Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 77: Erwachen (Rose und Claude) -------------------------------------- „Hast du verloren?“, fragt Rose. Sie steht an die Wand gelehnt neben Zimmer 129 und beobachtet mich. „Ja, habe ich“, sage ich knapp, nicht gerade in der Stimmung, meine demütigende Niederlage gegen Zapplardin Revue passieren zu lassen. „Hunter ist geheilt und mir geht es gut.“ Ich höre Roses Schritte hinter mir auf der Treppe, als sie mir in den Speisesaal folgt. Dort finde ich nur Cornelia vor, die mir einen unwirschen Blick zuwirft, mich dann aber doch zu sich an den Tisch winkt. Ich lasse mich neben ihr auf den Stuhl sinken und warte, bis sie mit der Inspektion meines Gesichts fertig ist. „Claude, bring uns das Abendessen und den Tee, aber schnell!“, ruft sie dann. Claude, der hinter uns steht, schrickt zusammen und macht Anstalten, davon zu eilen, aber Rose nimmt ihn bei der Hand und hält ihn fest. „Claude ist nicht dein Sklave, Cornelia“, sagt sie wütend. „Holt euch euer Essen selbst. Komm Claude, wir lassen die beiden alleine.“ „A-aber…“, widerspricht er noch, aber da hat sie ihn schon davon gezerrt. „Diese Schiffsreise wird immer unangenehmer“, sagt Cornelia kühl und krault ihrem Flampion den runden Bauch. Es macht ein glucksendes Geräusch. Schließlich bringt ein Matrose uns unsere Teller und ich beginne zu essen, bin aber in Gedanken schon längst bei meinem nächsten Kampf gegen Rita. Mit Sku werde ich sicher gewinnen. Das Geld im Pot beläuft sich inzwischen auf über 10.000 PD. Wenn ich gewinne, bin ich meine Schulden auf einen Schlag los. „Abby. Abby, ich rede mit dir!“ Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. „Tut mir leid. Was?“ „Hoch und ab ins Bett mit dir“, sagt Cornelia. „Du bist schon völlig neben der Spur. Ich will dich morgen nicht hier unten sehen, verstanden? Claude kann dir Essen aufs Zimmer bringen.“ „Aber ich muss-“ „Gar nichts musst du, Mädchen.“ Sie stößt mir mit ihrem Zeigefinger gegen die Brust. „Du bist kurz davor, eine waschechte Grippe auszubilden und ich werde verhindern, dass du das ganze Schiff damit ansteckst.“ „Dann gehe ich am besten gleich hoch“, sage ich wütend und stehe auf. „Eine sehr weise Entscheidung“, stimmt Cornelia ungerührt zu. „Valentin ist auch in seinem Zimmer. Und wenn ich nur einen von euch hier unten erwische, dann lasse ich mir vom Kapitän die Erlaubnis geben, euch in Quarantäne zu stecken.“   In dieser Nacht schlafe ich noch schlechter als in der vorherigen, wenn das möglich ist. Unruhig wälze ich mich hin und her, bis Sku sich auf meiner Brust einrollt, um mich still zu halten, aber selbst das hilft nicht. Stattdessen lausche ich den Schritten auf dem Gang. Cornelia sagt, das seien die Zirkusleute. Irgendwann schiebe ich Sku von mir runter, schleiche zur Tür und lege mein Ohr an das Holz, aber außer leisem Getuschel kann ich nichts verstehen. Der Drang, die Tür einen Spalt zu öffnen, ist groß, aber ich halte mich zurück. Zurück in meinem Bett umarme ich Sku fest und mit ihrem Herzschlag so nah an meinem und dem leisen Knistern, das von Gott ausgeht, komme ich tatsächlich zu einigen Stunden Schlaf.   Gotts leises Knurren weckt mich am nächsten Morgen. Ich öffne die Augen, kann mich aber kaum bewegen, so kraftlos fühlt sich mein gesamter Körper an. Dann klopft es. Erschöpft schließe ich wieder die Augen. Einige Sekunden bleibt es still. Dann klopft es wieder. „Sku, wärst du so lieb?“, murmele ich und sie springt gehorsam vom Bett, um sich an der Tür aufzubäumen und unbeholfen die Klinke herunter zu drücken. „Ehm, e-entschuldigung“, ertönt Claudes Stimme. „Abby? Ich habe dein M-mittagessen.“ „Stell es da auf den Tisch“, sage ich und beobachte, wie der Schiffsjunge ein Tablett mit dampfender Suppe und einer großen Flasche Wasser auf den Tisch stellt. Gotts Rückenflammen schießen steil in die Höhe und Claude lässt vor Schreck fast das Tablett fallen, dann zieht er sich so schnell er kann zurück. „Tut mir leid für die Störung!“, presst er hervor und macht auf dem Absatz kehrt. Dann macht er zu meiner großen Überraschung kehrt. „Rose fragt, o-ob sie dich später besuchen darf.“ „Natürlich“, sage ich und lasse mich zurück in meine Kissen sinken. „Sie muss nicht extra fragen.“ Die Tür schließt sich, als Claude mein Zimmer verlässt und mich in meinem Gefängnis alleine lässt. Ich fühle mich wie einmal durchgekaut und wieder ausgespuckt, aber der Duft der Suppe und mein nagender Hunger bringen mich schließlich doch dazu, das Bett zu verlassen. Kaum bin ich aber mit Essen fertig, wird das Verlangen, hinunter zu gehen, unerträglich. Gott knurrt leise, als ich immer unruhiger werde und in meinem Zimmer auf und ab gehe. Sku, die sich neben ihm auf dem Tisch eingerollt hat, folgt meinen Bewegungen mit besorgt zusammen gekniffenen Augen. Als Rose schließlich anklopft, bin ich am Ende meiner Beherrschung. Ich reiße die Tür auf und will an ihr vorbei stürmen, aber sie scheint mein Vorhaben erahnt zu haben, denn sie drückt mich augenblicklich zurück und dank meiner Müdigkeit schafft sie es, mich in mein Zimmer und auf einen Stuhl zu drängen. „Abby“, flüstert sie. „Etwas geht hier vor sich, das mir ganz und gar nicht gefällt.“ „Was meinst du?“, frage ich und schaue an ihr vorbei zur Tür. Wenn ich es schaffe, sie zur Seite zu stoßen, kann ich vielleicht- „Genau das meine ich!“, ruft sie wütend und schnippt mit ihren Fingern direkt vor meinem Gesicht. „Was?“ „Seit du gegen Rita gekämpft hast, verhältst du dich komisch! Und nicht nur du. Valentin und viele andere Passagiere auch. Siehst du nicht, was mit dir passiert?“ „Was passiert mit mir?“ „Du schläfst kaum“, zählt Rose an ihren Fingern auf. „Du verspürst einen krankhaften Drang, gegen Rita zu kämpfen, obwohl dir jeder davon abrät, die bist reizbar, du weigerst dich, deine Pokémon zu rufen, obwohl sie schon längst wieder erholt sein müssten und du schweifst mit deinen Gedanken ab.“ „Ich bin krank“, sage ich. „Und warum bin ich dann nicht krank?“, fragt Rose. „Oder Cornelia? Weil du nicht krank bist, ganz einfach. Es hat alles mit Rita angefangen. Wusstest du, dass Valentin heute Morgen hinunter gestürmt ist und Cornelia zur Seite gestoßen hat, als sie ihn aufhalten wollte? Er hat sie auf den Boden geschubst und fast keiner der anwesenden Passagiere war geschockt! Sie stehen Schlange, auf dem Deck und vor dem Zimmer. Wir müssen herausfinden, was mit euch los ist!“ „Hat er gewonnen?“, frage ich nach einigen Sekunden. „Was?“ Rose starrt mich entsetzt an. „Hat Valentin gewonnen?“ „Nein, natürlich nicht!", erwidert sie wütend. "Er hat drei Wasserpokémon, sein Quaputzi hatte genauso wenig eine Chance gegen Zapplardin wie schon Jurob und Seeper. Und wo wir schon von Jurob sprechen: Er hat ihn noch kein einziges Mal gerufen, seit er mit ihm gekämpft hat.“ „Wir sollen sie nicht rufen“, sage ich automatisch. „Sie müssen sich erholen.“ Rose schüttelt den Kopf. „So kann das nicht weitergehen. Ich werde dafür sorgen, dass ihr wieder normal werdet, und wenn ich dich dafür an dein Bett fesseln muss!“ Gott springt auf und sein Feuer lodert heiß und zischend in die Höhe. Rose macht einen Schritt zurück. „Erhol dich bitte“, sagt sie dann. „Ich sehe vielleicht gerade wie die Böse aus, aber ihr zwei macht mir wirklich Angst. Bis später.“ Dann ist sie verschwunden. Sku springt zu mir aufs Bett und reibt sich eng an mich. Ich streiche durch ihr dickes Fell. Wenn Valentin noch nicht gewonnen hat, besteht noch Hoffnung.   Claude bringt mir am Abend neues Essen und nimmt das Tablett wieder mit nach unten. Mein Verlangen, ihm zu folgen, ist so überwältigend, dass ich es kaum aushalte, aber dieses Mal ist es Sku, die mich zurückhält. Schließlich bin ich kurz davor, sie zurück zu rufen, aber in diesem kleinen Raum sind sie und Gott die einzigen Gründe, nicht verrückt zu werden und tatsächlich bin ich so müde, dass ich nicht die Kraft aufbringe, den ganzen Weg bis aufs Deck zu laufen. Morgen, verspreche ich mir selbst. Wenn ich ausgeschlafen bin. Morgen werde ich gewinnen. Wie durch ein Wunder schlafe ich in dieser Nacht durch. Ob es an meiner allgemeinen Erschöpfung oder dem Gedanken liegt, erst ausgeschlafen gegen Rita kämpfen zu können, weiß ich nicht, aber als ich am nächsten Morgen aufwache, geht es mir sehr viel besser. Ich rufe Gott und Sku zurück, dusche und bin noch vor den anderen beim Frühstück. Gerade, als ich fertig gegessen habe und hinaus aufs Deck treten will, höre ich Cornelias Ruf. Ich drehe mich zu ihr um und sehe, wie sie auf mich zu gehumpelt kommt. Sie scheint sich bei dem Fall gestern leicht verletzt zu haben. „Was tust du hier?“, fragt sie wütend. Ich grinse sie an. „Mir geht es viel besser“, erwidere ich. „Und jetzt werde ich Rita besiegen.“ Cornelia kneift die Augen zusammen. „Du siehst besser aus, Mädchen, aber bist du sicher, dass du gewinnen kannst?“ „Sku ist mein stärkstes Pokémon“, sage ich und tätschele Flampions Kopf, der seine kleinen Händchen nach mir ausstreckt. „Ich werde dich nicht aufhalten“, sagt Cornelia und folgt mir hinaus aufs Deck. Es ist nicht ganz so kalt wie die letzten Tage und selbst Flampion scheint der Wind nichts auszumachen. „Aber wenn du verlierst, werde ich diesem Spuk ein für alle Mal ein Ende bereiten. Hm.“ Da es noch so früh ist, stehen gerade einmal zwei andere Trainer in der Schlange. Sie unterhalten sich nicht, sondern beobachten gierig den Pot und den Kampf, den Rita mit ihrem Kinoso bestreitet und ohne Probleme gewinnt. Als ich schließlich an der Reihe bin, löst sich die Anspannung, die mich seit gestern geplagt hat und ich atme erleichtert aus, bevor ich Sku rufe und das Geld in den Pot werfe. „Der Potinhalt beträgt nun 23.400 PD“, verkündet der Jongleur. „Siegt der Herausforderer, erhält er einen Geldbetrag von 46.800 PD.“ Rita greift nach einem ihrer Pokébälle. „Dann wähle ich dich, Omot. Starte mit Superschall.“ „Sku, kontere mit Kreideschrei und danach Schlitzer“, rufe ich ihr zu. Omot schlägt mit den blass violetten Flügeln und stößt dann kurze, piepende Töne aus, aber Sku übertönt die Giftmotte mit ihrem Kreideschrei und stürzt sich anschließend mit ausgefahrenen Klauen auf ihren Gegner. Omot, das mit seiner Attacke beschäftigt war, wird von Skus Gewicht zu Boden gerissen und fiept schrill, als Skus Krallen drei tiefe Schnitte in ihrem Unterleib reißen. „Okay, Omot, versuch es mit deiner Stachelspore“, befiehlt Rita. Omot windet sich aus Skus Griff und schlägt mehrmals kraftvoll mit den Flügeln. Sku versucht auszuweichen, kann sich vor dem gelben Puder, der aus nächster Nähe auf sie herab regnet, jedoch nicht retten und wird über und über von den Pollen bedeckt. Sie schüttelt sich, um das Pulver aus ihrem Pelz loszuwerden, scheitert aber kläglich. „Lass dich davon nicht beeindrucken“, rufe ich ihr zu. „Bleib bei Schlitzer!“ „Zeit für die Ampelleuchte“, sagt Rita und Omots Hinterteil beginnt, goldgelb aufzuleuchten, bevor das Licht sich explosionsartig verstärkt und als zielgerichteter Strahl in Skus Gesicht prallt. Sku gibt ein klägliches Heulen von sich und wirft sich blind in Omots Richtung, um mit ihrem Schlitzer zu attackieren, aber das grelle Licht hat sie verwirrt und sie verfehlt Omot um einen Meter, fliegt durch die Luft und schlägt mit einem lauten Knall auf dem Deck auf. „Sku, nein!“, schreie ich und will zu ihr rennen, aber da hat sie sich schon wieder aufgerappelt. Die Paralyse und die Verwirrung hindern sie in ihren Bewegungen, aber nichtsdestotrotz macht sie sich für einen neuen Angriff auf Omot bereit, das von einer ihrer Pranken gestreift wird und sanft zu Boden trudelt. „Beende es mit Ampelleuchte“, sagt Rita und ich sehe hilflos dabei zu, wie Omot seine Attacke auflädt und eine weitere Woge gleißend goldenen Lichts in Skus Richtung schießt. Als ich wieder sehen kann, liegt Sku besiegt am Boden. Ich sinke auf die Knie. Geschlagen. Wenn ich mit Sku nicht gegen Rita gewinnen kann, dann habe ich auch mit Gott kaum eine Chance. Ich rufe meinen Starter zurück und spüre Cornelias runzlige Hand, die mich am Ellenbogen hochzieht. „Du hast dich gut geschlagen“, sagt sie und tritt an mir vorbei. „Aber jetzt werde ich dieses Spektakel beenden.“ Noch immer neben der Spur mache ich Cornelia Platz, die ihr Geld in den Pot wirft und sich dann vor Rita positioniert. Flampion quietscht vergnügt und springt dann aus den Armen seiner Trainerin, um mit einem doppelten Salto vor ihr auf dem Boden zu landen. Rita ruft ihr Omot zurück und ersetzt es mit Zapplardin, das genauso aufgeregt wie sein Gegner zu sein scheint und mit lautem Knistern durch die Luft flitzt. „Flampion, leichte Offensive“, befiehlt Cornelia. „Funkensprung, Zapplardin!“, ruft Rita ihrem Pokémon zu. Flampions kleine Faust beginnt zu glühen und es katapultiert sich in die Höhe, nur um im nächsten Moment auf Zapplardin herab zu sausen. Die Elektroattacke trifft das Lampionpokémon frontal, aber Flampion lässt sich davon nicht beeindrucken und führt seinen Feuerschlag gnadenlos zu Ende. Die Wucht des Angriffs lässt den kleinen Stromfisch auf den Boden aufschlagen und einige Meter weiter schlittern, während das Feuerpokémon lediglich in die Hände klatscht und freudig auf und ab springt. „Zapplardin, noch mal Funkensprung“, befiehlt Rita mit gezwungen ruhiger Stimme und ich beobachte, wie die beiden Pokémon ihren Angriff von zuvor wiederholen, Flampion seinen kraftvollen Feuerschlag und Zapplardin seinen Funkensprung. Wieder wird das Elektropokémon zurück geschleudert, aber auch Flampion kann seine schwindenden Kräfte nicht mehr länger verbergen. Es schlägt sich zweimal gegen den Kopf, um seine Konzentration zurück zu erlangen, aber das knisternde Zittern, das seinen Körper umhüllt, hat nichts mit fehlender Energie zu tun. Zapplardins Funkensprung hat es paralysiert. Cornelia lächelt schelmisch und faltet die Hände. „Beende es mit deiner Fassade“, befiehlt sie, gerade, als Zapplardin sich für einen letzten Funkensprung bereit macht. Die beiden Pokémon schießen aufeinander zu, Zapplardin entlädt eine gewaltige Woge Strom auf seinen Gegner, die Flampion mit gekreuzten Ärmchen abfängt, hindurch läuft und den Stromfisch mit einem einzigen, gezielten Schlag ans andere Ende des Decks schleudert, wo es gegen die Reling prallt und besiegt liegen bleibt. Keine Sekunde später kippt Flampion vornüber und landet mit einem leisen Plumps auf dem Boden. Unentschieden? „Das ist eine schwierige Situation“, gesteht Rita und ruft ihr Pokémon zurück. Cornelia hebt ihr Flampion vorsichtig auf und hält es im Arm, dann deutet sie auf den Pot. „Die Hälfte aus dem Pot, und dieselbe Menge aus deiner Tasche dazu“, fordert sie und Rita legt den Kopf schief, nickt dann aber. „Das ist fair“, stimmt sie zu und innerhalb kürzester Zeit hat der Jongleur das Geld ausgezählt und es Cornelia in die Hand gedrückt. Sie wendet sich ab, zieht mich mit sich und gemeinsam machen wir uns auf den Weg hinauf zu Zimmer 129. Auf der Treppe kommen uns Rose und Claude entgegen, bepackt mit Tabletts voller Handtücher und Medikamente. Als ihr Blick auf das besiegte Flampion fällt, reißt Rose die Augen auf und bleibt stehen. „Du hast auch gegen sie gekämpft?“, fragt sie wütend und scheint den Tränen nahe zu sein. „Ich dachte, du wärst auf meiner Seite!“ „Welche Seite?“, fragt Cornelia. „Ich wollte nur nicht, dass die beiden sich überanstrengen, wenn sie krank sind, aber wie du siehst, geht es Abby besser und es bestand demnach kein Grund, sie von einem Kampf abzuhalten.“ „Aber du hast gesehen, wie Valentin sich gestern verhalten hat!“, schreit Rose sie an. Claude zuckt zusammen und macht sich so klein wie möglich. „Das ist nicht normal! Etwas geht hier doch vor sich!“ „Nun, was immer es war, ich habe es beendet“, verkündet Cornelia. „Ich habe Rita besiegt, alles andere wird sich schon klären. Hm! Nun geh weiter, los, los, bevor ich ungemütlich werde.“ „Nur damit du es weißt“, sagt Rose zornig und schaut mir in die Augen. „Valentin hat hohes Fieber. Er redet im Schlaf davon, dass er gegen Rita kämpfen will, aber nicht mit seinem Maschock, aber dass er muss, dass jemand ihm sagt, er müsse gegen Rita kämpfen. Wenn du auch so endest, werden wir ja sehen, wer Recht hat.“ Sie flüstert Claude etwas ins Ohr und geht dann an mir vorbei und die Treppen hinunter. Claude bleibt unschlüssig stehen, macht dann auf dem Absatz kehrt und geht zurück zu Valentins Zimmer im linken Flügel. Cornelia murmelt unverständliche Flüche über die Jugend vor sich hin, während wir dem Gang folgen und schließlich an die Tür zu Zimmer 129 klopfen. Der Psycho öffnet die Tür und schaut uns mit schief gelegtem Kopf an, dann lässt er Cornelia hinein, versperrt mir aber den Weg. „Warum kann ich nicht mit rein?“, frage ich. Er wirft mir einen düsteren Blick zu. „Nur einer auf einmal.“ Verwirrt bleibe ich vor dem Zimmer stehen und lasse mir die Tür vor der Nase zuziehen. Die Worte von drinnen sind gut zu verstehen, aber es ist nur das übliche Prozedere. Schließlich kommt Cornelia aus dem Raum, Flampion sicher in seinem Pokéball verstaut und schaut mich mit einem merkwürdigen Blick an. „Ich gehe uns einen Tee bestellen“, sagt sie dann und verschwindet an mir vorbei und die Treppe hinunter. Ich betrete das Zimmer, gebe dem Psycho Skus Pokéball und beobachte das Nebulak, das vor mir auf und ab schwebt und Grimassen schneidet. Der Psycho schnalzt mit der Zunge und das leise Klacken der Heilmaschine hallt beruhigend in meinen Ohren wider. „Möchtest du Rita erneut herausfordern?“, fragt er und ich nicke abwesend. Das Bild von Gott blitzt kurz vor meinem geistigen Auge auf und ich bin mir entfernt bewusst, dass er nicht vor so vielen Zuschauern kämpfen sollte, aber ich antworte trotzdem automatisch. „Natürlich.“ Das Rascheln unter dem Tisch, dicht gefolgt von einer Hand auf meiner Schulter, reißt mich aus meinen Gedanken. „Du solltest dein Pokémon vorerst nicht rufen. Es muss sich noch-“ „-erholen“, antworte ich abwesend und stehe auf. Ein dünnes Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab und Nebulak keckert leise, dann öffnet er mir die Tür und ich trete hinaus, nur um halb über Claude zu stolpern, der vor der Tür gestanden hat und jetzt mit einem leisen Aufschrei nach hinten springt und dann die Treppen hinunter läuft. Verwirrt schaue ich ihm nach und folge ihm schließlich hinunter in den Speisesaal. Cornelia sitzt wie versprochen an einem der Tische und hat zwei dampfende Tassen Tee vor sich stehen, während Rose und Claude auf der anderen Seite des Tisches sitzen und leise miteinander reden. Rose nickt beunruhigt und wirft mir wieder und wieder Blicke zu. „Wie geht es Sku?“, fragt sie dann und meine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. „Gut.“ „Willst du sie nicht rufen?“ „Sie muss sich erholen.“ Roses Gesichtsausdruck verfinstert sich, aber zu meiner Erleichterung sagt sie nichts mehr sondern steht auf. „Claude, du kümmerst dich um Valentin und das, was wir besprochen haben.“ Er nickt ernst und verlässt dann den Speisesaal.   Später in der Nacht liege ich alleine in meinem Bett und starre an die orangerot flackernde Decke. Gott schnarcht leise vor sich hin, scheint sich an Skus Abwesenheit aber nicht weiter zu stören. Ich hingegen fühle mich merkwürdig leer und alleine und als ich gerade kurz vor dem Einschlafen bin, werde ich durch Poltern und Schritte im Gang geweckt. Frustriert rolle ich mich auf die andere Seite, presse mein Kissen auf meine Ohren und kneife die Augen zusammen. Aber meine Chance auf Schlaf ist nun endgültig vergeben und als am nächsten Morgen die Sonne aufgeht, habe ich nicht eine Sekunde geschlafen.   Übermüdet, aber hungrig, quäle ich mich hinunter zum Frühstück. Gott habe ich in seinem Finsterball dabei, bereit, meinen letzten Versuch gegen Rita zu wagen, aber als ich die Treppen hinunter steigen will, entdecke ich Rose, die aus Valentins Zimmer kommt und ihm allem Anschein nach Frühstück gebracht hat. Als ihr Blick auf mich fällt, schlägt sie eine Hand vor den Mund und läuft auf mich zu. „Abby, was ist passiert?“, fragt sie und hält meine Schultern fest. „Du siehst halb tot aus.“ „Nicht geschlafen“, murmele ich und lasse mich von ihr hinunter führen. „Du solltest im Bett bleiben“, widerspricht sie mit Tränen in den Augen. „Ich hätte dich nicht aus den Augen lassen sollen! Es tut mir leid, ich war so wütend darauf, dass ihr mir nicht geglaubt habt und habe euch einfach ans offene Messer laufen lassen!“ „Wovon redest du?“, frage ich, ein wenig überfordert mit der Situation. „Claude hat mir gestern Abend erzählt, was in dem Heilzimmer vor sich geht“, fährt Rose ungerührt fort. „Er hat mir versprochen, heute Nacht mehr herauszufinden. Aber was ich bisher weiß, ist äußerst beunruhigend. Wir werden gleich mit ihm sprechen. Er wollte mich im Speisesaal treffen.“ Der Speisesaal ist so gut wie ausgestorben. Obwohl es kaum acht Uhr ist, sind fast alle Passagiere draußen auf dem Deck versammelt und stehen für einen Kampf gegen Rita Schlange. Die wenigen, die keinerlei Interesse an Pokémonkämpfen oder Geld haben, sitzen an den vielen Tischen verteilt und diskutieren leise über ihrem Frühstück. Cornelia sitzt an unserem Stammplatz und schlürft ihren Tee. Von Claude keine Spur. Rose wird langsamer und bleibt schließlich neben Cornelia stehen. „Wo ist Flampion?“, fragt sie mit ausdrucksloser Miene. Cornelia schüttelt belustigt den Kopf. „Es geht ihm gut. Er muss sich erholen.“ Ich nicke wissend, auch wenn mich irgendetwas an dieser Aussage stört. Hat Cornelia nicht gesagt, dass sie… ohne Flampion… nirgendwo hingeht? „Abby. Abby!“ Ich schrecke hoch. „Siehst du Claude irgendwo?“ Rose klingt beunruhigt. „Er wollte hier sein.“ Ich schüttele den Kopf und lasse meinen Blick noch einmal durch den gesamten Saal gleiten, aber nirgends ist sein weißblonder Lockenschopf zu erkennen. Stattdessen entdecke ich Valentin, der durch den Eingang schlurft und mit einem Pokéball in der Hand auf das Deck zu steuert. „Da“, sage ich und deute in seine Richtung. Rose dreht sich hoffnungsvoll um, entdeckt dann aber, wen ich eigentlich meine und lässt mich halb fallen, als sie sich Valentin in den Weg stellt. „Du bist in keiner Verfassung zu kämpfen, Val“, sagt sie flehend. „Bitte, geh zurück ins Bett.“ „Ich muss gegen Rita kämpfen“, murmelt Val. „Ich muss… kämpfen.“ Als Rose eine Hand nach ihm ausstreckt, stößt er sie von sich. Auch mir kommt mit einem Mal wieder der Gedanke, gegen Rita kämpfen zu müssen. Ich mache auf der Stelle kehrt und folge Val, der schon auf halbem Wege durch den Saal ist. „Warum merkt hier denn keiner, was wirklich vor sich geht?!“, schreit Rose und bevor ich etwas tun kann, hat sie mich schon von hinten angesprungen und zu Boden gerissen. Wir rangeln eine Weile auf dem Boden, bis sie die Oberhand gewinnt und eine Hand nach meinen Pokébällen ausstreckt. „NEIN!“, schreie ich und reiße ihre Hand weg. „Sie müssen sich erholen!“ „Ihr seid alle wahnsinnig!“, kreischt Rose und presst eine Hand in mein Gesicht, während sie mit der anderen nach meinen Pokébällen greift. „Merkt ihr denn gar nichts?!“ So sehr ich mich auch wehre, letztendlich schafft Rose es doch, einen der Pokébälle von meinem Gürtel zu reißen und kaum hat sie ihre Finger um das Plastik geschlossen, springt sie von mir weg, hält den Pokéball vor sich und öffnet ihn. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen. Er ist leer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)