Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 64: Aggressionen (Ein gelber Sack) ------------------------------------------ Am nächsten Morgen lasse ich Louis ausschlafen, während ich mich früh aus dem Bett quäle, um vor unserem geplanten Safari-Trip noch zwei Stunden Schwimmen einzubauen. Mit dem ersten Dezember wird es stetig kühler und so ziehe ich mir den langen Bikini unter meine normale Kleidung, damit ich mich nicht am Strand umziehen muss. Da es noch so früh ist, ist das Pokécenter wie leergefegt. Nicht mal Schwester Joy ist zu sehen. Statt ihr steht ein junges Mädchen an der Theke und beobachtet mit glasigen Augen, wie ich meinen Rucksack schultere, ein letztes Mal das Plakat der Safari-Zone unter die Lupe nehme und schließlich in den düsteren Morgen verschwinde. Außer vereinzelten, sehr müde dreinschauenden Trainern, wirkt der Rest der Insel genauso verlassen wie das Pokécenter. Auf meinem Weg zu der Bucht von gestern komme ich an einer kleinen Apotheke vorbei, aus deren Innern mich jemand beobachtet und dann vom Fenster verschwindet. Hier ist wohl jeder ein Morgenmuffel. Ich unterdrücke ein Gähnen. Verübeln kann ich es ihnen nicht. Trotz der Uhrzeit herrscht zumindest am Strand reges Treiben. Schon aus der Ferne entdecke ich Kat und Valentin, die eine kleine Gruppe Clubmitglieder in einem gemeinsamen Aufwärmprogramm leiten. Über ihren langen, dunkelblauen Schwimmhosen tragen sie Shirts ihres Vereins und als mich eins der Mitgliedern entdeckt, drehen sich alle Köpfe zu mir. Zu meiner großen Überraschung rufen Kat und Valentin die Jüngeren aber sofort zur Ordnung, Kat gibt mir sogar ein gut gemeintes Daumenhoch-Zeichen. Ich umrunde die Gruppe so gut es geht und ziehe mir etwas abseits meine Hose und den Pullover aus, die ich in meiner Tasche verstaue. Als Wächter suche ich dieses Mal Gott aus, der sich flüchtig an mein Bein schmiegt, bevor er sich auf dem Rucksack zusammenrollt und beim Anblick der anderen Schwimmer aggressiv die Zähne bleckt. „Halte dich zurück“, warne ich ihn. „Kein Beißen, es sei denn, du siehst Mel. Verstanden?“ Gott gibt ein Fauchen von sich, das Ruß und Rauch in die Luft bläst, legt aber gehorsam den Kopf auf seine Pfoten und schaut mich erwartungsvoll an. Mal sehen, wie lange er das durchhält. Wie schon gestern hänge ich mich unauffällig an die ASV-Schwimmer dran, um mir die Strecke durch die Inselgruppen einzuprägen, was aus Wasserperspektive nicht unbedingt leicht ist, aber nach drei Runden im kalten Wasser kommen mir die Felsformationen langsam bekannt vor. Nur einer der Streckenabschnitte scheint mir ein ziemlicher Umweg zu sein, ich werde mir in den kommenden Tagen mal eine alternative Route anschauen. Die anderen Schwimmer beginnen bereits ihren vierten Durchlauf, aber es ist spät geworden und ich muss mich mit Louis im Pokécenter treffen, also schwimme ich zurück ans Ufer, frierend und erschöpft, aber wach und zufrieden. Zumindest so lange, bis ich Gott entdecke, der mit blutigem Maul auf meinem Rucksack sitzt und misstrauisch umher schaut. „Was ist passiert?“, frage ich entsetzt und untersuche sofort sein Gebiss, aber das Blut stammt nicht von ihm. „Hast du wieder jemanden gebissen?“, frage ich, wütend. Er zischt. „Hat jemand versucht, meine Sachen zu klauen?“ Gott faucht wütend und spuckt eine kleine Flamme in den Sand, die dort aufflammt, bevor sie verglüht. „Was mache ich nur mit dir…“, murmele ich und rufe ihn zurück. Als ich mich umschaue, kann ich niemanden entdecken. Wen auch immer Gott gebissen hat, die Person ist schon geflohen. Wäre ich an ihrer Stelle auch. Als ich mich auf den Rückweg mache, muss ich an Gott denken, der mit jedem Level, den er steigt, aggressiver zu werden scheint. Als Feurigel hat er Fremde angefaucht, inzwischen beißt er sie, und nicht mehr nur, wenn ich in Gefahr bin. Ich will nicht wissen, was er als Tornupto anstellen wird.   „Bist du soweit?“, fragt Louis, der mich vor dem Eingang abfängt. „Ich habe mich gestern ein bisschen über die Safari-Zone informiert. Das wird ein ziemlicher Aufstieg. Hast du deine Sachen schon dabei?“ Ich hebe zur Antwort meinen Rucksack in die Höhe. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg durch die Stadt zum Felsklippentor, einem gewaltigen Durchgang, der nördlich der Arena in die Gebirgskette der Insel gegraben wurde und der einzige Zugang zu Route 47 ist. Das künstlich erschaffene Höhlengewölbe reicht weit in die Höhe, ein kleiner See liegt zu unserer Linken und steile Steinstufen führen die Felsklüfte hinauf zu dem Höhlenausgang. Noch am Fuß der Höhle werden uns die neuste Version des Kartenmoduls für Route 47 und 48 angedreht, sowie Informationsflyer, Regelwerke und zwei Lollis. Mit unseren neu erworbenen Geschenken in den Armen fällt der Aufstieg nicht leicht, aber schließlich kommen wir nach einigem Fluchen heil auf dem ersten Vorsprung an. Von hier aus geht es nur noch mäßig steil in die Höhe und als wir draußen ankommen und wieder frische Seeluft riechen können, ist die Aussicht atemberaubend. Ich mache einen Schritt auf dem Klippenvorsprung nach vorne, bevor ein kleiner Zaun mich aufhält. Als ich den Blick senke, geht es fast hundert Meter steil in die Tiefe. Die Brandung schlägt krachend an den Fuß des Berges und Lanturn schießen in Schwärmen aus dem Wasser, bevor ihre Köpfe mit den Leuchtantennen wieder vom Meer verschluckt werden. Jurob faulenzen auf Felsen, die schräg aus dem Wasser ragen und die roten Giftsäcke eines Tentoxas leuchten mir aus den schwarzblauen Tiefen entgegen. „Wow“, sagt Louis, der neben mir zum Stehen kommt. „Ganz schön eng hier oben.“ Ich nicke, sprachlos. Aber erst, als ich mich von dem Anblick der wilden Ibitak losreiße, die in Kreisen durch die Lüfte schießen und sich gegenseitig kleine Karpador zuwerfen, sehe ich wirklich, was er meint. Der Weg schlängelt sich in maximal einem Meter Breite an dem Rand der senkrecht aufsteigenden Felsklippe entlang und außer dem dünnen Drahtzaun trennt uns nichts von einem tödlichen Sturz in die Tiefe. Wir folgen dem Pfad und halten uns vorsichtshalber nahe der Felswand auf. Einige Schilder warnen vor Steinschlag, wilden Pokémon in der Paarungszeit und einer Menge anderer nicht sonderlich beruhigender Dinge. Die Strecke zum nächsten Höhlendurchgang, der auf der Karte so nah erscheint, ist verdammt lang und schon bald beginnt Louis, im Gehen den Informationsflyer zu durchforsten und mir einige Punkte vorzulesen. „Besucher der Safari-Zone werden in zwei Level aufgeteilt“, erklärt er, nachdem er sich die betreffenden Texte dazu durchgelesen hat. „Level A-Besucher dürfen die Safari Zone nur mit einem Ranger erkunden, dabei darf ein Ranger maximal drei Trainer gleichzeitig betreuen. Wenn man möchte, kann man einen Safari-Test ablegen, der dich bei Bestehen auf Level B befördert. Dann kannst du die Safari-Zone auch ohne Ranger besuchen.“ „War das früher nicht immer so?“, frage ich und kneife die Augen zusammen, um das andere Ende des Klippenstreifens zu erkennen. Keine Chance. „Das haben sie wohl geändert.“ Louis zuckt die Achseln. „Wahrscheinlich ist irgendjemandem was passiert und dann mussten sie die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen.“ „Wie viele Ranger es hier wohl gibt…“ „Hier steht, dass sie 24 Ranger haben, sowie 11 weitere in Ausbildung.“ „Huh.“ „Oh, und wenn ich das richtig verstanden habe, ist die gesamte Safari-Zone in zwölf Areale eingeteilt. In jedem Areal sind unterschiedliche Pokémon angesiedelt und für den Eintrittspreis kannst du maximal sechs pro Tag besuchen.“ Während Louis weitere Fakten runter rattert, konzentriere ich mich auf den verschlungenen Aufstieg. Der Vorsprung, auf dem wir uns bewegen, ist nicht nur verdammt schmal, sondern steigt auch langsam an. Es vergeht fast eine Stunde, bevor wir um die erste Biegung der Klippe gegangen sind und mir sackt das Herz in die Hose, als ich den weiteren Aufstieg in vollem Ausmaß zu Gesicht bekomme. Innerhalb der nächsten Stunde folgen wir dem Pfad weiter zum Eingang der Felsschlundhöhle, dem Aufgang auf die höhere Vorsprungebene. Wir begegnen einem Wanderer, der hier unterwegs ist und ich lasse Louis den Vortritt, der seinen Steinpokémon mit Harley den Gar ausmacht. Ohne Wasserpokémon hätte ich ziemlich schlechte Chancen, denn obwohl er nicht so aussieht, ist der Wanderer ziemlich stark. Da es eine lange Anreise zu werden scheint, rufe ich Hunter und Jayjay, damit die beiden ein wenig frische Luft schnappen können. Hunter zupft liebevoll an Jayjays Ohr, bevor er sich in die Lüfte schwingt und zu seinen Artgenossen gesellt, die in Scharen um die Klippen fliegen. Jayjay tänzelt nervös am Rand des Vorsprungs auf und ab, bis ich meine Handschuhe anziehe und aufsitze. Das zusätzliche Gewicht scheint ihn zu beruhigen, aber er wirft immer wieder neugierige Blicke hinter sich. „Das ist ziemlich unfair von dir“, meint Louis nach einer Weile, in der ich neben ihm her geritten bin. „Du kannst ja auf Winry reiten“, meine ich grinsend. „Ich will auch so ein Reitpokémon haben“, sagt er und reibt sich mit dem Daumen über die Nase. „Vielleicht kann ich eins in der Safari-Zone fangen, was denkst du?“ „Ich denke, du solltest die nächsten beiden Arenaleiter berücksichtigen“, sage ich und tätschele aus meiner erhöhten Position seinen Kopf. „Denk dran. Boden, Kampf, Feuer, Flug und Psycho, das sind deine Prioritäten.“ „Ja, das grenzt mich natürlich ziemlich ein“, erwidert Louis und deutet in die Höhe. „Hier wimmelt es ja nicht von Gesteinpokémon oder so.“ Ich hebe den Blick. Was ich zunächst für grobe Felswände gehalten habe, entpuppt sich jetzt als dutzende, vielleicht hunderte von Kleinstein, die an den Stein geklammert an der Wand hängen und sich nur minimal vorwärts bewegen. Die meisten scheinen zu schlafen. „Fang dir doch so eins.“ „Ich will kein Kleinstein“, sagt Louis automatisch. „Ich will coole Pokémon, nicht sowas… Normales.“ Jayjay trottet still weiter, doch dann dreht er mit einem Mal ruckartig den Kopf nach hinten und schnaubt triumphierend. Ich drehe mich im Sattel um und erhasche gerade noch den Blick auf Schuhspitzen, die hinter einer Abbiegung verschwinden. „Was zum…“ „Abby, wir haben´s geschafft!“ Ich drehe mich wieder zu Louis um, der begeistert auf ein ausgeschildertes Loch in der Felswand am Ende des Weges deutet. „Das muss die Felsschlundhöhle sein!“ Ohne auf mein Kommando zu warten, galoppiert Jayjay los und lässt Louis hustend hinter uns zurück. Kurz vor dem Durchgang legt er eine Vollbremsung ein und kommt schlitternd zum Stehen. Meine Finger um den Sattelgriff gekrallt, atme ich erleichtert aus. Der Höhleneingang wäre groß genug für Jayjay, aber dahinter hängt eine Strickleiter, die nach oben auf die nächste Ebene führt. Die kommt er ganz sicher nicht hoch. Ich rufe Jayjay zurück, der protestierend schnaubt und schaue mich dann zu Louis um, den wir hinter uns zurück gelassen haben. "Lasst mich ruhig alleine", mault er und joggt in meine Richtung. "Ich wollte ´eh ohne dich auf Safari gehen." Ich strecke ihm die Zunge heraus und werfe einen letzten Blick hinter uns. Der Pfad ist leer. Ich zucke die Achseln und folge Louis, der bereits ins Innere der kleinen Höhle gegangen ist. "GAH!" Ich reiße den Kopf herum und entdecke Louis, der augenscheinlich über einen gelben Sack gestolpert ist und jetzt Arme rudernd auf einem Bein steht, bevor die Schwerkraft siegt und er unsanft auf den Boden fällt. "Wer stellt denn bitte seine Sachen hier ab?", fragt er wütend und setzt sich auf. Gerechtigkeitshalber verpasst er dem Sack einen Tritt. Der Sack gibt ein Quieken von sich und springt auf. "Das ist kein Sack", sage ich langsam und starre das runde Pokémon an. "Das ist ein… Makuhita?" "Was macht es hier?", fragt Louis perplex. "Ich wusste nicht, dass es hier solche gibt." "Vielleicht sind sie selten oder nur zu bestimmten Zeiten hier", rate ich und betrachte den kleinen speckigen Kerl. Er lässt die kurzen Ärmchen kreisen und grinst uns breit an. "Welcher Typ sind Makuhita nochmal?", fragt Louis und steht langsam auf. "Kampf, wieso?" Das Makuhita legt den Kopf schief und begutachtet Louis einen Moment, dann schlägt es sich mit den kleinen Fäusten auf den wabbligen Bauch und gibt einen kurzen Schrei von sich. Louis Hand schießt an seinen Gürtel und im nächsten Moment materialisiert sich Harley vor ihm. "Rankenhieb, dann Schlafpuder!" Ohne Zögern schießen Harleys Ranken auf das Makuhita zu, das schreit und sich die Fäuste über den Kopf hält, während Hieb um Hieb auf ihn nieder geht. Kaum klingen Ultrigarias Attacken ab, rennt es auf Harley zu, packt sie mit seinen kleinen Ärmchen und schleudert sie über seine Schulter und seinen Rücken zu Boden. Harley gibt ein ersticktes Geräusch von sich, scheint aber sonst keinen allzu großen Schaden von dem Überwurf davon zu tragen. Sie nutzt die Gelegenheit und pumpt eine gewaltige Ladung grüner Pollen aus ihrem Maul, die Makuhita direkt ins Gesicht treffen. Makuhita grinst breit und hält sich die Hände vor den Mund. Die Pollen bleiben an seinem Körper kleben, gelangen aber nicht in seine Atemwege. "Harley, gib nicht auf. Schwäch ihn weiter mit deinem Rankenhieb." Harley holt Schwung und schlittert in einer gewaltigen Drehung in aufrechte Position. Ranken schießen aus der Spitze ihres Kopfes hervor und dreschen erneut auf das kleine Makuhita ein, das sich hin und her wiegt, um die Kraft der Schläge zu mindern. "Pass den richtigen Moment für deinen Schlafpuder ab, Harley!", ruft Louis, genau in dem Moment, da Makuhita zu einem erneuten Überwurf ansetzt und mit nach vorne ausgestreckten Armen auf Harley zu rennt. Harley stößt sich vom Boden ab und bläst ihrem Gegner eine weitere Ladung Pollen entgegen, die dieses Mal problemlos an Makuhitas Armen vorbei und direkt in sein Gesicht fliegen. Der Puder kitzelt seine Nase und Makuhita niest, zwei, dreimal, bevor es zu wanken beginnt und Gesicht nach vorne auf den Höhlenboden fällt. Lautes Schnarchen erfüllt das kleine Gewölbe. Fast schon lässig zieht Louis einen Pokéball aus seinem Rucksack und lässt ihn auf Makuhitas schlafende Gestalt fallen. Rotes Licht umhüllt das Pokémon, bevor es in die kleine Kugel gesogen wird. Der Ball vibriert zwei Mal, dann platzt er auf und das Makuhita erscheint wieder schlafend vor uns. Der zweite Versuch glückt allerdings und nach dem letzten Vibrieren und anschließendem kurzen Aufleuchten des Pokéballs, hebt Louis den Ball zufrieden auf. Nachdenklich schaut er auf ihn herab. "Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn nennen soll", sagt er schließlich und ich schmunzele. "Klaus." "Vergiss es." "Darüber kannst du dir auch auf dem Weg noch Gedanken machen", sage ich und setze einen Fuß auf die unterste Schlinge der Strickleiter. "Wir haben noch ein ganzes Stück vor uns." Hinauf zu klettern erweist sich als schwieriger als gedacht. Die Leiter schwingt vor und zurück und das Loch, durch das sie gelassen wurde, ist nicht besonders groß. Auf der höheren Ebene angekommen, verlassen wir die Felsschlundhöhle und machen uns auf zur zweiten Hälfte des Weges. Louis wirft einen Blick auf das Kartenmodul. "Jetzt müssen wir nur noch über die Brücke, das Plateau da entlang, über noch eine Brücke und noch eine und… noch zwei? Was ist das hier, eine Brücken-Safari?" "Fang dir eine", schlage ich vor. "Die wäre bestimmt nützlich." "Sehr witzig." Etwa gegen Mittag erreichen wir die zweite Brücke, die von dem oberen Plateau über einen tosenden Wasserfall führt und uns dem Ende unseres Anstiegs näher bringt. Ein Doppelkampf mit zwei Protrainern von der KPA hat uns aufgehalten, aber dank Skus hohem Level konnten wir gerade so gewinnen. Die Sonne steht inzwischen hoch am Himmel und ich halte nach Hunter Ausschau, der seit Beginn unseres Aufstiegs mit seinen Artgenossen durch die Lüfte geflogen ist. "Hunter!", rufe ich so laut ich kann, aber keins der Vogelpokémon nimmt Notiz von mir. "Wo steckt er denn?", murmele ich, ein wenig gekränkt. Bisher ist Hunter immer zurück gekommen, wenn ich gerufen habe. "Vielleicht hat er eine hübsche Ibitakdame gefunden", meint Louis breit grinsend. Seine Zahnlücke strahlt mir entgegen. "Ich kann ihn nicht Mal sehen", sage ich und kneife die Augen zusammen. "Hier wimmelt es ja nur so von Flugpokémon." Und es sind nicht nur Ibitak. Ich kann einige Habitak erkennen, die wie Geschosse durch die Luft rasen, Porenta, die quakend mit den Flügeln schlagen und sogar ein sehr großes, weißes… "Louis", sage ich und deute auf die Klippe, die hinter der Brücke liegt und so steil abfällt, dass ein Hinaufklettern ohne Werkzeug unmöglich wäre. Pokémon kreisen kreischend um die Felsen und attackieren sich gegenseitig in der Luft. Was aber meinen Blick wirklich gefangen nimmt, ist das Lugia. "Ist das… oh verdammt. Ist er das wirklich?" Louis lehnt sich an dem Geländer vor und kneift die Augen zusammen. "Kannst du ihn erkennen?" Ich schüttele den Kopf. "Zu weit weg. Aber wenn Lugia hier ist, dann muss er auch hier sein." Er. Gold. Ich habe ihn das letzte Mal auf dem Indigo Plateau getroffen, wo er als X die Leitung der Sicherheit gegen Team Rocket übernommen hat. Was tut er hier? Sicher gehört dieser abgelegene Ort nicht zu seiner Routinestrecke, oder? Das Lugia schlägt mit gewaltigen Schwingen und steigt höher und höher, bis es im grauen Dezemberhimmel aus unserer Sicht verschwindet. "Louis", sage ich. "Wir müssen einen kleinen Umweg machen." Er schaut mich schräg von der Seite an. "Du siehst Gold von dort wegfliegen und denkst, es ist eine gute Idee, dorthin zu gehen? Langweilig, Abby, denk dran. Es wird dein Leben retten." "Wenn es gefährlich wäre, hätte Gold bestimmt die Polizei informiert." "Vielleicht tut er das gerade. Vielleicht ist es so gefährlich, dass er es sich nicht alleine zutraut." "Als wenn. Gold kann alles." Louis reibt sich die Schläfen. "Du musst wirklich aufhören, bekannte Trainer auf dieses gigantische Legendenpodest zu stellen." "Sie sind nicht umsonst so berühmt", entgegne ich sofort. "Außerdem habe ich Gold in Action gesehen. Er ist wirklich, wirklich stark." "Das war Zacharias auch, oder?" Ich drehe ruckartig den Kopf weg. Ganz ruhig, Abby, denke ich. Louis denkt, Zach ist ein Verräter. Er darf nichts erfahren. "Zach war keine Legende", sage ich leise. Louis macht Anstalten, etwas zu sagen, verstummt aber, als er meinen abwesenden Blick sieht. "Komm, wir müssen weiter. Vielleicht können wir auf der anderen Seite mehr sehen."  Natürlich können wir das nicht. Kaum auf der anderen Seite angekommen, versperrt uns eine Felswand die Sicht. Ich lehne mich soweit wie möglich über das Geländer, um auf den kleinen Vorsprung schauen zu können, von dem Lugia gestartet ist, aber die scharfkantigen Felsen sind im Weg und außer den Pokémon, die auf und ab schießen und aggressives Kreischen von sich geben, kann ich nichts erkennen. Ich will mich gerade abwenden, da höre ich ein klägliches Krächzen. "Hunter?" Ich lehne mich weiter über das Geländer nach unten. Da, auf einer kleinen Sandinsel nahe der Klippe, hockt er und krächzt verzweifelt. Sein linker Flügel hängt bewegungslos neben seinem Körper, der andere flattert vergeblich auf und ab. "Was ist?" Louis lehnt sich neben mir nach unten. "Er ist verletzt." Ich ziehe meinen Pokéball, um ihn zurück zu rufen, aber Hunter ist zu weit entfernt. "Verdammt!" "Ich kann versuchen, da runter zu klettern", beginnt er, aber ich unterbreche ihn sofort mit einem wütenden Blick. "Wenn du da runter fällst, brichst du dir den Hals", sage ich. "Ruf Harley. Sie kann mich ein Stück runter lassen, damit ich ihn in den Pokéball zurück rufen kann." "Und das ist weniger gefährlich?", fragt Louis, zieht aber seinen Pokéball. Im nächsten Moment materialisiert sich sein Ultrigaria neben uns auf dem Vorsprung und vollführt eine kleine Pirouette. Keine Minute später bin ich von Harleys Ranken umwickelt, die Louis doppelt und dreifach überprüft, bevor er mir über das Geländer hilft. "Wenn du das Gefühl hast, die Ranken lockern sich, schrei", sagt er und hält mich fest, während ich auf der kleinen Steinkante balanciere, die mich von dem Abgrund trennt. "Wenn du Hunter hast, zieh einmal kurz oder ruf uns zu. Und wenn-" "Ich werde nur ein paar Meter runter gelassen, Louis", sage ich und drehe den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen. Er ist nur wenige Zentimeter entfernt. Wir räuspern uns und wenden den Blick ab. "Hals- und Beinbruch", sagt er. "Besser nicht." Ich lasse seine Hände los, hole ein Mal tief Luft und setze dann einen Fuß in die Luft. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Dass ich durch die Luft gehen kann, vielleicht. Jedenfalls setzt mein Herz einen Schlag aus, als mein Fuß tiefer und tiefer sinkt und ich schließlich ruckartig nach unten kippe. "Langsam!", zischt Louis, der allen Anschein nach Harley festhält, damit sie nicht mit runtergezogen wird. "Du hättest mich klettern lassen sollen…" "Ich bin leichter und kleiner als du, und du kannst Harley besser festhalten", rufe ich zu ihm hoch, während ich fast hundert Meter über dem Meeresspiegel in den Ranken hänge und vom Wind hin und her gerissen werde. "Tiefer!" Es gibt einen kurzen Ruck, dann sinke ich langsam aber sicher dem Meer und Hunter entgegen, der mir erleichtert zu krächzt. "Ich bin gleich da!", rufe ich und halte mit der einen Hand seinen Pokéball fest umklammert, während die andere zur Sicherheit die Ranken festhält. Eine gefühlte Ewigkeit später habe ich die Hälfte der Klippe erreicht und versuche erneut, Hunter zurückzurufen. Dieses Mal schießt er in einem roten Lichtstrahl in den Pokéball zurück und ich atme erleichtert aus. Ich ziehe einmal heftig an der Ranke und rufe Louis zu, dass Hunter in Sicherheit ist. Wenige Sekunden später beginnt eine rucklige Tour nach oben. Die Ibitak und Habitak, die schon die ganze Zeit durch die Luft fliegen, beobachten mich misstrauisch, als ich ohne Flügel langsam in die Höhe steige. Ich habe gerade genug Zeit, dankbar zu sein, dass ihre Aggressivität sich auf andere Pokémon ihrer Spezies beschränkt, da gibt eines der Habitak einen markerschütternden Schrei von sich und schießt auf mich zu, gefolgt von dem ganzen Schwarm. Ach Scheiße. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)