Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 20: Ignoranz (Aufeinandertreffen der Parteien) ------------------------------------------------------ Louis ist am nächsten Morgen der Grund dafür, dass ich aufwache. Ich rolle mich im Halbschlaf tiefer unter der Decke ein und genieße die letzten paar Minuten, bevor mein Handywecker mich zu meiner Frühstücksschicht wach klingelt. Plötzlich reißt mir jemand die Decke weg und ich höre einen spitzen, erschrockenen Schrei. Halb benommen greife ich nach dem Deckenzipfel, aber der ist bereits mitsamt Louis über den Bettrand verschwunden. „Aua…“, stöhnt er und ich öffne die Augen, wenn auch unwillig. Als ich zur Bettkante robbe und Louis von oben herab mustere, ist er völlig unter der Decke begraben. Nur sein Arm und einer seiner Füße schauen darunter hervor, aber ich kann seinen Umriss unter dem roten Stoff herum wuseln sehen. „Ich hatte noch mindestens zwanzig Minuten“, beschwere ich mich und schlage spielerisch nach einer Erhebung, die verdächtig nach Louis´ Kopf aussieht. Er gibt einen überraschten Laut von sich, dann schießt sein Arm unter der Decke hervor, packt mein Handgelenk und zieht mich ebenfalls vom Bett. Ich lande mit einem dumpfen Laut auf der Decke und Louis´ Kopf taucht irgendwo am Rand auf. „Mein Fehler“, sagt er selbstgefällig und ich seufze. „Schlaf ich halt hier weiter…“, murmele ich und bette meinen Kopf auf die nächstbeste Erhebung, die sich sehr nach einer Schulter anfühlt. „Nein, warte!“, ruft Louis entsetzt und windet sich unter mir. „Du bist schwer verdammt!“ Ich hebe den Kopf und schaue ihn scharf an. „Das sagt man niemals zu einer Lady.“ „Ich sehe keine- Au!“ „Selber schuld“, sage ich und rolle mich noch ein bisschen auf ihm herum, bevor ich mich seines Stöhnens schließlich erbarme und aufstehe. „Danke…“, japst er und atmet mehrere Male tief aus, bevor er aufsteht und sich hektisch an mir vorbei zum Bad schlängelt. Ich schaue ihm überrascht hinterher, dann zucke ich die Achseln und nutze die Zeit, um mich umzuziehen. Ich muss wirklich anfangen, meine Sachen mehrere Tage hintereinander zu tragen, denke ich noch, als ich mein einziges sauberes Top anziehe. Doch dann werfe ich einen Blick aus dem Fenster und entscheide mich spontan um. Es regnet. Na ja, eigentlich schüttet es im Weltuntergangsstil. Außer grau und schwarz kann ich am Himmel nichts erkennen. Noch immer halb im Schlafanzug gehe ich zum Fenster hinüber und schaue durch das leicht beschlagene Glas nach draußen. Alle Pfade sind zu Matschstraßen geworden und trotz der Uhrzeit ist es immer noch ziemlich düster. Adieu Top. Ich ziehe meine Shorts an (denn meine Strumpfhose ist ja kaputt) und darüber meinen gelben, Po-langen Wollpulli und meine graue, ärmellose Hoodie. Dann noch Socken und meine fingerlosen Handschuhe und fertig bin ich. Apropos fertig. „Wie lang brauchst du noch?“, frage ich, während ich an die Badezimmertür klopfe. „Moment!“ Ich seufze und beginne, das Zimmer etwas aufzuräumen. Die Decke landet wieder auf dem Bett, wo ich sie mehr oder weniger ordentlich falte, dann widme ich mich meinem Rucksack. Als Louis immer noch nicht auftaucht, kämme ich mir schon mal meine Haare und ziehe meine festen Wanderschuhe an. Ich bin gerade am Überlegen, ob ich mich zum Fenster rauslehnen soll, um mir mein Gesicht zu waschen, da öffnet sich das Schloss des Bads und Louis kommt raus. „Wurde aber auch Zeit“, sage ich und verschwinde ebenfalls im Badezimmer. Im Gegensatz zu ihm bin ich nach zwei Minuten fertig. Ich wechsele schnell noch den Verband an seinem Arm und trage die braune, übelriechende Salbe auf dem Stich auf. Zu meiner großen Erleichterung ist die Schwellung weiter zurückgegangen. Zufrieden gebe ich ihm einen Klaps auf den Rücken. „So, wollen wir?“, frage ich und Louis nickt. Er hat sich ebenfalls mit Pulli und langer Hose eingedeckt. „Ich brauche auch so eine“, sage ich, während wir die Treppen runter steigen. „Außer meiner Strumpfhose hatte ich nichts für kalte Tage.“ Auf sein Gesicht stiehlt sich ein breites Grinsen. „Wir können Luna fragen, ob sie-“ „Louis!“ zische ich ihn an, aber als er mich mit unterdrücktem Grinsen anguckt, muss ich loslachen und er lacht automatisch mit. So viel wie mit Louis habe ich glaube ich noch nie in meinem Leben gelacht. Er umarmt mich von hinten und ich habe Probleme, die Treppe herunterzusteigen, weil er mit mindestens seinem halben Gewicht gegen mich drückt und sich von mir hinunter ziehen lässt. „Ich hab dich trotzdem lieb“, flüstert er mir ins Ohr und ich versuche ihn abzuschütteln, aber vergebens. „Na, wen haben wir denn da? Zwei Turteltäubchen von der Müllhalde?“ Wir haben den Treppenabsatz erreicht und im Hauptraum des Pokécenter stehen, wer sonst, Ruth und Gefolge. Ich schaue mich flüchtig um, aber Schwester Joy ist nirgends zu sehen. Vielleicht kümmert sie sich gerade um eins der schwerer verletzten Pokémon. Manchmal reicht die Maschine alleine nicht aus. „Dir auch einen guten Morgen, Ruth“, sage ich und schaffe es endlich, Louis von meinem Rücken abzuschütteln. Als mein Blick auf Nick fällt, schaut er schnell weg. „Schlecht geschlafen wie immer?“ „Hüte deine Zunge“, zischt sie, dann zupft sie eine ihrer roten Haarsträhnen zu Recht. Gestern ist es mir nicht aufgefallen, aber sie trägt, wie ihre beiden Freunde, nur Markenklamotten. Pokéat und Gyarafashion. Sie ist also nicht nur ein Miststück, sondern auch noch reich. Die Kombination geht nie gut, zumindest meiner bescheidenen Meinung nach. „Wir wollen euch nicht stören“, meldet sich Louis zu Wort. „Wir wollten uns nur um euer Frühstück und eure Zimmer kümmern, dann sind wir schon weg.“ „Willst du mir drohen, Waldjunge?“, fragt Ruth und verschränkt die schlanken Arme. „Nicht im Traum“, erwidert Louis, aber er lässt es so klingen, als würde er es in der Realität durchaus in Erwägung ziehen. Ruth setzt zu einer scharfen Antwort an, aber in dem Moment steht Nick auf und flüstert ihr etwas ins Ohr. Ruth nickt. Dann hören wir Schritte. Sie dreht den Kopf abrupt zur Seite und ich folge ihrem Blick. Schwester Joy taucht gerade aus einem der Hinterzimmer auf, zwei Pokébälle in den Händen. Als sie uns sieht, lächelt sie, aber ihre Augenbrauen sind trotzdem misstrauisch hoch gezogenen. Ich setze mein breitestes Lächeln auf und wende mich Ruth zu. „Wir werden sofort mit dem Frühstück beginnen. Habt noch einen Moment Geduld.“ „Wie liebenswert von euch, vielen Dank“, sagt Ruth, die sich sofort auf meine Schiene einlässt. Ruth mag den Vorteil haben, aber sie weiß genauso gut wie ich, dass Schwester Joy letztendlich jeden rausschmeißen kann, den sie als Störenfried erachtet. Und das kann sich schnell auch auf die Arenakämpfe auswirken. Ich habe es noch nicht oft erlebt, aber Trainer, die sich in unserem Pokécenter in Orania schlecht benommen haben, hatten oft sehr viel größere Probleme bei ihren Kämpfen gegen Major Bob. Ein Junge brauchte mal zehn Anläufe, und dass obwohl er immer damit prahlte, bisher jeden Arenaleiter beim ersten Versuch besiegt zu haben. Und so heißt es gezwungener Waffenstillstand für uns beide, zumindest solange Joy in der Nähe ist. Ich werfe Louis einen vielsagenden Blick zu und er setzt ebenfalls ein bereites Grinsen auf, das bei ihm weit echter wirkt als bei mir. Gemeinsam verschwinden wir in der Küche. „Du hast nicht übertrieben“, gesteht Louis und macht sich daran, Brot zu toasten und Marmelade aus dem großen Kühlschrank zu holen, während ich Eier koche. „Immerhin hält sie sich zurück, wenn Schwester Joy in Hörweite ist“, sage ich und klaue mir eine der Toastscheiben, die gerade perfekt gebräunt aus dem Toaster springt. „Sie hält sich noch zurück?“, fragt Louis überrascht und ich nicke. „Aber so lange ich sie nur während der Mahlzeiten sehe, kann mir der Rest egal sein.“ Ich hole Teller und Besteck aus den Schränken. „Was hast du heute überhaupt vor?“ „Ich wollte mich eigentlich in der Umgebung umsehen, aber bei dem Wetter…“ „Vielleicht hört es ja gleich auf“, sage ich, wenn auch wenig überzeugt. Dann halte ich Louis nacheinander die Teller hin und er wirft auf jeden zwei Toasts. „Hast du kein Wasserpokémon?“ frage ich dann und lade gekochte Eier, Käse und Marmelade auf die Teller. „Na ja, doch, aber es kann keine Wasserattacken.“ „Trotzdem. Im Regen fühlt es sich bestimmt wohler als in der Hochsommerhitze.“ „Meinst du?“ „Auf jeden Fall. Ich habe Sku früher immer nur nachts trainiert, weil sie nachtaktiv ist und pralle Sonne nicht gut abkann.“ „Darüber habe ich noch nie nachgedacht“, gesteht Louis kleinlaut und schüttet Saft in die Gläser auf dem Tablett. „Überleg´s dir einfach. Ich werde hier eh noch ein paar Stunden beschäftigt sein, also kannst du ruhig schon vorgehen.“ „Ich lasse dich hier nicht alleine schuften!“, widerspricht Louis, aber ich lege beruhigend meine Hand auf seinen Arm. „Wenn du Kai besiegen willst, musst du trainieren. Ich muss niemanden besiegen. Wann wir weiter ziehen, hängt ganz von dir ab, also kümmere du dich um deine Verantwortungen und ich kümmere mich um meine.“ Er setzt zu einem Widerspruch an, aber dann seufzt er und nickt. „Wie du meinst.“ „Gut.“ sage ich fröhlich und hebe das Tablett ächzend hoch. „Dann bedien dich hier. Bin sofort wieder da.“ „Viel Glück.“ Ich schiebe die Tür mit meiner Hüfte auf, werfe einen prüfenden Blick zu Joy, die an der Theke steht und mir zulächelt, dann setze ich ebenfalls mein Arbeitslächeln auf und gehe zu Ruths Tisch. Die drei sitzen bereits und Ruth schaut mich ungeduldig an. „Das war ein ziemlich langer Moment, findest du nicht?“, fragt sie, als ich das Tablett auf dem Tisch abstelle. „Du hast vollkommen Recht, Ruth. Meine Schuldgefühle sind kaum in Worte zu fassen“, erwidere ich mit gespieltem Schmerz in der Stimme. Sie schaut mich scharf an, dann winkt sie mich näher. Ich zögere, aber meine Neugierde überwiegt und ich beuge mich ganz nah zu ihr herunter, bis ihr Mund gleich neben meinem Ohr platziert ist. „Nick hier sagt, er hätte gestern mit dir gesprochen. Stimmt das?“ Ich werfe einen prüfenden Blick zu Nick, der mir unmerklich zunickt. „Ja, das stimmt. Wir haben uns kurz unterhalten.“ „Er sagt auch, dass du nicht zum Orden sammeln hier bist. Aber du trainierst Pokémon, ja?“ Langsam geht mir ein Licht auf. „Ich habe Pokémon, aber ich trainiere sie nicht wirklich…“ gebe ich zu. „Das ist mir zu viel Arbeit.“ Ruth zieht den Kopf zurück, dann lacht sie laut. „Man sieht sich“, sagt sie dann und beendet so die Unterhaltung. Ich werfe Nick einen letzten, fragenden Blick zu, beschließe aber, ihm zu vertrauen. Er scheint irgendeinen Plan zu haben. Einen Plan, in dem ich eine Rolle spiele. Naja, wenn ich damit Ruth eins auswischen kann, dann kann ich auch mit ein bisschen Spontanität leben. Als ich in die Küche zurückkomme, sitzt Louis bereits auf einer der Arbeitsflächen und schiebt sich haufenweise Toast in den Mund. Als er mich sieht, hellt sich sein Gesicht auf und er grinst mich breit an. „Was hast du denn mit Ruth besprochen?“, fragt er und schaut mich neugierig an. Ich erzähle ihm von meinem Gespräch mit Nick gestern Abend und dann von Ruths Frage. „Glaubst du, er will sie reinreiten?“, fragt Louis nachdenklich und beißt in ein Ei. „Keine Ahnung“, erwidere ich und hieve mich neben ihm hoch. Er reicht mir einen mit Marmelade bestrichenen Toast und ich beiße dankbar hinein. „Jedenfalls kommt er mir in ihrer Clique sehr fehl am Platz vor. Er wirkte ziemlich schüchtern gestern, aber auch nett. Beides kann man von Ruth nicht gerade sagen.“ „Nein, nicht wirklich.“ Er stopft sich das restliche Ei in den Mund und spült mit Pirsifsaft nach. „Aber trotzdem. Ich meine, er reist mit ihr. Wenn sich herausstellt, dass er sie belogen hat, dann wird Ruth ihm doch sicher die Hölle heiß machen. Er könnte vermutlich nicht mehr mit ihr reisen.“ „Vielleicht ist das sein Plan“, mutmaße ich und nehme Louis den Saft aus der Hand. „Ich würde auch alles tun, um Ruths Gesellschaft zu entgehen. Stell dir vor, du müsstest mit ihr reisen.“ Einen Moment lang schweigen wir, während die grausame Vorstellung durch unsere Köpfe pulsiert, dann machen wir synchron ein Würggeräusch, schauen uns an und bekommen einen hysterischen Lachanfall. „Schau uns nur an…“, japse ich und halte mir den Bauch, während ich mit der anderen Hand den Saft durch die Luft schwenke. „Wir müssen völlig verrückt aussehen.“ „Mit dir zusammen bin ich gerne verrückt“, sagt Louis, schnappt sich noch ein Ei und hält es mir entgegen. Ich stoße mit dem Saftkarton dagegen. „Auf uns!“, sage ich lachend und Louis grinst breit. Dann beißt er in sein Ei. „Auf verrückte Zeiten.“ „Auf Ruths Demütigung.“ „Und auf Unterwä– Au!“   Ich wische mir mit einer behandschuhten Hand über die Stirn und strecke meinen Rücken. Das letzte Zimmer ist sauber und damit meine Arbeit vorerst erledigt. Joy hat mir für heute Mittag freigegeben, ich werde erst wieder zum Abendessen gebraucht. Ich packe meine Putzutensilien weg und bringe sie runter. „Schon fertig?“, fragt Joy und ich nicke. „Nicht schlecht. Willst du nicht hierbleiben? Ich könnte jemanden wie dich gut gebrauchen.“ „Nein danke“, sage ich grinsend, dann schnappe ich mir meinen Rucksack, den ich in der Küche untergestellt habe und verschwinde aus dem Pokécenter. Louis ist bereits vorgegangen, er trainiert bei irgendeiner Höhle östlich von Azalea. Joy meinte zwar, der Wald wäre näher, aber keiner von uns beiden hat vor, in nächster Zeit auch nur einen Fuß hinein zu setzen. Es gibt anscheinend auch noch den Flegmonbrunnen, aber von dem hat sie uns bei diesem Wetter abgeraten. „Es gibt da drin viele kleine Seen und Bäche. Bei diesem Wetter kommt man da unten kaum durch.“ Ich seufze, als ich meine Kapuze über meinen Kopf ziehe und durch den Regen stapfe. Vielleicht kann ich Kai fragen, ob irgendjemand in dieser Stadt ein Radio hat. Ich würde schon gerne mal wieder die Nachrichten hören. In den letzten zwei Wochen sind die Team Rocket Sichtungen immer häufiger geworden, auch in Städten wie Marmoria City. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um Maya, aber als ich sie letzte Woche angerufen habe, wusste sie nichts von Team Rocket und es ging ihr blendend. Nach dem Vulkanausbruch auf der Zinnoberinsel haben die Wissenschaftler ihre Fossilwiederbelebungsstation nach Marmoria verlegt und Maya ist total wild darauf, endlich eine mitzuerleben. Vielleicht sollte ich mich in ein paar Tagen nochmal bei ihr melden, nur zur Sicherheit. Es wundert mich sowieso, dass Team Rocket bei seinem stark wachsenden Einfluss noch nicht auf Johto übergegriffen hat. Speziell jetzt, da sowohl Noah als auch Gold ihnen den Krieg erklärt haben und beide auf der Suche nach ihnen ganz Kanto auf den Kopf stellen. Ich gehe mit gesenktem Kopf in Richtung Osten, wo die Stadt aufhört, aber selbst durch den plätschernden Regen kann ich plötzlich laute Stimmen hören. Ich hebe den Kopf und blinzele, als Regen mir die Sicht nimmt. Gleich außerhalb der Stadt steht eine Menschengruppe. Angeführt von Ruth. Fast will ich umdrehen, aber dann entdecke ich Nick. Ist es soweit? Ich betaste automatisch die Pokébälle an meinem Gürtel. Und so beginnt es also. Ich verlangsame meine Schritte, täusche Unsicherheit vor. „Was machst du denn hier?“, frage ich bissig, mit nur einem Hauch Angst in der Stimme. Sie muss schließlich das Gefühl haben, die Oberhand zu haben. „Abby, welch Überraschung, dass du hier vorbeikommst“, säuselt sie. Dann wird ihr Blick hart. „Nicht.“ „Was willst du, Ruth? Ich muss da durch“, sage ich gereizt und bleibe wenige Meter vor ihr stehen. Sie ist umgeben von einer Gruppe Jugendlicher, von denen die wenigsten so aussehen, als kämen sie von hier. „Tja, wenn du hier durch willst, wirst du gegen mich kämpfen müssen, Schätzchen“, sagt sie selbstgefällig. „Die Stadt endet hier. Leute wie du sind ab jetzt Frischfleisch.“ „Du willst gegen mich kämpfen?“, frage ich und schaue sie zornig an. „Nachdem du von Nick erfahren hast, dass ich keine Orden sammle?“ „Pass auf, was du sagst“, zischt sie. „Ist das dein wunder Punkt, ja?“, hake ich grinsend nach. „Traust du dich nur zu kämpfen, wenn dein Gegner schwach ist?“ „Du bist ziemlich arm, oder?“, fragt sie und ich presse meine Lippen zusammen. „Wenn du gegen mich verlierst, wie viel Prozent deines Geldes müsstest du dann an mich abtreten?“ Ich schweige. Einmal, weil es sie nichts angeht, aber auch, weil ich nicht zugeben will, dass 500 PD derzeit fast fünfzig Prozent meines Geldes ausmachen. Man muss schließlich kein Öl ins Feuer gießen. „Was, wenn ich nicht kämpfen will?“ „Oh, dann kommst du wohl in nächster Zeit nicht aus der Stadt raus. Dein Freund trainiert da drüben oder?“ Sie deutet auf den Weg hinter sich. „Ein paar meiner Freunde nehmen ihn gerade in die Mangel. Willst du ihm nicht helfen?“ „Miststück!“, fluche ich und greife nach meinem Pokéball. „Das wirst du bereuen.“ „Das wird sich noch zeigen.“ „Mach sie nieder, Hunter!“, rufe ich Ibitak zu, der sich mit wild schlagenden Flügeln einige Meter über mir materialisiert und aufgeregt krächzt. „Ein Ibitak, wie ordinär“, kichert Ruth und zieht ihrerseits einen Pokéball aus der Markentasche an ihrem Gürtel. „Aber was habe ich erwartet.“ Sie wirft ihren Pokéball mit einer leichten Drehung ihrerseits in die Luft und der rote Lichtblitz spiegelt sich in tausenden Regentropfen wieder. Dann landet ein Snubbull vor ihren Füßen, seine schwarzen Äuglein schauen mich finster an und es kaut schmatzend mit seinen Reißzähnen, die oben aus seinem Maul herausragen. „Hunter, Heuler!“, rufe ich ihm zu und Ibitak beginnt, kratzig und ohrenbetäubend zu heulen. Snubbull windet sich, fängt sich aber schnell wieder. „Fee, setzt deinen Charme ein“, ruft Ruth und zwinkert mir gehässig zu. Ich beiße mir auf die Lippen. Ich hätte angreifen sollen. Snubbull beginnt, mit den Augen zu klimpern und eine niedliche, liebevolle Aura geht plötzlich von ihm aus. Hunter sinkt langsam aus dem Himmel herab. „Fall nicht darauf herein!“, rufe ich ihm zu, aber dafür ist es schon zu spät. Hunter kann sich kaum noch effektiv in der Luft halten, so stark ist seine Kraft gesunken. Entschieden, meinen Fehler wieder gut zu machen, befehle ich Hunter sein Aero-Ass. Er schüttelt den Kopf, dann steigt er weit in die Höhe. „Versuch auszuweichen, Fee!“, ruft Ruth ihrem Pokémon zu, doch ich lächle nur abschätzig. Aero-Ass verfehlt sein Ziel niemals. Wie erwartet schießt Ibitak aus dem wolkenverhangenen Himmel herunter und ich kann ihn fast nicht sehen, so dicht fällt der Regen. Aber ich muss ihn auch nicht sehen. Ich habe kaum den Kopf in seine Richtung gehoben, da schießt er schon an mir vorbei und trifft Snubbull mit all seiner übrigen Kraft im Rücken. Snubull kreischt, torkelt einige Schritte, bleibt aber stehen. Dann reißt es den Kopf herum und bleckt seine unteren Reißzähne. Sie müssen mindestens so lang wie mein kleiner Finger sein. „Donnerzahn, Fee, los!“, ruft Ruth und mir sackt das Herz in die Hose. Hunter flattert verzweifelt mit den Flügeln, aber er ist Snubbull einfach zu nah. Das Pokémon springt mit ausgestreckten Pfoten auf Ibitaks Rücken und vergräbt seine Hauer in Hunters Gefieder. Dann lädt sich sein Mundraum mit Elektrizität auf und Hunter wird von dem Strom kräftig durch geschüttelt. Geschwächt tänzelt er über den matschigen Boden und Schlammspritzer fliegen in alle Richtungen. Nach einigen Sekunden lässt Snubbull ihn los, nur um sich das Regenwasser aus dem Fell zu schütteln und geifernd Position aufzunehmen. „Nochmal Aero-Ass!“, rufe ich Hunter zu und er erhebt sich schwerfällig in die Lüfte. „Mach dich bereit für einen weiteren Donnerzahn“, befielt Ruth, aber sie überschätzt ihr Pokémon, denn als Hunter zum zweiten Mal auf Snubbull hinunter schießt, trifft er es mit voller Wucht. Snubbull fliegt ein kleines Stück durch die Luft und bleibt zitternd in Schlamm liegen. Regen peitscht auf sein rosa Fell herab, während es sich mühsam erhebt, nur um erneut zu Boden zu fallen. „Komm schon Fee!“, ruft Ruth ihm zu. „Blamier mich nicht!“ Snubbull winselt, aber es kann nur noch den Kopf heben und Ruth entschuldigend ansehen, dann sackt es besiegt zu Boden. Ruth knirscht mit den Zähnen und ruft es zurück. „Die erste Runde geht dann wohl an mich“, sage ich und Ruth wirft mir einen mörderischen Blick zu. „Wir sind noch lange nicht fertig, Schätzchen“, erwidert sie und zieht einen zweiten Pokéball aus ihrer Tasche. „Los, Lilli!“ Himmel, ihre Spitznamen sind ja genauso schlimm wie die meiner Mutter. Lilli entpuppt sich als kleines, durch den Matsch wuselndes Evoli, mit einer pinken Schleife um den Hals und perfekt getrimmtem beigebraunen Fell. Als es Hunter entdeckt, hält es in seiner Springerei inne und bauscht sein Fell auf. Ruth grinst gehässig. „Dein Ibitak ist Geschichte. Lilli, erledige es mit Ruckzuckhieb.“ Und, so traurig es ist, das war es dann wirklich. Evoli schießt auf Hunter zu, der ihren Bewegungen kaum noch folgen kann, dann trifft es ihn genau auf der Brust und Hunter stolpert mit einem röchelnden Krächzen einige Schritte nach hinten, bevor es zu Boden sinkt. Ich rufe ihn wortlos zurück. Dann grinse ich. Ich habe lange nicht mehr mit Sku gegen einen anderen Trainer gekämpft. „Dein Auftritt, Sku“, rufe ich und sie materialisiert sich in einem Schauer aus roten Regentropfen vor mir im Schlamm. Sie schüttelt ihr Fell, dann reckt sie ihren bauschigen Schweif bedrohlich in die Höhe. Ein Raunen geht durch die Trainer um uns herum und ich kann nur vermuten, dass einige von ihnen von Skus Entwicklungsstufe auf ihren Mindestlevel geschlossen haben müssen. Ruth jedenfalls scheint nicht dazu zu gehören. Sie schaut sich genervt und auch ein bisschen verwirrt um, wendet sich dann aber wieder dem Kampfgeschehen zu. „Lilli, nochmal Ruckzuckhieb“, ruft sie ihrem Evoli zu und ich lasse die beiden kommen. Einen Ruckzuckhieb kann Sku nicht überholen, egal wie gut ihre Initiative ist. Evoli nimmt Anlauf, verschwindet aus meinem Sichtfeld und taucht im nächsten Moment direkt vor Sku auf, die ihren Angriff bereits erwartet. Evoli prallt in ihren üppigen Körper hinein, aber anstatt Sku zurück zu stoßen, prallt Evoli ab und wird selbst zurück geworfen. Ruths Gesichtszüge erstarren, was ich mit äußerstem Genugtun beobachte. Es wird Zeit, die dumme Zicke auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Reicher bedeutet nicht gleich stärker. „Sku, Säurespeier“, befehle ich und Sku holt tief Luft, dann spuckt sie Evoli eine Ladung violetter Flüssigkeit entgegen, die auf Evolis nassem Pelz kleben bleibt und sich tief in ihr Fell hinein ätzt. Evoli kreischt herzzerreißend und es tut mir fast ein bisschen leid. Ruth ist inzwischen aschfahl geworden, eine Farbe, die ihr sehr gut steht, wie ich finde. Evoli wimmert und winselt, dann macht es ein paar Schritte auf Sku zu, die sie mit mütterlicher Härte begutachtet. Dann knicken ihre Beine unter Lilli ein und sie landet wenig grazil im Matsch. Ruth schaut ihr Pokémon entsetzt an, als könnte sie nicht fassen, dass ich es mit einer Attacke besiegt habe. Inzwischen bezieht Sku ein wenig Energie aus dem Giftschleim, der um ihren Hals hängt und gähnt gelangweilt. Dann schüttelt sie sich wieder. Ein großer Fan von Regen ist sie nicht. „Lilli, zurück.“ Ruth schaut noch einige Sekunden auf die Stelle, an der Evoli sich dematerialisiert hat, dann greift sie nach ihrem nächsten Pokéball. „Gina, du bist dran!“ Ein kleines, braun-schwarz gestreiftes Ganovil materialisiert sich vor uns im Schlamm. Als es den Matsch unter seinen Füßen spürt, plantscht es aufgeregt mit dem Schwanz darin herum. „Gina, Sandgrab!“ „Kreideschrei, los!“ Gina springt in die Höhe und landet mit einem gewaltigen Platsch auf dem Boden, woraufhin sich die Erde um Sku herum langsam auftürmt. Sie lässt ihren gewaltigsten Kreideschrei los und Ganovil beginnt, den Kopf hin und her zu werfen. Ihre Attacke wird trotzdem nicht unterbrochen. Die Erdwände um Sku türmen sich weiter auf, bis sie ihr eigenes Gewicht nicht mehr unterstützen, dann krachen sie zusammen und begraben Sku unter sich. Ich lecke mir nervös über die Lippen, aber Skus Kopf taucht bereits wieder unter den Erd- und Schlammmassen auf und sie kämpft sich mühsam nach oben. Im Freien angelangt schüttelt sie sich angewidert die Erde aus ihrem dichten Fell. „Jetzt Schlitzer!“, rufe ich ihr zu und Sku rennt nach vorne in Richtung Ganovil, das immer noch wimmernd den Kopf hin und her wirft. „Nochmal Sandgrab!“, ruft nun auch Ruth, aber Sku ist schneller. Sie hebt ihre klauenbewerte Pfote und reißt eine tiefe Wunde in Ganovils Panzer. Durch den Kreideschrei unfähig, sich zu verteidigen, trifft die Attacke Ganovil mit gefährlicher Präzision. Ganovil kreischt nun ebenfalls, bleibt aber stehen. Es zittert und es wimmert, aber es steht. Dann erhebt sich der Boden um Sku herum und begräbt sie unter sich. Ich halte den Atem an. Gina hechelt und ringt nach Luft, während sie sich um ihre verwundete Seite herum krümmt. Erde spritzt in die Höhe, als Skus Pfote aus dem Schlammmeer herausbricht und ich höre Ruths wütendes Zischen. Sie hatte gehofft, dass die zweite supereffektive Attacke Sku erledigen würde, aber sie unterschätzt den Unterschied, den 15 Level machen können. Schließlich taucht auch Skus Kopf auf und sie krabbelt wütend aus dem Erdhaufen. Der ganze Kampfplatz ist inzwischen das reinste Schlachtfeld. Der Boden ist überall aufgebrochen, Schlamm bedeckt jeden Zentimeter und Löcher im Boden füllen sich langsam mit schmutzigen Wasserpfützen. Unsere Zuschauer sind mehrere Schritte zurückgegangen, um nicht über und über mit Schlamm bedeckt zu werden. Eine gute Idee, wie mir jetzt auffällt. Ich schaue flüchtig an mir herunter. Meine Beine sind bis zu den Oberschenkeln braun gesprenkelt und auch meine Hoodie hat den ein oder anderen dicken Fleck abbekommen. Verdammt. „Sku, Schlitzer“, sage ich genervt und schaue Ruth in die Augen, um den Moment ihrer Niederlage gebührend zu genießen. Gina versucht, ihren Klauen zu entkommen, aber Sku ist schneller und trifft Ganovil mit einer weiteren, kraftvollen Attacke. Dieses Mal ist es aus. Gina winselt, dann sackt sie zu Boden und ihre gelbbraunen Augen blinken ein letztes Mal in Skus Richtung, bevor sie sich schließen. Ruths Mund ist zu einem dünnen, weißen Strich mutiert und ich genieße den Moment zutiefst. Speziell deshalb, weil Ruth so sicher war, zu gewinnen. So sicher, dass sie all ihre Freunde und Speichellecker eingeladen hat um ihren Sieg mitanzusehen. Jetzt ist sie zum Gespött geworden. Das Geraune um uns herum wird immer lauter. Alle warten darauf, dass Ruth ihr nächstes Pokémon ruft, dass sie mich besiegt. Ich sehe ihr an, dass sie kein Ass mehr im Ärmel hat. Ganovil war ihre letzte Chance und es war nicht mal eine schlechte. Sku schaut mich vorwurfsvoll an, genervt, dass ich sie in diesem grottigen Wetter habe kämpfen lassen. Ich kann mir den Zeitpunkt doch auch nicht immer aussuchen. Eine halbherzige Entschuldigung murmelnd rufe ich Sku zurück. Ruth tut es mir gleich, dann stapft sie los und durch den Schlamm an mir vorbei. Das Geraune wird lauter, als klar wird, dass Ruth tatsächlich gegen mich verloren hat. Hier und da mischt sich ein Kichern mit in das Getuschel und Ruth zuckt zusammen. Als sie an mir vorbei geht, wirft sie mir das Geld vor die Füße. Nach einigen Sekunden läuft Markus ihr hinterher, genauso wie Nick. Er wirft mir ein dankbares, verlegenes Nicken zu, dann ist auch er verschwunden und ich bin allein mit den zehn Trainern, die mir immer noch den Weg zu Louis versperren. Ich beschließe, es auf die altmodische Art zu versuchen. „Entschuldigung?“, sage ich breit grinsend und mache ein paar Schritte nach vorne. „Ich müsste hier jetzt durch.“ Der Junge, der mir am nächsten steht, hat pechschwarzes langes Haar und trägt wie Ruth nur Markenklamotten, wenn auch in weniger auffälligen Farben. Er muss schon an die fünfzehn sein, denn der Schatten eines Bartes akzentuiert seinen Kiefer und als er mir antwortet, ist seine Stimme tief und rau. „Guter Kampf“, sagt er ausdruckslos. „Aber du weißt schon, dass Ruth sich rächen wird, oder?“ „Ja, weiß ich“, erwidere ich und schaue an ihm vorbei auf den Weg, der zu Louis führt. Hoffentlich geht es ihm gut. Der Junge schaut mich einen Moment länger an, dann grinst er mich wölfisch an und geht zur Seite. „Nein, ich glaube, du hast keine Ahnung.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)