Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 96: Hinterhalt (Diebische Ranken) ----------------------------------------- Ich weiß nicht, was uns verraten hat. Noch während ich abschätze, ob der Hinterhalt von Anfang an geplant war oder nur meiner Entdeckung geschuldet ist, stelle ich mich instinktiv Rücken an Rücken mit Louis. Neben mir greift Dark nach seinem Pokéball. Pokémon materialisieren sich in kleinen Scharen zwischen Baumgruppen, auf Felsen und auf der Straße. Es müssen zwei Dutzend Pokémon sein, die sich langsam in unsere Richtung bewegen, gefolgt von schwarz gekleideten Gestalten. Hundemons lautes Knurren reißt mich aus meiner Starre und ich drehe den Kopf. Darks Gesicht ist hinter seiner Maske verborgen, aber Hundemons glühende Kehle und sein mörderischer Blick sagen mir alles, was ich über seinen Gemütszustand wissen muss. Fluchen wird hinter uns laut, als Martin und George hinter dem Stein hervorspringen und sich neben uns aufbauen. Unsere Gegner kommen näher. Zwei Arbok schlängeln sich in unsere Richtung, während von der anderen Richtung ein Vipitis die Luft züngelt und sich zischend aufbäumt.  Weitere Pokémon, Gift- und Unlichttypen, aber auch andere Pokémon folgen ihren Partnern. Wir haben nur noch wenige Sekunden, bevor sie in Reichweite sind. „Schnapp sie dir“, zischt Dark. Hundemon bellt und sprintet vor. Ich habe noch nie ein Pokémon so schnell laufen sehen. Es schlägt Haken, rast schnell wie ein Pfeil auf seine Gegner zu, all das, während sein Brustkorb sich wie ein Blasebalg aufbläht und in der Farbe von flüssigem Eisen glüht. Was folgt, ist ein Flammenwurf, der mich nur in meiner Ansicht verstärkt, Gott niemals diesen Level an Feuerkraft erreichen zu lassen. Eine gewaltige Feuerbrunst schießt aus Hundemons Kehle und trifft das erste Pokémon, das ihm in die Quere kommt, umhüllt es in gleißend hellen Flammen, die aufzüngeln und das hilflose Wehklagen des Sleimoks in Rauschen und Knistern ersticken. Hundemon ist fast fünfzig Meter von seinem Gegner entfernt und das ist, wie mir mit einem Schaudern bewusst wird, der einzige Grund, warum die Attacke nicht tödlich endet. Das Feuer verebbt nach wenigen Sekunden, in denen Hundemon schon auf seinen nächsten Gegner zuspringt. Ich fluche. „Sku, hilf ihm, los!“, befehle ich, endlich aus meiner Starre erwacht. George, Martin und Louis geben ähnliche Befehle und ich nutze den Moment, um meine Aufmerksamkeit Dark zu widmen. „Bring sie nicht um!“, schreie ich ihn wütend an. „Es sind immer noch Pokémon!“ Er reagiert nicht. Tatsächlich bewegt er sich keinen Zentimeter, schaut nicht mal in meine Richtung. Irritiert wende ich den Blick ab – und entdecke das Vipitis, das starr in seine Richtung blickt. Ein gelber Schimmer scheint die Distanz zwischen ihnen zu überbrücken. Panik steigt in mir auf. Sie müssen Dark erkannt haben, was bedeutet, dass sie alles tun werden, um ihn außer Gefecht zu setzen. „Hundemon!“, schreie ich. „Das Vipitis!“ Hundemon macht auf dem Absatz kehrt, wirbelt in der scharfen Kurve Staub und Steinbrocken auf, die als Wolke hinter ihm aufsteigen und sprintet auf das Pokémon zu, das Dark mit seinem Giftblick paralysiert hat und an jeglicher Bewegung hindert. Aber es ist nicht das einzige Pokémon, das ihn mit der Attacke festhält. Das Arbokpärchen verfolgt die gleiche Strategie. Ich habe keine Zeit für Skrupel. Ich greife nach Gotts Finsterball.   Plötzlich sickert jegliche Kraft aus meinen Armen und im nächsten Moment sacken sie wie leblose Gummischläuche zu beiden Seiten meines Körpers herab. Orangegelbe Sporen füllen die Luft, so dicht, dass ich innerhalb von Sekunden keinen Meter weit sehen kann. Die Maske hält größtenteils meine Atemwege frei, aber ich bin blind. Meine Beine knicken ohne jegliche Vorwarnung ein und ich falle in einer wenig würdevollen Art zu Boden. Der Aufprall presst die Luft aus meiner Lunge und ich rolle stöhnend ein Stück zur Seite, die einzige Bewegung, die ich paralysiert zustande bringe. Ich kann nur dankbar sein, dass ich nicht auf meinen linken Arm gefallen bin, denn trotz Gips glaube ich nicht, dass mein Knochen die Erschütterung problemlos überstanden hätte. Der Sporenregen sinkt herab und bildet eine dichte orangefarbene Schicht auf dem Boden. Aus meiner jetzigen Position kann ich zumindest das Kampfgeschehen gut erkennen, wenn auch mit etwas Halsverrenken. George und Martin hat die Stachelspore am meisten zugesetzt. Sie liegen völlig gelähmt am Boden, während ihre Pokémon, ein Rasaff und ein Pantimos, sich mit vier gegnerischen Pokémon duellieren, zwei von ihnen Käfertypen, die wohl für die Stachelspore verantwortlich waren und sich jetzt in das Kampfgeschehen einmischen. Louis liegt nicht weit entfernt mit dem Rücken zu mir, aber Glen hat sich längst mit einem Einigler zusammengerollt und nimmt jetzt Schwung, um alle Gegner mit Walzer zu attackieren, die seinem Trainer zu nahe kommen. Und Dark… Gleich vier Pokémon haben sich auf ihn gestürzt. Vipitis ist von Hundemon besiegt worden, aber die beiden Arbok sind näher gekommen und halten ihn mit ihrem Giftblick gefangen, der von der Stachelspore in seiner Wirkung nur verstärkt wird. Zusammen mit dem doppelten Horrorblick, der von einem Golbat und einem Makabaja ausgeht, ist er bewegungsunfähig. Ich renke meinen Kopf etwas weiter nach hinten und entdecke Hundemon, das wie ein Berserker durch die Reihen seiner Feinde stürmt, Zurückhaltung vergessen. Brennende Bäume erhellen die Nacht wie gigantische Fackeln, rot flackerndes Licht formt zittrige, schwarze Schatten und inmitten der Verwüstung tobt Hundemon, dessen Flammenwürfe kaum auf Widerstand treffen. Einen Moment lang glaube ich, dass wir nicht verlieren können. Markerschütternde Schreie, Staubwolken, Hitze auf meiner Haut, trotz der Entfernung und Skus aufgeregtes Fauchen, als sie die Klauen in die Seite eines Gegners gräbt, der sich von hinten angeschlichen hat, geben mir das Gefühl, dass wir trotz allen Widrigkeiten die Oberhand behalten haben. Aber letztlich muss ich einsehen, dass pure Masse manchmal ausreicht, auch wenn Dark oft von Qualität über Quantität spricht. Vielleicht hat er Recht. Vielleicht hätte er, wenn er nicht von den Attacken der anderen Pokémon festgehalten würde, die Situation unter Kontrolle bringen können, so wie Chris damals, die mit ihrem gesamten Team alle Gegner auf einen Schlag eliminiert hat. Chris´ Pokémon hatten allerdings einen klaren Vorteil. Sie besaßen Flächenattacken. Wo immer Hundemon ein Pokémon besiegt, stürzen sich drei weitere auf seine Schwachpunkte. Die Attacken selbst machen kaum Schaden, aber das müssen sie nicht. Langsam aber sicher übermannen Verwirrung, Vergiftung und schwächende Statusattacken Hundemon, das langsamer wird, stolpert, sich selbst attackiert, Gift würgt und verwirrt von einer Seite zur anderen taumelt. Hilflosigkeit lässt meinen Mund trocken werden. Nicht mal ein Pokémon jenseits des Achtzigerlevels ist diesem Attackenregen gewachsen und ich muss hilflos mit ansehen, wie Hundemon ein letztes, verzweifeltes Heulen von sich gibt, kehrt macht und zu Dark zurückläuft, nur um auf halber Strecke zusammenzubrechen und reglos liegen zu bleiben. Sku wird unterdessen von ihrem Gegner an mir vorbei geschleudert, rollt durch den Staub und kommt fauchend wieder auf die Beine. Ich kann den Stolz nicht unterdrücken, der mich bei ihrem furchtlosen Anblick erfüllt und beginne, gegen die Paralyse anzukämpfen. Meine Arme und Beine fühlen sich taub und gelähmt an, aber ich beiße auf meine Lippen, drücke, ziehe, stelle mir vor, wie ich meine Gliedmaßen wieder unter Kontrolle bringe. Langsam, ganz langsam, bewegen meine Finger sich und ich schaffe es, statt vereinzelten Lauten ein Wort hervorzubringen. „Hun…ter…“, presse ich hervor. Es ist nicht laut, aber er hört mich trotzdem. Rotes Licht explodiert hinter mir und im nächsten Moment schießt Hunters Silhouette durch die Nacht, empört krächzend und bereit für einen Kampf. Sku wirft sich mit einem Schlitzer an mir vorbei auf ihren Gegner zu, ein Rattikarl, Zähne gebleckt und Schweif hoch erhoben. Innerhalb von Sekunden werden alle anderen Geräusche von dem Fauchen und Spucken hinter mir übertönt. Hunter zieht seine Kreise und schießt gelegentlich mit einem Fliegen auf Pokémon herab, die ihn nicht bemerkt haben oder in einen Kampf verwickelt sind. Mit jedem Atemzug frischer Luft unter meiner Maske löst sich die Paralyse weiter und plötzlich kann ich meine Hände wieder fühlen. Ein Blick zu Dark bestätigt, dass er weiterhin festgehalten wird und seine Pokémon nicht befreien kann, aber Louis und die Polizisten erholen sich genau wie ich. In einem Anflug purer Willenskraft bäume ich mich gegen die letzten Reste der Paralyse auf und zwinge meinen Arm, nach hinten zu fallen, um meinen Pokégürtel zu fassen zu kriegen. Unsere Gegner sind zu zahlreich. Ich brauche meinen besten Kämpfer, Streitereien hin oder her. „Stiehl ihre Bälle!“, erschallt eine Stimme über dem Chaos der laufenden Kämpfe und dem Knistern und Zischen der brennenden Bäume. Ich drehe den Kopf, kann in den Rauchschwaden aber nur einen dunklen Schatten entdecken. Dann schießen grüne Ranken aus dem Rauch, peitschen über meine Arme, Beine, meinen Bauch und haken sich schließlich unter meinem Gürtel fest, bevor sie den festen Stoff entlang tasten, um den Verschluss zu finden. Schreiend wälze ich mich umher, um den Ranken keinen Halt zu geben, aber sie haben sich längst um den Gürtel gewickelt und lassen nicht los. Verzweifelt greife ich nach der anderen Ranke, die weiterhin fest an meinem Gürtel geklammert ist und ziehe daran, aber sie ist so unbeweglich wie ein Stahlseil und wickelt sich in Sekundenschnelle auch um meine Handgelenke, damit ich nicht nach meinen Pokébällen greifen kann. „Abby!“, ruft Louis von weiter entfernt. „Was ist los?!“ Ich will antworten, aber in dem Moment öffnet sich mein Gürtelverschluss und die beiden Ranken entreißen mir meine Partner mit einer Schnelligkeit, die blutige Striemen auf meinen Handgelenken zurücklässt, als sie sich von mir lösen. Dann schießen sie auch schon wieder vor, dieses Mal in Richtung Dark, dessen Pokébälle wie meine eigenen innerhalb weniger Momente im Rauch verschwinden. „Nein, verdammt!“, fluche ich und zwinge mich dazu, meinen Oberkörper anzuheben, gegen die Reste der Taubheit anzukämpfen und aufzustehen. Einige Sekunden ringe ich mit dem Bedürfnis, mich wieder hinzulegen, so wacklig fühlen sich meine Beine an und das Dröhnen in meinem Kopf hilft nicht gerade dabei, mich zu motivieren. Die schwarzen Silhouetten, die gemeinsam mit ihren Pokémon durch den orange leuchtenden Rauch auf mich zukommen, genügen aber. Ich schlucke und bin froh, als Sku an meine Seite eilt. Außer einem leichten Hinken scheint sie unversehrt aus den Kämpfen hervorgegangen zu sein und schmiegt sich nun an mein Bein. „Jemand, der dir bekannt vorkommt?“, fragt Louis, der plötzlich neben mir steht. Er muss sich aufgerappelt haben, als ich mit den Ranken beschäftigt war. Glen stützt zwei steinerne Fäuste auf dem Boden ab und schlägt seine beiden anderen aufgeregt gegeneinander. „Nein“, antworte ich, während das Chaos um uns herum weitertobt. „Hast du deine Pokémon noch?“ Louis nickt. Als ich genauer hinschaue, bemerke ich, dass er seinen Gürtel schon die ganze Zeit fest umklammert hat. Ich bezweifle, dass er stärker als die Ranken des Pflanzenpokémon wäre, aber verübeln kann ich es ihm nicht. Allein bei dem Gedanken an Gott, Jayjay und Priss, die in ihren Pokébällen gefangen in den Händen meiner Feinde sind, steigt mir Wut wie Säure in meiner Kehle auf. Niemand nimmt mir meine Pokémon weg. Niemand. Ich beobachte aus dem Augenwinkel, wie Hunter sich das Smettbo und das Pudox stürzt, die Pantimos und Rasaff dank ihres Typs sehr zusetzen, sie schwächt und Kurs auf die Pokémon nimmt, die Dark am Boden festhalten. Der Rauch lichtet sich und gibt den Blick auf den Rest unserer Gegner frei. Einige Rockets sind zurückgeblieben und dirigieren die Kämpfe aus sicherer Entfernung, andere haben sich mit ihren Pokémon ins Getümmel gestürzt. Ich lasse meinen Blick zurück zu den Gestalten wandern, die gemächlich auf uns zukommen. Dieses Mal kann ich sie erkennen. Ein Venuflibis, mindestens so groß wie ich, schwebt einige Handbreit über dem Boden. Sein breites Maul ist zu einem freudigen Grinsen verzogen und die Ranken, die unsere Gürtel weiterhin umklammern, peitschen träge um seinen Körper. Sein Trainer ist ein Rocket von normaler Statur, der mir noch nie begegnet ist, aber allein die Tatsache, dass Sku seinem Pokémon nichts anhaben konnte, spricht dafür, dass er mindestens 2. Oder 1. Rang ist. Einige violett gefärbte Haarsträhnen schauen unter seiner schwarzen Wollmütze hervor und seine blasse, unreine Haut flimmert rot im Feuerschein. Als er vortritt, kippt hinter ihm ein schwelender Baum langsam aber sicher zur Seite, bevor er splitternd und Funken stiebend zu Boden kracht. An seiner Seite läuft, zu meiner Überraschung, Cory. Wäre es nicht der Tag gewesen, an dem ich Zachs Agenda unwissentlich zerstört habe und von Mel ins Krankenhaus geschickt wurde, hätte ich mich vielleicht nicht an den unscheinbaren, jungen Rocket erinnert. So wie die Dinge stehen, erinnere ich mich ziemlich gut an ihn. „Hör zu“, murmele ich eindringlich, damit Louis mich trotz der Schreie und anderen Kampfgeräusche verstehen kann. „Du nimmst dir Cory vor, den rechten. Ruf all deine Pokémon, wenn es sein muss, bevor Venuflibis sie stehlen kann.“ „Und du?“, fragt Louis, noch während er einen Schritt nach vorne macht und nach seinen Pokébällen greift. Ein verbissenes Grinsen schleicht sich auf meine Züge. „Ich hole meine Pokémon zurück.“ Louis wirft mir einen kurzen Blick zu. Er öffnet den Mund, als wolle er protestieren, schüttelt dann aber nur den Kopf und reicht mir einen der Safaribälle, die zwischen den Pokébällen an seinem Gürtel hängen. „Du kannst Gina als Unterstützung haben“, sagt er leise und wendet sich Cory zu. „Sie ist nicht besonders stark, aber du wirst ihre Statusattacken gebrauchen können.“ Nachdem er mir ihre Attacken gesagt hat, läuft er los, Glen dicht an seiner Seite. Das Steinpokémon läuft voller Tatendrang auf seinen kurzen Beinchen und scheint das Gefühl vollends auszukosten. Cory hält inne, als er seinen Gegner sieht, greift aber wie Louis nach seinen Pokébällen und nur wenige Sekunden später hallt Ethans Brüllen über das gesamte Kampffeld. Sku stellt ihren Schweif auf und faucht herausfordernd, als Venuflibis verträumt grinsend in unsere Richtung schwebt. Ginas Safariball in den Händen wiegend, wage ich einen letzten Blick Richtung Dark. Die Pokémon, die ihn umringt haben, sind inzwischen ihren eigenen Trainern zu Hilfe gekommen, eindeutig von Hunters unablässigen Angriffen geschwächt. Er fliegt in rasanten Kreisen über unseren Köpfen und hält nach einer Gelegenheit Ausschau, sich wieder ins Geschehen einzumischen. Und mir fällt die perfekte Beschäftigung für ihn ein. Ich pfeife einmal scharf und rufe Gina, während ich darauf warte, dass Hunter landet. Es dauert nicht lange, bis Wind um meinen Kopf peitscht und sein Gewicht sich in meine Schultern gräbt. Aus den Augenwinkeln kann ich die braunen Spitzen seiner ausgebreiteten Flügel erkennen und weiß intuitiv, dass von seiner sonst so verspielten Art in diesem Moment nichts zu sehen sein wird.  Gina, die sich neben mir materialisiert hat, wirft mir einen verwirrten Blick zu, stampft aber zufrieden auf, als sie Louis weit entfernt entdeckt. Ihr schwarzes Hinterteil schnappt nach meiner Hand und ich mache einen unauffälligen Schritt zur Seite. „Folgender Plan…“, beginne ich. Ich lasse den Rocket und sein Pokémon nicht aus den Augen, während ich Hunter seine Aufgabe erkläre. Als ich geendet habe, stößt er sich von meinen Schultern ab, segelt in die Höhe und auf Venuflibis zu. „Sku, wir legen los“, rufe ich. „Kreideschrei, danach Toxin. Lass dich nicht von den Ranken erwischen. Gina, Psystrahl, lenk es ab.“ Hinkend, aber entschlossen, springt Sku vor, öffnet das Maul und entsendet einen markerschütternden Schrei Richtung Venuflibis, das einen Moment lang in der Luft taumelt, bevor es seine Balance zurückgewinnt und empört mit den Ranken schlackert. Ginas Psystrahl trifft nur wenige Sekunden später, aber die psychischen Wellen prallen beinahe wirkungslos an der hellgrünen Haut des Pokémons ab. Sein Trainer lacht laut und deutet in meine Richtung. „Das ist doch wohl ein Scherz“, sagt er, gerade laut genug, dass ich ihn über Skus Fauchen hören kann, als sie versucht, eine Schwachstelle in Venuflibis´ Verteidigung zu finden, um Toxin zu verwenden. „Du willst dich Team Rocket in den Weg stellen?“ Sku scheint die Lücke gefunden zu haben, denn sie macht eine scharfe Linkskurve, schlittert den Boden entlang und speit eine Woge Toxin auf ihren Gegner, der sich dank ihres Manövers in seinen eigenen Ranken verheddert und von der Giftattacke getroffen wird. „Ein Skuntank, heh?“, fragt der Rocket, sichtlich unberührt davon, dass sein Pokémon vergiftet wurde. „Das kommt mir bekannt vor. Zeig mir doch mal dein Gesicht, damit ich sicher gehen kann. Blattgeißel!“ Venuflibis schüttelt sich einmal, dann rasen die Ranken auch schon mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf Sku zu. Und auf mich. Sku wird von der Ranke in den Magen getroffen und gute zwanzig Meter in die Höhe geschleudert. Ihr Schrei hallt in meinen Ohren wieder, genauso wie das Knirschen, als sie auf den Boden kracht und ein einzelnes, verzweifeltes Winseln von sich gibt, bevor sie das Bewusstsein verliert. Dann erreicht mich die zweite Ranke. Nur meinen über Monate entwickelten Instinkten ist es zu verdanken, dass ich es überhaupt schaffe, rechtzeitig meinen rechten Arm zu heben. Ich hätte es genauso gut lassen können. Als die Ranke auf meinen Arm trifft und in mein Gesicht schlägt, heule ich auf. Die Maske wird von meinem Gesicht gerissen und zerschellt am Boden, während ich auf die Knie sinke und mit meinem eingegipsten Arm meinen rechten stütze. Die Ranke hat einen großen Fetzen Haut abgerissen und Blut tropft zwischen meinen Fingern zu Boden. Venuflibis reißt seine Ranken zurück und beobachtet mich schadenfroh, während der Rocket lauthals lacht. „Du bist es tatsächlich. Abby, richtig?“, fragt er, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich bin ohnehin mehr damit beschäftigt, meine Tränen herunterzuschlucken. Diese Genugtuung werde ich ihm nicht gönnen. Er lächelt. „Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Mel hat schon-“ Hunter nutzt diesen Moment, um unserem Plan nachzukommen. Er schießt aus dem Himmel auf Venuflibis herab, das an den Worten ihres Trainers hängt und gebannt lauscht, packt mit seinen Krallen meinen Gürtel und zieht. Venuflibis gibt ein schrilles Quietschen von sich und reißt seine Ranke ruckartig zurück, was Hunter durch die Luft wirbelt, aber er lässt nicht los, krächzt nur und nutzt den Schwung, um Venuflibis mit seinem Aero-Ass zu treffen. Die Attacke ist nicht stark genug, um dem Pflanzenpokémon Schaden zuzufügen, aber sie gibt Hunter einen wertvollen Moment, in dem er seinen Griff um den Gürtel festigt, den Schnabel senkt und auf den Finsterball presst. Rotes Licht schießt in meine Richtung und im nächsten Moment steht Gott vor mir. Er knurrt und die Flammen auf seinem Rücken lodern so gleißend hell und heiß auf, dass ich unwillkürlich zurückweichen will. Stattdessen zwinge ich mich auf meine Füße und pfeife Hunter zurück, der von Venuflibis´ Ranken ablässt und zurück an meine Seite fliegt. Ich hatte gehofft, meine Pokémon auf einen Schlag zurückzuholen, aber für´s erste werde ich mich mit meinen offensivsten Teammitglied begnügen müssen. Gott scheint meine Absichten zu spüren, denn er dreht den Kopf in meine Richtung und nickt einmal energisch und mehr als ein bisschen aufgeregt. Er muss auf eine Gelegenheit gewartet haben, mir seine Stärke beweisen zu können, ohne dass ich ihn zurückhalte. Kopfschüttelnd verbanne ich die Gedanken aus meinem Kopf. Ich kann mir später Sorgen machen. Jetzt muss ich kämpfen. Der Rocket legt den Kopf schief und beobachtet mich mit zusammengekniffenen Augen, als sie sich plötzlich weiten und er an mir vorbeischaut. Ich drehe den Kopf und entdecke Dark, der schwankend in meine Richtung kommt. Die Paralyse muss abgeklungen sein, aber er sieht trotzdem so aus, als würde er jeden Moment umkippen.   Als er mich erreicht, legt er eine Hand auf meine Schulter, als wolle er mich beruhigen, aber es fühlt sich eher so an, als müsse er sich irgendwo abstützen. Ich lasse ihn gewähren. „Lambda“, sagt er heiser und nickt in Richtung unseres Gegners. „Dark“, erwidert Lambda langsam und grinst dann breit. „Noch kannst du zurückkehren. Ich bin sicher, dein Vater würde dir eine zweite Chance geben.“ „Ich habe kein Bedürfnis nach einer zweiten Chance“, antwortet Dark. „Ich verfolge meine eigenen Ziele.“ „Das sehe ich.“ Lambda breitet einen Arm aus und deutet auf die Kämpfe, die überall um uns herum toben. „Aber was immer du hier vorhattest, es ist fehlgeschlagen. Rita hat nie den Anruf getätigt, den sie uns nach ihrer Ankunft in Kanto versprochen hatte. Natürlich sind wir stutzig geworden. Ein Einschreiten der Polizei war abzusehen, aber dass du dich ihnen anschließen würdest…“ Er schüttelt lachend den Kopf. „Ich sollte wohl nicht überrascht sein. Du bist stark, aber ohne deine Pokémon bist du genauso nutzlos wie der Rest der Polizei. Team Rocket wird euch zerstören.“ Weder Dark noch ich antworten. Gott macht einen Schritt nach vorne und spuckt kleine Glutfunken auf den Boden, was Venuflibis mit einem amüsierten Grummeln kommentiert. Ich hole tief Luft und bereite mich auf das einzige Manöver vor, dass uns jetzt noch bleibt. Die Zeit für Smalltalk ist vorbei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)