Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 8: Black Mantis (Zugang auf eigene Gefahr) -------------------------------------------------- Den restlichen Nachmittag wandere ich ziellos durch Dukatia City, lerne die Straßen auswendig und gebe meinen Itemausdruck im Kaufhaus ab. Dukatias Kaufhaus ist riesig, mindestens so groß wie das in Prismania. Es gibt fünf Stockwerke und ich nehme mir für jedes ausgiebig Zeit. Als ich den fünften Stock erreiche, kaufe ich mir ein Tafelwasser und setze mich auf eine der Bänke, während ich dem Losverfahren zuschaue. Die Teilnehmer ziehen alle einen kleinen Pokéball, in dem ein Zettel mit einer Nummer versteckt ist. Dann zieht eine junge Frau mit blonden Zöpfen aus einer großen Urne ebenfalls einen Zettel. Der erstgezogene Zettel entspricht dabei dem ersten Platz, der zweite dem zweiten und so weiter. Nur die ersten Drei bekommen jedoch einen Preis. Ich kann nicht genau erkennen welchen, also gehe ich, nachdem die Leute wieder ihren normalen Einkäufen nachgehen, zu der Frau hinüber. „Entschuldigung“, sage ich und sie schaut von der Urne auf, die sie gerade wegpacken wollte. „Wie kann ich dir helfen?“, fragt sie und lächelt mich an. Sie hat ein sehr gleichmäßiges Gesicht und schöne Hände. „Ich wollte fragen, was man hier gewinnen kann.“ „Oh, das kommt auf den Wochentag an.“ Sie zwinkert mir zu und räumt die Urne weg. „Der Erstplatzierte bekommt eine TM, der Zweitplatzierte einen besonderen Ball und der Drittplatzierte eine Beere der Saison.“ „Kostet die Teilnahme etwas?“, frage ich misstrauisch und sie lacht. „Ja, aber es sind gut angelegte 300 PD, findest du nicht auch? Eine TM kann oft das Zehnfache kosten.“ „Vielleicht komme ich demnächst mal wieder vorbei“, verabschiede ich mich, dann nehme ich den Aufzug. Ich will schon auf EG drücken, da fällt mein Blick auf die Taste darunter: UG. Untergeschoss? Neugierig geworden drücke ich auf den Knopf und zu meiner großen Überraschung funktioniert es, der Aufzug setzt sich ruckartig in Bewegung und wir fahren nach unten. Als sich die Türen öffnen, bin ich in der Tat nicht im Erdgeschoss. Das Untergeschoss ist gefüllt mit Kisten, die sich bis an die Decke stapeln. Maschock transportieren sie von einem Ort zum nächsten und als sie mich sehen, winken sie mir. Ein wenig verunsichert verlasse ich den Aufzug und laufe ein wenig im Untergeschoss hin und her. Insgesamt sind es drei abzweigende Räume, die alle nur betreten werden können, wenn man über die meterhohen Kistenstapel klettert. Auf der linken Seite kann ich aber an den Kisten vorbei gucken. Der Raum dahinter scheint mit einem zweiten verbunden zu sein. Und in dem führt eine Treppe weiter nach unten. Nun doch neugierig geworden setze ich einen Fuß auf die Kiste direkt vor mir, aber eine kräftige Hand packt meinen Oberarm und zieht mich sanft aber bestimmt zurück. Als ich mich umdrehe, schaut mich das Maschock mit roten Augen an und schüttelt den blaugrauen Kopf. Ich nehme den Fuß von den Kisten runter und entschuldige mich, dann fahre ich mit dem Aufzug ins Erdgeschoss und verlasse das Kaufhaus. Hungrig geworden mache ich einen Zwischenstopp in einem kleinen Imbiss, der frittierte Süßkartoffeln mit frischem Miltankquark verkauft und kaufe drei Portionen. Dann suche ich mir einen ruhigen Platz außerhalb der Stadt. Ich komme an einigen Trainern vorbei, die im hohen Gras ihre Pokémon trainieren und sogar einem Polizisten, der gähnend an einen Baum gelehnt steht. Sein Fukano sitzt hechelnd neben ihm und beobachtet die Umgebung. Ich folge dem Weg noch ein Stück, bis ich die Pension erreiche, die Caro erwähnt hat und weil gleich gegenüber das Meer liegt, setze ich mich dort auf den Boden, lasse Sku raus und schiebe ihr zwei Portionen von den Süßkartoffeln hin. Sie schnurrt mich liebevoll an, dann macht sie sich darüber her. Das Frühstück ist immerhin schon fünf Stunden her und Sku kann im Grunde immer essen, wenn sie etwas Essbares sieht. Manchmal glaube ich, sie hat mehrere Mägen. Als wir fertig gegessen haben,  rollt Sku sich auf dem Boden zusammen und ich lehne mich an ihren weichen Körper. Dann dösen wir langsam ein.   Ich werde von lautem Gekreische und Geschrei geweckt und schrecke hoch. Sku hat die Augen halb geöffnet und nickt mit dem Kopf in Richtung Süden. Ich folge ihrer Geste und entdecke zwei Jungs, die sich wütend anschreien, während ihre Pokémon fauchend und spuckend voreinander stehen. „Das war mein Abra, du Idiot!“, schreit der kleinere. „Ich hab es zuerst gesehen!“ „Du hast es vielleicht zuerst gesehen, aber ich habe es zuerst gefangen. Such dir ein anderes“, erwidert der größere schnippisch. Er trägt eine Cappi und ein gelbes T-Shirt, auf dem der Schnabel eines Entons und seine Augen zu erkennen sind, der Rest ist in Entons Federfarbe gehalten. Der Kleine trägt so etwas wie Pfadfinderklamotten, alles in grün und braun. „Nur weil du näher dran gestanden hast“, keift er und zeigt dem Teenager seinen Mittelfinger. „Ich lass mir doch von so einem Pimpf wie dir nicht mein rechtmäßig gefangenes Pokémon abschwatzen. Geh doch zu Mami heulen.“ Genervt stehe ich auf und gebe Sku ein Zeichen, die ihr Fell sträubt und mir folgt. „Könnt ihr das vielleicht wie Pokémontrainer klären?“, frage ich, als ich näher komme. Die Beiden schauen sich überrascht um, aber als sie mich sehen, entspannen sich ihre Gesichtszüge. „Ist nur ein Mädchen“, sagt der Große. Der Pfadfinderjunge grinst. Auch die anderen Trainer, die hier mit ihren Pokémon entlang kommen, schauen sich jetzt um, allen voran ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter zu sein scheint. Sie trägt einen dunkelblauen Faltenrock, eine weiße Bluse und blaue Wanderschuhe. Ihr blondes Haar trägt sie in einem langen Flechtzopf und sie beobachtet uns genau. Ich stelle mich vor den Jungen auf und schaue sie herausfordernd an. „Hier gibt es Leute, die einen ruhigen Tag am Meer verbringen wollen“, fahre ich ungerührt fort. „Und die haben keine Lust, sich das Geheule von zwei Kindergartenkindern anzuhören.“ „Was hast du gesagt?“, fragt der mit der Cappi und baut sich bedrohlich vor mir auf. Seine Nase ist ein wenig schief und kurzes schwarzes Haar schaut unter seiner Mütze hervor. „Und taub sind sie auch noch. Kein Wunder, dass ihr so schreien musstet“, füge ich lächelnd hinzu. Der Junge hebt seine Hand und für einen Moment bin ich davon überzeugt, dass er mich schlagen wird, aber er zieht nur den Schirm seiner Mütze nach hinten und greift nach einem Pokéball in seiner Tasche. „Warum zeigst du uns dann nicht, wie ein Pokémontrainer kämpft, hm?“, fragt er und winkt den Camper, mit dem er sich gerade noch gestritten hat, zu sich. Ich bin nicht sicher, wie stark die beiden Jungen sind oder wie viele Pokémon sie haben, aber Sku muss wohl alleine herhalten. Ohne auf mein Kommando zu warten, schleicht sie an mir vorbei und nimmt vor mir Stellung. „Zwei Jungen gegen ein Mädchen?“, fragt plötzlich eine Stimme und ich drehe mich um. Neben mir steht das Schuluniformmädchen. Erst als sie näher kommt, erkenne ich das Emblem. Sie ist von der KPA. „Erlaubst du mir, dich zu unterstützen?“, fragt sie lächelnd und ich grinse sie dankbar an. „Überlass mir die Unterstützung, ich bin sicher, du bist besser für die Offensive geeignet.“ Ihre Augen glitzern und sie zieht einen Pokéball aus ihrer Tasche. „Los, Tyracroc!“, ruft der Cappijunge und schleudert uns seinen Pokéball entgegen. Das erscheinende Pokémon schaut uns gelangweilt an. „Du auch, Bibor!“, ruft der andere. Ich schaue zu dem Mädchen hinüber. Sie schwingt ihren Kopf, sodass ihr Zopf um ihren Kopf peitscht, dann hält sie ihren Pokéball vor sich. „Sunny, zeig ihnen, wie ein wahres Pokémon kämpft.“ Ein Schwalboss taucht vor ihr in der Luft auf, um seinen Hals ist ein dunkelblaues Halsband gebunden, an dessen Ende ein rot orange glühender Ball von der Größe einer Walnuss hängt. Dann geht Sunnys Gefieder in Flammen auf und ihre Augen flackern rot. „Bibor, Nadelrakete auf Skuntank!“ „Sunny, Doppelteam.“ „Knirscher auf Schwalboss, Tyracroc! „Kreideschrei, Sku.“ Schwalboss´ Initiative ist nicht von dieser Welt. Ihr brennender Körper schießt in die Luft und Scheinbilder huschen überall über unseren Köpfen vorbei. Gleichzeitig kreischt Sku und der Hauptimpakt des Schalls trifft Tyracroc, das Sku am nächsten ist. Bibor Nadelrakete trifft Skuntank, aber sie schüttelt die Nadeln ohne großen Schaden ab. Tyracrocs Attacke ist die langsamste und er kommt nicht mal in die Nähe von Schwalboss. Stattdessen zerreißen seine Kiefer eines der Scheinbilder. „Aero-Ass!“, ruft die Akademieabsolventin und ihr Schwalboss rauscht mit abnormaler Geschwindigkeit über uns vorbei und auf Bibor zu. Der Aufprall ist so heftig, dass Bibor ein lautes, kratziges Insektenkreischen von sich gibt und mehrere Meter nach hinten geschleudert wird, wo es noch einmal dieselbe Strecke durch das hohe Gras schlittert. Es bleibt ungefähr zehn Meter von uns liegen und meine Augen weiten sich. Die des Campers im Übrigen auch. Ohne abzuwarten rennt er zu seinem Pokémon. „Sku, erledige es mit Schlitzer!“, rufe ich in die fassungslose Stille hinein und bevor Tyracroc sich in Sicherheit bringen kann, treffen Skus messerscharfe Krallen auf sein Fleisch. Tyracroc jault und packt sich an die Wunde, während Sku zurück hechtet und ihren Schweif senkrecht aufstellt, ihr Fell zu doppelter Größe aufgebaut. „Tyracroc, nein!“, schreit sein Trainer vergeblich. „Benutzt… benutz irgendwas!“ Tyracroc macht einen wackligen Schritt nach vorne, seine Fangzähne beginnen eisblau zu leuchten, dann stöhnt es auf und fällt vornüber zu Boden. Schwalboss landet neben ihrer Trainerin, die sie in ihren Pokéball zurückruft, bevor sie einen Feuerheiler auf den Pokéball anwendet. „Du solltest in den entscheidenden Momenten nicht die Fassung verlieren“, empfiehlt sie ungerührt, während der Teenager sein Pokémon zurückruft. „Es ist auf deine Leitung angewiesen. Pokémon vertrauen auf ihren Trainer und seine Entscheidungen. Nicht sie entscheiden, welche Strategie die Beste ist, wir entscheiden es. Und wenn die Strategie ihnen Schmerzen bereitet, dann erdulden sie das, denn sie vertrauen uns.“ Sie verstaut Schwalboss´ Pokéball in ihrer Gürteltasche. „Du darfst sie niemals im wichtigsten Moment, nämlich wenn alles gegen sie steht, im Stich lassen.“ Der Junge kniet besiegt auf dem Boden, sein Kopf gesenkt. Jetzt tut er mir fast ein bisschen Leid. Das Mädchen streckt ihre Hand aus und ich drücke sie dankbar. „Ich bin Abby“, stelle ich mich vor. „Danke für deine Hilfe.“ „Nichts zu danken. Du hast nur ausgesprochen, was uns allen durch den Kopf gegangen ist“, erwidert sie lächelnd. „Nicht zu helfen wäre falsch und unverantwortlich gewesen. Ich bin Miranda.“ „Du bist von der KPA, oder?“, frage ich und deute auf ihre Bluse. Ihr Lächeln verwandelt sich in ein Strahlen. „Hier in Johto kennen nicht viele die Akademie.“ „Meine Tante ist dort Lehrerin“, sage ich, während wir uns in Bewegung setzen und langsam Richtung Dukatia zurückgehen. „Vielleicht kennst du sie. Agnes Hampton? Sie unterrichtet-“ „Teambuilding und Trainingsmethoden. Ich kenne sie.“ Miranda schaut mich begeistert an. „Sie ist eine wundervolle Lehrerin. Manchmal ein wenig exzentrisch, wenn es um eines ihrer Lieblingsthemen geht, aber sie ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Sie war diejenige, die mir diese Strategie für mein Schwalboss vorgeschlagen hat.“ „Zum Thema Strategie, was hatte es mit dem Feuer auf sich?“, frage ich. Ich bin immer neugierig, wenn es um Kampfstrategien geht. Ich habe viele Vorlesungen meiner Tante besucht, aber hin und wieder dort aufzutauchen ersetzt kein jahrelanges Lernen mit Klausuren und dergleichen. „Schwalboss hat eine Spezialfähigkeit. Adrenalin.“ erklärt Miranda. „Wenn sie unter einem primären Statusproblem leidet, dann steigert sich ihr Angriff um 50%. Verbrennung schädigt das Pokémon weniger als zum Beispiel eine Vergiftung und der eigentliche Angriffsverlust wird ebenfalls ignoriert. Also gebe ich Schwalboss einen Heißorb, der sie zu Beginn jedes Kampfes in Brand setzt. Dazu kommt, dass Aero-Ass immer trifft und Schwalboss einen natürlich hohen Initiativewert hat.“ „Genial“, erwidere ich verblüfft. Sku nickt stumm. „Nun, es war nett, mit dir geredet zu haben, aber ich muss jetzt weiter trainieren“, verabschiedet sich Miranda. „Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“ „Ehrlich gesagt… warum tauschen wir nicht Handynummern aus?“ Sie schaut mich zuerst verwundert an, dann lächelt sie. „Stimmt, warum nicht. Hier.“ Sie zieht eine kleine Karte aus ihrer Tasche, auf der ihr Name und ihre Handynummer stehen. „Ruf mich an, wenn dir danach ist.“ Sie winkt, dann kehrt sie ins hohe Gras zurück. Ich werfe einen Blick auf mein Handy und erstarre, als ich die Zeit sehe. Es ist 17:30 Uhr und ich bin am anderen Ende der Stadt. Ich rufe Sku zurück, um ihr den Lauf und mir ihr Gejammer zu ersparen, dann jogge ich los. Ich erreiche den Wahrsager um kurz nach sechs. Caro steht bereits dort, ihr Scherox drohend hinter ihr aufgebaut. Sie hat sich umgezogen. Statt des Minirocks trägt sie nun eine schwarze Lederhose, die ihren schmalen Beine betont, darunter die roten Highheels von heute Morgen. Schwarze Handschuhe, deren Knöchel mit Nieten besetzt sind, zieren ihre Hände ein schwarzes Korsett formt ihren Brustkorb zu einer dramatischen Bibortaille, während ein rotes Rüschenhemd lose oben und unten herausschaut. Über ihrem Arm hängt eine schwarze Jacke mit Kapuze und Fellfütterung. Sie winkt mir zu und als ich näher komme, sehe ich den schwarzen Lippenstift. Sie könnte als Gothikmodel durchgehen. Als ich schwer atmend bei ihr ankomme, schaut sie mich kurz an, dann dreht sie sich um und verschwindet in dem lila und gelb gefärbten Zelt des Wahrsagers. Scherox und ich folgen ihr. Das Innere des Zeltes ist mit violetten Vorhängen verhangen und auf dem Boden ist in beiger Farbe ein großer Pokéball umrahmt von Symbolen aufgemalt. Zwei leuchtende Glaskugeln säumen den Eingang und an einem Schreibtisch am Ende des Raumes sitzt ein alter Mann. Auf dem Schild hinter ihm stehen die Worte: Der Name ist der Schlüssel zur Seele. Caro geht unbeeindruckt zu ihm hinüber und beugt sich skandalös weit vor ihm nach vorne, während sie ihre Ellenbogen auf der Tischplatte abstützt. Scherox stellt sich auf ihrer rechten Seite auf, ich halte mich links von ihr, mit etwas mehr Abstand. „Was hast du heute für mich, alter Mann?“, fragt Caro und ihre Stimme ist plötzlich viel härter als noch heute Morgen. Kälter. Berechnender. „Black Mantis“, krächzt der Alte und lächelt ein zahnloses Lächeln. „Ihr wart die letzten Tage fort. Gab es Probleme?“ Scherox knurrt tief in seinem Chitinpanzer und der Mann leckt sich nervös über die Lippen. „Es gibt tatsächlich Neuigkeiten für euch, Black M. Greg hat folgende Informationen hinterlassen. Sie sind wieder im Untergrund unterwegs und bringen eure Ordnung durcheinander. Sie wollen sich euch nicht unterordnen. Die armen Bastarde.“ Er keckert, dann krächzt er und das Keckern wird zu einem Husten. „Sind sie heute Nacht dort?“, fragt Caro und der Mann nickt, während er sich die Kehle festhält. „Gut.“ Caro wendet sich ab und geht in Richtung Ausgang. „Abby, wir gehen.“ „Black M“, ruft der Alte ihr nach. „Es sind viele. Geht nicht alleine.“ „Ich bin nie alleine“, erwidert Caro ohne sich umzudrehen und Scherox´ Knurren erfüllt das ganze Zelt. Es läuft mir kalt den Rücken runter und ich frage mich mit einem Mal, in was für eine Geschichte ich da hinein geraten bin. Als ich mit Caro wieder draußen bin, zündet sie sich eine Zigarette an. Schwarzer Nagellack bedeckt ihre Fingernägel und silberne Ringe stapeln sich auf ihren Fingern. „Also“, sagt sie und schaut mich ernst an. „Ich habe jetzt zu tun. Wenn du mitkommen willst, halte ich dich nicht davon ab. Wenn du lieber zu Hause bleiben willst, kannst du das auch tun. Ich gebe dir den Zweitschlüssel und du legst dich ins Bett und schläfst aus.“ Ich sehe sie lange an. „Wer ist Black Mantis?“, frage ich schließlich. „Ich bin Black Mantis“, erwidert Caro ohne mit der Wimper zu zucken. Mit ihren Lederklamotten wirkt sie tatsächlich ein bisschen wie ein Insekt. „Und was hast du jetzt vor?“ „Einer Gruppe Möchtegernkriminellen zeigen, wer in dieser Stadt das Sagen hat“, erwidert sie und zieht ein letztes Mal an ihrer Zigarette, dann wirft sie den Stummel auf den Boden und zerquetscht ihn mit ihrem Absatz. „Und wer hat das Sagen?“, hake ich nach. Sie sieht mich mitleidig an. „Na, Black Mantis, Honey.“   Der Eingang zum Untergrund ist ein kleines heruntergekommenes Gebäude gleich neben dem Wahrsager. An der Tür hängt das Schild Achtung, Zugang auf eigene Gefahr. Darunter ist ein Totenkopf aufgemalt. Caro zieht die Tür ohne zu Zögern auf und wir steigen die Treppe hinunter, die gleich hinter dem Eingang auf uns wartet. Je tiefer wir gehen, desto heller wird es, bis wir schließlich in einer langen, durch flackerndes Licht erhellten Passage landen. Die Lampen an der Decke füllen den Gang mit kühlem Licht und lose Elektrokabel hängen überall von den gefliesten Wänden. Links und rechts stehen vertrocknete Pflanzen und Tische, an denen schummrige Gestalten sitzen und Items verkaufen. Die Passage ist gefüllt mit leisem Feilschen und geschäftigem Treiben. „Bleib dicht hinter mir“, flüstert Caro, dann strafft sie die Schultern und marschiert los, dicht gefolgt von Scherox und mir. Blicke bleiben an uns hängen und folgen uns, bevor sich Erkennen in ihnen ausbreitet. Überall um uns herum nicken die Leute Caro respektvoll zu. Diejenigen, die sie auch nur entfernt schief angucken, werden sofort von Scherox mit Blicken aufgespießt. Wir erreichen die Mitte der Passage in wenigen Minuten. Caro bleibt vor einer Gruppe Männer stehen, die die kahl rasierten, tätowierten Köpfe zusammengesteckt haben. Sie wartet darauf, dass einer von ihnen sie sieht und steckt sich in der Zwischenzeit eine Zigarette an. Als nichts passiert, beginnt Scherox, tief in seiner Kehle zu knurren und endlich schauen sich zwei der vier Männer zu uns um. Die anderen beiden müssen nur den Kopf heben, um Caro und mich zu sehen. „Mantis, du hier?“, fragt der Größte mit einem gigantischen roten Bart. „Wir dachten, du wärst außer Landes.“ „Falsch gedacht“, erwidert Caro kühl und bläst ihm einen Rauchring ins Gesicht. „Ich dachte, ihr wärt nach eurer letzten Niederlage abgehauen. Ich wusste nicht, dass ihr dumm genug sein könntet, wieder zu kommen. Aber eigentlich sollte es mich nicht wundern.“ Der Mann knirscht mit den Zähnen, dann stehen er und seine Kumpanen auf. „Black Mantis“, sagt er langsam. „Bist du sicher, dass du das willst? Du bist alleine, wir sind zu viert. Du hast ein Pokémon, wir haben jeweils zwei oder drei.“ Er zuckt die Achseln. „Wäre vielleicht dumm von dir, dich trotzdem in unsere Angelegenheiten einzumischen.“ „Wenn du Schwarzhandel ohne meine Erlaubnis in meiner Stadt betreibst, dann mischst du dich in meine Angelegenheiten ein.“ Caro zieht ihre Kippe in einem Zug leer, dann spuckt sie ihm den Stummel vor die Füße. „Ich trete euch sooft in den Arsch wie nötig, merk dir das, Fucker.“ „Oho, die Königin hat gesprochen.“ Er breitet die Arme aus. „Was meint ihr, Freunde? Sollen wir gehen?“ Eine plötzlich auf tosende Buh-Welle tobt durch den Untergrund und ich kann an Caros sich plötzlich steifen Schultern erkennen, dass sie nicht mit so viel Reaktion gerechnet hat. Vielleicht hat der Wahrsager recht gehabt. Vielleicht wären wir lieber nicht allein hier her gekommen. Aber Caro kann jetzt keinen Rückzieher machen. Der Mann grinst uns an und lässt die Arme sinken. „Oder sollen wir hier bleiben und die Königin stürzen?“ Der Jubel brandet an meine Ohren, als von überall her Zustimmungsrufe laut werden. Rote Lichtblitze erfüllen die Passage mit einem beängstigenden Licht. Dann materialisieren sich die Pokémon. Caro verschwendet keine Sekunde. Sie packt mein Handgelenk und zerrt mich mit, zwischen den Menschen, die die Passage blockieren, hindurch. Ohne nachzudenken lasse ich Sku raus. „Kreideschrei, sofort!“, schreie ich und Sku nickt, dann bleibt sie stehen und stößt einen markerschütternden Schrei aus. „Schlitzer, Eisenabwehr!“, ruft Caro ihrem eigenen Pokémon zu, während sie jeden zur Seite stößt, der sich die Ohren zu haltend in unserem Weg steht. Sku schreit weiter, während sie uns folgt. Hinter uns höre ich das Klingen von Metall und ich frage mich, ob es Scherox ist, der angreift, oder ob er die Angriffe blockt. Caro rennt plötzlich nach links und ich falle fast, aber ihr Griff ist fest und sie zerrt mich mit. Skus Schrei endet abrupt und damit unser Vorteil. Hände greifen nach uns, aber Scherox schießt mit einer Agilität auf uns zu, die ihn unsichtbar wirken lässt. Keine Hand, die uns berührt, verweilt länger als eine Sekunde. Der Gang, den wir entlang laufen, ist mit einem Mal menschenleer und ich kann am hinteren linken Ende eine große Tür erkennen. „Scherox, mach die Tür auf!“, ruft Caro und Scherox fliegt geradezu an uns vorbei, jedenfalls scheint er den Boden nicht zu berühren. Bei der Tür angekommen hebt er seine Scheren und beginnt, in schneller Sukzession auf die Tür einzuschlagen. Trotzdem öffnet sie sich nicht. Scherox verdoppelt seine Anstrengungen, aber vergebens. Die Männer von eben rennen auf uns zu, aber als sie uns in die Ecke gedrängt sehen, verlangsamen sie ihr Tempo. „Sku, nochmal Kreideschrei!“, rufe ich verzweifelt und Sku kreischt, aber dieses Mal verziehen unsere Gegner nur das Gesicht. Caro flucht und geht vor der Tür in die Knie, um das Schloss zu inspizieren. „Da kommst du nicht rein, Königin“, höhnt der Rotbart und Caro steht langsam auf, dann geht sie an mir vorbei. Als sie sich vor mich stellt, zieht sie unauffällig etwas aus ihrer Hosentasche und wirft es zu mir. Scherox übernimmt die Deckung, als sie weiter nach vorne geht und verbirgt mich effektiv vor den Augen der Männer. Ich starre das Handy an, dann öffne ich das Telefonbuch. Es sind fünf Nummern eingespeichert. Abby, Bill, Eva, Linda und Zach. Ich schaue verzweifelt zu Scherox, der mit dem Rücken zu mir steht. „Wen soll ich anrufen?“, frage ich leise und Scherox dreht sich zu mir um. Er wirft einen Blick auf das Handydisplay, dann dreht er sich wieder um. Caros Stimme ertönt, kühl und beherrscht. „Robin.“ Kein Anzeichen von der Panik, die eben kurz in ihren Augen gesehen habe. Scherox klappert mit seinen Scheren. „Du willst mich also stürzen?“, fragt sie. „Ich kann mein Amt an niemanden abtreten, der mich nicht in einem fairen Duell geschlagen hat.“ Scherox klappert wieder mit den Scheren, dieses Mal langsamer, betonter. „Ich glaube, was du kannst oder willst, steht hier nicht zur Debatte, BM. Warum gibst du uns nicht einfach die Erlaubnis, unseren Handel hier zu betreiben, trittst zurück und wir vergessen die ganze Sache hier unten.“ Scherox klackert wieder. Viermal. Ich starre auf seine Scheren, dann auf das Handy. Vier. Nummer vier. Linda? „Dem Mädchen muss nichts passieren, Caroline. Wer ist sie, dein neues Nebenprojekt?“ Ich tippe so schnell ich kann eine SMS an Linda. Probleme im Untergrund, Tür im langen Gang verschlossen… „Könnte man so sagen“, erwidert Caro. „Obwohl ich Menschen ungern als Projekte bezeichne, aber das würdest du nicht verstehen, nicht wahr? Für dich sind es ja nur Kunden und potenzielle Kunden.“ …sind eingekesselt, brauchen Hilfe… „Du bist nichts von all dem, Königin“, erwidert Robin. „Du bist mehr so eine Art… Hindernis.“ Senden. Ok. SMS wurde erfolgreich versendet. „Willst du wirklich, dass deine Fans dich für einen Schwächling halten?“, fragt Caro und ich schaue endlich wieder von dem Handy auf. Sie steht einige Meter von dem Rotbart namens Robin entfernt und statt direkt hinter ihr zu stehen bleibt Scherox beschützend vor mir. Ich kann förmlich sehen, wie es ihn zerreißt. Ich tippe seine metallische Schulter an und er dreht sich mit mörderischem Blick um. „Ich bin fertig“, flüstere ich. „Geh zu ihr.“ So etwas wie Dankbarkeit huscht über seine Züge, dann ist er schon verschwunden und taucht gleich hinter Caro auf. Als sie ihn anschaut, gibt er ein kurzes bestätigendes Nicken. „Sie wissen, dass ich genauso stark bin wie du. Aber im Gegensatz zu dir, Black Mantis, bin ich nicht so wählerisch, was die Verkäufer hier unten angeht.“ Caro verschränkt die Arme vor der Brust und ich mache ein paar Schritte zur Seite, um besser sehen zu können. „Warum beenden wir es nicht in einem fairen Kampf. Du darfst dir sogar Verstärkung holen, wenn du sie brauchst, ich bin großzügig“, verkündet Caro süffisant. „Ich brauche keine Verstärkung für eine Möchtegerntrainerin wie dich.“ Er lacht. „Du kannst passable Blumensträuße basteln, aber ich glaube, du bist in letzter Zeit nicht genug herausgefordert worden. Dein Scherox ist eingerostet, sieh es ein, Black M. Deine Zeit als Untergrundkönigin ist vorbei. Diese Stadt gehört nicht mehr dir.“ „Sie gehört mir, solange niemand mich im Duell besiegt, Robin. Und wenn du mich nicht besiegst, wird sie auch dir nie gehören, denn du kannst mich vielleicht für eine Nacht aus dem Untergrund vertreiben, aber ich komme immer wieder.“ Scherox klackert bedrohlich mit seinen Scheren und ich komme nicht umhin zu bemerken, wie unheimlich cool Caro in ihrem Korsett aussieht. Wie ein schwarzes Käferpokémon. „Du willst kämpfen, BM?“, fragt Robin und sieht sie mitleidig an. „Es tut mir leid, aber du hast keine Chance. Denn dein Pokémon hat eine große Schwäche.“ Er hebt einen Pokéball. „Und die wäre?“ fragt Caro aber ich kann an ihrem bitteren Ausdruck erkennen, dass sie die Antwort längst kennt. „Feuer.“ Ein roter Lichtstrahl schießt aus dem Pokéball des Rotbarts und ein wild aussehendes Arkani materialisiert sich. Sein Fell ist zottig und ungepflegt, Narben verlaufen kreuz und quer über seiner gewaltigen Schnauze und es fährt die Krallen ein und aus, als wolle es den Boden prüfen. Dann brüllt es und die Wände beben. Scherox tritt ungerührt nach vorne, aber Caro wirkt besorgt. Nicht umsonst. Arkani ist ein unglaublich starkes Feuerpokémon und Scherox hat durch seine Typkombination eine Vierfachschwäche gegen Feuerattacken. Es sieht nicht gut für uns aus. „Schlitzer, nochmal Eisenabwehr!“, ruft Caro und Robin lacht. „Das wird dir nichts helfen! Nightmare, greif mit Feuerzahn an!“ Scherox´ Körper beginnt von innen zu leuchten, als es seinen Chitinstahlpanzer von innen verstärkt. Arkani rennt mit gewaltigen Schritten auf ihn zu, entlang seiner lodernden Fangzähne lecken Flammen seine Lefzen empor und in die Luft um sein Maul herum. Sein Biss trifft Scherox, das gerade noch rechtzeitig mit seiner Attacke fertig wird und das Feuer frisst sich in den Stahl hinein. Scherox kreischt und es hört sich an, als würde man Metall über Metall schleifen lassen. Es ist so laut, dass ich das Klopfen hinter mir beinahe überhöre. Aber nur beinahe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)