Suetsukata - Endzeit von WildCherry ================================================================================ Prolog: Der neue Mond --------------------- Der Mond stand hoch am Horizont und tauchte den Wald in ein fahles Licht. Es war eine helle Sommernacht, und der Geruch von frischem Grün stieg ihr in die Nase. Genussvoll sog sie den Duft ein, und versuchte ihn solange wie möglich festzuhalten. Der wohltuende Geruch von der aufblühenden Mutter Natur erfüllte sie jedes Mal mit einer tiefen, inneren Freude. Sie hielt die Luft solange an, wie es ihr nur möglich war, dann stieß sie den Atem mit einem leisen Schnauben aus. Einige Glühwürmchen schwirrten um sie herum, es schien als würden sie miteinander tanzen. Sie beobachtete das rege Treiben eine Weile, und streckte die Hand nach den Insekten aus, die sich scheinbar von ihrer Anwesenheit nicht stören ließen. Leise surrend flogen die Tierchen tänzelnd um ihre Hand. Sie saß auf einer sehr kleinen Lichtung mitten im Wald, während sie auf jemanden zu warten schien. Ungeduldig blickte sie sich um, doch um sie herum war es still. Leise seufzend ließ sie sich nach hinten ins Gras fallen. Ihre beiden Hände gruben sich durch die feuchten Gräser, während sie mit leuchtenden Augen dem Mond entgegen blickte. „Oh mein Geliebter, so wunderschön und rund erstrahlst du am Firmament, könnt ich ihn nur festhalten, diesen einzigartigen Moment!“, hauchte sie leise in die Nacht, während sie eine Hand nach oben streckte, als würde sie versuchen den Mond zu greifen. Sie wiederholte die Worte erneut, nur sang sie dieses Mal leise. Es schien ein Gedicht zu sein, oder ein Lied, welches sie immer wieder vor sich hin summte. Ein leises Rascheln riss sie aus den Gedanken, sie drehte den Kopf in die Richtung aus der das Rascheln gekommen war. Ihre rosaroten Augen starrten ins Dunkle, doch sie konnte nichts erkennen. „Yukio?“, sie setzte sich auf und fuhr sich durch ihr langes Haar. Ihre weißen Haare glänzten wunderschön im Mondlicht, „Yukio? Bist du das?“ Dann plötzlich, vernahm sie ein weiteres Rascheln. Nur dieses Mal kam es aus einer anderen Richtung. Ihre spitzen Ohren zuckten nervös, als sie einen knackenden Ast hörte. Sie ahnte, dass Yukio nicht da war. Und sie wusste instinktiv, dass sie umzingelt war und Gefahr drohte. Sie hielt einen Moment inne, und überlegte, was sie tun sollte. Ihre Augen wanderten umher, angestrengt versuchte sie etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Schlussendlich entschied sie sich aufzustehen. Sie waren also gekommen. Sie hatten sie also doch gefunden. Sie wollte versuchen zu flüchten, notfalls würde sie wohl auch kämpfen müssen. Sie schloss die Augen, und zählte innerlich bis zehn. Währenddessen griff ihre linke Hand langsam zu einem kleinen Dolch, den sie in einem ihrer langen Ärmel des Kimonos versteckt hatte. „…7…“ Ein Rascheln, gleich im Busch neben ihr, keine 5 Meter entfernt. „…8…“ Sie öffnete langsam die Augen, und umklammerte den Griff ihres Dolches fester. „…9…“ Plötzlich vernahm sie ein lautes Pfeifen. Es war jetzt also soweit. „…10…“ Das Pfeifen wurde lauter. Mit einer eleganten Bewegung sprang sie zur Seite. Keine Sekunde später bohrte sich ein großer, schwarzer eiserner Pfeil in das Fleckchen Erde, auf der sie gerade eben noch gesessen hatte, und verätzte den Boden langsam. Die Erde um den Stock des Pfeiles, welcher in die Höhe ragte, schien augenblicklich zu verderben. Ein scheußlicher, modriger Gestank brannte sich in ihre feine Nase. Im nächsten Moment wurde das Rascheln lauter, ein weiteres Pfeifen drang an ihr Ohr. Ein verbittertes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Sie griffen also direkt und aus der Ferne an, dachte sie, und wich dem nächsten Pfeil nur knapp mit einer grazilen Drehung aus. Im nächsten Moment sah sie in den Augenwinkeln einen Schatten aus dem Gebüsch huschen. Ihre Gegner schienen keine Zeit verlieren zu wollen, und griffen erbarmungslos an. Doch es war ihr egal wie schnell alles passierte, sie hatte auf keinen Fall vor eine leichte Beute zu sein. Ohne eine Sekunde zu zögern, zog sie ihren Dolch, und stach blindlings nach dem Schatten. Sie hörte wie die Spitze der Klinge an einem festen Stoff entlang kratzte. Ein kleiner Dolch wie dieser würde in diesem Kampf auch nichts ausrichten können, stellte sie fest. Im gleichen Moment hörte sie um sich herum, wie weitere Gestalten aus den Büschen hervor sprangen und sie umzingelten. Für einen Moment war es still geworden. Niemand bewegte sich mehr, niemand sprach ein Wort. Sie überlegte fieberhaft nach einem Ausweg, und versuchte ihre Verzweiflung eher schlecht als recht zu verbergen. Sie könnte ja… Nein! Sie hatte es versprochen! Sie musste ihr Versprechen halten. Was auch passieren sollte, sie durfte Yukio nicht enttäuschen. „Du entkommst uns nicht mehr! Wir haben dich umzingelt, und solltest du auch nur einen Gedanken daran verschwenden, durch die Luft zu entkommen, ahnst du sicher, was dich erwartet!“, ertönte eine scharfe und eiskalte Stimme hinter ihr, „So lange suchen wir nun schon nach dir. Und endlich ist es soweit!“ Ein leises, hämisches Lachen ertönte. Die Frau drehte sich langsam zu der Stimme um. Sie starrte dabei jede vermummte Gestalt an. Es war niemand zu erkennen, entweder hatten sie die Kapuzen ihrer Umhänge so tief ins Gesicht gezogen, dass man nichts erkennen konnte, oder sie trugen Masken. Das Einzige was sie erkennen konnte, waren die zahllosen Waffen, die sich ihr entgegen streckten. Als sie in die Richtung blickte, aus der die Stimme kam, musste sie enttäuscht feststellen, dass auch diese Person eine Maske trug. Aber irgendetwas strahlte dieser Mann aus. Irgendetwas an ihm jagte ihr eine schreckliche Angst ein. Hatte sie vor einigen Minuten, als sie sich noch in Sicherheit wähnte, ungeduldig gewartet, dass Yukio kommen würde, so wünschte sie sich nun nichts sehnlicher, dass er ihr fernblieb. „Wenn du dich ergibst, wird es um einiges schmerzfreier für dich enden. Das verspreche ich dir!“, die Stimme des unbekannten Mannes schien amüsiert. Sie ahnte, dass er es nicht ernst meinte, „Ich habe nicht vor, mich einfach zu ergeben!“, zischte sie leise. Bitte komm nicht her, Yukio! Bitte, bitte komm nicht her!, dachte sie, und es zerriss ihr innerlich das Herz, während sie den kleinen Dolch erneut zückte, und auf die vermummten Menschen zustürmte. Ein lautes Donnern durchriss die Stille der Nacht. Aufgeschreckt durch den plötzlichen Lärm, flogen einige Vögel aus den Baumwipfeln, und suchten das Weite. Ein Blumenstrauß fiel auf den Boden. Wie angewurzelt stand ein junger, stattlicher Mann im Dunkeln des Waldes, und starrte ins Leere. Sein Herz pochte schnell, es schien als wolle es sich aus seiner Brust befreien, so laut und fest schlug es. Obwohl das laute Donnern ihn erschrocken hatte, und eine unheilvolle Angst in ihm hochkroch, machte er einen Schritt nach vorne. Ohne zu überlegen, was er da tat, ohne irgendeine Kontrolle über seine Beine zu haben, ging er schwankend in die Richtung, aus der der Knall zu hören gewesen war. Er hörte, wie die Blumenstängel unter seinem Fuß brachen, als er drauftrat. Doch das war jetzt nicht wichtig. Eine unsagbare Angst stieg in ihm hoch, „Mika!“ Seine Schritte wurden schneller. Ohne zu sehen wo er hinlief, trugen ihn seine Beine durch die Nacht. Mika!, dachte er wieder und wieder. Immer wieder kreiste dieser Name in seinem Kopf umher. Er stolperte über eine dicke Baumwurzel und stürzte. Ein stechender Schmerz strahlte vom Bein aus. Sein Atem ging schneller, er wusste, ohne weiter nachzusehen, dass er sich den Fuß verstaucht hatte. Doch der Schmerz am Fuß war nicht so schlimm wie die Angst, die inzwischen seinen ganzen Körper ergriffen hatte. Schweiß war ihm auf die Stirn getreten, und mit schmerzverzogenem Gesicht, versuchte er sich aufzurichten. Doch es war ihm nicht möglich, der Schmerz zwang ihn sogleich wieder zu Boden. Ein weiteres lautes Donnern war zu hören, und ließ dieses Mal sogar die Erde erbeben. „Mika!“, ohne weiter nachzudenken zog er sich mit seinen starken Armen am Boden entlang. Er musste unbedingt zu ihr. Er musste sich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Vielleicht hatte es ja jemand anderes erwischt. Im gleichen Moment ärgerte er sich darüber, dass er so dachte. Mika hätte ihn sicherlich deswegen ausgeschimpft. Mika. Er war nicht mehr allzu weit von ihrem Treffpunkt entfernt. Er würde sicherlich gleich an der kleinen Lichtung ankommen, und sie würde ihn verärgert ansehen. In seinen Gedanken sah er sie bildlich vor sich, wie sie die Arme verschränkte, und ihn vorwurfsvoll zurechtweisen würde. Warum er auch wieder so spät kommen musste? Warum er nicht einmal pünktlich sein könne? Dann würde sie erschrocken seinen Fuß erblicken, und würde nur noch wütender werden. Warum muss er denn auch so kopflos durch die Gegend rennen? Dann würde er ihr alles erklären, sie in seine Arme schließen und ihren süßen Duft einatmen. Er würde sie so schnell nicht wieder loslassen. Warum hatte er sie überhaupt erst alleine gelassen? Er konnte zwischen den Baumstämmen langsam die Lichtung erkennen. Das helle Licht des Vollmondes erhellte die Nacht ungewöhnlich stark. Ein ätzender Geruch stieg ihm in die Nase. Er zog sich an einem Baumstamm hoch, da er, wenn er am Boden kroch, nichts sehen konnte. Sein Herz pochte lauter, während er sich mit aller Kraft am Baum hochzog. Seine langen, schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, und blieben wegen des Schweißes kleben. Als er endlich halbwegs, am Baumstamm gestützt, stand, blickte er zur Lichtung auf. Das Erste was er erblickte, war ein großer, schwarzer Eisenpfeil der im Boden stach. Eine lähmende, schreckliche Vorahnung erfasste seinen gesamten Körper. Er begann zu zittern, und mit weitaufgerissenen Augen taumelte er nach vorne. Sein Fuß schmerzte nach wie vor, und er fiel erneut zu Boden, als der Schmerz unerträglich wurde. Doch es spielte keine Rolle mehr. Er stürzte auf den Knien nach vorne, während er versuchte sich erneut aufzurichten. Er kroch durch die Hecken. Die Dornen an den dünnen Ästen der Hecke bohrten sich in sein Fleisch, und zerrissen sein weißes Hemd. Doch all das spielte keine Rolle. Es war, als würde er den Schmerz nicht spüren. Als er die Hecken zur Seite schob, erblickte er, unweit von sich entfernt, eine Gestalt am Boden liegen. Ohne weiter zu überlegen, wusste er, wer da lag. Er erkannte diese zierliche Gestalt sofort. „M-Mika!“, wie in Trance zog er sich mit letzter Kraft zu der Frau. Einige kleine, schwarze Pfeile, ebenfalls aus Eisen, hatten ihren Körper durchbohrt. Ihre langen, weißen Haare lagen in der kleinen, roten Blutpfütze, die sich inzwischen unter ihr gebildet hatte. Ihr Körper lag vollkommen verdreht da, und ihre Augen waren weit aufgerissen. Seine Haare fielen ihm ins Gesicht und verbargen seine Augen. Wenn jemand ihn jetzt beobachten würde, würde man keinerlei Emotion erkennen können. Er ergriff die leblose Hand der Frau, und drückte sie an sein Gesicht. Sie war noch warm, und wenn er die Augen schloss, fühlte es sich an, als würde sie noch leben. Er harrte eine Weile so aus, hielt die Augen geschlossen und fühlte einfach nur ihre Wärme. Als er spürte, wie diese langsam ihrem Körper entwich, öffnete er die Augen und sah zu ihr runter. Sanft strich er ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, und schloss ihre Augen. Sein Blick fiel auf ihre linke Brust, wo eine klaffende Wunde war. Sie hatten sie also gefunden. Und er war nicht bei ihr gewesen, um sie zu beschützen. Er hatte versagt. „Mika…“ Anmerkung der Autorin: "Mika" ist ein typischer, japanischer Name. Die Bedeutung wäre übersetzt: Der neue Mond. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)