Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 119: Zacharias (Jungfrau in Nöten) ------------------------------------------ Eine Vielzahl kantiger Betonbauten begrüßt uns im Hof, der bis auf wenige Wachen wie ausgestorben scheint. Grelle Flutlichtscheinwerfer leuchten die karge Fläche völlig aus. Obwohl ich mir die Grundrisse eingeprägt habe, fühle ich mich im Angesicht der lebensechten Vertreter etwas verloren. Zum ersten Mal seit ihrem lebensrettenden Einsatz am Silberberg bin ich froh, Melissa an meiner Seite zu haben, denn ihr Griff um meinen Oberarm reißt mich aus meiner Starre. Sie zieht mich hinter einen großen Lieferwagen, der rechts von uns geparkt wurde. Nathan und Noah haben sich dort bereits versteckt, nur Genevieve ist schon an den vom Feuer abgelenkten Wachen vorbeigesprintet und steuert zielstrebig auf eins der kleineren Gebäude zu. Zero folgt ihr dicht auf den Fersen und hypnotisiert einen Wachmann, bevor der Gelegenheit hat, auch nur einen Warnschrei von sich zu geben. Wir beobachten, wie sie durch die Tür ins Innere verschwindet. "Bin drin", erschallt ihre Stimme Sekunden später. "Danke Ryan." "Gern geschehen." "Jetzt wir", sage ich und nicke den anderen zu. Roserade hebt die Blütenhände und hüllt den gesamten Innenhof in einen betörend süßen Duft, der mir in seiner Intensität halb den Magen umdreht. Ärmel vor Mund und Nase gepresst, warten wir geduldig, bis die Wachmänner in unsere Richtung torkeln. Plötzlich erschallt lautes Kleffen. Ich schaue hastig an dem Lieferwagen vorbei und entdecke zwei Fukano und ein Bissbark, die in unsere Richtung hetzen. "Scheiße", murmele ich und greife nach Skus Pokéball, nur um im letzten Moment inne zu halten. Wir wollen unauffällig sein, keinen ausgewachsenen Pokémonkampf anzetteln. "Abby, mein Pokémon", befiehlt Ryan in mein Ohr. Ohne nachzudenken schnappe ich mir seinen Pokéball und rufe den darin befindlichen Starter. Rotes Licht schießt aus der Öffnung und verdichtet sich zu… nichts. "Er ist leer!", fauche ich. "Sein einmal kein Idiot und tu, was ich dir sage", erwidert Ryan hitzig. "Sag Irrlicht." "Irrlicht?" Kleine, blaue Flammen erwachen in einem Wirbel zum Leben und treiben träge in Richtung der Wachpokémon. Die drei bleiben verwirrt stehen. Der Lockduft, der ununterbrochen aus Roserades Blüten strömt, lullt sie ein und das kleinste der Fukano streckt vorsichtig eine Pfote nach den tanzenden Lichtern aus. Sein Fell fängt Feuer. Die blauen Flammen schießen vor und treffen das Bissbark, dessen dichter Pelz in Sekundenschnelle zu brennen beginnt. Nathans Somnivora schwebt in Richtung der übrigen Wachen, um seine Hypnose zu wirken, während Noah neben mir auftaucht und Groink seinen Konfusstrahl befiehlt. Das Schwein speit eine Woge blinkender Funken in das Pokémongewirr. Das zweite Fukano, das von dem Irrlicht verschont geblieben ist, springt den Funken hinterher, die wie ein Karussell um seinen Kopf huschen und es verwirrt im Kreis springen lassen. Doch nicht nur das. Die Funken treffen auf unsichtbaren Widerstand. Ich kneife die Augen zusammen, als Groink zur Seite springt, um einem Flammenwurf auszuweichen und das jaulende Bissbark mit einer Psychokinese in die Höhe hebt und kraftvoll auf den Boden schleudert. Ich meine, eine Form unter dem Konfusstrahl erkennen zu können. "Dunkelklaue, Abby!", ruft Ryan in mein Ohr. Der Befehl hat kaum meinen Mund verlassen, da wird das bis dahin unsichtbare Geistpokémon sichtbar und entpuppt sich als aschgraues Banette, dessen reißverschlussartiger Mund zu einem unschuldigen Lächeln verzogen ist. Es schießt vor und zerschlägt die wirre Gegenwehr mit zwei gezielten Hieben seiner schwarz umhüllten Hände. Die Fukano und das Bissbark sinken winselnd in sich zusammen. Keckernd wird es wieder unsichtbar. "Ich hätte nie gedacht, dass du einen Geisterstarter hast", murmele ich geschockt und betrachte das Marionettenpokémon mit frischer Neugier. Gemeinsam mit Nathan und Noah überprüfe ich den Innenhof, doch die Wachen schlafen dank Somnivoras Hypnose und die Kameras, die ich an einigen Stellen entdecke, sind hoffentlich immer noch ausgeschaltet. "Sind die für Anfänger nicht total ungeeignet?" "Er hat mich ausgesucht, nicht umgekehrt, glaub mir", erwidert Ryan kühl. "Abby, ich will euren Plausch nicht unterbrechen, aber wir müssen weiter", murmelt Nathan. "Oh bitte, unterbrich dieses Gespräch", ertönt Ryans Stimme. "Ich wäre dir sehr dankbar." "Shit." "Gen?", frage ich und luge am Lieferwagen vorbei, obwohl ich weiß, dass sie längst im Gebäude verschwunden ist und ich sie dort unmöglich sehen kann. "Da ist eine manueller Mechanismus für die Tür", sagt Genevieve und schnalzt unwirsch mit der Zunge. "Deine Hackerkünste bringen hier nichts." "Nimm Banette", sagt Ryan nur. "Schick ihn zu Gen, Abby. Wenn er etwas besser kann, als kämpfen, dann Türen öffnen." "Möchte ich wissen, woher du das weißt?", fragt Melissa grinsend. "Kümmert euch lieber um eure eigene Mission." Sie schnaubt. Ich folge Ryans Anweisungen und schicke das wieder unsichtbare Geistpokémon in Gens Richtung. "Weiter", sage ich und winke den Rest meiner Gruppe vor. "Das Gebäude da vorne muss es sein." Mein Kopf nickt in Richtung des größten der Betonklötze. "Es gibt ein paar Patrouillen", fügt Ryan hinzu, während wir schon in Richtung Eingang joggen. "Wenn sie euch zu nahe kommen, werde ich euren Kurs umdirigieren, aber ihr werdet nicht um weitere Hypnosen herumkommen." Roserade und Somnivora bilden unsere Vorhut. Ihre Kombination aus Lockduft und Hypnose hat bis hierhin gut funktioniert und wir haben kein Bedürfnis danach, unser Glück mit einer ungeübten Strategie auf die Probe zu stellen. Die Tür, die ins Gefängnisinnere führt, lässt sich wieder durch einen von Ryan ausgehebelten Mechanismus öffnen. Der junge Mann am Empfang hat nicht mal Gelegenheit, überrascht zu gucken, da sackt sein Kopf schon schnarchend auf den Schreibtisch vor ihm. Nervös schiele ich zu den Kameras, die überall hängen. Es ist, als würde ich auf Glas gehen. Ich weiß, dass Boden unter mir ist und ich nicht fallen kann, aber sehen kann ich ihn nicht und so bleibt die Unruhe. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Beim kleinsten Knacken aus dem Head-Set oder den Schritten einige Gänge weiter zucke ich zusammen. Trotz aller Nervosität in unserer Gruppe kommen wir überraschend gut voran. Ryans Warnungen geben uns Gelegenheit, Wachen hinter Ecken aufzulauern und sie auszuschalten, bevor sie uns überhaupt bemerken. Einige der Schleusen sind besser bewacht, aber ein Konfusstrahl von Groink reicht oft aus, um für die Verwirrung zu sorgen, die Somnivora für seine Attacke braucht. Langsam aber sicher nähern wir uns Zachs Zelle. "Kann ich das Banette adoptieren?", erklingt Gens Stimme, als wir gerade den finalen Gang betreten. "Seine Knackerfähigkeiten sind echt beachtlich. Könnte man benutzen, um bei den Jungs in die Umkleidekabine zu schleichen und ihre –" "Gen!", flüstere ich entrüstet. Sie lacht. "Geez, man sollte meinen, meine weiblichen Verbündeten hätten nichts dagegen. Wobei, wenn Noah bei euch ist, bleibt sogar nur Nathan, der was anderes bevorzugt." "Da kennst du ihn schlecht, Silberkopf", murmelt Melissa und erwidert Nathans wütenden Blick mit einem Schulterzucken. "Was? Dein Outing bei dem Interview war ziemlich offensichtlich." Ich schiele zu Noah, der im Verlauf der Unterhaltung so rot angelaufen ist, als habe er sich eine Handvoll Chilis in den Mund gestopft. "Welches Outing?", fragt Gen, ohne jegliche Reaktion auf Melissas Spitznamen. "Melissa, wehe du –" "Er steht auf Noah." Stille. Ich muss mich stark zusammenreißen, um mein Lachen zu unterdrücken. Melissa ist wirklich keine nette Person, aber für diesen Moment könnte ich ihr den Rest fast vergeben. Nathans Mund steht in eindeutigen Schock offen, während Noah ihn einfach nur anstarrt. Gen bricht das unangenehme Schweigen mit einem lauthalsen Lachen. "Melli, du bist mein Held. Wir feiern das später, Leute, ich bin am Pokéballlager. Versaut´s jetzt ja nicht." Sie klinkt sich aus der Verbindung und lässt unser Grüppchen in unangenehmem Schweigen zurück. Ich räuspere mich. "Ist der Gang sicher?", frage ich und schiele um die Ecke. Ich kann niemanden entdecken, aber Ryan hat dank der Kameras den besseren Überblick. "Geht rein." Gesagt, getan. Die anderen drei rufen ihre Pokémon zurück und folgen mir. Vor einer der Zellen bleiben wir stehen. Vorsichtig ziehe ich an dem Türgriff. Ein leises Klicken ist zu hören, als Ryan die Sicherung aushebelt und die Tür schwingt auf. Wir huschen hinein, bevor wir von jemandem entdeckt werden können. Erleichtert atme ich aus und schaue mich um. Der Raum sieht aus, wie ich ihn von Ryans gehackten Überwachungskameras in Erinnerung habe. Das einzelne Bett, das leere Regal an der Wand und das Klo sind die einzigen Möbel. Eine Bewegung zieht meine Aufmerksamkeit auf das Bett, dessen Besitzer ich im ersten Moment kaum wahrgenommen habe. Zach hat sich bei unserem Erscheinen aufgesetzt und starrt uns an. Sein langes Haar ist stumpf und wirr und dunkle Ringe untermalen sein normalerweise so attraktives Gesicht. Dichter Bartstoppel bedeckt seinen Kiefer. "Hi", begrüße ich ihn lächelnd und trete vor. "Wir sind hier, um dich zu befreien." "Wovon redest du?", fragt Zach und erhebt sich. Er trägt einen tiefroten Overall und Turnschuhe. Gefängniskleidung, ohne Zweifel. Zum Glück habe ich vorgesorgt. "Noah?" Zach schaut an mir vorbei zu dem Champ. "Wie seid ihr hier rein gekommen?" "Wir haben alle Wachen hypnotisiert und das System gehackt", erkläre ich, ziehe meinen Rucksack aus und krame die schwarzen Klamotten hervor, die ich heute Morgen frisch gekauft habe. "Wenn wir heil rauskommen wollen, müssen wir uns beeilen. Vertrau uns einfach." "Ich würde euch nicht trauen, wenn ich er wäre", sagt Ryan. Ich ignoriere ihn und drücke Zach die Wechselkleider in die Hand. "Zieh dich um", befehle ich. "Wir erklären dir den Rest später." "Ja, zieh dich aus", murmelt Melissa in halb amüsiertem Ton. "Hier sind nur vier Leute, die dich anstarren." "Und wer seid ihr?", fragt Zach, ohne auf meine Bitte einzugehen. "Die Spezialeinheit für riskante Gefängnisausbrüche, also runter mit dem Feuerwehranzug. Wir drehen uns auch um." Zach schaut verwirrt zu Melissa, schlüpft aber tatsächlich aus dem Overall. Ich drehe mich hastig um. Die anderen folgen meinem Beispiel. "Wir werden dich zu Caro bringen", erkläre ich, während Zach sich hinter uns auszieht. "Erinnerst du dich an Dark?" "Der Sohn von Atlas?", fragt Zach nach kurzem Zögern. Ich nicke. "Er hat Team Rocket verlassen und leitet jetzt unser Team. Er war bei der Übergabe dabei, als du…" "Ja. Ich erinnere mich." "Zieh dich noch nicht an", sagt Noah plötzlich und greift nach einem seiner Pokébälle. "Shade kann keine Kleidung imitieren." Rotes Licht erhellt den Raum. Wenige Momente später steht eins von Noahs Zoroark vor uns, dessen dichte rote Mähne wie ein Wasserfall seinen Rücken herabfließt. Die schmale Taille erinnert mich an die eines Bibors. „Shade, wir haben das besprochen“, sagt Noah leise und streckt eine Hand nach dem Fuchs aus. Er legt seine spitze Schnauze in Noahs Handfläche und gibt ein beruhigendes Grummeln von sich. „Benutz dein Trugbild, um Zach zu imitieren.“ Zoroark löst sich aus der Berührung und fixiert seinen stechenden Blick auf Zach, der noch immer unbekleidet hinter uns stehen muss. Das dunkelgraue Fell schmilzt zusammen und formt eine blasse Hautschicht, sein Körper pumpt sich auf und wächst, die Gelenke und Knochen arrangieren sich neu und die lange, blutrote Mähne schrumpft zu Zachs eigenen, schwarzen Haaren. Obwohl ich weiß, dass es nur eine Illusion ist und Zoroark sich nicht wirklich in einen Menschen verwandelt hat, klappt mir der Mund auf. Dann wandert mein Blick tiefer. Ich kreische und halte mir hastig die Augen zu. Zach steht hinter uns, aber sein nacktes Abbild steht sehr deutlich vor uns. „Nein wie süß“, murmelt Ryan. „Bin ich hier der einzige, den männliche Genitalien kalt lassen?“ „Zieht... euch einfach beide wieder an“, bringe ich mühsam hervor. Seit wir älter sind, habe ich nicht mal Tarik nackt gesehen, ganz zu schweigen von Zacharias Stray, den bestaussehendsten Favoriten in Kanto und Johto. Meine Wangen glühen und mein Herz rast. Melissas Lachen hilft nicht gerade dabei, meine Nerven zu beruhigen. „Du kannst gucken, Jungfrau, seine Männlichkeit ist bedeckt.“ „Lass sie in Ruhe, Lissa.“ Vorsichtig schiele ich zwischen meinen Fingern hindurch, halb in Erwartung, dass Melissa gelogen hat, um mich reinzulegen, aber Zoroark-Zach und Echter-Zach sind beide zumindest von der Hüfte abwärts bekleidet. Ich räuspere mich, bin aber froh, dass auch Nathan und Noah unangenehm berührt in gegensätzliche Richtungen schauen. Schließlich halte ich es für sicher, mich umzudrehen und finde Zach in der schwarzen Jogginghose und Kapuzenjacke vor, die ich im Prismania City Kaufhaus mit Darks Geld gekauft habe. Eigentlich wollte ich selbst bezahlen, aber sechs Wochen einsam auf einem Berg zu verbringen, hat mein Vermögen nicht gerade aufgestockt und Dark hat mich zu Recht daran erinnert, dass es eine Gruppenmission ist und ich es damit über ihn finanzieren kann. Meinetwegen. Während er in die Turnschuhe schlüpft, vergleiche ich ihn mit dem Zoroark, das in seine roten Sträflingsklamotten gekleidet ist. Sie sehen absolut identisch aus. Noah betrachtet sein Pokémon mit eindeutigem Schmerz. Nathan tritt an seine Seite und legt eine Hand auf die Schulter des Champs. „Du kannst dich immer noch anders entscheiden“, sagt er, ohne auf Zach zu achten, der hinter den beiden steht. „Abby verlangt von dir, dein Pokémon hier zu lassen. Wir wissen nicht, wie lange das dauern wird. Bist du sicher, dass du es trotzdem tun willst?“ Noah lächelt ihm müde zu, schüttelt aber den Kopf. „Ich habe zugesagt und dabei bleibt es. Außerdem vertraue ich Abby soweit, dass sie alles weitere regeln wird.“ „Darauf kannst du Gift nehmen“, sage ich. Ich weiß ja selbst, was ich von ihm verlange. Bis ich es geschafft habe, Zach offiziell aus dem Gefängnis zu befreien, muss Noahs Zoroark seinen Platz einnehmen. Sie werden sich nicht sehen, vielleicht für Wochen. Der Plan funktioniert ohnehin nur, weil Noah zwei Zoroark hat, sowie zwölf Teampokémon, sodass das Fehlen von einem in seinen Kämpfen nicht weiter auffallen wird. Das ändert aber nichts an der emotionalen Belastung und dem Druck, der auf uns allen liegt. Ich muss Zach in der Öffentlichkeit freisprechen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue. „Wenn die Sentimentalitäten dann geklärt sind, könntet ihr euch vielleicht dazu bequemen, die Zelle zu verlassen?“, fragt Ryan genervt. „Ihr seid immer noch in einem Gefängnis.“ Ein leises Klicken ertönt, als Gen sich wieder in die Konversation einklinkt. Ihr Atem geht schnell, so als sei sie gerade vor jemandem weggelaufen. „Hab den Gürtel“, presst sie hervor. „Was ist mit Zach?“ „Steht hier neben uns“, erkläre ich und nicke Zach zu. „Wir verschwinden jetzt. Geh mit Banette vor und halte uns den Innenhof frei.“ „Geht klar, Boss“, lacht sie. Zoroark-Zach nickt Noah aufmunternd zu und bezieht auf dem Bett Stellung. Seine Bewegungen sind etwas zu fließend für einen Menschen, aber ich glaube nicht, dass es jemandem auffallen wird. Zeit, abzuhauen. Wir warten, bis Ryan uns das Signal gibt, dann huschen wir zurück in den Gefängnisgang und laufen so leise es geht zurück in Richtung Ausgang. Es dauert jedoch nicht lange, bis Ryans Stimme uns erstarren lässt. „Zwei Wachen kommen gleich aus dem rechten Gang“, warnt er uns. Ich nicke Nathan zu, dessen Somnivora er wieder gerufen hat. Er gibt mir einen Daumen hoch. Gleichzeitig formt Roserades stechend süßer Lockduft eine dichte Wolke, in die beide Wachen nur wenige Sekunden später hinein tapsen. Somnivora schwankt durch die Luft. Die psychischen Schwingungen, die durch seinen Körper ausströmen, treffen auf die beiden Männer und lassen ihre Augen glasig werden. Sie fallen tonlos in sich zusammen. „Weiter“, murmele ich. Während wir durch das Gefängnis schleichen und immer wieder neue Wege einschlagen müssen, weil uns zu viele Wachen entgegen kommen und Ryans Kontrolle über die Überwachungskameras langsam schwindet, finden wir uns schon bald in einem Gang wieder, der mir vage bekannt vorkommt. Es dauert einige Minuten, bis ich die Türen als jene identifiziere, durch die ich in Ryans erstem Hackmanöver Zach habe gehen sehen. Die Verhörräume. Ich werfe einen Blick hinter mich. Zach bildet mit mir zusammen die Nachhut, Noah, Nathan und Melissa sind schon vorgegangen, um unseren Weg freizumachen. Mein Herz, das sich inzwischen an die Aufregung hätte gewöhnen sollen, pocht weiterhin schmerzhaft in meiner Brust. Dieser Trip kostet mich Jahre meines Lebens, da bin ich ziemlich sicher. „Alles frei“, ertönt Melissas gedämpfte Stimme, halb durch das Head-Set, halb von der nächsten Abbiegung. Ich nicke Zach zu und gemeinsam folgen wir. Eine der Türen hinter uns schwingt quietschend auf. Wie elektrisiert schnappe ich Zachs Handgelenk und ziehe ihn mit mir, aber der Gang erstreckt sich viel weiter vor uns, als ich eben noch dachte und während wir schon Richtung Abbiegung schlittern, erklingt ein alarmierter Ruf. Kurz, bevor wir um die Ecke schlittern, drehe ich den Kopf. Wen sie verhört haben, weiß ich nicht, auch wenn ich ihm Nachhinein von Lambda, Mel oder den Bikern ausgehe. Das einzige, was ich in diesem Moment weiß ist, dass Rocky und Holly mit dem Rücken zu mir stehen – und dass Jack in unsere Richtung gerannt kommt. Er kann uns nicht erkannt haben, nicht von hinten, während unseres Sprints, aber als ich schnaufend um die Ecke schlittere und halb stolpere, steigt Panik wie Galle in meinem Rachen hoch. Es ist aus, denke ich noch. Zach, dem die monatelange Gefangennahme körperlich nicht besonders gut getan hat, richtet sich schweratmend auf, bereit, sich den Konsequenzen entgegenzustellen. Ich fühle mich absolut nicht so weit. Jacks Schritte donnern über das Laminat und obwohl es nur wenige Augenblicke sind, kommt mir der Moment in die Ewigkeit gezogen vor. Da kommt Jack um die Ecke gerannt, Hand an seinen Pokébällen, Mund für einen Warnschrei geöffnet. Der Ruf erstickt bei unserem Anblick. Für einige, grausame Sekunden starren wir uns gegenseitig an. Zach, gekleidet in den schwarzen Jogginganzug, ich mit Head-Set im Ohr und weiter hinter uns sicher Melissa und die anderen, zu weit entfernt für eine gute Hypnose. Was er in meinem Gesicht liest, weiß ich nicht. Vielleicht erinnert er sich an meinen nervlichen Zusammenbruch am Ende der Übergabe, als Zach endgültig festgenommen wurde. Vielleicht auch an unsere zahlreichen Treffen, Telefonate und Gespräche. „Jack! Ist was passiert?“, ertönt Rockys unverkennbar autoritäre Stimme und lässt mir das Mark gefrieren. Es ist vorbei. Aus und vorbei, für immer... „Nein“, ruft Jack zurück, ohne den Blick von mir zu nehmen. „War wohl gestern zu lange auf, ich seh schon Gespenster.“ Meine Schultern sacken nach unten, als die Anspannung sich von mir löst. Zach neben mir geht es nicht anders, egal, wie souverän er sich gegeben hat. Jack nickt mir zu. Sein Lächeln ist gequält, aber in diesem Moment weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit, dass er mir und meinem Urteil vertraut; und dafür sogar seine Vorgesetzte und gute Freundin anlügt. Im Gegensatz zu ihnen weiß er, dass strikte Regeln nicht immer zum gewünschten Ziel führen. „Danke“, flüstere ich tonlos, schnappe mir Zach und laufe mit ihm zu den anderen, die den stummen Austausch wie gebannt verfolgt haben. Als ich mich ein letztes Mal umsehe, ist Jack verschwunden.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)