Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 11: Pandoras Scheu (Ich werde lachen) --------------------------------------------- Ich verfolge das Habitak für fast zehn Minuten. Ab und zu bleibt es stehen und dreht sich wild hüpfend zu mir um, dann, wenn ich gerade in Reichweite komme, flattert es wild fiepend davon und schlägt ein paar Haken, bis es mich abgehängt hat. Als ich mich schließlich völlig erledigt auf meine Knie stütze und leise vor mich hin fluche, setzt sich etwas auf meinen Rücken. „Was zum-“, flüstere ich genervt und richte mich auf. Ein Fiepen, dann ein Kratzen auf meinem Rücken und ein Picken auf meinen Kopf. „Au!“, rufe ich und schlage nach dem Habitak, das sich auf meiner Schulter niedergelassen hat. Es weicht geschickt aus und ich treffe ins Leere. „Wenn ich dich in die Finger kriege…“, drohe ich und schlage wild um mich. Als ich schwer atmend aufhöre, kann ich das Habitak ein paar Meter vor mir sitzen sehen, den Kopf belustigt schief gelegt. Ich lasse die Arme sinken und wir starren uns an. „Okay“, sage ich niedergeschlagen. „Okay. Du hast gewonnen. Behalt es.“ Dann drehe ich mich um und schlurfe zurück zur Fontäne. Ich bin keine zwei Meter gegangen, da höre ich ein lautes Flattern und das Habitak sitzt schon wieder auf meiner Schulter. Ich schlage halbherzig nach ihm, aber treffe nicht. „Mach doch was du willst“, fluche ich und setze mich wieder auf den Brunnenrand. Sku hat sich keinen Millimeter gerührt. Habitak pickt gegen meinen Kopf. „Was willst du, Idiotenvogel?“, frage ich laut und der Wärter mit dem Klemmbrett wirft mir einen komischen Blick zu. „Und wo ist mein Handy?“ Das Habitak beugt sich nach vorne und schaut mich von der Seite her an. Dann kreischt es freudig, hopst von meiner Schulter runter und rennt davon. Erleichtert schwinge ich meine Beine über den Fontänenrand und lasse meine Füße ins kalte Wasser gleiten. Ich seufze und suche nach Caros blauroten Signalfarben, die sie im Gras leicht ausfindig machen lassen. Ich entdecke sie weit hinten, ganz abseits von den anderen Teilnehmern. Sie scheint gegen ein Pokémon zu kämpfen, aber ich kann nur zwei Spitzen aus dem Gras hervorlugen sehen. Hinter mir höre ich tippelnde Schritte und ich drehe mich entnervt um. Es ist das Habitak. Und es hat mein Handy im Schnabel. Ich schaue es misstrauisch an, aber es legt nur den Kopf schief, dann hüpft es ein paar Mal in meine Richtung und lässt das Handy vor mir zu Boden fallen. Ich ziehe die Augenbrauen hoch, dann beuge ich mich ganz langsam nach unten, während ich ununterbrochen das Habitak beobachte. Im letzten Moment packe ich das Handy blitzschnell und lasse es sofort in meiner Gürteltasche verschwinden. Habitak krächzt mich gut gelaunt an, dann flattert es hoch und landet auf meiner Schulter. „Ehm. Danke, schätze ich“, sage ich und streichle ihm über den Schnabel, was dem Vogelpokémon und glückseliges Gurren entlockt. „Auch wenn du es mir überhaupt erst geklaut hast.“ Habitak keckert und reibt seinen kleinen Kopf an meine Wange. „War dir langweilig?“, frage ich und es reibt sich noch enger an mich. Sku macht ein Geräusch, das wie eine Mischung aus Schnauben und Kichern klingt und ich ziehe ihr liebevoll am Ohr, woraufhin sie mich kritisch mit einem Auge mustert. Ein paar Minuten später pfeift der Wärter in die Pfeife, die um seinen Hals hängt und die Kampfgeräusche verklingen. Caro ist die letzte, die sich neben dem Wärter einfindet und ihm einen der Parkbälle und die Tüte zurückgibt. „Und, warst du erfolgreich?“, frage ich, als sie und Scherox sich neben uns auf dem Fontänenrand niederlassen. Die Kinder beginnen unterdessen eine angeheizte Spekulationsrunde und tauschen ihre Fänge miteinander aus. Ihre Stimmen schwappen zu uns hinüber, aber ich blende die Worte aus. Caro antwortet nicht, sie zieht eine Zigarette aus ihrer Tasche und nimmt erst mal einen tiefen Zug, dann entdeckt sie Habitak, das immer noch auf meiner Schulter sitzt. „Freund von dir?“, fragt sie und pustet dem Vogelpokémon einen Rauchring ins Gesicht. Es hustet und sträubt das Gefieder, woraufhin Scherox laut knurrt. Habitak entdeckt das rote Käferpokémon, kreischt und flattert davon. „Nicht wirklich“, sage ich und kraule Skus Kopf. „Er hat mein Handy geklaut und sich danach auf mich drauf gesetzt.“ „Hast du dein Handy wieder?“, fragt Caro und ich zeige es ihr als Antwort. Sie nickt und wir schauen den Kindern zu, die sich gegenseitig anschreien und freundschaftlich schubsen. „Ich war erfolgreich“, antwortet Caro schließlich und Scherox schnaubt und schaut zur Seite. „Sei nicht eifersüchtig“, beruhigt Caro ihn und krault seinen Hals. „Du wirst immer der einzige in meinem Leben sein.“ Scherox knurrt leise, aber es klingt nicht unversöhnlich. „An alle Teilnehmer des Käferturniers!“, erschallt es plötzlich aus einem Lautsprecher an dem Nationalparkeingang weiter südlich. „Bitte findet euch am Schalter ein, an dem ihr euch angemeldet habt. Ich wiederhole. Alle Teilnehmer des Käferturniers, bitte-“ „Dann mal los“, sagt Caro über die Stimme des Wärters hinweg und wir stehen auf. Sku schaut mich entsetzt an, als könne sie nicht fassen, dass ich von ihr verlange, aufzustehen. „Na komm“, sage ich und klatsche in die Hände. „Fette Pokémon brauchen Bewegung.“ Skus Schwanz peitscht langsam von einer Seite zur anderen, dann erhebt sie sich mühsam, springt von der Fontäne und landet auf allen Vieren. Ihr Bauch streift fast den Boden. Dann setzt sie sich in Bewegung und trottet unmotiviert hinter uns her. Ich schnappe mir meine Inliner, binde die Schnürsenkel zusammen und hänge sie mir um den Hals. Gemeinsam folgen wir den Kindern In Richtung Warthaus. Es ist größer als die üblichen und hat drei statt zwei Türen. Der Wärter steht bereits mit seinem Klemmbrett vor dem kleinen Siegertreppchen, das man in unserer Abwesenheit aufgebaut hat. Er überreicht jedem der Teilnehmer einen Turnierball, dann räuspert er sich und schaut uns an. „Den dritten Preis des heutigen Käferturniers belegt… Joshua mit einem männlichen Kokuna und 285 Punkten! Gratulation, Joshua! Dein Preis ist diese wunderschöne Tsitrubeere.“ „Wuhu!“, ruft Joshua, der Junge, der seinem Freund zuvor das Käfernetz über den Kopf gestülpt hat. Er springt auf das Treppchen, nimmt die Beere und den Turnierball entgegen und küsst beides. „Den zweiten Platz mit 302 Punkten hat erreicht… Max mit einem weiblichen Bluzuk! Gute Arbeit, Max!“ Max, der einzige Junge, der sich während der Plänkeleien seiner Freunde zurück gehalten hat grinst schüchtern und stellt sich auf den zweiten Platz. Der Wärter überreicht ihm den Turnierball und einen blassblauen, geschmeidigen Stein. „Dein Preis ist dieser Ewigstein, Max. Viel Spaß damit.“ Der Junge verbeugt sich und als seine Freunde jubeln wird er rot und schaut zu Boden. „Und schließlich, mit einer unglaublichen Punktzahl von 337 Punkten und damit Gewinner dieses Turniers ist… Caroline mit ihrem Pinsirweibchen!“ „Wuh!“, rufe ich und klopfe Caro auf die Schulter. Sie schmunzelt mich flüchtig an, dann drückt sie ihre Zigarette auf dem Mülleimer hinter uns aus, wirft sie hinein und geht zu dem Treppchen. „Bitteschön, Caroline, dein Preis. Ein Wasserstein! Nutze dieses außergewöhnliche Item weise, es wird nur noch an wenigen Orten verkauft.“ Er überreicht ihr den Stein und ihren Turnierball. Caro nickt ihm dankbar zu, dann schaut sie nach vorne in Richtung des Kameramanns, der jetzt ein Foto von den Siegern macht. Der Blitz brennt immer noch auf meiner Netzhaut, als sie schon wieder bei mir ist und gemeinsam verlassen wir das Häuschen. Als wir dem verschlungenen Weg nach Dukatia City zurück folgen, gibt sie mir den Stein. „Behalt ihn. Ich kann damit nichts anfangen.“ „Ich auch nicht!“, sage ich lachend, drehe den Stein aber bewundernd in meinen Finger. Er ist faustgroß, aber die Kanten werden zum Rand hin flacher, als hätte man scharfe Bruchstellen abgeschliffen. Er ist durchsichtig, wie milchiges Glas, und das türkisblau wird von schillernden dunkelblauen Wellen durchbrochen, die dem Stein ein Aussehen wie eine überdimensionale Murmel geben. „Kann ich den echt behalten?“, frage ich Caro und sie schaut mich genervt an. „Hab ich doch gesagt, oder nicht?“ Wir laufen an mehreren Trainern vorbei, einige von ihnen in Pokémonkämpfe verwickelt, andere sitzen gelangweilt auf dem Boden und picknicken oder dösen einfach in der Sonne. Plötzlich versteift sich Caro und  ich schaue besorgt zu ihr. „Was ist?“, flüstere ich. „Siehst du den Mann da hinten?“, fragt sie, ohne in seine Richtung zu schauen und ich bewege meine Augen über den sich vor uns erstreckenden Weg. Ein kahlköpfiger Biker steht am Zaun und schraubt an seinem Motorrad rum, aber sein Blick hebt sich ungewöhnlich oft von seiner Arbeit und schaut ungewöhnlich oft in unsere Richtung. „Ja“, sage ich leise. „Was hast du morgen vor?“, fragt Caro, als wir in Hörweite des Mannes kommen. „Ich wollte Karin besuchen“, sage ich und schaue bewusst nicht zu dem Biker. „Vielleicht trainiere ich ein bisschen mit Sku, wer weiß.“ Sku wirft mir einen ungläubigen Blick zu. Sie weiß genauso gut wie ich, dass ich sie tagsüber nicht zu anständigem Training überreden kann. „Klingt gut“, erwidert Caro. „Würdest du noch ein paar Blumen für mich ausliefern? Ich muss wahrscheinlich den ganzen Tag Blumenstraußaufträge aufarbeiten.“ „Ja, kein Ding. Mache ich gerne." Wir sind fast außer Hörweite. Das zweite Warthaus, das uns von Dukatia City trennt, ist direkt vor uns. Ich höre etwas und schaue hoch, aber da ist nichts. Als wir das letzte Häuschen hinter uns gelassen und Dukatia Citys Hauptstraße erreicht haben, atme ich erleichtert aus. „War das…“ „Ja. Einer von Robins Männern“, erwidert Caro und Scherox knurrt. Sein Blick huscht hin und her, als erwarte er jeden Moment einen Überraschungsangriff. Ich drehe mich ebenfalls um. Schlitzers Paranoia ist ansteckend und ich fühle mich tatsächlich beobachtet. Aber der Biker ist nirgends zu sehen. „Er beobachtet uns sicher schon, seit wir aus dem Kaufhaus gekommen sind“, fährt sie fort und ich wende mich wieder nach vorne. Das Gefühl verfolgt zu werden wird immer stärker. „Ich kann den Laden in den nächsten Tagen nicht verlassen, Abby. Also werde ich dich wohl oder übel für Pinsirs Training engagieren. Fang schon heute an.“ „Klar“, sage ich. „Ich muss bloß vorher ein bisschen Recherche betreiben.“ „Ich verlass mich auf dich. Bis zum Wochenende musst du Pinsir mindestens auf Level 38 bringen.“ „Krieg ich hin.“ Wir erreichen den Blumenladen, aber bevor wir eintreten, bleibt Caro stehen und hält mich fest. „Abby. Vielen Dank für deine Hilfe“, sagt sie und lächelt mich aufrichtig an. „Ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben.“ „Ich auch“, sage ich und strahle sie an. „Wollen wir?“ „Geh ruhig schon vor.“ Sie zieht eine Zigarette aus ihrer Hosentasche und steckt sie mit ihrem Feuerzeug an. Die Gravur ist so schwer zu erkennen… Ein Wort? Ich gehe hinein und finde Linda, die an den grünen Flyertisch gelehnt in einem kleinen Taschenroman blättert. „Was liest du da?“, frage ich und sie schaut überrascht auf. Dann lacht sie und zeigt mir das Cover. „Gezeiten der Liebe?“, frage ich. „Ist das nicht diese Liebesgeschichte, die sich seit hundert Bänden hinzieht?“ „Zweiunddreißig“, korrigiert Linda mich strahlend. „Das ist der neueste Teil.“ „Sind die nicht ziemlich… kitschig?“, frage ich vorsichtig. Ich lese generell nicht viel, aber wenn ich lesen würde, dann nicht so was. „Der eine nennt es kitschig, ich nenne es hochromantisch“, erwidert Linda fröhlich. „Hat Caro was gefangen?“ „Ein Pinsir“, sage ich und lehne mich neben Linda an den Tisch. „Worum geht es in dem Buch eigentlich?“, frage ich dann. „Ich blicke bei so was nicht durch.“ Lindas Gesicht hellt sich auf. „Also“, fängt sie an und ich bereue augenblicklich, sie gefragt zu haben. „Es geht um eine Frau namens Lara und den Mann ihrer Träume. Alles scheint perfekt, aber dann verlässt er sie und Lara ist am Boden zerstört. Um ihn zu vergessen, trifft sie sich mit einem anderen Mann und verliebt sich in ihn. Aber dann kommt ihr ursprünglicher Liebhaber wieder zu ihr zurück. Sie kann sich nicht mehr zwischen beiden entscheiden und beschließt, keinen der Beiden zu nehmen, weil es dem anderen sonst das Herz brechen würde.“ „Aber das ist doch bescheuert“, sage ich stirnrunzelnd. „So bricht sie schließlich beiden das Herz.“ Linda ignoriert mich. „Sie zieht um und findet einen neuen Lover, die beiden sind glücklich und beschließen, zusammen zu ziehen, aber dann taucht seine Ex auf und er ist plötzlich unsicher. Lara ist enttäuscht und wütend und verlässt ihn, kommt aber wieder, weil sie das Leben ohne ihn nicht erträgt, allerdings ist er inzwischen wieder mit seiner Ex zusammen.“ Ich schaue Linda lange an. „Und das ist noch nicht das Ende der Geschichte“, fährt Linda gut gelaunt fort. „Da kommt noch mehr?“, frage ich ungläubig. „Natürlich. Das war gerade mal die Story bis Band 2.“ Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, schließe ihn aber wieder. Das ist mir zu viel. In dem Moment kommt Caro rein. Sie hält den Turnierball vor sich und aus dem roten Licht materialisiert sich ihr Pinsir. Es ist es ein bisschen kleiner als ich, aber das ist schon alles. Zwei gezackte Hörner wachsen aus seinem ovalen Kopf, der gleichzeitig als Körper fungiert und ragen über dreißig Zentimeter in die Höhe. Drei scharfe Klauen zieren jede der vier Gliedmaßen und die langen, schmalen Arme hängen bis zum Boden. Am grausamsten sieht allerdings der Mund aus, der sich vertikal öffnet und rippenartige Zähne freigibt, die nervös gegeneinander reiben. „Und das Ding ist weiblich?“, frage ich nochmal zur Sicherheit. Caro wirft mir einen bösen Blick zu. „Pinsir ist ein Pokémon, genau wie Sku oder Schlitzer. Beurteile sie nicht nach ihrem Äußeren. Sie wird uns noch früh genug den Arsch retten.“ Ich schaue betreten zu Boden. „Tut mir Leid, Pinsir“, sage ich und das Käferpokémon klappert mit den Kiefern. Hübsch ist es trotzdem nicht. Caro nimmt die Hände des Pinsirs und sieht ihm tief in die Augen. „Hallo, Pinsir“, sagt sie und Pinsir gibt ein gurgelndes Geräusch von sich. „Ich bin Caro. Es freut mich, dich in unsere Familie aufzunehmen. Das ist Schlitzer. Er ist mein erstes Pokémon. Ihr werdet bald zusammen kämpfen müssen, aber keine Sorge, bis dahin bist du viel stärker als jetzt.“ Pinsir blinzelt. „Das sind Linda und Abby. Sie arbeiten hier und das Skuntank ist Abbys Pokémon. Also, Pinsir, möchtest du einen Namen? So wie Schlitzer hier?“ Pinsir kneift seine Hörner zusammen und nickt leicht. „Wie wäre es mit…“ Caro sieht das Pokémon einen Moment lang an. Es kommt mir fast vor, als würde sie seinen Charakter analysieren. Kann sie das? „Penelope?“ Pinsir schüttelt den Kopf. „Patrizia.“ Wieder schüttelt Pinsir den Kopf und Caro nickt, als hätte sie die Reaktion erwartet. „Pandora.“ Pinsir zögert, dann nickt es nachdenklich. „Pandora also. Sehr gut.“ Caro lässt Pandoras kleine Krallenhände los. „Wir haben ein Problem, Pandora. Ich darf diesen Laden die nächsten Tage nicht verlassen, also wird Abby sich um dein Training kümmern. Du wirst ihr gehorchen, als sei sie dein Trainer. Und in ein paar Tagen gibt sie dich wieder an mich zurück. Ist das okay für dich?“ Pandora nickt und klappert mit den Zähnen. „Alles klar.“ Caros Stimme schenkt von ihrem freundlichen Singsang zurück zu ihrer leicht kratzigen, normalen Stimmlage. „Sie gehört dir, Abby.“ „Komm, Pandora“, sage ich und schaue das Pinsirweibchen an. Nachdem Caro mit ihr geredet hat, kommt sie mir plötzlich sehr schüchtern und verletzlich vor. Sie und Sku folgen mir hoch in Caros Wohnung. Ich setze mich auf das Sofa und Sku springt sofort auf meinen Schoß, was mir ein kurzes Stöhnen entlockt. Sie ist so schwer! Pandora steht ein wenig unsicher vor mir und ringt ihre kleinen Hände. Sie hat das Flair eines Schulmädchens und es ist so skurril. Ich ziehe meinen Pokédex aus meiner Tasche, schalte ihn an und zeige damit auf Pandora, die mich mit großen Augen ansieht. „Pinsir – das Kneifkäfer-Pokémon. Typ Käfer. Dieses furchteinflößende Pokémon benutzt seine Scheren um seine Gegner in die Mangel zu nehmen. Level 28. Spezialfähigkeit: Scherenmacht.“ Furchteinflößend. Ich schaue Pandora an. Sie sieht ängstlich aus, aber nicht furchteinflößend. Ich streiche ihr über den Chitinpanzer und tätschele ihren Kopf. Sie klappert leise mit ihren Zähnen. „Scherenmacht ist gut“, sage ich zu ihr. „Damit bleibt dein Angriff immer stark und kann nicht gesenkt werden. Mal sehen…“ Ich durchsuche die Pinsirdatenbank und vertiefe mich in meiner Recherche.   Caro findet mich ein paar Stunden später. Mehrere vollgekritzelte Zettel liegen neben mir auf dem Sofa verstreut, Pandora ist zu meinen Füßen eingeschlafen, genauso wie Sku auf meinem Schoß. Ich durchsuche den Pokédex weiterhin nach allen relevanten Informationen, rechne EV und Statuswerte aus und entwickle ein Attacken-Set, das zu Pandora passt. „Willst du was essen?“, fragt Caro leise, um die Pokémon nicht zu wecken. Scherox kommt hinter ihr die Treppe hoch, dicht gefolgt von Linda. „Gerne“, erwidere ich, ohne den Blick von meinem Pokédex zu nehmen. Agnes hatte Recht. Das neue Modell ist Goldnuggets wert. Linda und Caro gehen zum Kühlschrank und beginnen, Kochwasser aufzusetzen und Tomaten und Zwiebeln zu hacken. Scherox betrachtet unterdessen sein neues Teammitglied. Ich kann seinen Ausdruck nicht deuten, aber ich nehme an, dass ein Weibchen ihm lieber ist als noch ein Männchen. Ihre unterwürfige Art sollte zudem helfen, die Wogen zwischen den beiden zu glätten. Vielleicht wachsen sie ja wirklich noch zu einem richtigen Team zusammen. Wir essen Spaghetti mit Tomaten und frischem Käse zu Abend, während Caro den Pokémon ihre übliche monströse Portion Rührei zubereitet. Als wir fertig gegessen haben, verabschiedet Linda sich, nachdem Caro vergeblich versucht hat, sie zum Bleiben zu überreden. Ich räume gemeinsam mit Caro die Küche auf, dann verabschiede ich mich ebenfalls und schlurfe müde in mein Zimmer. Sku, mittlerweile hellwach, läuft neben mir her. In meinem Zimmer angekommen ziehe ich alles bis auf meine Unterhose aus und lege mich todmüde ins Bett. Sku wird heute Nacht alleine rumturnen müssen. Meine Gedanken kreisen um Zahlen, Attacken und Werte, aber nach einiger Zeit beruhigen sie sich und ich falle in einen tiefen Schlaf.   Ein lautes Klopfen weckt mich. Ich reiße die Augen auf, aber der Raum ist weiterhin dunkel, bis auf das Mondlicht, das durch das Fenster hinter mir auf die Dielen fällt. Ich drehe den Kopf und entdecke Sku, die neben dem Schrank sitzt, ihre roten Augen leuchten in der Dunkelheit. Ein Schatten huscht über den Boden und ich setze mich augenblicklich aufrecht hin, die Decke fest gegen meine nackte Brust gepresst. In meinem Zimmer ist nichts. Der Schatten hüpft über den Boden und ich drehe mich ganz langsam um. Am Fenster steht das Habitak aus dem Nationalpark und klopft gegen das Fensterglas. „Was zum…“, flüstere ich und lasse mich entnervt wieder ins Bett fallen. Kann man nicht eine ruhige Nacht haben? Seit ich fünfzehn bin, war jede Nacht von irgendetwas unterbrochen, verkürzt oder anderweitig gestört. Ich habe es satt. Ich schließe meine Augen, fest entschlossen, das immer wieder kehrende Klopfen direkt hinter mir zu ignorieren und einzuschlafen. Ich hätte es mir sparen können. Nur wenige Minuten später ertrage ich es nicht mehr, setze mich abrupt auf und reiße das Fenster weit auf. Habitak gurrt fröhlich, dann hüpft es an mir vorbei in mein Zimmer und bleibt auf meinem Bett sitzen. „Was willst du?“, zische ich und der rotbraun gefiederte Vogel legt den Kopf schief. „Hör zu, dummer Klopfervogel“, flüstere ich energisch und warte, bis das Habitak meinen Augenkontakt erwidert. Skus rote Augen glitzern schelmisch in unsere Richtung. „Ich habe seit zwei Nächten nicht mehr ordentlich geschlafen, also entweder haust du jetzt ab oder du bleibst hier und machst keinen Mucks, verstanden? Sonst lasse ich Sku auf dich los.“ Habitak fiept feixend, dann flattert es in die Luft und lässt sich oben auf dem Schrank nieder. Ich schaue ihm nach, aber er bewegt sich nicht und macht keinen Mucks. Also schließe ich das Fenster wieder und lege mich hin. Habitak entscheidet unterdessen, dass es lange genug still war, und beginnt wild zu fiepen und auf dem Schrank hin und her zu hüpfen. „Skuuu…“, flüstere ich und sie antwortet mit einem tiefen Schurren. „Mach es tot.“ Ich höre, wie Sku sich erhebt und stelle mir vor, wie sie ihren Schweif senkrecht in die Höhe richtet, wie sie ihren giftigen Säureschleim auf Habitak spuckt – und auf den Schrank! „Warte!“, rufe ich und reiße die Decke weg, um Skus Attacke zu verhindern. Wie erwartet ist sie bereits in Position und schaut mich verwirrt an. Soll ich nun angreifen oder nicht? „Nicht“, sage ich gequält und reibe mir die Augen. „Hey, Vogelfresse!“ Habitak schaut mich neugierig an. „Sei ruhig. Bitte.“ Habitak nickt einmal und ich schaue es skeptisch an. „Ja? Ja? Okay…“ Ich behalte Habitak im Blick, während ich mich wieder ins Bett lege, bis zu dem Moment, da ich die Augen schließe. Dann geht das Gekrächze wieder los. Sku faucht und ich packe stöhnend mein Kissen und ziehe es mir über den Kopf. Es wird eine lange Nacht.   „Schlecht geschlafen?“, fragt Caro, während sie mir Toast mit Marmelade auf den Teller häuft. Dann fällt ihr Blick auf Habitak. „Könnte man so sagen“, sage ich müde und reibe mir die Augen. Ich muss wie aussehen, als hätte mich eine Herde Rihorn überrannt. Mein Haar steht in alle Richtungen ab und ich bilde mir ein, meine Augenringe fühlen zu können. Sku schlürft geräuschvoll aus einer Milchschale neben dem Sofa und Scherox stopft sich seine erste Rühreiportion des Tages in den Mund. „Ist das der von gestern?“, fragt Caro und stupst das Habitak mit ihren schwarz lackierten Zehen an. Sie trägt eine grellpinke Pyjamahose und ein schwarzes Top, das um ihre spärlichen Kurven flattert. Ich nicke und beiße in den Toast. Die Morbbeermarmelade setzt sich überall auf meiner Zunge und meinen Zähnen ab, aber immerhin ist sie süß. „Und wie ist er hier rein gekommen?“, hakt Caro nach und lässt sich zwischen mir und Schlitzer an dem Tisch nieder, wo sie ihrerseits in den Toast beißt. Innerhalb von Sekunden ist ihr gesamter Mundraum blau. „Durchs Fenster…“, jammere ich. „Ich schwöre dir, sobald ich draußen bin, werde ich ihn töten. Ich überlasse ihn nicht mal Sku, ich werde ihm eigenhändig den widerlichen, kleinen Hals umdrehen und dann werde ich ihn an seinen Füßen aufhängen und ihm alle Federn ausreißen und mir damit ein neues Kissen stopfen und ich werde lachen.“ „Woah. Chill, Abby“, lacht Caro und legt ihren Toast ab. „Willst du dich vielleicht nochmal hinlegen?“ „Keine Zeit“, erwidere ich. „Pandora und ich haben ein straffes Programm vor uns und ich muss schließlich noch Karin besuchen und deine Blumen ausliefern. Und das Federvieh töten.“ „Viel Spaß dabei“, erwidert Caro schmunzelnd und den Rest des Frühstücks verbringen wir schweigend, auch wenn Caro immer wieder halb grinsend zu mir schaut. Irgendwann zeige ich ihr den Mittelfinger und sie fängt laut und heiser an zu lachen.   Als ich den Blumenladen verlasse, trage ich meine Inliner, um schneller voran zu kommen, außerdem meine weißen Shorts und ein in Pokéballfarben gestreiftes Top. Skus Pokéball ist an meinem Gürtel befestigt und Caros Blumen sind in einem großen Korb verstaut, den ich über meinem linken Arm trage. Oh, und das Habitak sitzt auf meiner Schulter. „Ich hasse dich, du dummes Vogelpokémon. Ein Laut von dir und ich reiße dich in Stücke“, warne ich. Habitak gurrt fröhlich und ich seufzte verzweifelt, während ich mich in Richtung erster Auslieferungsort aufmache. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)