Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 90: Wieder vereint (Katastrophe auf dem Vormarsch) ---------------------------------------------------------- „Es ist Valentinstag, liebe Zuhörer, und auch der anhaltende Winter kann die Wärme nicht aus unseren Herzen vertreiben!“ „Oh Alfred, ich kann kaum an mich halten, so viel Liebe ist in der Luft!“ „Die Umfragen bestätigen, dass auch unsere Zuhörer sich Gedanken um das Liebesleben der Favoriten und des Champs machen und heute werden wir endlich Klarheit schaffen! Wir von PCN haben einige der berühmtesten Trainer zu ihren Plänen für diesen aufregenden Tag interviewt. Jessy, wärst du so gut? Mit welchem Pärchen dürfen wir diesen verschneiten Morgen beginnen?“ „Gold hat sich endlich zu seiner Liebe bekannt und uns in einem vertrauten Gespräch gestanden, seine Kindheitsfreundin Lyra heute zu einem wundervollen Date ausführen zu wollen. Als Kämpfer gegen das Böse hat er wahrlich viel um die Ohren, aber für seine große Liebe nimmt Gold sich heute einen Tag frei.“ „Das ist so rührend! Und was ist mit Noah, unserem Champion? Wenn er sich nicht bald ein hübsches Mädchen schnappt, werde ich mir diesen Burschen persönlich vorknöpfen.“ „Noah gab in der Tat zu, keine Verabredung zu haben. Dieser Junge ist zu aufopferungsvoll für sein eigenes Wohl. Aber nicht verzagen, liebe Zuhörer, denn die größte Überraschung erwartet sie noch!“ „Unsere Umfragen zeigen, dass Raphael Berni und Genevieve Keller als Traumpaar gehandelt werden, und nicht ohne Grund. Die Neckerei der beiden kann wohl kaum nur Freundschaft sein!“ „Falsch gedacht!“ „Raphael teilte uns mit, den heutigen Tag mit einer ganz außergewöhnlichen jungen Frau verbringen zu wollen, die er vor einigen Wochen kennen gelernt hat. Und wenn ich mich nicht täusche, hat Amors Pfeil ihn direkt durchs Herz getroffen.“ „Das ist so romantisch Alfred, mir wird schon ganz warm ums Herz. Hat er auch verraten, um wen es sich handelt?“ „Sie ist in Kanto nicht ganz unbekannt, Jessy. Elisabeth O´Neil, die Erbin der Safari-Zone in Fuchsania City. Ob sie schon von ihrem Glück weiß?“ „Mit Sicherheit, Alfred. Raphael scheint mir die Art Mann zu sein, der sein Date perfekt durchplant, um seine Herzensdame zu beeindrucken.“ „Und wie könnte er auch nicht, mit all seinen-“   Ich ziehe die Kopfhörer aus meinen Ohren und starre an die Decke. Elisabeth. Liz. Die Freundin, zu der Rose zu Besuch ist und an die ich Raphael weitergeleitet habe, damit sie ihm die Safari zeigen kann. Auf der einen Seite bin ich froh, dass wenigstens einer von uns heute jemanden hat, mit dem er den Tag verbringen kann. Aber ein kleiner Teil von mir ist enttäuscht, dass er mir nichts gesagt hat. Ich bin seine beste Freundin. Warum hat er mir nichts gesagt? Und ja, ich gebe es zu. Ein Funke Eifersucht ist auch da. Cornelia hat mir für den Tag freigegeben, Jayden und Chris sind immer noch auf ihrem Trainingstrip, Ryan hockt Tag und Nacht in seiner Schaltzentrale und hackt sich in irgendwelche Systeme ein und selbst Dark, der sagte, er würde diese Woche wieder kommen, ist noch nicht zurück. Niemand meldet sich und ich sitze alleine in meinem Zimmer im HQ und blase Trübsal. Wütend auf alle und mich selbst setze ich mich ruckartig auf und erschrecke Priss, die auf Chris´ Bett geschlafen hat und mich nun kritisch mustert. Wann immer ich mit ihr in den Gemeinschaftsraum gegangen bin, hat sie sich auf den Platz gesetzt, an dem Hundemon normalerweise sitzt und mich vorwurfsvoll angesehen. Ich kann doch auch nichts dafür, dass sie sich ausgerechnet in dieses Pokémon vergucken musste. Ich seufze und ziehe die Beine an. „Hey, Priss“, sage ich und sie öffnet ein Auge. „Magst du Hundemon?“ Sie schnaubt und schaut zur Seite. Ich grinse nur. „Du magst ihn, oder?“ Sie faucht leise, setzt sich auf und beginnt, ihr Brustfell zu putzen. „Die Sache ist die“, fahre ich fort, „ich habe einen Wasserstein.“ Sie zuckt zusammen. „Ja, das dachte ich mir“, murmele ich. „Ich werde dich zu keiner Entwicklung zwingen, die du nicht möchtest“, sage ich schließlich. „Ich habe den Stein zwar, aber wenn du lieber einen anderen Typ haben möchtest, zum Beispiel, was weiß ich, Feuer, dann kann ich das einrichten. Ich habe eine ganz gute Einkommensquelle. Die Steine sind zwar nicht direkt billig, aber darüber musst du dir keine Gedanken machen, okay?“ Priss beobachtet mich nachdenklich, dann gibt sie ein zustimmendes Fiepen von sich. „Ein Feuerstein also?“, frage ich. „Um Hundemon zu beeindrucken?“ Sie setzt sich auf und nickt einmal deutlich mit dem Kopf. „Also gut“, meine ich. „Bevor wir Prismania verlassen, kaufe ich dir einen. Dann kannst du dich entwickeln, wann immer du bereit bist.“ Priss zögert, dann springt sie von Chris’ Bett, tapst über die Fliesen und springt neben mir auf die Matratze. Ich betrachte sie wachsam, wage kaum, mich zu bewegen, aus Angst, sie zu verscheuchen. Sie setzt eine Pfote auf mein Knie, springt dann auf meine Beine und rollt sich dort zusammen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Plötzlich höre ich Schritte, gefolgt von Stimmen. Wütend, dass gerade jetzt jemand zurückkommen muss, wenn Priss sich endlich mal nicht wie eine hochnäsige Prinzessin aufführt, schaue ich zu unserer geschlossenen Tür. Die Schritte sind über uns. Dann, ein lautes Klackern. Wie von Krallen. Priss ist in Sekundenschnelle an der Tür, hängt sich an die Klinke und sprintet davon, kaum dass diese nach außen schwingt. Neugierig, wie Hundemon mit der neuen Anhänglichkeit seiner Verehrerin umgehen wird, folge ich Priss die Treppen hinauf ins erste Untergeschoss. Ich kann Darks Stimme hören. Er scheint sich mit jemandem zu unterhalten. Sind Chris und Jayden schon zurück? Ich nehme die letzten Stufen und entdecke zuerst Priss, die um Hundemons Beine schleicht und das Pokémon verdattert zurücklässt. Dann fällt mein Blick auf Dark und seinen Begleiter und mein Herz bleibt stehen. Babyblaue Augen treffen auf meine. Ein Zahnlückengrinsen strahlt mir entgegen. Bevor ich irgendeinen anderen Gedanken fassen kann, bin ich schon los gelaufen und in Louis´  Arme gesprungen. Ich kralle mich mit meiner gesunden Hand an seinem Rücken fest, presse mein Gesicht gegen seinen Hals und werfe ihn halb um. Seine Arme, muskulöser als noch im Dezember, halten mich fest umklammert und für einige Sekunden steht die Zeit still, bevor ich es nicht mehr aushalte und meine Lippen auf seine presse. Mein ganzer Körper bebt und Louis zieht mich instinktiv enger an sich. Schließlich jedoch drückt er mich ein Stück zurück und fährt mit den Daumen über meine glühenden Wangen. „Für den Empfang waren es mir die zehn Stunden Flug sogar wert“, flüstert er atemlos. „Ich kann nicht fassen, dass du hier bist!“, sage ich und drehe den Kopf, gerade noch rechtzeitig, um ein selbstzufriedenes Lächeln über Darks Gesicht huschen zu sehen, bevor er wieder seine emotionslosen Züge übernehmen lässt. Hundemon hingegen hechelt fröhlich und setzt sich auf seine Hinterbeine, eine zufrieden eingerollte Priss zwischen seinen Pfoten. "Waren das die Dinge, die du zu erledigen hattest?", frage ich. Er wippt einmal auf seinen Fersen vor und zurück, dann nickt er. "Unter anderem. Ursprünglich wollte ich nur sicherstellen, dass dein Vertrauen in deine Freunde nicht deplatziert ist, aber meine Befürchtungen haben sich schnell erübrigt." Er zieht einen zerknitterten Briefumschlag aus seiner Hosentasche und reicht ihn mir. "Raphael hat mir den hier für dich mitgegeben." Ich nehme den Umschlag entgegen und versuche, ihn aufzureißen, aber meine linke Hand hat kaum Kraft und schließlich nimmt Louis mir den Brief mit einem fragenden Blick auf meinen Gips ab und reißt ihn auf. Ich nicke ihm zu, damit er weiß, dass er eine Antwort auf seine Frage bekommen wird und ziehe das aufgerissene Papier auseinander. "Ein Foto?", fragt Louis überrascht. Ich nicke und betrachte das Bild. Es scheint in der Safari-Zone aufgenommen worden zu sein. Felsen und knorrige, vertrocknete Bäume füllen die karge Landschaft. In der Mitte des Fotos steht ein Rihorn, auf dessen Rücken Raphael sitzt. Sein rostbrauner Schal ist von seinem Gesicht gerutscht und er grinst breit in die Kamera, während seine roten Locken in alle Richtungen geblasen werden. Vor ihm sitzt, in der braungrünen Uniform der Safari-Ranger gekleidet, eine junge Frau. Kurzes, weißblondes Haar flattert wild um ihren Kopf und offenbart einige blaue Strähnen in ihrem Pony. Mit der einen Hand hält sie einen dicken Lederriemen fest, der wohl mit dem Sattel ihres Rihorns verbunden ist, die andere formt ein Peace-Zeichen, das sie der Kamera entgegenstreckt. Ich drehe das Foto um. Auf der Rückseite ist in Raphaels enger Schrift etwas geschrieben.   Hey Abby. Nach der ganzen Polizeisache habe ich es doch noch in die Safari-Zone geschafft. Liz hat sich als großartige Rangerin entpuppt und wir machen täglich gemeinsam die Areale unsicher. Obwohl sie keine professionelle Trainerin ist, hat sie es wirklich drauf. Mit ihrem Rihorn ist nicht zu spaßen und wir duellieren und regelmäßig. Ich weiß, dass ich bald wieder mit dem Training anfangen muss, um für die Championship im Oktober fit zu sein, aber um ehrlich zu sein, bin ich gerade einfach froh, alles hinter mir zu lassen und nicht an Team Rocket oder Zach denken zu müssen. Liz behandelt mich nicht wie einen berühmten Trainer und den Safaripokémon ist mein medialer Ruhm auch egal. Ich muss mich nicht mal verkleiden, auch wenn ich den Schal trotzdem trage. Ich weiß nicht Abby, irgendwie mag ich ihn inzwischen fast :/ Deine Freundin Rose habe ich auch getroffen, sie hat das Foto gemacht ;) Ich weiß, dass wir seit unserem letzten Telefonat keinen Kontakt mehr hatten, aber so wie ich dich kenne, steckst du schon wieder bis zum Hals in einem Abenteuer. Halt dich tapfer! Wir hören bald voneinander. Grüße an Sku und den ganzen Rest. Raphael. -22.1.   An den Rand ist eine zusätzliche Botschaft mit einem anderen Stift gekritzelt worden. Ich drehe das Foto quer.   ps. Ein Typ namens Dark ist hier aufgetaucht. Er scheint dich zu kennen und hat angeboten, dir das Foto zukommen zu lassen. Ich hatte es dir eigentlich selbst schicken wollen, aber ich weiß mal wieder nicht, wo du bist und bevor ich deinen Aufenthaltsort durch ausgefeilte Ninja-Methoden in Erfahrung bringe (aka, dich frage) und die Überraschung ruiniere, gebe ich es ihm. pps. Liz ist unglaublich. Ich bin seit über einem Monat hier und wir verstehen uns blendend. Ich glaube, ich werde mir für nächste Woche etwas mit ihr überlegen ;) Raphael. - 6.2.   "Damit meint er wohl heute", sagt Louis grinsend. "Danke, Dark", sage ich. "Wirklich, vielen Dank. Dass du Louis mitgebracht hast, und das hier…" Ich wedele hilflos mit dem Foto.  "Das bedeutet mir verdammt viel." Er lächelt. "Gern geschehen. Ich habe jetzt einiges mit Ryan zu besprechen, also macht euch einen schönen Tag." Hundemon bellt einmal fröhlich und legt den Kopf schief, als Priss wohlig brummt, sich aufsetzt und an seine Brust schmiegt. "Ich lasse Priss bei dir", meine ich schmunzelnd. Dark schielt zu seinem Pokémon, pfeift leise und macht sich dann auf den Weg nach unten. Hundemon und Priss folgen. "Das ist also eure Geheimbasis?", fragt Louis, als ich mit ihm hinunter zu meinem Zimmer gehe, um dort meine Jacke zu holen. "Die, in der früher Team Rocket gehaust hat?" "Genau die", stimme ich zu. "Ganz ehrlich, ich hatte richtig Schiss, als Dark plötzlich in Anemonia City aufgetaucht ist und mich gefragt hat, ob ich Louis heiße. Ich meine, er ist jetzt nicht gerade die Art von Typ, dem ich nachts begegnen möchte." "Ich weiß, was du meinst", sage ich lachend und mache die Tür zu meinem und Chris´ Zimmer auf. "Am Anfang hat er mir ständig damit gedroht, mich umzubringen, falls ich seine Identität verrate, aber eigentlich will er das Richtige tun. Ich denke, wenn du unter Mördern und Verbrechern aufwächst, musst du so ein Verhalten an den Tag legen, um nicht unterzugehen. Und jetzt merkt er, dass man sich Respekt auch anders verschaffen kann. Ich mache schon noch einen Helden aus ihm, pass nur auf." Ich betrete das Zimmer, werde aber sofort zurück in Louis Arme gezogen. Er hält mich lange einfach nur fest. "Ich hab dich vermisst", flüstert er schließlich. Ich drehe mich in seiner Umarmung um und schlinge meine Arme um seinen Hals. "Ich dich auch", sage ich. "Ich bin froh, dass du hier bist." Sein Blick wandert von meinen Augen zu meinem Mund und dieses Mal ist er es, der die Distanz zwischen uns überbrückt und mich küsst. Lange Zeit stehen wir einfach nur an die Wand gelehnt und in das Gefühl unserer Lippen versunken. Schließlich jedoch löse ich mich, mein Herz laut pochend und ein ungewohntes Gefühl in meiner Magengrube. Seine Finger streichen ein letztes Mal meinen Hals entlang, bevor ich einen Schritt zurück mache. "Wow. Ehm…" Ich breche ab und Louis beginnt, breit zu grinsen, als er mein glühendes Gesicht bemerkt. Bisher hat sich unsere Beziehung auf den ein oder anderen kurzen Kuss beschränkt, aber ich spüre, dass sich gerade etwas geändert hat. Es macht mich nervös. Und es gefällt mir. "Wow", stimmt er zu. Dann grinst er noch breiter. "Du bist knallrot." "Natürlich bin ich das!", sage ich und drehe mich weg. Ich höre sein Lachen hinter mir und atme einige Male tief durch, bevor ich mich ihm wieder zuwende. "Also, soll ich dir die Stadt zeigen? Wir können irgendwo essen gehen und… so?" Er kratzt sich verlegen an der Nase, dann nickt er. "Gerne. Und bei der Gelegenheit kannst du mir gleich erzählen, was du mit deinem Arm gemacht hast." Ich schnappe meine Jacke aus meinem Rucksack, ziehe sie über und lasse meine Ohrenklappmütze folgen, dann hake ich mich bei Louis unter und drücke mich eng an ihn, als wir gemeinsam das HQ verlassen. "Stimmt, da war ja was."   Obwohl es noch kalt ist, haben die Schneestürme der letzten Woche nachgelassen und der Schnee, der liegen geblieben ist, bedeckt als festgetretene Eisdecke die Straßen. Mein erstes Date an einem Valentinstag mit eingegipstem Arm und verheilenden Schürfwunden und Blutergüssen im Gesicht zu bestreiten, ist vielleicht nicht ideal, aber von solchen Kleinigkeiten werde ich mir ganz sicher nicht die Laune verderben lassen. Während wir durch die Stadt schlendern und nach einem kleinen Café oder Restaurant Ausschau halten, bringe ich Louis auf den neusten Stand. Jetzt, da Dark ihn offiziell als vertrauenswürdig abgestempelt hat, kann ich ihm endlich all die Dinge erklären, die ich zuvor verheimlichen musste. Na ja, bis auf die gesamte Zach-Affäre. Louis hört meinen Ausführungen aufmerksam zu, bis wir schließlich, unbewusst, vor Cornelias Teestube stehen bleiben. Meine Hände sind durchgefroren und wir treten hastig ein. Cornelia ist sehr beschäftigt damit, zwischen Küche und Tischen umher zu wuseln und als sie mich und Louis entdeckt, kneift sie misstrauisch die Augen zusammen und deutet dann an einen der freien Tische, der ein wenig abseits der anderen Besucher steht. Ich hebe meine Augenbrauen, als ich die einzelne Rose entdecke, die in einer schmalen Vase neben der Kasse steht, aber Cornelia wedelt nur mit einer Hand und kommt zu uns an den Tisch. "Und welchen hübschen jungen Mann hast du mir bisher vorenthalten?", fragt sie ruppig und mustert Louis von oben bis unten. "Das ist Louis", erkläre ich. "Er ist erst heute aus Anemonia City hergekommen." Cornelia schnaubt. "Und seit wann seid ihr zwei ein Paar? Ihr seid von viel zu jung für die feine Kunst der Romantik." "Seit…" Ich stocke. Schaue zu Louis. Er schaut ratlos zurück. "Irgendwann im… Dezember?" "Aber auch im September, irgendwie." Louis kratzt sich an der Nase. "Es war ein bisschen kompliziert." "Ist ja auch egal", sage ich hastig und unterbreche damit, was auch immer Cornelia uns an den Kopf schmeißen wollte. Ich bestelle Tee und Kuchen, da wird sie schon zu dem nächsten Tisch gewinkt. "Das ist sie also", sagt Louis und schaut ihr hinterher. "Und sie ist… wessen Oma?" "Jaydens." "Jayden ist der, der mich in Viola besiegt hat, oder? Oh Mann." Louis stützt sein Kinn auf eine Hand und schaut zur Seite. "Du steckst so tief in all diesem Zeug, Abby, das ist wirklich unfassbar." "Ich weiß." Schmunzelnd lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück. "Aber so gefällt es mir besser, als in meinem Zimmer festzusitzen." "Du bist einfach aus dem Fenster gesprungen, hast du gesagt?", fragt Louis zum gefühlt hundertsten Mal. "Wenn ich es doch sage, ich wusste, dass Hunter mich auffangen würde." "Trotzdem. Soweit zum Thema waghalsig." "Ich bin nicht waghalsig!" Er lacht und ich lenke ein. "Okay, ein bisschen. Aber es klingt riskanter, als es wirklich war. Ich wollte einfach nur noch dort weg, verstehst du?" "Ich will nicht sagen, dass ich es verstehe", sagt Louis nachdenklich. "Aber wenn du das Gefühl hattest, es dort nicht mehr auszuhalten, hast du denke ich die richtige Entscheidung getroffen. Auch wenn deine Mutter mir allmählich wirklich leid tut." "Sie macht es aber auch nicht besser", murre ich. "Ja, ich könnte mich öfter bei ihr melden. Aber sie könnte mir bei solchen Gelegenheiten ruhig entgegen kommen. Wenn ich bei ihr anrufe oder ihr eine Mail schreibe, wäre es mir sehr viel lieber, sie würde mich nach meinen Reisen fragen und wie es mir geht, statt immer gleich vom Schlimmsten auszugehen und mich zurück zu beordern. Dann würde ich mich vielleicht auch nicht so sehr darum drücken. Ein bisschen Unterstützung, ist das zu viel verlangt?" "Mütter sind so, glaube ich", sagt Lous. "Die können gar nicht anders, als sich Sorgen zu machen. All die Jahre, in denen du aufpassen musst, dass dein Kind nirgends runterfällt, sich nicht verbrennt, keine Putzmittel trinkt oder an Spielzeug erstickt und dann langsam lernen, dass sie auf sich selbst aufpassen können? Ich kann mir vorstellen, dass das ziemlich schwierig ist, vor allem weil es ein fließender Prozess ist. Du bist nicht plötzlich erwachsen oder in der Lage, schwierige Situation alleine zu meistern. Es passiert nach und nach." "Ich weiß nicht, ob ich beeindruckt sein soll, wie gut du dich in die Gedanken meiner Mutter hinein fühlen kannst, oder mir Sorgen machen", lache ich. Louis zieht eine Schnute. "Ich versuche nur, eure Beziehung zu retten", verteidigt er sich. "Wenn ihr so weiter macht, dann wird daraus noch eine richtige Mutter-Tochter-Fehde." "Dein Freund hat ganz Recht", sagt Cornelia, die genau in dem Moment an unserem Tisch auftaucht und uns Teekannen, Tassen und den Kuchen auf den Tisch stellt. "Ja ja, ich hab es verstanden", murmele ich und gieße mir eine Tasse Tamottee ein. "Ich werde mich bemühen, meine Mutter besser zu verstehen. Okay?" Cornelia nickt, dann macht sie sich wieder an die Arbeit. "Genug über meine Familienprobleme geredet", sage ich und stecke mir ein Stück Schokoladenkuchen in den Mund. "Du hast bei Hartwig aufgehört, oder? Was willst du jetzt tun?" "Ich bin noch nicht sicher." Louis beginnt mit seiner Früchtetorte und betrachtet nachdenklich seine Gabel. "Ich habe viel darüber nachgedacht, worin ich gut bin, was mir Spaß macht. Ich möchte auf jeden Fall weiterhin mit Pokémon arbeiten. Und ich kann klettern." Er verzieht das Gesicht. "Das ist so ziemlich alles. Aber dann habe ich darüber nachgedacht, was Holger gesagt hat, als wir mit ihm in der Safari waren. Er hat über all diese verschiedenen Ranger geredet, erinnerst du dich?" Mein Gesicht hellt sich auf. "Du meinst die S-Ranger! Ja, ich erinnere mich." "Ich habe mich also bei Rose gemeldet und sie gefragt, was man als S-Ranger so zu tun hat. Es sind Ranger, die in einem zusätzlichen Fachbereich ausgebildet sind und darin auch Kurse geben können und so weiter. Und, na ja, Gruppen in der Safari betreuen, Kletterkurse geben… das klingt nicht schlecht, finde ich." "Ich glaube, das würde super zu dir passen", stimme ich zu. "Du bist aufgeschlossen, freundlich, du weißt, wie man mit großen Pokémon umgeht und Klettern im offenen Gelände ist auch kein Problem für dich." "Meinst du wirklich? Ich war nicht sicher." Ich nicke. Lächle. "Es passt sehr gut zu dir." Er grinst verlegen. "Als Außenstehender kann ich die Ausbildung erst mit fünfzehn machen, aber Rose sagte, Level B lässt sich schon davor machen. Das dauert zwei Monate, also muss ich die absolviert haben, bevor im Sommer die Ausbildung losgeht." "So viel Planung", lache ich. "Aber bis du wieder weg musst, hast du noch etwas Zeit, oder?" "Ich habe sicher nicht zehn Stunden in tiefsten Schneestürmen und mit einem elektrischen Schlag nach dem anderen verbracht, nur um morgen wieder abzuhauen", sagt Louis. "Ich bleibe ein paar Wochen, keine Sorge."   Später am Abend, als wir ins Hauptquartier zurückkehrt sind und es uns mit einigen Snacks in meinem Zimmer auf dem Bett gemütlich gemacht haben, fällt mein Blick auf meinen Rucksack. "Ich habe ewig nicht mehr in mein Notizbuch geschrieben", stöhne ich plötzlich. Louis schielt zu mir hinunter. "Das mit den ganzen Team Rocket Sachen drin?" "Ja." Ich stehe auf und gehe zu dem Rucksack. "Ich wollte zumindest den Team Shadow Faden mit Dark aufklären. Willst du es sehen?" "Klar, zeig her." Neben dem Rucksack gehe ich in die Knie und krame einige Sekunden inmitten von Kleidung herum, bevor ich tiefer grabe, tiefer, tiefer… Verwirrt kippe ich den gesamten Rucksack aus und suche in meinen verstreuten Habseligkeiten nach dem Heft. Louis beobachtet mich amüsiert. "Was ist?" "Ich hatte es hier drin", sage ich und denke fieberhaft nach, ob ich es Dark oder jemand anderem gezeigt habe. Ob ich es irgendwann mal herausgenommen habe. Mein Blick wandert zu dem grob geflickten Riss in der Seite des Rucksacks und die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. "Alles okay, Abby?", fragt Louis, jetzt besorgt. "Du siehst bleich aus." "Das Notizbuch", flüstere ich. "Es ist weg." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)