Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 86: Erste Eskalation (Nasse Pfoten) ------------------------------------------- Ryan beginnt seine Arbeit gleich am nächsten Morgen. Für die Nacht hat er sich einen unserer frisch erworbenen Schlafsäcke geliehen, den er jedoch erst spät in der Nacht in Anspruch nimmt, stattdessen hält das kontinuierliche Tippen auf seinem Laptop mich bis spät nach Mitternacht wach. Er schläft dementsprechend lange, aber als ich nach meinem morgendlichen Spaziergang mit Priss im Park zurückkehre, finde ich niemanden im Gemeinschaftsraum vor und nehme, trotz Darks Warnung, die Treppe ins zweite Untergeschoss. Das Kellergeschoss ist zum größten Teil ein einziger, gewaltiger Raum, dessen Fliesenboden gut in Schuss zu sein scheint, auch wenn er seit Jahren nicht geputzt wurde. Ryan hat sich mitsamt Laptop irgendwie in einen großen Kasten voller Kabel eingeschleust und steht regelmäßig auf, um diese zu überprüfen, Beschriftungen anzubringen oder seinen Laptop neu anzuschließen. Als ich ihn frage, ob ich helfen kann, wirft er mir nur einen ungläubigen Blick zu und macht eine wedelnde Handbewegung. Ich nehme den nicht ganz subtilen Hinweis zur Kenntnis und verschwinde zurück nach oben. Meine Schicht bei Cornelia ist anstrengender als gewöhnlich, die Kundschaft, die ohne Unterlass in ihre Teestube strömt, verlangt uns alles ab und als Cornelia um sieben Uhr endlich auch die hartnäckigsten Besucher abkassiert hat, ruhen wir über einer Tasse Tee unsere Füße aus. "Na, das war ein Andrang", kommentiert Cornelia das Ganze und krault Flampions kleine Füßchen, die es ihr von ihrem Schoß aus entgegen streckt. "Kannst du laut sagen", stimme ich zu. "Habe ich morgen frei?" "Ach, eine Woche und schon machst du schlapp?", fragt sie angriffslustig und schiebt mir meine Bezahlung zu. "Am Wochenende ist Schicht wie immer, du kannst am Montag faulenzen." Ich nehme die Information stumm hin und nippe an meinem Tee. "Übrigens", fährt Cornelia fort. "Ich hatte heute Morgen eine Kundin, die mich nach jemandem mit deiner Beschreibung und zufällig auch deinem Namen gefragt hat. Sie meinte, du trinkst gerne Tee und wärst vielleicht hier vorbei gekommen." "Wer?", frage ich. Alles in mir verkrampft sich. Meine Mutter weiß, wohin ich gegangen bin. Würde sie mir bis hierhin folgen? "Eine Frau, um die vierzig, deine Haarfarbe, schlank. Sie scheint Dozentin an der KPA zu sein." Ich entspanne mich augenblicklich. "Agnes", sage ich. "Meine Tante." "Warum sucht sie nach dir?", fragt Cornelia. "Du bist doch wohl nicht aus der Akademie geflogen?" "Nein, nein." Ich zögere, nicht sicher, ob ich ihr die Wahrheit erzählen soll oder nicht. Schließlich entscheide ich mich für das Risiko. "Ich bin von zu Hause abgehauen, sozusagen." Cornelia schüttelt den Kopf. "Ihr Kinder mit euren Flausen im Kopf", sagt sie und lässt das Thema damit auf sich beruhen. Als ich mich jedoch später verabschiede, legt sie unbeholfen eine Hand auf meine Schulter. "Ich war mit Sicherheit keine sehr sentimentale Mutter", beginnt sie, "aber selbst ich freue mich über Anrufe von meiner Tochter und einen Besuch von meinem Enkel." Auf meinem Weg zum abendlichen Training mit Gott hallen ihre Abschiedsworte in meinen Gedanken nach und kurz bevor ich die Stadt verlasse, drehe ich um und mache mich auf den Weg zu Agnes´ Wohnung. Sie wohnt nahe der KPA in einem von Prismanias zahlreichen Hochhauswohnungen, aber ich bin schon oft hier gewesen und finde ihr Klingelschild selbst in der Dunkelheit. Die Sprechanlage erwacht zum Leben und Agnes müde Stimme ertönt. "Wer ist da?" "Ich bin´s", sage ich. "Abby." Die Sprechanlage geht aus und die Eingangstür öffnet sich sirrend. Es sind nur zwei Treppen, die ich nehmen muss und Agnes wartet bereits an der Tür auf mich. Als sie mich sieht, kommen ihr die Tränen und sie nimmt mich fest in den Arm. "Oh Abby, komm rein, komm rein", sagt sie und schiebt mich in ihr Apartment. Keine zwei Minuten später sitzen wir über Salat und Saft an ihrem Esstisch. "Ich dachte, du bist dieses Mal wirklich verschwunden", gesteht sie nach einer Weile. "Nachdem du weg geflogen bist, hat Natalie mich völlig fertig angerufen. Bernhard hat dann irgendwann übernommen und was er mir berichtet hat, war wirklich furchtbar." "Ich konnte einfach nicht mehr da bleiben!", sage ich, verzweifelt, zumindest Agnes meinen Standpunkt verständlich zu machen. "Sie hat mich eingesperrt, sie wollte mich nicht gehen lassen und ich habe so viele Dinge, die ich noch erledigen muss. Wir haben nur gestritten! Sie hat nicht mal versucht, mich zu verstehen. Als sie dann gedroht hat, meine Pokémon wegzunehmen, sind meine Sicherungen durchgegangen!" "Ich kann dich ja verstehen, Abby", sagt Agnes, aber ich unterbreche sie sofort. "Nein, kannst du nicht", sage ich hitzig. "Ihr könnt mich alle nicht verstehen. Ich weiß, dass ihr es gut meint, sogar Mama meint es gut, aber ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr so leben wie früher, Agnes. Ich habe mir Feinde gemacht, meine Pokémon sind mehr als einmal von mir gestohlen worden und ich bin so oft entführt oder eingesperrt worden… Wenn meine Mutter dann genau das macht, um mich zu erziehen, dann drehe ich durch!" "Ich frage mich inzwischen, was du auf deiner Reise durchmachen musstest, um solche Ängste zu entwickeln", sagt Agnes, aber bei ihr klingt es mitfühlend, nicht anklagend. "Und auch, wenn du es nicht glaubst, ich verstehe, warum du so gehandelt hast. Aber als Natalies Schwester mache ich mir auch um sie Sorgen. Mayas Abreise kam für sie unerwartet und ihrer Meinung nach zu früh, aber Maya ruft jede Woche an, schickt regelmäßig Post und Natalie weiß, dass sie mit ihrer Ausbildung gut aufgehoben ist. Du meldest dich monatelang nicht und wenn, nur sporadisch, kommst zurück mit all diesen… Narben, physisch und psychisch, und rennst weg, sobald sie dich zu Hause halten will. Sie hat wahnsinnige Angst und glaub mir, dass in diesem Fall du das nicht verstehen kannst." "Du hast Recht", sage ich kleinlaut. "Aber ich werde nicht nach Hause zurück gehen, zumindest nicht, bevor Mama akzeptiert, dass ich gehen darf, wann immer ich will und ich keine Gefangene bin, die sie dort festhalten kann." "Ich werde mit Natalie darüber reden", stimmt Agnes zu. "Bleibst du für´s erste in der Stadt?" Ich nicke. "Ich habe einige Angelegenheiten zu erledigen. Ich bin mindestens bis März hier oder zumindest in Saffronia." "In Ordnung. Dann bitte, schreib Natalie zumindest eine Mail und ich kümmere mich um alles Weitere. Bist du gut unter? Hast du einen Ort zum Schlafen? Im Pokécenter habe ich schon nachgefragt, aber man sagte mir, du hast dort nur eine Nacht eingecheckt und kommst abends regelmäßig vorbei." Ich denke an das Versteck unter der Spielhalle, in dem früher Team Rocket gehaust hat und in dem ich jetzt mit drei Jungen und einem Mädchen, die alle nur spärlich kenne, in einem Raum schlafe. "Ich bin unter", sage ich grinsend. "Keine Sorge."   Ob Agnes meiner letzten Versicherung Glauben schenkt, weiß ich nicht, aber ich bin sicher, dass allein mein Besuch sie so erleichtert hat, dass ihr der Rest erstmal egal ist. Bevor ich ins Hauptquartier zurückkehre, lege ich einen Zwischenstopp auf Route 7 ein, um Gott und den anderen zumindest ein bisschen Auslauf zu geben und mache mich danach auf den Weg zum Pokécenter, wo ich die drei durchchecken lasse und Mama eine kurze aber meiner Meinung nach beruhigende Mail schreibe. Wie erwartet ist mein Postfach von ihren Nachrichten schon überfüllt, aber obwohl es so viele sind, nehme ich mir dieses Mal die Zeit, jede einzelne sorgsam zu lesen, um mich besser in ihre Ängste hinein zu versetzten. Denn in einem hatte Agnes Recht: Mama mag meinen Standpunkt nicht verstehen, aber ihren verstehe ich genauso wenig. Auf dem Weg zurück zur Spielhalle begegne ich einer ganzen Menge Betrunkener, die durch die Straßen torkeln und dasselbe Ziel wie ich zu haben scheinen. Nach der ersten merkwürdigen Bemerkung rufe ich Sku, die nur drohend ihren Schweif heben muss, um im Umkreis von zehn Metern einen Freiraum zu schaffen und als ich sicher bin, dass mir niemand zu nahe kommen wird, rufe ich auch Priss. Sie macht ein unglückliches Gesicht, als sie Sku sieht, ordnet sich aber automatisch unter. Ich habe ihren Level nicht überprüft, aber ich bezweifle, dass sie jemals einen Kampf bestritten hat oder einen höheren Level als 5 besitzt. Meine Erziehungstaktik scheint Früchte zu tragen, denn obwohl Priss mit Ekel über die nicht ganz sauberen Bordsteine des Südviertels tapst, versucht sie weder, in meine Kapuze zu fliehen, noch mich anzugiften. Ein einziges leises Fauchen von Sku hält sie ohne Probleme in Schach. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, die gleiche Autorität auszustrahlen wie meine älteste Freundin.   Bis Montag verstreichen die Tage ohne weitere Zwischenfälle. Ryan arbeitet scheinbar unermüdlich an der Deaktivierung der Fallen und der Übernahme des gesamten Netzwerks, das die Rockets errichtet haben und ist zu allen anderen Zeitpunkten mit Instant-Nudelsuppen oder Dosenkaffee an seinem Laptop zu Gange, in dem er Programme laufen lässt und nebenbei an kleinen Geräten herumwerkelt, die ein wenig wie ein zusammengeschusterter Walkie-Talkie-Pokédex aussehen. Jede Frage zu seiner Arbeit ignoriert er, nur Dark unterhält sich manchmal leise mit ihm oder lässt sich die Fortschritte erklären. Jayden und Chris sind bereits Freitagmorgen abgereist und kommen mitten in der Nacht zum Montag heim, gerade rechtzeitig, um Ryans lauten Freudenschrei zu hören, der mich aus meinem Schlaf hochschrecken und in instinktiver Panik nach meinen Pokébällen greifen lässt. Selbst Dark wird so überrascht, dass Hundemon in Reaktion auf seinen Trainer eine Feuersbrunst in seinem Maul aufflammen lässt. Von deren Benutzung hält Dark es glücklicher Weise im letzten Moment ab, sonst wäre aus Team Shadow ganz schnell Team Kokel geworden. "Ich hab´s!", wiederholt Ryan, ungeachtet der Gefahr, in die er uns alle gebracht hat und dreht sich euphorisch auf seinem Stuhl zu uns um. Jayden und Chris, die mit frischen Kratzern, Brandblasen und Schürfwunden im Eingang stehen und so aussehen, als würden sie jeden Moment stehend einschlafen, starren ihn mit rot umrandeten und ausdruckslosen Augen an. "Was", fragt Jayden schließlich, ohne es wie eine Frage klingen zu lassen. Ich zwinge mich, meinen Pokémongürtel loszulassen, was mir mit meinen zittrigen Fingern nur schwer gelingt und auch Dark atmet einmal lang aus, bevor er wieder Herr über seine Mimik ist. "Was hast du geschafft?", fragt er Ryan. "Ich bin drin", erklärt er und rückt seine leicht verrutschte Brille gerade. "Ich habe mich in das Rocket Netzwerk der Spielhalle eingehackt, die Sicherheitsbarrieren umgangen, die Administratorrechte ausgehebelt und umgeleitet und die Passwörter geändert." "Und jetzt?", frage ich. Er sieht mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er ein Pokémon ist. "Tut mir leid, dass nicht jeder ein Computergenie ist", verteidige ich mich. "Ich habe außer der Registrierung meiner Trainer-ID noch nie etwas anderes gemacht, als Mails zu verschicken oder auf meine Items zuzugreifen und dabei hatte ich Hilfe." "Das heißt", sagt Ryan betont langsam, "dass ich die Fallen in Stockwerk zwei und drei über ein Passwort aktivieren und deaktivieren kann, dass ich die Tür oben in der Spielhalle von hier aus verriegeln und öffnen kann und dass ich Passwörter für den Aufzug generieren kann, die euch per Computer auf die S-Coms zugesendet werden, an denen ich seit Donnerstag arbeite. Sonst eigentlich nichts." "Danke für die Erklärung", erwidere ich mürrisch, aber meine schlechte Laune verfliegt sofort, als ich Hundemons freudestrahlende Gesichtszüge sehe, woraufhin ich sofort zu Dark schaue, um dessen Mundwinkel ein feines Lächeln spielt. "Sehr gut", sagt er. "Das wird uns vieles erleichtern." "Ja", sagt Jayden, tritt ein, rollt seinen Schlafsack aus und legt sich ohne einen weiteren Kommentar hinein. "Das klingt hilfreich", fügt Chris hinzu, bevor sie sich in ihrem eigenen Schlafsack verkriecht und auf einem Sofa hinlegt. Keine Minute später erfüllt das regelmäßige Atmen der beiden den Raum.   Nachdem wir alle ausgeschlafen haben, verbringt Team Shadow den gesamten Montag in heller Aufregung. Wir sind dabei, als Ryan die Stockwerke zwei und drei offiziell freigibt und die Fallen darin mit seinem Adminpasswort deaktiviert und machen uns danach auf, die zahlreichen Räume zu erkunden, die uns bisher verwehrt geblieben sind. Ryan sucht sich einen Raum als Schaltzentrale aus, in der schon früher alle technischen Dinge geregelt wurden und in die er nun mit neu gewonnenem Tatendrang sofort samt Laptop und Schlafsack umzieht. Als der Rest von uns ebenfalls Räumlichkeiten ausfindig gemacht hat, beschließen wir, dass Dark als Anführer ein eigenes Zimmer zusteht; der Rest von uns erklärt sich mit zwei oder drei Personen pro Schlafeinheit zufrieden und so verlassen wir alle den Gemeinschaftsraum, der nun ausschließlich für Besprechungen und gemeinsame Treffen zur Verfügung steht. Nachdem wir alle Schleichwege innerhalb des Kellers und die neuen Passwörter für den Aufzug verinnerlicht haben, machen Jayden, Chris und ich uns auf, neue Möbel, Heizplatten und andere Sachen im Kaufhaus zu kaufen. Das heißt, Jayden und Chris kaufen. Ich laufe nur mit und berate. Mit zahlreichen Tüten bepackt und den Lieferscheinen für zusätzliche Betten, die wir in den nächsten Tagen abholen müssen, machen wir uns auf den Rückweg durch den Park. "Warum wart ihr heute Nacht so fertig?", frage ich schnaufend und ändere meinen Griff um die Plastiktüten. Priss sitzt, leider, wieder in meiner Kapuze und beißt mich ins Ohr, wenn ich mich zu ruckartig bewege. "Da ist doch- au! Da ist doch ein Pokécenter am Fuß des Silberbergs, oder nicht?" "Klar ist da eins", meint Jayden. "Ist nur im Winter nicht besetzt." "Die wenigsten Trainer wagen den Aufstieg im Sommer, geschweige denn im Winter", fährt Chris mit einem Hauch Selbstzufriedenheit fort. "Außerdem wäre es Zeitverschwendung, jede Nacht wieder hinunter zu klettern." "Wir hatten nur ein Wochenende, also haben wir uns gedacht, Schlafen können wir später." "Ihr habt von Freitag bis Sonntag durchgemacht?", frage ich geschockt. "Mit Bergaufstieg und Training und allem?" "Wir haben in einigen der Höhlensystem geschlafen, wenn wir zu müde wurden", sagt Chris. "Aber es ist kalt und feucht und wir haben nicht besonders viel Erholung bekommen." "Und natürlich wimmelt es da drin von blutrünstigen Pokémon", sagt Jayden und grinst breit. "Aber die meiste Zeit haben wir trainiert." "Hat sich das wenigstens rentiert?", frage ich skeptisch. Einige Stunden mit meinen Pokémon zu trainieren finde ich schon anstrengend genug. Aber ohne Pause drei Tage durch zu machen, ohne Zufluchtsort, umringt von wilden Pokémon? Nein, danke. "Bei Glurak hat´s nicht zum nächsten Level gereicht, leider", sagt Jayden. "Aber Ho-Oh ist gut vorangekommen, oder?" Chris nickt und scheint von innen zu strahlen. "Ein ganzer Level", sagt sie. "Unfassbar", murmele ich. Raphael hatte mir gesagt, dass das Training auf den höheren Leveln schwerfälliger wird, aber so schwerfällig? Plötzlich gibt Priss ein angewidertes Maunzen von sich und verkriecht sich tiefer unter meiner Mütze. Dann fallen die ersten Schneeflocken. "Das hat ja gerade noch gefehlt", murmelt Jayden, aber Chris lächelt und schaut in den Himmel. "Ich mag Schnee", stellt sie sachlich fest und würde ich sie nicht schon eine Weile kennen, wäre mir über ihren Tonfall die eigentliche Bedeutung ihrer Worte entgangen. Plötzlich ertönen von weiter am Ende des Parks Schreie. Einige der Leute, die zu dieser Uhrzeit zu einem Spaziergang unterwegs sind, schauen sich um und ich muss nur einige Sekunden den Platz mit meinen Augen überprüfen, bevor ich eine kleine Gruppe auf der Brücke sehe, die den Zentralpark mit dem Südviertel verbindet. Der Schrei wiederholt sich nicht, aber rote Lichtblitze spiegeln sich in den weißen Schneeflocken wider und ich werfe nur einen kurzen Blick zu Jayden und Chris, bevor wir geschlossen loslaufen. Mit den Tüten, die uns von den Handgelenken baumeln und gegen unsere Beide schlagen, brauchen wir ein wenig länger, aber als wir näher kommen, bin ich die einzige, die außer Atem ist. Zu viel Zeit, die ich ohne Sprints durch unwegsames Gelände oder lange Schwimmeinheiten verbracht habe, scheint meine Ausdauer ruiniert zu haben. Und ich war so stolz. "Lasst mich!", ruft ein Junge, der rückwärts auf der Brücke gestürzt ist und sich ängstlich umsieht. Er trägt die dunkelblaue Uniform der KPA und wird von drei Trainern in Schach gehalten, deren Pokémon ihn umringen und bedrohlich mustern. Jaydens Gesichtsausdruck verfinstert sich schlagartig und ich erkenne in ihm wieder den unnahbaren Trainer, der damals Louis eine Lektion erteilt hat, als der einen jüngeren Trainer herausgefordert hat, um an ein bisschen schnelles Geld zu kommen. "Jetzt bist du nicht mehr so überheblich, was?", fragt einer der Trainer, ein groß gewachsener Typ mit roter Wollmütze und genauso roter Windjacke. Ein Blanas hopst angriffslustig vor seinen Füßen auf und ab. Das Mädchen neben ihm spuckt dem KPA-Studenten vor die Füße. "Das hast du jetzt von deinem großen Maul, Streber." Ihr Zurrokex gibt ein zustimmendes Keckern von sich. Der dritte Junge schweigt, aber sein Papinella schwirrt durch die Luft und schlägt zeitweise sehr aufgeregt mit den Flügeln. "Ich habe schon zwei Kämpfe hinter mir!", protestiert der Junge aus der KPA. "Meine Pokémon sind erledigt, ich muss in ein Pokécenter." "Nichts da." Das Mädchen stützt eine Hand in ihre Hüfte. "Du hast auch ein Pokémon, also kämpfst du. Oder hast du keinen Mumm, weil du außer Bücher wälzen noch nichts zu Stande gebracht hast?" Jayden bleckt die Zähne, dann lässt er seine Einkaufstüten fallen und murmelt ein abwesendes Ich regle das, bevor er einen seiner Pokébälle hervorzieht. Chris, die genauso wütend wie er aussieht, stellt ihre Taschen ebenfalls ab, macht aber keine Anstalten, in den Kampf eingreifen zu wollen. Priss setzt sich neugierig unter meiner Mütze auf, ihre kleinen Pfoten ziepen vor Aufregung an meinem Haar. "Hey, Kiddies", ruft Jayden und vier Augenpaare wenden sich ihm zu. "Darf ich mitspielen?" "Was willst du, Alter?", fragt der mittlere Junge, der sich als Anführer des Grüppchens zu fühlen scheint. "Verzieh dich." "Ihr seid Trainer, oder nicht?", fragt Jayden. "Kommt schon. Ich fordere euch heraus." "Fick dich, Junge!", faucht das Mädchen und ihr Zurrokex wendet sich von dem KPA-Jungen ab, der erleichtert ausatmet. Jayden aktiviert seinen Pokéball und wie damals taucht in gleißend rotem Licht Aquana vor seinen Füßen auf, den kräftigen, blau geschuppten Schwanz um ihre Pfoten geschlungen und einen gelangweilten Ausdruck im Gesicht. "Surfer", sagt Jayden ohne jede Intonation und Aquana erhebt sich mit einer fließenden Eleganz, bevor sie eine grazile, schwingende Bewegung mit ihrem Schweif durchführt. Die anderen Trainer rufen ihren Pokémon Befehle zu, offensichtlich der Meinung, es mit einem herkömmlichen Aquana zu tun zu haben, aber die Flutwelle, die sich zu beiden Seiten der Brücke erhebt und dann mit tosender Gewalt über Trainer und Pokémon herein bricht, überzeugt sie schnell vom Gegenteil. Als das Wasser zurückfließt, liegen alle Pokémon besiegt am Boden und die Trainer röcheln und husten und spucken Wasser auf das Holz der Treppe. Den KPA-Studenten hat es auch erwischt, aber er ist schon aufgesprungen und geflohen. Die Trainer rappeln sich nach dem anderen auf, werfen Jayden einen vernichtenden Blick zu und laufen davon. "Das ist unsere Stadt!", schreie ich ihnen hinterher. "Team Shadow ist überall, merkt euch das!" Das Gewicht auf meinem Kopf verstärkt sich und ist dann plötzlich weg, als Priss zu Boden springt und sich vorsichtig Aquana nähert. Sie streckt eine Pfote nach dem Pokémon aus, das seinen Kopf dreht und bei dem Anblick seiner früheren Entwicklungsstufe freundlich, wenn auch unnahbar, den Kragen spreizt. Priss schnurrt wohlig, macht einen weiteren Schritt nach vorne - und springt panisch davon, als ihre Pfote eine Wasserpfütze berührt. Sie faucht das Wasser an und flüchtet sich hinter mich. "Angst vor Wasser?", frage ich belustigt. Dann fällt mir der Wasserstein in meinem Rucksack ein und die Angelegenheit ist plötzlich gar nicht mehr so lustig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)