Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 40: Krieg und Allianz (Babysitting der Extraklasse) ----------------------------------------------------------- Als ich am nächsten Morgen aufwache, strahlt mir das Sonnenlicht unangenehm in die Augen und ich rolle mich hin und her, bevor ich Geräusche aus dem Hauptraum der Suite höre. Ich taste nach Sku, doch die hat sich bereits unter das Bett verkrochen und schläft dort in geliebter Dunkelheit. Ich rufe sie zurück, dann ziehe ich mich an und folge den Gesprächsfetzen. Raphael und Genevieve sitzen auf den Sofas und schlürfen Kaffee. Auf dem Tisch vor ihnen ist eine platte belegter Croissants aufgehäuft. Ich begrüße die beiden etwas verschlafen, lasse mich dann gegenüber auf die Couch sinken und greife nach einem Croissant. „Hast du schlecht geschlafen?“, fragt Raphael besorgt. Ich schüttele den Kopf. „Ich war noch mit Sku spazieren.“ Ich werfe einen Blick zu Genevieve. „Du siehst auch etwas übernächtigt aus.“ „Ich hatte mit drei Stunden mehr Schlaf gerechnet.“ Sie trinkt einen großen Schluck Kaffee und reibt sich die Augen. „Aber Raph musste natürlich wieder dazwischen funken.“ „Wenn ich dich in Ruhe lasse, kommst du in den falschen Rhythmus.“ Sie winkt ab. „Die Auslosung startet um 13:00 Uhr“, sagt Raphael an mich gewandt. „Wir werden vorher noch ein Briefing mit Alfred haben. Das Interview startet um 14:15 Uhr.“ „Ich werde da sein“, sage ich und esse mein Croissant zu Ende, bevor ich aufstehe. „Ich habe noch was mit Ruth zu besprechen. Wir sehen uns später.“ Genevieve zieht eine Augenbraue hoch, sagt aber nichts. Ich bin schon halb durch die Tür, da drehe ich mich noch einmal um. „Ich habe gestern Nacht Zach getroffen. Er sagte, es sei eine gefährliche Nacht.“ „Zach?“ Gen schaut unschlüssig zu Raphael, doch der zuckt nur die Achseln. „Würde mich nicht wundern, wenn er nachts rumschleicht. Aber was meint er mit gefährlich?“ „Er wird sich noch blicken lassen, keine Sorge“, meint Gen, dann gähnt sie herzhaft. „Richy wird ihn schon finden. Er hat ein Talent dafür, Zach überall ausfindig zu machen.“ Ich nicke, dann verlasse ich unsere Suite. Jeffry hat den Zolwyks die Suiten 6 und 7 zugewiesen. In einer davon wird Ruth sein. Ich stelle mich vor die Tür der Nummer 6 und lege ein Ohr an das Holz. Von innen höre ich leise Stimmen. Ein Gespräch? Ich presse meine Wange enger an die Tür, aber ich kann keine Worte ausmachen. Als nächstes nehme ich mir die Suite 7 vor. Mein Ohr hat kaum das Holz berührt, da schwingt die Tür auf und schlägt in mein Gesicht. Ich stolpere zurück, die Hand auf meine Wange gepresst. Als ich meine Lippe betaste, sind meine Finger blutig. „Was machst du denn hier?“, fragt Ruth gereizt und tritt aus ihrem Zimmer. Als sie mein Gesicht sieht, verdunkelt sich ihre Miene. „Spionierst du mir nach?“ „Nein…“ Ich wische schnell das Blut weg und verschränke die Arme. „Ich muss mit dir reden.“ „Wirklich.“ Wir schauen uns finster an. Nach unserem Friedenspakt hielt ich unsere Beziehung für ein wenig gebessert, aber sie ist genauso feindselig wie zuvor. Dann wiederum war das Teil der Abmachung. Trotzdem. Ruths Gesichtsausdruck geht mir schon jetzt auf die Nerven. „Vergiss es“, sage ich und wende mich ab. „Es ist dein Problem, nicht meins.“ „Problem?“, fragt Ruth und ich höre, wie mir nachgeht. „Was für ein Problem?“ Ich bleibe stehen, seufze und drehe mich zu ihr um. Sie sieht genauso genervt aus wie ich mich fühle, aber da ist auch noch etwa anderes. Nicht direkt Angst, aber eine böse Vorahnung. „Wir sollten das in Ruhe besprechen“, sage ich schließlich. „Sollen wir uns ins Foyer setzen?“ Ruth nickt. Gemeinsam nehmen wir den Aufzug nach unten und machen es uns dann an einem der Tische bequem, der am weitesten von den Treppen und der Empfangstheke entfernt ist. Ruth bestellt einen Cappuccino und ich einen Tamottee und nachdem Jeffry in der Küche verschwindet, um die Getränke zu besorgen, beugt Ruth sich etwas nach vorne. „Hat das mit Team Rocket zu tun?“, fragt sie. „Holly hat mich angerufen.“ Ich nicke. „Mel hat mich und Louis in den Alph-Ruinen aufgespürt. Sie wollte uns lebendig begraben. Wir sind nur knapp entkommen.“ „Waren die anderen bei ihr?“ „Nur Teal. Anscheinend waren sie auf einer privaten Mission unterwegs. Gut möglich, dass Lee nicht zu entbehren war.“ Ruth nickt nachdenklich. „Sie sucht uns also und will Rache. Großartig.“ „Das ist noch nicht alles. Ich habe gestern Zach getroffen.“ Ich berichte Ruth knapp von meiner Begegnung mit dem Favoriten und von der vagen Warnung, die er geäußert hat. „Wunderbar. Ganz toll.“ Ruth nippt an ihrem kürzlich gebrachten Cappuccino und verzieht das Gesicht bei dem Geruch meines Getränks. „Mel und Teal sind also hier.“ „Scheint so“, sage ich. „Aber hier ist kaum der beste Ort für die Beiden, zuzuschlagen. Solange wir uns nicht alleine irgendwo herumtreiben, können sie uns nichts anhaben.“ „Es wäre auf jeden Fall ziemlich dumm von ihnen. Zumindest bei dir.“ Ruth schaut einen Moment lang nachdenklich auf ihre Finger. „Du hast den besten Schutz, den man sich wünschen kann. Drei prominente Freunde, die außerdem zu den stärksten Protrainern der Region gehören. Um deine Sicherheit brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Sie klingt bitter. „Was ist mit dir?“, frage ich und Ruth lacht. „Mit mir? Meine Eltern sind reich. Denkst du wirklich, sie können mit Pokémon umgehen?“ „Weiß ich doch nicht“, sage ich, gereizt. „Du hast nie gesagt, wo du her kommst und was deine Eltern machen.“ „Tja, ich sah keinen großen Grund, ausgerechnet dir mein Herz auszuschütten“, keift sie zurück. „Außerdem reise ich lieber inkognito.“ „Deine Eltern können dich also nicht beschützen?“ „Nein.“ Sie fährt mit dem Finger den Rand ihrer Tasse nach. „Meinen Eltern gehört der Hafen in Oliviana City. Die Schiffe laufen nur bei uns an, aber die MS. Love ist unser Eigentum.“ „War das nicht das Schiff, das im Radio erwähnt wurde?“ „Die MS. Love legt zweimal pro Jahr im Hafen von Oliviana City zu einer Pokémonausstellung ab. Nur die reichsten der Reichen sind eingeladen, ihre preisgekrönten und seltenen Pokémon vorzuführen.“ „Du klingst nicht begeistert“, merke ich an und Ruth schnaubt. „Keiner von denen zieht seine Pokémon selbst auf. Ich bin jedes Mal dort und jedes Mal gewinnt irgendein reicher, fetter Mann, der sein geliebtes Pokémon bis zum Tag der Ausstellung noch nie gesehen hat. Das macht mich krank.“ Ich schmunzele und Ruth wirft mir einen bösen Blick zu. „Was?“ „Nichts“, sage ich und trinke einen tiefen Schluck Tee, der wie Feuer meine Kehle herab fließt. „Du bist nicht ganz so unausstehlich wie ich immer dachte, das ist alles.“ „Was, dachtest du, ich bin zum Spaß in Azalea City gewesen?“, feixt Ruth zurück. „Ich musste Himmel und Hölle in Bewegung setze, damit meine Eltern mich überhaupt gehen ließen und nachdem sie von Team Rocket erfahren haben, musste ich sofort zurückkehren.“ „Du darfst nicht weiterreisen?“, frage ich. „Natürlich nicht. Ich bin die einzige Erbin. Ihr Imperium darf schließlich nicht untergehen.“ „Was ist mit Markus und Nick?“ Ruth zögert. Ihr scheint bewusst geworden zu sein, dass wir uns inzwischen auf einer ganz normalen Ebene unterhalten. Mir ist das neue Gesprächsthema auch nicht geheuer, aber Nick ist nett zu mir gewesen und ich möchte wissen, was er macht. „Markus ist nur mitgekommen, weil ich ihn darum gebeten habe. Er ist wieder bei seiner Familie. Nick hat sich an uns dran gehängt. Wenn er könnte, würde er mir nicht von der Seite weichen. Idiot.“ Ich lasse ihre Worte unkommentiert. Stattdessen komme ich auf das eigentliche Gesprächsthema zurück. „Habt ihr keinen Bodyguard oder so?“, frage ich. Ruth seufzt. „Wir haben einen, aber er ist nicht mitgekommen. Meine Mutter mag ihn nicht und hat ihm befohlen, in unserer Villa zu bleiben.“ „Also hast du keinen Schutz, falls Mel dich angreifen sollte.“ „Gut erkannt.“ Ich nehme einen großen Schluck Tee. Ich weiß, was ich sagen sollte, aber ich bin nicht gerade scharf auf die Folgen. Ruth schnaubt. „Keine Sorge, ich komme schon alleine klar. Ich werde mich deinen VIP-Freunden nicht an den Hals schmeißen.“ „Unsinn.“ Ich zwinge mich zu einem Lächeln, das Ruth mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentiert. „Wenn Team Rocket hier ist, können wir keine Risiken eingehen. Du kannst bei uns bleiben, solange das Turnier stattfindet.“ Ruth schweigt. Schließlich schaut sie zur Seite. „Danke.“ Ich leere meine Tasse und stehe auf. „Wir treffen uns um 12:30 Uhr hier im Foyer.“   Raphael und die anderen sind in Alfreds Suite, deswegen mache ich es mir in unserer eigenen gemütlich und schaue ein wenig Fern. Gott liegt halb über meinem Schoß und ich streiche ihm beruhigend über den Kopf. Sein Misstrauen gegenüber Trainern und Pokémon macht mir Sorgen, aber vielleicht hat er schlechte Erfahrungen gemacht. Etwa zwei Stunden später klopft es an der Tür. „Abby? Wir sind fertig.“ „Komme!“ Ich rufe Gott zurück, kämme mir mit den Fingern durch die Haare und treffe dann die anderen im Flur. „Bereit für die Auslosung?“, fragt Genevieve grinsend und legt einen Arm um meine Schulter. „Ich persönlich freue mich vor allem auf das Interview. Du auch, Raph?“ „Halt die Klappe, Gen.“ „He.“ Richard taucht hinter uns auf. „Ich hab Bock.“ „Ich habe Ruth angeboten, bei uns zu bleiben“, sage ich zu Raphael, als wir gemeinsam die Treppen hinunter steigen. „Das ist gut.“ Er schaut ernst gerade aus. „Ich werde nicht zulassen, dass euch hier etwas passiert.“ Im Foyer angekommen entdecke ich Ruth, die an einem der Tische sitzt und gelangweilt ihre Fingernägel betrachtet. Als sie uns sieht, steht sie auf und gesellt sich zu mir. „Wo sind deine Eltern?“, frage ich, während wir das Hotel verlassen und uns auf den Weg Richtung Areal machen. „Vorgegangen. Sie wollen Kommunikation betreiben. Es sind eine Menge Leute hier, mit denen sie Geschäfte machen können.“ Auf dem Weg zum Pokémonareal begegnen wir zahllosen Menschengruppen, die von anderen Hotels in der Nähe zu der Auslosung gehen. Flugpokémon segeln vereinzelt durch die Lüfte und landen auf den umliegenden Wiesen, wo ihre Trainer absteigen und sich den Rücken und die Beine massieren, während andere auf ihren Fahrrädern vorbei fahren. Richy genießt die Aufmerksamkeit, die sich schon bald auf unsere kleine Gruppe legt. Alfred und Erik kommen getrennt nach, aber drei Favoriten auf einem Haufen sind ein seltener Anblick und wir müssen wieder und wieder stehen bleiben, damit Richy und die anderen Autogramme geben können. Raphael versucht zusehends, im Hintergrund zu verschwinden und ich erwische ihn mehrmals dabei, wie seine Finger nach dem nicht vorhandenen Wollschal tasten. Trotzdem verlässt sein Lächeln nie seine Lippen und auch Genevieve ist wie verwandelt, ganz in eine niedliche, aber schlagfertige Maske gekleidet. Selbst Richy wirkt anders, weniger ruppig und eher wie der begehrte Mädchenschwarm, charmant und immer der Gentleman. Ruth und ich halten uns dezent im Hintergrund. „Ist ja tierisch nervig“, meint sie schließlich. „Das kommt davon, wenn man zu gut ist.“ „Sind die Favoriten wirklich so gut?“, fragt Ruth und schaut den dreien träge beim Unterschreiben zu. „Jedes Jahr sind es an die hundert Trainer, die zugelassen werden. Warum sollen vier von denen so viel besser sein? Das kommt mir wie ein ziemlicher Hype vor.“ „Ich weiß nur, wie stark Raphael ist“, sage ich Schulter zuckend. „Die anderen beiden kenne ich erst seit gestern.“ „Woher kennst du Raphael?“ Die Fans lösen sich auf und wir setzen unseren Weg fort. „Ich habe ihm in einem Kampf in meiner Heimatstadt geholfen, kurz bevor er von den Medien entdeckt wurde. Wir sind jetzt zwei Jahre befreundet.“ Ruth schaut nachdenklich gerade aus. „Ich kenne Markus und Nick seit ich fünf war, aber ich würde sie nicht als meine Freunde bezeichnen.“ „Warum nicht?“, frage ich. Sie streicht sich eine rote Haarsträhne aus der Stirn. „Ich bin nicht besonders gut, was zwischenmenschliche Beziehungen angeht.“ Ihre Miene verfinstert sich. „Eigentlich geht dich das überhaupt nichts an.“ Ich hebe ergeben die Hände. „Tut mir Leid, Hoheit. Ihr spracht, ich lauschte.“ „Tzh.“ Nach langgezogenen und mehrmals unterbrochenen zwanzig Minuten erreichen wir endlich das Areal. Der Torbogen ist mit Pokéballons geschmückt und am Eingang stehen zwei Wärter, die allen Besuchern ein rotes Bändchen um das Handgelenk binden. Als wir an der Reihe sind, lächelt uns der Wärter von gestern schüchtern zu, seine unterschriebene Cappi sitzt stolz auf seinem Kopf. Als Richard die Mütze bemerkt, zieht er einen Filzstift aus seiner Tasche und beißt den Deckel ab. „Da fehlt noch einer“, sagt er breit grinsend und fügt sein eigenes Autogramm neben die anderen beiden Namen ein. „Auf Zachs wirst du verzichten müssen, fürchte ich.“ „K-kein Problem.“ „Ich kann es fälschen, wenn du willst.“ Richy zwinkert ihm zu. Als er den fassungslosen Gesichtsausdruck sieht, lacht er laut und klopft ihm auf die Schulter. „Verpass unser Interview nicht.“ Hinter dem Torbogen wird es enger. Menschen drängen sich auf die äußeren Tribünen und es bedarf zwei schwarz gekleideter Männer, uns einen Weg durch die Menge zu bahnen. Wir steigen die Treppen hinauf und erreichen schließlich eine abgetrennte Box, in der die Sitze hintereinander gestaffelt sind, um einen besseren Blick auf den Wiesensektor zu bieten. Mittig im vorderen Drittel der Grasfläche ist ein rundes Podium aufgebaut, auf dem eine Magnettafel und eine große Glaskugel gefüllt mit kleinen, schwarzen Briefumschlägen stehen. Kameramänner bauen ihr Equipment auf und zwei große Bildschirme hängen an der unbesetzten Tribüne gegenüber. Auf ihr läuft eine Montage der spektakulärsten Trainerkämpfe der Turnierteilnehmer, unterlegt mit leiser Musik, die von dem Menschentrubel übertönt wird. Neben der Tafel stehen zwei junge Frauen in High-Heels und eng anliegenden, kurzen Kleidern, Mikrofone und Karteikarten in ihren Händen. „Da kommt Alfred“, sagt Raphael, der rechts neben mir Platz genommen hat und auf eine violett gekleidete Person deutet, die winkend und lachend zu dem Podium geht, die Wangen der Frauen küsst und sich kurz mit ihnen unterhält. „Gleicht geht es los.“ Genevieve lehnt sich auf ihrem Sitz ein wenig nach vorne, um besser über die Brüstung sehen zu können. Sie hat Recht. Kaum zwei Minuten später legt sich die Unruhe allmählich und statt der Trainerkämpfe übertragen die beiden Monitore nun Nahaufnahmen der beiden Moderatorinnen. Die erste, klein, zierlich, mit hochgestecktem blonden Haar und strahlend weißen Zähnen streckt einen Arm in Richtung der hinteren Tribüne aus, während sie unentwegt die Zuschauer ansieht. „Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir, die 89 Trainerinnen und Trainer, die allen Gegnern und Gefahren getrotzt haben, um sich Ihnen hier, auf dem Indigo Plateau, zu präsentieren! Ein Applaus für… Katharina Alwig!“ „Als wenn wir hier sind, um uns dem Publikum zu präsentieren…“, murmelt Genevieve. „Lars Arens!“ „Gehört halt dazu, Vivi.“ „Timon Azik!“ „Nenn mich nicht Vivi, Richard.“ Richards Grinsen macht einem hungrigen Magnayen alle Ehre. „Jonathan Bark!“ Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen unter mir zu. Während die Moderatorinnen abwechselnd die Trainer auf die Wiese rufen, laufen Kurzcollagen ihrer besten Momente auf dem einen Bildschirm, Livemitschnitte ihres Aufgangs mit eingeblendeten Trainerdaten, Siegesquoten, etc. auf dem anderen. Trotz der Schnelligkeit, mit der jeder Teilnehmer abgehandelt wird, dauert es dennoch fast dreißig Minuten, bevor sie alle in Reih und Glied zu beiden Seiten des Podest Stellung genommen haben. Ruth neben mir spielt gelangweilt mit ihren Haaren und Raphael unterhält sich leise mit Gen, die immer wieder kichert oder belustigt schnaubt. Nur Richard folgt dem Geschehen mit offenkundiger Faszination. Ich kann ihm förmlich ansehen, wie gerne er jetzt dort unten stehen würde, gebadet in der Liebe seiner Fans und dem Scheinwerferlicht des zukünftigen Erfolgs. Ich schmunzele. Erst muss er an Raphael vorbei. „Und zu guter Letzt…. Jasmina Zon!“ Ich beobachte Jasmina, ein großes, kräftiges Mädchen mit wilden schwarzen Locken und einer Hornbrille, die ihr das Aussehen eines Insektenpokémon verleiht, während sie sich winkend und Kusshand werfend auf die rechte Seite zu ihren Mitstreitern gesellt. Ihr Auftreten spricht von Selbstvertrauen und die Jubelwoge, die ihr entgegen tost, spricht für sich. „Jasmina ist einer der Lieblinge“, erklärt Raphael leise. „Ihr Kampfstil ist gnadenlos offensiv und sie hat schon mehr als einen Arenaleiter mit einem einzigen Pokémon besiegt.“ „Warum gehört jemand wie sie nicht zu den Favoriten?“, frage ich verwundert. „Ihr Team weist einige Schwächen auf“, fährt Genevieve mit der Erklärung fort. „Sie ist stark gegen Arenaleiter und andere spezialisierte Trainer, aber im freien Kampf gegen andere Multitypnutzer ist sie schwächer.“ „Ich Auftreten macht die Schwäche bei ihren Fans wieder wett.“ Richard kratzt sich am Hinterkopf. „Aber Jubel gewinnt keine Turniere, so einfach ist das. Deshalb ist sie kein Favorit.“ „Gegen Noahs Variation hat sie dann wohl keine Chance“, schlussfolgere ich. Raphael nickt und ich wende mich wieder der Auslosung zu, die inzwischen fast begonnen hat. „…Vierergruppen aufgeteilt. Diese Gruppen werden hier und jetzt ausgelost. Maria wird die Umschläge aus der Bowle ziehen und ich werde die Namen verlesen und die Tafel ergänzen. Also, auf geht´s!“ Die andere Moderatorin, Maria, lächelt in die Kamera, die nun Nahaufnahmen von ihrer Hand in den Umschlägen und abwechselnd von dem Publikum und den Trainern liefert. Schließlich ziehen ihre lackierten Finger einen der Umschläge aus der Glaskugel heraus und sie reicht ihn an die erste Frau weiter. „Gruppe A wird bestehen aus… Larissa Kumwick…“ Maria reicht den nächsten Umschlag an. „Janine Torres… Mark Eisenthal und… Joanne Quillou!“ Sie tritt an die Magnettafel und heftet die vier Bilder der Trainer, die an Magneten befestigt sind, in das Quadrat unter der Überschrift Gruppe A. „Schwache Gruppe“, murmelt Gen und Richard nickt. „Mark kommt durch. Wenn er die Kämpfe nicht verbockt, kann er mit 6 oder mehr Punkten raus gehen.“ „Hat es inzwischen weitere Änderungen in der Punktevergabe gegeben?“, frage ich Raphael, doch der schüttelt den Kopf. „Ein Punkt für einen Sieg, zwei Punkte für jeden Sieg, bei dem mindestens vier Pokémon kampffähig bleiben und drei Punkte für einen perfekten Kampf ohne Verluste.“ „Drei Punkte sind sehr selten, oder?“ „Auf diesem Niveau schon“, sagt Genevieve. „Aber keines der drei Mädchen ist ein besonders herausragender Trainer und Mark ist sehr defensiv. Er geht sorgsam mit seinen Pokémon um und weiß, wie er sie am effizientesten einsetzen kann. Ich halte ein oder zwei perfekte Kämpfe für sehr wahrscheinlich.“ Ruth schaut zu den dreien hinüber. „Ihr kennt euch verdammt gut mit diesen Trainern aus“, sagt sie, aber es klingt weniger wie ein Lob als wie eine mitleidige Feststellung. „Unsere Meinung ist gleich auf dem Podium gefragt“, sagt Raphael. „Alfred hat uns gezwungen, uns gut vorzubereiten.“ Genevieve seufzt. Da schlägt Richard mit der Faust in seine Hand. „Checkt das mal!“ Wir alle wenden uns wieder der Auslosung zu. Inzwischen ist Gruppe D vollständig. Die Namen an der Tafel sagen mir nichts, aber sowohl Raphael als auch Genevieve geben undefinierbare Laute von sich. „Na das ist doch mal eine Zusammenstellung“, meint Raphael. „Kerry Lou und Martina Summer? Da werden die Fetzen fliegen.“ „Und noch Josh Lannis. Arme Ponya, sie hat keine Chance bei diesen Gegnern.“ „Auf Amateur, bitte.“ Ruth lehnt sich an mir vorbei zu den Dreien hinüber. „Das gemeine Volk möchte auch an der allgemeinen Aufregung teilhaben.“ „Kerry und Martina sind das Rivalenpaar dieses Turniers.“ Gen klingt wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal in seinem Leben einen Lolli in die Finger kriegt. „Sie haben sich schon unzählige Male duelliert, offiziell und inoffiziell. Sie sind einander nachgejagt wie damals Red und Blue. Die beiden gehören auf jeden Fall zu den höher gehandelten Trainern dieses Turniers.“ „Dazu kommt, dass ihre Teams perfekt aufeinander abgestimmt sind. Jeder Kampf ist wie eine eingeübte Show, nur das Ende ist jedes Mal anders. Bis heute hat keiner der Beiden eindeutig die Oberhand gewonnen.“ „Hier wird es sich dann wohl entscheiden“, meint Richard grinsend. „Josh wird die Hände voll haben, nicht unterzugehen.“ „Ach was, Josh ist besser ausbalanciert. Wenn er einen guten Tag erwischt, packt er beide locker.“ „Wenn“, wiederholt Gen bedeutsam. Ruth wendet sich wieder ab. „Ist ja nicht zum aushalten…“ „Interessiert dich das Turnier nicht?“, frage ich verwundert. Sie zuckt mit den Schultern. „Ich schaue mir gerne die Kämpfe an, aber der Hype, der darum gemacht wird, ist einfach übertrieben. Ich will nicht jeden Trainer analysieren, ich will den Kampf sehen.“ „Warum bist du dann hier?“ Sie schaut mich mitleidig an. „Denkst du, meine Eltern lassen sich in der Öffentlichkeit ohne ihre Tochter blicken? Gotte bewahre, man könnte denken, sie hätten mich nicht unter Kontrolle oder noch schlimmer, sie könnten sich kein drittes VIP-Ticket leisten.“ Raphael lacht leise. „Ich weiß ja nicht, warum du und Abby so schlecht aufeinander zu sprechen sein wollt, aber ich kann dich gut leiden.“ „Jep.“ Genevieve zwinkert ihr zu. „Ruppig, sarkastisch, wie ich´s mag.“ „Pff.“ Ruth schaut zur Seite, aber ich meine, einen Hauch von rot auf ihren Wangen zu erkennen. „Gruppe H“, unterbricht Richard uns. „Jasmina ist drin.“ Raphael schaut sofort auf die Monitore. „Und Sven.“ „Uh, böse Kombination.“ Genevieve lehnt sich zurück. „Das wird ein wirklich interessantes Turnier, wenn es so weiter geht.“ Und es geht so weiter. Eine Gruppe nach der anderen wird ausgerufen und obwohl die Namen weder mir noch Ruth etwas sagen, geben Raphael und Genevieve gerne und ausführlich Auskunft. Einige der Gruppen scheinen langweilig und vorhersehbar zu sein, aber mehr als einmal geraten die beiden in eine hitzige Diskussion, wer als Sieger aus den Kämpfen hervorgehen wird. „Letztendlich ist es gleich“, sagt Gen schließlich. „Die 32 Besten kommen weiter, egal in welcher Gruppe sie waren.“ „Aber maximal zwei einer Gruppe“, verbessert Raphael. Sie winkt ab. „Geez, immer so formell. Wie hältst du ihn aus, Abby?“ „So oft sehe ich ihn nicht“, meine ich und Raphael boxt mir leicht gegen die Schulter. „Du verletzt mich.“ „Sicher.“ „Wie viele Gruppen noch?“, fragt Ruth gelangweilt und ich zähle schnell in meinem Kopf nach. „Wir sind jetzt bei Gruppe T, also noch zwei. Oder drei?“ „Zwei. Die letzte Gruppe wird aus fünf Mitgliedern bestehen.“ „Wie machen sie das mit den Punkten?“ „Die Punkte werden auf einen Wert herunter gerechnet, der einer Vierergruppe entspricht“, sagt Raphael. „Irgendjemand wird sich auch dieses Jahr beschweren, ich schwör´s dir.“ Genevieve verstellt die Stimme. „Es war unfair, ich hatte ein zehntel zu wenig Punkte, sonst wäre ich durch gekommen, blablub blablub. Geez.“ „Trotzdem, ich beneide die letzte Gruppe nicht. Ein Kampf zusätzlich kann auch ins Augen gehen.“ „Ach was.“ Richard steht auf und stellt sich an die Brüstung, um hinunter zu schauen. „Wer Angst vor einem zusätzlichen Kampf hat, kann direkt wieder nach Hause.“ Genevieve zuckt die Achseln. „Ich wär nicht scharf drauf, aber wenn´s sein muss, dann besiege ich auch zwanzig Gegner, um weiter zu kommen.“ Das Gespräch verebbt, während wir gespannt auf die letzten beiden Gruppenkonstellationen warten. Die Gesichter der übrigen neun Trainer werden abwechselnd auf den großen Bildschirmen gezeigt und die Unterschiede sind beträchtlich. Ein Junge mit goldblondem, kinnlangem Haar und Stahlbrille grinst selbstbewusst, während ein anderer, schlaksiger Junge versucht, in der Trainergruppe unter zu gehen. Vergeblich, er muss mindestens 1,90m groß sein. „Carlos ist gut drauf“, sagt Genevieve und deutet auf den selbstbewussten Jungen. „Den hält nichts auf.“ „Schau dir im Vergleich Marcel an. Er macht sich jetzt schon in die Hose.“ Richard schüttelt den Kopf. Der letzte Umschlag wird gezogen. Die Kameras fangen die fertige Magnettafel ein und ich höre, wie Raphael leise die wichtigsten Gruppierungen wiederholt, um sie sich einzuprägen. Neben ihm tut Genevieve das gleiche. „Sind wir jetzt fertig?“, fragt Ruth brüsk. Ich schüttele den Kopf. „Das Interview fehlt noch.“ „Welches Interview?“ Ich nicke zu den drei neben mir. „Alfred interviewt die Favoriten gleich live.“ „Und wer beschützt uns dann?“, fragt Ruth entsetzt. „Ich bin hier für Schutz, nicht zum Vergnügen!“ „Wenn ich Alfred die Situation berichte, kann ich sicher hier bei euch bleiben“, schlägt Raphael vor. „Oh nein, Raph, so nicht.“ Genevieve schlägt ihm auf den Hinterkopf. Dann dreht sie sich zu Ruth um. „Keine Sorge, wenn ihr euch hinstellt, haben wir euch von unten gut im Blick.  Wenn irgendwas ist, macht euch einfach bemerkbar.“ „Und was dann? Unterbrecht ihr einfach das Interview?“ „Ich kann Dario bei euch lassen, wenn dich das beruhigt“, sagt Raphael und zieht einen Pokéball. „Er sollte mit den meisten Gegnern fertig werden, bis wir euch erreichen.“ „Dein Pokémon?“ Sie klingt nun nicht mehr ganz so zickig. Ein roter Lichtblitz schießt aus Raphaels Pokéball und im nächsten Moment materialisiert sich Dario vor unseren Sitzen. Er legt sich automatisch hechelnd auf den Bauch und Raphael tätschelt seinen Kopf, bevor er ihm befiehlt, uns zu beschützen. Dario nickt einmal, dann steht er auf und lässt sich neben Ruth und mir auf die Hinterläufe nieder, die Ohren gespitzt in alle Richtungen zuckend. Alfreds Showstimme lenkt unsere Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen unter uns. Privat ist seine Stimme bereits voller Tatendrang und Energie, aber vor Publikum scheint er spezielle Stimmbänder zu haben. Er lacht, scherzt mit dem Publikum, breitet die Arme aus, umfasst die gesamte Menge mit seinem Blick und seinen Gesten. Er ist der perfekte Moderator. Aus den Augenwinkeln spüre ich Raphaels spöttischen Blick auf mir ruhen, aber davon lasse ich mich nicht beirren. auch, wenn ich ihn jetzt näher kennen lernen sollte, für mich wird er immer der Gott der Medien sein. Das große Vorbild, dem ich nachstrebe. „Jasmina, du bist in Gruppe H gelandet! Was hältst du von deiner Konkurrenz?“ „Melissa und ich sind ein kurzes Stück gemeinsam gereist, deswegen freue ich mich sehr auf unseren Kampf“, antwortet sie mit einem selbstbewussten Lächeln. „Er wird zeigen, wie sehr wir uns beide entwickelt haben. Larry konnte ich bisher noch nicht duellieren, aber ich freue mich auf die neue Herausforderung. Sven wird eine harte Nuss, aber ich bin zuversichtlich.“ „Harte Nuss ist gut…“, murmelt Gen. „Wenn sie ihn oder Larry unterschätzt, kann sie ihrem Traum mit Alfreds Taschentuch nachwinken.“ Mein Prusten mühsam unterdrückend lausche ich gebannt den weiterem Kurzinterviews. Alfred steht inzwischen vor einem Jungen, der so jung aussieht, dass ich mich frage, ob er überhaupt schon die Lizenz haben dürfte. „Tim, ich habe gehört, der bist bei vielen hier der Geheimfavorit!“, sagt er und klopft dem Jungen auf die schmalen Schultern. „Wie fühlt es sich an, nach all der harten Arbeit hier zu stehen und die Chance zu bekommen, gegen die anderen Trainer anzutreten?“ „Es… es ist unglaublich.“ Seine Stimme ist leise und nur durch das Mikrofon zu hören, das Alfred wohlwissend vor seinen Mund hält. „Ich weiß nicht, ob ich gewinnen kann, aber ich will mein Bestes geben.“ „Und ob du das wirst. Ein Riesenapplaus für Tim Heartoline!“ Der Lärm ist ohrenbetäubend, Pfiffe und Jauchzen erfüllen die Luft. Tim schaut beschämt zu Boden und ich lächle. Ihm würde ich es wirklich gönnen. „Na, hat er dich gekriegt?“, fragt Gen grinsend. Ich schaue verwirrt zu ihr hinüber. „Gekriegt?“ „Tim wickelt alle um den Finger, aber wenn du ihn einmal kämpfen gesehen hast, vergeht der Kuschelfaktor sofort.“ „Inwiefern?“ „Shh!“ Raphael hält ihr den Mund zu. „Ich will ihre Reaktion im Duell sehen!“ „Iff ha niff gesaf.“ Verunsichert wende ich mich wieder den Trainern zu. Ruth seufzt gelangweilt. „Wenn ich gewusst hätte, dass es hier heute so öde ist, wäre ich morgen nachgekommen.“ „Ach, mit deinem Privatjet?“, frage ich und Ruth schielt zu mir rüber. „Richtig. Und ich hätte aus güldenen Kelchen getrunken und mein hoheitliches Antlitz in silbernen Spiegeln begutachtet.“ Genevieve bricht in einen heiseren Lachanfall aus, aber ich verdrehe nur die Augen. Vielleicht fände ich ihre Kommentare unterhaltsamer, wenn sie mich nicht in einer Höhle hätte einsperren wollen. „Carlos, Carlos, Carlos, dich hat die letzte Gruppe erwischt? Irgendeine Strategie?“, fragt Alfred den schlaksigen Jungen von zuvor und dieser lässt perfekt weiße Zähne hervorblitzen. „Nur die eine, Alfred. Gewinnen.“ „Oho! So spricht ein wahrer  Trainer! Ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen.“ Während meiner Diskussion mit Ruth hat Alfred die Runde gemacht und ist nun mit seiner Befragung fertig. Er läuft schwungvoll aufs Podium und breitet ein weiteres Mal die Arme aus. „Meine Damen und Herren, es folgt eine zwanzigminütige Pause! Erfrischen sie sich, es gibt Teigtaschen und Gemüsespieße vor dem Areal! Und gleich wartet auf sie die Meinung der Favoriten für nächstes Jahr, lassen sie sich diesen Leckerbissen also nicht entgehen!“ Richard richtet sich auf und streckt sich, dann verschwindet er an uns vorbei aus der VIP-Box. „Da geht er hin“, meint Gen. „Wir sollten auch los“, sagt Raphael und steht auf. Dario spitzt die Ohren, rührt sich  aber keinen Zentimeter von der Stelle. „Alfred will sicher noch irgendetwas enorm Wichtiges last-minute besprechen.“ „Holt ihr uns hier ab?“, rufe ich ihnen hinterher. Raphael gibt mir einen Daumen hoch, bevor er mit Genevieve auf der Treppe verschwindet. „Wenn ich nicht wüsste, wozu Mel fähig ist, würde ich das hier für einen schlechten Witz halten“, sagt Ruth schließlich und ich nicke bedächtig. „Babysitting der Extraklasse.“ „Babysitting von einem Pokémon.“ Dario hebt den Kopf und schaut sie argwöhnisch an. „Nimm es nicht persönlich.“ „Ich hatte mich wirklich auf das Turnier gefreut…“, murmele ich und starre gerade aus auf die Monitore, die Wiederholungen der Gruppenkonstellationen und Trainerprofile laufen lassen. „Aber wenn sie wirklich hier ist...“ „Ich bin überrascht, dass du die zweite Begegnung überlebt hast.“ „Ich auch.“ Wir schweigen. Ruth sagt nichts, aber ich spüre, dass sie vor Neugierde fast platzt. Einen Moment lang erwäge ich, sie auf dem Trockenen sitzen zu lassen, aber stattdessen gebe ich nach. Ich habe die Alph-Ruinen-Geschichte ja erst drei oder viermal erzählen müssen. „Also seid ihr durch Glück entkommen“, fasst Ruth zusammen, als ich fertig bin. „Ich hatte gehofft, ihr hättet ihr irgendwie die Stirn bieten können, aber ich schätze, das war zu viel verlangt.“ „Kein Glück für uns“, stimme ich zu. „Was wirst du tun, wenn das Turnier vorbei ist?“ „Mich in meinem Zimmer vergraben, vermutlich.“ Sie lacht humorlos. „Ganz normal weitermachen, schätze ich. Trainieren, wann immer ich kann und unserem Bodyguard ein paar Überstunden bescheren.“ „Wirst du nicht weiter reisen?“ „Oh, du bist so naiv, Abby.“ Ruth reibt sich die Augen. „Denkst du, ich darf Protrainer werden? Ganz ehrlich?“ „Naja, du hast zwei Orden und warst in einem Pokécenter untergebracht“, kontere ich gereizt. „Ich habe mit meinen Eltern einen Deal ausgehandelt.“ Ruth legt ihre Hände in ihren Schoß und reibt ihre Finger nachdenklich aneinander. „Wenn ich meine Studien vorziehe und genug vorarbeite, kann ich die resultierende freie Zeit meinem unproduktiven, kindischen Hobby widmen. Ich musste mehrere Monate schuften, bevor ich zwei Wochen frei nehmen durfte.“ Ich schweige. Was kann ich dazu sagen? Ich bin mitten in der Nacht von zu Hause abgehauen, aber unsere Situationen sind wohl kaum vergleichbar. „Jetzt guck nicht so“, fährt Ruth mich an. „Das letzte, was ich will, ist dein Mitleid. Wir sind im Krieg, schon vergessen?“ „Sieht aber so aus, als kämpfen wir wieder auf derselben Seite“, sage ich und sie schnaubt. „Eine durch die Umstände erzwungene Allianz, ja. Aber glaube nicht, dass ich dich deshalb mag.“ „Nicht im Traum.“ „Wo hast du überhaupt deinen Loserfreund gelassen? Ich dachte, ihr wart so dicke miteinander.“ „Wir haben uns in Viola City getrennt“, sage ich kühl. „Und er ist kein Loser.“ „Nein, natürlich nicht. In deiner Welt ist niemand ein Loser, oder? Alles eitel Sonnenschein, jeder ist für sein Glück selbstverantwortlich und alle Menschen sind schön auf ihre Weise.“ „Du redest wie eine alte, verbitterte Frau, Ruth“, keife ich zurück. „Ich kann dir Faltencreme besorgen, wenn du willst.“ „Feil lieber an dienen Comebacks. Waren die schon in Azalea so schlecht oder war ich da von deinen Klamotten abgelenkt?“ Und so geht es weiter. Ich kann nicht sagen, dass ich Ruths Beleidigungen vermisst habe. Ich kann auch nicht das Gegenteil behaupten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)