Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 85: Zickenalarm (Leidenschaft aus Verzweiflung) ------------------------------------------------------- Meine erste Nacht in der Spielhalle ist nicht unangenehmer als einige Nächte, die ich draußen verbracht habe, trotzdem fühlt es sich merkwürdig an. Chris hat mir angeboten, statt ihr auf dem Sofa zu schlafen, aber ich habe dankend abgelehnt, schließlich scheine ich die einzige der Gruppe zu sein, die einen Schlafsack besitzt. Am nächsten Morgen mache ich mich früh auf den Weg zum Kaufhaus, um mir ein billiges Frühstück zu kaufen und die Stadt ein zu erkunden. Während ich durch den Zentralpark schlendere, wird meine Aufmerksamkeit auf einen kleinen Menschenauflauf gelenkt, der sich am Springbrunnen gebildet hat. Unsicher nähere ich mich dem Trainergrüppchen, das sich bei genauerem Hinsehen als eine Mischung aus Trainern und KPA-Studenten entpuppt. Die Beleidigungen prasseln von allen Seiten auf die Jugendlichen herab und ich mache einen große Bogen um die Gruppe, auch wenn einige der Anschuldigungen ziemlich kreativ klingen. Im Kaufhaus schlendere ich durch die verschiedenen Stockwerke und schaue mir all die Dinge an, für die ich kein Geld habe, doch dann werde ich stutzig. Auf dem dritten Stockwerk werden, wie immer, die verschiedenen Evolutionssteine angeboten. Der Anblick der geschliffenen Steine weckt Erinnerungen an hochsommerliche Tage in Dukatia City. An meinen Ausflug zum Nationalpark mit Caro. Meine Besuche bei Karin. Karin… Das Evoli. Panisch reiße ich meinen Rucksack auf, ohne Rücksicht auf die anderen Kunden, die mich verstört oder misstrauisch beäugen. Er muss hier noch irgendwo sein… Da. Zerknittert, zusammen gedrückt, schmutzig und mit einigen Rissen, finde ich Karins Vollmacht in den tiefsten Tiefen meines Rucksacks. Den Wasserstein, den Caro mir gegeben hat, finde ich noch weiter unten in einer der Geheimtaschen, an die man sich später nicht mehr erinnert und dann wie verzweifelt nach seinen wichtigsten Gegenständen sucht. Erleichtert lasse ich mich auf den Boden sinken und starre beide Gegenstände an. Es ist so lange her, seit Karin mir das Evoli vermacht hat. Genug geshoppt. Es wird Zeit, das kleine Ding abzuholen. Ich laufe ins oberste Stockwerk, wo es neben den Getränkeautomaten auch eine kleine Backstation gibt, in der ich mir zwei Brezeln kaufe und damit zurück hinunter eile. Auf dem Weg nach draußen wird mir von einem Mann eine Handvoll Pokémonmasken in die Hand gedrückt, die wohl das Werbegeschenk von irgendeinen Arenaleiter sind, aber ich höre der Erklärung nur im Verbeilaufen zu und finde mich schon bald an der frischen Luft wieder. Ich stopfe die Masken, die in Form von Zwottronin-, Pikachu- und Chelastgesichtern sind, in meinen Rucksack und öffne die Wegbeschreibung, die Karin mir als zusätzlichen Zettel in dem Briefumschlag beigefügt hat. Das Wohnhaus, das Karin ausgeschildert hat, liegt eingequetscht zwischen einigen anderen Hochhäusern, nicht weit von dem Kaufhaus entfernt. Ich klingele und nach einigen Sekunden geht die Sprechanlage an. "Wer ist da?" "Entschuldigung für die Störung", beginne ich. "Mein Name ist-" Die Sprechanlage geht aus. Ich kneife die Augen zusammen, und klingele erneut. Wieder geht die Sprechanlage an. "Mein Name ist Abby und-" Aus. "Verfluchter...", murmele ich und drücke den Klingelknopf für fast eine Minute durch, bevor die Sprechanlage wieder angeht. "Was willst du von mir?", schreit der Mann und ich zucke zusammen. "Wenn sie mich ausreden lassen würden, wüssten sie das schon längst!", sage ich wütend. "Mein Name ist Abby und Karin hat mir ihre Adresse gegeben. Darf ich rein kommen oder sollen wir das so klären?" Schweigen. Dann geht die Sprechanlage aus und die Tür öffnet sich sirrend. Ich atme erleichtert aus und trete ein. Vor so einem Empfang hätte Karin mich ruhig warnen können. Mit dem Aufzug fahre ich ins siebte Stockwerk und suche nach der Tür mit dem richtigen Namen unter dem Klingelschild. Ich hätte mich nicht bemühen müssen. Ein kahlköpfiger Mann mit Krückstock und in Unterhemd, Jogginghose und Pantoffeln gekleidet wartet bereits auf mich. Kaum, dass ich mich genähert habe, schnappt er mir Karins Vollmacht aus der Hand und hält das zerknitterte Blatt Papier direkt vor sein Gesicht. Seufzend drückt er es mir wieder in die Hände und winkt mich unwirsch zu sich in die Wohnung. Der Mann, der laut Karins Adresse Günther Bröcklin heißt, wohnt in einer niedrigen Dachwohnung, die außer einem offenen Küchen- und Essbereich, einem winzigen Schlafzimmer und einem noch winzigerem Bad keine Räume aufweist und so aussieht, als wäre sie seit mindestens dreißig Jahren nicht mehr renoviert worden. In einer Glasvitrine, die zwischen ausgebeultem Sofa und Esstisch Platz findet, entdecke ich einen einzelnen Pokéball. Genau dort steuert Günther hin, öffnet die Glastür und nimmt den Pokéball heraus. Er wiegt ihn lange nachdenklich in seinen Händen, dann dreht er sich abrupt um und reicht ihn mir. "Na nimm schon. Deswegen bist du schließlich hier." "Wollen sie nicht Tschüss sagen?", frage ich, aber er winkt ab. "Pah. Das Teufelsweib will ich nie wieder sehen. Jetzt nimm sie und raus mit dir." "Soll ich Karin Grüße ausrichten?", frage ich höflich, aber seine Miene verfinstert sich nur noch weiter. "Raus jetzt!", brüllt er und drängt mich aus der Tür. "Raus. Raus…" Müde schließt er die Tür hinter mir, kaum dass ich wieder im Flur stehe. Ein wenig unsicher, was der plötzliche Gefühlsausbruch zu bedeuten hatte, befestige ich den Pokéball an meinem Gürtel und mache mich dann auf den Weg zurück nach draußen in den kalten Vormittag. Als ich mich im Park eingefunden und sichergestellt habe, dass die KPA inzwischen wieder bei ihren Vorlesungen ist, nehme ich den Pokéball aus meinem Gürtel und öffne ihn. Der rote Lichtblitz verdichtet sich und im nächsten Moment sitzt ein sehr flauschig aussehendes Evoli vor mir. Große dunkle Augen schauen mich an und ich lächle. Na bitte. So schlimm ist die Kleine nicht. Das Evoli schnaubt und schaut pikiert zur Seite. "Hallo, Evoli", sage ich. "Ich bin deine neue Trainerin. Ist das okay für dich?" Evoli würdigt mich keines Blickes. Als ich erneut zum Reden ansetze, hebt sie ein Bein und beginnt, ihre Hinterläufe zu putzen. "Mich zu ignorieren, wird dich nicht weiter bringen", versuche ich es erneut. "Wollen wir ein Stück zusammen gehen?" Das Normalpokémon macht ein abfälliges Geräusch, setzt dann sein Bein wieder ab und begutachtet mich für einige Sekunden, bevor es aufsteht und davon stolziert. Mein Auge zuckt, aber ich zwinge mich zur Ruhe. Kein Problem, Abby. Alles unter Kontrolle. "Ich folge dir einfach unauffällig", meine ich und gehe Evoli hinterher, das kreuz und quer über den Zentralpark läuft und einige neidische Blicke auf sich zieht. Wenn die wüssten, worauf sie da neidisch sind. Eine halbe Stunde später, nachdem ihr klar wird, dass sie mich durch stures Umherlaufen nicht los wird, lässt Evoli sich auf einer Bank nieder und bedeckt mit ihrem buschigen braunen Schweif ihre Augen. "Eingebildetes, kleines Ding", murmele ich. "Weißt du, wie ich dich nennen werde?" Eins der langen Ohren zuckt. "Ich werde dich Priss nennen, weil du eine kleine Zicke bist", sage ich grinsend. Priss hebt empört den Kopf. "Gefällt dir der Name nicht?", frage ich. "Zu spät." Entrüstet setzt Evoli sich auf. "Jetzt schau mich nicht so an", sage ich. "Willst du noch hierbleiben oder soll ich dir unser vorläufiges Zuhause zeigen?" Priss schüttelt sich angewidert und springt von der Bank herab. Als ich jedoch Richtung Spielhalle losgehe, bleibt sie sitzen. Ich winke. Sie reagiert nicht. Ich rufe. Sie ignoriert mich. Frustriert gehe ich zurück. "Ich kann dich genauso gut in deinen Ball zurück rufen", warne ich sie. "Aber ich denke mir, dass du in letzter Zeit nicht viel Auslauf bekommen hast und da du mit mir viel unterwegs sein wirst, wollte ich dir ein bisschen die Stadt zeigen. Kommst du nun oder kommst du nicht?" Priss reckt mir ihr Köpfchen hochnäsig entgegen, dann setzt sie sich auf die Hinterbeine und macht sehr eindeutige Gesten mit ihren Vorderpfoten. "Ich soll dich tragen?", hake ich nach. "Nachdem du wer weiß wie lange in dem Pokéball festgesessen hast?" Sie gibt ein vorwurfsvolles Maunzen von sich und reckt sich ein wenig höher. "Fein…", murmele ich und hebe das kleine Fellknäuel in meine Arme, von wo aus Priss meine Schulter entlang klettert und sich unter meine Ohrenklappmütze quetscht, bis nur noch Kopf und Schwanz herausgucken. "Damit das klar ist", sage ich und schiele nach oben. "Das ist eine Ausnahme. Das nächste Mal läufst du." Priss gibt ein Geräusch von sich, das beinahe wie ein Kichern klingt. Ich seufze ergeben und mache mich auf den Rückweg.   Unser HQ finde ich verlassen vor. Chris und Jayden sind vermutlich inzwischen auf dem Weg zum Kaufhaus für ihren Großeinkauf und wo Dark sich rumtreibt, weiß ich nicht. Ich setze Priss in unserem Gemeinschaftsraum ab und lasse sie ein wenig die Räumlichkeiten erkunden, während ich es mir auf einem der Sofas gemütlich mache und Louis per SMS über meine bisherigen Erfahrungen in Prismania City berichte. Ich will gerade eine mehr oder weniger überzeugende Flickengeschichte über Dark zusammenbasteln, da rast Evoli unter einen Tisch und ich drehe erschrocken den Kopf zum Eingang. Dark steht an die offene Tür gelehnt und beobachtet mich aufmerksam. "Wem schreibst du?", fragt er und bringt Hundemon mit einem leisen Pfeifen zur Ruhe, als es die Zähne in Richtung Priss fletscht und bellt. "Meinem Freund", erwidere ich, gereizt. "Das wird wohl noch erlaubt sein." "Solange du mich außen vor lässt, ist es das auch", erwidert Dark gelassen und lässt sich dann gegenüber auf ein Sofa fallen. "Wo warst du?", frage ich nach einer kurzen Weile. "Das geht dich nichts an, oder?", fragt er. "Es geht dich auch nichts an, wem ich schreibe", sage ich leise. "Aber wenn wir ein Team bilden, wenn wir einen Deal machen wollen, dann müssen wir uns zumindest ein bisschen vertrauen, oder?" Dark dreht den Kopf und beobachtet mich einen Moment. Dann, ohne Vorwarnung, setzt er sich auf. "Zeig mir, was in deinem Rucksack ist." "Was?" Ich greife meinen Rucksack und halte ihn fest an mich gedrückt. "Warum?" "Vertraust du mir nicht?" "Ich vertraue dir… ein bisschen", sage ich langsam. "Das heißt nicht, dass ich dich in meinen Sachen rumschnüffeln lassen will." Dark schmunzelt. "Das hast du gut formuliert." Zu spät fällt mir auf, dass ich in seine Falle getappt bin. "Das ist etwas anderes", sage ich, aber Dark schüttelt den Kopf. "Für mich wäre es genau dasselbe." "Also gut", sage ich wütend, hieve meinen Rucksack auf den Tisch und beginne, ihn auszuräumen. Dark erstarrt. "Was machst du da?" "Ich zeige dir den Inhalt meines Rucksacks", erwidere ich und werfe die Masken nach ihm. "Was haben wir hier: Unterwäsche, Zahnbürste, ein Wasserstein, mein super geheimes Notizbuch, meine Geldbörse, oh, mein Empfehlungsschreiben! Noch mehr Unterwä-" "Du kannst aufhören", sagt Dark und fischt eine Unterhose von seiner Schulter. "Du hast deinen Standpunkt klar gemacht." "Schön." Darks Blick fällt auf die Masken, die in seinem Schoß gelandet sind. Er greift nach der mit dem Zwottroningesicht und kneift die Augen zusammen. Hundemon hechelt und Priss kommt langsam aus ihrem Versteck unter dem Tisch hervor, bevor sich auf die Sofalehne springt und dort wachsam ihre Pfoten unter ihren Körper faltet. "Woher hast du die?", fragt er und ich muss einen Moment nachdenken, bevor mir einfällt, dass ich heute Morgen vor meinem Besuch bei Günther noch etwas anderes gemacht habe. "Jemand hat die kostenlos im Kaufhaus verteilt", erkläre ich. "Warum?" "Brauchst du die hier?", fragt er und hält die Maske hoch. Ich zucke mit den Schultern. "Du kannst alle haben, wenn du willst. Ich werde sie ganz sicher nicht anziehen." "Ich schon", sagt Jayden grinsend, der genau in dem Moment vollbepackt mit Tüten und einer genauso behangenen Chris im Schlepptau den Gang entlang kommt. Schräg um seinen Kopf ist eine Glumandamaske gebunden. "Sie sind kitschig", sagt Chris und stellt ihre drei gigantischen Taschen auf dem Tisch neben der Kaffeemaschine ab. Jayden tut es ihr gleich. Dann bemerkt er Priss. "Ein Evoli?", fragt er überrascht. "Wo hast du das denn so plötzlich aufgetrieben?" "Ich sollte es schon vor Monaten hier abholen", meine ich und strecke versuchsweise eine Hand nach Priss aus. Sie faucht, beißt mich in den Finger und flieht zurück unter den Tisch. "Wo haben du und Chris eure Evolis her?" "In der Wildnis gibt es sie nicht mehr, aber genügend Sammler und Züchter spezialisieren sich auf Evoli", erklärt Chris. "Man meldet sich dort an und kann dann mit Wartezeit eines kaufen. Jayden und ich haben unsere bei der Pension südlich von Azuria City abgeholt." "Es hat keinen Respekt vor dir", stellt Dark fest, der die Maske in seinen Fingern dreht. "Du musst ihm zeigen, dass du der Trainer bist, sonst kannst du dich in einem Kampf nicht auf seinen Gehorsam verlassen." "Ich habe vier Pokémon, mit denen ich kämpfen kann", entgegne ich. "Ich bin nicht unbedingt scharf darauf, noch eins aufziehen zu müssen." Chris kneift verwirrt die Augen zusammen und Jayden wirft Dark einen ratlosen Blick zu. "Du bist komisch, Abby", stellt er dann fest und macht sich daran, die Tüten auszuräumen.   Bevor ich zu meiner Nachmittagsschicht in Cornelias Teestube aufbreche, ist der Gemeinschaftsraum mit einem Vorrat Pappteller und -besteck ausgerüstet, so wie mit fünf Schlafsäcken, Mulltüten, einer Teekanne, anderen Küchenutensilien, Fertigessen und diversen anderen Gegenständen, die bei mehreren Leuten auf kleinem Raum wichtig werden könnten. Bis Ryan auftaucht, müssen wir weiterhin in einem Raum schlafen, aber das stört mich nicht weiter. Wer mit zwanzig Fremden unter einer Plane geschlafen hat, den kann so schnell nichts mehr schockieren. Die Arbeit bei Cornelia ist anstrengend und bei weitem nicht so lukrativ wie mein Job damals bei Ivy, aber ich will mich nicht beklagen und da ich davon ausgehe, mindestens noch bis zur Übergabe Anfang März in Prismania zu bleiben, habe ich keine Probleme mit dem geringeren Gehalt. Vor allem jetzt, da ich quasi umsonst unterkomme und zum größten Teil nicht mal mein eigenes Essen bezahlen muss. Als ich am Abend durch die Stadt wandere, beschließe ich, einen kleinen Abstecher zu Route 7 zu machen. Gott braucht die Bewegung und da er sich offenkundig weigert, sich in Hundemons Nähe aufzuhalten, bleibt mir nichts anderes übrig. Ich verbringe knapp zwei Stunden mit seinem Training, während derer ich seinen Spezialangriff so gut es geht fördere und als wir uns schließlich auf den Rückweg zum Pokécenter machen, bin ich sehr zufrieden, ihn auf Level 29 gebracht zu haben. Die Attacke Flammenwurf würde ihm einen  gewaltigen Kräfteschub geben, aber bevor ich Gott auf den erforderlichen Level 46 bringe, erhänge ich mich lieber gleich. Für die Art intensiven Trainings, die dafür nötig wäre, habe ich nun wirklich keine Zeit und, wenn ich ehrlich bin, auch keine Lust. Ich erreiche das Pokécenter mit Gott dicht neben mir und Sku auf der anderen Seite. Ich bin froh, dass die beiden sich inzwischen so gut verstehen, gerade jetzt, da Gott Skus Level näher kommt und ihr Alpharecht in Frage stellen könnte. Das Pokécenter ist hell erleuchtet und gut besetzt, als ich eintrete und zu Schwester Joy gehe. "Einmal durchchecken", sage ich, rufe Gott zurück und reiche ihr seinen Finsterball. Joy nickt und nimmt den Ball säuerlich entgegen. "Alles in Ordnung?", frage ich. Eine schlecht gelaunte Schwester Joy ist ein seltener und beunruhigender Anblick. Es braucht einiges, um diese Frauen aus der Fassung zu bringen. "Es sind diese Trainer", sagt sie leise, aber mit sehr wütendem Unterton. "Der Zwist mit den Studenten nimmt allmählich Überhand. Sie duellieren sich mitten in der Stadt, auf den Straßen, wo Passanten sind. Es ist gefährlich, die Stadt ist nicht dafür gemacht, dort Kämpfe auszutragen. Und es sind keine abgesprochenen Kämpfe. Von dem, was ich mitbekomme, fordern sie sich gegenseitig heraus, egal wie geschwächt die Pokémon des anderen schon sind. Das ist unverantwortlich." Sie holt tief Luft. "Ich hatte allein in den letzten zwei Tagen drei Pokémon mit ernsteren Verletzungen und einen Knochenbruch. Unverantwortlich. Und so etwas nennt sich Trainer." Ich drehe mich um und beobachte, wie einige der mithörenden Trainer beschämt den Kopf senken, andere hingegen angestachelt durch die Kritik leise untereinander diskutieren, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Joy reicht mir Gotts Finsterball und ich verabschiede mich von ihr. Dann kehre ich ins HQ zurück.   Es ist Donnerstag, als Ryan zu uns stößt. Ich bin gerade dabei, Priss davon zu überzeugen, nicht in meiner Hoodiekapuze zu schlafen, als eine schrille Klingel ertönt. Dark, der der Sprechanlage am nächsten ist, steht auf und hebt den Hörer ab, während Jayden, Chris und ich ihn gespannt beobachten. Ich kann nicht für die anderen sprechen, aber mir klopft das Herz bis zum Hals. "Ja?", fragt Dark. Eine leicht verzerrte Stimme ertönt im Lautsprecher. "Jemand namens Ryan möchte Jayden sehen. Soll ich ihn durchlassen?" "Bitte. Wir holen ihn ab." "Soll ich ihm einen Gast- oder einen Mitgliedstatus geben?" "Vorerst Gast", sagt Dark mit einem kurzen Blick zu Jayden, der unbekümmert mit den Schultern zuckt und ein weiteres Bonbon zwischen seinen Zähnen zerkaut. "Eventuelle Upgrades werden wir melden." "Keine Sorge, du bist Mitglied", sagt Jayden zu mir und schluckt die letzten Reste seinen Bonbons hinunter. "Wir wollen nur sichergehen, dass nicht jeder hier reinplatzen kann, wie er will." "Macht Sinn", gestehe ich. "Was für ein Typ Trainer ist Ryan?" "Wirst du gleich sehen." Jayden grinst mich frech an, erhebt sich, schnappt sich seine Lederjacke von der Sofalehne und verschwindet zum Aufzug. "Warum holst du ihn nicht ab?", frage ich Dark, der sich wieder hinsetzt und abwesend pfeift. Hundemon, das bis dahin unter einem Tisch geschlafen hat, trabt an seine Seite und lässt sich so neben dem Sofa nieder, das Dark bequem eine Hand auf seiner Stirn ruhen lassen kann. Seine Hörner schimmern matt im Licht der neugekauften Lampen. "Er ist der Anführer", sagt Chris, ohne bei dem Titel mit der Wimper zu zucken. "Wenn wir möchten, dass Ryan sich uns anschließt, muss er einen guten ersten Eindruck machen." "Einen gefährlichen Eindruck", fügt Dark hinzu. "Wenn wir etwas erreichen wollen, brauchen wir eine Basis aus Respekt. In unserer Art von Gruppierung zählt für den Respekt vor allem Stärke." "Nun, du siehst in jedem Fall sehr eindrucksvoll aus", sage ich nach einer kurzen Pause. Dark trägt wie immer ausschließlich schwarz, sein Haar sieht weich aber durcheinander aus und Hundemons düstere Präsenz verstärkt jedes seiner Merkmale aufs Maximum. Wir warten einige Minuten, dann hören wir das Pling des Aufzugs und können schließlich durch die Tür Jayden und einen anderen Jungen erkennen, die in unsere Richtung kommen. "Willkommen in Team Shadows Hauptquartier", sagt Jayden und lässt Ryan hinein, der seinen Blick über uns gleiten lässt. "Ich darf vorstellen, unser Anführer Dark, Chris und Abby." Ryan rückt seine rechteckige Stahlbrille zu Recht und mustert uns eingehend, während die Finger seiner linken Hand unentwegt gegen seinen Oberschenkel trommeln. Er ist von unauffälliger Statur, mit kurz geschnittenem, braunen Haar und sehr aufrechter Haltung. "Was macht die bei euch?", fragt er und der Blick, den er mir zuwirft, lässt keinen Zweifel daran, wen er meint. "Sie ist unser Maskottchen, sozusagen", sagt Jayden und krault im Vorbeigehen kurz Priss´ Kopf, bevor er sich an der Kaffeemaschine zu schaffen macht. "Willst du?" "Schwarz, bitte", sagt Ryan und lässt sich neben mir auf dem Sofa nieder. "Und du bist der Anführer?", fragt er dann an Dark gewandt. "Du siehst ziemlich… klein aus." Hundemon knurrt leise, verstummt aber sofort, als Dark die Stimme hebt. "Ich wusste nicht, dass Körpergröße etwas mit meinem Können als Trainer zu tun hat", sagt er gelassen. Chris schnaubt. "Ich dachte, du würdest die Meinung mit uns teilen, dass Orden und andere externe Mittel zur Stärkebestimmung Zeitverschwendung sind", sagt sie. "Es zählen nur zwei Dinge: Die Fähigkeit eines Trainers, seine Pokémon zu trainieren und seine Fähigkeiten als Stratege im Pokémonkampf. Dark ist stärker als Jayden und ich und damit als du, also blas dich nicht auf." "Easy, Chris", lacht Jayden und bringt Ryan eine Tasse Kaffee. "So hat er das hundert pro nicht gemeint." "Das sehe ich auch so", sagt Dark. "Ich danke dir für dein Erscheinen, Ryan. Du hast sicher Fragen an mich und den Rest des Teams. Bitte, nur zu." "Was zum Teufel wollt ihr erreichen?", fragt Ryan. Seine Finger trommeln unentwegt über seinen Oberschenkel. "Ich bin nur hier, weil Jayden mich darum gebeten hat und ich ihm einen Gefallen schuldig bin, aber ich will ehrlich mit dir sein. Ich habe kein großes Interesse daran, eurem Club beizutreten. Es gibt viele Projekte, die ich gerne verfolgen möchte und ich habe keine Zeit, mit euch die Welt zu retten." "Technische Projekte?", schalte ich mich ein und Ryan begutachtet mich mit einem Blick, der mir sagt, dass er mich nicht wirklich als vollwertiges Mitglied betrachtet. Das bin ich vielleicht auch nicht, aber so lange ich Maskottchen bin, werde ich mich nicht wie Luft behandeln lassen. "Und?", hake ich nach, als er nicht antwortet. Ryan seufzt. "Ja, technische Projekte." "Dann verfolge sie von hier", sage ich. "Du hast hier jede Menge Platz, dich auszubreiten. Wenn du uns hilfst, die Fallen auf den beiden Stockwerken über uns auszuschalten, kannst du dir alle Räumlichkeiten aussuchen, die du brauchst. Und wir freuen uns über technischen Schnickschnack, der unser Leben erleichtert, nicht wahr?" Dark beobachtet mich aufmerksam, Jayden grinst breit und sogar Chris nickt ihre Zustimmung. "Die Kleine hat euch ziemlich gut im Griff", kommentiert Ryan das Ganze, scheint sich die Idee aber durchaus durch den Kopf gehen zu lassen. So viel Platz zu seiner freien Verfügung, dann noch die alten Netzwerke, die hier von Team Rocket zurück gelassen wurden, müssen einen ziemlichen Reiz für ihn darstellen. "Sie hat Charisma", sagt Dark und Hundemon grollt zustimmend. "Sie ist nicht umsonst Teil des Teams, auch wenn ihre Fähigkeiten als Trainer zu wünschen übrig lassen." "Ich bin schon genügend Gefahren entkommen, um mich als passabler Trainer zu bezeichnen, danke auch", erwidere ich knapp. Jayden schnaubt amüsiert und Chris lächelt schwach. "Abby ist sozusagen unsere Informantin", erklärt Dark, ohne auf meine schnippische Antwort einzugehen. „Sie ist unsere Verbindung nach außen, ihr Kontaktenetzwerk reicht in alle Schichten." Na, wenn das mal kein Lob ist. Ich schmunzele versöhnt und schaue zurück zu Ryan, der mich nun mit mildem Interesse mustert. "Meinetwegen", sagt er. "Was ist mit Bezahlung?" Chris lacht auf. "Wenn du nur halb so gut wie wir bist, solltest du keine Geldprobleme haben, Ryan." "Wir können eine Spendenkiste für dich eröffnen", schlägt Jayden vor. "Almosen für armen Computerfreak." "Sehr witzig", murrt Ryan, aber die Stimmung hat sich ein wenig entspannt und ich genieße das Gefühl, Teil etwas Größeren geworden zu sein. Informantin der stärksten Trainergruppierung der Regionen? Es hätte mich schlimmer treffen können. "Wenn ich beitreten würde", fährt er fort, "was für Aufgaben hätte ich?" "Wie Abby bereits andeutete, sind die Stockwerke zwei und drei mit Sprengfallen und anderen Mechanismen versehen", erklärt Dark. "Wir möchten Zugang zu beiden Bereichen haben, sonst fehlen uns viele der Räume, die nur über die Treppen zugänglich sind. Zudem gibt es einige andere technische Problematiken, bei denen wir deine Hilfe gebrauchen können. Abgesehen davon kannst du deine Zeit wie wir anderen frei einteilen und dich dem Training deiner Pokémon widmen. Auf unserem Level ist das keine Arbeit, die nebenbei erledigt werden kann." Chris nickt zustimmend. "Jayden und ich werden am Wochenende zum Silberberg fliegen, um dort zu trainieren. Du kannst dich anschließen." "Oder hier bleiben", sagt Jayden. "Team Shadow soll dir neue Möglichkeiten eröffnen, nicht verschließen", fügt Dark hinzu. Ryan nickt. "Gut. Ich bin dabei." Dark nickt und Hundemon knurrt zufrieden. "Wunderbar", sage ich und sehe zu Dark. "Da das geklärt ist, würde ich ebenfalls gerne ein Thema ansprechen. Oder erledigst du das, Anführer?" Dark seufzt, dann beugt er sich ein wenig auf dem Sofa vor. "Abby hat Kontakte zu sowohl der Polizei als auch anderen Gruppierungen, die gegen Team Rocket und korrupte Trainer vorgehen", sagt er. "Sie möchte, dass wir ihr unsere Stärke in diesem Kampf gegen Ungerechtigkeit und Schwäche leihen. Im Gegenzug verspricht sie, uns dabei zu helfen, unser Team öffentlich zu vertreten." "Und wie will sie das anstellen?", fragt Ryan skeptisch. "Ich habe Kontakte", wiederhole ich. "Unterschätze niemanden, der die richtigen Freunde an den richtigen Orten hat." "Wir alle wissen, dass die Polizei heillos überfordert ist", sagt Chris nach einer Weile. "Und sie sind ein Haufen Schwächlinge", fügt Jayden hinzu. "Bis auf Gold und den Champ können die meisten von ihnen nichts." "Deshalb brauchen wir eure Hilfe", sage ich und bemühe mich, nicht zu verzweifelt zu klingen. Dark hasst Schwäche. Solange ich hier bin, muss ich die Kontrolle behalten, stark sein. "Team Rocket arbeitet nicht mehr wie früher. Ihr Bewegungsmuster ist schleichend, aufgefächert. Sie sind überall und arbeiten im Geheimen. Mit nur zwei sehr starken Trainern auf ihrer Seite ist die Polizei gegen so viele Verbrecher an so vielen verschiedenen Orten hilflos. Ihr gehört zu den stärksten Trainern, die ich kenne. Ihr habt Flugpokémon, mit denen ihr lange Distanzen in kurzer Zeit zurücklegen könnt. Ihr seid nicht an Regeln gebunden und flexibel in eurer Vorgehensweise. Wenn nur ein paar von euch zu jeder Zeit kampfbereit wären, könntet ihr wie eine Art Spezialeinheit auftreten. Trainer, die auftauchen, agieren und sofort wieder verschwinden. Ich kann euch zu Helden machen. Ihr müsst mir nur die Möglichkeit liefern." Dark sagt nichts, sondern wartet auf die Meinung der anderen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Je länger ich geredet habe, desto mehr bin ich in Rage geraten. Ich hoffe, das kam gut an. "Scheiß drauf", sagt Jayden. "Ich bin dabei. Team Rocket kann mich mal." "Ich helfe dir, Abby", sagt nun auch Chris. "Solange ich darüber nicht das Training meiner Pokémon vernachlässigen muss." "Danke", sage ich und atme erleichtert aus. "Vielen, vielen Dank." "Was sagst du, Ryan?", fragt Dark. Sein Gesichtsausdruck hat sich ein bisschen mehr verfinstert, aber ich weiß, dass er sich nicht gegen den Willen des restlichen Teams stellen wird. "Ich bin nicht direkt scharf darauf", sagt Ryan nach einer Weile. "Allerdings sind mir bei Abbys leidenschaftlicher Rede ein paar Ideen für den technischen Schnickschnack gekommen. Reicht euch meine Unterstützung, was das angeht?" "Auf jeden Fall", sage ich sofort. Dark seufzt. "Dann ist es beschlossen", sagt er und steht auf. "Team Shadow wird die Polizei unterstützen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)