Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 117: Wiedersehen alter Freunde (Pakte, Pläne und Pakete) ---------------------------------------------------------------- Die Nacht liegt wie ein Mantel über Prismania City, als die Lichter der Stadt am späten Abend sichtbar werden. "Teilen wir uns auf!", rufe ich Melissa und Nathan zu, die mit mir gemeinsam zurückgeflogen sind, Nathan, weil er Noah kennen lernen will und Melissa weil, na ja, Nathan. "Wenn wir vor der Spielhalle landen, können wir gleich ein Leuchtschild anbringen!" Chris und Jayden sind am Silberberg geblieben, um Ronya von den Neuigkeiten zu berichten und am nächsten morgen direkt nach Johto aufzubrechen, wo sie sich auf Anemonia City und Teak City aufteilen werden. Die beiden Shadows nicken und schießen auf Washakwil und Altaria davon, während ich Hunter in Richtung der Hochhäuser lenke. Wir landen in einer dunklen Seitengasse, wo ich Ibitaks Hals tätschele und ihn zurückrufe. Ein Blick um die Ecke bestätigt meine Vermutung; die Straßen sind wie leer gefegt. Die Aussicht auf Team Rockets Anschläge hat Kanto in eine bedrückte Stimmung versetzt. Ich schleiche mich nach draußen, ziehe Flugbrille und Handschuhe aus und vergrabe mich unter der Kapuze meiner Hoodie. Um kurz nach elf erreiche ich die Spielhalle. Melissa und Nathan stehen bereits vor dem Geheimeingang. Nathan fährt sich mehrfach durch sein dunkles Haar und pfriemelt nervös an seinem Schal, während Melissa die Augen verdreht, ihm aber nichtsdestotrotz versichert, er sehe blendend aus. Ich muss schmunzeln. Eigentlich sind die beiden ein ziemlich drolliges Pärchen. Gemeinsam treten wir ein, steigen die Treppen hinunter und nehmen den Aufzug in den Seminarraum, wo ich das Meeting vermute. Schon von weitem kann ich Stimmen vernehmen. Schließlich stehen wir vor der Tür. Ich räuspere mich, klopfe und trete ein. Der Raum ist voller bekannter Gesichter. Dark sitzt am Kopfende, so wie immer, Hundemon dicht an seiner Seite und unterhält sich allem Anschein nach eingehend mit Gold, der mit einem Glas Sprudel in der Hand neben ihm steht und die restlichen Teilnehmer beobachtet. Amy sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und schlürft an einer Limonade, während Ryan furios die Tasten seines Laptops bearbeitet und sich von allen potentiellen Gesprächen fernhält. Auf dem Tisch neben ihm steht ein kleiner Karton. Bei unserer Karte am Korkboard stehen Noah, Genevieve und Raphael. "Raphy!", rufe ich aufgeregt und laufe auf ihn zu, doch bevor ich ihn erreiche, fällt mir Amy um den Hals. Ihre blonde Mähne verdeckt meine Sicht. "Abbyyyy!", quengelt sie und zwickt mir liebevoll in die Wangen. "Du bist wieder da! Oh, ich habe dich so vermisst. Außer Dark respektiert niemand hier meinen Schlafrhythmus und Ryan macht sich über meine kreativen Schübe lustig. Hast du Ronya mitgebracht?" "Deine kreativen Schübe sind die Versuche einer künstlerischen Dilettantin mit chronotypischer Anomalie, ihre Einsamkeit unter Kontrolle zu bringen", erschallt es aus Ryans Ecke. Als er die fragenden Blicke aller Anwesenden wahrnimmt, seufzt er. "Vergesst, was ich gesagt habe. Mir war entfallen, dass ich seit Monaten mit Idioten zusammenlebe." "Geez, was für eine Partybombe", schnaubt Genevieve und löst sich aus der Gruppierung an der Karte. "Ich persönlich kann deinen Schlafrhythmus sehr gut nachvollziehen, Amy. Wenn Raph mich nicht jeden Morgen wachklingeln würde, wäre ich sofort dabei." "G-genny…" Amy ist den Tränen nahe, als sie sich von mir löst und stattdessen Gen in die Arme fällt. Die Favoritin zwinkert mir zu und tätschelt Amys Kopf. Ihr silbern gefärbtes Haar ist in einem losen Flechtzopf zusammengefasst und sie trägt ihre geliebten schwarzen Sporthosen samt Tank-Top. Ihre Haut hat die Farbe von Zimt. "Was´n?", fragt sie, als sie meinen Blick bemerkt. "Hast du mich so sehr vermisst? Na los, schau dich satt, es ist genug für alle da." Ich verkneife mir ein Lachen und suche den Augenkontakt mit Raphael, der mich von oben bis untern mustert, so als suche er nach Anzeichen meiner letzten Nahtod-Erfahrung. Sein Blick bleibt unterhalt meines linken Auges hängen und verdüstert sich. Meine Hand huscht zu der Stelle. Die Fäden in meiner Wange hat Schwester Joy mir bei einem unserer Pokécenterbesuche gezogen, aber da wir seit über einem Monat ohne Bad oder Spiegel zugebracht haben, bin ich plötzlich sehr unsicher, wie schlimm die Narbe aussieht. Ich kann eine leichte Furche in meiner Haut ertasten, aber sonst nichts. Nathan räuspert sich und beugt sich zu mir. "Abby, willst du uns nicht vorstellen?" Ich reiße mich aus meinen negativen Gedanken und lasse nochmal den Blick über alle Anwesenden gleiten. Noah beobachtet interessiert unser Grüppchen, Raphael hat seine düstere Miene abgeworfen und lächelt mich stattdessen glücklich an, Amy hängt wie ein Griffel um Genevieves Hals, Ryan ignoriert uns mit einer Aura völliger Überlegenheit und Gold zwinkert mir zu, als mein Blick auf ihn fällt. Dark streicht nur gedankenverloren über Hundemons Kopf, das zur Begrüßung freudig hechelt. Mit einer dramatischen Geste trete ich zur Seite und gebe den Blick auf Nathan und Melissa frei. "Ich darf vorstellen, zwei unserer neusten Mitglieder, Nathan Shuck und Melissa Border. Sie sind aus Einall hierher gereist, um uns zu unterstützen." "Aber Abby, das wissen doch schon alle", schmollt Amy und löst sich nun doch von Gen. "Ich bin auch aus Einall gekommen, schon vergessen?" Verlegen strecke ich ihr die Zunge heraus. "Sorry." "Wann kriege ich meine Umarmung?", fragt jetzt Raphael. Ich grinse, überquere die Distanz zwischen uns und lasse mich in seine Arme fallen. Ist er schon wieder größer geworden? Langsam reicht es wirklich. Als wir uns lösen, streicht er kurz über die Narbe. "Reden wir später?", fragt er tonlos. Ich nicke und wende mich Noah zu. Er streckt mir seine Hand hin und lächelt nervös. "Du bist also Abby", sagt er, als ich die Geste erwidere. "Ich habe deine Rede im Fernsehen verfolgt. Sehr inspirierend." "Danke", sage ich, nun doch verlegen. "Ich habe eben euer Interview gesehen. Vielen Dank, dass du dich mit der Liga rumschlägst. Wir können die Arenaleiter wirklich brauchen." Er nickt und lässt mich los. Unsicher, was er mit seinen freien Händen tun soll, steckt er sie in seine Hosentaschen. Der Saum seines Pullovers rutscht bei der Bewegung hoch und entblößt einen Streifen  muskulösen Bauch, sowie den Pokéballgürtel, der sicher um seine Hüfte geschnallt ist. Ich schiele zu Nathan zurück, dessen Augen auf die nackte Haut fixiert sind und unterdrücke den neckischen Impuls, ihn öffentlich darauf anzusprechen. Stattdessen schaue ich zu Noah zurück. "Ich habe gehört, dass ihr auf dem Silberberg trainiert habt", fährt dieser fort, um die Gesprächspause zu überbrücken. "Wir können uns glücklich schätzen, mit so starken Trainern zusammenarbeiten zu dürfen." "Na, ich gehöre jedenfalls nicht dazu", sage ich lachend. "Ohne Nathan und die anderen wäre ich dort oben gestorben. Mehrmals." "Ich bin jedenfalls froh, dass du meinen Ratschlag befolgt hast und nicht mehr alleine gegen Team Rocket vorgehst", mischt sich Gold ein, bevor Noah antworten kann. "Wie du es geschafft hast, dein eigenes Team zu gründen, ist mir allerdings ein Rätsel." "Gegründet ist übertrieben", erwidere ich hastig und begrüße Gold nun ebenfalls. Meine Hände schwitzen. Seine Worte aus dem Interview kommen mir plötzlich wieder in den Sinn. Sie ist eine mutige und engagierte junge Frau. Ich kann die heiße Freude in meinen Wangen nicht länger unterdrücken. Gold, die Legende nach Red, hat mich öffentlich als mutig bezeichnet und meinen Einsatz gelobt. Mir wird fast schwarz vor Augen. "Dark und die anderen waren sehr zuvorkommend", fährt Gold fort. "Und deine Fehde mit Rocky scheint auch durchgestanden zu sein." "Zuvorkommend sieht Ms. Special Hair aber nicht gerade aus", meint Gen in dem Moment und mustert Melissa skeptisch, die mit mörderischem Blick Noah ins Visier genommen hat. Der Champion schrumpft unter ihrem Blick förmlich zusammen. Schweiß hat sich auf seiner Stirn gebildet. "Das sagt die richtige, Silberköpfchen", entgegnet Melissa schneidend. "Lissa, bitte", murmelt Nathan. "Nicht jetzt." "Mach doch, was du willst", faucht sie, dreht sich um und geht in die hinterste Ecke des Seminarraums, wo sie sich an die Wand lehnt und stumm schmollt. "Geez, solche Leute gibt´s wohl überall", murmelt Gen. "Tut mir ja fast schon leid für euch." Amy schüttelt traurig den Kopf. "Lissa zieht unseren Nettigkeits-Durchschnitt runter", mault sie und versteckt sich schnell hinter Gen, als Melissa ihr einen tödlichen Blick zuwirft. "Sie ist gemein zu mir…" "Da wir ja jetzt alle hier sind…", beginne ich laut, in der Hoffnung, den aufkommenden Streit im Keim zu ersticken, "…sollen wir anfangen, Dark?" Er nickt. "Bitte, setzt euch." Gold nimmt an Darks Seite Platz, neben ihm Noah, Nathan, Melissa und Ryan. Auf seine andere Seite setze ich mich, gefolgt von Raphael, Genevieve und schließlich Amy. Dark räuspert sich und steht auf. "Ich denke, alle hier Anwesenden haben es inzwischen mitbekommen, aber Team Rockets finale Ankündigung beläuft sich auf den 19. Mai. Wir wissen weder, um welche Uhrzeit sie zuschlagen werden, noch wo oder ob ihre Angaben überhaupt verlässlich sind. Da den gesamten April jedoch keine größeren Anschläge verübt wurden, gehen wir derzeit davon aus, dass sie den Termin einhalten werden." Er macht eine Pause und sieht sich in der Runde um. Ryan hört zu, tippt aber gleichzeitig auf seinem Laptop weiter, so als könnten seine Finger die Tasten blind erkennen. Amy wippt auf ihrem Stuhl vor und zurück, aber der Rest lauscht angespannt. "Für Abby und die anderen werde ich kurz zusammenfassen, was sich in ihrer Abwesenheit verändert hat", fährt Dark fort. "Die zurückgebliebenen Mitglieder, also Amy, Gerard und meine Wenigkeit, haben Golds Flugpatrouillen ergänzt, trotzdem hat es weitere Diebstähle gegeben. Wie bisher wurden hauptsächlich Kleinstein, Tannza, Voltobal oder andere Pokémon mit Selbstzerstörungsattacken gestohlen. Die letzten Polizeiuntersuchungen haben zusätzliche Löcher im Eispfad, dem Kesselberg, dem Felstunnel und den bereits bekannten Höhlen gefunden, also dem Einheitstunnel, der Dunkelhöhle und dem Mondberg. Die Polizei geht derzeit davon aus, dass Team Rocket versuchen wird, alle stadtverbindenden Höhlen zu sprengen, um Chaos zu verbreiten und ihren wahren Coup zu vertuschen. Was genau sie wirklich vorhaben, ist bislang unbekannt." Drückende Stille legt sich über unsere Versammlung. Selbst Ryan hält in seiner Computerarbeit inne. Team Rocket hätte seinen Anschlag nicht angekündigt, wenn es uns nicht in eine Falle locken wollte. Aber niemand weiß, was sie wirklich vorhaben. Egal, wie sehr wir ihr Manöver durchschauen, ein Konter bleibt uns verwehrt, bis wir mehr wissen. Ryan räuspert sich und steht auf. "Wenn unser geehrter Anführer mit seiner Ansprache fertig ist, würde ich gerne das Wort übernehmen." Dark nickt und setzt sich. "Nur zu." Ryan greift nach dem Karton, der schon die ganze Zeit neben ihm steht und zieht ein schwarzes Stück Plastik heraus. "Dies ist ein von mir entwickeltes Head-Set, das ich mit euren S-Coms verbunden habe", erklärt er. "Der kleine Knopf dient als Lautsprecher. Mit der Schlaufe, die daran befestigt ist, lässt er sich problemlos an einem Ohr eurer Wahl fixieren, sodass er nicht so leicht verloren geht. Er besitzt ein integriertes Mikrofon, das ihr hier sehen könnt." Er setzt den Ohrstöpsel ein, zieht die Schlaufe um sein Ohr fest und tippt an den kleinen, schwarzen Zusatz, der seine Wange entlang führt und auf halber Strecke zum Mund abbricht. "Mit diesem Gerät steht ihr in ständiger Kommunikation zu euren Teammitgliedern. Selbstverständlich könnt ihr euch oder eure Teammitglieder jederzeit mit einem kurzen Knopfdruck hier hinten stumm schalten. Bei einigen der hier Anwesenden würde ich das als Standard vorschlagen, aber das ist nur meine bescheidene Meinung. Systemnachrichten oder schriftliche Mitteilungen werden euch als Computerstimme vorgelesen." "Was ist mit denjenigen unter uns, die keinen S-Com besitzen?", fragt Gold. "Wie schön, dass du fragst." Ryan greift in den Karton und zieht vier S-Coms heraus, die er Noah, Raphael, Gen und Gold zuwirft. "Diese Schmuckstücke sind nach meinem Design gefertigt und eigentlich Team-Shadow-exklusiv, aber ein gewisser Anführer hat darauf bestanden, dass ihr als fester Bestandteil der Planungen miteinbezogen werden solltet und mich dazu verdonnert, meine kostbare Zeit in die Entwicklung weiterer Geräte zu investieren. Seid dankbar." "Weil wir anderen ja so viel Freizeit haben", murmele ich genervt, gerade laut genug, um von allen gehört zu werden. Ryan kneift die Augen zusammen. "Ich kann mich nicht erinnern, nach deiner Meinung gefragt zu haben, Abby. Soweit ich weiß, waren du und deine Freunde auf Bergtour, während sich der Rest von uns um die Organisation deines Krieges gekümmert hat." "Es ist unser aller Krieg", wirft Gold ein. "Abby ist nicht die einzige, die sich gegen Team Rocket stellen möchte. Vielen Dank für deine harte Arbeit, Ryan, das wissen wir wirklich zu schätzen." "Nun." Ryan schiebt seine Stahlbrille hoch. "Wie dem auch sei, erstellt euren Account, danach könnt ihr die Head-Sets einscannen und sie so automatisch mit eurem Konto verknüpfen." Er verteilt die Head-Sets an alle und setzt sich wieder. "Was ist mit den anderen?", frage ich. "Ihre Head-Sets wurden bereits an die Pokécenter ihrer jeweiligen Stadt geliefert. Wenn sie das nächste Mal dort sind, werden sie ihnen übergeben werden." "Eins muss ich eurem Nerd lassen", flüstert Gen mir nicht gerade leise zu, indem sie sich halb über Raphael lehnt. "Er kann was. Er ist trotzdem ein Arschloch, aber immerhin ist er ein effizientes Arschloch. Die fallen auch nicht vom Himmel." "Gen", sage ich und schiebe sie vorsichtig zurück auf ihre Seite, während Amy kichert, Ryans Blick sich signifikant verdüstert und Noah peinlich berührt den Kopf schüttelt. "Das mit dem Flüstern üben wir nochmal." "Geflüsterte Beleidigungen sind so viel erfreulicher", sagt Ryan. "Ach, das war eine Beleidigung!", ruft Melissa mit gespielt überraschter Stimme. "Ich dachte, das ist ihr Balzverhalten." "Hörst du, Gen?", fragt Raphael und schlägt ihr gegen den Hinterkopf. "Einfach mal die Klappe halten, was hältst du davon?" "Geez, was ist mit euch", entgegnet Genevieve sofort. "Steckt hier jedem ein Stock im Arsch oder was? Also, abgesehen von No−" "Okay, das reicht jetzt", unterbricht Raphael sie, hält ihr den Mund zu und zieht sie mit sich vor die Tür. "Wir kommen gleich wieder." Die beiden verschwinden aus dem Seminarraum und lassen einen sehr nervösen Noah zurück, der auf die Tischplatte starrt, als wäre dort seine Zukunft geschrieben. Ich seufze und erhebe mich. Irgendwer muss das Opfer bringen. "Wenn Raphy und Gen wiederkommen, habe ich einen Vorschlag zu machen." "Na, das wird lustig", murmelt Melissa. Dark schielt zu mir. "Ist es einer deiner berüchtigten Pläne, Abby? Ich grinse. "Gut möglich." "Gott steh uns bei…" "Oh, keine Sorge", sage ich. "Gott ist in Topform. An ihm wird´s nicht hängen." Hundemon schaut zu seinem Trainer, der ergeben den Kopf schüttelt. In dem Moment kehren Raphael und Genevieve zurück, Raphy äußerst zufrieden mit sich und Gen mit dem Blick einer vom Schicksal Gebeutelten. Die beiden nehmen neben mir Platz. "Also dann", sage ich und hole tief Luft. "Erst einmal würde ich gerne jeden, der kein Geheimnis für sich bewahren kann, bitten, den Raum zu verlassen." Alle Augen ruhen auf mir. Normalerweise macht mir diese Art von Aufmerksamkeit nichts aus, aber die Nervosität vor dem, was als nächstes kommen wird, lässt mein Herz schneller schlagen. Mein Blick huscht vor allem zu Noah und Gold, die mich nachdenklich mustern. "Ich glaube, du solltest die Frage umformen", sagt Dark schließlich, als niemand aufsteht. "Jeder, der gegen illegale Handlungen ist, sollte nun den Raum verlassen." "Illegal?", fragt Gold. "Was hast du vor, Abby?" Ich seufze. Los werde ich wohl keinen von ihnen, bevor ich mein Vorhaben publik gemacht habe. Also gut. "Ich will Zach befreien." Stille. "Abby", sagt Gen vorsichtig, ihre normale Quirligkeit vergessen. "Du bist Zach nichts schuldig. Das weißt du, richtig?" "Und du bist Richard noch weniger schuldig", fügt Raphael zu. "Zachs Situation liegt uns allen im Magen, aber du bist nicht dafür verantwortlich, ihn zu retten." "Ich weiß", sage ich. "Es geht nicht darum. Ich glaube, dass wir diesen Krieg nur gewinnen werden, wenn wir jeden starken Trainer an unserer Seite haben, den wir auftreiben können. Und ihr vergesst, dass Zach im Herzen von Team Rocket war. Vielleicht haben sie nicht ihre wahren Pläne mit ihm geteilt, aber er weiß sicherlich mehr als wir. Wenn wir ihn befreien und ihm die Möglichkeit geben, sich an Craig zu rächen, wird er uns ohne Rückhalt unterstützen, da bin ich sicher. Und außerdem… ist er Caros Bruder. Ich will, dass sie ihn wiedersehen kann." "Abby…" Zu meiner Überraschung ist es Gold, der das Wort ergriffen hat. "Nehmen wir an, dass es uns gelingt, Zacharias aus dem Gefängnis zu befreien, was sich als schwieriger herausstellen dürfte, als du dir vorstellst. Was passiert dann? Jeder, der an seiner Befreiung beteiligt ist, macht sich strafbar. Zach ist in allen Städten ein gesuchter Mann, noch dazu war er vor seiner Festnahme ein Favorit und ist bei dem Großteil der Bevölkerung bekannt. Du wirst ihn nicht einfach durch die Gegend schmuggeln können." "Vielleicht müssen wir das nicht", entgegne ich. "Wenn wir es schaffen würden, Zach mitzunehmen, ohne dass es jemandem auffällt, wird es leicht sein, ihn untertauchen zu lassen. Wenn er nach dem Krieg immer noch gesucht wird, kann er einfach die Region wechseln, während ich dafür sorge, dass seine Verbrechen vergeben werden. Er war schließlich nur ein Spion." "Das ist selbst für dich eine hirnrissige Idee", sagt Raphael. "Ich kann dich wirklich verstehen, Abby, aber…" "Aber was?" Ich schaue ihn herausfordernd an. "Zach könnte das letzte Puzzlestück in dieser ganzen Sache sein! Wir haben nur noch fünf Tage. Wenn einer von euch es schafft, Rocky bis dahin zu überzeugen, dass wir ihn brauchen und dass er unschuldig ist, bin ich für Vorschläge offen. Aber solange werde ich Pläne schmieden und nicht tatenlos rumsitzen." Noah schließt die Augen und Gold fährt sich durchs Haar. "Du machst uns alle zu Komplizen", sagt er dann. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Ihr hattet die Möglichkeit, zu gehen." "Gehe ich Recht in der Annahme, dass ich Teil deines Planes bin?", fragt Ryan mit verschränkten Armen. Ich klimpere mit den Wimpern. Er seufzt. "Solange ich nicht das Hauptquartier verlassen muss, bin ich dabei." "Ich wusste, dass du der Herausforderung nicht widerstehen kannst", rufe ich fröhlich. "Als Herausforderung würde ich es nicht bezeichnen…" "Kann ich mit, Abby?", fragt Amy aufgeregt. "Ich will mithelfen!" "Das kommt darauf an", sage ich und gehe zu unserem Korkboard, wo auf einem kleinen Beistelltisch Papier und Kugelschreiber liegen. "Ich habe zwar eine grobe Idee, aber alle Feinheiten sind davon abhängig, wer mitmacht und welche Pokémon wir zur Verfügung haben." Ich schnappe einen der Zettel und einen Stift und kehre zum Tisch zurück. "Jeder schreibt bitte seinen Namen, sein Pokémonteam und die Fähigkeiten und Attacken auf. Wenn ihr irgendwelche Talente habt, wäre jetzt der Zeitpunkt, uns einzuweihen." "Du meinst es wirklich ernst", sagt Gold fassungslos, so als habe er die ganze Zeit gedacht, ich würde Witze machen. "Attackenbuilds sind eine private Angelegenheit", sagt Noah, als ich ihm die Liste zuschiebe. "Ich weiß, dass ihr Protrainer gerne ein Geheimnis aus euren Strategien macht, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür", kontere ich. "Raphael und Genevieve werden ihre Builds ebenfalls veröffentlichen, ihr habt also gleiche Chancen. Und vom Rest hier brauchst du keine Angst zu haben. Orden und der Championtitel sind das letzte, was wir uns unter den Nagel reißen wollen." "Du kannst ihn nicht dazu zwingen", wendet plötzlich Nathan ein. "Er hat einen Ruf, den er nicht verlieren darf. Und sind Raphael und Gen nicht seine größten Rivalen?" Noah schaut Nat genauso verwirrt an wie ich. "Es… ist schon okay", sagt er dann und nimmt mich in Augenschein. "Wenn Raphael und Genevieve an der Liste teilnehmen, habe ich weiterhin den Vorteil meines doppelten Teams. Außerdem habe ich das Gefühl, dass Ryan und ich diejenigen sind, ohne die der Plan nicht aufgeht, kann das sein?" Ich grinse. "So sieht´s aus. Ich brauche dich, Noah. Vor allem dich." "Noah muss nicht mitmachen, nur weil du ihn brauchst", sagt Nathan leise. Zu meiner großen Überraschung lächelt der Champ ihn an. "Ist schon in Ordnung, Nathan. Ich habe selbst keine Freude daran, Zach in Haft zu wissen. Ich werde mitmachen, solange der Plan sinnig erscheint." "Von sinnig war nie die Rede", murmelt Raphael, sagt aber nichts, als ich den Kugelschreiber zücke und allen zunicke. "Bevor es sich noch jemand anders überlegt, fange ich mit meinem Team an." Gesagt, getan. Meinem Beispiel folgen etwas zögerlich Raphael und Genevieve. Amy stürzt sich förmlich auf das Stück Papier und Ryan kritzelt sein Team desinteressiert in die Liste. Nathan und Melissa tun es ihm gleich. Dann kommt Noah. Er holt tief Luft, überfliegt die Daten der anderen und fügt dann seine eigene, wesentlich längere Liste hinzu. Gold und Dark sind die letzten. Das Papier landet wieder vor mir auf dem Tisch. Aufgeregt durchforste ich die Teams nach etwas, dass mir eine Idee gibt. "Okay, Leute", sage ich nach einer Weile und schaue mit glühenden Wangen auf. Raphael stöhnt, als er meinen Blick sieht. "Wir machen es so…"   Gold hat das Gesicht in seinen Händen vergraben und lacht leise. Noah starrt mit gerunzelter Stirn vor sich hin und Nathan schaut mich entsetzt an. "Das kannst du nicht verlangen, Abby!", sagt er wütend und springt auf. "Ich denke, Noah kann selbst entscheiden, ob er noch mitmachen will oder nicht", erwidere ich kühl. Melissa hat nach ihrer Kette gegriffen, aber sie sieht nicht so aus, als habe sie ein Problem mit meinem Plan. Im Gegenteil. Irgendwie scheint ihr die Idee zu gefallen. "Das Verrückte ist", meint Gold, der sich von seinem Lachen erholt hat und zu uns aufsieht, "dass es tatsächlich klappen könnte." Dark nickt. "Es erfordert herausragende Fähigkeiten und Kontrolle der Pokémon." "Die wir haben", stimmt Noah zu. "Aber Natty hat Recht", murmelt Gen und zeigt ein weiteres Mal, wie gerne sie mit anderer Leuten Spitznamen spielt. "Du verlangst eine ganze Menge von ihm, dafür, dass er Zach nur flüchtig kannte." "Ich bin außerdem der einzige, den sie fragen kann", sagt Noah leise. "Das heißt nicht, dass du es tun musst!", faucht Nathan. Melissa stöhnt und dreht den Kopf zu ihrem Freund. "Jetzt unterdrück mal dein Gluckensyndrom und lass den Jungen selbst entscheiden. Er ist der Champ und ihr behandelt ihn wie ein Baby. Er weiß schon, was er seinen Pokémon zumuten kann und was nicht. Außerdem, und ich sage das nicht gerne, ist der Plan verdammt dreist und waghalsig. Ich mag dreiste Pläne." Nathan lässt sich in seinen Stuhl zurückfallen. Alle Augen ruhen auf Noah. Der Plan ist allein von ihm abhängig. Schließlich nickt er und sieht auf. "Ich mache es. Aber wenn Zach nach der Befreiung entdeckt wird, bist du allein dafür verantwortlich. Einverstanden?" "Abby…", stöhnt Raphael, doch ich bringe ihn mit einer Handbewegung zum Verstummen. "Das ist das mindeste Risiko, was ich auf mich nehmen kann", sage ich und reiche Noah über den Tisch hinweg die Hand. "Einverstanden."   Als die Besprechung vorbei ist, verlasse ich gähnend den Seminarraum und warte vor der Tür auf Raphael. Er kommt nur kurze Zeit später mit Gen heraus, verabschiedet sich von ihr und kommt in meine Richtung. Ich hake mich bei ihm unter und gemeinsam schlendern wir durch die verworrenen Gänge des Hauptquartiers. "Wie geht es dir?", fragt er, als wir die Stimmen der anderen nicht mehr hören können. "Blendend", sage ich und grinse ihn an. Mein Gesichtsausdruck verdüstert sich, als ich seine besorgte Miene sehe. "Ist es wegen der Narbe?", frage ich. Ertappt zuckt er zusammen. Er nimmt die runde Brille ab, putzt sie an seinem Shirt und nickt schließlich mit gesenktem Kopf. "Du bist zu Hause von Mel angegriffen worden, wenn Dark mich richtig informiert hat", sagt er. "Selbst du solltest so etwas nicht so leicht wegstecken können. Und die Narbe ist nicht gerade unauffällig." "Wirklich?", frage ich und taste wieder nach der Kerbe in meiner Wange. "Ich hatte nicht viel Gelegenheit, sie mir anzusehen. Silberberg und so." "Sie ist nicht hässlich", wirft Raphael schnell ein. "Nur… schwer zu übersehen." "Das haben Narben im Gesicht so an sich", stimme ich zu und zucke mit den Schultern, als Raphaels besorgter Blick nicht nachlässt. "Ich weiß nicht. In dem Moment hatte ich ziemlich Panik, aber ich bin nur froh, dass die Sache mit Mel jetzt abgeschlossen ist. Außerdem war ich seitdem so gut wie nicht allein. Ich glaube nicht, dass mir nochmal soetwas passieren wird." Er nickt erleichtert und legt einen Arm um meine Schulter. "Ich bin froh, dass du da heil rausgekommen bist. Als ich von Dark davon gehört habe…" "Mir geht´s gut, keine Sorge." Ich grinse zu ihm hoch. "Und mir wird es noch viel besser gehen, wenn Zach wieder hier ist und Team Rocket ausgerottet wurde." Resigniert seufzt er und schüttelt den Kopf. "Hat es einen Sinn, dir diese Sache noch auszureden?" "Nö." "Dachte ich mir." Er macht einen Schritt von mir weg und zieht etwas aus seiner Umhängetasche. Es dauert einen Moment, bevor ich die Scheibe als TM identifiziere. "Was ist das?", frage ich. "TM84. Gifthieb. Ich habe sie noch von meinem Arenakampf gegen Janina übrig.  Eigentlich wollte ich sie dir zu deinem sechzehnten Geburtstag schenken, aber wenn Team Rocket am 19. Mai zuschlägt, kann Sku eine neue Attacke wohl eher jetzt gebrauchen." "Das…" Ich starre die TM an. "Brauchst du sie wirklich nicht?" "Ich habe keinen Gifttyp", entgegnet Raphael. "Und sie ist wie für Sku gemacht. Na los, nimm schon." Vorsichtig nehme ich die TM an mich und betrachte die violette Maschine mit großen Augen. Raphael lacht und wuschelt mir durchs Haar. "Happy Birthday vorträglich." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)