Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 43: Das Versprechen von Rache (Dunkelheit) -------------------------------------------------- Ich bin mir Raphaels Blick bewusst, als ich ans Fenster gelehnt die Nummer tippe, die Officer Rockey mir und Ruth gegeben hat, bevor wir weggeschickt wurden. Es gibt da noch etwas, dass ich abklären möchte. „Officer Rockey, mit wem spreche ich?“ „Abbygail Hampton, wir sind uns gestern bei dem Rocket Fall begegnet.“ „Ah, Abbygail. Ist dir noch etwas eingefallen?“ „Nein.“ Ich zwinkere Raphael zu, der erleichtert ausatmet. Ganz vertraut hat er mir dann wohl doch nicht. „Ich stehe in Informationsaustausch mit einer Kollegin von ihnen. Holly.“ „Holly? Ich erinnere mich, dass sie so etwas erwähnt hat. Warum rufst du an?“ „Mich würde interessieren, welche Pokémon gestohlen wurden.“ „Das sind geschlossene Informationen, Abbygail“, ertönt Rockeys ruppige Stimme. „Ich kann dir nicht einfach polizeiliche Informationen anvertrauen.“ „Ich glaube, sie könnten in Zusammenhang mit Hollys Nachforschungsgebiet stehen“, hake ich nach. „Sie wird mich ohnehin aufklären, sobald sie die Informationen erhält.“ Ein Risiko, aber mehr als Nein sagen kann sie ohnehin nicht. „Wird sie das.“ Sie klingt belustigt. „Fein. Zusammen mit den anderen Diebstählen, die in den letzten drei Monaten von Team Rocket ausgeführt wurden, belaufen sich die Zahlen auf…lass mich nachsehen… vier Kleinstein, ein Tannza, drei Smogon und elf Voltobal.“ Mir bleibt die Luft weg. Die Löcher. Die Pokémon. Alles macht mit einem Mal Sinn. „Sie wollen die Höhlen sprengen!“, presse ich schließlich hervor. „Das vermuten wir derzeit“, sagt Rockey. „Aber es gibt zu viele Ungereimtheiten. Die Löcher sind nicht groß genug, um die Pokémon unterzubringen, die Platzierung ist unbemerkt so gut wie unmöglich und alle Pokémon gleichzeitig zur Explosion zu bringen ist ebenfalls sehr fragwürdig. Außerdem steht ihnen ein ungemeiner Trainingseinsatz bevor. Keines der Pokémon lernt Explosion unter Level 30, die meisten sogar erst über Level 40.“ „Was ist mit Finale?“ „Unsere Spezialisten haben die freigesetzte Energie anhand der Lochmengen berechnet, die Holly dokumentiert hat. Finale wird nicht reichen, um die Höhlen zu sprengen. Nur mit Explosion kommen sie annähernd auf die benötigte Stärke und selbst dann ist fragwürdig, ob die Höhlen dauerhaften Schaden nehmen würden.“ „Ein Ablenkungsmanöver?“ „Vielleicht. Aber das ist Polizeiarbeit. Bist du sicher, dass dir keine Details mehr zu dem Diebstahl eingefallen sind?“ Ich schaue zu Raphael. „Ganz sicher.“ Als ich aufgelegt habe, lasse ich mich neben ihm aufs Sofa sinken und fasse knapp Rockeys Erläuterungen zusammen. „Was wollen sie damit bezwecken?“, fragt er. „Ich habe keine Ahnung.“ Ich seufze. „Ich lege mich glaube ich hin. Ich bin total erledigt.“ „Alles klar.“ Raphael umarmt mich noch einmal fest, dann stehe ich auf und verschwinde in meinem Zimmer. Ich schaue auf mein Handy. Es ist früher Abend. Ich laufe ein wenig durch mein Zimmer, dann lasse ich mich in Klamotten auf mein Bett fallen. Von wegen schlafen. Der Tag hat gerade erst begonnen. Ich bleibe mindestens eine Stunde tonlos liegen, bis ich sicher bin, dass Raphael denkt, ich schlafe. Dann stehe ich vorsichtig auf und schleiche über den Fußboden Richtung Fenster. Ich bin kaum an der Tür vorbei, da höre ich ein Klopfen. Ich bleibe stehen und gehe vorsichtig zu meiner Zimmertür. Raphaels Schritte hallen aus dem Wohnzimmer, dann öffnet sich die Suite-Tür. „Yo.“ Richard. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Meine andere Mission kann warten. Ich gehe neben der Tür auf die Knie und lege mein Ohr an das Holz. Die Stimmen der beiden erreichen mich klar und deutlich. Ein Hauch schlechtes Gewissen stellt sich ein, weil ich meinen besten Freund belauschen will, aber hier geht es schließlich um die Wahrheit. „Was ist passiert?“, fragt Raphael. Er klingt gereizt. „Seit Abby hoch gekommen ist, ist sie völlig durch den Wind.“ Pause. „Was ist mit deiner Schulter passiert?“ „Kleiner Zwischenfall.“ „Wenn du ihr zu nahe gekommen bist, Richy, ich schwöre dir-“ „Reg dich ab, Mann. Ihr Igelavar hat mich gebissen.“ „Was hast du mit ihr angestellt?!“ „Ist sie hier?“ „Sie schläft. Was immer du also zu sagen hast, sag es leise, oder ich befördere dich durchs Fenster nach draußen.“ Etwas an seinem Ton klingt, als meine er das wörtlich. Ich muss lächeln. Es tut gut, zu wissen, dass er mich verteidigt. Schritte, als Richard sich auf eins der Sofas setzt. „Warum hast du sie hergebracht?“ „Bitte?“ „Alles lief perfekt, bis sie hier ankam! Sie schnüffelt jedem nach. Wenn wir nichts unternehmen, kommt sie noch dahinter.“ „Sie weiß es.“ „WAS?!“ „Leise!“, zischt Raphael. „Sie hat es alleine rausgefunden. Und du warst nicht gerade subtil, wenn ich das so sagen darf.“ „Was genau hast du ihr gesagt?“ „Ich habe gar nichts gesagt. Sie weiß, dass Zach an dem Überfall beteiligt war. Mehr nicht.“ „Geil. Wirklich geil.“ Richards Stimme ist bitter und zornig zugleich. Ich kann mir sein Gesicht nur zu gut vorstellen. Er hat es mir in der Toilette von ganz Nahem gezeigt. „Reg dich ab. Sie hat eben mit Rockey telefoniert und kein Wort gesagt.“ „Du hast sie mit Rockey telefonieren lassen? Bist du des Wahnsinns, Raphael?! Hier geht´s nicht um deine kleine Scheißromanze, hier geht´s um Zach, kapierst du das? Er hat sich ein Kartenhaus zusammen gebaut und wenn nur der kleinste Zweifel laut wird, bricht alles um ihn herum zusammen!“ „Sie wird nichts sagen. Ich verspreche es. Und sie ist keine Scheißromanze. Sie ist meine beste Freundin. Und wenn du noch ein Wort gegen sie sagst, hast du ein echtes Problem mit mir.“ „Tze.“ Ich richte mich langsam auf. Aber das lange Knien scheint meine Beine mehr geschwächt zu haben, als ich dachte, denn ich schaffe es nicht, das Knarzen der Dielen zu verhindern. In der Bewegung erstarrt lausche ich. „Was war das?“ „Wirst du paranoid, Richy?“ „Ich hab was gehört, verdammt.“ Ich bewege mich langsam rückwärts von der Tür weg – und stolpere geradewegs über meinen Rucksack. „Sie ist wach!“ „Weg von ihrer Tür, Richard, ich warne dich!“ Ich verliere keine Zeit. Ich renne blind durch mein Zimmer zum Fenster, reiße es auf und atme kalte Nachtluft. Hinter mir im Wohnzimmer rumpelt es, als Raphael Richard zu Boden wirft. Die Tür wird aufgerissen und die beiden rangelnden Jungs fallen förmlich in mein Zimmer. Keine Zeit für einen subtilen Abgang. „Hunter!“, rufe ich und seine Gestalt materialisiert sich direkt vor dem Fenster, freudig krächzend und mit weit ausgebreiteten Flügeln. „Bring mich heil da runter!“, schreie ich und springe aus dem Fenster auf seinen Rücken. „Abby!“ Raphaels Ruf hallt mir nach, als ich wenig elegant durch die Luft segele und mich an Hunters Körper festklammere, der geschockt mehrere Meter zu Boden gerissen wird, bevor er mit den Beinen strampelnd seine Flügel in Bewegung setzt und uns halb gleitend, halb fallend nach unten befördert. Ich habe kaum festen Boden unter den Füßen, da sprinte ich los. Im Lauf rufe ich Hunter zurück und befreie stattdessen Gott, der innerhalb eines Sekundenbruchteils die Situation erfasst, das Feuer auf seinem Rücken auflodern lässt und voranschießt. Er und ich gegen den Rest der Welt. Wenn ich mich nicht irre, ist Zachs Lager dort, wo ich ihn vorgestern Nacht gefunden habe. Es wird Zeit, die ganze Wahrheit herauszufinden. Ich kann Geschrei hinter mir hören, das allmählich leiser wird, als ich mehr Distanz zwischen mich und das Laplace bringe. Gott knurrt zufrieden und springt einige Male hin und her, seine Energie grenzenlos. Die Ausdauer hätte ich auch gerne. Erde und Geröll ersetzen das weiche, noch nasse Gras des Plateaus und schon bald kann ich vor mir in der Dunkelheit die gewaltigen Steinmassen aufragen sehen, die wie Treppenstufen der Natur auf das Gebirge dahinter zuführen. Weit oben, inmitten von Felsklüften und Steinbrocken, die vom Gipfel der Berge herabgerollt sind, flackert ein Feuer. „Es ist… offiziell…“, keuche ich an Gott gewandt und bleibe mit auf die Knie gestützten Händen vor der Wand aus Stein stehen. „Klettern ist eine…  Voraussetzung… für Trainer.“ Er knurrt zustimmend. Seine roten Augen reflektieren im Schein des Feuers und er kratzt mit klauenbewährten Pfoten über den steinigen Untergrund. „Dann mal los.“ Ich sehe mich ein letztes Mal nach Raphael und Richard um, aber falls sie die Verfolgung aufgenommen haben, sind sie noch zu weit entfernt. Die Kletterpartie wird ihnen Zeit geben, mich einzuholen, aber mit etwas Glück kann ich Zach alleine erwischen. Nach der Felswand in den Alphruinen befürchte ich das Schlimmste, aber die Felsklüfte hier sind schräger, mit tiefen Einkerbungen und guten Haltemöglichkeiten für Hände und Füße. Einige Griffe hier, ein großer Schritt da und schon habe ich die Hälfte der Strecke hinter mich gebracht. Es wird nicht die einzige Stufe sein, die ich erklimmen muss, aber immerhin besteht keine allzu große Gefahr, in meinen Tod zu stürzen. Gott folgt mir und mit etwas Schwung schafft er es, fast die gesamte Länge des Felsens entlang zu sprinten und sich den letzten Meter hinauf zu hieven. Gemeinsam erreichen wir den ersten Vorsprung. „Gute Arbeit“, lobe ich ihn und seine Flammen glühen für eine Sekunde stolz auf. Dann machen wir uns an die nächste Kletterrunde. Das schwerfällige Hufgetrappel erreicht meine Ohren erst, als ich vor dem letzten Felsvorsprung stehe, die Hände bereits in Position. Ich reiße den Kopf herum und entdecke eine Staubwolke, die auf mich zukommt. „Schnell“, flüstere ich und klettere mit neugefundener Energie das letzte Stück nach oben. Die Wolke kommt näher, aber noch ist sie weit genug entfernt. Stimmen. Ich hebe vorsichtig den Kopf. Das Feuer erleuchtet alle umliegenden Steinbrocken und die Felswand dahinter, sowie die leere Fläche dazwischen. Inmitten einiger Steine eingekesselt, ein Lagerfeuer in der Mitte und Schlafsäcke um die lodernden Flammen verteilt, sitzen vier Personen. „-eine totale Pleite“, sagt die Frau, während sie rhythmisch mit dem Griff ihres Jagdmessers auf einen kleinen Steinbrocken schlägt. „Der Boss wird uns köpfen.“ „Alles lief perfekt.“ Eine Männerstimme. Jung. Ich luge an einer Felsformation vorbei und erhasche einen Blick auf die versammelten Gesichter. Da sitzt Zach, ein Bein an den Körper gezogen, das andere ausgestreckt. Seine Augen ruhen auf dem Jungen, der gesprochen hat und jetzt nervös fortfährt. „Es muss eine Lücke gegeben haben. Jemand von uns.“ „Juan, da gehe ich jede Wette drauf ein“, zischt die Frau. Was ihre Stimme mir bereits gesagt hat, zeigt der Schatten ihrer hakigen Nase im Feuerschein nun deutlich. Mel. Teal, der auf dem Rücken neben ihr liegt und seine in den Himmel gestreckte Hand mustert, lacht. „Juan ist dümmer als ein Stück Toast. Seine Gefangennahme ist kein Problem.“ „Wir haben Eliza verloren“, sagt Mel leise. Bedrohlich. „Ich mochte sie.“ Der Stein unter ihrem Jagdmesser zerspringt. „Sie war genauso krank wie du, da gebe ich dir Recht.“ „Sie war gut.“ Bedauern schwingt in ihrer Stimme mit, sowie das Versprechen von Rache. „Verdammt gut.“ Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ich muss hier weg. Und trotzdem bewegt mein Körper sich keinen Zentimeter. „Der einzige, der entkommen ist, ist unser neuer 1. Rang.“ Ich kann erkennen, wie Mel den Kopf hebt und Zach mustert. „Frage mich, wie das passieren konnte. Du entkommen, niemand sonst…“ Zach sieht sie an. „Was willst du andeuten, Melanie?“ „Nichts, Zacharias. Aber man muss sich wundern.“ Sie wirft ihr Messer in die Höhe und fängt den wirbelnden Griff gekonnt wieder auf. „Du kommst aus dem nichts. Keine Verbindung zu Verbrechen, keine Vorstrafen, gar nichts. Ein erstklassiger Trainer und so jemand tritt Team Rocket bei?“ „Ich habe meine eigenen Gründe, Mel.“ Er sieht weg. „Außer mir gehen sie niemanden etwas an.“ „Lass ihn, Mel“, sagt Teal und setzt sich schwungvoll auf. „Er hat uns schon mehrmals den Arsch gerettet.“ „Niemand muss mich retten, klar?!“ Ihr Messer schnellt in Richtung seines Auges. Teal verzieht keine Miene. „Leute…“, beginnt der Junge. „Wegen der Informationslücke…“ „Danke, Cory.“ Teal schiebt Mels Messer zur Seite und dreht sich zu Zach um. „Wer hat uns verraten?“ „Niemand.“ „Wie sind wir dann aufgeflogen?“ „Jemand hat unseren Plan durchschaut.“ „Jemand ist nicht die Antwort, die ich hören will!“ Mel springt auf, ihr Messer jetzt auf Zach gerichtet, der seelenruhig sitzen bleibt, das Feuer eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen. Unter mir höre ich Stimmen. Leise. Dann lauter. „Eine Freundin von Raphael“, sagt Zach. „Sie scheint dich zu kennen, Mel.“ „Du meinst-“ „ABBY! WO STECKST DU?!“ Mel reißt den Kopf herum und zum ersten Mal sehe ich die eingefallene, dunkle Höhle, die der Verlust ihres Auges zurückgelassen hat. Ohne Augenklappe sieht die Wunde trotz der verstrichenen Zeit grausam aus. „KOMM RUNTER!“ „Sie ist hier! Sie ist hier!“ Mels Kreischen erfüllt die Stille und ich höre nur noch das Klopfen meines Herzes, das wie ein Hammerschlag von innen gegen meine Brust drückt und das gezischte Scheiße!, das Richard unter mir von sich gibt. „Gott, Rauchwolke!“, befehle ich und springe auf. Ich sehe noch Mels Gesicht, als sie mich erkennt, bevor dichter, schwarzer Rauch die Luft erfüllt und mein Sichtfeld auf einen halben Meter beschränkt. Ich taste mich zum Vorsprung vor und gehe in die Hocke, um hinab zu klettern, da sirrt etwas an meiner Wange vorbei. Der Schmerz kommt nicht, aber die Kälte des Metalls bleibt. Ich schwinge mich hinunter, Gott dicht hinter mir her schlitternd, und lande unsanft auf dem steinigen Vorsprung. „Raphael?“, frage ich hustend, meine Kehle trocken von dem Rauch. „Hier!“ Ich folge seiner Stimme. Meine Sicht ist hier unten wesentlich besser, aber es kann nur noch Sekunden dauern, bevor sich die Rauchwolke auch über uns lichtet und unseren Aufenthaltsort preisgibt. „Wir müssen dich hier raus bringen.“ Raphael packt meine Hand und zieht mich mit sich hinunter. Gemeinsam rutschen wir die Steinklüfte hinab und ich könnte schwören, dass die Reibung meine Schuhsohlen aufreißt, aber wir kommen heil an. Richard ist nur wenige Meter hinter uns. Ängstlich schaue ich nach oben. Der Rauch ist verschwunden und die drei, nein, vier Rockets stehen an der Kante des Steilhangs und schauen zu uns herab. Er ist einer von ihnen, denke ich bitter. Ich mochte Zach, auch wenn ich ihn kaum kannte, aber dass er ausgerechnet mit Mel und Teal zusammen arbeitet, kann ich ihm nicht verzeihen. Was immer diese ganze Wahrheit auch sein mag, Mel will mich umbringen. Und er wollte ihnen verraten, dass ich ihnen auf die Schliche gekommen bin. Als wäre der Hass auf mich nicht schon groß genug. „Was jetzt?“ Richards Tauros, das hier unten auf uns gewartet hat und wohl für die Staubwolke verantwortlich war, schnaubt zustimmend. Seine muskulösen Beine trampeln auf der Stelle, während sein dreiteiliger Schwanz nervös von links nach rechts peitscht. Mel schreit ihre Kumpanen an, springt dann die erste große Stufe hinunter und rennt auf uns zu. „Wir kämpfen.“ Raphael zieht zwei seiner Pokébälle. „Abby, du nimmst Gott und rennst zurück zum Hotel.“ „Ich soll euch alleine lassen?“, frage ich ungläubig. „Es ist meine Schuld, dass wir hier sind, ich kann euch nicht im Stich lassen!“ „Du bist nicht stark genug, um etwas auszurichten“, sagt Richy und ich zucke zusammen. Oh nein, jetzt erst Recht. „Ihr könnt nicht alleine gewinnen“, sage ich und deute Richtung Mel, die wie ein Typhon die Felsklüfte hinunter rast. Zach und die anderen folgen. „Zach ist auf eurem Niveau und Teal ist nicht viel schwächer. Mel will nur mich, sie wird euch gegen Teal kämpfen lassen und mir einfach hinterher rennen!“ Raphael beißt sich auf die Lippen. „Ihr Messer ist weg“, flehe ich. „Teal hat die Pistole, wenn ich sie und den Jungen von euch weglocke, kann ich gegen sie kämpfen!“ Richy gibt ein undefinierbares Geräusch von sich. „Packst du sie?“ Raphael sieht mich ernst an. „Ich packe sie. Versprochen.“ „Okay. Abby, geh auf Abstand, das wird hier bald ein gefährlicher Ort.“ „Oh yeah.“ Richy fletscht die Zähne. „Ich habe lange nicht mehr gegen Zach gekämpft.“ „Wenn das hier vorbei ist, will ich die ganze Geschichte hören!“, rufe ich den beiden noch nach, bevor ich an ihnen vorbei renne und der Felsformation nach links folge. Rote Lichtblitze erhellen den Nachthimmel hinter mir und Mels Lachen wird lauter, als sie mich einholt. Meine Beine sind von dem Klettern erschöpft und ich kann spüren, wie meine Muskeln sich verkrampfen, aber Mels Stimme, ihre wahnsinnige Stimme, treibt mich weiter voran. Als ich glaube, jeden Moment hinzufallen, komme ich zu einer schlitternden Vollbremsung und rufe sowohl Sku als auch Hunter. Skus unwilliges Murren erstickt in ihrer Kehle, als sie Mel und den Junge, Cory, auf uns zu rasen sieht. Sie springt vor mich, bauscht ihr Fell auf und faucht grollend, ihre Krallen in den Erdboden gebohrt. Hunter kreischt laut und flattert bedrohlich mit den Flügeln. Und Gott? Zu meiner großen Überraschung stellt er sich Schulter an Schulter neben Sku, die Feindseligkeit der Beiden im Angesicht dieser Notlage vergessen. Sein Feuer ist voll aufgedreht und erhellt alles im Umkreis von fast zwanzig Metern. Weit hinter Mel und dem hechelnden Cory kann ich düster Gestalten ausmachen, Blitze erleuchten den Himmel, Sandstürme kommen auf und die Erde beginnt, zu beben. Steinkaskaden rollen die Felswände zu meiner Linken herab und sammeln sich in Häufchen am Fuße des Gesteins. Vielleicht ist dies nicht der beste Ort, dieses Kampf auszutragen, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Dieses Duell ist schon lange überfällig. Ich bin lange genug weggerannt. Heute wird es enden. „Hab ich dich endlich gefunden“, sagt Mel und kommt schwer atmend vor mir zum Stehen. „Ich dachte, die Ruinen hätten dir den Gar ausgemacht, aber du warst freundlich genug, mir dein Überleben per Radio mitzuteilen.“ „Gern geschehen“, sage ich grimmig. „Bringen wir es hinter uns.“ „Hinter uns bringen?“ Mel lacht. „Ich werde jede Sekunde genießen. Cory, hier her. Jetzt kannst du beweisen, dass ich Recht hatte, dich mitzunehmen.“ „Sofort!“ Cory nimmt neben Mel Position und zieht die beiden Pokébälle, die zu beiden Seiten seines schwarzen Gürtels befestigt sind. „Los!“ „Du auch, Liebling.“ Mels Arbok materialisiert sich züngelnd und liebevoll zischend neben einem stattlichem Nidorino, dessen Hornspitze abgesplittert ist und einem kompakt aussehenden Glibunkel mit frechem Grinsen im blauen Gesicht. Als es Sku sieht, kichert es hysterisch und hüpft händeklatschend auf und ab. Drei gegen drei. Ich habe noch nie so viele Pokémon auf einmal gegeneinander kämpfen sehen, auch wenn ich mir vorstellen kann, wie es an Raphaels Front aussehen muss. Aber ich habe keine Zeit, mir um ihn Sorgen zu machen. Mein eigener Kampf wird hart genug, auch ohne Ablenkung. „Sku, Kreideschrei, schwäch ihre Verteidigung, Hunter, Aero-Ass auf sein Glibunkel, Glut auf Nidorino!“ „Arbok, Giftblick auf das Stinktier.“ „Energiefokus, Nidorino, Glibunkel, Lehmschelle auf Skuntank!“ Und so beginnt es. Skus Schrei erfüllt die Luft, bevor Arboks Blick sie zum Erstarren bringt, ihr Körper sich zusammen krampft und sie beginnt, unkontrolliert zu zittern. Hunter schießt unterdessen in die Höhe und prescht unaufhaltsam auf Glibunkel zu, das benommen zu Boden geschleudert wird, bevor es sich langsam aufrappelt und Sku mit einer schwachen Bodenattacke angreift. Unterdessen unterbricht Gott Nidorinos in sich gekehrten Energiefokus mit einer Stichflamme, die es aus den Tiefen seines Körpers fördert. Nidorino kreischt und rollt sich durch die feuchte Erde, um seine Verbrennungen zu lindern. „Nochmal angreifen, Sku, versuch, Arbok mit deinem Schlitzer zu treffen!“ „Nidorino, Furienschlag auf ihr Igelavar, Glibunkel, weiter Lehmschelle.“ „Arbok, Wickel. Gib ihr keine Möglichkeit, zu kontern.“ Ich kann gerade noch Hunters herabstürzenden Umriss sehen, bevor er gegen Glibunkel prallt und das blaue Pokémon von seinen Füßen hebt. Gott bemüht sich unterdessen, Nidorinos Furienschlag auszuweichen – vergebens. Jeder zweite Treffer ist ein Volltreffer und als Gott schließlich selbst zum Zug kommt, ist seine Glutattacke schon weit schwächer als noch eine Minute zuvor. Mein Blick gleitet zu Sku, die inzwischen in Arboks muskulösem Körper eingewickelt ist, zittert und sich kaum rühren kann. Ein übler Geschmack wie von Galle breitet sich in meinem Mund aus. Hier geht es nicht nur um Sieg oder Niederlage. Ich habe es ihm versprochen, denke ich verzweifelt. Ich habe ihm versprochen, dass ich sie packe! „Glibunkel, nein!“ Ich mache einen Schritt nach vorne. Hunter sitzt auf Glibunkels blauen Krötenkörper; das Pokémon rührt sich nicht. „Hunter, hol Sku aus Arboks Wickel, Gott, halte Nidorino beschäftigt, du schaffst das!“ „Arbok, Säurespeier auf ihren Vogel!“ Der Blick ihres einen Auges verhärtet sich. „Er wird leiden.“ Cory ruft sein Pokémon zurück. „Nidorino, Hornattacke, beende es!“ Gott springt zur Seite, als Nidorino mit gesenktem Kopf auf ihn zuschießt, aber das abgesplitterte Horn reißt dennoch einen tiefen Schlitz in seine Seite. Winselnd steht er für einige Momente still, bevor seine kleinen Beinchen einknicken und er besiegt zur Seite kippt. Nidorino stampft zufrieden mit seinem Fuß auf, wendet sich dann ab und rennt in Richtung Arbok, das mit weit geöffnetem Maul eine Giftkugel nach der anderen nach Hunter schießt, der wieder und wieder auf sie einhackt, um Sku zu befreien. „Pass auf!“, schreie ich, im selben Moment, in den Cory Nidorino seine Hornattacke befiehlt. Nidorino nimmt Anlauf, springt und schießt auf Hunter zu, der damit beschäftigt ist, Arboks Bissen auszuweichen. Meiner Stimme folgend prescht Hunter mit einem gewaltigen Flügelschlag gute zwei Meter in die Höhe, genug, um Nidorinos Attacke nicht nur auszuweichen, sondern ihn von hinten mit einem Furienschlag anzugreifen. Nidorino reißt den Kopf in die Höhe und schreit, immer noch im Flug, als seine Kräfte ihn verlassen. Sein Angriff hält jedoch stand und sein violettes Splitterhorn trifft das einzige Pokémon, das sich jetzt noch in seiner Flugbahn befindet – Arbok. Arboks Griff lockert sich, als sie sich zischend und züngelnd windet. Sku strampelt sich aus ihrem Wickel und rennt hinkend aber mit beachtlicher Geschwindigkeit außer Arboks Reichweite. Erleichtert atme ich aus. Arbok ist geschwächt und sowohl Hunter als auch Sku sind noch kampffähig. Ich kann gewinnen. Dann bebt die Erde. Zuerst ist es nur ein Vibrieren, ein Rütteln, das sich sekündlich verstärkt, bis ich mein Gleichgewicht verliere und vornüber auf Hände und Knie falle. „Was zur…“ Risse rasen auf uns zu, Spalten im Erdboden, die breiter werden, breiter und breiter bis sie jeden, der hineintritt, verschlingen könnten. Cory schreit, Mel sieht sich wütend um und ich stehe mühsam auf. Sku und Hunter sind innerhalb von Sekunden an meiner Seite, der Kampf vergessen. Der Sandsturm, der anschließend in unsere Richtung rollt, lässt meine Kinnlade langsam herabsinken. Ich hatte gedacht, der im Pokécenter wäre stark, aber was jetzt auf uns zukommt, ist eine ganz andere Liga. Ohne ihre sicheren Proteste abzuwarten, rufe ich Hunter und Sku zurück und renne in die andere Richtung, nur weg von der entfesselten Naturkatastrophe. „Arbok, Säurespeier!“, kreischt Mel und für einen Moment wundere ich mich, wen sie angreift. Keins meiner Pokémon ist draußen und… Schmerz. Ich schreie, als Arboks Gift durch mein Oberteil in die Haut darunter ätzt, meine rechte Schulter nur noch ein Fleck heißen Feuers in meiner Vorstellung. Ich stolpere einige Schritte vorwärts, bevor ich falle und mit dem Gesicht im Dreck liegen bleibe. Der Sandsturm rollt über mich. Halb bewusstlos kann ich Stimmen im Sand ausmachen, aber mein Gehirn zieht keine Verbindungen mehr. Alles wirkt so… abgeschnitten. Flügelschläge. Schnattern. Ächzen. „Wir hauen ab.“ „Hast du sie erwischt?“ „Die Schlampe wird´s überleben.“ „Ich kann sie erschießen.“ „Das ist meine Rache, halt dich da raus!“ „Atlas wird das nicht-“ Ihre Stimmen verblassen und mit ihnen das Tosen des Sturms. Das Pochen an meiner Schulter, das langsam immer tiefer geht, als würde das Gift bis in meine Knochen wandern, wird stumpfer. Ich weiß nicht, wie lange ich dort liege, aber schließlich höre ich Schritte. Einen wütenden Schrei. Jemand geht neben mir in die Knie. Finger befühlen meinen Hals. Ich öffne ein Auge. Ich glaube, es ist Raphael, aber ich bin nicht sicher. Schatten kriechen in mein Sichtfeld und alles verliert seine Farbe. Mir ist schlecht. Und es brennt. „Sie lebt, Gott sei Dank, sie lebt...“ „Was ist passiert?“ „Keine Ahnung, aber sie muss ins Krankenhaus.“ Ich werde hochgehoben. Wo Finger mich berühren, kribbelt es. Ich fühle mich, als würde ich gleich einschlafen. Meine Gedanken verschmelzen mit meinen Eindrücken der Realität. „Schlaf nicht ein, Abby, ich bring dich hier raus.“ Ich liege, halb über einem fedrigen Körper hängend. Blut tröpfelt die Federn entlang. Eine Wunde? „Sag den anderen Bescheid. Und ruf Gold an.“ „So ein Scheiß…“ Jemand setzt sich hinter mich. Dann ruckelt es und plötzlich habe ich das Gefühl, in die Höhe gezogen zu werden, ohne meine Organe mitzunehmen. „Alles wird gut, Abby, alles wird gut.“ Eine Hand, die über mein Gesicht streift. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Dann entzieht sich mir alles und ich falle ins Nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)