Für immer verloren? von Kyo-chi ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Dai?“ Ich versuche deine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, auch wenn ich weiß, dass du mich wohl nicht hörst, da du gerade schläfst. Du hast deinen Kopf auf meinem Schoß gebettet, deine Arme um mich geschlungen und dein Gesicht in meinem weißen Shirt vergraben, um dich etwas vor der Sonne zu schützen, die wärmend auf uns niederscheint, durch die Blätter der Palme strahlt, an der ich gelehnt sitze. Gemeinsam ruhen wir am Strand, genießen das Wetter, die sanfte Brise, die immer wieder den salzigen Duft des Wassers in unsere Nasen weht und das Rauschen des Meeres, das vor allem mich ungemein beruhigt. Es ist schon viele Jahre her, dass wir auf diese Art und Weise entspannen konnten, dass wir Urlaub machten und das ganz allein - nur wir beide. Endlich ist es uns möglich eine kleine Auszeit des stressigen Bandalltags zu nehmen, des weltweiten Tourens, das mittlerweile den größten Teil unseres Lebens einnimmt. Zwei Wochen gewährte man uns. Nicht viel in Anbetracht der Tatsache, dass wir sonst kaum einen freien Tag für uns haben, ständig im Studio stehen oder Interviews für irgendwelche Magazine geben. Aber zwei Wochen sind immerhin besser als gar keine und so nutzten wir die Chance und flogen ins Ausland, verbringen unseren Urlaub auf einer kleinen, ruhigen Insel, auf der nur wenig Tourismus herrscht. Es ist wirklich herrlich hier, auch wenn ich so meine Schwierigkeiten habe, mich zu verständigen. Im Moment plagt mich jedoch ein größeres Problem und erneut verlässt dein Name meine Lippen, dieses Mal etwas lauter und energischer, so dass ich spüre, wie du dich ein wenig auf mir regst. „Was ist…?“ Deine Stimme ist kratzig, belegt und es klingt fast so, als hättest du eine Seifenblase im Mund. Kein Wunder, hast du doch sicher schon eine ganze Stunde hier geschlafen und ich entreiße dich nun deiner schönen Traumwelt. Du machst allerdings keine Anstalten dich aufzusetzen, hast dein Gesicht noch immer an meinem Bauch vergraben und dein Atem, den ich durch den Stoff meines Shirts spüren kann, kitzelt an meiner Haut. „Das Meer sieht komisch aus“, antworte ich leise auf deine Frage und sanft streiche ich mit meinen Fingern durch dein rotes Haar, versuche mich abzulenken und spüre sofort, wie du dich gegen die Berührung drückst, eine Art Schnurren von dir gibst, da es dir so sehr gefällt. Ich weiß, dass du gerne schmust und du liebst es, wenn ich durch dein Haar streiche. Doch im Augenblick solltest du dir lieber um etwas anderes Gedanken machen. „Komisch?“ Knapp angebunden gehst du auf meine Worte ein, schmiegst deinen Hinterkopf mehr gegen meine Hand und versuchst mir so zu signalisieren, dass ich dich weiter streicheln soll. Aber ich tue es nicht. Meine Hand ruht auf deinem roten Schopf und ich betrachte weiter das Meer. „Ich weiß nicht. Irgendwie… ist es weg…?“ Unsicherheit schwingt in meiner Stimme mit und allmählich spüre ich die Furcht, die in meinen Körper steigt, sich dort ausbreitet und für ein unwohles Gefühl in meinem Magen sorgt. „Wie… es ist weg?“ Du klingst verwundert, scheinst jedoch kein Interesse daran zu hegen, dich selbst davon zu überzeugen, dass das Wasser sich immer weiter zurückzieht, langsam verschwindet und nur noch nasser, mit Muscheln und kleinen Krebsen besetzter Sand zurückbleibt. „Ja… Schau doch!“ Panik macht sich in mir breit und etwas unsanft drücke ich dich von mir, so dass du deine Arme wohl oder übel von mir lösen und dich mit ihnen auf dem Sand abstützen musst. Schau doch endlich selbst! Verschlafen siehst du mich an, schmatzt und es kommt mir so vor, als würdest du noch immer schlafen. Erst als ich auf das Meer deute, dich zusätzlich anstoße, wendest du dich von mir ab und betrachtest müde das, was sich da vor dir erstreckt. Ich blicke in die gleiche Richtung, betrachte das Meer, welches sich immer weiter zurückzieht. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Sind das Gezeiten? Zieht sich das Wasser zurück, weil Ebbe ist? Aber warum so schnell? Unsicher blicke ich dich an, spüre, wie die Angst von mir Besitz ergreift. Du zuckst nur desinteressiert mit den Schultern, wendest dich vom Wasser ab und mir zu. „Das wird schon seine Richtigkeit haben.“ Mit diesen Worten lässt du dich einfach wieder auf meinen Schoß sinken, schmatzt erneut und kuschelst dich zufrieden an meinen Bauch, seufzt entzückt. Du bist schon wieder drauf und dran einzuschlafen. Warst du eben überhaupt richtig wach? Ich hingegen bin mir nicht so sicher, ob das alles so richtig ist und meine Alarmglocken beginnen laut zu schrillen, als ich draußen auf dem Meer eine Welle entdecke, die langsam, aber unaufhörlich auf uns zukommt. Sie sieht nicht groß aus, aber sie ist schnell - zumindest vermute ich das. Laut schlucke ich, fühle mich im ersten Moment wie gelähmt. Was ist das? Und warum interessiert es dich nicht? Und warum, verdammt nochmal, kann ich mich nicht bewegen? Hastig rüttele ich wieder an dir, versuche dich irgendwie richtig wach zu bekommen, dir die Gefahr zu zeigen, die sich da anbahnt. Du kannst doch nicht einfach wieder einschlafen! Interessiert es dich denn wirklich gar nicht? „Dai… Dai, verdammt!“, verlässt es panisch meine Lippen und ich rüttele fester an dir, so fest, dass du bereits leise knurrst und dich ruppig von mir löst, mich genervt ansiehst. Du magst es nicht, wenn man dich bei deinem Schlaf stört, schon gar nicht, wenn du ihn auf meinem Schoß abhältst. Aber du solltest dir lieber ansehen, was da auf uns zukommt. Paralysiert hebe ich meinen Arm und erneut deute ich auf das Meer. „Welle…“ Mehr ist nicht von mir zu hören, dann spüre ich endlich, wie wieder Leben in meinen Körper kommt und ohne nachzudenken springe ich auf, greife nach deinem Handgelenk und ziehe dich beinahe brutal mit mir. Gerade ist es mir egal, dass du schmerzerfüllt aufkeuchst, du dich sogar noch sträubst und erst nicht mit willst. Selbst meine eingeschlafenen Beine hindern mich nicht daran wegzulaufen, um mein Überleben zu kämpfen, auch wenn ich dadurch merklich eingeschränkt bin. Ich habe wirklich Angst, dass ich hier nicht lebend wegkomme und ich will einfach nur so schnell wie möglich verschwinden. Und auch du bemerkst endlich, was gerade passiert, entdeckst die Welle hinter uns, die unaufhaltsam auf uns zukommt, immer höher und schneller wird. „Scheiße…“ Deine Stimme klingt ängstlich und du löst dich von meinem Handgelenk, greifst nach meiner Hand und drückst sie fest, willst mir zeigen, dass du für mich da bist und mich nicht loslässt. „Komm, Kyo, schnell!“ Nun bist du es, der mich mitziehst. Du warst schon immer schneller als ich, hast längere Beine und kannst dementsprechend größere Schritte machen. Doch ich versuche auf deiner Höhe zu bleiben, versuche mich nur auf das Rennen zu konzentrieren und nicht auf meine nackten Füße, die bei jedem weiteren Schritt stärker zu brennen beginnen. Immer wieder kann ich das laute Rauschen des Wassers vernehmen, angsterfüllte Schreie von Kindern und Erwachsenen, Palmen, Bäume und Sträucher, die brechen und sogar Hütten halten der Welle nicht stand, werden einfach mitgerissen. Die Sekunden kommen mir vor wie endlose Minuten und es scheint so, als bewegten wir uns nicht vom Fleck. Alles um mich herum verschwimmt, dreht sich und meine Kehle schnürt sich fast zu, so sehr ringe ich nach Atem. Die Panik tut ihr übriges und es fühlt sich so an, als ersticke ich. Immer wieder stolpere ich über irgendwelche Dinge, kann mich aber jedes Mal in der Luft abfangen und auch den Schmerz, der sich von meinen Füßen aufwärts kämpft, bereits meine Beine, vor allem aber meine Lungen befallen hat, bemerke ich nur am Rande. Adrenalin strömt wie wild durch meinen Körper, betäubt meine Sinne. Nur die Angst, die in meinen Gliedern steckt, ist allgegenwärtig. „Dai…“, wimmere ich leise, versuche mit dir Schritt zu halten, was mit zunehmend schwerer fällt. Ich spüre meine Füße kaum noch und ich habe das Gefühl, meine Muskulatur verwandelt sich in Wackelpudding. Ich stolpere erneut und dieses Mal kann ich mich nicht mehr abfangen und mit einem schmerzhaften Zischen lande ich auf dem harten Asphaltboden, den wir kurz zuvor erreicht haben. Kaum etwas nehme ich um mich herum wahr und dennoch spüre und sehe ich meine aufgeschürften Hände und Knie, erkenne das Blut, welches aus den Wunden rinnt und zu Boden tropft. Du lässt mir jedoch keine Zeit mich auszuruhen, ziehst mich sofort wieder auf die Beine und schleifst mich regelrecht hinter dir her. Ich kann nicht mehr und doch versuche ich weiter zu rennen. „Wir sind gleich am Hotel, Kyo.“ Du willst mir Mut machen, damit ich nicht aufgebe, damit ich weiter laufe, auch wenn ich meinen Körper kaum noch fühle, alles einfach nur taub ist. Und tatsächlich. Ich erkenne verschwommen das Hotel, welches nur wenige hundert Meter vor uns liegt. Es ist eines der wenigen großen Gebäude hier und wenn wir es erreichen, kann uns diese Welle, die immer näher kommt, nichts mehr tun. Es sind nur noch ein paar Meter…! Ich nehme all meine Kraft zusammen, die noch in mir steckt, blicke zu dir, wie du vor mir läufst, mich weiterhin ziehst und bereits selbst ziemlich zu kämpfen hast. Auch wenn du schneller rennst als ich, deine Kondition ist bei weitem schlechter, rauchst du doch, was ich bereits vor einigen Jahren aufgegeben habe. Langsam rückt das Hotel immer näher, ich kann es fast schon berühren, so scheint es mir. Doch plötzlich bist du es, der stolpert, zu Boden geht und keuchend liegen bleibt, mich fast mit sich zieht. Laut und schwer atmend, vor allem aber zitternd gehe ich zu dir, umfasse wieder richtig deine Hand, da wir uns eben gelöst haben, kralle mich regelrecht in deinen Unterarm, um dich nicht ein weiteres Mal zu verlieren. Deine Beine bluten noch schlimmer als meine und deine gesamten Unterarme sind aufgeschürft, da du dich mit ihnen abgefangen hast. „Dai… Dai…“ Wieder ist es nur ein Wimmern, das meinen Lippen entkommt und hektisch ziehe ich an dir, will, dass du aufstehst und weiterläufst. Hinter uns erkenne ich die Welle, die nur noch wenige Meter entfernt ist, sich immer weiter aufbäumt, so dass ich kaum noch etwas anderes sehen kann. Sie verschlingt alles um uns herum, reißt alle möglichen Gegenstände mit sich, sogar Menschen. Und ich spüre bereits das Wasser, welches an meinen nackten, brennenden Füßen entlangfließt, binnen weniger Sekunden mehr und mehr meiner Beine umschließt. Endlich schaffe ich es dich mitzuziehen und wir rennen weiter. Du jedoch humpelst, kommst kaum mehr voran. Du scheinst dich schlimmer verletzt zu haben und kurz vor dem Hotel sackst du erneut zusammen. Sofort bleibe ich stehen, auch wenn ich am liebsten weiter laufen, mich in Sicherheit bringen will. Aber ich liebe dich und ich kann dich nicht einfach zurücklassen. Du scheinst das jedoch anders zu sehen. „Lauf, verdammt!“ Deine Stimme klingt wütend, aber ich weiß, dass es einzig die Panik und die Angst sind, die dich so handeln lassen, die ganze Situation, die an deinen Nerven zehrt. Vehement schüttele ich meinen Kopf, ziehe wieder an deinem Arm und es ist mir egal, dass ich dich etwas mit mir schleife. Ich will doch nur, dass du mit mir kommst. „Es sind nur noch ein paar Meter, Dai…“ Siehst du nicht? Gleich dort ist das Hotel. Bitte steh auf… Wir haben es doch fast geschafft! Tränen laufen über meine Wangen und immer wieder zerre ich an dir, will dich irgendwie dazu kriegen, dass du weiterläufst, ziehe dich einfach hinter mir her, auch wenn du dich dagegenstemmst. Widerwillig beuge ich mich jedoch deinem Willen, bleibe stehen und blicke zu dir, in dein verzweifeltes, ebenfalls mit Tränen benetztes Gesicht. Erst jetzt bemerke ich, dass dein Bein aufgeschnitten ist, eine tiefe Wunde an deinem Unterschenkel klafft, aus der immer wieder ein Schwall Blut quillt. Ist das passiert, als du gefallen bist? „Dai…“ Erneut nur ein Jammern und ich versuche dich weiter mitzuziehen - vergeblich. Das Nächste, was ich spüre, ist die Wucht das Wassers, die Welle, die mir den Boden unter den Füßen wegreißt, mich gegen eines der halb verrosteten Autos drückt, die an den Rändern der Straße stehen. Mit aller Kraft versuche ich mich daran festzuhalten, doch ich rutsche ab und auch der Wagen hält der Welle nicht stand, wird hinfort gespült, genauso wie ich. Noch immer kralle ich mich in deinen Unterarm, will dich nicht loslassen, auch wenn ich dich nicht sehe, selbst nicht weiß, wo ich bin und immer wieder schmerzhaft gegen irgendwelche Dinge pralle. Immer und immer wieder werde ich unter Wasser gedrückt, schlucke die dreckige, salzige Brühe, die brennend meiner Kehle hinabfließt, mich husten und so noch mehr von ihr schlucken lässt. Meine Sinne sind wie benebelt und ich fühle nichts mehr, klammere mich nur verzweifelt an dir fest, spüre, dass auch du nicht gehen lassen willst, kämpfst. Erst ein Schmerz an meinen Rücken, als ich hart gegen etwas stoße, lässt mich wieder zu Verstand kommen und heftig schnappe ich nach Luft, als ich an diese gelange. Immer wieder versuche ich meine Augen zu öffnen, versuche zu sehen, wo ich bin, doch es brennt zu sehr, Sand klebt in ihnen. Mein freier Arm ist ausgestreckt und ich greife einfach nach allem, was an mir entlangströmt, versuche mich festzuhalten. Egal ob irgendwelche Palmen oder hölzerne Gegenstände, die vorbeiziehen. Jedes Mal rutsche ich ab, werde weiter mit dir fortgespült. Auch jetzt noch kann ich dich nicht sehen, aber ich weiß, dass du da bist, spüre deinen Arm in meiner Hand, fühle deinen Griff, der jedoch langsam schwächer wird. Wie durch ein Wunder bekomme ich etwas zu fassen, das Kabel eines Strommasten, der bereits heruntergekommen ist, quer über der reißenden Strömung liegt. Ich klammere mich mit letzter Kraft daran fest, ziehe zugleich an meiner anderen Hand, doch ich schaffe es nicht, dich über Wasser zu bekommen. Geht es dir gut? Warum kämpfst du nicht mehr? Meine Stimme versagt mir den Dienst und angsterfüllt blicke ich im Wasser umher, nachdem ich es geschafft habe, meine Augen richtig zu öffnen. Ich spüre kaum noch, dass du dich an mir festhältst, habe Angst, dich zu verlieren. Nur kurz kann ich deinen roten Haarschopf entdecken, der auftaucht, erblicke dein dreckiges und verletztes Gesicht ein letztes Mal, bevor ich fühle, wie jemand an meinem Arm zieht, mich aus dem Wasser herauszuholen versucht, auch wenn dies bedeutet selbst mitgerissen zu werden. Verschwommen nehme ich die Person wahr, beachte sie kaum, versuche stattdessen dich zu halten, dich weiter zu mir zu ziehen. Doch meine Kraft verlässt mich und langsam aber sicher rutscht dein Arm aus meiner Hand, so dass du von der Gewalt der Welle einfach hinfort getragen und wieder unter Wasser gedrückt wirst. „Dai…!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)