächelnd. „Du auch, Schwesterchen.“ Für ein paar Stunden würde er es schon können. Der nächste Morgen kam und weckte sie mit wärmenden Sonnenstrahlen. Zumindest Saria. Bast war wie üblich schon seit der Dämmerung wach, um die Tiere zu füttern und ein wenig Gemüse aus dem Garten zu holen. Er bereitete gerade das Frühstück zu, als sie herein kam und ihn erst mal mit einem verschlafenen Gähnen begrüßte. „Dir auch einen guten Morgen, Schlafmütze. Ich hab Milch warm gemacht. Nimm, so viel du willst.“ Momentan gab die Ziege besonders viel davon, sodass es schade gewesen wäre, sie ungenutzt wegzuschütten. Und jeden Tag Käse machen konnte er auch nicht. Zusammen genossen sie ein kräftigendes Frühstück. Es war meistens die schönste Zeit des Tages, denn ihr Vater würde wegen der nächtlichen Streifzüge erst in ein paar Stunden aus seinem Loch herauskommen. Bis dahin waren sie nahezu ungestört. Als sie schließlich fertig waren, räumte Saria das Geschirr ab, um es im Waschbecken sauber machen zu können. Sie bestand schon länger darauf, mitzuhelfen und auch wenn er anfangs abgelehnt hatte, war sie doch beständig in ihrer Forderung gewesen, bis er schließlich nachgegeben hatte. Tatsächlich war sie eine große Hilfe und zusammen mit ihr war die Arbeit doppelt so schnell erledigt, sodass sie mehr Zeit für sich hatten. Nur beim Kochen ließ er sie nicht alleine. Er war zwar genauso alt wie sie gewesen, als er angefangen hatte, sich ganz allein um sie zu kümmern, aber Saria zeigte des öfteren eine gewisse Tendenz zur Tollpatschigkeit, mit der er sie ungern allein mit Messern und Feuer arbeiten ließ. Das hatte noch Zeit, bis sie etwas älter und besonnener war. „Ich muss jetzt kurz ins Dorf. Wir brauchen ein paar Sachen.“ Keiner von beiden mochte diese Tage, darum schob Bast sie immer so lange auf, bis es nicht mehr ging. Nur heute war es wieder so weit. Saria konnte er nicht mit ins Dorf nehmen, also musste sie allein zu Hause bleiben. Bast hasste das. Dass er sie zur Vorsicht mahnte, hörte sie wohl schon zum tausendsten Mal, aber er würde keine Ruhe finden, ehe er es nicht getan hatte: „Bleib in unserem Zimmer, bis ich wieder da bin. Ich beeile mich und sollte wieder da sein, ehe er wach ist.“ Sollte Saria von diesen Worten genervt sein, so zeigte sie es jedoch nicht. „Mir passiert nichts. Pass du auch auf dich auf.“ Darauf nickte er nur stumm. Er gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, ging dann aber mit finsterer und ernster Miene und zügigem Schritt los ins Dorf. Solange er alleine war, war er zumindest kurz geduldet, um die lebensnotwendigen Sachen, die er nicht selbst bestellen konnte, zu holen. Die Beleidigungen und Beschimpfungen, die er hier entgegengeworfen bekam, behielt er für sich. Saria brauchte davon nichts zu erfahren. Dennoch - er beeilte sich, wieder nach Hause zu kommem. Die üblichen Flüche machten ihm schon fast nichts mehr aus, aber hin und wieder schafften es die Leute im Dorf doch, sich wieder neue Bösartigkeiten auszudenken. Und er war auch nicht gegen alles gewappnet. Gerade, als er sein inneres Schild beim Anblick seines Zuhauses wieder ein wenig hatte sinken lassen, ertönte daraus ein grauenvoller Schrei, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Verdammt! VERDAMMT! Warum hatte er gerade heute ins Dorf gehen müssen?! Er ließ den voll beladenen Leiterwagen einfach da stehen, wo er war und stürmte sofort ins Hausinnere. ER stand bedrohlich über Saria, die wohl trotz Basts Warnung aus dem Zimmer herausgekommen war und die er zu Boden gestoßen haben musste. In seiner Hand hielt er ein Küchenmesser. Wo hatte er das Messer her?! Bast achtete immer darauf, dass alle gefährlichen Gegenstände außerhalb dessen Reichweite weggesperrt waren. Viel Zeit darüber nachzudenken, wie sein Vater dennoch in dessen Besitz gekommen war, hatte er jedoch nicht, denn so wie es aussah, war er gerade noch rechtzeitig in die Küche gekommen. Osmund hatte bereits ausgeholt und die Klinge sauste genau auf Saria zu! „NEIN!“ Bast war sich in die Bahn, um Saria vor jeglichem Schaden zu bewahren. Der Schmerz war heftig und Bast hatte wohl Glück, dass sein Vater die Schläfe verfehlt hatte, aber als er das Blut von der Stirn über das Auge und hinunter zum Mundwinkel fließen spürte, konnte er nichts anderes als tiefe Erleichterung spüren. Sein Herz raste zwar noch, aber die schreckliche Angst war nun großer Wut gewichen. Wut auf sich selbst, dass er so unvorsichtig gewesen war. Und dieses Gefühl richtete er nun auf seinen Vater. Bast sprang auf ihn zu und klammerte sich an den Arm, dessen Hand das Messer hielt. Nach einer kurzen Rangelei ging Bast mit einer blutigen Lippe – was längst schon nichts Neues mehr war – als Sieger hervor. Nun hielt er das Messer in der Hand. „Verschwinde. Raus aus diesem Zimmer oder du bekommst es mit mir zu tun.“ Es war ihm todernst. Osmund schien zumindest so weit bei Sinnen zu sein, dass er diese Warnung ernst nahm. Bast war kein Junge mehr. Schon lange nicht mehr. Und er war nicht schwach. Mit einem Blick, der wohl am liebsten hätte töten wollen, verzog sich Osmund schließlich wieder. Erst aber, als Bast die Tür ins Schloss fallen und das Klicken des Schlüssels hören konnte, entspannte er sich ein wenig und ließ sich mit rasendem Herzen auf die Bank neben der Feuerstelle sinken. Saria war in Tränen aufgelöst, als sie sich aufrappelte und zu Bast stolperte. „E-es tut mir leid. Es ist meine Schuld.“, begann sie mit erstickter Stimme. „Das Poltern war nur so laut und seine Stimme danach so flehend, dass ich einfach nachsehen musste.“ Man sah ihr ihr schlechtes Gewissen förmlich an. Und ihre Angst. „Du stirbst doch jetzt nicht, oder?“ Er musste schlimm aussehen. Bestimmt war sein halbes Gesicht voller Blut. Und vom Kinn tropfte es auch runter auf seinen Schoß. „Schon gut. Keine Angst, ich sterbe nicht.“ Er konnte sie doch nicht alleine lassen. „Es ist nicht deine Schuld, sondern meine. Ich hätte vorsichtiger mit den Vorbereitungen sein sollen.“ Dann wäre der Vater gar nicht erst ans Messer rangekommen. Bast merkte, dass er selbiges immer noch krampfhaft fest in der Hand hielt. Er legte es sofort beiseite, damit er nicht noch aus versehen Saria damit verletzte. „Sei bitte so gut und bring mir einen nassen Lappen.“ Er musste sich das Gesicht sauber machen und die Blutung stoppen. Sie stolperte fast über ihre eigenen Füße, so schnell eilte sie zur Wasserschüssel. Aber sie brachte ihm einen frischen und kühlen Lappen, mit dem er sich zuerst gründlich über das Gesicht wischte, ehe er ihn auf die Stirn drückte. Das Pochen an dieser Stelle hörte irgendwann auch auf und als er den dritten Lappen wegnahm, hatte die Wunde auch zu bluten aufgehört und war nur noch gerötet. Zum Glück war da nicht viel, was hätte aufgeschnitten werden können. Erst als Saria sah, dass tatsächlich kein Blut mehr floss und er trotzdem noch aufstehen und rumlaufen konnte, ließ sie sich schließlich gänzlich beruhigen und ihre Tränen trocknen. Den restlichen Tag wollten die beiden nur noch weg, also packte Bast die gekauften Waren noch schnell in die Vorratskammer und nahm dann Saria an der Hand, um mit ihr zu ihrem gemeinsamen geheimen Platz zu gehen. Sie hatten die Lichtung eines Tages per Zufall gefunden. Wie auch immer er dort hingekommen sein mochte, wuchs dort ein Apfelbaum, der sie jeden Herbst mit den allerbesten Äpfeln versorgte. Dieses Geheimnis behielten sie aber für sich. Sie nahmen nicht mal einen Apfel mit nach Hause. Lieber kamen sie hierher und aßen so viel, bis sie fast platzten. Noch war es dafür aber nicht so weit und während den Früchten noch die rote Farbe fehlte und bestenfalls als sauer bezeichnet werden konnten (Saria hatte es ja unbedingt probieren müssen, ehe sie Bast geglaubt hatte), besuchten sie diesen Ort so oft wie möglich. Hier konnten sie zumindest für kurze Zeit die Welt um sich herum vergessen. Bast legte sich in den kühleren Schatten auf das weiche Gras und schloss die Augen, während er dem leisem Gesang einer Blumen pflückenden Saria zuhörte. Am liebsten wäre er einfach hier geblieben... ...Er musste eingeschlafen sein, denn Saria rüttelte schon etwas stärker an seiner Schulter, als er wieder aufwachte. „Für dich.“ Mit einem schüchternen Lächeln reichte sie ihm einen Blumenkranz. „Als Dankeschön.“ Bast nahm ihn lächelnd entgegen. „Der ist richtig schön.“ Er setzte sich auf und ließ ihn Saria auf seinem Kopf platzieren. „Den hast du echt toll gemacht.“ Ein erfreutes Gesicht blickte ihm daraufhin entgegen. „Ich mach mir auch noch einen, dann haben wir beide einen.“ Er nickte. „Mach das.“ Müde lächelnd blickte er ihr hinter, wie sie wieder durch die Wiese zog, um abermals Blumen zu sammeln. Ja, er würde wirklich gerne hier bleiben. Kapitel 6: Light and Darkness ----------------------------- Es war eine ruhige, schon fast friedliche Nacht. Nur das Heulen eines einzelnen Wolfes durchschnitt die absolute Stille des schlafenden Waldes. Auch Bast und Saria hatten sich in ihr Zimmer zurückgezogen und redeten darüber, dass sie morgen vielleicht wieder zu ihrem Platz gehen würden. In letzter Zeit hatten sie kaum Gelegenheit dazu gehabt, da es mit ihrem Vater momentan besonders schwierig war. So wie es schien, wirkte sein „Heilmittel“ nicht mehr ganz so gut, wie es früher immer der Fall gewesen war. Und auch wenn Bast dies bei den Mengen, die Osmund täglich zu sich nahm, nie für möglich gehalten hatte, so konnte er zweifellos beobachten, wie die Betäubung und geistige Abwesenheit, die bis jetzt immer mehr oder weniger konstant stark gewesen war, immer öfter von Wutausbrüchen überschattet wurde. Bast lag nun kaum noch mehr als zwei oder drei Stunden am Stück schlafend im Bett. Zum Glück hatte er es sich über die Jahre hinweg antrainiert, schnell in tiefen Schlaf zu fallen, aus dem er aber auch rasch erwachen konnte. So war er eigentlich immer mehr oder weniger gut ausgeruht. Saria konnte ihrerseits unter allen unmöglichen Umständen schlafen wie ein Stein, sodass sie eigentlich nie etwas von den nächtlichen Aktivitäten ihres Vaters mitbekam. Normalerweise jedenfalls. Nun doch was dies immer öfters anders, da Osmund seit neuestem auch nachts zu brüllen und zu toben anfing. Und die Stärke seiner Stimme konnte mit Leichtigkeit ein Gewitter übertönen. Im Moment aber war es ruhig und auch Bast hatte schließlich etwas Schlaf gefunden. Mitten in der Nacht wurde er allerdings von einem Geräusch draußen geweckt. Als er die Augen aufschlug, stellte er sehr zum Schrecken fest, dass Saria nicht in ihrem Bett lag. Wo war sie?! Sofort sprang er auf. Hatte ihr Vater sie nach draußen gezerrt, ohne dass Bast es mitbekommen hatte? Aber da hätte er doch sicherlich etwas gemerkt. Ihr Vater wäre niemals lautlos ins Zimmer gekommen. Und Saria hätte sich noch weniger lautlos mitzerren lassen. Doch so unwahrscheinlich das war, konnte Bast es doch nicht ausschließen. Oder waren es doch vielmehr Kinder aus dem Dorf, die einmal mehr daraus eine Mutprobe machten, wer sich am nächsten an ihr Haus herantraute? Oft genug hatte Bast sie verscheuchen müssen. Vor allem dann, wenn er in ihren Händen größere Steine entdeckt hatte, die sie zweifellos nach seiner Schwester hatten werfen wollen. Was auch immer es sein mochte, Bast musste in jedem Fall zuerst seine Schwester finden. Im Innern des Hauses war es still und kein Geräusch drang an sein Ohr. Deshalb verließ er das Hausinnere, um zu sehen, was draußen los war. Zunächst konnte er trotz des hellen Vollmondlichts nichts entdecken. Alles lag stumm und unbeweglich im kahlen Licht des Mondes, der sogar beinahe die Sterne überstrahlte. Für einen kurzen Moment blieb Bast stehen und betrachtete die helle Scheibe. Dann aber wandte er sich wieder ab und suchte weiter seine Umgebung ab. Hatte er sich getäuscht und bildete sich nun schon Geräusche ein? Gerade, als er an seinen eigenen Sinnen zu zweifeln begann, hörte er jedoch abermals ein Geräusch. Hinter ihm raschelten Büsche, in denen sich wohl jemand zu verstecken schien. „Wer ist da?“, fragte er mit strengem Ton und ging geradewegs auf die Sträucher zu. Nun war es ihm fast klar, dass es nicht sein Vater sein konnte. Der würde sicht nicht hinter einem Busch verstecken, dort auf Bast lauern und ihn dann angreifen. Wenn, dann würde er offen und direkt auf ihn zukommen. Osmund hatte schon lange die Fähigkeit verloren, irgendwelche ausgeklügelteren Pläne zu schmieden und dann auch in die Tat umzusetzen. Nicht, dass er jemals jemand gewesen war, der nicht direkt auf jemanden zugegangen war. Sein Vater konnte es also nicht sein. Deshalb musste es jemand aus dem Dorf sein. „Zeig di-!“, bevor er aber seine Aufforderung zu Ende sprechen konnte, zeigte sich, wie falsch er auch mit der zweiten Annahme lag. Denn plötzlich fiel ihn aus den Büschen heraus ein Tier an. Ein Wolf?! Das war sein erster Gedanke, als er von dessen Körper zu Boden gestoßen wurde. Aber das konnte nicht sein. Diese Augen, die ihn anfixiert hatten! Ihm verschlug es fast den Atem, als er in diese menschlichen Augen blickte, in denen er den Tod sah. Es hatte seine Zähne gefletscht und das tiefe Knurren und Grollen konnte nichts gutes bedeuten. Der Schmerz, den er dann spürte, war unbeschreiblich. Bast hatte schon einiges eingesteckt und er war deshalb abgehärtet, aber diese scharfen Zähne und reißenden Krallen waren schlimmer als alles, was er bis jetzt erlebt hatte. Wie von Sinnen biss und kratzt das Wesen mit einer derartigen Heftigkeit, dass Bast nicht einmal schreien, sondern nur keuchen und stöhnen konnte. Warum geschah das? Er wusste es nicht. Und er konnte es sich nicht erklären. Fest aber stand, dass seine Versuche, sich zu wehren, das Monster nur noch mehr anstachelten. Sein Brustkorb brannte wie das Feuer der Hölle selbst und der Wolf schien erst dann von ihm abzulassen, als er sich nicht mehr regte. Ebenso schnell wie es aufgetaucht war, war es auch wieder verschwunden und ließ Bast in seinem Zustand einfach auf dem Boden liegen, ohne ihn auch noch ein zweites Mal zu beachten. Er selbst konnte erst mal gar nichts tun. Die Schmerzen lähmten seinen Körper und machten es ihm unmöglich, auch nur die Hand zu heben. Er dauerte, bis er wieder einen Gedanken fassen konnte und sich schließlich selbst dazu zwang, sich wieder aufzurichten. Die Schmerzen, die anfangs so schrecklich und höllisch gewesen waren, wandelten sich mittlerweile in ein drückendes und schweres Gefühl. Er fühlte sich nun nicht mehr so, als würde ein heißes Stück Eisen auf seine Brustkorb gedrückt werden, sondern viel eher so, als ob jemand einen Gürtel um seine Brust geschnallt hätte und ihn nun immer enger und enger zog. Von dem, was um ihn herum passierte, während er sich zum Haus schleppte, bekam er kaum etwas mit, aber irgendwie schien er es zurück ins Schlafzimmer geschafft zu haben. Scheinbar war kaum Zeit vergangen, denn Saria war noch immer nicht zurück. Saria... Richtig! Saria! Er hatte sie doch suchen wollen! Ehe er aber Kehrt machen konnte, rutsche seine Hand von der Wand, auf der er sich abgestützt hatte, ab und er fiel hart zu Boden. Unter sich spürte Bast etwas warmes und nasses und der Geruch von Eisen stieg ihm in die Nase. In seinem Kopf konnte er sich aber trotzdem nicht zusammenreimen, dass er wohl stark blutete. Deshalb versuchte er immer wieder, sich aufzurichten, aber so sehr er sich bemühte, er schaffte es einfach nicht, sich auch nur einen Zentimeter vom Boden hochzudrücken. Erleichterung machte sich in ihm breit, als er vom Gang dumpf, aber doch erkennbar Sarias Schritte hörte. Vielleicht hatte sie das Geräusch seines Falls gehört. Wo auch immer sie gewesen sein mochte, nun kam sie zurück. Bast war so froh, dass es ihr gut ging. Er hatte sich wohl vollkommen umsonst Sorgen um sie gemacht, denn das Tempo ihrer Schritte, die in seinem Kopf auf komische Weise wiederhallten, war schnell und eilig. Bast konnte sich selbst nicht sehen, aber sein Anblick musste grauenhaft sein. Inmitten einer Blutlache schaffte er es gerade noch so, die Augen offen zu halten und in die Richtung zu blicken, in der Saria stand. Zweifellos lag großes Grauen und noch größere Angst in ihrer Stimme. Bast konnte es aber nur erahnen, denn die Geräusche und Töne, die ihn nur noch dumpf erreichten, wurden immer leiser. Irgendwie aber fühlte er, dass er plötzlich weich lag. Saria musste es auf welche Art auch immer geschafft haben, ihn ins Bett zu legen und nun versuchte sie, seine Wunden zu behandeln. Er spürte davon nichts, aber er wollte ihr sagen, dass sie sich nicht zu fürchten brauchte. Wie alles andere davor würde er für sie auch das überstehen. Und doch schafften seine tröstenden Worte es nicht über seine Kehle hinaus. Nur langsam wollten sich seine Lippen formen. Bast kämpfte dagegen an, das Bewusstsein zu verlieren, doch es wurde immer schwerer. Sein ganzer Körper fühlte sich an , als ob etwas schweres auf ihn drücken würde. Und dann wurde alles um ihn herum dunkel. Alles, was er wahrnehmen konnte, war Stille und Kälte. Kapitel 7: Broken Promise and New Promise ----------------------------------------- Wie viel Zeit war vergangen, seit er draußen angefallen worden war? Er konnte es nicht sagen. Waren es Minuten gewesen? Stunden? Tage? War dieses Licht die Sonne oder eine Kerze, die nur beim Bett stand? Oder war es der helle Vollmond? Er war so tief gestanden...war so riesig gewesen. Als ob er wegen seines Gewichts gleich zur Erde stürzen würde. Bast fühlte sich ganz ähnlich. Sein Körper war immer noch schwer, doch nun war auch die Hitze zurückgekehrt. Hatte er zuvor gefroren? Dieser Moment schien schon lange her zu sein. Oder doch nicht? Ein plötzlicher Luftzug ließ ihn erzittern. Bast versuchte auszumachen, woher er gekommen war, doch er schaffte es kaum, seinen Kopf zu drehen. Er fühlte sich so schwer. Er bekam kaum Luft, doch jedes Mal wenn er versuchte tiefer zu atmen, fühlte sich sein Brustkorb so an, als würde er zerspringen. Er glaubte, etwas zu trinken. Das Wasser rann seine Mundwinkel aber auch seine Kehle hinab. Es war beinahe wie eine Erlösung. Eine Erlösung jedoch von nur kurzer Dauer. Der kurze Moment der Erleichterung, der dieses Brennen in ihm besänftigt hatte, währte kaum länger, als ihm der Becher mit Wasser an die Lippen gehalten wurde. Hätte sie ihn dabei nicht gestützt, er hätte sich sicher daran verschluckt. Sie? Wer war bei ihm? Es war jemand, um den eigentlich er sich kümmern musste. »Ihr Name ist Saria...Von jetzt an musst du gut auf sie aufpassen und sie immer beschützen.« Das hatte man ihm gesagt. Das hatte er versprochen, immer zu tun. Saria. Sie war bei ihm. Sie war es, die sich um ihn kümmerte. War es ihr Gesicht, das er unscharf sehen konnte? War es ihre kühle Hand, die sich auf seine Stirn legte? Bast schloss kurz die Augen. Doch...war es wirklich nur kurz? Als er sie wieder aufschlug, war ihre Hand weg und seine Stirn fühlte sich an, als wäre dort nie etwas gewesen. Er hatte das Gefühl für Zeit komplett verloren. War das Licht mehr geworden? War es heller geworden? Er glaube, mehr Details sehen zu können, doch das konnte nicht stimmen. Seine Sicht war so verschwommen wie zuvor. Etwas berührte seine Hand. Nein...nicht etwas...jemand. Saria drückte seine Hand so fest, wie sie es sich traute. Sie murmelte leise vor sich hin. Die Worte verstand er nicht...sie drangen zwar an sein Ohr, doch in seinem Kopf wollten sie sich zu keinem Sinn zusammenfügen. Das Gefühl jedoch, das in ihnen lag, das erreichte ihn. Es war Sorge und Angst. Und Furcht, die ihre Hand zittern ließ. Er musste...er musste sie beruhigen. Sein kleiner Angsthase würde sonst das weinen anfangen. Und das wollte er nicht. Er hatte sich geschworen, sie nicht zum weinen zu bringen. Nicht nochmal. Ein Lächeln. Er brauchte eins. Sie brauchte eins. Er musste alle Konzentration, die er aufbringen konnte, zusammennehmen, um ein Lächeln aus seinen Lippen zu formen und um ihre Hand zu drücken und so auf sich aufmerksam zu machen. Sein Griff war wahrscheinlich viel schwacher, als er gewollt hatte, doch es schien zu reichen. Ihr Blick schnellte hoch und er glaubte so etwas wie ein ersticktes Keuchen zu hören. Sie versuchte, den besorgten Ausdruck aus ihrem Gesicht zu wischen und sie schaffte es. Er konnte es sehen. Klarer als alles andere: Ihr Lächeln. Und für einen Moment war alles in Ordnung. Doch ihr Lächeln fror ein. Warum? Hörte oder sah sie etwas, dass sich noch seinen gelähmten Sinnen entzog? Die Antwort kam zu ihm einen Augenblick später, als schließlich auch er seine Schritte hörte. Nein! Nicht jetzt! Instinktiv spannten sich seine Muskeln an. Osmund...er durfte nicht hier rein kommen! Bast schrie seinen Körper an, aufzustehen, doch dieser gehorchte ihm nicht. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er musste etwas tun! Saria war in Gefahr! Sie konnte sich nicht alleine gegen ihren Vater wehren. Hatte sie die Tür versperrt? Er hatte es ihr doch immer und immer wieder gesagt. Sie musste sie einfach verschlossen haben. Gab es hier ein Messer? Er durfte nicht nochmal an ein Messer kommen! Panik stieg in ihm auf. Doch plötzlich war es ruhig. Ein Friedhof hätte nicht stiller sein können. War er weg? Bast betete, dass dem so war. Jedoch...diese Stille war nicht nur zu hören. Nein, Bast spürte sie. Sarias Hand, die seine so fest hielt, war zu Stein erstarrt. Ihr Blick verharrte auf einer Stelle, die außerhalb seines Sichtfelds lag. Doch mehr als all das sagte ihm der Zorn, der die Luft um sie herum erfüllte, dass sein Vater mitten im Raum stand - und Sarias Blick entgegnete. Der Schrei...ihr Schrei zerriss die Luft. Ihre Hand wurde von ihm fortgerissen. Er konnte hören, wie sie geschlagen wurde. Er konnte hören, wie sie zu Boden gestoßen wurde. Er konnte hören, wie die brüllende Stimme seines Vaters die Luft zum Erzittern brachte. “Hexe!”, “Verfluchte!”, “Mörderin!”. Osmund brachte kaum ein klares Wort heraus, aber diese waren dafür umso heftiger. Genauso wie seine Schläge, die mit jedem Mal stärker und brutaler zu werden schienen. Bast hielt es kaum noch aus. Sarias Flehen und der Klang ihrer zitternden Stimme nahm ein abruptes Ende, als ihre Vater sie mit seiner mächtigen Faust am Kopf erwischte und sie reglos zu Boden sank. Etwas in Bast zerriss. Es war, als würde das Band, das seinen Körper eingeschnürt hatte, einfach abfallen und ihn frei lassen. Seine Sicht war klar, sein Gehör messerscharf. Und die Hitze, die die ganze Zeit über da gewesen war, war zu einem Feuerinferno in seinem Inneren geworden. Im nächsten Moment fand er sich über seinem Vater wieder. Er schlug auf ihn ein. Er kratzte. Er biss. Wie von Sinnen gab er Osmund all das zurück, was er von ihm all die Jahre über erhalten hatte. Und das Blut, das plötzlich überall an ihm klebte...an seiner Kleidung, an seinen Händen, ein seinem Gesicht...das machte ihn nur noch rasender. Er merkte nicht einmal, dass sich der Mann unter ihm nicht mehr rührte. “Hör auf! Hör auf!” Ihre klare Stimme erfüllte den Raum. Bast blickte zu ihr auf. Sie kam gerade wieder auf ihre Beine. Wieder der Geruch von Blut. Anderes Blut. Und ein warmer Körper unter ihm. Bast blinzelte kurz. Er blickte zu ihr hinunter. Auf dem Boden unter ihm lag Saria. Aber das konnte nicht stimmen. Das war nicht der Boden. Das Holz war doch stets von fast schwarzbrauner Farbe gewesen. Wieso hatte es nun einen rötlich Ton angenommen? Und Saria...war sie jemals so blass gewesen? Seine Augen weiteten sich in der Erkenntnis vor Grauen, als er vor ihr zusammensank. Was hatte er getan? “Saria! Saria!” Ein weiteres Mal wurde seine Sicht unscharf und er spürte, wie etwas von seinem Gesicht auf seine Hand tropfte. Wegen ihrer Schmerzen hatte sie die Augen zusammengekniffen, doch nun öffnete sie sie und hob schwach ihre Hand zu Basts Gesicht. Er ergriff sie auf halbem Weg und zog seine Schwester näher zu sich, um sie wie so oft in den Arm zu nehmen. “Ist...schon gut Bast. Ich bin dir...nicht böse.” Ihre Worte waren leise und schwach und sie musste zwischen ihnen zu Atem kommen, doch ihre Stimme zitterte nun nicht mehr. Viel mehr war sie ruhig und bedacht, so als würde sie jedes Wort sorgfältig abwägen. “Es wird...alles gut, großer Bruder. Du bist...jetzt endlich frei.” Die Freude, die in ihrem Lächeln lag, zerbrach ihm fast das Herz. “Versprich mir...werde glücklich.” Sie schloss ihre Augen, als wollte sie sich ausruhen. Doch nach nur wenigen Sekunden öffnete sie sie schnell wieder, als hätte sie etwas wichtiges vergessen. “Bast...”, sie suchte seinen Blick. Als sie sein Gesicht fand, leuchteten ihre Augen auf. “...ich liebe dich...” Dann erlosch das Licht. Die Leere, die in ihnen zurück blieb, machte sich auch in ihm breit. Er drückte ihren leblosen Körper an sich, doch es half nichts. »Ihr Name ist Saria.« Sein Vater hatte ihm eine Hand auf den Kopf gelegt. »Von jetzt an musst du gut auf sie aufpassen und sie immer beschützen.« Was hatte er getan?! Sein Schrei erfüllte das Haus. Ein Schrei, den niemand mehr hörte. Kapitel 8: Hope and Despair --------------------------- Niemand war da. Er war nicht da. Er ging zwar umher, er trug etwas, doch er fühlte sich... Nein, das war falsch. Er fühlte nicht. Es war, als hätte man ihn plötzlich unter Wasser getaucht. Die Sicht war unklar. Alle Geräusche waren von einem Rauschen ersetzt worden. Und die Kälte hatte ihn betäubt. Er trug etwas. Es fühlte sich an einem Ende schwer an. Er blickte auf den Gegenstand. Wann hatte er die Schaufel genommen? Und wohin trugen ihn seine Beine? Die Füße kamen zum stehen und er blickte sich um. Er war im Garten hinterm Haus. Warum? Nein...das war nicht wichtig. Hier würde er nicht Halt machen. Es war immer ihr Platz gewesen. Ihre Aufgabe, während er für die großen Felder verantwortlich gewesen war. Es ging weiter...er öffnete eine Tür im hinteren Bereich des Zauns und ging noch ein Stück, bis er schließlich vor einer großen Fichte anhielt. Er blickte zu ihr hinauf. Still und unbeweglich ragte sie in die Höhe hinauf. Ja, das war ein passender Ort. Er wandte seinen Blick wieder nach unten. Auf den Boden. Und dann fing er an zu graben. Immer weiter und tiefer. So lange, bis die Grube lang und tief genug war, um einen erwachsenen Mann aufnehmen zu können. Er ging zurück zum Haus. Auf zwei Tischen lagen zwei Personen. Die größere in schwarzes Tuch gehüllt, die kleinere in Weißes, durchwirkt mit Blumen in zarten Farbtönen. Ein paar Stunden der nächtlichen Totenwache war alles, was er hatte ertragen können. Er war am Ende seiner Kräfte und doch fand er keinen Schlaf. So hatte er sich schließlich eine Schaufel genommen und war losgegangen. Und nun war er wieder hier. Er hob den großen Körper hoch und legte ihn sich über die Schulter. Er war schwer, doch er ging den Weg zur Fichte zurück, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er legte den Leichnam in die Grube und fing an, sie wieder zuzuschütten. Am Ende wölbte sich ein kleiner Erdhaufen über dem Loch, an dessen oberen Ende er einen Holzpflock in die Erde trieb. Nichts außer einem kleinen, eingeritzten Kreuz erinnerte daran, dass er gerade ein Grab gesetzt hatte. Der Weg zurück war unvergleichlich viel schwerer. Denn die Aufgabe, die ihn nun erwartete, war eine, von der er nicht wusste, ob er sie bewältigen konnte. Lange blickte er auf das weiche Tuch, das den zierlichen Körper fast komplett bedeckte. Nur ihr Gesicht lag noch frei und sie wirkte fast so, als würde sie schlafen. Er hoffte, sie träumte etwas schönes. Nach einiger Zeit, die ihm wie eine Unendlichkeit vorkam und doch schier zu schnell vorüber war, trat er an die Seite des Tisches und hob den Körper vorsichtig hoch. Er war so leicht. Er trug ihn vor sich - in einer Hand zusätzlich die Schaufel und ein Kreuz aus Holz haltend. Und dann ging er los. Weiter als bis zur Fichte. Viel weiter. Für sie gab es nur einen Ort, an dem sie begraben werden durfte. Seine Beine trugen ihn von selbst dort hin und schließlich fand er sich vor dem Apfelbaum wieder. Das war ihr gemeinsamer Platz. Und er würde es für immer bleiben. Vorsichtig legte er sie auf der Blumenwiese ab. Dann fing er an, im Schatten des Baumes zu graben. Es dauerte länger, viel länger, als beim ersten Mal. Und das, obwohl das Grab dieses Mal kleiner ausfiel. Die sinkende Sonne berührte schon die Baumspitzen des Lichtungsrandes, als er endlich fertig war. Er legte den in weiß gehüllten Körper hinein. Genauso wie drei der Äpfel des Baumes. Sie waren wunderbar gereift und ihre rote Farbe kündete jedem von ihrem wundervollen Geschmack. Allzu bald verschwand ihre Form unter den Erdhaufen, die Stück für Stück zurück in das Loch befördert wurden. Als schließlich auch das Gesicht bedeckt war, schien es irgendwie schneller zu gehen. So lange, bis er auch hier das Zeichen eines Grabes setzen konnte. Er befestigte das Kreuz gut verankert beim Stamm. Ein Name und die Worte 'Geliebt und unvergessen.', die er mit viel Mühe ruhig eingraviert hatte, waren darauf zu lesen. Dann ging er. Er rannte. Keinen Moment länger konnte er dort bleiben. Nicht jetzt. Er rannte zurück zum Haus, zurück in sein Zimmer. Doch obwohl er sich hinlegte, er konnte seine Augen nicht schließen. Wenn er es tat, sah er nur sie unter sich liegend. So starrte er zur Decke. Er starrte durch sie hindurch. Nichts war dort. Niemand war dort. Die Farbe der Decke verschwand mit dem Licht der untergegangen Sonne. Zumindest für eine Weile. Er musste wohl vergessen haben, die Läden zu schließen, denn bald darauf wurde das Zimmer von einem kühleren Licht erfüllt. Es fühlte sich irgendwie angenehm an. Wie von selbst setzte er sich auf, um den Mond durch das Fenster hindurch zu beobachten. Er war fast genauso groß wie vorletzte Nacht, doch man konnte bereits einen Ansatz dessen erkennen, dass sein Licht wieder abnahm. Trotzdem hielt ihn sein Anblick gefangen. Und dann spürte er es. Die Schmerzen in seinem Brustkorb, die heute trotz der Arbeit schon besser geworden waren, begannen nun wieder pulsierend stärker zu werden. So als würde etwas in ihm langsam erwachen. Er konnte das Brennen in sich fühlen. Es war genauso wie gestern am Morgen. Intensiv und stark. Er wollte den Blick vom Mond abwenden, doch es gelang ihm nicht. Etwas regte sich in ihm. Etwas, das herauswollte. Er konnte den frischen Geruch des Feldes und der Bäume draußen riechen. Und dorthin wollte er. Hinaus. Warum war er hier drin? Er gehörte hier nicht her. Es war eine Qual, sich gegen diesen Trieb zu wehren. Sein Körper krümmte sich unter seinem inneren Kampf und das anfängliche Stöhnen beim Versuch, sich zu kontrollieren, wurde zu immer lauteren Schreien. Doch waren sie menschlich? Nein, sie wurden immer animalischer. Und immer stärker kochte sein Blut. Er musste raus. Es musste raus. Es schmerzte. Er brüllte auf, als er auf den Boden fiel. Doch sein Schrei hörte sich falsch an. Er heulte. Wieso war er in diesem engen Ort eingeschlossen? Er musste raus. Er brauchte Platz. Er brauchte Luft. Hier erstickte er beinahe. Er versuchte sich aufzurappeln, doch irgendwas stimmte nicht. Er strauchelte. Er schaffte es nicht, sich aufzurichten. Seine Beine versagten ihm den Dienst. Auf allen vieren versuchte er zur Tür zu kommen. Es klappte. Doch er konnte die Türklinke nicht erreichen! Er musste raus. In diesem Raum hing noch immer der Geruch von Blut. War er schon die ganze Zeit hier gewesen? War es immer schon so stark gewesen? Plötzlich kam es ihm so vor, als wäre die Luft voll davon. Es machte ihn fast wahnsinnig. Wieso ließ sich die Tür nicht öffnen?! Er musste fort von hier. Er musste laufen. Er fing an zu laufen. Doch da war plötzlich ein Hindernis, eine Wand. Er stieß dagegen und taumelte benebelt zu Boden. Er richtete sich wieder auf. Gab es hier kein Entkommen? Ein weiterer Schrei. Ein weiteres Heulen. Dieses Mal rammte er absichtlich die Wand. Doch sie gab nicht nach. Er versuchte es bei der Tür. Das selbe Ergebnis. Warum hatte er sie so stabil gemacht? Ein weiteres Mal preschte er dagegen. Nichts. Der Raum schien kleiner zu werden. Er wollte sich dagegen wehren. Doch so sehr er sich bemühte, so sehr er dagegen ankämpfte, er konnte nicht hinaus. Ein weiterer Aufprall, der ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht warf. Er fiel zu Boden. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich zerspringen. Er brauchte Luft. Doch er bekam keine. Sein Herz raste. Es war kaum zu ertragen. Und da war wieder dieser Schmerz in seiner Brust. Er heulte. Er schrie. Er kniete auf dem Boden und lehnte sich nach vorn, stützte sich auf seine Arme ab. Er übergab sich. Mit zitternden Beinen stand er auf. Wieso ging es nun? Er taumelte zurück zum Bett, weg von der Tür, und ließ sich darauf sinken... Er musste irgendwie weggedriftet sein, denn plötzlich blendete ihn das helle Licht der Sonne. Er wandte den Blick vom Fenster ab. Doch was er danach sah, erschreckte ihn fast noch mehr. Das Zimmer war regelrecht verwüstet. Die Möbel waren zertrümmert, Vasen mit verwelkten Blumen lagen zerbrochen am Boden und die Wände waren von scharfen Krallen derart verfetzt, dass sie unwiderruflich zerstört waren. Vor allem die Tür war extrem in Mitleidenschaft gezogen worden. Viel fehlte nicht mehr und sie würde durch ihr Eigengewicht in sich zusammenfallen. Was war passiert? War er das gewesen? Verwirrt blickte er sich um. Langsam stand er auf. Und trotzdem wurde ihm schwindelig und er musste sich an der Wand abstützen, um zur Tür zu gelangen. Er öffnete sie. Und fand sich plötzlich in der Küche wieder. Er hatte so schrecklichen Hunger. Seine Beine führten ihn in die Vorratskammer, wo ihm der Geruch von frisch abgehangenem Schinken entgegenschlug. Ohne darüber nachzudenken riss er die große Keule von ihrer Aufhängung und vertilgte sie bis zum letzten Rest. Doch er reichte nicht – bei weitem nicht. Am Ende glich auch die Vorratskammer einem wahren Schlachtfeld. Erst dann kam er wieder zur Besinnung. Er schaute sich um. Es war still. Kein Murren, kein Toben, kein Brüllen. Aber auch kein Schnattern, kein Gesang, kein Lachen. Niemand war hier. Er war allein. »Werde glücklich.«, hatte sie gesagt. Er ging zurück auf sein Zimmer und brachte es in Ordnung. Soweit es ging zumindest. Draußen kümmerte er sich um den Garten...um ihren Garten. »Werde glücklich.« Er erntete ein paar Kartoffeln, machte sich Essen. Wieso hatte er schon wieder Hunger? Die Suppe schmeckte sich falsch in seinem Mund an. Als verlangte sein Körper nach etwas anderem. Doch er aß sie auf. Es waren ihre Kartoffeln. Er räumte auf und kümmerte sich um die täglichen Aufgaben im Haus. Eine Tür hinter ihm knarzte. Sofort drehte er sich um - hoffte. Doch da war niemand. Er hätte es doch wissen müssen. Er war allein. Kapitel 9: Goodbye and Encounter -------------------------------- Er stand in der Küche. Letzte Nacht hatte er entdeckt, was er war. Er hatte herausgefunden, wie er das Schlafzimmer so hatte verwüsten können. Und warum er mit solcher Leichtigkeit seinen Vater und seine Schwester... Er war ein Monster. Und er konnte es nicht kontrollieren. Er hatte es letzte Nacht versucht...vergeblich. Er war nur froh, dass er es nicht aus dem Haus rausgeschafft hatte. Und nun stand er hier. Er öffnete das Schloss eines Schrankes und dessen Tür. Ihm blitzte blank poliertes Metall entgegen. Sein Blick blieb auf einem ganz besonderen Gegenstand liegen. Vor vielen Jahren hatte er jemanden gerade noch rechtzeitig davor beschützt. Er nahm das Messer in die Hand und setzte die Spitze an seine Brust. Vielleicht wurde es jetzt endlich Zeit, dass es die Aufgabe ausführte, der es vor so vielen Jahren zugedacht war. Er berührte kurz seine Stirn mit der freien Hand. Die andere zitterte. Wieso konnte er sie nicht bewegen? »Werde glücklich.« Wie sollte er glücklich werden? Es gab nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte. Er war verflucht. Alles, was er wollte, war einfach nur bei ihr zu sein. Und doch schaffte er es nicht, seine Hand zu bewegen. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Er ließ das Messer fallen. Er konnte es einfach nicht. Im selben Moment wurde ihm etwas klar. Er musste weg von hier. Er konnte unmöglich hier bleiben, er konnte hier alleine nicht leben. Hier gab es zu viele Erinnerungen, die ihn quälten. Und die Leute im Dorf waren mit ihm in der Nähe in Gefahr. Manch einer mochte sagen, dass sie es nicht verdient hatten, von ihm verschont zu werden, doch er wollte keinem einzigen von ihnen etwas antun. Er wusste, dass auch sie gute Menschen waren. Dass sie eine Familie hatten. Eine Familie, die um ihren Verlust trauern würde. Das wollte er niemandem zumuten. Er packte die wichtigsten Sachen in eine Tasche. Wasser, etwas Brot und das Märchenbuch. Es war das einzige Andenken, das er von ihr hatte. Warum er das Haus abschloss, wusste er nicht. Aber er tat es. Und dann ging er. Fort. Weit fort. An Orte, wo keine Menschen lebten, denen er gefährlich werden konnte. Die Nacht des Vollmonds rückte ein weiteres Mal näher. Das Licht des Mondes wurde immer voller und heller. Er fürchtete sich davor, denn er spürte, er wusste, dass er sich dann wieder verwandeln musste. Die körperlichen Schmerzen dabei hatten zwar mittlerweile nachgelassen, aber das war ihm alles andere als ein Trost. Er wollte sich nicht verwandeln, doch die ruhigen Nächte um die Zeit des Neumonds waren scheinbar schon wieder so lange her und mit jeder weiteren Nacht wurde es schwieriger für ihn, sich zurückzuhalten. Mit jeder Nacht wuchs seine Furcht. Was, wenn doch ein Mensch in der Nähe war? Was, wenn er wie von Sinnen plötzlich in einem Dorf auftauchte? Diese Furcht machte es noch schwieriger, sich gegen das Monster in ihm zu wehren, von dem er wusste, dass er nur darauf wartete, plötzlich hervorzuspringen. Er konnte es immer noch nicht kontrollieren. Jedes Mal, wenn er wieder zu sich kam, war er voller Blut und um ihn verstreut lagen Knochen und Fellfetzen von Tieren, an die er sich nicht erinnerte. Der Mond ging gerade auf und erleuchte das Land mit seinem sanften Licht. Es war bald so weit. Vielleicht noch zwei oder drei Nächte und er hätte seine volle Größe erreicht. Er lag schweißgebadet in einer kleinen Höhle irgendeines Waldes. Das Licht drang nur schwach herein und doch spürte er, wie sich alles in ihm regte. Es wollte wieder heraus. Und er wollte sich wehren. Er hatte es gestern nicht geschafft...er wollte es wenigstens heute... Doch sein Puls begann unter der Anstrengung zu rasen. Und das machte alles nur schlimmer. Sein Finger hatten sich in den Weichen Erdboden unter ihn gebohrt, als er sich in dem Versuch hin- und herwandt, seine menschliche Gestalt zu behalten. Der Geruch der Erde war stark und doch konnte er Beute riechen. Sie war in der Nähe. Sie war ahnungslos. Er konnte schon fast ihr Blut schmecken. Er vergrub sein Gesicht im Boden, doch es kam näher. Es war ein Reh, er konnte es nun deutlich riechen. Es sollte laufen. Es sollte rennen! Er war zu schwach! Er war es, der nun rannte. Sein letzter aufbäumender Schrei hatte sich in ein langes und tiefes Heulen verwandelt. Doch diese Warnung kam für das Reh zu spät. Ehe es sich in Sicherheit bringen konnte, war er über es hergefallen und vergrub seine Zähne in dessen Hals. Sofort sank es leblos zu Boden und er verschlang gierig seine Beute. Kaum war er damit fertig, stieg ihm ein anderer Geruch in die Nase. Er kannte diesen Geruch...und irgendwie doch nicht. Es war keine Beute, die er bis jetzt gejagt hatte. Seine Beine machten sich einmal mehr selbstständig und rannten genau auf das nächste Ziel zu. Sein so genanntes Ziel war ein Stück größer als er und es war auch um einiges älter! Außerdem stellte es die Ohren auf und hob leicht die Lefzen. Der Neuling unter den Werwölfen war gerade dabei auf einen - sagen wir mal - Artgenossen zuzulaufen und dieser witterte ihn schon gegen den Wind. Ebenfalls hatte der andere Werwolf ein Beutetier erlegt gehabt, einen stattlichen Eber. Dieser hatte zu seinem Leidwesen den Weg des zweiten Werwolfes gekreuzt und somit sein Schicksal besiegelt. Durch den Mond dazu gezwungen, aber alle Sinne unter Kontrolle, begann das Ziel des Jüngeren dennoch bedrohlich zu knurren. Einen Gegenspieler oder gar Feind wollte er jetzt nicht sehen, zu lange hatte es gedauert, um an etwas fressbares heran zu kommen. Das Blut war am schmackhaftesten wenn es noch frisch und warm aus dem erlegten Tier kam. Etwas worauf man verzichten müsste, würde einem jetzt jemand in die Quere kommen. Dass die Beute am besten war, wenn sie frisch war, darin waren sich wohl beide einig. Und mit jedem Schritt, den der rennende Wolf näher auf sein Ziel zu machte, wurde auch deutlicher, dass da nicht nur ein Geruch war. Da war die Fährte, dessen Geruch ihn irgendwie irritierte, aber gleichzeitig konnte er auch einen Keiler wahrnehmen, dessen Blut deutlich und intensiv zu riechen war. Instinktiv stellte sich sein Fell auf und ein Knurren war aus seiner Kehle zu hören. Die erste Begegnung erzeugte in ihm ein Gefühl von Überraschung. Ein anderer Wolf? Kurz dachte er, er wäre ein normaler Wolf, doch das war nicht der Fall. Diese Augen! Menschliche Augen! Kurz zögerte er, doch der Wolf in ihm war stärker. Er ignorierte jede Warnung, die der deutlich ältere Wolf aussandte. Und im nächsten Moment war er dazu bereit, um den Eber zu kämpfen. Der ältere Wolf, dessen Augen leuchtend grün waren - eines matt und von einer langen, breiten und rissigen Narbe gezeichnet - stellte ebenso das Fell am Rücken auf und ebenso legte er die Ohren an. Wieder drang ein dunkles Knurren aus seiner Kehle. Eine letzte Warnung an den Eindringling seines Reviers, bevor auch Er auf ihn zu stürzte. Der Aufprall der beiden Wölfe war heftig und auch wenn alle beide ihre volle Kraft einsetzten, wurde schnell deutlich, dass er Ältere klar im Vorteil war. Konnte das eine Chance sein, diesem Fluch endlich zu entkommen? Der Kampf bekam plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Er wurde heftiger, intensiver. Wenn er es nur schaffte, den Erleger des Ebers stark genug zu verärgern, vielleicht würde er sich dann vergessen und ihn ausschalten. Durch seine eigene Schwäche war ihm das nicht möglich, doch dieser starke Wolf...er war seine Hoffnung darauf, endlich von diesem Leid erlöst zu werden. Die Erlösung schien auch nahe, denn immer wieder verbissen sich die Kontrahenten ineinander und bald begann das erste Blut zu fließen. Wunden wurden sich auf beiden Seiden beigebracht.  Knurrend und immer wieder zuschnappend, stürzte der Größere sich auf den Jüngeren. Wieder und wieder packte Er ihn im Nacken, schüttelte ihn und stieß ihn von sich weg.  Der Mond hatte sein Licht bereits wie Schnee auf die Baumkronen und den Waldboden gelegt. Somit bildete dieses einen Kontrast mit der dunklen roten Farbe der Flüssigkeit allen Lebens. Je länger der Kampf allerdings dauerte, desto mehr bekam der Wolf, der den Eber erlegt hatte, das Gefühl, das sein Gegenspieler nicht die Absicht hatte zu gewinnen. Mochte es so sein, das ihm die Erfahrung fehlte - was Er ja noch nicht wusste - aber er gab nicht alles. Nicht alles was er hätte aufbringen können... Auch die äußeren Wunden sprachen da für sich. Der Kraftunterschied spielte zwar ohne Zweifel eine Rolle, doch trotzdem konnte man sehen, dass der jüngere Wolf stärker verletzt war. Er fletschte zwar die Zähne und gab ein bedrohliches Knurren von sich, doch wenn er zubiss oder seine Krallen einsetzte, so tat er dies tatsächlich lediglich, um den anderen noch wütender zu machen. Mittlerweile konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten und entgegen jeglicher Vernunft machte ihn das unheimlich froh. Nur noch ein gezielter Biss und alles wäre endlich vorbei. Dass sein Fell bei weitem nicht mehr so gesträubt war, wie noch zu Anfang, merkte er gar nicht und auch seine drohend nach hinten gelegten Ohren hatten sich wieder aufgestellt. Sein Knurren aber blieb unverändert. Nur noch ein Biss - ein richtiger Treffer... Greif an. Bring es zu Ende. Der größere Wolf war abermals zum Sprung bereit. Es fehlte auch nicht sehr viel, dass er dem innerlichen Wunsch des Jüngeren nachkam, doch dann... Es fiel wenigstens ihm auf, dass der Gegner das Fell nicht mehr zum Kamm sträubte, das er scheinbar darauf wartete, dass das GANZE beendet wurde. All das veranlasste ihn dazu, nicht noch einmal anzugreifen. Wieder Herr seiner Sinne, löste sich der Größere aus seiner bedrohlichen Position und nahm eine offenere und friedlichere ein. Schon von Beginn an hatte Er gespürt, dass sein Gegenüber jünger und unerfahrener war. Womöglich jemand der gewandelt worden war, nicht geboren, so wie Er. War es das, was den jüngeren dazu gebracht hatte, ihn anzugreifen, unüberlegt und halbherzig? So als wolle er, das Er derjenige war der ihn richtete?! War dem so, dann war es nichts was Er tun wollte. Noch nie war jemand Unschuldiges durch seine Hand, durch seinen Kiefer mit den spitzen Fängen oder seine Klauen gestorben. Nie hatte er ohne Grund getötet. Deshalb wartete Aran - so war sein Name - nun auch ab. Er wartete ab, was geschah. Diese Zögern und diese Zurückhaltung besiegelte den Kampf. All verbliebene Kraft war in dieses letzte falsche Aufbäumen gelegt worden, doch nun, da mehr als deutlich war, dass der Tod wieder weiter in die Ferne gerückt war, gaben seine Füße nach und er stürzte entkräftet zu Boden. Er hatte es doch fast geschafft. Was hatte ihn verraten? Warum lebte er noch? Sein Knurren verwandelte sich plötzlich in ein verzweifeltes Winseln. Warum blieb er wieder verschont? Kapitel 10: Past and Future --------------------------- Diese Frage konnte ganz einfach beantwortet bleiben: In den Augen seines Gegners, hatte er den Tod nicht verdient. Er kannte ihn nicht mal und im Grunde waren sie beide Menschen. Weshalb also sollte er ihn töten? Töten wegen einem Eber der für sie beide reichen könnte? Töten nachdem er gemerkt hatte, wie verzweifelt der Jüngere war? Nein... So war er nicht gestrickt. Noch immer schien der Mond auf sie herab, doch sein Licht wurde fahler, so als hätte es sich in den Gardinen eines Wohnhauses verfangen. Auch das Blau der Nacht wurde heller und es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis Schwarz zu Blau wurde, Blau zu Grau und Grau zu Licht. Ohne die Kraft des schwefelgelben Mondes würden sie sich auch im Antlitz gegenüber stehen. Der Zeitpunkt der Dämmerung kam immer näher. Man konnte es nicht nur sehen, sondern auch spüren. Der Drang nach Blut wurde schwächer und die Dunkelheit nahm mit dem Untergang des Mondes zu. Und dann war endlich der Zeitpunkt da war, an dem man sich zurückverwandeln konnte. Keuchend lag der Verletzte immer noch auf dem Boden. Doch die körperlichen Schmerzen, die er spürte, waren für ihn nicht schlimm. Sein flehender Blick wanderte hoch zu dem Wolf, der noch vor ihm stand und ihn betrachtete. "Warum?" Seine Stimme zitterte schwach. "Warum hast du es nicht beendet? Ich...hab das nicht verdient." Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er konnte nicht mehr. Wenn nicht einmal jemand anderes dieses verfluchte Leben beenden konnte, was sollte er dann nur tun? "Bitte..." Es war doch nur ein Biss. Immer noch in Wolfsgestalt stand Aran vor ihm. So als wäre es nichts verwandelte er sich zurück in einen Menschen und ging gleichzeitig auf den jungen Mann vor sich zu. Wimmernd und blutend lag dieser vor ihm und vor ihm ging er auch in die Hocke. Sein großer Körper neigte sich leicht über den Liegenden, den Kopf etwas schief gelegt. Bei der Frage, die leise an sein Ohr drang, hob er die Braue seines matten und blinden Auges und schnaufte verächtlich. "Verrat mir warum ich das tun sollte, Kleiner?! Ich habe wirklich kein Interesse daran, jemanden zu töten. Weder weil er es so will, noch weil ich es könnte." Der Junge hatte ihm nichts getan und somit wäre es in seinen Augen falsch. "Hast du mich nur aus diesem Grund angegriffen? Damit ich dein Leben beende?" Wenn ja, dann war es töricht und dumm zugleich gewesen. Denn so etwas, das sollte man von keinem anderen verlangen. "Weil...ich ein schlechter Mensch bin." Nein, das war nicht richtig. Das Wort 'Mensch' war nicht richtig. "Weil ich ein Monster bin. Ich...ich habe..." Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er hätte fast jemanden dazu gebracht, das zu tun, was er so sehr bereute. Wie tief war er gesunken, jemandem diese Bürde auferlegen zu wollen? "Es tut mir leid." Er ließ seinen Kopf nach unten sinken. "Anfangs wollte ich das nicht." Anfangs hatte ihn der reine Jagdtrieb hierher gebracht. "Aber du warst so stark." Und er war so verzweifelt, dass er nicht mehr klar denken konnte. "Es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht damit belasten. Ich wollte dich nicht zu einem Mörder machen. Ich wollte nicht..." Er wollte vieles nicht. Alles war einfach falsch. Er wollte nicht hier sein. Er sollte nicht hier sein. Das war nicht sein Platz. Sein Platz war bei ihr. Doch sie war nicht mehr da. "Ich wollte das nicht...es tut mir leid." Sein Körper zitterte wegen der Schuldgefühle. Der größere Schwarzhaarige seufzte und nickte leicht. Ein wenig verstand er schon und in all den Jahren, die er nun schon auf diesem gottverdammten Planeten war, hatte Aran ein gewisses Gespür für solche Dinge entwickelt. "Ist schon gut..." Er ließ sich neben dem Jungen nieder und rollte ihn erst mal auf die Seite, sodass er besser atmen konnte. Dann blickte er ihn wieder an. "Lass mich raten: dich hat irgendeiner verwandelt und du wusstest nicht mal was passiert war, nicht?" Viele seiner Sorte waren wie Schatten. Sie kamen aus dem Nichts, schlugen zu und waren dann genau so schnell wieder verschwunden. Ein Mensch, jemand der keine Ahnung hatte, konnte gar nicht wissen, wie ihm geschah. Jene, die davon nichts wussten und in Frieden lebten, waren oft am schlechtesten dran. Sie konnten sich nicht in Acht nehmen und sich nicht schützen. Die Unwissenheit machte sie Blind. Unwissenheit machte immer Blind! Indirekt wurde dessen Vermutung bestätigt. "Es ging so schnell." Er wusste wirklich nicht, was passiert war. Aber dieses Gefühl, das er gespürt hatte, würde er niemals vergessen. Dieses Brennen, diese Schmerzen. Er schloss die Augen. Und sofort war da das Gesicht seiner geliebten Schwester. "Ich...hab es irgendwie wieder rein geschafft." Er hatte es überlebt. "Aber meine Schwester..." Er wusste es nicht, ob es an der ruhigen Art des Mannes mit der Narbe lag oder daran, dass er seitdem mit keiner Menschenseele geredet hatte, aber wie von selbst erzählte er von seiner Familie. Von seiner Schwester. Und von seiner schrecklichen Tat. "Sie wollte doch nur helfen. Und ich...und ich..." Er öffnete wieder sein Augen. "Ich bin ein Mörder. Ich verdiene es nicht, zu leben." Und erst recht verdiente er es nicht, glücklich zu sein. Es war egal welcher Grund ihn dazu bewegte, Aran hörte zu, bis der Junge geendet hatte. Kurz musste er dann auch unweigerlich die Augen schließen und schwer ausatmen. Wenn auch nicht so, aber ein ähnliches Schicksal hatte ihn auch getroffen. "Du bist ein verdammt armer Kerl, aber eines bist du mit Sicherheit nicht: ein Mörder", begann Aran. "Das, was dich angegriffen hat und das, was deinen Vater und deine Schwester getötet hat, das war ein und dasselbe. Weder wusstest du, was du bist, noch was du tust und ein Monster bleibst du nur, wenn du nicht lernst, den Fluch, der dir auferlegt wurde, zur Gabe zu machen." Er selbst stand auf, blieb aber bei dem Verwundeten stehen. "Man könnte meinen, dass ich leicht reden habe, denn ich wurde so geboren. Ich habe keine zwei Seelen die in Einklang gebracht werden müssen. Bei dir ist das aber der Fall, Kleiner." Der größere von ihnen legte eine kurze Sprechpause ein, so als wolle er damit die folgenden Worte noch einmal extra betonen. "Das einzige was du jetzt zu tun hast, ist mir in die Augen zu sehen und mir zu sagen das du leben willst, erst dann kann ich dir helfen!" Er war kein Mörder? Aber durch seine Hand war Saria getötet worden. Er verstand nicht, was das mit den zwei Seelen bedeutete und doch wusste er es. Er spürte es: da war etwas anderes in ihm. Etwas, das vorher nicht da gewesen war und das im Moment schlummerte. Doch es war da und es drohte ihn jede Nacht aufs neue zu verschlingen. Wie sollte er das zu einer Gabe machen? Er war ein Gefahr für andere. Er hatte nicht das Recht, zu leben. Und doch...seine Schwester hatte ihm gesagt, er wäre nun frei. Sie hatte gesagt, er solle glücklich werden. Er wusste nicht, wie er das ohne sie schaffen sollte, doch das war ihr letzter Wunsch gewesen. Sie hatte sich gewünscht, dass er glücklich wurde. Sie hatte sich gewünscht, dass er lebte. Er hatte immer nur das beste für sie gewollt. Und sie hatte immer nur das beste für ihn gewollt. Er würde ihre Hoffnungen und Bemühungen nicht umsonst gewesen sein. Tränen liefen ihm am Gesicht herunter. "Ich will leben." Diese drei Worte waren es auch nur, die Aran hatte hören wollen. Ohne weiter zu zögern, beschloss er, dem Jungen zu helfen. Ihm hatte damals keiner beigestanden und wo sein Bruder war, das wusste er bis heute nicht. Vielleicht war er auch längst nicht mehr am Leben, aber das zählte gerade nicht. Er schnappte sich den Verwundeten, zog ihn langsam, achtsam auf die Beine und klemmte ihn sich an die Seite. Dessen Arm über seine Schultern gelegt, seinen um dessen Rücken. "Na komm, erst mal bringen wir dich von hier weg und dann solltest du dich ausruhen." Aran schleifte ihn beinahe mit, trotzdem kamen sie recht zügig voran. "Die Wunden werden bald verheilt sein. Es ist wirklich nichts ernstes, nicht für einen Werwolf." In relativ kurzer Zeit wäre er wieder hergestellt und dann sollten sie daran arbeiten, das er seine beiden Seelen ins Gleichgewicht brachte. Das Yin konnte nicht ohne das Yang. Ein schwaches Nicken folgte. "Ich weiß..." Er hatte ja selbst erlebt, wie er sich von den Wunden der Verwandlung erholt hatte. Ein normaler Mensch hätte das niemals überlebt. Doch nun waren im Moment seine Beine schwach und ohne die Hilfe das anderen hätte er keine zwei Schritte geschafft, ohne nicht wieder zu Boden zu sinken. Wo wurde er nun hingebracht? Keuchend versuchte er, nicht sein ganzes Gewicht auf den anderen zu legen, doch jede Belastung ließ seine Beine erzittern. Der andere aber sagte nichts, sondern ging langsam und Schritt für Schritt mit ihm weiter. Er wusste noch nichts über diese Person, doch sie half ihm. Und das nicht nur auf die eine Weise. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann ihm jemand das letzte mal unterstützend zur Hand gegangen war. Von seiner Schwester einmal abgesehen. "Wie...heißt du?" Ob er sich würde ausruhen können, war allerdings fraglich. Er hatte die ganzen letzten Wochen keinen einzigen Moment der Ruhe gehabt. Kapitel 11: Concerning Destruction and Protection ------------------------------------------------- Es konnte jetzt hochtrabend gesprochen sein, aber in diesem Fall hatte sie wohl das Schicksal zueinander geführt. Mit großer Sicherheit hatten sich die beiden Werwölfe nicht nur aus Zufall auf dieser Lichtung getroffen, auf der der Vollmond sie mit mächtigen Kräften ausgestattet hatte. Schweigend schaffte der ältere von beiden den jüngeren fort. Bis dieser seine Frage stellte. Den Kopf etwas zur Seite neigend und nach unten sehend, lies Aran ein leichtes Lächeln über seine Lippen huschen, kaum merklich und doch war es da gewesen. "Aran. Aran Grey. Und dein Name ist?" Es war sicher nicht verkehrt, den Namen des Anderen zu kennen und sehr weit war die alte Waldhütte wohl auch nicht mehr, in der er zur Zeit lebte. "Ich...bin Bast. Bast Grants." Er hatte ehrlich gesagt nicht mehr damit gerechnet, dass ihn jemals wieder jemand bei seinem Namen nennen würde. Und doch...nun war da jemand, der bei ihm war. Jemand, für den er keine Gefahr war. Jemand, der für ihn keine Gefahr war. Bast konnte gar nicht beschreiben, was für ein Gefühl das war. Es war merkwürdig. Dieser Mann war nett zu ihm, was an sich schon ungewohnt war. Er hatte ihn sogar kurz angelächelt. Bast wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. Dieser Mann wollte ihm offensichtlich nichts böses und doch konnte er sich nicht entspannen. Deswegen blickte er verlegen zu Seite. Es hatte sich wohl zu tief verankert, dass Saria seit längerem die einzige gewesen war, die ihn freundlich angeschaut hatte. Aran brachte ihn zu einer kleinen Hütte, wo er ihm das Bett überließ. Bast blieb flach darauf liegen. Im Moment hatte er keine Kraft mehr übrig, irgendwas anderes zu tun. Trotzdem blieb er wach. Schlaf stellte sich bei ihm in letzter Zeit schwer ein. Schon gar nicht, wenn da ein anderer Mann im selben Zimmer war. Da konnte er noch so genau wissen, dass dieser ihm nichts tun würde. Es war für Bast wohl ein wirklich aufwühlendes Gefühl, denn lange war er auf sich allein gestellt gewesen. Aran saß nun in einer Ecke der Hütte, auf einem Fell. Er war an die Wand angelehnt und hatte die Augen geschlossen. Für gewöhnlich war er noch unterwegs, aber für diese Nacht war der Streifzug wohl beendet. Dass Bast ruhelos auf dem schmalen Bett lag, spürte er, dafür musste er nicht mal hin sehen. "Was ist los? Kannst du nicht schlafen?" Die Frage war allerdings beinahe schon rhetorisch, denn nach dem, was er bisher von dem Jungen wusste - auch wenn es nicht viel war - ließ ihn wissen, dass es wohl jede Nacht aufs Neue schwer sein musste, Schlaf zu finden. Wenn man ihn dann fand, war er wohl sehr unruhig und von kurzer Dauer. "Tut...mir leid. Du musst deswegen nicht wach bleiben." Dass er nicht allein im Zimmer war, war nicht der einzige Grund, warum er kein Auge zu bekam. Tief geschlafen hatte er nicht mehr seit er seine Schwester tot im Arm gehalten hatte. Zu deutlich war ihr Bild, wenn er die Augen schloss. Bast war sichtlich erschöpft, doch an Ruhe war für ihn nicht zu denken. Früher war es kein Problem gewesen, dass er nur in kurzen Perioden geschlafen hatte, weil der Schlaf dafür umso tiefer gewesen war, doch das konnte er nun auch nicht mehr. Im Schlaf konnte er ihren Schrei hören. Spätestens dann wachte er immer schweißgebadet auf. "Beachte mich einfach nicht." Er wollte Aran keine Last sein. Hinzu kam, dass es für Bast schwierig war, Vertrauen in ihn zu setzen. Was nichts persönliches war. Es würde ihm wohl bei jedem anderen genauso gehen. Nicht beachtet zu werden war bist jetzt das beste, was er erfahren hatte. Hatte sich bisher - von Saria abgesehen - jemand mit ihm befasst, war es nie etwas gutes geworden. Da konnten Arans Worte nun so einfühlsam wie möglich sein, es war einfach schwer, alte Gewohnheiten abzulegen. Außerdem vertraute Bast seinem neuen Körper nicht. Von Aran kam dann ein leises trockenes Lachen. "Ich bleibe nicht deshalb auf, Bast. Es ist Vollmond gewesen. Seine Kraft ist noch immer gegenwärtig und deshalb ist es nicht so einfach zu schlafen." Aran war zwar als Wolf geboren worden, dennoch wurde er vom Mond beherrscht, wie sie alle. Es ging gar nicht anders. Wenn der Mond seine volle Größe erreichte, dann kehrte sich die animalische Gestalt nach außen. Erst wenn die helle gelbe Scheibe wieder an Kraft verlor, dann konnte man die Kräfte in sich wieder bis zum letzten kontrollieren. "Du solltest dich trotzdem ausruhen, auch wenn deine Vergangenheit dir den Schlaf raubt. Irgendwann wird sich das legen, glaube mir." Vielleicht würde es Bast auch helfen, wenn er sich irgendwann einmal, richtig aussprechen konnte. Bast aber war sich da nicht so sicher, dass sich das wieder legen würde. Seine Zweifel waren stark und im Moment sah er keine Möglichkeit, richtig zur Ruhe zu kommen. "Wird das immer so bleiben. Werde ich immer so stark unter dem Bann des Mondes stehen?" Er fürchtete sich sichtlich davor. "Ich will das nicht.", er drehte seinen Kopf zu Aran. "Ich werde wieder jemanden verletzen." Oder noch schlimmeres. Seine Stimme zitterte. "Weil ich schwach bin und es nicht kontrollieren kann." Immer wieder übermannte es ihn und wenn er sich verwandelte konnte er sich einfach nicht gegen diesen Trieb nach Fleisch und Blut wehren. Er ballte seine Faust. Er wollte das nicht. Am Ende würde er sich verwandeln, wenn er sich entspannte und was, wenn Aran dann gerade schlief? Er war stark, aber im Schlaf konnte auch er sich nicht wehren. Bast wollte ihm nichts tun. Er war seit langem der erste, der ihm geholfen hatte und freundlich zu ihm gewesen war. Der Junge vor ihm machte sich sichtlich Sorgen um seinen weiteren Werdegang. Verständlich... Aran seufzte aber nur leise und wank dann ab. "Es muss nicht so bleiben. Du kannst die Kraft, die in dir steckt, kontrollieren. Doch das wichtigste ist, dass du sie als ein Teil von dir akzeptierst. Kämpfst du gegen sie, wird sie auch weiterhin gegen dich kämpfen." Das war nun mal die harte Wahrheit und diese war nicht zu erschüttern. "Wenn du das kannst, dann wirst du bald Herr aller deiner Sinne sein, auch derer, die du neu erhalten hast und sie werden dir nützlich sein." Dann wäre er sogar im Stande, diese Kräfte zu benutzen, um andere Menschen zu beschützen. Bast schüttelte leicht den Kopf. "Ich...habe meine Familie wegen dieser Kraft umgebracht." Wie konnte er sie jemals akzeptieren? Das war ein Ding der Unmöglichkeit. Noch weniger konnte er sich vorstellen, dass er mit dieser Kraft jemand würde helfen können. Diese Kraft war seiner bisherigen Erfahrung nach voll und ganz zerstörerisch. Sein Blick wanderte wieder zu Aran. Im Moment war er zu aufgewühlt, um an eine solche Möglichkeit überhaupt zu denken, deshalb blickte er den anderen Werwolf ernst an. "Wie hast du das geschafft?" Er schien keinerlei Probleme mit seiner Werwolfnatur zu haben. Ganz im Gegenteil. Trotz der Tatsache, dass Bast ihn vorhin angegriffen hatte, schien er mehr als locker zu sein. Wie war das möglich? Hatte er keine Angst davor, sich zu verwandeln? Anscheinend nicht. Er hatte gerade eben was davon gesagt, dass man diese Form kontrollieren konnte. Anscheinend war das für ihn kein Problem. Er hatte aber auch einen entscheidenden Vorteil Bast gegenüber. "Ich bin so geboren worden Bast. Lycanthropie ist weder eine Krankheit, noch eine einfache Psychose. Weder noch ist es ein Virus, wenn es sich auch so verhalten mag." Aran stand nun auf und setzte sich neben Bast, das hielt er für so ein Gespräch für angemessener. "Werwölfe wie ich, haben irgendwann gemerkt, wenn sie Menschen verletzten, dass die starken von ihnen zu unseresgleichen werden. Ohne dir nahe treten zu wollen, aber für mich ist das Frevel. Es ist Leichtsinn und es ist nahe dran, Gott zu spielen. Wie du an dir selbst siehst, ist es für die wenigsten möglich, diese Kräfte zu kontrollieren. Sie richten Schaden an, großen Schaden sogar." Aran hatte nicht vor Salz in die Wunde zu streuen, aber irgendwo musste man anfangen. "Ich habe in den letzten, fast 400 Jahren schon oft miterlebt, wie gewandelte Menschen Amok gelaufen sind und kaum einer hat es ohne Hilfe geschafft, sich unter Kontrolle zu bringen." Und Trotzdem. "Aber ich bin hier und du bist hier, das ist ein Zeichen. Du kannst es lernen Bast und du kannst die Kraft nutzen. Sie ist nur so zerstörerisch, wie der Mensch der dahinter steckt." Aran traf da wirklich den wunden Punk. Denn großen Schaden hatte auch er angerichtet. Doch dass man als Werwolf geboren werden konnte, hatte er nicht mal geahnt, obwohl es irgendwie doch nur logisch war. Mit dieser Kraft aufzuwachsen war definitiv etwas gänzlich anderes, als über Nacht plötzlich dazu verwandelt zu werden. "Glaubst du wirklich, dass ich es lernen kann?" Er hatte überhaupt nicht dieses Gefühl. "Ich will es lernen. Ich will nicht nochmal jemanden verletzen." Doch genau das machte ihm Angst. Aran hatte gesagt, er müsse seine neue Seite akzeptieren, doch wie sollte er das schaffen? "Wie kann diese zerstörerische Kraft zum Schutz anderer eingesetzt werden?" Er verstand das einfach nicht. Er hatte sich selbst nie als einen zerstörerischen Menschen gesehen und doch... Er drehte seinen Kopf zum Fenster. Draußen war es schon heller, aber die Sonne war wohl noch nicht über den Horizont gestiegen, denn die Bäume lagen immer noch leicht vernebelt im Dämmerlicht. Aran glaubte ihm, dass das schwer zu verstehen war, aber auf der anderen Seite war alles möglich. "Ich glaube es nicht nur, ich weiß es.", begann Aran. "Es wird harte Arbeit werden. Vor allem die gezielten Verwandlungen. Aber du wirst sehen, von Mal zu Mal bringst du es in Einklang." Anders war es einfach nicht machbar, man musste das Tier in sich raus lassen und durch das Gewähren, würde es sich mit einem verbünden. "Überlege doch Bast, wenn du diese unglaublichen Sinne und Kräfte kontrollieren kannst, dann kannst du sie einsetzen, wofür und wann immer du es willst und brauchst." Bast nickte. Aran hatte natürlich recht. Wenn er tatsächlich Herr der Lage sein würde, dann würde er auch bestimmt können, was er mit seinen Fähigkeiten anstellte. Der springende Punk war nur das 'wenn'. Dass Aran dabei aber eine solche Zuversicht zeigte, ließ ihn doch hoffen. "Harte Arbeit macht mir nichts aus." Solange er durch diese Mühen weitere Opfer verhindern konnte, würde er so ziemlich alles machen. "Ich...werde mich anstrengen." Wenn Aran glaubte, er könnte es schaffen, dann würde er es versuchen. Bast schloss die Augen und dachte darüber nach, was Aran gerade gesagt hatte. Dieser konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr ihm seine Worte halfen. Trotz seiner strengen Art und der Versicherung, dass es nicht leicht werden würde, hatte er Bast Mut gemacht. Aran war seit langem der erste, der nicht seine Gegenwart mied. Dass er dazu keinen Grund hatte, weil er selbst viel stärker als Bast war, spielte überhaupt keine Rolle. Als er seine Augen wieder öffnete, schaute er ihn mit etwas festerem Blick an. "Ich will anderen mit dieser Kraft helfen." Vielleicht konnte er dann zumindest ein bisschen wieder gut machen, was er davor angerichtet hatte. Dieses kleine Gespräch mit Aran hatte tatsächlich ein wenig dabei geholfen, dass er sich beruhigen konnte. Bast schloss einmal mehr seine Augen. Dieser Mann strahlte so eine natürliche Ruhe aus, die es irgendwie schaffte, auch ihn zu erreichen. Bast hatte beinahe das Gefühl, hier sicher zu sein und das war etwas, dass er bis jetzt nur auf der Lichtung mit dem Apfelbaum gespürt hatte. Arans Anwesenheit half ihm auf so vielfältige Weise, dass Bast fast nicht wusste, wie ihm geschah. Und doch konnte er seine Gedanken im Moment nur durch ein Wort ausdrücken: "Danke." Dann erst übermannte ihn schließlich doch die Erschöpfung und er driftete weg. Kapitel 12: Blindness and Far-sightedness ----------------------------------------- Der Abend war angebrochen. Die Sonne sank gerade über den Horizont und erfüllte den Wald mit ein paar letzten rötlichen Strahlen ihres Lichts. Es lag beinahe etwas magisches darin. Aus diesem und noch einem anderen Grund wünschte sich Bast, dass dieser Moment noch etwas länger bleiben würde. Wäre die Sonne erst einmal weg, so wusste er, würde bald stattdessen der Mond aufgehen. Und davor fürchtete er sich nun trotz Arans Worte heute Morgen sehr. Bast war mittlerweile wieder hellwach. Die meisten Wunden des Kampfes letzte Nacht waren beinahe verheilt und lediglich ein paar Rötungen hier und dort zeugten noch davon. Es war geradezu erschreckend, wie groß die selbstheilerischen Fähigkeiten ausgebildet waren. Bast hatte sich etwas zu arbeiten gesucht. Er konnte unmöglich ruhig sitzen oder gar liegen bleiben. Die steigende Unruhe hielt ihn auf den Beinen, welche ihn nach draußen geführt hatten. Neben der Hütte stand ein widerstandsfähiger Holzstumpf, in dem eine Axt gesteckt hatte. Diese hatte er genommen und damit angefangen, das aufgehäufte Holz daneben in kleinere Stücke für den Kamin zu schlagen. Das war eine Arbeit, die er gut kannte und gut ausführen konnte. Aran war kurz nach Bast am Morgen ebenfalls eingeschlafen... Jetzt aber kam er von einem See, der ganz in der Nähe lag, zurück. Er hatte einige Fische dabei und warf sie auf einen freien Klotz. Kurz musterte er den Jungen, der eifrig das Holz zerkleinerte und der offenbar noch immer in Gedanken versunken war. In Gedanken darüber was mit ihm werden sollte. Etwas seufzend lehnte sich der ältere gegen einen Baum und beobachtete sein Gegenüber beim Hacken des Holzes. In seinem "Danke" heute Morgen, hatte sehr viel gelegen, mehr als vielleicht ein Anderer hätte daraus lesen können. Doch in Arans Augen war das noch zu früh. Noch hatte er ihm nicht helfen können. "Du solltest dich etwas entspannen, Bast. Der Mond steht bald hoch oben am Himmel." Es war die erste Nacht, in der er anfangen sollte seine zwei Seelen zu einen. "Ich...entspanne mich.", entgegnete Bast nach kurzem Zögern. Alles, was seine Gedanken ein wenig in eine andere Richtung trieb, bedeutete für ihn Entspannung. "Diese Arbeit hilft. Das ist etwas, das ich kenne und das mir vertraut ist." Dann musste er nicht daran denken, dass - wie Aran gerade gesagt hatte - bald der Mond wieder aufgehen würde. Diesen Moment konnte er nicht hinauszögern und deshalb wollte er zumindest nicht fixiert darauf warten müssen. Er ließ sich im Kopf nochmal das Gespräch von heute Morgen durchgehen. Aran mochte ja vielleicht denken, dass sein Dank zu früh gekommen war, aber Bast dachte nicht so. Und das trotz der Tatsache, dass er wusste, dass alles erst anfangen würde. Diese aufbauenden Worte waren das gewesen, was er in jenem Moment am dringendsten gebraucht hatte. Nun aber hielt er in seiner Arbeit inne und drehte sich Aran zu. Vor ihm lagen ein paar Fische, die er gerade hierher gebracht hatte. Bei ihrem Anblick wurde Bast ganz plötzlich bewusst, dass er wieder schrecklichen Hunger hatte. Basts Blick auf die gefangenen Forellen war nicht zu übersehen. Aran schmunzelte deshalb etwas und dann trat er an den Jüngeren heran. "Leg doch erst mal die Axt weg und dann machen wir zusammen die Fische fertig und essen." Dazu waren sie immerhin da. Aran begann etwas von dem gehackten Holz aufzusammeln und richtete es in der Feuerstelle an. Es schadete nicht, es schon mal zu entzünden. Gleich hätte man so eine kleinere Flamme, die perfekt wäre zum braten. "Liege ich richtig in der Annahme, dass du dich noch nie vorsätzlich verwandelt hast?" Aran half ihm so sicher nicht, das bevorstehende zu verdrängen oder so lange zu vergessen bis es Bast einholte, aber das war auch nicht seine Absicht. Vielmehr sollte er sich damit auseinandersetzen. Er musste! Sonst würde er nie die Kontrolle über den Wolf in sich erlangen. Bast hatte in der Zwischenzeit, während Aran das Feuer entfacht hatte, einen Eimer und eine große Schüssel mit Wasser sowie ein Messer geholt. Mit dieser Ausrüstung hatte er schon angefangen, den ersten Fisch auszunehmen und das fertige Produkt in die Schüssel zu legen. Gerade, als er den zweiten Fisch geöffnet hatte, vernahm er Arans Frage. Er hielt in seiner Bewegung inne, sein Blick auf den Fisch fixiert. "Nein, hab ich nicht.", beantwortete er dessen Frage nach einer Weile. Arans Worte hatten ihm schon gesagt, dass er nicht davor weglaufen konnte und doch versuchte er es immer noch. Er hasste es, so ein Feigling zu sein. Doch noch stärker war die Angst davor, wieder die Kontrolle zu verlieren. Dass eben das aber sein Problem war, war ihm mittlerweile klar, aber nur weil er es verstand, hieß das nicht, dass er es akzeptieren konnte. Sarias Bild, als sie unter ihm lag, war immer noch da und selbst die Tatsache, dass Aran stark war, konnte in ihm nicht die Angst verdrängen, dass auch dieser am Schluss genauso vor ihm liegen könnte. Da konnte er noch so oft den Kampf von gestern Revue passieren lassen, in dem klar gewesen war, wer hier den Ton angegeben hatte. Nickend begann nun aber auch der ältere, die Fische mit auszunehmen. Ganz in sein Tun vertieft antwortete er trocken. "Das solltest du aber." Nur so würde Bast es lernen, so und nicht anders. Dass seine Vergangenheit ihm da stark mitspielte, das war ihm verständlich, aber er musste sie bewältigen. Er musste, wenn er diese Ängste irgendwann mal ablegen wollte. "Stell dich deinen Schatten, spring rüber wenn du kannst." Er musste das alles hinter sich lassen, vorher würde er nicht mehr in Frieden leben können. Nicht ein bisschen. In Basts Augen hatte Aran leicht reden. Er hatte sich nie mit diesem Thema auseinander setzen müssen. "Das sagt sich so einfach. Weißt du überhaupt, wie es ist, wenn die eigene Familie direkt vor den Augen ausgelöscht wird?" Und das durch die eigene Hand? Bast wusste, dass es seine Schwester nicht mehr zurückbringen würde, nur weil er sich nicht mehr verwandelte, aber dennoch... Über den eigenen Schatten springen. Das war alles andere als leicht. Er würde dafür viel Anlauf brauchen und selbst, wenn ihm Aran einen Schubser gab, wusste er nicht, ob er es schaffen würde. Doch nein. Das war falsch. Er schüttelte innerlich den Kopf. Er durfte nicht so denken! Wenn er es nicht wenigstens versuchen würde, würde er es nie schaffen, Sarias letzten Wunsch zu erfüllen. Diese Sache hatte nichts damit zu tun, leicht zu sein. Er hatte schon andere Schwierigkeiten überwunden und das hatte ihn jedesmal stärker gemacht. Vor seiner gegenwärtigen Angst war er zwar noch nicht gefeilt, aber er durfte nicht ausgerechnet jetzt davonlaufen. Sonst wäre Sarias Tod wirklich sinnlos gewesen. Bast konnte nicht wissen, dass er bei Aran nun einen Nerv traf! Dieser steckte zwar noch die Forellen, die sie zusammen vorbereitet hatten, ans Feuer, sah dann aber fast schon erschrocken auf. Dieser erschrockene Gesichtsausdruck wich dann aber einem angespannten und verbissenem Ausdruck. Diesem folgte ein raues und bedrohliches Knurren, das sich aus seiner Kehle wand. "Ja ich weiß, wie das ist! Und du solltest aufhören, so feige zu sein und ebenso damit aufhören dich zu verkriechen, das hilft dir nicht weiter..." Kurz war er aufgebracht gewesen, sehr aufgebracht sogar, aber nun wurde Aran wieder ruhiger. "Ebenso wenig, wie Rache hilft. Das alles bringt dir diejenigen nicht wieder, die du verloren hast. Man kann nur weiter machen. Immer wieder weiter machen." Bast blickte ihn erschrocken an. Dass er da an was schmerzliches erinnert hatte, war ihm sofort klar, als er Arans Gesichtsausdruck sah. Und noch viel mehr, als dieser seine Stimme erhob. Aran sprach von Rache. Das musste bedeuten, dass ihm jemand seine Familie genommen hatte. Und das tat ihm unheimlich leid. "Ent...schuldige.", entgegnete er aufrichtig. "Ich wollte dich mit meinen Worten nicht verletzen." Er war durch seine Angst so auf sich fixiert gewesen, dass er komplett vergessen hatte, dass er nicht der einzige Mensch auf Erden war, dem das Schicksal schlecht zuspielte. "Du hast Recht. Ich kann nicht ewig davonlaufen." Er blickte Aran nun mit festeren Blick an. Dieser Mann vor ihm hatte offenbar auch schlimmes durchgemacht und war wieder auf die Beine gekommen. Und Bast hatte seine Unterstützung. Da konnte er das auch schaffen. "Ich muss mich meinem Schicksal endlich stellen.", gerade weil es ihm solche Angst machte. Bast hatte das nicht wissen können und sein frischer Verlust blendete ihn sicher, was ganz normal war. Darum nahm Aran ihm das auch nicht übel, denn er wusste selbst zu gut, wie das war. Man sah dann nur noch sich und den eigenen Schmerz und noch heute stumpfte es ihn selbst ab. Zuweilen war er grob, launisch und nicht wirklich interessiert an seiner Umwelt, Hauptsache man ließ ihn in Frieden und er konnte sein Leben weiter leben. Dann gab es aber Momente, wo er lieber jemandem unter die Arme griff, einfach, weil das etwas gewesen war, das ihm vergönnt geblieben war in so dunkler Stunde. So schlimm es auch war, was Bast getan hatte, es traf ihn keine Schuld und dass das so blieb, dafür musste er nun arbeiten. "Schon gut, Kleiner, du konntest das nicht wissen. Hauptsache deine Einstellung ändert sich in fünf Minuten nicht wieder." Bast schüttelte den Kopf. "Nein, wird es nicht. Dieses Mal nicht." Solche Stimmungsschwankungen hatte er eigentlich noch nie gehabt. Und er wollte sie auch nicht nochmal haben. Dass das auch für Aran besonders anstrengend war, hatte er ja gerade gesehen. Sicherlich hätte Bast an dessen Geduld auch dann gezerrt, wenn er nicht diesen einen wunden Punkt getroffen hätte. So machte er sich wieder daran, die Fische für das Feuer herzurichten. In seinem Kopf blieb nun allerdings eine neue Frage hängen. Was war Aran passiert? Kapitel 13: Peace and Fight --------------------------- Die Frage, was Aran widerfahren war, hatte Bast auch während des Essens beschäftigt. Immer wieder war sein Blick zum Älteren gewandert. Im Moment war er wieder ruhig und besonnen, doch dieser Gefühlsausbruch vorhin hatten eine starken Eindruck bei Bast hinterlassen. Und deshalb stellte er auch seine Frage, nachdem sie die Essensreste weggeräumt hatten: "Aran? Wenn es nicht zu aufdringlich von mir ist...erzählst du mir, was dir passiert ist?" Er wollte unbedingt mehr von dem Mann erfahren, der ihm so bereitwillig half. Vielleicht konnte er ja auf irgendeine Weise diesen Gefallen erwidern. "Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht." Bast würde auch verstehen, wenn er jetzt nicht darüber reden wollte. Das letzte was er wollte, war alte Wunden aufzureißen. Gerade noch vergrub Aran die Innereien der Fische, die sie nicht gebrauchen konnten und dann vernahm er Basts Frage. Der Jüngere hatte sie höflich formuliert und erwartete wohl auch keine Antwort. Sicher, er war bestimmt neugierig, legte aber gleich dar, dass er Verständnis hatte. Aran selbst bezweifelte, dass das alte Wunden aufriss, es kratzte höchstens an den Narben... Von denen hatte er genügend. Deshalb ließ er sich seufzend auf einem der Baumstümpfe nieder und nickte leicht. Das ganze war beinahe 170 Jahre her, also war es nicht zu schmerzhaft, darüber zu sprechen. "Ich denke, dass ich dir das erzählen kann. Ich habe die Vergangenheit längst hinter mir gelassen. Andernfalls würde ich heute nicht so vor dir stehen." Kurz legte er den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel... "Man muss vergessen können, aber nicht verdrängen." Das war ein großer Unterschied. "Wenn ich es dir erzähle, würde ich aber gern von vorn anfangen, ist das in Ordnung?" Natürlich war das in Ordnung. Und Bast sagte ihm das auch. "Fang an der Stelle an, an welcher auch immer du es am besten hältst." Er selbst war ja schon aufdringlich genug gewesen, dass er überhaupt danach gefragt hatte. Da konnte Aran auf jeden Fall so beginnen und erzählen, wie er es für am besten empfand. Bast setzte sich ihm gegenüber auf einen anderen Baumstumpf und blickte ihn aufmerksamen, aber möglichst nicht neugierig an. Vergessen, aber nicht verdrängen...das zu machen, musste auch er schaffen. Aran nickte leicht und schloss einen Moment die Augen... "In Ordnung." Am besten er begann ganz von vorn, so konnte er das angenehme, die unbezahlbare Zeit, in der er unbezahlbare Menschen - wenn man es so nennen wollte - um sich gehabt hatte, ebenso in Erinnerung rufen, wie auch die furchtbaren Dinge, die geschehen waren. Das würde ihm leichter fallen, als gleich mit dem grauenhaften Schicksal anzufangen. "Vor nicht ganz 395 Jahren wurde ich in den Gemäuern geboren, die meinem Clan gehörten... Es gab viele Clans. Alle lebten in einer Allianz. Im Grunde hatte keiner vor, sich mit den Menschen zu verfeinden, aber es hat sich bis heute nichts geändert. Was die Menschen nicht kennen und nicht verstehen, oder verstehen wollen, das fürchten sie. Was sie fürchten, muss beseitigt werden. Aus dem Grund entstanden wohl auch die Jägerclans, die sich darauf spezialisiert hatten, die Werwölfe zu bekämpfen und zu töten. Genau wie die Lycaner, gibt es auch jene noch heute. Es mag auch welche von uns geben, die wahre Monster sind, die aus Vergnügen töten. Jene haben es nicht anders verdient, als mit dem Tod bestraft zu werden, aber die Jäger scherten alles über einen Kamm... Schon immer taten sie das. Gewandelte Werwölfe - wie du einer bist - hatten oft Angst vor ihnen, da sie ihrer Kräfte nicht Herr waren und daher leichter für die Jäger zu erledigen. Unser Clan, dessen Führer mein Onkel war, war nur auf den Schutz der Rasse aus, auf ein normales Leben im eigenen Land, wie jeder andere Adlige oder Gutsherr auch. Er nahm sogar Hilfe suchende Menschen auf, die gegen ihren Willen gewandelt worden waren, er führte sie in unsere Gesellschaft ein und gab ihnen ein neues Zuhause. Ein Fehler, zumindest bei einigen von ihnen, wie sich später herausstellte. Als ich 1387 geboren wurde, war die Zeit schon sehr unruhig. Immer wieder gab es Ärger und Schlachten gegen die Menschen, oder größeren Gruppen von 'unreinen Lycanern'. Trotzdem schafften es meine Eltern, Lucian und Sonia Grey, mich und meinen Bruder Aleksander großzuziehen. Mein Vater war seines Bruders Heerführer und so wurden wir auch jung in dessen Truppen eingegliedert. Das Training war hart, aber es lag uns eben im Blut. Außerdem waren Alek - so nannte ich meinen Bruder stets – und ich ehrgeizig und nicht zu bremsen. Wir wetteiferten regelrecht, wer schneller am stärksten wurde. Viele Kämpfe überstanden wir und lösten sie sogar ohne großes Blutvergießen. Daraufhin bekamen wir bald eigene Truppen unterstellt. Wir wurden ebenso Heerführer unseres Onkels und hatten schnell einen guten Ruf. Die meisten Narben habe ich aus allerlei Schlachten und Einzelkämpfen, aber die auffälligste im Gesicht, die erlitt ich als ich meinen Onkel Assran in einer Schlacht zur Hilfe kam. Er war in einen Hinterhalt geraten und drohte mit einem silbernen Zweihänder erschlagen zu werden. Ich konnte ihn retten, verlor aber das Augenlicht. Allerdings ist das nichts, was ich bereue. Nicht nur, dass mein Onkel mir auf ewig dankbar war, er hat mir ein viel größeres Geschenk gemacht." Nun schwieg er, denn es kam wohl der angenehmste Teil der Geschichte, aber da Aran als Betroffener den Ausgang eben jener kannte, hatte es alles auch einen bitteren Beigeschmack. Dennoch fuhr er nach einer kurzen Pause fort. "Ich weiß bis heute eigentlich nicht, ob er mir einen Gefallen tun wollte oder mich noch immer ärgern und auf die Probe stellen wollte, aber das spielt heute keine Rolle mehr. Cesar Lanister , Oberhaupt eines verbündeten Clans, hatte Schwierigkeiten, seine jüngste Tochter vermählt zu bekommen. Sie sei eine wildgewordene Bestie, hieß es und nicht der stärkste Mann könnte ihrer Herr werden. Meinem Onkel war zu Ohren gekommen, das Cesar am verzweifeln war und dass er sich Sorgen um sein Ansehen machte. Also setzte Assran sich mit seinem Freund zusammen und überzeugte ihn, das er Cecila, seine Tochter, nur noch nicht an einen Werwolf gebracht hatte, der stark genug gewesen war und dass er genau den Richtigen für sie hatte. Damit hatte er mich gemeint und um eines vorweg zu nehmen, mit Kraft oder Gewalt habe ich nichts versucht zu erreichen, eher mit zäher und hartnäckiger Geduld. Etwas Sturheit und Starrsinn waren wohl auch dabei, aber sonst wäre wohl auch ich zur Bestie geworden.” Wie er das so erzählte, musste der Ältere sogar lächeln. Es war amüsant, an diese wilde und stürmische Zeit zurück zu denken. "Am 23. 06. 1406 war es dann so weit. Ich war 19 - selbst in menschlichen Jahren - und Cecila 16. Wir wurden bei einer großen Feier, die über fünf Tage hinausreichte, verheiratet. Es gab wohl kaum einen unserer Art, der in diesen Tagen nicht volltrunken war und aß und feierte. Immerhin war es nicht nur ein Gefallen, es war gleichzeitig auch die Einigung zweier großer Clans, die schon Jahrhunderte Seite an Seite lebten und sich unterstützten. Weißt du, wenn man als Werwolf geboren wird, dann altert man bis zu einem gewissen Alter normal, bei jedem ist es sehr unterschiedlich ab wann das Altern sich verlangsamt. Wie man optisch rüber kommt, liegt zum Teil auch an der Stärke, an dem was man sein Leben lang schon getan hat. Es liegt auch am Geschlecht, aber irgendwann bleibt man im mittleren Alter sehr lange hängen und es dauert hunderte wenn nicht tausende Jahre, bis man wirklich alt oder reifer aussieht. Na jedenfalls, nachdem die Feierlichkeiten eingestellt worden waren, zog Cecila bei mir ein und sie war der Annahme, dass die Hochzeitsnacht folgen würde, was ihr natürlich nicht annähernd gefiel. Kaum hatte ich unsere gemeinsamen Räumlichkeiten betreten, stürzte sie sich in ihrer Wolfsgestalt auf mich. Beinahe hätte sie mir damals ein gutes Stück meines Hals-Schulterbereiches herausgerissen, aber das konnte ich mit sanfter Gewalt verhindern. Zurückblickend muss ich sagen, es entstand daraus ein wilder Kampf, den ich mit dem ärgsten Feind noch nicht gehabt hatte und sie war wirklich kein bisschen nachsichtig!" Wieder schmunzelte Aran und dann lachte er sogar. "Sie hatte unheimliches Temperament und Feuer, das kann ich dir sagen. Gar nicht daran zu denken, was in jener Nacht alles zu Bruch gegangen war. Allerdings konnte man so ohne zu lügen auch behaupten, das man eine extrem wilde Hochzeitsnacht verbracht hatte. Nur eben nicht so, wie es die meisten sich dann vorstellen würden. Diese vehemente Abneigung hielt sie sehr lange aufrecht und mir fiel auf, dass wenn sie für sich bemerkte, dass ich gar nicht so ein verkehrter Kerl war, dann machte sie das nur noch aufbrausender. Cecila war... sie war ein Freigeist, sie wollte über sich selbst bestimmen und diese Ehe war für sie zu Anfang ein goldener Käfig. Je mehr sie aber spürte, dass ich sie gewähren ließ, desto mehr schien sie sich zu beruhigen. Richtig geredet bzw. uns ernsthaft und vernünftig unterhalten hatten wir uns das erste Mal ca. 5 Monaten nach der Hochzeit. Sie war dem Heer beigetreten und dass ich sie sogar unterstützte, war ihr wohl Zeichen genug, dass ich ihr mit nichts im Weg stehen wollte. Im Gegenteil, egal wie brutal wir - oder eher sie - mit mir umging, ich war ihr schon zu dieser Zeit sehr zugetan. Sie war einfach so stark, selbstbewusst und unabhängig und ich liebte es schlichtweg, dass sie so viel Feuer hatte, dass sie so eine Kämpfernatur war. Diese kleinen Kämpfe untereinander, wurden sogar ein regelrechtes Hobby für uns und irgendwann war es so, dass wir uns mehr verhielten wie Mitstreiter, Kampfgefährten, Kumpel. Wer ging schon nach einem Kampf mit seiner Frau in einen Pub und machte mit ihr ein Wetttrinken, das er dann nur knapp gewann oder gelegentlich sogar verlor? Das gab es nirgends. Das alles führte über die Jahre aber zu einem unwahrscheinlich tiefen und festen Band. Ein Jahr nach unserer Hochzeit konnte man ernsthaft sagen, dass wir uns liebten - aufrecht und ohne jeden Zweifel. Über 200 Jahre lang waren wir unzertrennlich, ein und dieselbe Person und dann, 1608 bekamen wir den ersten Nachwuchs. Ich werde nie vergessen wie sie mich unter den Wehen beschimpfte und mir unaussprechliche Flüche an den Kopf warf. Nicht zu vergessen wie sie mir eine Hand brach um der Schmerzen Herr zu werden. Unser erstes Kind war ein Sohn. Aiden. Er hatte ihre feuerroten Haare und war ein kleiner Raufbold, ein Räuber wie er im Buche stand. Knapp drei Jahre später folgte unsere Tochter Celest. Sie hatte mehr mein Aussehen geerbt und war ein kleiner Engel. Sie hing an ihrem Bruder wie eine Klette und war etwas schüchtern. Aber sie war auch für ihr kleines Alter gewitzt und pfiffig." Dieses Mal legte der Schwarzhaarige aber eine längere Pause ein und er musste etwas schlucken. So angenehm wie die Erinnerung an seine Familie gewesen war, so sehr schmerzte der Teil, der ihm nun wieder vor Augen lag. "Die beiden... Aiden und Celest... sie wurden nur 7 und 4 Jahre alt... Aleksander und ich wurden 1615 zu einem Aufruhr gerufen. Es hieß, an den westlichen Grenzen würden Truppen der Jägerclans versuchen, unser Territorium einzunehmen. Wir riefen natürlich alle zur Verfügung stehenden Truppen zusammen und machten uns auf den Weg, aber als wir ankamen, war niemand da. Keine Feinde, keine unserer Grenzwachen, niemand. Cecila war bei den Kindern geblieben, eine Aufgabe die sie eben nach der Geburt des ersten Kindes natürlicherweise übernommen hatte. Aber ich hätte sie besser bei mir gehabt, alle drei... Der Alarm war eine Falle gewesen, ein Vorwand, um unsere Kampfkräfte aus der Reserve zu locken und sie aus den Ortschaften und den Gutshöfen abzuziehen. Der Feind kam von der anderen Seite und als wir das realisierten, war es bereits zu spät. Sie hatten sich über alles und jeden hergemacht, die Wohnsitze und Dörfer geplündert und niemanden am Leben gelassen! Kaum dass wir die Falle erkannten, waren wir zurück geeilt, aber es stand alles in Flammen und die Kämpfe tobten noch wie ein alles zerstörender Sturm. Aleksander und ich wurden im Getümmel getrennt, bis heute weiß ich nicht wo er geblieben ist. Viel schlimmer war aber, wie ich mein Haus betrat, fand ich meine Familie ermordet in der großen Eingangshalle vor..." Wider spannte sich sein Gesicht an, sein Blick wurde finsterer und aus seiner Kehle drang ein Knurren. Auch seine Zähne knirschten stark aufeinander. "Aiden und Celest... sie lagen reglos am Boden, fast so als schliefen sie, aber ihre Wunden und das ganze Blut sprachen Bände. Und Cecila... sie war nicht nur hingerichtet worden, nein, man hatte sie brutal abgeschlachtet. Dennoch lag sie bei den Kindern, so wusste ich, dass sie sie bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Blutstropfen versucht hatte zu beschützen. Vergebens... Da ich nicht dagewesen war, um sie zu beschützen, konnte ich ihnen auch jetzt nicht mehr helfen. Ich sah nach meinen Eltern, meinem Onkel, aber sie waren alle getötet worden. Demnach verfiel ich in eine regelrechte Raserei, scharte die übrigen Clanmitglieder um mich und wir vernichteten den Feind, bis auf den letzten. Aber als die Flammen erloschen und tagelanger Regen das Land leergespühlt hatte, wusste ich, dass ich nicht länger dort bleiben konnte. Meine Familie war ermordet worden. Meinen Bruder konnte ich nicht mehr finden und alles wofür ich am Ende gelebt hatte, war im Nichts verschwunden. Viele Jahre suchte ich Alek. Ich wanderte von Ort zu Ort, Land zu Land, aber nichts. Seither bin ich ein Einzelgänger. Ich habe irgendwann gelernt, all das hinter mir zu lassen. Das einzige was ich jetzt versuche, ist, mich der Gesellschaft anzupassen. Ich suche mir ein ruhiges Fleckchen, eine Arbeit und eine Bleibe. Die Menschen in meinem Umfeld lasse ich nicht an mich heran, nicht weiter als nötig. Es gibt immer wieder Bekanntschaften, etwas Gesellschaft tut immerhin hin und wieder gut, aber keine Freundschaften. Gehen ein paar Jahre ins Land, wechsle ich meinen Wohnort, um nicht aufzufallen. Dass wir nicht altern, fällt schließlich irgendwann auf. Im Grunde geht das schon fast 170 Jahre so. Wenn es möglich ist und mir nötig erscheint, nutze ich die Kraft die wir haben, um anderen zu Helfen..." Sein Blick hing dann an Bast, der noch immer schweigend und aufmerksam da saß. "Das ist auch schon alles. Das Leben was ich bis heute geführt habe. Aber vielleicht glaubst du mir jetzt, das ich nicht nur Weisheiten von mir gebe. Ich weiß aus Erfahrung, dass man sich seiner Vergangenheit stellen muss, sonst holt sie einen ein und richtet dich zu Grunde." Das war Arans Erfahrung... man musste irgendwann los lassen. "Ich fand später noch heraus, dass einige von den gewandelten Menschen - also die keine Urwölfe waren - uns infiltriert hatten. Um ihr eigenes Leben zu schützen, hatten sie einen Pakt mit den Jägern geschlossen und somit die Falle gestellt. Ich habe die Verräter gejagt und hingerichtet, aber es brachte mir nichts von dem zurück, was ich so geliebt hatte. Verstehst du? Das ist das, was ich mit Rache meinte. Sie tut nur in jenem Moment gut, aber dieser Moment ist schnell vorbei." Zu schnell... Aran legte letztlich aber wieder ein leichtes kurzes Lächeln auf, das zu Bast herüberschwamm. "Du musst dir einfach den Anblick wahren, der dich an die guten Zeiten erinnert. So wie ich Cecilia heute noch immer vor mir sehe. Ihr angriffslustiges Lächeln, das sie immer trug. Ihre wilden, wallenden feuerroten Haare und die glühenden, smaragdgrünen Augen, die scheinbar immer leuchteten. Ihre weiche und doch zugleich raue Stimme, wenn sie meinen Namen oder den der Kinder sprach und ihr unvergleichlicher Geruch, der allgegenwärtig war und ist. Genau so bei Aiden und Celest..." Kapitel 14: Excitement and Calmness ----------------------------------- Bast hatte ihm die ganze Zeit über ruhig zugehört. Zumindest ruhig was Unterbrechungen in Arans Redefluss betraf. Dieser hatte ihm zuvor schon die Gelegenheit gegeben, sich einfach alles von der Seele zu reden und das hatte Bast auch für Aran tun wollen. Doch was er da gehört hatte, war schrecklich und grauenhaft. Aufrichtiges Mitgefühl war nun auf seinem Gesicht zu sehen. "Das...tut mir so leid für dich." Er konnte gut verstehen, wie es war, die eigene Familie tot vor sich auf dem Boden liegen zu sehen. Da spielte es keine Rolle, wie es passiert war. Und doch...trotz des Leides, das Aran zuteil geworden war, hatte er es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Basts Bewunderung für diesen Mann war nach dieser Geschichte noch weiter gestiegen. Er hatte den Hass auf andere überwunden und sich seinem Verlust gestellt. Unwillkürlich ballte Bast seine Faust. Er wollte auch so stark werden. Jetzt noch mehr als zuvor. Er wollte Aran nicht enttäuschen, der ihm seine Hand mit den vielen Narben so bereitwillig entgegenhielt. »Du musst dir einfach den Anblick wahren, der dich an die guten Zeiten erinnert.« Diese Worte hallten in seinem Kopf nach. Es war wahr. Er hatte so viele schöne und unbezahlbare Momente mit Saria erlebt. Und...eine Ewigkeit davor auch mit seinem Vater. Selbst jetzt noch konnte Bast das Lachen seines Vater und dessen leuchtenden Augen sehen, wenn sie gemeinsam irgendwelchen Schabernack angestellt hatten. Sein Entschluss stand also fest. Er schaute Aran mit festem Blick an. "Das werde ich. Ich werde immer ihr Andenken in mir tragen." Solange er sie nicht vergessen würde, würden sie mit ihm weiterleben. Und er hatte nicht vor, sie zu vergessen. Er durfte nicht zulassen, dass all die schlimmen Erinnerungen die guten überschatteten. "Und dafür muss ich kämpfen." Heute Nacht würde er sich deshalb das erste mal dieser Hürde stellen. Es hatte Aran gut getan, mal so reden zu können. Nie hatte er dazu die Gelegenheit gehabt. Aber er hatte Basts Interesse auch genutzt, um ihm eine ordentlichen Schubs in die richtige Richtung zu geben. Anscheinend hatte das geklappt, denn der Junge vor ihm schien neuen Mut gefasst zu haben. Ohne Frage. "Das freut mich zu hören. Ruh dich aber noch aus, dann geht es los." Bast nickte stumm. Aran hatte Recht. Er musste im Besitz all seiner Kräfte sein, wenn er sich dieser Aufgabe stellen würde. So ging er rein und legte sich etwas sein. Richtig einschlafen konnte er zwar nicht, aber er war ruhig und gefasst genug, um zumindest ein wenig zu dösen. Als er deshalb zur Zeit der Abenddämmerung wieder aufstand, fühlte er sich erstaunlich kräftig, auch wenn er bereits spürte, wie sich dieses Etwas, das in ihm schlummerte, langsam zu regen begann. Er fasste sich kurz an die Brust, so als könne er auf diese Weise abtasten, von welcher Form dieses Gefühl darin war, aber als er einmal Luft geholt hatte, um sich etwas zu beruhigen, blickte er sich auch nach Aran um. Er war nicht hier drinnen, also musste er draußen sein. Dort suchte Bast ihn auch und fand ihn unweit der Feuerstelle. "Die Nacht rückt näher.", meinte er, als er näher kam. Aran hatte den restlichen Tag unter der dicken Eiche gedöst, die bei der kleinen Hütte stand. Sie überragte die Blockhütte bei weitem und ihr dichtes Blätterdach färbte sich langsam bunt. Dennoch spendete sie herrlichen Schatten, es war immerhin noch sommerlich warm hier draußen. Als Bast nach draußen kam, und seine Gedanken laut aussprach, öffnete Aran sein heiles Auge. "Ich weiß. Die Kraft des Mondes nimmt schon seit Stunden unentwegt zu. Für den Anfang wird er dir eine Hilfe sein." Immerhin war die Verwandlung dann nicht aufzuhalten. Bast konnte so erst mal seine Konzentration auf die Kontrolle legen. Bast nickte. Bis jetzt hatte er die Kraft des Mondes nicht als Hilfe gesehen, aber jetzt, wo er darüber nachdachte, hatte Aran recht. Verwandeln würde er sich so oder so. Da konnte er sich tatsächlich darauf konzentrieren, wie er es machte. Er setzte sich zu dem Älteren und atmete einmal tief aus. "Gibt es etwas, mit dem ich mich auf die Verwandlung vorbereiten kann?" Natürlich abgesehen davon, dass er nicht vom Entschluss abfallen durfte, sich freiwillig zu verwandeln. Er konnte nämlich spüren, wie die Nervosität in ihm stieg und auch wenn er entschlossen war, sich nicht von ihr bestimmen zu lassen oder sie gar in Angst umwandeln zu lassen, so wäre er dankbar für jeden Rat, den Aran ihm geben konnte. Wenn er lernen wollte, das alles zu kontrollieren, dann sollte er auf keinen Fall wieder in das Muster verfallen, sich gegen all das zu wehren. Aran nickte deshalb und setzte sich etwas aufrechter hin. "Vielleicht fängst du für heute damit an, dass du versuchst, einfach nichts zu fühlen. Du probierst es, keine Angst zu haben, sollst aber auch nicht zu euphorisch an die Sache heran gehen. Mache einfach deinen Geist leer und lass deinem Körper freien Lauf. Vielleicht hilft es auch, im Geiste du zu bleiben, wenn du eine besondere Erinnerung versuchst aufrecht zu halten." Das war sicher leicht gesagt, aber es könnte helfen. "Aber es muss eine angenehme Erinnerung sein. Keine die dich wieder Abneigung gegen das empfinden lässt, was du bist." Zu euphorisch würde Bast ohnehin nicht an die Sache herangehen. Er wusste, dass das eine ernste und wichtige Sache war. Sich da selbst zu überschätzen konnte genauso schlimm sein, wie sich zu verkriechen. Auch das wollte er nicht. Die Angst aussperren. Das war tatsächlich leichter gesagt als getan, aber Bast hatte nicht vor, sich ein weiteres Mal von ihr übermannen zu lassen. An etwas Gutes denken, um er selbst zu sein. Er glaubte, er wusste, welche Erinnerung er dafür wählen würde. "Eine solche Erinnerung habe ich.", entgegnete er Aran. Es war die Erinnerung an den Moment, als er zusammen mit Saria die Lichtung mit dem Apfelbaum entdeckt hatte. Es gab beinahe keine schönere als diese. Und das sagte Bast Aran auch. Dabei war sogar ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Sie hatten den ganzen Nachmittag damals auf dieser Lichtung herumgetollt. Diese Erinnerung war auch perfekt dafür! Sicher würde sie Bast helfen, er selbst zu bleiben und eine erste schnelle und schmerzfreiere Wandlung zu vollziehen. Aran war sich da fast sicher. Jetzt schloss er die Augen aber wieder und lehnte sich zurück. "Denke einfach daran, atme so tief und lange wie möglich ein und dann wieder lang und gleichmäßig aus. Finde dabei einen angenehmen Rhythmus und leere deinen Geist. Wenn der Zeitpunkt kommt, dann wird die Verwandlung wie von selbst kommen und vorbei sein. Warte nicht auf sie." Dann würde alles viel einfacher und entspannter gehen. Je näher die Nacht kam, desto näher kam auch ihr Zeitpunkt. Auch Bast schloss die Augen. So konnte er diesen einen Tag viel besser vor sich sehen. Eine kurze Weile, bevor die ruhige Atmung Wirkung zeigte, spürte er noch ein wenig die Nervosität, die seine Hand leicht zittern ließ, aber er richtete seine Gedanken wieder auf den sonnigen Nachmittag in der Lichtung und bald saß er so entspannt wie es ging neben Aran. Er spürte die wachsende Kraft des Mondes, doch er ließ seinem Geist erst gar nicht die Gelegenheit, in eine andere Richtung zu schweifen, indem er an den Moment dachte, als Saria ihm einen Blumenkranz um den Hals hängte. Das Lachen, das sie dabei auf dem Gesicht gehabt hatte, war stärker als alles andere und er konnte sich gut an sein eigenes Gefühl in diesem Moment erinnern. Und so hatte der Ältere sich das auch gedacht. Er selbst handhabte es ähnlich. Aran hatte zwar keine Angst sich zu verwandeln, war aber dennoch nicht sonderlich angetan von dem Zwang, den der Mond mit sich brachte. Er war jemand, der gern die Kontrolle hatte und sie nicht an jemand oder etwas anderes abgab. Aber der Mond war stärker. Also ließ er es in den wenigen Nächten eines jeden Monats eben geschehen. Und so kam der Moment, in dem der Mond vollständig aufgegangen war. Und es war komplett anders als all die vorhergehenden Nächte. Bast war mehr als überrascht, um wie viel weniger schlimm die Verwandlung war, jetzt da er sich nicht mehr mit aller Kraft dagegen wehrte. Ja, er spürte es, wie sich die gesamte Struktur seines Körper veränderte, doch dieses schreckliche Gefühl, das ihn sonst immer übermannte, war nicht da. Er spürte, wie sich der Schwerpunkt seines Körpers veränderte, wie er plötzlich stark hechelnd auf dem Boden lag und wie auf einmal all die geschärften Sinne eine Flut an Eindrücken über ihn schwemmen ließen. Er konnte sogar Arans Herzschlag hören und als er die Augen aufmachte, war sein Blick scharf und er konnte jetzt im schwächeren Licht des Mondes dennoch Details im Wald ausmachen. Alles Dinge, deren er natürlich vorher schon mächtig gewesen war und doch war es komplett anders. Die Umwandlung hatte ihn etwas geschwächt, aber es war nichtsdestotrotz ein himmelweiter Unterschied zu den üblichen Verwandlungen. Etwas verunsichert blickte er sich um, weil er sich jetzt nicht ganz klar war, was als nächsten passieren sollte. Für gewöhnlich hatte es ihn ja sonst immer gleich zur nächstbesten Beute gezogen. Als er hechelnd auf der Erde lag, stand Aran längst wieder. Es zwang ihn ja auch nicht mehr so in die Knie. Daher sah er auf den Jüngeren herab und musterte ihn. Er war gespannt wie der Kleinere nun drauf war, wie er sich zurecht fand. Aber das würde er schon noch sehen. Im Zweifel wies er ihn eben wieder in die Schranken. Kapitel 15: Remember and keep going ----------------------------------- Die 'erste' Nacht, in der sich Bast bewusst verwandelt hatte, war im Nachhinein ziemlich chaotisch verlaufen. Er war zweifelsohne ruhiger gewesen und er war nicht sofort jedem zweitbesten Tier hinterher gelaufen, aber nichtsdestotrotz war seine Werwolfseite die dominante gewesen und er hatte einen ausschweifenden Ausflug durch den Wald gemacht. Und Aran hatte dabei alle Hände - oder Pfoten - voll zu tun gehabt, ihn im Zaum zu halten. Bast meinte sich sogar an eine Rauferei zu erinnern. Am nächsten Morgen aber hatte er an Aran keine Spuren davon sehen können. Wenn was passiert war, dann waren die Verletzungen schon wieder verheilt. Genauso wie bei ihm selbst. Dieser Morgen war ebenfalls anders als die letzten Male, denn Bast fühlte sich erstaunlich kräftig. Die Nacht war bei weitem nicht so anstrengend wie die letzten Male gewesen und im Moment verdrückte er ein herzhaftes Essen, das seinen hungrigen Magen füllen sollte. Aran hatte zwar mit ihm zu tun gehabt, aber dennoch das Gefühl, dass er sich besser im Griff hatte. Sicher, er war dem Jagdtrieb ausgeliefert gewesen und die Rauferei, die er wage in Erinnerung gehabt hatte, die hatte mit einem Bären stattgefunden. Welcher Grizzly hatte es gern, dass man ihm sein Abendmahl versuchte zu stehlen. Ihre Kräfte hatten sie aber heile davon kommen lassen... Der nächste Morgen war auch besser, das stimmte. Denn Bast war nicht annähernd so geschafft. Aran merkte das sofort und er sah fast mit Freuden zu, wie sein Gegenüber genüsslich das gestern gejagte Fleisch verspeiste. Sie hatten am Ende noch gute Beute geschlagen. "Hast du Erinnerungen an die letzte Nacht?", fragte Aran dann nach. Das würde nämlich viel über alles aussagen. Bast legte sie Stirn etwas in Falten. "Vereinzelt.", sagte er schließlich. "Ich kann mich daran erinnern, dass ich mich mit jemandem gerauft hab. Und dass ich ein größeres Tier über den Boden geschleift hab. Alles andere...hm...es ist schwer zu beschreiben. Es fühlt sich an, als wären die Bilder davon schräg hinter mir aufgehängt und ich könnte sie im Augenwinkel erahnen." Ihm fiel gar nicht auf, dass er heute Morgen auch redseliger war als sonst. Abgesehen von der Beschreibung seiner Vergangenheit war es eher Aran gewesen, der die meisten Worte gesprochen hatte. "Ist...das ein gutes Zeichen?", fragte er den Älteren. Er selbst hatte auf jeden Fall ein besseres Gefühl, aber die Meinung eines Kundigen war nie verkehrt. Bast gefiel dem Größeren auf jeden Fall besser wie bei ihrer ersten Begegnung. Deshalb nickte Aran auch. "Es ist ein gutes Zeichen. Außerdem hast du mich gestern nicht angegriffen, eher bist du erkundungsfreudig drauf los." Aus Arans Kehle drang dann ein leichtes Seufzen. "Ich hoffe allerdings, dass du ab jetzt von mal zu mal klarer wirst, denn nochmal helf ich dir nicht, dich mit einem Bären anzulegen!" Das dann zu dem Thema der wage in Erinnerung gebliebenen Rauferei... "E-ein Bär?", rief Bast erschrocken. Deshalb diese merkwürdige Erinnerung. "I-ich...werd mich bemühen." Mit klarem Verstand hätte er das definitiv nicht getan. Genüsslich schob sich der Ältere dann aber noch ein Stück Fleisch in den Mund. "Die Jagd war allerdings sehr erfolgreich, wie du siehst. Wir sollten vielleicht sehen, ob du dich jetzt nicht des öfteren vorsätzlich verwandelst. Der Mond nimmt ab, das heißt, heute wird er dich nicht mehr zwingen, aber er wird dir helfen." Und je mehr der Mond abnahm, desto weniger war Bast dann auf ihn angewiesen. Das Abnehmen des Mondes half ihm in den darauffolgenden Tagen tatsächlich dabei, seine Verwandlung besser zu kontrollieren. Anfangs - auch wenn er sich mit keinem weiteren Bären mehr anlegte - dauerte es noch etwas, bis man Fortschritte erkennen konnte, doch die Momente, an die sich Bast erinnern konnte, wurden immer mehr und deren Dauer auch immer länger. Arans Anwesenheit und Hilfe war ihm in dieser Zeit eine unschätzbare Hilfe und so öffnete sich Bast ihm auch immer mehr. Seinen ernsten und bedachten Charakter konnte er zwar nicht mehr gänzlich ablegen, aber man merkte dennoch, dass er lockerer und unbeschwerter wurde. Und hätte man ihn gefragt, er hätte jedem gesagt, dass diese Zeit, in der sich seine Freundschaft zu Aran verstärkte, mit eine der schönsten war, die er jemals erlebt hatte. Die Tatsache, dass er mehr und mehr Kontrolle über seine Wolfsgestalt hatte, bescherte ihm wunderbare Nächte, in denen er es zu lieben lernte, so schnell wie es ihm möglich war durch den Wald zu laufen. Bast lernte schnell und nachdem er seine Einstellung erst mal geändert hatte, war er auch ehrgeizig und strebsam. So sah es jedenfalls Aran. Er stand hinter dem Jungen und versuchte ihm in allen Situationen beizustehen, die er in der nächsten Zeit durchmachen musste. Von Mal zu Mal aber ging es besser. So richtig war der Sinneswandel des Jüngeren wohl nicht zu erklären, aber vielleicht hatte ihm ja Aran gezeigt, dass ein Lycaner, ein Werwolf, nicht unbedingt ein Monster sein musste. Das zeigte ja auch die Freundschaft, die zwischen ihnen entstand, wenn sie Basts Verwandlung übten, wenn sie zusammen jagten und aßen und wenn sie sich von Früher erzählten. Für Bast war es auch bald mehr als nur Freundschaft. Anfangs war Aran für ihn der Retter gewesen, den er so dringend gebraucht hatte. Dann hatte er festgestellt, dass er sein erster echter Freund war. Der mit ihm Spaß hatte, Zeit verbrachte, aber auch in schweren Zeiten beistand. Und nicht nur das. Diese Freundschaft wurde immer tiefer und bald war Aran für Bast nicht mehr nur Freund und Mentor, sondern etwas viel wichtigeres. Zum ersten Mal seit langem hatte er das Gefühl, so etwas wie einen Vater zu haben. Bei ihm konnte sich Bast einfach mal entspannen und eine Auszeit nehmen. Sie teilten miteinander ihre Vergangenheit aus und je besser Bast ihn kennen lernte, desto mehr lernte er ihn schätzen. Manchmal, wenn er nachts mit ihm durch den Wald tollte, fragte er sich, wie er nur solches Glück gehabt haben konnte. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass eine einzige Begegnung in jener Nacht sein Leben so drastisch zum Guten hin hätte verändern können. Anders herum tat aber auch Bast Aran gut. Immerhin hatte er nie Gelegenheit gehabt, so mit seinem eigenen Sohn umzugehen. Viel zu früh hatte er ihn verloren. Aber nun? Auch wenn es nicht das gleiche war, er konnte ein wenig nachempfinden wie so etwas war und es bewirkte, dass der Schwarzhaarige sich Bast gegenüber auch öffnete, so wie er es seit etlichen Jahrzehnten bei keinem mehr getan hatte. Also war es für ihn eine genauso bedeutsame Begegnung gewesen, die einem mehr als nur einen guten Freund beschert hatte. Mit jedem weiteren Tag wurde deutlicher, dass niemand jemals wieder dieses Band würde zerschneiden können. Die Zeit, die Bast mit Aran in dieser Hütte verbrachte, würde später für ihn mit eine der wichtigsten werden. Niemals würde er vergessen, was er hier gelernt hatte. Und niemals würde er dieses Gefühl der Geborgenheit vergessen, das ihm hier gegeben worden war. Vor langer Zeit hatte er vergessen, wie es sich anfühlte, sicher zu sein, doch Aran hatte diese Erinnerung wieder ausgegraben und ihm gezeigt, dass es auch Menschen gab, die sich um ihn sorgten, die es interessierte, wie es ihm ging und die ihn abfingen, wenn er nicht mehr konnte. Und er spürte, dass er Aran auch angemessen dafür danken konnte. Das freute ihn ungemein, denn er hatte sich immer bemüht, dessen Freundlichkeit zu erwidern. Sie hatten eben beide einander viel gegeben, zumindest über die Zeit hin. Auch Aran fand es bisweilen angenehm, nicht mehr ständig allein unterwegs zu sein. Trotzdem. Hier draußen gab es fast nichts, was sie tun konnten. Hin und wieder musste man die stille und geschlossene Obhut des tiefen Waldes verlassen. Aran lehnte sich nun auch erst mal an einen Baum, bevor er Bast ansprach. "Ich wollte endlich mal wieder in die Stadt gehen, wirst du mich begleiten?" Bast musste etwas überlegen. Er mochte keine Orte, an denen viele Menschen waren. Das war schon so gewesen, bevor er ein Werwolf geworden war. Er traute sich zwar zu, sich dort kontrollieren zu können, doch das einzige Bild von Stadtbewohnern, das er hatte, ähnelte dem aus seinem alten Dorf. Und doch: "Ja, ich komme mit." Er musste sich neuen Herausforderungen stellen. Immer wieder. So wie es Aran gesagt hatte. Ob sie nun groß oder klein waren. Und jetzt, wo Aran an seiner Seite war, würde es sicher nicht so schlimm werden, wie in dem Fall, wenn er ganz alleine gehen würde. "Wie weit ist es bis zur Stadt?", fragte er nicht ohne Neugierde. Es war sicherlich nicht gerade um die Ecke. Er hatte bis jetzt hier noch keinen einzigen Menschen gesehen. Um die Ecke war es wirklich nicht, aber sie würden es schaffen, recht schnell sogar. Aran grinste aber, er freute sich, dass Bast sich dazu durchrang. "Wenn wir bis zur Waldgrenze als Wölfe laufen, dann nicht mal einen halben Tag." Auf vier Beinen war man einfach schneller. Der Ältere erhob sich dann auch und nickte leicht in eine bestimmte Richtung. "Sollen wir dann?" Am besten sie brachen jetzt auf. Dann wären sie nämlich am nächsten Morgen dort. Bast nickte. Ein halber Tag und das auf Wolfsbeinen war wirklich ein gutes Stück Weg. Doch wenn man das ganze in einem guten Tempo für einen Dauerlauf zurücklegte, würde es nicht anstrengend sein. "Ja, brechen wir auf." Dass er aufgeregt war, würde sich sicher nicht so schnell legen und etwas Bewegung war da das beste, was er haben konnte. So machte er sich zusammen mit Aran auf den Weg. Der Abend dämmerte bereits, als sie aufbrachen und später als es dunkler wurde, wanderte der Mond mit ihnen. Bast beobachtete alles aufmerksam. In letzter Zeit hatte er so viel gelernt und seine Sinne trainiert und geschärft. Er konnte nun weit entferntes Rascheln von Tieren im Laub aus all den Hintergrundgeräuschen herausfiltern, er konnte Eulen, die lautlos durch das Dunkel des nächtlichen Waldes glitten, mit seinen Augen erfassen und er konnte den Duft der Bäume und der Tiere riechen. Ohne Aran hätte er nie gemerkt, wie wunderbar das alles sein konnte. Und nun ging er mit ihm sogar in die Stadt. Wahrscheinlich war das nicht der wichtigste Punkt, warum Aran ihn gefragte hatte, ob er mitkommen wolle, aber Bast war froh, dass er auf ihn aufpassen würde. Gemeinsam durchquerten sie also den tiefen und dunklen Wald, so schnell wie ihre vier kräftigen Beine sie tragen konnten. Der Mond war tatsächlich ein treuer Begleiter, der erst von ihrer Seite wich, als Mutter Nacht ihre schwarzen Flügel zusammenfaltete, um dem Tag Platz zu machen. Die glühende Sonne stieg hinter den Hügeln auf und verlieh den Umrissen der Stadt einen sanften Glanz. Aran blieb an der Waldgrenze stehen und sah den Hang hinunter, der sie noch von der Stadt trennte. Hier war es auch Zeit, wieder die menschliche Gestalt anzunehmen, was er auch tat. Auch Bast blieb stehen und verwandelte sich ebenfalls zurück. Sein Blick blieb dabei auf der Stadt hängen. "Du warst schon in der Stadt, oder? Wie ist es dort?" "Die Stadt ist laut, voller Menschen und voller Eindrücke. Lichter, Gerüche, Stimmenwirrwarr und Lärm. Aber sie hat auch viel zu bieten. Keiner sieht genau hin, keiner fragt und für Geld bekommst du alles." Dann war es im Moment genau der richtige Ort für ihn, dachte Bast bei sich. Wenn er nicht auffiel, dann umso besser. Nur mit all den Eindrücken würde er zuerst fertig werden müssen. Bis jetzt kannte er diese Dinge nur in den Dimensionen seines Dorfes, doch eine Stadt war nochmal etwas ganz anderes. Er trat zu Aran näher an den Abhang. Von hier aus hatte man eine wunderbare Aussicht auf die Stadt, die wohl nun auch schön langsam erwachen würde. Er atmete einmal ruhig aus und ein und nickte dann. "Gehen wir." Solange er noch dazu entschlossen war. Er ging die ersten Schritte den Hang hinunter, während die Sonne immer höher stieg. Mit ihr kam ein sanfter Wind, der ihm die ersten Gerüche der Stadt entgegenwehte. Kapitel 16: A step towards Happiness ------------------------------------ Da waren sie nun. Am Rand der Stadt. Für Bast war es wohl die Feuertaufe in vielerlei Hinsicht. Doch sollte er zurecht kommen, dann war er auch bereit für ein neues Leben. "Lass uns gehen. Noch herrscht nicht so ein Treiben." Für den Anfang war das sicher besser. Bast nickte. Da konnte er Aran nur zustimmen. Für den Anfang war es definitiv besser. Die Anwesenheit des Älteren beruhigte ihn ungemein und so ging er ruhiger, als er es sich selbst zugetraut hätte, Richtung Stadt los. Die Eindrücke, die mit jedem Schritt stärker wurden, versuchte er ruhig aufzunehmen. Das ist eine andere Stadt, andere Menschen, andere Gefühle, rief er immer wieder in sich wach. Es gab keinen Grund, Angst zu haben. Aufgeregt sein, ja, aber nicht beunruhigt. Bast nahm alles viel intensiver wahr, was zweifelsohne daran lag, dass er nun ein Werwolf war. Vor allem der Aspekt des Geruchs trat viel deutlicher hervor. So hatte er eine Stadt noch nie wahrgenommen. Sie betraten nun die erste Straße. Hier war niemand, aber Bast sah sich trotzdem aufmerksam um. Es war wirklich anders hier als in seinem Dorf. Die Gebäude waren größer und stabiler. Sie wirkten irgendwie ordentlicher und eleganter, wenn man denn ein solches Wort zum Beschreiben eines Objekts verwenden konnte. Und die Gebäude wurden mit jedem Schritt auch immer größer. Sie waren noch nicht mal in der Nähe des Stadtzentrums, als sie an einem einfachen Wohngebäude vorbeikamen, das größer war als das Rathaus in seinem Dorf. "Wie groß ist diese Stadt nur?", fragte er sich selbst und gleichzeitig auch Aran. Er hatte ja gewusst, dass Städte anders waren als Dörfer, aber er hätte sich diese Dimensionen niemals ausmalen können. Was Bast nicht wusste: vor einigen Jahren noch hätte sich eine Stadt wohl nur durch die Dichte und Ballung der Häuser von einem Dorf unterschieden. Mit der Zeit jedoch hatte sich das geändert und man konnte die Entwicklung noch weiter beobachten. Gebäude schossen immer höher gen Himmel. Die Baumaterialien wurden stabiler und ausgefallener... Alles in allem wurde aber auch das ganze Leben irgendwie schneller. Aran sah dann zu Bast und wiegte seinen Kopf leicht hin und her. "Städte sind bisweilen wirklich riesig und ich habe das Gefühl das dieser Trend zunimmt." Während sie weitergingen, sah auch Aran sich um. "Diese hier liegt im guten Mittelfeld, aber es würden wohl auch vier oder fünf mittelgroße Dörfer hier Platz finden. Zumindest, wenn man die Anzahl der Menschen betrachtet." Das waren wirklich ganz andere Dimensionen als die, die Bast kannte. "Im Mittelfeld...", wiederholte er murmelnd. Es gab Städte, die noch größer waren? Langsam erkannte er, wie klein die Welt doch gewesen war, in der er bis jetzt gelebt hatte. Und das, obwohl er durchaus auch lange in den umgebenden Wäldern seiner Heimat umhergestriffen war. "Ich kann es gar nicht glauben. Ich hab ja gewusst, dass unser Dorf nicht das allergrößte war, aber das hier..." Er war fasziniert davon, was Menschen alles erschaffen konnten. Er schämte sich fast, dass er so wenig über das eigene Land wusste, wo er doch immer gedacht hatte, nicht dumm zu sein. "Und du hast schon größere Städte gesehen?", fragte er Aran, während sie weiter die Straße entlang gingen. Die Welt hatte wohl immer Überraschungen für einen bereit, egal um was es sich dabei handelte. Auf Basts Frage nickte Aran dann aber. "Ja. Schon in mehreren. Aber ich bin auch schon eine ganze Weile länger auf dieser Erde und habe bestimmt auch schon ganz andere Dinge gesehen wie du." Und jetzt wo sie beide nahezu unsterblich waren, würden sie auf dieser Welt noch ganz andere Sachen miterleben. Das stand fest. "Im Grunde ist es aber einfacher, hier klarzukommen. Nicht jeder kennt jeden und man kann ungestört seiner Wege gehen." Das konnte auf jeden Fall von Vorteil sein, da stimmte Bast ihm zu. In einem Dorf, wo jeder jeden kannte, machte es sofort die Runde, wenn etwas passierte oder Fremde zu Besuch waren. Für Leute wie Aran und ihn, die gerne unbemerkt bleiben wollten, war es da von Vorteil, nicht gleich von allen Einwohnern gleichzeitig beachtet zu werden. Es stimmte, Aran war schon viel älter als er, aber von nun an würde auch Bast viel erleben und lernen. "Das ist gut. Ich mag es nicht, wenn mich viele Leute anstarren." Von diesen Blicken hatte er genug. Er wusste, dass das zwar nie ganz aufhören würde, aber es war doch eine Erleichterung, auch mal ein Fleckchen in einer Stadt zu finden, wo man nicht feindselig betrachtet wurde. Es war immer gut, nicht aufzufallen, gerade wenn man ein Werwolf war. Aran hatte das inzwischen gelernt. Sie konnten nicht mehr so frei leben wie in alten Zeiten. "Angestarrt wird man zwar hin und wieder immer noch, aber das liegt einfach an der natürlichen Neugier. Manche Menschen bleiben einfach an dem Gesicht eines Fremden hängen, gehen aber unbeirrt weiter. Im nächsten Moment ist es vergessen. Das scheint für die neueren Zeiten typisch zu sein." Das ging aber nicht gegen die Person. Manchmal sah man eben nur jemanden an, weil man ihn optisch ansprechend fand. Oder weil dieser jemand irgendwie auffällig war. Bast würde sich schon daran gewöhnen. Wenn die Leute wirklich nur flüchtig zu ihm schauten, dann hatte er kein Problem damit. Er wusste ja, dass es in der Natur des Menschen lag, neugierig zu sein. "Gehen wir ins Zentrum?", wollte Bast sich beim Älteren informieren. Aran nickte auf diese Frage. "Ja, das hatte ich vor. Bei der Gelegenheit können wir auch ein paar Dinge besorgen, falls uns noch etwas fehlt." Arans Plan klang gut in den Ohren des Jüngeren. Meistens fiel einem eh ein, was man alles brauchte, wenn man es sah. Die Straßen wurden auch mit jedem Schritt, den sie nahmen, immer lebendiger und gefüllter. Bast konnte sich zwar vorstellen, dass das noch lange nicht alle Einwohner der Stadt waren, aber jetzt schon bekam er ein Gefühl dafür, wie voll diese Straßen sein konnten. Sein Kopf wandte sich hierhin und dorthin, um alles und jeden genau zu beobachten. Endlich konnte er das auch tun, ohne beunruhigte Blicke als Antwort zu bekommen. Niemand wusste, wer oder was sie waren und da sie früh gekommen waren, füllten sich auch die Straßen nach und nach. Somit konnte sich jemand wie Bast gut an das ganze Gedränge und Gewimmel von all den Menschen gewöhnen. Man wuchs da praktisch rein, wenn man so wollte. Schaffte Bast es heute, hier den Tag zu verbringen, dann war er wieder sehr nah an einem normalen Leben dran, so wie es sich wohl jeder wünschte. Vielleicht konnte er dann wirklich irgendwann wieder voll und ganz glücklich werden. Bast hatte schon lange kein Leben mehr geführt, das man als normal bezeichnen konnte. Es war komisch, dass er jetzt, wo er ein Werwolf war, diesem Zustand näher war, als all die Zeit, die er davor zusammen mit seiner Schwester verbracht hatte. Das hatte er alles Aran zu verdanken. Genauso wie die Chance, dass er doch wieder daran glauben konnte, Glück zu finden. Als sie im Zentrum angekommen waren, staunte Bast nicht schlecht. Das war komplett anders, als er es kannte. Hier sprudelte es regelrecht vor Leben. Menschen sprachen angeregt miteinander und Händler versuchten mit lauten Rufen, Kunden anzulocken. Es herrschte hier reges Leben, aber daran - so dachte Aran - sollte er sich lieber gewöhnen. Beinahe überall sah die Welt so aus, zumindest in den Großstädten, die wie Aran ja gesagt hatte, immer weiter wuchsen. Und auch die Technik schritt mehr und mehr voran. Wie Aran aber zuvor erwähnt hatte, achtete nicht einer auf sie beide. Nicht mal wenn man in den Massen jemanden streifte. Bast fühlte sich beinahe wie ein kleiner Junge, der auf Erkundung gehen durfte. Doch natürlich wusste er sich seines Alters gemäß zu benehmen und so blickte er sich nur interessiert um. Solange, bis ihm einfiel, dass sie ja eigentlich hier waren, um ein paar Besorgungen zu machen. "Wir sollten zusehen, dass wir die Sachen bekommen, die wir brauchen." Wenn sie das erst mal alles hatten, konnten sie sich immer noch anderweitig umsehen. Aran sah das alles aber gar nicht so eng, immerhin hatten sie Zeit. Sie waren früh hierher gekommen und standen nicht unter dem Vollmond. Also konnte Bast sich alles in Ruhe ansehen. "Wir sollten gucken, dass wir langsam zum Markt kommen. Da werden wir wohl alles bekommen. Wenn du mal einen Laden siehst, in den du rein gehen möchtest, dann meld' dich ruhig." Bast nickte. Das war wohl wirklich die beste Idee. Am Markt gab es ja für gewöhnlich immer alles zu finden, was man brauchte. "Okay, werde ich." Noch hatte er da nichts bestimmtes im Sinn, aber es konnte gut sein, dass ihn spontan etwas besonders interessierte. Auf jeden Fall ging es erst mal zum Markt. Der war gar nicht mehr so weit weg und während die beiden sich ihm näherten, strömten auch immer mehr Menschen von allen Winkeln und Ecken in die selbe Richtung. Der Markt selbst war riesig, was aber nicht anders zu erwarten war bei so einer großen Stadt. Eine solche Auswahl an Waren hatte Bast wirklich noch nicht gesehen. "Hier werden wir wirklich alles bekommen, was wir brauchen." Aran nickte daraufhin eifrig. Hier fehlte es einem an nichts, keine Frage. "In der Tat. Aber zu sehr beladen sollten wir uns auch nicht. Wir müssen den Rückweg bedenken." Die beiden würden zwecks der Schnelligkeit sicher wieder in Wolfsgestalt loslaufen. Dann konnten sie aber auch nicht Unmengen tragen. Aran sah sich kurz noch mal um. "Sollen wir zuerst etwas essen?" Das war eine wirklich gut Idee. Bast nickte als Antwort. "Ja, ich bekomm' langsam ziemlichen Hunger." Sie waren ja auch die ganze Nacht durchgelaufen und das machte sich nun schön langsam bemerkbar. Aran schien auch was zu wissen, wo man Speisen von vernünftiger Qualität erhielt und dafür keinen Wucherpreis zahlen musste. Zusammen gingen sie dorthin und ließen es sich erst mal gut gehen, um einen angenehmen Start in den neuen Tag zu machen. Bast hatte etwas derartiges noch nie zuvor gemacht, deshalb genoss er es auch in vollen Zügen, sich einfach mal bewirten zu lassen. Aran schmunzelte leicht. Wie der Jüngere merkte, war das eine feine Sache! Gemeinsam aß man also und machte dann auf dem Markt einige Besorgungen. Bestimmte Dinge mussten sie einfach in der Waldhütte haben. Später war dann Zeit zu schlendern und Aran zeigte Bast die Stadt. "Wie fühlst du dich bisher bei all den Menschen?", informierte sich der selbsternannte Stadtführer. "Ich bin aufgeregt.", gab Bast offen zu. "Und nervös auch." Er war eben schon seit Ewigkeiten nicht länger unter vielen Leuten gewesen. Und die verstärkten Sinne spielten nun auch noch mit. "Aber ich fühl' mich trotzdem gut.“ Und ruhig war er auch. So als ob er keine Probleme mit dieser Situation haben würde. Und das war doch ein gutes Zeichen. Im Moment spielte Arans Anwesenheit da zwar noch eine Rolle, aber Bast war sich sicher, dass er ab jetzt auch in Zukunft kein Problem haben würde, unter viele Leute zu gehen. Leicht nickend ging der Größere auch weiter. Das war schön zu hören. "Gut, sehr gut. Bald ist das Routine. Nur musst du darauf achten, dass diese Jäger nicht in der Nähe sind. Aber wie ich schon mal gesagt habe, inmitten der Menschenmassen greifen sie für gewöhnlich nicht an." Mit der Zeit hatte Aran Bast vieles erzählt, auch was es mit den Jägern auf sich hatte. Hinzu kam, dass sie mit ebensolchen auch schon Auseinandersetzungen gehabt hatten. Der Schwarzhaarige blickte dann aber auf ein großes Gebäude. "Ich muss in der Stadtbibliothek noch etwas erledigen. Glaubst du, du kommst allein zurecht?" Bast nickte. "Ja, das schaff ich." Aran wäre ja auch nicht lange weg und solange er sich unter der Masse unauffällig verhielt, würde es auch kein Problem geben. "Ich bleib hier einfach in der Nähe." Für Aran war es nachher ja ein leichtes, ihn wieder zu finden. Aran war auch der Meinung, dass das eben auch eine gute Übung war. Er nickte also und ging dann los. "Wir sehen uns dann gleich." Bast würde das schaffen, da war er sich sicher. In letzter Zeit war er viel selbstsicherer geworden. Bast nutzte dann die Zeit, um sich ein wenig umzusehen. Außerdem hörte er auch den Gesprächen der Einwohner zu, um die neuesten und wichtigsten Nachrichten zu erfahren. Es war immer gut zu wissen, was sich in Stadt und Land so tat. Er fühlte sich erstaunlich wohl unter all den Menschen. Sicher, es war noch keine hundertprozentige Sicherheit, aber immerhin hatte er nicht den Drang, in die nächste dunkle Gasse zu flüchten, wo ihn niemand sehen konnte. Aus allen Richtungen drangen Töne und Wörter auf ihn ein. Es gab viel zu erzählen und viel zu hören - und noch mehr zu sehen. Bast ließ seine Augen durch die Menge gleiten und dabei sah er die unterschiedlichsten Gesichtsausdrücke. Fröhliche, wütende, neugierige, berechnende, fragende, mürrische, feilschende und noch viele andere. Doch sein Blick blieb bei einem Mädchen hängen. Ihr Ausdruck unterschied sich als einzige von allen anderen, denn in ihrem Gesicht konnte er die nackte Angst sehen. Durch die Menge hindurch konnte er sogar ihr unterdrücktes Schluchzen hören. Und so wie es schien, lief sie auch vor jemanden davon, denn ihr Blick schnellte hin und wieder zurück über ihre Schulter. Unweit von ihr konnte Bast auch den Grund dafür erkennen. Zwei grimmig dreinschauende Männer verfolgten sie und das Mädchen war drauf und dran, einen großen Fehler zu machen, denn sie lief in eine enge und schmale Gasse, in der sie die Männer viel besser einholen konnten. Und noch dazu würde dort niemand sein, der ihr helfen könnte. Sofort nahm Bast die Verfolgung auf. Er konnte das Mädchen unmöglich sich selbst überlassen. Und so wie es aussah, hatte er diesen Entschluss noch rechtzeitig gefasst, denn kurz nachdem er in die Gasse abgebogen war, konnte er ihren Aufschrei hören. Und während all dem war Aran noch bei all den Büchern. Aber seine Ohren vernahmen, wie Basts Schritte sich schnell von diesem Ort entfernten. Er war plötzlich außerhalb seiner Hörweite und das beunruhigte ihn dann schon. Wenn er sich nur hätte umsehen wollen, wäre das sicher ruhiger vonstatten gegangen. Der Schwarzhaarige ging also wieder nach draußen und nahm Basts Spur auf. In der Menschenmenge war er jedoch langsam und er konnte auch schlecht seine Fähigkeiten offen zeigen. Das würde nur die ganzen Menschen verwundern. So schnell er eben konnte, eilte er dem Jüngeren nach, in der Hoffnung, ihn dennoch aus etwaigen Schwierigkeiten rechtzeitig befreien zu können. Aran wusste ja nicht im geringsten, was sich da gerade abspielte! Bast hatte auch keine Zeit gehabt, dem Älteren irgendwie eine Nachricht zukommen zu lassen. Hier zählte gerade jede Sekunde und Bast war keinen Moment zu früh, als er um die letzte Ecke bog und sah, wie einer der beiden Männer sie festhielt, während der andere sich zunächst an ihrem Geldbeuteln dann aber vor allem an ihrem Kleid zu schaffen machte. Da kannte Bast keinen Spaß mehr. "Weg von ihr!", rief er, während er schon auf den Kerl zurannte, ihn packte und dann von dem Mädchen wegriss. Womit er allerdings nicht sofort gerechnet hatte, war die Tatsache, dass der andere Mann das Mädchen zur Seite stieß, um seinem Kumpanen zu helfen. So spürte Bast im nächsten Moment dessen Fuß in seiner Kniekehle, was ihn sofort einknicken ließ. Doch das hielt ihn nicht davon ab, den Kerl, den er gepackt hatte, mit seiner Faust anzugreifen. Natürlich nicht zu stark, sodass dieser gleich blutüberströmt zusammenbrechen würde, aber stark genug, dass dieser nicht mehr Hand an das Mädchen legen konnte. Sein Treffer saß und während er den nächsten Angriff des anderen abwehrte, schaute er zu dem Mädchen und rief: "Verschwinde von hier! Bring dich in Sicherheit!" Das Mädchen war aber starr vor Angst und presste sich in die Ecke der Gasse, direkt an die Wand. Nach ein paar Momenten mischte sich unter ihren ängstlichen Blick aber auch verwundertes Staunen. Der junge Schwarzhaarige schien die Situation im Griff zu haben und das, obwohl die beiden Männer so groß und kräftig waren! Allein einer von ihnen hätte bestimmt zwei oder drei Männer außer Gefecht setzen können, doch der junge Mann führte sie regelrecht vor. Aran stürmte ja auch schon durch die Mengen und konnte langsam ausmachen, wo Bast sich aufhielt. Die ganzen Leute hier verhinderten aber sein Durchkommen. Erst eine ganze Weile später bog auch er um die Ecke und sah, wie Bast zwei Schränke von Männern zu Boden brachte. Ehe er etwas sagen konnte, hechteten die Betroffenen an ihm vorbei und suchten das Weite. Aran stand wirklich perplex da, doch jetzt taute das Mädchen wieder auf. Sie lächelte und trat nahe zu Bast heran. "Vielen Dank! Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich gemacht hätte." Bast blickte daraufhin nur verlegen zur Seite. "Sch-schon gut. Pass nur auf...dass du nicht noch mal in eine solche Lage gerätst. Du solltest nicht alleine in so dunkle und menschenleere Gassen gehen." Er hatte ein paar Treffer abbekommen, aber obwohl man bei einzelnen Stellen leicht was erkennen konnte, schmerzte es kaum oder gar nicht. Und die Verletzungen würden definitiv verheilt sein, bevor sie irgendwie schlimmer aussehen konnten. Bast sah ihr kurz in die Augen, die nun zum Glück nicht mehr von Angst gezeichnet waren. Ganz im Gegenteil, sie leuchteten nun hell und ihr Lächeln steckte sogar ihn an. Als sie ihm aber plötzlich einen Kuss auf die Wange gab und nach einem "Wirklich, vielen Dank! Vielleicht sieht man sich ja mal wieder." verschwand, blieb er wie zur Salzsäule erstarrt dort stehen wo er war. Er hatte noch nicht mal bemerkt, dass Aran in der Nähe war. Aran hatte aber das Szenario gen Ende mitangesehen und er musste etwas grinsen. Das Mädchen nickte nur noch leicht und huschte an ihm vorbei. Bast schien noch völlig perplex zu sein. Trotzdem war es doch aber eine positive Erfahrung für ihn. Der Ältere zählte ja auch eins und eins zusammen und sich räuspernd trat er an seinen Kameraden heran. "Na, hast du deine Kräfte einsetzen können, um zu helfen, so wie ich's mal gesagt habe?" Denn offenbar war das gerade geschehen. Bast brauchte noch einen Moment, ehe er seinen Blick von der Stelle, an der das Mädchen verschwunden war, lösen konnte. Doch dann nickte er vorsichtig. "Ja...das hab ich." Seine Körpersprache war ruhig und gelassen, doch seine Augen leuchteten und zeigte, wie sehr er sich darüber freute, etwas Gutes getan zu haben. Es schien noch einen Moment zu dauern, bis er wirklich realisierte, was er da grade geschafft hatte. Schließlich drehte er seinen Kopf zu Aran und langsam formten sich seine Lippen zu einem Lächeln. "Ich hab ihr geholfen. Und ich hab die anderen nicht ernsthaft verletzt." Er konnte gar nicht beschreiben, wie glücklich er gerade war. Mit den Kräften, die er hatte, hatte er etwas beschützt. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte er das niemals für möglich gehalten. Sein Kopf sank zu Boden, doch sein Lächeln blieb. "Ich hab sie beschützt." Er wusste gar nicht so recht, was er jetzt tun sollte. Diese Erfahrung war so neu und unbekannt und sein Herz machte jedes mal kleine Hüpfer, wenn er daran dachte, was er gerade gemacht hatte. Aran musterte ihn eine Weile, aber dann musste er lachen. Bast wirkte gerade wie ein kleiner Junge, der etwas geschafft hatte, was er für unmöglich gehalten hatte. Zum Beispiel war er vielleicht viel höher und weiter gesprungen wie alle anderen in seinem Alter. Eben so in der Art sah der Ältere ihn gerade. Diese Beschreibung kam dem, wie Bast sich fühlte, gerade auch ziemlich nahe. Eine solche schlichte und einfache Freude hatte er schon lange nicht mehr verspürt. Selbst, als er Stück für Stück mehr Kontrolle über sein neues Wesen bekommen hatte, war das anderes gewesen. Der Prozess war da einfach viel schleichender gewesen. Ein solches plötzliches Erfolgserlebnis war da etwas ganz anderes. Es musste für Aran ohne Zweifel ein einmaliger Anblick sein. Dennoch lachte dieser ihn nicht aus und bekam sich auch schnell wieder ein. "Ich habe dir von Anfang an gesagt, du sollst dich deinen Schatten stellen und drüber springen, wenn du kannst. Das scheinst du jetzt geschafft zu haben." Es freute Aran ebenso und er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. "Du brauchst dich nicht länger zu verstecken. Zumindest wenn, nur noch vor den Jägern." Langsam realisierte Bast auch, dass er tatsächlich das geschafft hat, wovon Aran immer gesprochen hatte. "Und es war gar nicht schwer." Er konnte kaum fassen, wie wenig Mühe es ihn gekostet hatte, sich zurückzuhalten. Sicher, er war wütend gewesen, aber die Wut hatte ihn nicht übermannt. Aran hatte recht. Er konnte nun solch ein Leben führen, das er sich immer gewünscht hatte. Natürlich nicht ohne auch auf Jäger aufzupassen, aber dennoch. Er hatte sich so oft danach gesehnt, in Einklang und Frieden mit anderen Menschen leben zu können. "Ohne dich hätte ich das aber niemals geschafft." Er verdankte Aran so unglaublich viel. Aran grinste und gab Bast nochmals einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Er hatte gutes Recht, sich darüber zu freuen, er konnte nun wirklich ganz von vorn anfangen. Das war in der Tat etwas, das einem das Herz höher schlagen ließ. "Siehst du, ich wusste, dass du das schaffst. Du brauchst dich auch nicht zu bedanken, es lag immerhin zum Großteil bei dir. Hättest du komplett aufgegeben, dann hätte auch ich dir nicht helfen können." Bast dachte da anders. Wäre er alleine geblieben, er hätte sich vermutlich selbst verloren. Nur weil Aran bei ihm gewesen war, weil er ihn gestützt hatte, weil er ihm das Gefühl gegeben hatte, gebraucht zu werden, hatte Bast wieder ein Ziel vor Augen gehabt, hatte er wieder einen Grund zum Leben bekommen. „Nein, das stimmt nicht ganz. Dank ist das geringste, was ich dir schulde.“ Er konnte aufrichtig sagen, dass Aran sein Leben gerettet hatte. „Versprich mir, dass du zu mir kommst, wenn du einmal Hilfe brauchen solltest.“ Bast würde keine Sekunde zögern, um ihm eine helfende Hand zu reichen - so wie Aran es bei ihm getan hatte. Es war einfach schön zu hören, dass Aran so viel Vertrauen in ihm gehabt hatte. Bast wollte ein solcher Mann werden, der dieses Vertrauen auch verdient hatte und deshalb wollte er ein solches Leben führen, in dem er Arans Vorbild folgen und anderen eine Stütze sein konnte. Aran gab sein Versprechen und damit hatte nach ein paar weiteren erheiternden und vergnüglichen Stunden auch dieser Ausflug in die Stadt ein glückliches Ende gefunden. Am Ende des Tages schloss Bast die Augen und sah Saria vor sich. Sie hatte ihre Worte so bedacht gewählt. »Es wird...alles gut, großer Bruder. Du bist...jetzt endlich frei.« Die Freude, die in ihrem Lächeln gelegen hatte, hatte ihm fast das Herz zerbrochen. »Versprich mir...werde glücklich.« Wie hatte er jemals an ihren Worten zweifeln können? Es war alles gut geworden. Er war frei. Und er hatte einen ersten Schritt Richtung Glück gemacht. Epilog: -------- Arans und Basts Freundschaft währt bis heute ein Leben lang. Zusammen bestritten sie so manches Abenteuer und überstanden einige Gefahren, die ihr Vertrauen zueinander nur noch stärker machte. Gezeichnet durch ihre Vergangenheit grübelten sie zuerst jeder für sich, dann aber gemeinsam darüber, ob sie nichts tun konnten, um anderen Werwölfen das selbe oder zumindest ein ähnliches Schicksal wie das ihrige zu ersparen. Sie wollten ihren Artgenossen ein ruhiges Leben in Frieden und weitab von Gefahr und Verfolgung ermöglichen. Und so schmiedeten sie einen Plan, um eben dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Auf ihrer langen und ausschweifenden Suche fanden sie schließlich ein ruhiges und ahnungsloses Dorf, das von allen schlimmeren Katastrophen verschont geblieben war. Dieses freilich war nicht ihr endgültiges Ziel, jedoch gab es in respektabler Nähe gut geschützt in einem Wald einen großen See, an dem ein Teil des Ufers geschützt von Felsen, Sträuchern und Bäumen ein ausbaufähiges Höhlensystem besaß, das förmlich danach schrie, als neuer Zufluchtsort verwendet zu werden. Hier nun also fand die Suche des Duos ein Ende. Zusammen mit einigen Artgenossen, denen sie auf ihrem Weg begegnet waren, verwandelten sie die Höhlen in gemütliche und warme kleine Reiche, die Geborgenheit und Sicherheit spendeten. Mit den neuen Gefährten, die eine ähnliche Überzeugung wie sie selbst vertraten, stellten sie Regeln auf, die ein friedliches Leben untereinander aber auch mit dem benachbarten Dorf sicherstellen sollten. So wurde es verboten, Menschen zu verwandeln und jeder, der in böswilliger Absicht gegen diese Vorschrift verstieß, wurde sofort verbannt. Anfangs lebten Bast und Aran noch selbst mit in den Höhlen, doch mit der Zeit zeigte sich, dass – angezogen von Erzählungen anderer Werwölfe – immer mehr neue Hilfesuchende zum Dorf kamen. Und so zogen Aran und Bast in die langsam wachsende Stadt, um den Zuzöglingen besser helfen und um dort auch für Ordnung sorgen zu können. Denn nicht nur Werwölfe von friedlicher Natur wurden von den Gerüchten angelockt. Während Bast lieber bedeckt Hilfe spendete und ein Haus am Rand der Stadt bewohnte, stürzte Aran sich viel eher aktiv ins Getümmel und bekleidete in Zeiträumen, die keinen Verdacht auf seine Natur erweckten, öffentliche Positionen in den gegenwärtigen Sicherheitsgruppierungen der jeweiligen Zeit. Gemeinsam sorgten sie so dafür, dass das Dorf – oder bald die Stadt – der friedvolle Ort blieb, das er war. So vergingen viele Jahre. Jahre des Friedens, Jahre des Kriegs. Jahre des Lachens und Jahre der Tränen. Doch immer Jahre, in der hier jeder Zuflucht und Sicherheit finden konnte, wenn er sie suchte und brauchte. Im Gedenken an die Geliebten, die sie verloren hatten, beschützen die beiden bis heute ihre zweite Heimat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)