Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 57: Glimmende Zigaretten (Hafenbar in Nöten) ---------------------------------------------------- „Was soll das heißen?“ Toby zwängt sich zwischen Vivi und mir nach vorne und schaut zu George hinauf, der ihn desinteressiert beobachtet. „Hier ist kein Platz mehr, sucht euch einen anderen Schlafplatz“, sagt George. „Das würden wir gerne selbst überprüfen“, sagt Toby wütend. „Was ist los mit dir George,  du warst früher nicht so ein Arsch.“ George lehnt sich seitlich an den Gang. „Es geht nicht um mich. Der Leuchtturm ist überfüllt und wir wollen nicht noch mehr eingeengt werden. Es ist schlimm genug, dass Jasmin mit nicht autorisierten Pokémon kämpft.“ „Das klingt, als wärst du eingeschnappt, weil du verloren hast“, sagt Toby und George kneift die Augen zusammen. „Fick dich, Toby. Deine kleine Fanatikermeute kommt hier nicht rein.“ „Lass die Einschüchterungstaktik, George“, sagt Vivi, die sich nun ebenfalls an mir vorbei zwängt und sich neben Toby stellt. „Ich bin auch seit einer Woche hier, ich weiß, dass noch genug Platz für sechs Leute ist, also zieh Leine.“ George lacht und tritt zur Seite. „Ertappt.“ „Du solltest dich mit Gabe und Kevin zusammen tun“, sagt sie genervt. „Vergleich mich nicht mit diesen Hirnlosen“, murmelt George. Carla schmiegt sich an ihn und ich schaue weg, als ich an den beiden vorbei gehe und das vierte Stockwerk betrete. Ich kann George nicht unbedingt verübeln, dass er sich uns in den Weg gestellt hat. Obwohl Vivi bereits damit beschäftigt ist, die schon liegenden Schlafsäcke enger zusammen zu rücken, um Platz für uns zu machen, ist jeder freie Meter mit irgendetwas belegt. George seufzt theatralisch und verzieht sich dann mit Carla nach draußen. „Na bitte, passt perfekt“, sagt Vivi schließlich zufrieden und stemmt die Hände in ihre breiten Hüften. „Kuschelzeit wie in Teak City.“ „Kuschlig ist das richtige Wort“, kommentiert Julian und stupst einen Schlafsack mit der Fußspitze an. „Jetzt ist der Turm endgültig ausgelastet“, stimmt Corinna zu und schaut sich unsicher um. „Wo sollen Annette und die anderen schlafen, wenn sie herkommen?“ „Vielleicht hat bis dahin jemand Jasmin besiegt“, sage ich hoffungsvoll. Corinna nickt, wenig überzeugt. Ich lege meinen Schlafsack an eine der freien Stelle und verabschiede mich dann von den anderen, die gemeinsam zurück auf Route 39 gehen wollen, um zu trainieren. Jayjay würde das zwar auch gut tun, aber da ich kein Protrainer bin, habe ich andere Prioritäten. Und Priorität Nummer eins ist die gleiche wie immer. Geld verdienen. Mein erstes Ziel ist der Hafen. Ich frage mich bei einigen Matrosen bis zum Bootshaus durch, in dem eine griesgrämig dreinschauende Dame mittleren Alters am Schalter sitzt. Sie nimmt meine Kleider mit einem kurzen Blick zu Kenntnis, setzt ihre Brille ab und seufzt. „Womit kann ich helfen?“ „Entschuldigung, dass ich ohne Vorwarnung herkomme“, beginne ich, etwas verunsichert, „Aber ich wollte mich erkundigen, ob ich in Teilzeit-“ „Nein.“ Ich verstumme. „Schau nicht so verletzt“, fährt die Kassiererin mich an. „Das hier ist ein Ticketstand, keine Jobbörse. Wenn du hier ernstlich anfangen willst, dann schreib eine Bewerbung und reiche sie über den Postweg ein, so wie es jeder andere tut. Und nur, wenn du vorhast, zu bleiben.“ Sie lässt ihren Blick ein weiteres Mal über meine grasbefleckte, silbern abgesteppte und zerrissene Hose gleiten. „Und deinem Aussehen nach zu urteilen willst du nur ein bisschen schnelles Geld.“ Ertappt. „Danke für ihre Mühe“, sage ich, dann mache ich mich daran, das Bootshaus zu verlassen, als mein Blick über die Preisliste der Tickets schweift. Ich schlucke schwer. Die zweiwöchige Fahrt von Oliviana City nach Orania City mit der M.S. Aqua kostet 15.000 PD, eine ebenfalls zweiwöchige Rundfahrt mit der M.S. Love der Zolwyks kostet 1.500.000 PD. „Möchtest du ein Ticket kaufen?“, fragt die Frau brüsk. Ich schüttele den Kopf und verschwinde aus dem Bootshaus. Das Ticket allein zu kaufen wird problematisch, aber dann noch Jayjays Sattel? Ich müsste fast 70.000 PD zusammen bekommen, mehr Geld, als ich jemals besessen habe. Frustriert setze ich mich an den Steg, ziehe meine Schuhe aus und lasse meine Füße im kalten Meereswasser baumeln. Dann rufe ich Hunter, der beim Anblick des Meeres begeistert krächzt und sich davon macht, um sein Frühstück zu besorgen. Als nächstes lasse ich Gott aus seinem Pokéball. Er durfte wegen der vielen ihm unbekannten Gesichter kaum raus und hat sich ein wenig Zeit an der frischen Luft redlich verdient. Der Anblick des Wassers löst bei ihm eine gegenteilige Reaktion aus, als bei Hunter und er weicht zischend zurück, bevor er auf meinen Schoß krabbelt und sich dort einrollt, sein Feuer erloschen. „Vielleicht sollte ich eine Weile hier bleiben“, sage ich leise. Gott spitzt die Ohren, lässt die Augen aber geschlossen. „Ich könnte wieder schwimmen“, fahre ich fort. „Zumindest, bis das Wasser zu kalt wird. Wenn ich einen Job finde, kann ich mein Vermögen aufstocken, euch vier trainieren…“ Mein Blick verweilt auf den sacht schwappenden Wellen und den Wingull, die kreischend über uns ihre Kreise ziehen. Gott gähnt, hebt den Kopf und schaut mich ungläubig an. Ich betrachte sein kleines Gesicht, dann lache ich. „Du hast Recht, du hast Recht“, sage ich und streiche über seinen Rücken. „Immer vorwärts!“ Gott brummt zufrieden, faucht aber schnell, als ich ihn von mir hebe und aufstehe. „Wenn du dich benimmst, darfst du draußen bleiben“, sage ich und er kneift die Augen zusammen. Sein Rückenfeuer glüht fauchend auf, aber dann trottet er an meine Seite und macht allen Anschein eines gutmütigen Pokémon. Zumindest, bis wir dem ersten Matrosen begegnen. Bei dem Salz- und Schweißgeruch stellt Gott sich fauchend auf die Hinterbeine und kleine Flammen bilden sich in seinem Rachen. Ich schaue ihn böse an. „Was hast du denn da für einen feinen Racker?“, lacht der Matrose und geht in die Hocke, um Gott aus nächster Nähe zu betrachten. „Er mag Fremde nicht besonders“, erkläre ich und werfe Gott einen wütenden Blick zu, doch der ist voll und ganz auf den Matrosen fokussiert, Zähne gebleckt und Rückenfeuer voll aufgedreht. „Gott!“ Endlich hebt er den Kopf und schaut mich halb entschuldigend, halb rebellisch an. „Lass ihn, lass ihn.“ Der Matrose tätschelt Gotts Kopf, als dieser zu mir schaut und reißt seine Hand lachend weg, als Gott automatisch nach seinen Fingern schnappt. „Mein Quaputzi ist auch nicht besser. Er hat mal einen Freund von mir KO geschlagen, weil der ihn von hinten überrascht hat.“ „So weit ist es bei uns noch nicht gekommen“, sage ich grinsend. „Auf welchem Schiff arbeitest du?“ „Oh, auf der Aqua, sie hat vor einigen Tagen angelegt.“ Er deutet zu dem weißen Schiff, das in den Wellen auf und ab schaukelt. „Eine Schönheit, nicht wahr? Oh, aber ich habe mich noch gar nicht vorgestellt! Ich bin Konstantin, aber jeder hier nennt mich Stanz.“ „Ich heiße Abby“, stelle ich mich vor. „Abby, schön dich kennen zu lernen.“ Er schüttelt meine Hand. Seine Finger sind dick und schwielig. „Und was macht ein so junges Ding wie du hier?“ „Reisen“, sage ich vage. „Protrainer, hm?“, rät Stanz. „Von denen gibt´s hier ja mehr als genug. „Trainer ja, aber nicht professionell“, sage ich. „Ich will einfach ein bisschen mehr von der Welt sehen, das ist alles.“ „Na, das Bedürfnis kann ich nachvollziehen.“ Stanz lacht schallend. „Ich bin hier geboren. Jeden Tag sehe ich die Schiffe, die ablegen und die Matrosen mit ihren Geschichten und denke mir, das musst du auch machen, Konstantin. Also habe ich angeheuert.“ „Ich bin von zu Hause ausgerissen“, gestehe ich und bevor ich mich versehe, begleite ich Stanz in die Stadt. Unsere Unterhaltung läuft wie von selbst. Eine Weile glaube ich, dass wir in Richtung Pokécenter unterwegs sind, aber Stanz steuert schnurstracks daran vorbei und öffnet schließlich die Tür zu einer herunter gekommenen Hafenkneipe. Misstrauisch rufe ich Gott zurück und trete ein. Was von außen wie eine echte Spelunke gewirkt hat, entpuppt sich schnell als einfaches aber ordentliches Lokal. Runde Tische stehen verteilt auf der linken Seite des Restaurants, rechts führen Treppen in die höheren Stockwerke und eine Bar thront auf einem leicht erhöhten Podest. Stanz zwinkert mir zu, dann begrüßt er einige der Matrosen, die an den Tischen sitzen und setzt sich schließlich an die Bar, wo er eine Klingel betätigt. Ich setze mich neben ihn, immer noch unsicher. Ich möchte mein Geld ungern für ein teures Mittagessen ausgeben, solange ich das Nahrungsangebot in der Stadt noch nicht untersucht habe. Dem Klang der Klingel folgend taucht eine junge frau mit schwarzen Rasterlocken und blauen Flechtbändchen aus der Küche hinter der Bar auf, ein Handtuch über die Schulter geworfen, ein zweites an ihrer Schürze beschäftigt und ein drittes in ihren Händen. Als sie Stanz sieht, strahlt sie ihn an. „Stanz, altes Haus, du auch wieder im Lande?“, fragt sie und greift über den Tresen hinweg seinen Unterarm. „Tut mir leid, dass ich letzten Monat keine Zeit für ein Pläuschchen hatte, aber du kennst ja das Geschäft.“ „Kein Stress, Ivy!“ Er lacht. „Bring mir ein Bier und Abby hier ein…“ „Ein Leitungswasser“, sage ich nach kurzem Zögern. „Ach was, Leitungswasser“, sagt Stanz und klopft auf den Tresen. „Bring ihr ´nen Saft oder so. Der geht auf mich, Abby, keine Sorge.“ „Sofort.“ Ivy bindet sich das dritte Handtuch um ihre Stirn, um die Rasterlocken aus ihrem Gesicht zu halten. „Das Übliche zu essen?“ „Was immer du da hast.“ Sie imitiert einen Pistolenschuss mit ihren Fingern und macht ein Katsching-Geräusch, dann verschwindet sie wieder in der Küche. „Meine älteste Freundin“, sagt Stanz zufrieden. „Jeden Monat, wenn wir anlegen, ist sie die erste, die ich besuche. Und ihr Lokal hat sehr gute Küche, trotz der herunter gekommenen Fassade. Sonntags ist hier All-You-Can-Eat, dann findest du jeden Matrosen hier, der was auf sich hält. Nicht mal Jasmin, die Arenaleiterin, lässt sich Ivonnes Sonntagsküche entgehen.“ Ich schiele an einer Kaffeemaschine vorbei in die Küche, deren Vorhang bei Seite gezogen ist. Ivy wuselt von einem Herd zum anderen, nur ein anderer Koch ist mit ihr dort und der ist damit beschäftigt, einen Haufen Kartoffeln zu schälen. „Sie wirkt gestresst“, sage ich. „So ist das in der Gastronomie.“ Stanz stützt sich auf seine breite Hand. „Wobei du schon Recht hast. Ihr Freund, der hier Bartender war, hat vor zwei Monaten mit ihr Schluss gemacht. Seit dem stemmt sie die Küche, die Bar und die Zimmerverwaltung fast alleine. Nur Karl, der Küchenjunge, hilft ihr.“ „Und stellt sich dabei nicht mal schlecht an, aber das reicht eben nicht“, sagt Ivy, die in dem Moment aus der Küche kommt und uns zwei Schüsseln mit dampfendem Reis, pochierten Ei und Gemüse vorsetzt. Dann gießt sie mir ein Glas Saft ein und zapft Stanz ein großes Bier. „Na komm, iss´ schon“, lacht Stanz. „Du bist eingeladen.“ Ich bedanke mich, dann stürze ich mich auf den Reis. Ivy grinst breit. Ich lausche der Unterhaltung der Beiden, während ich esse. Ihre Freundschaft ist leicht zu hören, aber auch Ivys Sorge um ihr Lokal wird schnell klar. Sie spricht diesen Teil zwar leiser, aber ich sitze zu nah, als dass sie mich aus der Unterhaltung ausgrenzen könnte. „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte“, gesteht sie. Stanz nickt ernst. „Hast du keine Stellenangebote raus gegeben?“ „Natürlich habe ich das, aber die Kids sind mit Trainieren beschäftigt und eine Festanstellung kann ich derzeit nicht bezahlen.“ Stanz schielt zu mir. Ich schiele zurück. „Ich schwöre dir, Stanz, ich würde den ersten nehme, der mir unter die Finger kommt, aber diese Trainer haben keine Zeit für Arbeit!“ Ich hebe vorsichtig eine Hand. „Stimmt was nicht mit dem Essen?“, fragt Ivy entsetzt und nimmt mir fast den Teller unter der Gabel weg. „Nein, nein, alles in Ordnung!“, werfe ich schnell ein. „Ich wollte nur etwas fragen.“ Ivy schaut mich überrascht an. „Dann frag doch einfach.“ Ich grinse. „Wieviel verdient man und wann kann ich anfangen?“   „Täglich Arbeiten, von 15:00 Uhr bis 22:00 Uhr, außer montags, für 450 PD die Stunde“, erkläre ich Sku. „Wenn ich eine Stunde Pause abziehe, komme ich pro Tag auf 2.700 PD und pro Woche auf… 16.200 PD!“ Ich schaue sie begeistert an. Es ist stockduster und ich kann nur ihre rot leuchtenden Augen erkennen, die das Licht des Leuchtturms über uns reflektieren. Ich sitze an die Turmmauer gelehnt auf dem Balkon, der um den vierten Stock herum geht und den Aufstieg zur Leuchtturmspitze beherbergt. Die Tür ist verschlossen, aber der Balkon ist offen zugänglich. „Damit kann ich in einer Woche mein Ticket nach Hause finanzieren! Und ich kann Geld für Jayjays Sattel ansparen.“ Sku gibt ein brummenden Schnurren von sich und stupst mich mit ihrem breiten Kopf an. „Ja, ich weiß, ich brauche auch neue Winterklamotten und Essen muss ich auch kaufen. Aber theoretisch! Ich habe noch nie so viel Geld verdient. Und so schwer kann der Job nicht sein.“ Sku keckert leise.   Oh, wie falsch ich gelegen habe. Mein erster Arbeitstag beginnt am 30. Oktober. Pünktlich um 15:00 Uhr stehe ich vor Ivonnes Lokal, dessen Namensschild ich erst auf den zweiten Blick entdeckt habe: Ivys Hafenbar. Ivy scheucht mich in den Abstellraum, drückt mir Putzeimer, Staubwedel und diverse Reiniger samt Handschuhen in die Arme und schickt mich nach oben, um die Zimmer auf Vordermann zu bringen. Drei Stunden später tauche ich ziemlich erschöpft unten auf, bringe meine Putzutensilien weg und werde fast augenblicklich mit einer Schürze ausgestattet und in die Küche geschickt, wo ich den restlichen Abend abwechselnd mit Geschirr spülen  und Kartoffeln schälen verbringe. Einige Male werde ich auch als Kellnerin eingesetzt und trage Getränke und Speisen zu den Matrosen, die an den runden Tischen Karten spielen und sich schallend unterhalten. Ich schnappe einige Gesprächsfetzen auf, aber die Worte machen keinen Sinn, so konzentriert bin ich darauf, die schweren Tabletts und leeren Teller nicht fallen zu lassen. Gegen 22:00 Uhr werden es weniger, viele der Gäste gehen nach oben in ihre Räume oder verlassen das Lokal. Nur einige bleiben noch an der Bar sitzen und unterhalten sich dort mit Ivy, die jetzt auch die Zeit für Unterhaltungen findet. Stanz ist ebenfalls dort und zwinkert mir zu. Schließlich klopft Ivy mir auf die Schulter und wünscht mir eine gute Nacht. „Wird es immer so stressig?“, frage ich matt. „Heute fand ich es ziemlich entspannt, dank dir.“ Mein Gesicht muss mich verraten haben, denn sie lenkt schnell ein. „Es war dein erster Tag, Abby, kein Grund zur Panik. Je öfter du so viel Druck ausgesetzt bist, umso besser wirst du damit umgehen können. Bald wirst du dich hier unterfordert fühlen.“ Ich schaue sie skeptisch an und sie lacht schallend. „Geh ins Bett, Kleine.“   Am nächsten Morgen ist mir gar nicht nach aufstehen zu Mute. Die Sonne scheint durch die kleinen Fenster des Leuchtturms direkt in mein Gesicht und meine Arme, Beine und mein Rücken tun weh. Schließlich ist es Hunger, der mich aufstehen lässt. Ich bin eine der ersten, die aufsteht. An der gegenüber liegenden Wand liegen zwei leere Schlafsäcke und ein Junge neben dem Balkonausgang zieht sich gerade um. Ich nehme meinen Rucksack, überprüfe, ob noch alles da ist und mache mich dann auf den Weg zum Strand. Am liebsten würde ich direkt beim Leuchtturm schwimmen, aber die Strömung ist dort zu stark und die tosende Brandung drängt stetig gegen die steile Klippe an der Ostseite des Hügels, auf dem der Turm steht. Im Hafen zu schwimmen ist wegen der Schiffe und Boote untersagt und so bleibt mir nur eine Möglichkeit. Der Strand liegt westlich von Oliviana City auf Route 40. Der Kampfzoneneingang ist dort, aber den Besuch spare ich mir für später auf, wenn überhaupt. Ich war noch nie dort, aber ich kann mir denken, dass dort nur die stärksten Trainer gegeneinander antreten. Auf dem Weg durch die Stadt komme ich an einer Bäckerei vorbei und kaufe mir dort ein reduziertes Käsebrötchen. Bis ich mein erstes Gehalt erhalte, muss ich noch zum Ende der Woche warten. Etwa eine Stunde später weichen die Pflastersteine der Stadt dem Sand und schon bald finde ich mich zwischen algenbewachsenen Felsen und schwappenden Wellen wider. Dass ich bei meiner Pack-Aktion damals an alles gedacht habe, außer meinem Bikini, macht mich heute noch wütend. Was habe ich mir dabei gedacht, meine Ohrringe und die anderen Accessoires mitzunehmen? Ich denke wehmütig an meine Tops und Strumpfhosen, die Dornenbüschen und Schlamm zum Opfer gefallen sind und ziehe schnell meine Hose und die Hoodie aus, gefolgt von Schuhen und Socken. Ich falte alles zusammen, stopfe es in meinen Rucksack und rufe dann Gott, Hunter und Jayjay, damit sie sich die Zeit ein wenig vertreiben können. Jayjay trabt interessiert auf das Wasser zu, tänzelt aber schnell zurück, als das Wasser über seine Beine schwappt und elektrisch knistert. „Du bleibst besser weg vom Wasser“, rate ich ihm, bevor ich in Unterwäsche in das kalte Meer steige und langsam durchatme, um mich an die Temperatur zu gewöhnen. „Gott, passt du auf meinen Rucksack auf?“ Gott knurrt und rollt sich neben der Tasche ein. Hunter zupft liebevoll an Jayjays Mähne, dann flattert er davon, um sich sein Frühstück zu besorgen. Ich plantsche ein wenig im seichten Wasser, bis ich aufgewärmt bin und meine Muskulatur sich entspannt hat, dann schwimme ich los. Es ist das erste Mal seit Monaten, dass ich eine längere Zeit am Stück schwimme und nicht alle zwei Minuten Pause mache. Der Wind und das Salzwasser wecken mich auf und ich beschließe, Schwimmen wieder aktiv in meinen Tagesablauf zu integrieren. Schaden kann es nicht und man weiß schließlich nie, wann man das nächste Mal um sein Leben schwimmen muss. Eine Weile später schließen sich andere Schwimmer meinem Beispiel an. Ich bleibe so gut es geht unter Wasser, damit das Fehlen meines Bikinis nicht auffällt und unterhalte mich kurz mit einer jungen Frau, die hier täglich schwimmt und Trainer zu Duellen herausfordert, die nach Anemonia City schwimmen. „Keiner nimmt die Mühe auf sich, die Strecke zu schwimmen“, beklagt sie sich. „All diese Trainer reiten auf ihrem Pokémon und lassen sich bequem herum kutschieren. Das mindeste, was sie leisten können, ist ein Kampf, um mich aufzuwärmen.“ Sie lacht und schwimmt an mir vorbei weiter ins Meer. Als ich sicher bin, dass außer mir niemand in der Nähe des Strands ist, steige ich aus dem Wasser, trockne mich schnell ab und ziehe meine Sachen an, die dank Gotts Nähe angenehm warm sind. Hunter hat sich während meines Schwimmens ein sehr dickes Karpador geangelt und es gemeinsam mit Gott verspeist. Nur Jayjay hält sich wie ich an eine vegetarische Diät. Die Sonne steht noch ein wenig schräg, aber es ist ein sonniger Tag, zumindest für den morgen anbrechenden November und ich mache es mir mit Gott als Heizkörper etwas abseits des Strandstreifens neben einem Fels gemütlich und krame meinen PokéCom aus meinem Rucksack. Das kleine Gerät hat seit seinem Kauf in Viola City einiges durchgemacht, fast täglich lausche ich den Nachrichten und seit meiner Rückkehr vom Indigo Plateau war Zach das Thema Nummer eins. Aber seit ein paar Tagen gibt es wieder andere Neuigkeiten und ich bin gespannt, ob etwas Neues dazu gekommen ist.   „Wir begrüßen sie herzlich zu den 10:00 Uhr Nachrichten! Mein Name ist Daniel und ich habe Neuigkeiten für sie, die sich gewaschen haben.  Nach dem Indigo-Debakel hat Rockeys Spezialeinheit ihre Suche verschärft und es ist ihr zusammen mit Gold und Noah gelungen, drei weitere Rockets festzunehmen, als diese am Montag versuchten, ein Pokécenter auszurauben. Dank ihres schnellen Handelns konnten alle Pokémon an ihre ursprünglichen Trainer zurückgegeben werden. Die überraschende Festnahme der Bikergruppe in Teak City war fast drei Wochen ein Rätsel, nun endlich hat die Polizei sich bezüglich der Umstände geäußert. Jack Ryle, Mitglied der Rockey Spezialeinheit und Verantwortlicher für die Festnahme der fünf Verbrecher, sagte in einem Interview, dass die Biker nur dank einer Gruppe engagierter Trainer im Alter von fünfzehn bis achtzehn Jahren gefangen werden konnten. Die Anführerin der selbst ernannten RES-Qs stand zu einem Kommentar zur Verfügung: „Wir sind froh, die Polizei mit unseren Handlungen unterstützt zu haben“, sagte die 16-jährige Camilla Poll, bei ihren Teammitgliedern besser bekannt unter dem Alias Wiesel. „Wir wollten die Tyrannei in Teak City beenden und das haben wir geschafft. Auch wenn wir unerwartet Hilfe bekamen.“ „Weitere Informationen zu der mysteriösen Hilfe gibt es nicht, es geht aber das Gerücht um, dass es sich dabei um die Fängerin des legendären Vogelpokémons Ho-Oh handelt.“   Ich schmunzele. Chris wird nicht um ein bisschen Ruhm herum kommen. Dann wiederum wurde sie nicht mal namentlich erwähnt. Wahrscheinlich würde niemand sie erkennen, wenn sie nicht gerade mit ihrem Ho-Oh auf der Straße landet.   „Richard Lark hat kurz nach der diesjährigen Pokémon Championship angekündigt, Claire, die achte Arenaleiterin Kantos, am 1. Dezember herauszufordern und seine Rivalen Raphael Berni und Genevieve Keller dazu angeregt, dem Warten der Fans ebenfalls ein Ende zu bereiten. Zacharias Stray bleibt weiterhin unauffindbar.“   Natürlich bleibt er das. Ich drehe meinen PokéCom in meinen Händen und lausche gedankenverloren dem Rest der Nachrichten. Wenn er weiterhin Team Rocket ausspioniert, wird er in ihrem Hauptquartier sein und das wurde bisher noch nicht aufgefunden. Es gibt zwar Vermutungen, aber die Rockey Spezialeinheit hat vorerst noch keine Stürmung geplant, und mit gutem Grund, wie ich finde. Ich weiß, dass Gold und Noah stark sind, auch wenn ich ihre Fähigkeiten mit Sicherheit nicht mal annähernd erahnen kann, aber auch Team Rocket hat starke Trainer. Einer von ihnen Zach. Ich frage mich, wen er in einer direkten Konfrontation unterstützen würde. Wenn Team Rocket für den Tod seiner Schwester verantwortlich war, dann muss er wollen, dass sie alle verhaftet werden. Aber warum sollte er dann der Polizei den Rücken kehren und stattdessen auf eigene Faust Informationen sammeln? Ich bin nicht sicher, ob er für uns kämpfen würde. Aber ich hoffe es inständig. Den Rest des angebrochenen Morgens verbringe ich mit Julian und Corinna auf Route 39, wo ich Jayjay und Hunter zusammen kämpfen lasse. Die beiden erweisen sich schnell als gutes Team und bevor ich mich zu Ivonnes Hafenbar aufmache, hat Jayjay drei Level geschafft. Auf dem Weg zurück in die Stadt überprüfe ich die Daten meiner Pokémon in meinem Pokédex. Sku ist weiterhin auf Level 35, Hunter und Gott je auf Level 26 und Jayjay Level 14. Damit stehen noch zwei Entwicklungen aus, Gott wird zu einem Tornupto, wenn er Level 36 erreicht und Jayjay entwickelt sich schon auf Level 27 zu einem Zebritz. Ich lächle zufrieden in mich hinein. Wir sind wirklich weit gekommen.   Wie Ivy versprochen hat, ist der zweite Tag leichter als der erste. Womit ich nicht meine, dass er leicht ist. Die Zimmer werden nur flüchtig geputzt, weil ich gestern so gründlich war und so bleibt mir mehr Zeit fürs Geschirr spülen. Es ist außerdem weniger Betrieb als gestern, weshalb ich öfter Kellnerin spielen darf und die letzte Stunde meiner Arbeit mit Seemannsgeschichten an Ivys Bar verbringe, wo wir den noch verbliebenen Matrosen Getränke zapfen und ansonsten ein offenes Ohr haben. Pünktlich um 22:00 Uhr schickt Ivy mich weg und ich gehe, Sku neben mir her trottend, zurück zum Leuchtturm. Im Erdgeschoss schlafen bereits alle, aber aus dem zweiten Stock höre ich leise Stimmen. Ich steige die Treppen hinauf, Sku auf meinem Rücken und entdecke, natürlich, Gabe und Kevin, die rauchend in ihrer Ecke des Leuchtturms sitzen. Noch glimmende Zigarettenstummel liegen direkt neben ihren Schlafsäcken und Kleidern und der ganze Raum ist gefüllt mit abgestandenem Rauch. „Raucht draußen“, murmele ich wütend und halte mir eine Hand vor den Mund, um dem Geruch zu entgehen. „Und passt auf wegen der Glut.“ „Süß, sie macht sich Sorgen“, sagt Gabe grinsend und drückt seine Zigarette auf dem Schlafsack seines Nachbarn aus. Der Stoff glimmt auf und beginnt zu rauchen. Sku faucht und Gabe drückt lachend das kleine Feuer aus, dann steckt er sich seine nächste Zigarette an. Ich werfe den Beiden einen letzten abfälligen Blick zu, dann steige ich die Treppenstufen hinauf und atme erleichtert die frische Luft der oberen Stockwerke ein. Diese Beiden haben Ärger auf der Stirn geschrieben, soviel steht fest. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)