Doors of my Mind von Karo_del_Green (Der Freund meiner Schwester) ================================================================================ Kapitel 18: Frittiert oder gegrillt? ------------------------------------ Kapitel 18 Frittiert oder gegrillt? Ich schlage die Augen auf bevor der Wecker klingt. Obwohl ich von allein wach geworden bin, habe ich das Gefühl die halbe Nacht nicht geschlafen zu haben. Zu dem bemerke ich deutliche Rückenschmerzen, die sich wellenartig meinen Rücken hinab arbeiten und weiß nicht woher sie kommen. Wahrscheinlich von dem unruhigen Schlaf der letzten Nacht. Ich habe mich hin und her gewälzt. Ständig hat sich Raphael in meine Gedanken geschlichen und lag schwer und schwelend auf mir, wie ein tonnenschwerer, aber fantastisch aussehender Stein. Das Gefühl den anderen Mann nahe zu sein, ihn berühren zu wollen, ist so stark, dass sich die Muskelfasern meines Körpers heftig zusammenziehen. Ob er an mich denken musste, als er sich letzte Nacht neben meine Schwester legte? Als sie sich schlafend an ihn schmiegte, hat er sich da vielleicht gewünscht, dass ich es wäre? Meine Gedanken kreisen um den Funken Hoffnung und versetzen mich gleichzeitig in eine Stimmung der Verzweiflung. Warum sollte er? Raphael hat keinen Grund so etwas zu denken. Oder? Raphael. Raphael. Mantraartig wiederholt sich sein Name in meinem Kopf. Warum nur, Raphael? Die Stimme in meinem Kopf wird melodramatisch. Was passiert hier nur? Am Abend noch wähnte ich es in einem ersten Moment als Einbildung, doch ich schmeckte klar und deutlich seinem Aroma auf meinen Lippen. Süß und süchtigmachend. Wir haben uns geküsst. Lange und leidenschaftlich. Es war keine unbedachte Berührung, kein Versehen. Er hat es ebenso gewollt, wie ich. Die Erinnerung an berauschende Gefühl daran, lässt mich erregt keuchen. Ich spüre diese bestimme Regung in meinem Unterleib und eine weitere, die einen Schmerz durch meinen steifen Rücken schickt. Schwermütig drehe ich mich auf den Bauch und drücke mein Gesicht in das Kissen. Ich brülle hinein und bin der Überzeugung, dass man das Geräusch außerhalb meines Zimmers gehört haben muss. Ich stemme mich hoch und hocke mich auf allen Vieren aufs Bett um einen Katzenbuckeln zu machen. Es muss seltsam aussehen. Doch das ist mir reichlich egal. Jedenfalls so lange bis es an der Tür klopft und sie direkt geöffnet wird. Mein Vater schiebt seinen Kopf durch den Spalt und sieht verwundert auf meine Körperhaltung. „Machst du Yoga?", fragt er belustigt. „Trocken-Sex", kommentiere ich. Sein Blick ist herrlich. „Ich habe dir gestern gesagt, dass die Jugend heutzutage anders ist", erläutere ich grinsend und sehe in das noch immer verdutzte Gesicht meines Erzeugers. „Interessant." „Ich habe einen steifen Rücken", erkläre ich nun doch, bevor er sich weitere unpassende Gedanken machen kann. Ich setze mich auf die Knie und mache meinen noch einmal Rücken rund. Es knackt. Mein Vater tritt vollständig in mein Zimmer, als ich mich wieder aufrichte und ihn erwartungsvoll ansehe. „Es geht um den Geburtstag deiner Mutter", rückt er sofort mit dem Grund seiner Anwesenheit heraus, "Wir wollten eigentlich schon gestern Abend mit dir darüber sprechen, aber die Stimmung war nicht die Richtige." Ich gestehe mir ein, dass ich den Grund dafür kenne und nicht ganz unschuldig war. Ich schaue auf den Kalender, der über meinem Schreibtisch hängt und seufze erleichtert auf als ich sehe, dass der Geburtstag erst am Wochenende ist. Ich habe noch ein paar Tage Zeit um mein Geschenk zu vollenden oder kurz gesagt, zu beginnen. „Wir haben uns jetzt doch dazu entschlossen größer zu feiern und womöglich werden wir Übernachtungsgäste habe. Wir brauchen also dein Zimmer." „Ihr quartiert mich aus?", frage ich ungläubig und starre in das schuldbewusste Gesicht meines Vaters. Er nickt. „Ja, sozusagen. Elli kommt mit der ganzen Familie. Thomas und Harry auch samt Anhang" Es klingt nach einem regelrechten Familientreffen. Ich stehe vom Bett auf und greife nach meiner Jeans. Ich bin wenig begeistert von dieser wahnwitzigen Idee. Feiern ja, aber was spricht gegen ein Hotel? Ich sehe, wie Maya und Raphael in den Flur treten und an meinem Zimmer vorbeikommen. Maya bleibt stehen und sieht durch die offene Tür zu uns. „Es gibt zwei Möglichkeiten", setzt mein Vater seine Überlegungen fort. Ich bin gespannt und schon jetzt eher abgeneigt. „Entweder, wir besorgen dir noch ein Gästebett oder du kommst irgendwo anders unter." Ich habe das Gefühl, dass das eigentlich eine Frage gewesen sein könnte. Eine anweisende Frage vielleicht? Ich sehe meinen Erzeuger mit hochgezogener Augenbraue an. „Diese Optionen treffen ebenso auf Thomas und seine Familie zu. Ich mag mein Bett und ich habe niemanden, bei dem ich unterkommen kann." Es stimmt nur im Ansatz, aber ich werde nicht leichtfertig meinen vertrauten Schlafplatz aufgeben. „Mark, wir bitten dich. Ich weiß, dass es spät kommt, aber du musst für Thomas und Familie dein Zimmer zur Verfügung stellen. Hast du doch schon mal." Nun also ist die Wahlmöglichkeit verpufft. Ich muss. Maya beginnt im Hintergrund zu kichern. Nun sehe ich auch Raphael, der zurückgekommen ist. Mein Vater wünscht den beiden einen 'Guten Morgen'. Er überlegt und starrt Raphael dabei ungewöhnlich lange an. Das ist nicht gut. „Raphael, kann Mark nicht bei dir unterkommen? Du hast doch eine Couch in deinem Wohnzimmer, oder?", fragt er freudig und an seinen begeisterten Tonfall kann ich erkennen, dass er es für die beste Idee des Jahrhunderts hält. Die Freude im Gesicht meines Vaters ist unübersehbar und Raphael guckt genauso erschrocken, wie ich mich fühle. Mir läuft ein eiskalter Schauer den Rücken runter, während ich den Freund meiner Schwester aufmerksam beobachte. Die Vorstellung bei ihm zu übernachten, erregt und beängstigt mich zu gleich. Vor allem nach der gestrigen Nacht. Bevor Raphael antworten kann, komme ich ihm zuvor. „Äh, nein. Nein und nein danke. Ich habe keine Lust allein mit den beiden in einer Wohnung zu sitzen." Mit dem Zeigefinge deute ich zwischen den beiden angesprochenen hin und her. Ich vermeide es Raphael noch länger anzusehen und höre das abfällige Schnaufen meiner Schwester. „Papa, nein! Er wird garantiert nicht bei Raphael übernachten", zischt sie uns beschlossen entgegen und ich komme nicht umher empört dreinzuschauen. Ihre Reaktion ist heftig und obwohl ich es selbst nicht will, erschreckt mich ihre kategorische Ablehnung. Raphael greift ihr sachte an den Arm und stoppt damit eine weitere ablehnende Tirade. Maya wendet sich ihm mit funkelnden Augen zu. „Nein, er kann nicht bei dir pennen", presst sie zickig hervor, sieht erst Raphael und dann meinen Vater an. „Maya, ich bitte dich, was soll das?", schreitet nun auch unser Vater ein und schaut zu mir, so als müsste ich wissen, was bei ihr gerade schief läuft. „Du bist Samstagabend bei Nina und danach auf Klassenfahrt. Ihr werdet gar nicht gemeinsam in Raphaels Wohnung sein und du musst deinen Bruder also gar nicht sehen", erläuterte er. Maya ist nicht da? Ich wäre mit Raphael allein? Ich habe nicht mitbekommen, dass Maya nächste Woche auf Klassenfahrt ist. Ob das wohl das Thema war, welches Maya gestern mit unserer Mutter besprochen hat. Maya sieht Raphael eindringlich an, doch dieser zuckt nur mit den Schultern und versucht tunlichst nicht mit mir in Blickkontakt zu geraten. Aber ich sehe ihn an bis sich unsere Blicke treffen. Die Emotionen, die ich darin sehe, sind schwer zu lesen. Er hält sie unter Verschluss. Wir haben eindeutig Gesprächsbedarf, vor allem nach seinem gestrigen Rückzug und der verfahrenen Situation. Raphael wendet sich unruhig ab, in dem er vorschlägt erst einmal etwas zu essen, doch Maya verschränkt zeternd ihre Arme vor der Brust. Bevor es zu weiteren Diskussionen kommt, schreite ich ein. „Erst einmal, sollte allein Raphael bestimmen, ob ihr seine Wohnung verplanen dürft oder nicht und zweitens, ich finde sicher eine andere Möglichkeit. Guten Tag", gebe ich altmodisch von mir, salutiere, schiebe meinen Vater aus meinem Zimmer heraus und schließe hinter ihm die Tür. Ich lehne mich von innen dagegen und seufze fahrig. Noch immer dringen von draußen leise die Stimmen der anderen zu mir. Auch Raphaels. „Dürfen wie dein Zimmer nun verplanen?", fragt mein Vater laut durch die geschlossene Tür hindurch. Ich seufze ein weiteres Mal. Eben hieß es noch, dass ich es muss. Ich kriege Kopfschmerzen. „Ja", brülle ich. „Danke", ruft mein Vater zurück. Gedämpft höre ich Schritte auf der Treppe und ziehe mir kopfschüttelnd den Rest meiner Klamotten an. Als ich nach unten komme, frühstücken Maya und Raphael und meine Mutter trinkt den letzten Schluck ihres Kaffees, während sie sich die Schuhe anzieht. Sie sieht mich kommen und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass wir dein Zimmer besetzen dürfen." Sie lächelt freudig und ich weiß, wie gern sie große Familienfeiern ausrichtet. Außerdem habe ich kaum eine andere Wahl. „Mach ich doch gern.", sage ich mit zusammengebissenen Zähnen. Meine Mutter entgeht der spottende Ton nicht, aber sie ignoriert ihn gekonnt. Sie drückt meinen einen dicken Schmatzer auf und lächelt. Ich reiche ihr demütig die Handtasche und sehe zu, wie sie zu meinem Vater ins Auto eilt. Ich werfe einen kurzer Blick auf die Uhr und einer zu den Beiden am Küchentisch. Mayas Blick ist tötend und sie zischt Raphael etwas entgegen, was ich nicht verstehe. Die Reaktion des anderen Mannes ist resigniert und er verdreht auffällig die schönen grünen Augen. Ich schnappe mir einen Apfel aus der Obstschale und verschwinde stillschweigend aus dem Haus. Stillschweigend ist das prägende Adjektiv für den Rest der Woche. Abgesehen von meinen Eltern spricht niemand im Haus mit mir und ich habe bereits am Donnerstag mein komplettes Zimmer auf Vordermann gebracht. Alles Verdächtige ist verstaut und weggeschlossen. Thomas, der jüngere Bruder meines Vaters und mein Lieblingsonkel kommt samt Frau und zwei kleinen Kindern, die gern alles aus den Schränken reißen und mehr finden, als sie sollten. Beim letzten Mal fanden sie Kondome und hielten sie für Luftballons. Im Nachhinein war ich außerdem sehr froh über die undefinierbaren, schwarzen Cover meiner wenigen Erwachsenen-DVDs, die man sich leichtsinnig im jungen Alter anschafft und dann heimlich unter dem Bett aufbewahrt. Ich bin manchmal ein totales Klischee. Allerdings würde ich sie heute nicht mehr ansehen, da die Protagonisten mein Verlangen nicht mehr stillen. Das Geschrei beim Entdecken war gigantisch, doch bei mir und meinem Onkel überwog die Belustigung. Jeder mag Ballontiere. Raphael bleibt die Woche über dem Haus fern und nach dem Training macht er sich sofort rar. Die Begründung ist noch mehr Training und die Vorbereitung auf das Turnier. Die Nachmittage verbringe ich mit der Anfertigung eines Familienportraits, welche ich meiner Mutter zum Geburtstag schenken werde. Am Freitag habe ich noch immer keine Lösung für mein Übernachtungsproblem. Ich denke an Shari, aber da konnte ich mich auch gleich mit Curry abpudern und in Marinade einlegen. Während ich in der Mensa warte, kommt mir der Traum über meine Notschlachtung in den Sinn und ich lege meinen Kopf auf die Tischplatte ab. Vielleicht Marika? Oder... Die Stelle, an die ich einen Namen setzen müsste, bleibt unbesetzt. Mir fällt niemand anderes ein. Es ist hoffnungslos. Ich spüre Sharis Hand auf meiner Schulter und schaue seitlich zu ihr auf. „Müde?", fragt sie lächelnd. „Verzweifelt." „Warum das?" „Meine Mama feiert am Wochenende Geburtstag. Wir haben allerhand Verwandte da und ich muss für meinem Onkel und seiner Familie mein Zimmer räumen." „Und?" Ist das ihr Ernst? „Ich weiß nicht, wo ich hin soll! Meine Eltern gehen einfach davon aus, dass ich schon irgendwo jemanden haben, bei dem ich unterkommen kann." „Ich hätte auch gedacht, dass du keine Probleme damit hast", sagt sie verwundert. Es ist ihr ernst. Ich stecke ihr in Ermangelung weiterer Argumente die Zunge raus. „Ich bin ein bedauernswerter Kerl, der keine Freunde hat. Ach doch, dich, aber du bist so indisch, das ich wahrscheinlich nicht mal einen Zeh in dein Zimmer setzen könnte ohne sofort zu einem saftigen Hühnchenspieß verarbeitet zu werden. Ich glaube, dein Vater arbeitet schon ein Rezeptbuch. 'Hundertundeine Zubereitung für den nervigen Freund meiner braven, indischen Tochter'. Und also Fortsetzung ‚Tausendundein Desserttraum für Anfänger' für den guten Abgang", gebe ich bemitleidenswert von mir und wieder streicht mir Shari sachte, aber energisch kichernd über den Rücken. „Oh, du armer Wicht", presst sie hervor und wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Ich bin beleidigt. „Aber ich bin wirklich keine Option. Entweder du outest dich vor ihnen als schwul oder mein Vater verarbeitet dich wirklich zu Bhatura", setzt sei fort und ich zögere einen Moment lange, ehe ich etwas erwidere. „Bhatura. Dann wäre ich lecker und lustig aufgebläht." Bhatura ist ein frittiertes Ballonbrot und die perfekte Grundlage für einen trinkfreudigen Abend. „Möglicherweise ist kurz frittiert besser, als aufgespießt und langsam gegrillt." Das mit dem schwul verdränge ich, obwohl ich noch nie darüber nachgedacht habe, dass diese Tatsache das Verhältnis zu ihren Eltern vereinfachen könnte. Shari kichert leicht und setzt sich mir gegenüber. Ihre warmen Hände liegen auf meinem Arm und ich sehe zu ihr auf. Sanfte, sonnige Augen sehen mit entgegen. Ihr Kopf ist leicht geneigt und ein paar Strähnen ihres langen Haares fallen über ihre Schultern. Sie lächelt wissend, doch ich bin mir nicht sicher, was genau sie wissen könnte. „Apropos lecker. Ich habe Hunger", sagt sie geschwind und verhindert, dass ich weiter darüber nachdenken kann. Ich nicke. Gemeinsam besorgen wir uns etwas zu Essen und kommen zu unserem Tisch zurück. Die Kantine ist mittlerweile leer. „Was ist mit Marikas WG? Sie nehmen doch jeden Hilfsbedürftigen auf", schlägt sie vor, als wir wieder sitzen. „Das klingt ja, als wäre ich obdachlos", murre ich beleidigt und seufze leicht. Marika kommt nicht in Frage, da ich noch immer nicht weiß, was sie sich alles über mich und Jake zusammengereimt hat. Ich denke an Jake und spüre ein seltsam beklemmendes Gefühl in der Brust. Wenn er in der Stadt wäre, wüsste ich, wo ich hingehen könnte. Vielleicht würde ich bei ihm zu Ruhe kommen. Vielleicht. Ich seufze auf, als mir immer klarer wird, dass auch Jake nichts an dem Dilemma mit Raphael ändern wird. Im Gegenteil. Vielleicht fällt mir niemand ein, weil ich mit Raphael allein sein will. Raphael hat es im Grunde nicht abgelehnt, dass ich bei ihm schlafe. Er wollte Maya sogar beruhigen. Vielleicht wäre das die Gelegenheit in Ruhe zu reden. „So meinte ich es nicht. Was ist mit..." Sie überlegt eine Weile, tippt dabei mit ihrem schlanken Finger über ihr Kinn und ihre Lippen. Dann blickt sie mich an. „Du hast Recht. Du bist echt arm dran, was Freunde angeht." „Nähnähnäh. Du bist keine Hilfe." Ich rümpfe meine Nase und stecke ihr dann noch einmal die Zunge raus. Bisher hatte ich keine Probleme damit so wenige Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung zu haben. Es vereinfacht vieles. „Kommst du nachher mit zum Sportplatz?", fragt Shari mich und schiebt sich eine Gabel voll Mittag in den Mund. „Das ist heute?", frage ich. „Äh, ja!", sagt sie und deutet auf eines der vielen Plakate, die überall in der Schule aushängen. Ich habe es gekonnt verdrängt, damit ich nicht so viel an Raphael denken muss. Ich frage mich, ob meine Aufräumarbeit auch dafür gilt, denn dann würde ich das komplette Turnier abwarten müssen. Ich rühre appetitlos und geistesabwesend in meinem Mittagessen rum. Als ich aufsehe, schaue ich in Sharis fragendes Gesicht. „Was?" „Das Turnier?" „Ach so, ja. Ich weiß nicht, ob ich nicht sowieso danach mit Aufräumen muss. Ich muss noch mal mit Herr Müller quatschen. Vermutlich bin ich da." Mein Problem mit der Übernachtung ist noch immer nicht gelöst. Ich könnte zu Raphael gehen. Ich will zu ihm gehen, aber würde er das überhaupt wollen? Zu der Schnapsidee meines Vaters hat er bisher noch keinen Kommentar abgegeben, jedenfalls mir gegenüber nicht. Wie auch. Er schweigt mich an und geht mir aus dem Weg. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er mich in seiner Wohnung haben will. Nicht nach den verwirrenden Kussereignissen der letzten Woche. Allerdings bin ich noch nie in seiner Wohnung gewesen und es würde mich sehr interessieren, was man dort so alles entdecken könnte. „Mark?" „Hm?" „Gut, dann sehen wir uns dort. Die Mädels und ich haben uns zum Anfeuern verabredet." Sie leert ihr Teller und schaut auf die Uhr. Die Pause ist gleich vorbei. „Okay, dann findet ihr mich am anderen Ende der Tribüne. Mindestens fünfzig Meter von euch entfernt." Shari lacht und fährt mir beim Vorbeigehen durch die Haare. Ich sehe ihr nach. Vor dem Turnier fahre ich noch in die Stadt, lasse das Portrait meiner Familie drucken und rahmen. Ich kaufe meiner Mutter noch ein paar schöne Pflegeprodukte. Während das Bild druckt, schreibe ich meinem Vater eine Nachricht, dass ich, wegen des Turniers später nach Hause komme und genehmige mir noch einen Döner als Abendbrot. Als ich beim Sportplatz ankomme, sind schon etliche Leute auf ihren Plätzen. Ich sehe mich nach Shari um, doch noch sehe ich nirgendwo einen kreischenden Mädchenpulk. Dafür sehe ich Raphael, der in der Mitte des Spielfeldes steht und das Aufwärmen organisiert. Sein Blick und seine Haltung sind angespannt. Mit wachsamen Augen beobachtet er jede noch so kleine Bewegung seiner Schüler. Seine Arme sind vor der Brust verschränkt und ich sehe, wie sich die Muskeln unter dem leichten Stoff seines Shirts bewegen. Er spannt sie an, lässt sie wieder locker. Das Selbe mit seinen Oberschenkeln. Mein Atem beschleunigt sich, als ich mir das Gefühl seines Körpers ins Gedächtnis rufe. Die Hitze seines festen Fleisches. Ich lehne mich an die Abgrenzung und kann meinen Blick nicht von dem anderen Mann abwenden. Raphael setzt sich in Bewegung, folgt seinen Schülern anspornend am Rand des Rasens um bei ihnen die letzten Reserven hervor zu kitzeln. Volle Leistung. Absolute Power. Drei weitere Male laufen sie die Entfernung auf und ab. Danach stoppen sie. Schnaufend und Keuchend. Danny lässt sich zu Boden fallen und spricht dabei mir Raphael. Seine Hände streichen über seinen Oberschenkel und er wirkt eigenartig zerknirscht. Raphael kniet sich zu ihm, nickt und greift nach seinem Bein. Er zieht es nach oben, zwingt Danny damit in eine liegende Position und beginnt ihm die Muskeln zu strecken. Es ist ein seltsames Bild und meine Gedanken sind nicht mehr beim Sport. Die gleichmäßige und rhythmische Bewegung, die er macht, wenn er das Bein nach vorn lehnt.. Raphaels Armmuskeln spannen sich an und der Stoff seines Shirts strafft sich. Mein Blick wandert über den perfekten, athletischen Körper, den ich schon so lange begehre. Ich habe das Gefühl, dass mein Bedürfnis ihn zu berühren seit den Vorkommnissen noch intensiver geworden ist, weil ich weiß, dass es so gut ist, wie ich es ersehne. Die Reaktionen meines Körpers sind noch heftiger. Ich starre ihn an und sehe plötzlich in die tiefen grünen Augen. Er schaut mich direkt an und hört nicht mit der Streckung auf. Was er wohl gerade denkt? Ich kann ihn nicht lesen. Ich denke an seinen plötzlichen Abgang und an den Ausdruck seiner Augen. Scham, Reue und Unsicherheit. Er war überfordert. Er war selbst vollkommen überrumpelt. Ich spüre meinen Puls, der nach oben schnellt und mit einem Mal werde ich von verschiedenen Gefühlen überrollt. Aufregung, Erregung und Angst. Was, wenn er nie wieder ein Wort mit mir spricht? Haben wir eine Grenze überschritten? Ein weiteres Gefühl folgt. Panik. Vielleicht ist es besser so. Ernüchterung. Er hat meine Küsse erwidert und auch meine Berührungen zugelassen. Vielleicht weiß er selbst nicht, was es ist, was er fühlt? Ich kenne das verwirrende Gefühl, plötzlich Empfindungen für einen anderen Mann zu haben, nur allzu gut. Es kann verstörend sein. Ob er Gefühle für mich hat? Hoffnung. Es ist, aber nicht logisch. Er ist nicht schwul. Trauer. Meine Gefühle überschlagen sich und der Knoten in meiner Magengegend wird gigantisch. Raphaels Blick ist ungebrochen. Wie viel von all diesen Gefühlen hat er gerade bei mir sehen können? Erst als mich Sharis schmaler Arm an der Hüfte packt, bricht unser Augenkontakt ab. „Hier bist du!" Ich sehe noch, wie er Dannys anderes Bein hochzieht und wende mich meiner Freundin zu. „Olá, Señorita." Etwas Sinnvolleres fällt mir gerade nicht ein. Ihre strahlenden Augen werden weich, dann forschend, danach schielt sie zu Raphael auf das Spielfeld. Er sieht zu uns und sie winkt ihm fröhlich zu. Ich ziehe sie weg. „Alles okay bei dir?", fragt sie, als wir zur Tribüne gehen. „Ja, was soll sein?" „Sag du es mir. Du hast gerade, wie ein getretenes Hundebaby ausgesehen." „Wie sieht denn ein getretenes Hundebaby aus?", frage ich ungläubig und sie zeigt auf mich. „Okay, jetzt siehst du wie ein tollwütiges Hundebaby aus." Ich schnaube und ziehe sie zu ihren Freundinnen auf die Tribüne. Vier Augenpaare blicken uns entgegen. Lisa, Antonietta, Jessi und Marnie. Sie gehen in Sharis Klasse und ich habe wenig mit ihnen zu tun, was mich umso mehr erstaunen lässt, dass ich ihre Namen noch weiß. „Hey Mark!", sagt Marnie aufgeregt und die anderen Drei winken. „Hey", erwidere ich gelassen. Ich nehme neben Shari Platz. Mittlerweile sind auch die Teilnehmer der anderen Schulen angekommen und der Sportplatz ist über und über mit sich aufwärmenden Sportlern belegt. Ich lehne mich zurück, lasse meinen Blick über die Menschenmassen wandern. Mittendrin entdecke ich Raphael. Ein Seufzen und dann spüre ich Sharis Hand auf meinen Arm. Sie sieht mich nur an und fragt nicht nach. Zum Glück für mich. Ich hätte keine sinnvolle Erklärung für meine übertriebene Schwermut. Das Turnier verläuft für unsere Schule sehr erfolgreich. Neben dem 100-Meter-Sprint, der 4x400-Meter Staffellauf und dem Weitsprung räumen Raphaels Jungs auch bei der Spaßstaffel ab. Eine kleine Tradition der umliegenden Schulen, bei der der 4x100-Meter Staffellauf mit jeweilig unterschiedlichen Gangarten absolviert werden muss. Ich mag den Doggystil. Ein großer Erfolg. Jubel und Gekreische. Die Mädels setzen ihren Plan, die Jungs anzufeuern, zur vollsten Zufriedenheit um. Garantiert sind einige von ihnen morgen heiser. Eine Stunde nach der Beendigung haben einige Übriggebliebenen alles weggeschafft und den Sportplatz wieder hergerichtet. Auch Shari und Marnie sind noch anwesend, die anderen drei sind gegangen. Nur noch die Staffelhölzer liegen neben der Tartanbahn im Gras. „Klasse. Das ist das erste Mal seit 3 Jahren, dass wir die drei Disziplinen gewonnen haben", gibt Marnie begeistert von sich und lässt sich geschafft auf die untere Bank der Tribüne nieder. Ich reiche beiden einen Becher Wasser und setze mich zu ihr. „Raphael hat sie dieses Jahr gut vorbereitet. Gut, wenn es nach Danny geht, hat er sie gequält." Ich denke an das Gespräch zurück und kann mir ein verhaltenes Grinsen nicht verkneifen. „Ja, er macht das wirklich gut. Steffen ist meistens begeistert. Er ist wohl streng und fordernd, aber seine Anweisungen sind prima und gut umsetzbar." Marnies Bruder ist ebenfalls im Trainingsteam. Streng und fordernd. Das passte zu Raphael. Ich bekomme Gänsehaut. „Das kannst du ihm ja ausrichten. Das hört er sicher gern", wirft Shari ein, lächelt und ich nicke abwesend. „Okay, Marnie nimmt mich mit dem Auto mit." Ich blicke auf, sehe wie Marnie aus ihre Tasche einen Autoschlüssel mit kitschigem Plüschanhänger holt und sehe zu Shari. Sie beugt sich zur mir runter und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Adiós", murmele ich den beiden zu und lächele. „Du meldest dich, wenn du reden möchtest, ja?", flüstert sie mir zu und ich nicke. „Bye, Mark" Marnie lächelt verlegen und hebt ihr Hand zum Gruß. Danach verschwinden sie lachend zum Parkplatz. Ich bleibe noch einen Moment sitzen. Ich greife mir die Staffelhölzer, verräume sie sorgsam in der Sporthalle und verschwinde zum Bus. Als ich am Parkplatz vorbeikomme, kann ich Maya an Raphaels Auto stehen sehen. Ich habe sie nicht an der Tribüne gesehen. Sie hat sich das Turnier nicht angesehen. Ein kurzer Blick, doch dann ignoriert sie mich. Kein Gruß Keine Bewegung. Nur ein sonderbarer Blick. Eine Mischung aus Verachtung und Wut. Nichts, was ich nicht schon von ihr kenne. Doch diesmal ist es etwas anders. Ich höre die Tür der Umkleidekabine und biege um die Ecke. Sie weiß es. Mir wird eiskalt als darüber nachdenken, dass es sehr wahrscheinlich ist. Meine Mutter steht in der Küche und verstaut die Einkäufe, als ich durch die Haustür trete. Ich hänge meine Jacke auf und stelle meine Schuhe ordentlich zur Seite. Diesmal sogar in die gleiche Richtung, wie die anderen. Raphael und Maya sind noch nicht hier. „Mark, Schatz, hilfst du mir eben?", ruft mir meine Mutter aus der Küche zu. Ich lasse meinen Rucksack stehen und gehe zu ihr. Es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld. Überall stehen Tüten und Kisten mit Essen. „Kannst du, bitte diese Kiste dort drüber in den Keller bringen und die Flaschen im Flur auch." „Aye Aye Ma'am." Ich greife mir die benannten Sachen und stiefele in den Keller. Mehrere Mal, weil meine Mutter stets noch weitere Sachen einfallen, die sie nicht oben haben will. Als ich damit fertig bin, bin ich fix und alle. Schnappe mir ein Glas Wasser und stehe schnaufend am Küchentresen. Noch immer stehen massig Tüten auf den Ablagen und ich sehe bereits, dass es Morgen in einer Küchenschlacht enden wird. Schnippeln, Drapieren und Anrichten. Meine Mutter liebt es und spannt einfach alle dafür ein. „Wie verlief das Turnier?" „Alles gewonnen, wofür sie angetreten sind." „Sehr gut. Hast du noch mal mit Raphael gesprochen, wegen der Übernachtung?" Ich zucke leicht zusammen, als sie mich danach fragt. „Nein, schließlich hat er es mir auch nicht angeboten, sondern Papa hatte die kuriose Idee. Außerdem habe ich ihn nicht weitergesehen." „Okay, aber wir haben ihn noch mal gefragt und er hat zu gestimmt. Natürlich nur, wenn du damit einverstanden bist." Natürlich. Als hätte er etwas anderes, als ja sagen können. Ich zucke mit den Schultern. „Ich möchte nicht, dass du zu jemanden gehst, den wir nicht kennen. Dem stimmte auch Raphael zu", sagt sie mütterlich. Hat er das? „Ich würde mich auch im Keller verkriechen. Der Heizungskeller soll kuschelig warm sein", gebe ich in bekannte Manier flapsig von mir. Dabei flattert mein Herz so heftig, dass ich es kaum zu überdecken vermag. Ich schlafe bei Raphael. „Ach Mark." Sie wirft mir ein Küchentuch entgegen. Ich fange es, lege es zur Seite und durchkrame neugierig ein paar der Tüten. Es wird lecker. Ich klaue mir ein paar Weintrauben und habe ansonsten keine Lust ihr weiter zu helfen. Morgen wird sicher aufregend und anstrengend genug für die nächsten Monate. „Ich bringe dein Geburtstagsgeschenk hoch." Sie schaut mich neugierig an und ich grinse breit. Als ich die Treppe hochgehe, sehe ich Maya und Raphael hineinkommen. Maya verschwindet gleich in der Küche. Ich höre sie laut mit unserer Mutter quatschen. Raphael steht im Flur. Er blickt zu mir hoch und für einen kurzen Moment, scheint er etwas sagen zu wollen. Sein Blick, so intensiv und eindringend. Wenn er so schaut, fühle ich mich fast nackt. Jede Faser meines Körpers verzerrt sich nach ihm und nach den unerwarteten Berührungen, mehr als je zuvor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)