Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 24: Verhöre und Geständnisse (Jack und Holly) ----------------------------------------------------- Louis rutscht als erster von Garados´ Nacken und reicht erst mir die Hände, um mich hinunter zu ziehen, dann, nach kurzem Zögern, auch Ruth. Sie wirft ihm einen strafenden Blick zu, dann schiebt sie seine Hände beiseite und schwingt sich selbstständig von Ethans Rücken. Sein gewaltiger Kopf dreht sich im Brunnenschacht und seine dreieckigen Augen blitzen bedrohlich in Louis´ Richtung, der ihn schnell zurückruft und dann erschöpft ausatmet. „Mann ey…“, murmelt er und fährt sich durch das strohblonde Stachelhaar. „Ich bin total erledigt.“ „Mein Mitleid hält sich in Grenzen“, erwidert Ruth scharf und Louis schaut betreten zu Boden. Ich lasse die beiden mit ihrem Geplänkel alleine und setze mich etwas abseits vorsichtig auf den Boden, wo ich mein Handy aus der Tasche ziehe. Dann wähle ich die 01010 und warte, bis das Freizeichen in mein Ohr piept. Es folgt ein Knacken und die Stimme einer Frau. „Polizeiwache Dukatia City, mit wem spreche ich?“ „Abbygail Hampton, ich rufe wegen eines Notfalls an. Team Rocket Mitglieder sind östlich von Azalea City aufgetaucht.“ „Wie alt sind sie?“, fragt die Stimme nach einer kurzen Pause. „Fünfzehn.“ „Wo genau und wie viele?“ Ich kann allein an ihrer Stimme erkennen, dass sie mir nicht glaubt und ich bezweifle nicht, dass sie schon früher Falschaussagen bekommen hat, aber solange sie mir hilft, ist mir das egal. „Drei Mitglieder. Zwei sind verwundet und vorläufig in dem Flegmonbrunnen gefangen, der dritte versteckt sich vermutlich im Einheitstunnel.“  „Ich werde einen Trupp losschicken“, sagt die Frauenstimme schließlich. „Ist jemand verletzt?“  Ich werfe einen Blick zu Ruth. Außer dem Kratzer an ihrem Hals ist sie unversehrt. Am schlimmsten hat es wohl mich erwischt. „Nicht schwer.“ „Gut, dann geht zum nächsten Pokécenter. Wir kümmern uns darum. Mischt euch nicht weiter ein, haltet euch von dem Brunnen fern. Ihr solltet euch außerdem auf eine lange Nacht vorbereiten, wir werden euch verhören müssen.“ „In Ordnung. Wir sind im Pokécenter.“ Sie legt auf und ich lasse das Handy in meiner Tasche verschwinden. Dann stehe ich mühsam auf. Als ich drohe, einzuknicken, ist Louis sofort zu Stelle um mich aufzufangen und wieder über seine Schulter zu ziehen. Ich fühle mich wie ein Sack Kartoffeln. Mit seiner Hilfe humpeln wir zurück in die Stadt. Mittlerweile ist es schon schummrig, aber noch nicht ganz dunkel. Immer wieder werfe ich einen ängstlichen Blick zurück zum Brunnen. Ich weiß nicht, wie lange die Polizei brauchen wird oder ob Teals Golbat Fliegen kann. Wenn, dann werden sie über alle Berge sein, bevor irgendjemand sie einfängt. Vielleicht haben sie mit Lee mehr Glück. Wenn Teal und Mel sich beeilen müssen, haben sie hoffentlich keine Zeit mehr, ihn zu warnen. Als wir das Pokécenter erreichen, öffnen sich die elektrischen Türen mit einem Sirren und wir treten ein. Schwester Joy hebt den Kopf. Sie lächelt, aber als sie mich sieht, entgleist ihre Miene und sie rauscht auf mich zu. Weiter hinten im Raum werden wir nun auch von Markus und Nick bemerkt, die entsetzt zu uns schauen. Vor allem Nick sieht so aus, als würde er sich am liebsten umbringen wollen, die Schuldgefühle sind ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Was ist denn mit euch passiert?“, fragt Joy entsetzt und hilft Louis, mich auf eine der Bänke zu setzen. Sie hebt meine Füße an und betastet meinen geschwollenen Knöchel. Als ich zischend zusammenzucke, verdüstert sich ihre Miene. Sie dreht meine Gelenke sanft in ihren Händen und begutachtet die blutigen Fingernägelspuren, die Bisswunden. Dann hebt sie den Kopf und entdeckt augenscheinlich Ruths Halswunde, denn sie presst die Lippen zusammen. „Ich nehme nicht an, dass ihr zwei gestürzt seid“, sagt sie schließlich und ich muss plötzlich prusten. „Nein“, antwortet Ruth für mich. „Wir wurden…“ Sie zögert. Ja, was wurden wir? Entführt? Bedroht? Beinahe umgebracht? „Team Rocket ist hier“, sage ich stattdessen und Joy zuckt zusammen. „Wie kann das sein?“, flüstert sie tonlos. „Keine Ahnung.“ Ich zucke die Achseln. „Jedenfalls scheinen sie sich seit einer Woche im Flegmonbrunnen versteckt zu haben.“ „Wir müssen sofort die Polizei rufen!“ „Schon passiert“, sagt Ruth. „Die sind unterwegs.“ Joy zögert, dann nickt sie und verschwindet in einem ihrer Behandlungszimmer. „Ruth, was ist passiert?“, fragt Markus verdattert und kommt auf sie zu. Sie schaut zu mir hinüber, dann zu Boden. „Ich muss gleich ohnehin alles der Polizei erzählen“, sagt sie schließlich. „Warte bis dahin.“ „Abby?“ Ich hebe den Kopf und sehe einen verzweifelt wirkenden Nick vor mir. „Es tut mir so leid! Ich wollte nicht, wir…“ Er schaut hilflos zu Ruth. „Es war meine Idee“, sagt sie und lässt sich mir gegenüber auf die Bank sinken. „Er wollte es mir ausreden, aber ich habe nicht auf ihn gehört.“ „Schon okay“, murmele ich und schließe die Augen. „Wir hatten schließlich beide was von der Erfahrung.“ Ruth schnaubt, aber es klingt eher amüsiert als verächtlich. Ich öffne die Augen. Ruth öffnet den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber da taucht Schwester Joy wieder auf und kommt mit raschen Schritten auf mich zu. In den Armen hat sie eine Schüssel mit dampfendem Wasser, Handtücher, Bandagen, Pflaster und Desinfektionsmittel. Sie kniet sich vor mir auf den Boden und beginnt, meine Wunden zu reinigen, die blutigen Stellen zu desinfizieren und zu verbinden. Dann schmiert sie eine kalte Salbe auf meinen Knöchel und verbindet ihn ebenfalls. Als sie den Kopf hebt, schaut sie zwischen Louis, Ruth und mir hin und her. „Ich hoffe, noch die ganze Geschichte von euch zu hören“, sagt sie dann und ich seufze. „Die Polizei wird heute Nacht herkommen, um uns zu verhören. Dann hören sie alles im Detail.“ Sie nickt und erhebt sich. „Dann mache ich uns allen am besten eine große Kanne Kaffee.“ Es dauert nicht mehr lange, bis die Polizei im Pokécenter auftaucht. Von dem Sechs-Mann-Trupp ist nur einer für unser Verhör abgestellt worden, aber er wirkt zu entspannt. Der Polizist hat kurzrasiertes, rauchschwarzes Haar und trägt die blaue Uniform der Rocky Spezialeinheit, die sich auf Team Rocket spezialisiert hat. Außerdem hat er ein kleinen Bierbauch und einen Dreitagebart, den er sich gedankenverloren kratzt, während er uns von seinem herbei gezogenen Stuhl aus betrachtet. „So, wer von euch hat denn angerufen?“, fragt er und ich hebe eine Hand. „Dann bist du also Abbygail Hampton, ja?“ „Stimmt.“ „Gut, und die anderen?“ Wir stellen uns der Reihe nach vor und als wir fertig sind, nickt der Polizist und reibt sich wieder mit einem kratzigen Geräusch über den Bart. „Ich bin Jack Ryle“, sagt er. „Ich bin schon viele Jahre dabei und ich warne euch jetzt gleich vor, ich kann erkennen, wenn jemand lügt.“ Er tippt sich an die Stirn. „Mir entgeht nichts. Ich sehe Dinge, von denen ihr nicht mal wisst, dass es sie gibt. Also kommen wir gleich zur Sache. Fangen wir mit dir an, Abby. Was ist heute passiert?“ Also erzähle ich. Ich berichte von den drei Gestalten, die ich früh morgens durchs Fenster beobachtet hatte und die plötzlich einfach verschwunden waren, ohne in der Stadt aufzutauchen. Ich fahre fort, bis ich die Stelle erreiche, in der Team Rocket mich entdeckt und gefesselt hat. „Warum haben sie dich nicht sofort umgebracht, wenn sie die Möglichkeit hatten?“, fragt Jack und ich überlege kurz. „Sie waren nicht einig, wer mich töten sollte, also wollten sie erst auf ihren Komplizen warten, bevor sie eine Entscheidung treffen.“ „Lee“, fügt Ruth hinzu. Jack nickt. „Was ist dann passiert?“ „Sie haben eine ganze Weile miteinander geredet, ich habe nicht alles verstanden, aber es ging wohl um ihren Boss.“ Jacks Blick hellt sich augenblicklich auf und beugt sich zu mir. „Ihren Boss, sagst du? Hast du zufällig seinen Namen aufgeschnappt?“ Ich nicke. „Atlas.“ „Atlas!“, ruft Jack und schlägt sich mit der Faust in die offene Hand. „Dieser Bastard! Hat er es doch tatsächlich wieder geschafft.“ „Ist er bekannt?“, fragt Louis und lehnt sich von oben über die Banklehne, auf der ich sitze. „Und wie“, sagt Jack und kratzt sich wieder am Kinn. „Atlas war Teil des ursprünglichen Team Rocket Vorstands und Giovannis rechte Hand. Als Giovanni von Red gestürzt wurde, verbrachte Atlas drei Jahre damit, die Team Rocket-Reste zusammen zu kratzen und die Organisation wiederaufzubauen. Gold machte seinen Plan schließlich zu Nichte und es gelang uns, einen Großteil der Rockets unschädlich zu machen, aber Atlas und die anderen Vorstandsmitglieder entkamen. Er ist untergetaucht und wir haben nichts mehr von ihm gehört, aber wenn Abby Recht hat, dann ist er wieder da.“ „Jedenfalls tauchte nach einer Weile Lee auf“, fahre ich fort. „Aber er war nicht alleine. Ruth war bei ihm.“ „Du warst bei ihm?“, fragt Jack und nimmt nun Ruth ins Visier. „Dann berichte uns doch mal deinen Tag bis dahin.“ Ruth schaut zur Seite. „Ich war wütend auf Abby, weil sie mich gestern in einem Kampf besiegt hat, also wollte ich mich rächen“, beginnt sie dann und ich spitze die Ohren. Jetzt erfahre ich endlich, was sie im Einheitstunnel verloren hatte. „Ich wusste, dass sie heute den Flegmonbrunnen unter die Lupe nehmen würde und ich wusste, dass sie ziemlich knapp bei Kasse war, immerhin hilft sie seit ein paar Tagen hier bei Joy im Pokécenter aus. Ich dachte, wenn ich verhindere, dass sie ihren Pflichten nachkommt, dann würde Joy den Vertrag auflösen und Abby müsste das Pokécenter verlassen.“ Ich schaue hinüber zu Joy, die schweigend etwas abseits sitzt und zuhört. Sie verzieht keine Miene, aber ich kann sehen, dass ihre Augen förmlich Funken sprühen. „Also habe ich einen Plan ausgeheckt“, fährt Ruth fort. „Ich würde morgens Kai herausfordern, danach meine Pokémon heilen und dann in den Einheitstunnel gehen, um zu trainieren. Abby und Louis haben heute Morgen darüber geredet, dass er Platzangst hat und lieber trainieren will, deshalb würde er mich in die Höhle gehen sehen und ich hätte ein Alibi.“ „Ein Alibi wofür?“, hakt Jack nach. „Wir sollten die Leiter verstecken“, gesteht Nick kleinlaut und Jack schaut ihn an. „Die Leiter, die in den Brunnen führt?“, fragt er und Nick senkt den Kopf. „Ihr wolltet Abby also in dem Brunnen einsperren, ohne Essen, ohne Licht, ohne Handyempfang?“ „Ich wollte, Nick war dagegen“, sagt Ruth, ohne Jack anzusehen und ich kann nicht umhin, sie für ihre Ehrlichkeit zu bewundern. Gut, sie wollte mich da unten verrotten lassen, aber sie spricht gerade mit der Polizei! Joy ist dabei. Wenn es richtig schlecht für sie läuft, könnten alle weiteren Orden so gut wie unerreichbar für sie werden, aber trotzdem nimmt sie Nick in Schutz, der sie mehr oder weniger verraten hat, als er mir geholfen hat, gegen sie zu gewinnen. Sie könnte die Schuld abwälzen und auf die Gruppe verteilen, aber sie sagt es, wie es ist. „Und wie lange wolltet ihr Abby da drin lassen?“, fragt Jack eisig nach. „Mindestens bis morgen früh, vielleicht auch noch bis zum Abend. Es gibt Wasser da unten, verdurstet wäre sie nicht.“ Joys Augenlid zuckt. Sie sieht aus, als wolle sie Ruth am liebsten schlagen, aber sie dreht sich nur um und verschwindet wortlos in der Küche. Ruth beißt sich auf die Lippen und schaut wieder aus dem Fenster. „Aber wenn Louis auf der Wiese vor dem Tunnel trainiert hat, wie konnte Lee dann ungesehen mit dir verschwinden? Und warum hat er dich überhaupt entführt?“ „Ich habe ihn gesehen“, sagt Ruth. „Ich bin eine andere Route als sonst gegangen, weil überall komische Schilder hingen, eine Umleitung wegen Einsturzgefahr oder so. Ich wollte eigentlich die Umleitung nehmen, aber dann habe ich Geräusche gehört und bin dem Weg gefolgt. Dann habe ich Lee gesehen. Er trug die schwarze Team Rocket Uniform und hat Löcher in die Wände gebohrt. Ich wollte wegrennen, aber er hat mich gesehen und eingeholt, bevor ich die Höhle verlassen konnte. Er hat mich notdürftig gefesselt und rumgejammert, so was würde immer ihm passieren.“ „Und wie seid ihr an mir vorbei gekommen?“, fragt Louis und Ruth schaut ihn abfällig an. „Du hast mit dem Rücken zu uns gestanden. Lee hat seinem Alpollo Hypnose befohlen, du bist müde geworden und dann hast du ein Nickerchen gemacht.“ Louis stutzt, dann weiten sich seine Augen. „Deshalb war ich plötzlich so müde!“, sagt er und sieht beinahe fasziniert aus. „Ich habe mich schon gewundert.“ „Also gut, Lee bringt Ruth nach unten in den Flegmonbrunnen, dessen Leiter immer noch intakt ist“, sagt Jack und schaut uns erwartungsvoll an. „Es muss mittags gewesen sein“, sagt Markus. „Wir sollten die Leiter um fünfzehn Uhr entfernen.“ Also berichte ich weiter. Wie Teal Atlas angerufen hat und wie Ruth und ich weiter in die Höhle geschleppt wurden. Als ich zu dem Teil komme, als Mel ihr Messer zückt, erbleichen Markus und Nick und Louis legt seine Hände beruhigend auf meine Schulter. „Ist daher der Schnitt?“, fragt Jack und deutet auf Ruths Hals. Sie nickt. In dem Moment kommt Joy zurück und setzt sich zurück auf ihren Stuhl. Ihre Augen sind auf Jack und mich fixiert, Ruth würdigt sie keines Blicks. Ich öffne den Mund, aber Ruth fängt schon an, zu reden. „Ich dachte, ich werde sterben“, sagt sie und schaut weiter aus dem Fenster. „Aber dann hat Abby mich gerettet.“ Ich schließe den Mund wieder, Louis´ Hände streicheln beruhigend über meine Schultern. „Wie das?“, fragt Jack. „Sie hat ihr Ibitak gerufen, obwohl sie den Pokéball nicht in der Hand hatte. Ibitak hat Mel attackiert, Abby hat sich das Messer geschnappt und uns befreit. Dann sind wir losgerannt. Als wir den Schacht erreicht hatten, sind wir-“ „Moment mal!“, unterbreche ich sie. „Du bist zu mir zurück gerannt, als ich umgeknickt bin und nicht mehr laufen konnte. Alleine wärst du schneller im Brunnen gewesen.“ Joys Augen blitzen. „Abby, meine Pokémon waren noch im Einheitstunnel. Lee hat mir den Rucksack abgenommen. Ich brauchte dich.“ „Trotzdem hast du mir geholfen“, widerspreche ich und sie seufzt. „Jedenfalls hat Teal uns im Schacht eingeholt, Abby hat gegen ihn verloren, dann hat ein Flegmon ihn eingeschläfert und wir sind auf Louis Garados aus dem Brunnen getragen worden.“ Sie steht auf. „Kann ich jetzt gehen? Ich würde gerne meinen Rucksack holen.“ „Nirgends wirst du hingehen“, sagt Joy bestimmt. „Herr Ryle hier wird seinen Kollegen Bescheid sagen, die können deinen Rucksack bergen.“ „Lee ist vielleicht noch dort“, füge ich hinzu und Ruth zuckt leicht zusammen. „Ich bin müde“, sagt sie, aber Joy drückt ihr nur eine Tasse Kaffee in die Hand. „Du bleibst.“ Eine metallische Melodie erschallt und ich schaue mich erschrocken um, aber Jack hebt beruhigend eine Hand und zieht sein Diensthandy aus seiner blauen Weste. „Jack hier“, antwortet er und wartet. Dann weiten sich seine Augen. „Niemand?“ Ich schaue unsicher zu Louis, der mit den Schultern zuckt. „Was habt ihr gefunden?“ Er lauscht lange, nickt ab und zu, dann steht er auf und wandert ziellos durchs Pokécenter. Nach einer Weile scheint das Gespräch beendet zu sein, denn er legt auf und setzt sich wieder zu uns an den Tisch. „Sie sind entkommen“, sagt er und fährt sich durchs Haar. „Was?“, fragt Ruth entsetzt und lässt sich zurück auf die Bank sinken. „Das kann nicht sein! Mel war so schwer verletzt, und Lee wusste überhaupt nicht, dass wir entkommen sind!“ „Das ist die schlechte Nachricht“, nickt Jack. „Die Gute ist, dass sie Blutspuren am Grund des Brunnens gefunden haben, so wie auch jede Menge Fußabdrücke und ein paar große blaue Schuppen. Die sind wohl von deinem Garados, Louis.“ Er nickt. „Zusammen mit euren Verletzungen und der Geschichte, die ihr mir gerade erzählt habt… haben wir keinen Grund, euch nicht zu glauben. Aber das macht die Sache nur umso problematischer.“ „Warum das?“, fragt Markus und Jack seufzt. „Weil es bedeutet, dass Team Rocket bis nach Johto vorgedrungen ist, dass sie von jemandem geführt werden, der weiß, was er tut und dass ihr Plan beide Regionen einschließt.“ Er trommelt mit den Fingern auf die Tischplatte. „Und jetzt?“, fragt Louis und Jack zuckt die Achseln. „Jetzt warten wir auf meine Kollegin. Sie ist auf dem Weg.“ Wir verbringen die folgenden Minuten in angespanntem Schweigen. Draußen wird es immer dunkler und die Kaffeekanne leert sich zusehends, bis Joy schließlich aufsteht und mit einer neuen Platte Kekse zurückkommt. Als ich den süßen Geruch wahrnehme, wird mir mit einem Mal bewusst, dass ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen habe und ich stürze mich auf die Kekse. Ruth geht es nicht anders und so stopfen wir uns einen nach dem anderen in den Mund, ohne auf die Blicke der anderen zu achten. Als mein Mund gerade so voll ist, dass ich kaum noch schlucken kann, öffnet sich die Pokécentertür plötzlich mit einem leisen Sirren und unser alle Augen richten sich auf den Eingang. Eine kleine, muskulöse Frau mit rasiermesserscharfen Gesichtszügen und genauso scharf geschnittenem braunen Bopp tritt ein. Ihr Blick wandert gelassen von einer Ecke des Raums zum anderen, bis er an Jack hängen bleibt. Sie überbrückt die Distanz zwischen uns mit raumgreifenden Schritten und bleibt direkt hinter Jack stehen. „Wo sind deine Mitschriften?“, fragt sie brüsk und Jack zuckt zusammen. „Holly, ich habe mir alles gemerkt, ich schwö-“ „Ein Stück Toast könnte deine Arbeit besser erledigen als du. Gott, kannst du dich nicht einmal in deinem Leben an die Vorschriften halten?“, unterbricht sie ihn und schlägt ihm gegen den Hinterkopf. Jack macht ein unglückliches Gesicht, sagt aber sonst nichts. Holly fischt inzwischen einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber aus der Innentasche ihrer Uniformjacke, klappt ihn auf und hält uns ihre Polizeimarke hin, bevor sie umblättert und ihren Stift auf das Papier setzt. „Also, wer von euch ist Abbygail Hampton?“ Ich hebe die Hand. Ihre Hand beginnt in Rekordtempo über den Block zu huschen, während sie uns alle nach einander nach unserem Namen, Alter, Herkunft und Grund für unseren Aufenthalt fragt. Dann geht die Fragerei von vorne los.   Es ist bereits mitten in der Nacht, als Holly endlich mit ihrem Verhör fertig ist. Nicht nur stellt sie uns eine Unzahl von Fangfragen, damit wir uns in einem möglichen Lügengeflecht verhaken, sie besteht auch auf Einzelgespräche, in denen jeder ihr seinen Tagesablauf haarklein beschreiben muss. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Jack nicht dazu angehalten wäre, uns davon abzuhalten, jegliche Art der Konversation zu betreiben, was in gähnender Langeweile unsererseits resultiert. Louis und ich spielen nach einer Weile Wasser-Feuer-Pflanze, während Ruth auf der Bank döst und Joy ziellos durch den Hauptraum läuft, Staub wischt und die Kasse aufräumt. Irgendwann nach Mitternacht ist Holly schließlich auch mit Nicks Befragung durch, die beiden kommen aus dem Telefonraum zurück und Nick sieht aus, als wäre er gerade zehn Jahre gealtert. Ich kann es ihm nicht verübeln. Holly bringt einen dazu, seinen eigenen Erinnerungen zu misstrauen. „Das wäre es für heute“, sagt sie, während Nick sich auf die Bank zu Ruth setzt und sie sanft weckt. „Wir werden unter Umständen in den nächsten Tagen weitere Fragen an euch haben, also verlasst die Stadt nicht, bis ihr die ausdrückliche Erlaubnis meinerseits oder eines Höherrangigen erhaltet. Verstanden?“ „Ja…“, murmeln wir im Chor und Hollys Gesicht verdüstert sich. „Wir gehen, Jack.“ „Sofort.“ Sie sind schon halb aus der Tür, da dreht Holly sich noch einmal um. „Eins noch. Ruth, wir haben deinen Rucksack gefunden. Er sollte spätestens morgen früh hier ankommen.“ „Entschuldigung?“, rufe ich ihr hinterher und sie dreht sich ein zweites und sichtlich genervteres Mal zu mir um. „Was?“, fragt sie trocken. „Was passiert jetzt mit den drei Team Rockets?“ „Dank eurer genauen Beschreibungen sind wir nicht ganz ahnungslos. Wir werden euch in den nächsten Tagen einen Phantombildzeichner vorbeischicken. Dann werden wir Steckbriefe anfertigen lassen und sie in alle Städte und Dörfer Johtos und Kantos verschicken. So leicht werden sie nicht noch einmal davonkommen.“ Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet mit Jack in der Dunkelheit. Kaum sind die Polizisten verschwunden, geht ein Seufzen durch unsere Reihen. Joy schickt uns sofort auf unsere Zimmer, damit wir uns von dem anstrengenden Tag erholen können und niemand beschwert sich. Oben im Flur will ich schon in unserem Zimmer verschwinden, da dreht Ruth sich zu mir um und winkt mich zu sich. Ich tausche einen Blick mit Louis, der die Achseln zuckt, nicke ihm zu und humpele Ruth hinterher, die mich ans Ende des Gangs führt, bevor sie stehen bleibt. „Ich habe mich noch nicht bedankt“, sagt sie und ich traue meinen Ohren nicht. „Wofür?“, frage ich. Sie sieht mich wütend an. „Du hast mir das Leben gerettet. Ohne deine Hilfe hätte Mel mir in der Höhle die Kehle aufgeschlitzt.“ Ihre Finger wandern zu der verbundenen Wunde. „Du hast mir auch das Leben gerettet“, erinnere ich sie. „Du warst es, die Mel ins Gesicht getreten hat, als sie mich von Ethan runterziehen wollte. Danke.“ Wir sehen uns lange an, dann lacht Ruth humorlos auf. „Schau uns an…“, murmelt sie und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nur damit das klar ist, ich kann dich immer noch nicht leiden.“ „Da bin ich ja erleichtert“, sage ich, aber ein schmales Grinsen spielt um meine Lippen. Ich strecke ihr meine Hand entgegen. „Also, sind wir quitt?“ Ruth zögert, seufzt schließlich jedoch und erwidert die Geste. „Vorerst. Ich schlage Waffenstillstand vor, solange die Ermittlungen laufen.“ „Und wenn wir uns wieder begegnen…“, beginne ich. „…dann heißt es Krieg“, beendet sie meinen Satz und drückt schmerzlich fest zu.   Als ich neben Louis im Bett sitze und an die Wand starre, fühlt sich alles sehr unwirklich an. Meine Schürf- und Bisswunden pochen unter den Pflastern und Verbänden und ich frage mich, wie wir es innerhalb von einer Woche geschafft haben, zweimal in Lebensgefahr zu geraten. Vielleicht lag Mama mit ihrem schlechten Gefühl gar nicht so falsch. Louis unterbricht die Stille mit einem Seufzen und ich drehe den Kopf. In der Dunkelheit sieht sein Haar grau aus, außer dem Rand seines Gesichts liegt alles im Schatten. „Abby?“ „Hm?“ „Werd nicht sauer, wenn ich das jetzt sage.“ Ich schaue ihn verdutzt an. „Warum sollte ich?“, frage ich und er lacht leise. „Ich mag dich. So richtig.“ Mein Herz macht einen Satz. Was? Was? Ich öffne den Mund, weil es sich so anfühlt, als müsse ich etwas sagen, aber ich bringe kein Wort heraus. Louis schaut zu mir und grinst mich müde an. „Ist schon okay. Ich weiß, dass du… Ich wollte es nur sagen, das ist alles.“ „Ich…“ „Mach dir nichts draus.“ Er rutscht tiefer unter die Decke, bis er darunter verschwindet, dann dreht er sich um und rührt sich nicht mehr. Ich schaue ihn lange an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)