Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 83: Der Junge mit dem Zapdos (Die Spielhalle) ----------------------------------------------------- Hunter schießt gerade rechtzeitig in die Höhe, um mich vor einem schmerzhaften Aufprall zu bewahren und schlägt mehrfach kräftig mit den Schwingen, bevor er sein Gleichgewicht findet und in Richtung Prismania City davon fliegt. Der Wind tönt laut in meinen Ohren und als wir durch die Dunkelheit rasen, verspüre ich kurz das Bedürfnis, mich umzusehen. Ich ignoriere es. Wie erwartet dauert der Flug nicht lange. Nach etwa einer Stunde im eiskalten Wind, die Hunter über Weiden, kleine Seen und Wälder davon schießt, bin ich völlig steifgefroren und als sich die Lichter von Prismania City am schwarzen Horizont abzeichnen, kann ich mich vor Kälte kaum noch freuen. Ohne spezielle Anweisungen meinerseits landet Hunter vor dem Pokécenter, das ganz im Prismania Stil in einem Hochhaus angesiedelt ist und mir per Digitalanzeige vor dem Eingang versichert, dass noch einige der Zimmer frei sind. Eigentlich ist mir mein Geld zu schade, um es hier auszugeben, aber meine Zähne klappern und meine Fingerspitzen sind violett. Ich rufe Hunter zurück und trete ins Pokécenter. Die zuständige Schwester Joy hebt den Kopf und wartet geduldig, bis ich mit tauben Füßen vor ihr stehe und das billigste Zimmer buche, das es gibt, eine kleine Notabsteige im obersten Stockwerk. Mitsamt Schlüssel und Gutenachtwünschen nehme ich den Aufzug nach oben und steige im sechsten Geschoss aus. Wie von Joy angekündigt, ist mein Zimmer mehr eine Abstellkammer als ein ordentlicher Raum: Ein schmales Bett steht an die Wand gelehnt und ein genauso breiter Streifen Boden führt daneben zu einem Fenster, das über die weniger schönen Straßen der Stadt hinausblickt. Ein Bad gibt es nicht, nur den gemeinsamen Waschraum, aber davon lasse ich mich nicht beirren. Ich werfe meinen Rucksack in die Ecke und verschwinde, angezogen und durchgefroren, unter den Laken.   Nachdem ich Louis eine SMS über meine Ankunft in der Stadt gesendet habe, packe ich meine Sachen und mache mich auf den Weg nach unten zu einem kleinen Frühstück. Als ich die letzten Treppenstufen hinunter steige, finde ich mich in einer düsteren Atmosphäre wider. Verwirrt schaue ich mich um, nur um beide Seiten des Speisesaals von unterschiedlichen Parteien besetzt zu sehen. Links hat sich eine Gruppe Trainer versammelt, die ich an ihren herunter gekommenen Rucksäcken, den uneinheitlichen Kleidern und der ein oder anderen Narbe erkenne. Rechts sind einige der KPA-Studenten auf die Tische verteilt, einheitlich in ihrem dunkelblauen und weißen Dresscode und mit hochherrschaftlicher Miene. Vorsichtig gehe ich zu Schwester Joy, die das Verhalten ihrer Kunden mit gerunzelter Stirn begutachtet und bestelle mir bei ihr einen Haferbrei. Während ich auf das Essen warte, schaue ich mich immer wieder zu den feindseligen Gruppen um. "Furchtbar", sagt Joy, als hätte sie meine Gedanken gelesen und schüttelt den Kopf. "Man sollte meinen, dass Pokémon die Jugend zusammenschweißen, aber selbst die Umstände eines Trainers scheinen jetzt schon zu Streitereien zu führen." "War das schon immer so?", frage ich überrascht. Ich bin oft in der KPA gewesen, um dort zusammen mit Tarik Agnes´ Vorlesungen zu lauschen, aber unsere kurzen Besuche im Pokécenter waren immer friedlich. "Nein, erst seit ein paar Tagen", erklärt Joy und widmet sich dann einem der Trainer, der seine Pokémon bei ihr abgibt, um sie zu heilen. Kaum ist er weg, drückt sie mir den Haferbrei in die Hand und spricht weiter. "Einer der KPA-Studenten hat etwas zu laut geprahlt, dass Trainer, die aus der KPA sind, viel besserer Chancen auf den Championtitel haben. Dann haben die Trainer sich verteidigt und nun sind sie wie zwei verfeindete Lager. Es ist eine unangenehme Atmosphäre, wirklich." Ich bedanke mich für das Essen und setzte mich dann auf die linke Seite, auch wenn ich mit dem ganzen Konflikt nichts zu tun haben will und schließlich auch kein richtiger Protrainer bin. Mein dicker Rucksack und meine Klamotten weisen mich jedoch automatisch als Reisende aus und ich werde freundlich genug aufgenommen. Trotzdem mache ich mich, sobald ich mit Essen fertig bin, auf den Weg in die Innenstadt. Ich brauche etwa zehn Minuten, bevor ich die lange Straße erreiche, in der die KPA steht und den zentralen Park vor dem Kaufhaus erreiche. Ein Springbrunnen ist in der Mitte errichtet worden und die Statue eines Trainers, der von den drei Kantostartern Glumanda, Bisasam und Schiggy umgeben ist, ragt aus dem Wasser in die Höhe. Kahle Bäume und Bänke füllen den Platz aus Pflasterstein und obwohl es kalt ist, ist der Park gut besucht. Ich reibe meine Hände zusammen, die übergangsweise in meinen fingerlosen Handschuhen stecken und trete durch die hohen Türen ins Innere. Keine halbe Stunde später bin ich mit gefütterten Handschuhen und einer Ohrenklappmütze ausgestattet, sowie einer Art großen Schwimmbrille, die wegen der Jahreszeit doppelt reduziert war. So für etwaige Winterflüge auf Hunters Rücken gerüstet und mit wie gewohnt leerem Geldbeutel, mache ich mich auf den Weg zur Spielhalle. Die Prismania Spielhalle hat ein gemischtes Ansehen in der Stadt. Im unteren Viertel von Prismania angesiedelt, ist sie Teil der etwas heruntergekommeneren Geschäfte, auch wenn das Gebäude selbst noch gut in Schuss ist. Aber ihre Vergangenheit hat die Spielhalle nie losgelassen und als ehemalige Einkommensquelle sowie Hauptquartier von Team Rocket ist sie auch heute noch ein zwielichtiger Ort, den zu besuchen bei vielen der Bevölkerung verpönt ist. Als ich eintrete, erwarte ich nicht wirklich, jemanden vorzufinden, schließlich ist es gerade erst zehn Uhr morgens, aber die Tresen sind besetzt und einige übernächtigt wirkende Männer und Frauen in herunter gekommenen Kleidern sitzen vor den Spielautomaten und werfen ein Geldstück nach dem anderen ein. Das Licht ist gedimmt, aber nicht so dunkel, dass ich nichts erkennen könnte und so mache ich mich auf den Weg zu den Münzverkäufern. "Entschuldigung", sage ich und lehne mich auf den Tresen. "Ich suche jemanden." "Deinen Vater?", fragt der Verkäufer gelangweilt und macht eine ausladende Handbewegung in Richtung der versammelten Spieler. "Such dir einen aus." Irritiert nehme ich etwas Abstand. "Nein. Zwei Jugendliche. Jayden und Chris und…" Ich stocke, unsicher, ob der Mann überhaupt weiß, dass Dark hier ist und unter welchem Namen er sich der Öffentlichkeit zeigt. Der Verkäufer schaut mich einen Moment lang abschätzend an, dann nickt er und verschwindet in einem der hinteren Räume. Als er wieder kommt, beugt er sich zu mir. "Komm mit." Ich folge etwas zögerlich, lasse mich aber in einen Flur führen, der vom Rest der Spielhalle abgetrennt ist und allem Anschein nach zu den Toiletten führt. Am Ende des Ganges hängt ein Poster an der Wand. "Man erwartet dich bereits", sagt er, greift unauffällig unter das Plakat und betätigt dort irgendeine Art Schalter. Als er sicher ist, dass niemand im Flur ist, drückt er gegen die Wand. Langsam aber sicher öffnet sich ein schmaler Spalt, als die Mauer beinahe lautlos nach hinten gedrückt wird und ich werde unsanft hinein geschoben, bevor selbst das schwache Licht aus dem Flur verschwindet und ich in absoluter Dunkelheit zurückgelassen werde. "Hallo?", flüstere ich und unterdrücke die Panik, die sich in mir breit macht. Es ist nicht so sehr die Dunkelheit, die mir Angst macht, wie die leisen Geräusche, die immer wieder in unregelmäßiger Lautstärke an meine Ohren dringen und mich an heulenden Wind erinnern. Ich fühle mich in den Wald in Azalea City zurück versetzt und setze zaghaft einen Fuß vor den anderen. Dann fällt mir ein, dass ich Pokémon besitze und ich rufe Gott, mit dessen Erscheinen der schmale Gang vor mir hell erleuchtet wird. Ich atme auf. Auch wenn die Geräusche immer noch da sind, zusammen mit Gott ist der Weg nur noch halb so gruselig. Am Ende des Flurs erkenne ich nun eine Treppe, die in die Keller unter der Spielhalle führt. Ich steige die Stufen hinunter und finde mich in einem offenen Raum wider, der zu vielen Konferenzräumen mit kompliziert aussehenden Gerätschaften und alten Computergeräten führt. Eine weitere Treppe führt tiefer hinunter und mir wird mit einem Mal klar, dass dies das ehemalige Hauptquartier von Team Rocket gewesen sein muss, bevor Red sie auf die Eilande verdrängt hat. Ich stelle mir die Keller zu Reds Zeit vor, voll mit geschäftigen Rockets, die ihren neuen Coup planen. Rockets, die Wache stehen, bereit, jeden Eindringling zur Strecke zu bringen, Wissenschaftler, Techniker, die für Geld den Untergang einer ganzen Region verantworten würden. Und Red. Allein. Wissend, dass jeder hier seinen Tod will und der sich allen Gefahren zum Trotz der Organisation in den Weg stellt. Sich tiefer und tiefer vorkämpft, bis er schließlich den Boss Giovanni selbst herausfordert, einen Trainer auf dem Level eines Champions. Es ist aufregend, mir vorzustellen, wie er über denselben Boden, durch dieselben Flure gegangen ist und ich gehe in Richtung der zweiten Treppe, die tiefer ins Innere der Rocket-Höhle führt. "Dort solltest du nicht runter gehen", sagt plötzlich eine Stimme und ich reiße erschrocken den Kopf herum. Gotts Feuer hat das sich nähernde Licht verschleiert, aber trotzdem hatte ich auf sein Knurren vertraut, sollte sich jemand nähern. Ein Blick nach unten zeigt, dass er sich hinter meinen Beinen auf den Boden presst und am ganzen Leib zittert. "Den Effekt hat Hundemon oft", sagt die Stimme. "Tut mir leid." Dann tritt ihr Besitzer hinter einer Wand aus den Schatten hervor. Der Junge ist kleiner als ich, aber alles an ihm strahlt Selbstvertrauen aus. Sein aufrechter Gang, die stechenden Augen, die Hände, die er lässig in seine Hosentaschen gesteckt hat und das Hundemon, dessen Muskelstränge unter dem schwarzen Fell deutlich sichtbar sind. Glutfunken stieben bei jedem seiner Schritte in die Höhe und sein Rachen glüht wie ein zweites Höllenfeuer. Wenn ich irgendeinen Zweifel an seiner Stärke gehabt hätte, wäre Gotts Reaktion Beweis genug. "Die Fallen in den unteren Geschossen sind noch aktiv", fährt der Junge fort, bei dem es sich ohne Zweifel um Dark handelt. Dark, dessen Stärke selbst von Trainern wie Jayden anerkannt wird. Sein schwarzes Haar fällt in zottigen Strähnen in seine Stirn und über seine Ohren. Sein schlanker Oberkörper wird von einem einfachen, schwarzen Rollkragenpullover bedeckt und die genauso schwarze Hose, die lose um seine Beine fällt, spricht von seiner Zeit bei Team Rocket. "Und das heißt?", frage ich, immer noch unter Schock. All die Gerüchte, und nun steht er direkt vor mir. "Das heißt, dass du den Aufzug nehmen solltest, wenn du dort unten nicht explodieren möchtest", sagt Dark und wippt ein wenig auf seinen Fersen vor und zurück. "Komm mit. Jayden und Chris warten schon." Unsicher, ob die Sache mit dem Explodieren als Witz oder ernst gemeint war, schließe ich zu Dark auf. Sein Hundemon flößt mir enormen Respekt ein und als Gott bleibt, wo er ist und allem Anschein nach keinen Schritt näher kommen möchte, rufe ich ihn zurück. Hundemon und Dark führen mich durch einige verwahrloste Räume zu einem rot lackierten Metallaufzug, den Dark mit einem Passwort öffnet und dann hinein tritt. Ich folge und zu dritt fahren wir ins vierte Untergeschoss. Schummrige Lampen füllen den Raum mit bleichem Licht und ehemals blaue Tapeten fläddern von dem nackten Beton ab oder hängen in abgerissenen Bahnen zu Boden. Schlieren auf dem Fliesenboden lassen vermuten, dass jemand versucht hat, hier zu wischen, aber an den dicken Schichten aus Staub und klebrigem Schmier gescheitert ist. Dark führt mich ungerührt nach rechts und steuert auf einen hell erleuchteten Raum zu, in dessen Inneren ich einige orangerote Sofas, Schreibtische und andere Möbel erkennen kann. Stimmen dringen durch die offen stehende Tür zu uns und verstummen, als Hundemons Krallen uns durch ihr lautes Klackern auf den beigebraunen Fliesen verraten. Wir treten nacheinander ein und mein Blick fällt auf Chris und Jayden, die uns bereits erwarten. Chris sitzt in nichts als Shorts und langärmligen schwarzen T-Shirt auf dem linken Sofa und krault ihrem Pikachu den Kopf, das auf ihrem Schoß sitzt und die Augen genüsslich geschlossen hat. Auf dem Tisch vor ihr steht eine ausgetrunkene Tasse und neben ihr auf dem Sofa kann ich eine Zeitungsausgabe entdecken. Jayden sitzt auf einem der Tische, die jemand an den Rand des Raums geschoben hat und grinst mich schief an. Neben ihm stehen eine Kaffeemaschine, sowie einige angebrochene und verschlossene Milchkartons. "Da ist ja unser Ehrenmitglied", sagt er und springt schwungvoll vom Tisch. "Willkommen in Team Shadows Hauptquartier." "Danke für die Einladung", sage ich und schaue mich in dem Raum um. Dark geht an mir vorbei und lässt sich auf dem anderen Sofa nieder, wo Hundemon sich zu seinen Füßen hinlegt und den Kopf auf seine Pfoten bettet. Die geschwungenen Hörner, die seine Ohren verdecken und gestreckt mindestens die Länge meines Unterarms hätten, glänzen matt im Licht der Deckenlampe. "Hallo Abby", begrüßt Chris mich. "Setz dich." Ich lasse mich neben ihr auf das Sofa sinken und beobachte Jayden dabei, wie er zu einem der Schränke geht, mit einer Tasse zurück kommt und mir dann Kaffee einfüllt. Ich nehme die heiße Flüssigkeit dankend an, verbrenne mir fast die Zunge und entspanne mich allmählich. Dark beobachtet mich aufmerksam. "Du bist also Abby", sagt er schließlich und lehnt sich nach hinten. "Ich war gespannt, was für eine Art Person du sein würdest. Bist du Trainerin?" "Mehr aus Notwendigkeit", sage ich und stelle meine Tasse auf den Tisch. Jaydens und Chris´ Blicke ruhen auf mir und ich fühle mich zugleich akzeptiert und herausgefordert. "Ich hatte viel mit Team Rocket zu tun. Wenn ich nicht trainiert hätte, wäre ich jetzt vielleicht tot." Ich beobachte ihn genau, während ich Team Rocket erwähne, aber Dark verzieht keine Miene bei ihrer Erwähnung. Ob Jayden und Chris wissen, mit wem sie es zu tun haben? Vermutlich nicht. "Dein Igelavar ist sehr sensibel", sagt Dark, ohne auf meine Antwort einzugehen. "Reagiert er häufig so stark auf andere?" "Er ist sehr aggressiv", gebe ich zu. "Und er scheint die Absichten von Menschen spüren zu können." "Er hat sehr heftig auf Hundemon reagiert, deswegen habe ich so etwas vermutet", erklärt Dark und schweigt dann wieder. Die Stille droht, unangenehm zu werden, aber Chris, deren Gefühl für Situationen gleich null ist, steht auf, um sich neue Milch einzuschenken. Ihr Pikachu klettert auf ihre Schulter und scheint Spaß daran zu haben, ihr langes Haar zu elektrisieren, denn innerhalb weniger Sekunden steht es in alle Richtungen ab. Jayden lacht schallend und gibt dem gelben Mauspokémon eine High-Five, dann klettert er über die Sofalehne und plumpst neben Dark in die Polster. "Ich dachte, du kommst früher", erklärt er. "Ich habe mir die letzte Woche jeden Tag in diesem Pissloch von Spielhalle um die Ohren geschlagen, um dich abzuholen. Der Typ an der Theke ist ein echtes Ekel, aber du kamst nicht, also hab ich´s gelassen." "Wie habt ihr überhaupt den Zugang gefunden?", frage ich, während Chris ihre Haare entmagnetisiert und sich neben mir auf die Couch setzt. "Ich dachte, die alten Rocketquartiere wären zugeschüttet." "Ich wusste, dass es einen Schalter gibt", sagt Dark, als wäre es das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt. "Wir mussten eine Weile suchen und die Angestellten bestechen, damit sie Besucher zu uns durchlassen. Jetzt ist es unsere Basis." "Wir bezahlen quasi Miete plus Geheimhaltungsgeld", sagt Jayden, als er meine hochgezogenen Augenbrauen bei dem Wort bestechen bemerkt. "Und dieser Laden muss wirklich mal aufgemotzt werden. Wenn wir neue Mitglieder bekommen, brauchen wir mehr Platz." "Ein Großteil der Räume im ersten und vierten Untergeschoss ist nur über Treppen erreichbar", sagt Dark. "Dafür müssten wir die beiden Stockwerke dazwischen sichern." "Das hat noch Zeit", sagt Chris. "Die einzigen anderen Trainer, die wir erreicht haben, sind Ronya und dieser Gerard, den Abby erwähnt hat. Bis Ronya Entei hat, kann es noch Wochen dauern, vorher wird sie nirgends hingehen. Und Gerard glaubt deiner Geschichte nicht, Dark." "Er muss meiner Geschichte nicht glauben, um sich uns anzuschließen", erwidert der und Hundemon grollt zustimmend. "Was ist mit Ryan?" "Er hat noch nicht geantwortet", meint Jayden und wirft sich ein Bonbon in den Mund, auf dem er knirschend kaut. "Ich weiß ohnehin nicht, ob er Bock auf sowas Organisiertes hat." "Wer ist Ryan?", frage ich. "Ryan Bittner", erklärt Jayden. "Technikfreak und passabler Trainer. Ich habe ihn in Hoenn kennen gelernt." "Wie findet ihr immer diese anderen Trainer?", frage ich, halb schockiert, halb begeistert. Jayden grinst wölfisch. "Wenn man dieselben Ziele verfolgt, läuft man sich zwangsweise irgendwann über den Weg. Und jeder von uns kennt wenigstens einen anderen Trainer, der so denkt, wie wir." "Es ist eine Art Netzwerk", fährt Chris fort. "Jayden kennt mich und Ryan. Ich kenne Ronya und dich. Du kennst Gerard. Gerard, Ryan und Ronya werden ebenfalls jemanden kennen." "Nicht alle werden sich uns anschließen wollen", sagt Dark. "Aber eine kleine elitäre Gruppe ist ohnehin besser zu organisieren. Viele große Organisationen verlassen sich auf ihre Quantität statt auf die Qualität der einzelnen Mitglieder." "So wie Team Rocket?", hake ich nach. "Ein gutes Beispiel", sagt er und fügt dann langsamer hinzu, "Es wundert mich, dass du so gut über diese Verbrecher Bescheid weißt." "Es wundert mich, dass du so gut über den Aufbau ihres verschüttet geglaubten Hauptquartiers Bescheid weißt", erwidere ich genauso unschuldig. Hundemon knurrt leise und ich meine, Darks Augenlider kurz zucken zu sehen, aber im nächsten Moment hätte ich es mir genauso gut eingebildet haben können. "Aber davon einmal abgesehen", fahre ich fort, "Was genau tut ihr überhaupt?" "Trainieren, hauptsächlich", erklärt Chris. "Es ist schwer, auf unserem Level Trainingspartner in der Wildnis zu finden, deshalb ist es gut, auf eine Gruppe zurückgreifen zu können." "Strategieaustausch ist auch ziemlich geil", fügt Jayden hinzu. "Und generell mit Leuten abzuhängen, die so denken, wie du. Wenn ich Chris nicht gehabt hätte, wäre ich wahnsinnig geworden." "Was ist mit dir, Dark?", frage ich. "Hattest du jemanden, mit dem du dich unterhalten konntest?" Hundemon hebt den Kopf und fletscht die Zähne. Allmählich frage ich mich, ob das Pokémon alle Emotionen seines Trainers abbildet oder ob Dark einfach ein verdammt gutes Pokerface hat. "Chris, ich weiß, dass du und Jayden seit letzter Woche euer Training vernachlässigt habt, um auf Abby zu warten", sagt er dann. "Warum geht ihr nicht trainieren und ich erkläre Abby, was unsere Pläne für die Zukunft sind." Jayden schaut flüchtig zwischen uns hin und her, zuckt dann mit den Schultern und zieht Chris auf die Füße. "Bis später dann. Ich bringe Essen mit." Die beiden verlassen uns und Dark entspannt sich erst wieder, als das Piepen des Aufzugs verklungen ist. Dann wendet er sich mir zu, breitet die Arme auf der Sofalehne aus und beobachtet mich sehr genau. Ich schrumpfe unter seinem intensiven Blick. "Wie viel weißt du?", fragt er dann und mir ist klar, dass meine subtilen Fragen ihren Job erledigt haben. Es kann beginnen. "Ich weiß, dass du ein Mitglied in Team Rocket warst", sage ich dann vorsichtig, nicht sicher, ob Hundemon mir an die Kehle springen wird oder nicht. Mein Instinkt will, dass ich Gott oder Sku rufe, aber keiner der beiden hätte auch nur den Hauch einer Chance. "Du bist der Sohn ihres Anführers, Atlas. Man hat dir nicht vertraut, weil du nicht reingepasst hast und undankbar warst. Du hast Atlas herausgefordert, gewonnen, die Organisation in Chaos zurückgelassen und Zapdos gefangen. Und jetzt gründest du dein eigenes Team, das aus den stärksten ordenlosen Trainern der Regionen besteht." Zum ersten Mal sehe ich so etwas wie echte Emotionen auf Darks Gesicht. Er hebt verblüfft die Augenbrauen, dann lacht er. "Du bist gut informiert", presst er schließlich hervor. "Wer hat mich verraten?" "Viele", erwidere ich grinsend, ermutigt durch seine Reaktion. "Nicht unbedingt in dem Wissen, dass sie einen Zuhörer haben." Dark nickt nachdenklich, die Reste seines Lachausbruchs noch an den leicht erhobenen Mundwinkeln zu erkennen. "Ich hatte mich gewundert, warum Jayden und Chris ein Mädchen ohne spezielle Stärken oder Merkmale als Team-Maskottchen vorgeschlagen haben", sagt er dann. "Aber du scheinst deine Ohren überall zu haben. Keine schlechte Fähigkeit." "Danke", erwidere ich selbstgefällig. "Aber du bist sehr naiv", fährt er fort. "Ich habe Pläne, mit Team Shadow an die Öffentlichkeit zu gehen. Es wäre katastrophal, sollte meine wahre Identität bekannt werden. Nichts hält mich davon ab, dich zu töten." Ich schaue ihm fest in die Augen, suche nach der Lüge darin. Ich sehe keine. Er meint es ernst. Mein Blick sinkt zu Hundemon, das die Lefzen hebt und die Reihen seiner messerscharfen Fänge entblößt. Die Glut in seinem Rachen lodert orangerot auf. "Das würdest du nicht", sage ich, aber selbst in meinen Ohren klingt meine Stimme schwach. Dark verzieht keine Miene. "Ich war ein Rocket. Ich bin unter Rockets aufgewachsen. Ich habe die Organisation nicht aus idealistischen oder moralischen Grundsätzen verlassen, oder weil mir ihre Methoden nicht gefallen. Ich habe sie verlassen, weil sie sich für stärker halten, als sie sind. Weil sie schwach sind. Und ich werde nicht Teil einer schwachen Gruppierung sein." Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem ganzen Körper. Ich sehe den Jungen vor mir plötzlich mit anderen Augen. Ich sehe ihn, wie Gott ihn von Anfang an gesehen hat. Alles an ihm schreit Gefahr. Sein Pokémon. Seine ruhige, bedachte Art zu reden. Die stechenden Augen. Die schlanke Stärke seines Körpers. In all dieser Zeit war ich immer sicher, dass er nur missverstanden wird. Aber kann jemand seine gesamte Erziehung über Bord werfen, seinen Charakter völlig umkrempeln? Dark mag die Seiten gewechselt haben, aber er ist noch genauso gefährlich wie zuvor. "Keine Sorge", sagt Dark schließlich und seine Stimme durchbricht die Barriere aus Angst zwischen uns wie eine Faust, die einen Spiegel zerschlägt. "Ich werde dich nicht töten. Wenn du mein Geheimnis für dich behalten kannst, habe ich keinen Grund dazu." "Ich habe es seit Monaten geheim gehalten", flüstere ich atemlos. Ich denke flüchtig an Raphael und Louis, die ich beide eingeweiht habe, verdränge den Gedanken aber sofort. "Ich werde dich nicht verraten." "Gut." Er lächelt leicht und Hundemon senkt den Kopf wieder auf seine Pfoten. Ist es noch dasselbe Pokémon wie vorhin? Die beiden kommen mir mit einem Mal wieder ungefährlich vor, aber das Echo meiner Angst pocht weiterhin kraftvoll durch meinen Körper und ganz entspannen kann ich mich nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)