Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 88: In der Klemme (Rivalität um Lavandia) ------------------------------------------------- Woingenau windet sich, als die erste Giftwoge ihn verletzt. Das Toxin beginnt langsam, aber der Schaden, den es seinem Opfer zufügt, verdoppelt sich mit der Zeit. Zusammen mit den drei Attacken, die Woingenau bereits von Gott einstecken musste, wird es nicht lange durchhalten. Annie weiß es auch. Sie wiegt Petzniefs Pokéball nachdenklich in ihrer Hand, unsicher, ob sie auswechseln soll. Woingenau ist ihr Tank; ihr drittes und letztes Pokémon jetzt einzusetzen, gibt Sku und mir eine zusätzliche Gelegenheit, Schaden auszuteilen. Wenn sie jedoch nicht wechselt, wird Woingenau in den nächsten paar Minuten besiegt sein. „Verzweifelt?“, frage ich grinsend und tätschele Jayjays Pokéball. „So leicht bin ich nicht klein zu kriegen. Sku, Kreideschrei.“ „Lass sie kommen und benutz deinen Bodyguard“, befiehlt Annie zähneknirschend. „Sie verkriecht sich anscheinend lieber hinter Statusattacken, als anzugreifen.“ „Ich kämpfe bloß mit Köpfchen“, erwidere ich. Ein wütendes Grummeln wird von den umstehenden Trainern laut. Verdammt. Ich hatte ganz vergessen, dass wir Zuschauer haben. Sku wartet geduldig, bis Annie und ich uns ausgesprochen haben, dann kreischt sie laut und ohrenbetäubend und Woingenau zuckt hinter seinem neu errichteten Bodyguard zusammen. „So wirst du niemals gewinnen“, sagt Annie. „Du hast quasi schon verloren.“ „Wirklich?“, frage ich und rufe Sku zurück. „Das werden wir noch sehen.“ Jayjay materialisiert sich mit einem lauten Schnauben vor mir im Schneegestöber und wiehert angriffslustig, als er seinen vergifteten Gegner entdeckt. Er stampft mit seinen Hufen auf und kleine Blitze entladen sich an den Schneeflocken, die sich in seiner Mähne verfangen. Annie kneift die Augen zusammen, dann grinst sie. „Jayjay, Ladevorgang“, befehle ich. „Wir erledigen sie jetzt.“ „Warte noch…“, murmelt sie. „Funkensprung!“ Jayjay, der vor elektrischer Energie nur so knistert, bäumt sich auf seine Hinterbeine. Kleine Blitze schießen von seinen Hörnern in den Himmel, dann stampft er auf den Boden auf. Die Attacke, verstärkt durch den Ladevorgang, schießt auf Woingenau zu, das die Augen geschlossen hat. „Abgangsbund!“, schreit Annie, gerade rechtzeitig, bevor Jayjays Attacke Woingenau trifft. Die Blitze schlagen in das blaue Pokémon ein und bilden eine Art Brücke, die sich schwarz verfärbt, als Woingenau die Augen öffnet. Sein Körper beginnt, gespenstisch violett zu leuchten, dann explodiert die schwarze Verbindung zwischen den beiden, Woingenau kippt besiegt vornüber und Jayjay wankt für einige Sekunden, bevor auch er mit einem dumpfen Knall in den Schnee fällt. Ich starre Annie fassungslos an. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Attacke. Dann wiederum hätte ich es mir wohl denken können. Woingenau kann schließlich nur vier Attacken. Zähneknirschend rufe ich Sku, jetzt froh, zuvor eingewechselt zu haben. Wenn es ein Pokémon gibt, auf das ich mich in dieser Situation verlassen möchte, dann ist es mein Starter. Annie ruft ihr Petznief, das schnieft und mit den Tatzen im Schnee patscht. „Mach ihr Stinktier fertig“, befiehlt Annie. „Eissturm, los!“ „Bleib offensiv, Sku. Schlitzer!“ Petznief setzt sich auf und ein tosender Sturm aus Eissplittern bildet sich um das kleine Pokémon. Aber Sku ist schneller. Sie schießt vor, weicht den ersten Vorboten der gegnerischen Attacke mit einem abrupten Richtungswechsel aus und durchschlägt Petzniefs rudimentäre Verteidigung mit ihrer klauenbewährten Pranke. Dann wird sie von den ersten Eisbrocken getroffen und springt zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. „Weiter so, du schaffst das“, feuere ich sie an, während Annie dasselbe bei ihrem Partner macht, wenn auch ein wenig hektischer. Bei Skus höherer Initiative ist sie im Nachteil. Zwei Schlitzer noch, dann ist es vorbei. Sku pfeift aus dem letzten Loch, aber es ist Petznief, das zuerst bewusstlos wird und rückwärts in den Schnee kippt. Sku atmet erleichtert aus, schnaubt dann und tappt zu mir zurück. Ich streiche ihr über das verschneite Fell. „Das kann nicht sein!“, schreit Annie. „Ich hätte gewinnen müssen!“ „Du hast verloren“, stelle ich ungerührt fest und zupfe meine Mütze zu Recht. „Kann ich jetzt gehen?“ „Gehen?“, fragt Ralf und lacht. Dann ziehen er und die restlichen drei Trainer gleichzeitig ihre Pokébälle. „Ich glaube kaum.“ „Nein, warte, warte“, ruft Annie hysterisch. „Ich kann sie besiegen! Ich weiß es! Lass mich nur zum Pokécenter gehen, ich bin sofort wieder da, ich kann-“ „Du hast verloren, Annie, sieh´s endlich ein“, faucht ein anderer Trainer. „Danke für die Vorarbeit, aber jetzt sind wir dran.“ „Ihr wollt nicht ernsthaft jetzt gegen mich kämpfen?“, frage ich entsetzt. „Das ist nicht fair! Das war ein fairer Kampf und ich habe gewonnen. Lasst mich gehen.“ Ralf grinst. „Dieser Typ, mit dem du abhängst, hat uns alle zum Narren gehalten. Mal sehen, wie ihm das hier gefällt.“ Rote Lichtblitze erleuchten den Schnee und das Eis um uns herum und innerhalb von Sekunden finde ich mich von einem Blanas, einem Schneckmag, einem Knogga und einem Entoron umzingelt. Herzlichen Glückwunsch, Abby, denke ich. Mission verarscht werden erfolgreich. Ich mache auf dem Absatz kehrt und renne los, Sku dicht auf meinen Fersen. Sie ist zu geschwächt, um gegen vier Pokémon anzukommen, und diese Trainer haben mit Sicherheit mehr als ein Pokémon. Ich bin kaum fünf Schritte gelaufen, da stellt sich mir einer der Jungen in den Weg, aber er hat nicht damit gerechnet, dass Sku sich auf ihn stürzen könnte. Er springt erschrocken zurück, als sie ihre Krallen ausfährt und ich nutze die Gelegenheit, so schnell wie möglich durch den Schnee zu sprinten. „Smog!“ „Knochmerang!“ „Aussetzer!“ Beißender, schwarzer Rauch verdeckt meine Sicht, bevor mein Körper in der Bewegung erstarrt, ich das Gleichgewicht verliere, mit voller Wucht von einem harten Gegenstand ins Kreuz getroffen und nach vorne geschleudert werde. Ich überschlage mich mehrmals und schlittere das letzte Stück über eine raue Eisfläche. „Wir haben sie!“, schreit jemand, aber ich bin nur damit beschäftigt, nicht ohnmächtig zu werden. Alles tut weh und ich kann mich kaum bewegen. Skus Fauchen erfüllt die Luft hinter mir, wird aber schnell von einem erstickten Laut ersetzt, als sie besiegt zu Boden geht. Als der Aussetzer seine Wirkung verliert, rolle ich ächzend auf meinen Rücken. Mein linkes Handgelenk pocht höllisch, meine linke Gesichtshälfte brennt und mein Rücken, wo der Knochmerang mich getroffen hat, strahlt Schmerzen in den Rest meines Körpers aus. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so elend gefühlt habe. Auf meinem Rücken liegend bemerke ich zumindest zwei Dinge. Priss´ Pokéball muss sich bei meinem Aufprall geöffnet haben, denn sie sitzt verängstigt und mit weiten Augen einige Meter neben mir und schaut zitternd zu den vier Pokémon samt Trainern, die jetzt aus dem Smog heraus treten. Davon abgesehen habe ich meinen Rucksack irgendwo auf halbem Weg verloren. Eine Seite ist aufgerissen und meine gesamten Habseligkeiten liegen verstreut im Schnee. Ich versuche, mich aufzusetzen, scheitere aber kläglich. Stattdessen presse ich meine linke Hand gegen meinen Bauch und beiße meine Zähne zusammen. Was immer die vier vorhaben, ich habe keine Möglichkeit mehr, mich ihnen entgegen zu setzen. Darks Überzeugungen müssen auf mich abgefärbt haben, denn ich kann nur noch daran denken, zumindest keine Schwäche zu zeigen. Priss tippelt vorsichtig in meine Richtung, ihr Blick immer wieder zu den nahenden Pokémon huschend. Schließlich springt sie vor mich und fiept in hysterischer Stimmlage. „Geh da weg“, murmele ich. „Du bist nicht stark genug.“ Priss faucht mich an und wendet sich wieder ihren Gegnern zu. „Wie süß“, meint Ralf. „Was machst du denn hier?“ „Sowas Kleines wie du hat hier nichts verloren“, fährt ein anderer Junge fort. Ich stöhne und rolle mich etwas zur Seite, um das Geschehen besser sehen zu können. „Lasst die Finger von ihr“, presse ich hervor. „Ich glaube kaum“, meint Ralf. Einer der Trainer grinst. „Entoron, Aquawelle.“ Die Wasserattacke trifft mit voller Wucht auf Priss, die weiterhin mit eisernem Willen vor mir steht. Sie wird davon gerissen und landet weit hinter mir. Ich will nach ihr schreien, aber das Wasser hat mich ebenfalls erwischt und ich bekomme kaum genug Luft, pruste und spucke Wasser. Die Kälte des Schneesturms hat sich mit einem Mal vervielfältigt. Ich bin völlig durchgeweicht und meine Haut fühlt sich an, als hätte sich eine Eisschicht darauf gebildet. Vielleicht hat sie das. „Das… reicht, oder?“, fragt der Trainer mit dem Schneckmag. „Sie hat ihre Lektion gelernt.“ „Nein“, sagt Ralf und tritt vor, dicht gefolgt von seinem Blanas. „Hat sie nicht.“ „Hey. Hey!“ Schritte. Das Klappern meiner Zähne übertönt fast alles andere. „Was zum Teufel macht ihr da?!“ „Oh scheiße, das ist Joy, Ralf, das ist Joy!“  „Rückzug, verdammt!“ „Spoink, Schnarcher!“ Ich kann nichts mehr erkennen und lasse meinen Kopf nach hinten sacken. Panische Rufe. Ein freudiges Grunzen. Joys wütende Stimme. Dumpfe Schläge, als die Trainer einer nach dem anderen schlafend zu Boden fallen. Jemand geht neben mir auf die Knie. „Ganz ruhig, alles wird gut. Ich hab dich“, murmelt Schwester Joy mit der ruhigen Stimme einer Person, die genau weiß, was zu tun ist. Ihre Hände tasten über mein Handgelenk und ich zische, als der Schmerz sich mit einem Schlag vervielfacht. „Gebrochen… Ganz ruhig.“ Sie streicht über mein Gesicht, dann hilft sie mir auf. „Hey, hilf mir!“, ruft sie hinter sich und ein Junge taucht hinter ihr auf. Über den Rücken hat er meinen wieder zusammen gepackten Rucksack geschlungen und kommt Joy nun zu Hilfe, in dem er auf meine andere Seite geht und mich dort stützt. „Priss“, flüstere ich. „Mein Evoli.“ Joy nickt, nimmt den Pokéball und ruft Priss zurück. Dann befördern mich die beiden zum Pokécenter. Alles geht wie im Halbschlaf an mir vorbei. Ich merke, dass ich durch ein volles und tuschelndes Pokécenter kutschiert werde, wie mir jemand meine durchweichten Klamotten auszieht und mich in einen flauschigen Bademantel hüllt. Erst, als ich aufhöre, wie verrückt zu zittern, bin ich in der Lage, meine Situation genauer unter die Lupe zu nehmen. Prismania Citys Krankenstation ist größer als die vor der Safari Zone, allein das Behandlungszimmer muss doppelt so groß sein. Ich bemerke meinen jetzt kaputten Rucksack, der neben einem Gästestuhl steht, auf dem der Junge sitzt, dessen Gesicht mir noch von zuvor in Erinnerung geblieben ist. Er beobachtet mich besorgt und als er sieht, dass ich wieder halbwegs zu mir gekommen bin, lächelt er mich ermutigend an. „Ganz schön krasse Sache“, sagt er nach einer Weile. Aschblondes Haar fällt ihm über die Bügel seiner Hornbrille und eine kleine Narbe am Kinn zeugt davon, dass auch er schon Erfahrung mit unangenehmen Verletzungen gemacht hat. „Schwester Joy kommt gleich, um deinen Arm zu röntgen. Sie telefoniert noch mit Erika.“ „Wegen der Trainer?“ „Genau.“ Er runzelt die Stirn. „Die fünf haben schon seit einigen Tagen Ärger gemacht und sich regelmäßig mit der KPA angelegt. Jeder hier kennt sie. Joy hat sich bisher zurückgehalten, aber nach der Aktion eben können die drei ihrem vierten Orden vorerst Adieu sagen.“ Ich nicke und fasse abwesend nach meinem Pokéballgürtel. Er ist weg. Panisch betaste ich meine Hüfte, bis mir einfällt, dass ich einen Bademantel trage. „Wo sind meine Pokémon?“, frage ich, während ich aufspringe und halb vornüber kippe. Der Junge kommt mir gerade rechtzeitig entgegen, um mich aufzufangen und hievt mich ächzend über seine Schulter. Mein Arm protestiert und ich unterdrücke ein Stöhnen. „Du sollst dich nicht bewegen“, sagt der Junge und bringt mich zurück zu dem Krankenbett. „Dein Bruch könnte sich verschieben.“ „Wo sind meine Pokémon?“ „Sie sind bei Schwester Joy“, sagt er und lässt sich schwer atmend neben mir auf das Bett sinken. „Sie haben ziemlich was abbekommen, vor allem dein Evoli. Ich hätte dir gerne geholfen, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, aber Spoink und ich kämpfen nicht und hätten wahrscheinlich nur im Weg gestanden. So konnte ich zumindest schnell Schwester Joy holen.“ „Bist du mir gefolgt?“, frage ich, unsicher, was ich von seiner Geschichte halten soll. „Eigentlich bin ich Ralf und den anderen gefolgt“, sagt er grinsend. „Sie sahen schon so aus, als hätten sie dieses Mal etwas richtig Übles vor, da bin ich ihnen lieber nach. Ich bin gerne dabei, wenn es heiß her geht. Oder kalt, in diesem Fall.“ Er lacht über seinen Witz und verstummt dann, als Joy ins Zimmer kommt, grimmige Zufriedenheit in ihren Zügen. „Die fünf werden mir in dieser Stadt keinen Ärger mehr machen“, verkündet sie und holt eine Bleiweste aus dem weißen Schrank, der an der Wand steht, mit der sie zu uns kommt. „Warte bitte draußen, Julius.“ Julius springt vom Bett, winkt mir zu und verschwindet dann nach draußen. „Geht es dir besser?“, fragt Joy und mustert mich kritisch, während sie mein Gesicht mit der freien Hand betastet. „Die Aquawelle hat zumindest die Schrammen in deinem Gesicht ausgewaschen, aber es würde mich nicht wundern, wenn du eine Gehirnerschütterung hast. Wenn dir schlecht wird, sag mir Bescheid. So, und jetzt ziehen wir dir die Weste an, damit wir loslegen können.“ Ich lasse mir von ihr in die schwere Weste helfen und beiße mir durchgängig auf die Lippen. Als ich durch die Gespräche abgelenkt war und meinen Arm nicht bewegen musste, ging es, aber jetzt möchte ich bei jeder Bewegung anfangen zu weinen. „So ist gut.“ Joy nickt, dann schiebt sie mich sanft in einen kleinen angrenzenden Raum, in dem ein Röntgengerät aufgebaut steht. „Leg deinen Arm hier ab, genau. In Ordnung. Nicht bewegen, bis ich wieder komme.“ Das Röntgen geht schnell. Als Joy zurückkommt, zieht sie mir die Bleiweste aus und setzt mich auf einen Stuhl, bevor sie beginnt, mein Handgelenk zaghaft zu betasten und mir einen Gips anzulegen. „Du hast nochmal Glück gehabt“, sagt sie, während sie die feucht-kühlen Streifen um mein Handgelenk, meine Hand und meinen Unterarm wickelt. „Ein glatter Radiusbruch, der verheilt in sechs Wochen, wenn du ein bisschen aufpasst. Solange trägst du bitte den Gips. Danach reicht ein einfacher Verband aus.“ Als sie fertig ist, tut mein Handgelenk immer noch weh, aber der Gips, der auf meiner Haut getrocknet und hart geworden ist, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. „So.“ Joy lächelt mir zu. „Jetzt fehlt nur noch dein Gesicht.“ Die Schürfwunden in meinem Gesicht und auf meinen Händen sind nur halb so schlimm, nachdem sie ordentlich gereinigt wurden. Ich werde die nächsten Tage zwar eine Menge Krusten im Gesicht haben, aber ich bin schon mit Schlimmerem fertig geworden. Was mich wirklich wurmt, ist dass ich mit nur einem Arm meinen Job bei Cornelia pausieren werden muss. Und das so kurz vor der Begleichung meiner Schulden! Joy hilft mir noch, meine Klamotten anzuziehen, dann gibt sie mir meine Pokébälle zurück. Sie zögert einen Moment. „Dein Evoli hat keinen großen Schaden davon getragen, wenn man bedenkt, dass sie fast 25 Level niedriger als ihr Gegner war. Damit hattet ihr verdammt Glück. Eine physische Attacke hätte sie schwer verletzen können. Ich hoffe, du hast sie nicht in den Kampf geschickt.“ „Ihr Pokéball hat sich bei meinem Fall geöffnet“, sage ich. „Dann hat sie sich vor mich gestellt.“ Joy nickt wissend. „Sie wirkte sehr verstört. Du solltest sie erst langsam wieder ans Kämpfen gewöhnen. Und gib ihr viel Zuneigung. Das ist das beste Heilmittel.“ „Werde ich.“ Ich schaue zu meinem Rucksack. „Muss ich die Nacht hier bleiben?“ Der Gedanke, hier auf der Krankenstation zu schlafen, mit dem Gepiepe und dem Wissen, dass all die anderen Trainer über mir schlafen, behagt mir gar nicht. „Ich habe alles getan, was ich konnte“, sagt Joy. „Wenn du irgendwo unter kommen kannst, bist du selbstverständlich frei, zu gehen. Ich würde dich aber bitten, dich von Julius begleiten zu lassen, für den Fall, dass dir doch noch schlecht wird oder ein verspäteter Schock einsetzt.“ „Muss das sein?“, frage ich und denke wehmütig an das HQ, das ich wohl kaum mit fremder Begleitung betreten kann, ohne unangenehme Fragen beantworten zu müssen. „Keine Wiederrede“, sagt Joy streng. „Das ist meine Bedingung oder mir fällt doch noch ein Grund ein, warum ich dich unter Beobachtung behalten sollte.“ „Okay, okay“, murmele ich. „Ich nehme den Bodyguard.“ Julius, der in dem Moment im Türrahmen auftaucht, verschränkt breit grinsend die Arme. „Schön zu hören.“   Meinen gegipsten Arm in einer Schlinge verstaut und mit einigen Pflastern im Gesicht, folgen Julius und ich der Hauptstraße in Richtung Kaufhaus und KPA. Eigentlich möchte ich in meinem jetzigen Zustand nicht von Agnes gesehen werden, aber wenn ich es nicht schaffe, Julius vorher abzuwimmeln, wird mir kaum etwas anderes übrig bleiben. Zumindest scheine ich keine Gehirnerschütterung davon getragen zu haben. Bei der beschissenen Art, wie mein Feierabend verlaufen ist, ist mir jedes bisschen Optimismus recht. „Was machst du in Prismania City?“, frage ich nach einer Weile, um das Schweigen zu brechen. Julius denkt einen Moment nach. „Ich bin auf dem Weg nach Lavandia, aber irgendwie werde ich immer auf der Durchreise aufgehalten“, sagt er lachend. „Was willst du in Lavandia?“ „Der Fernsehturm ist dort“, sagt Julius. „Ich will mit einer richtig guten Story aufkreuzen, aber bisher bin ich nicht fündig geworden. Es ist verdammt schwer, etwas Gutes aufzuschnappen.“ „Jetzt echt?“, frage ich begeistert. „Ich will freiberufliche Reporterin werden, aber mir kommt auch dauernd was dazwischen!“ „Es ist so schwer!“, stimmt Julius enthusiastisch zu. „Oh Mann, ich habe noch nie jemanden getroffen, der dasselbe Ziel hat.“ Dann grinst er schelmisch. „Dann sind wir wohl Rivalen, was?“ „Scheint so“, sage ich grinsend. „Keine Sorge, ich habe meine Story schon. Du kannst die Reste haben.“ „Großzügig“, meint Julius und beginnt zu pfeifen. Je näher wir Agnes´ Wohnung kommen, umso nervöser werde ich. Ich will, dass wenigstens sie sich keine unnötigen Sorgen um mich macht. In Gips und Pflastern verpackt bei ihr aufzutauchen, könnte selbst sie davon überzeugen, dass meine Reisen zu gefährlich sind. Aber ins HQ kann ich nicht und ich habe sonst niemanden, zu dem ich kann. Außer… Wir gehen an Agnes´ Wohnung vorbei. Julius gähnt und schaut auf seine Armbanduhr. „Mann, schon so spät… Wann sind wir da?“ „Gleich“, versichere ich ihm. „Es ist das Hochhaus da hinten.“ Julius reckt den Kopf. „Ah, das ist wirklich nicht mehr weit.“ Ich atme tief durch, bevor ich die Klingel drücke. Es ist ein ziemliches Risiko, aber was wäre das Leben ohne ein paar spontane Dummheiten? „Was denn?“, erschallt Günthers kratzige Stimme in der Leitung. „Opa, hier ist Abby“, plappere ich los. „Ich brauche dringend eine Schlafmöglichkeit, lässt du mich bitte rein?“ Stille. Julius hüpft von einem Fuß auf den anderen und atmet kleine weiße Wölkchen in die Luft. Als Günther nichts sagt, schaut er mich fragend an. Plötzlich erschallt ein Sirren, als die Tür sich entriegelt. Fassungslos schaue ich auf die Tür, drücke mich dann dagegen und zucke zusammen, als die Bewegung sich direkt auf meinen Arm auswirkt. Julius hilft schnell nach. „Dann gute Besserung“, verabschiedet er sich. „Vielleicht sehen wir uns ja in Lavandia oder sonst wo.“ „Das hoffe ich doch“, sage ich. Er verschwindet aus meinem Sichtfeld und ich atme erleichtert aus, bevor ich die Treppen hinauf zu Günthers Wohnung schlurfe. Theoretisch hätte ich jetzt die Möglichkeit, zum HQ zu gehen, aber mir ist nicht mehr nach Gehen zu Mute. Mein Arm pocht, mein Gesicht brennt und ich bin todmüde. Jetzt nochmal eine Stunde durch Schnee und Eis zu stapfen, will ich mir nicht antun. Günther wartet bereit im Türrahmen, einige fiese Worte auf den Lippen, aber als er mein Gesicht und meinen Arm sieht, schnaubt er nur und tritt zur Seite, um mich einzulassen. Nie bin ich jemandem dankbarer gewesen. Er verschwindet in der Küche und lässt mich alleine im Flur stehen. Müde und nun doch ein bisschen wacklig auf den Beinen, ziehe ich meine Jacke und meinen Rucksack aus, schleppe mich in sein Wohnzimmer und lasse mich vorsichtig in die tiefen Polster des Sofas sinken. Mein Arm pocht höllisch. Einige Minuten später kommt Günther zurück, ein Tablett mit Tee und Broten in den Händen, das er vor mir auf den Tisch stellt. Die Frage, warum er mich plötzlich so anders behandelt, liegt mir auf den Lippen, aber ich habe Angst, mein Glück zu überstrapazieren und beiße stattdessen in eins der Brote. Als ich fertig mit Essen bin, lehne ich mich nach hinten und schließe die Augen. „Du kannst das Sofa haben“, knurrt Günther und ich öffne die Augen, während er sich mit Hilfe seines Krückstocks erhebt. „Morgen bist du dann hoffentlich weg.“ „Vielen Dank, Günther“, sage ich. Dann, weil ich mich nicht mehr zurück halten kann, hake ich nach. „Aber warum hast du mich überhaupt rein gelassen?“ „Wenn ein junges Ding wie du mich mitten in der Nacht panisch Opa nennt und meine Hilfe anfordert, dann lasse ich sie nicht draußen stehen. Und so wie du aussiehst, hatte ich Recht.“ Er verlässt das Wohnzimmer und verschwindet in seinem Schlafzimmer. Ich seufze, suche mir eine Decke und mache es mir dann auf dem Sofa bequem, was mit einem zugegipsten Arm nicht ganz einfach ist. Ich rolle mich eine Weile, umher, dann greife ich nach Priss´ Pokéball und rufe sie. Sie materialisiert sich neben dem Sofa, sieht sich erschrocken um und schaut mit großen Augen zu mir auf. Sie zittert am ganzen Körper. Ich ziehe die Decke hoch und sie springt sofort zu mir aufs Sofa, wo sie sich in meine Armbeuge zwängt, den Kopf unter meinem Arm versteckt, und sich dort so klein wie möglich macht. „Danke, dass du mich beschützen wolltest“, flüstere ich und ziehe die Decke über uns. „Aber du musst dich nicht für mich in Gefahr bringen. Du hast Teammitglieder, die stark sind und uns beschützen werden. Zumindest das nächste Mal. Okay?“ Sie brummt leise. Dann schläft sie ein und ich mit ihr.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)