Wie Sommer in Deinen Augen von Jaelaki ([Sai & Sakura]) ================================================================================ Prolog: Sturm ------------- Genau eine Woche später lehnte er vor ihrer Bürotür. Er trug noch die ANBU-Uniform und war direkt ins Krankenhaus gekommen. Es war wohl nichts Akutes, aber es war Abend und die Gänge leer. Normalerweise war die Nachkontrolle, eine Pflicht nach einer jeden ANBU-Mission, abends schneller erledigt – direkt nach der Mission, wenn sich der Großteil bereits einfach ins Bett fallen ließ. Noch bevor sie um die Ecke bog, wusste er, dass sie es war. Ihre Schritte hatten einen eigentümlichen Takt. Klack, klackklack, klack. Als sie ihn wahrnahm, weiteten sich ihre Augen instinktiv, doch sie ließ sonst nichts durch ihren stoischen Gesichtsausdruck durchschimmern. „Sakura“, meinte er ernst und zog sich die ANBU-Maske vom Gesicht, „ich glaube, ich bin krank.“ „Was? Wieso?“ Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, ihn hier anzutreffen – oder überhaupt jemanden. Eigentlich hatte er nicht einmal selbst damit gerechnet. Aber es hörte einfach nicht auf. „Seit einiger Zeit verspüre ich flatternden Magenschmerzen, mir wird plötzlich kalt, dann heiß und ich leide immer mal wieder unter Schweißausbrüchen – vor allem an den Händen, was angesichts meines spezialisierten Jutsus sehr ungünstig ist“, erläuterte er mit ruhiger Mimik. „Und wann kommt das vor?“, hakte sie nüchtern nach, während sie die Bürotür öffnete. Er überlegte und irgendwie führten alle Striche zu – „Immer, wenn du in der Nähe bist.“ Sie fuhr zu ihm herum und er sah, wie sich ihre Augen weiteten, sich das Grün ihrer Augen verdunkelte. Wie ein Wald vor einem Sturm. Gefühle, das hatte er in einem Buch gelesen, waren nur der biochemische Vorgang, um höhere Säugetiere in einer aufeinander abgestimmten Gesellschaft überleben zu lassen. Empathie, das hieß: Wie du mir, so ich dir. Freundschaft, das hieß: Zusammen sind wir stark. Liebe, das hieß: Unsere Gemeinschaft wird fortbestehen. „Es war ein Fehler“, fasste sie knapp zusammen, als würde sie auf eine ungestellte Frage antworten, die im Raum stünde. Doch er wusste nicht, welche. Er sah, wie sie in einer fahrigen Bewegung ihr Top überzog und in ihren Slip schlüpfte. Ihre Augen wichen ihm aus und unwillkürlich fragte er sich, ob es seine Schuld war. Er konnte Trauer in ihnen erkennen. Trauer – das hatte er schon oft in fremden Blicken gesehen. Genauso wie Schmerz. Doch in ihren grünen Augen schimmerte noch etwas anderes. Als läge es hinter einem grauen Schleier. Er konnte es nicht benennen. „Es tut mir leid, Sai“, murmelte sie, als sie sich an ihm vorbei durch die Tür in den Flur drückte. Ihre Hand lag einen Moment auf der Eingangstür, als wollte sie noch etwas sagen, doch sie tat es nicht, drückte die Türklinke hinunter und verließ wortlos sein Apartment. Wortlos schlenderte er zum Fenster, durch das die späte Morgensonne strahlte. Warm und hell wanderte sie über seine Haut. Mit gerunzelter Stirn nahm er wahr, wie es in seinem Inneren trotzdem kalt blieb. Einen Fehler hatte sie es genannt. Wahrscheinlich sogar mit Recht. In seinem Magen zog sich etwas schmerzhaft zusammen. Vielleicht hatte er gestern etwas Falsches gegessen. Nachdenklich lehnte er sich gegen den Fensterrahmen. Er verstand diese Situation nicht, in der sie sich befand. Er wusste nicht, was in ihr vorging. Er wusste ja die meiste Zeit nicht einmal, was in ihm selbst vorging. Alles erschien ihm hinter einer trüben Wand aus grauem Nebel – es erinnerte ihn unwillkürlich an ihre Augen, wenn sie Sasuke mit diesem Mädchen sah, das mit dem roten Haar. Als lauerte hinter dem Nebel etwas, das sie nicht beherrschen konnte - und trotzdem mühsam unterdrückte. Vielleicht. Er fühlte etwas. Etwas, das ihm den Atem raubte. Etwas, das ihm die Lungen zusammenquetschte. Ihre Worte hallten in seinen Gedanken wider. Vielleicht war er tatsächlich krank. Vielleicht war auch sie es, vielleicht verdunkelte eine Krankheit das Grün ihrer Augen. Wie ein Sturm in einem Wald. Kapitel 1: Wie Wolken in Deinen Augen ------------------------------------- Sorgfältig wusch er mitten auf dem Kampffeld die Farbe aus den Pinseln. Das Wasser aus seinem Trinkbehälter färbte sich zunächst bräunlich, dann schwarz. Wie Schlamm. Um die Schriftrolle zog er ein dünnes, rotes Band und verknotete es. Zerstörung umgab ihn, Leichen säumten seinen Weg durch das Chaos, der Krieg war vorbei – gewonnen. Er hatte noch nie einen Sieg gesehen, der so verheerend ausgesehen hatte, doch seine Mimik blieb blank. Er warf einen Blick zur Seite, wo Team Sieben über der Verwüstung zu ragen schien. Wie Statuen hatten sie ihren Sieg wahrgenommen, dann sah er Naruto in sich zusammensacken, gehalten von seinen Freunden, so dass er niemals auf dem Boden aufprallen sollte. Sasuke stützte ihn, Narutos Arm über seine Schulter gelegt, ein dämliches Grinsen in dessen Gesicht. Sakuras Blick hielt die beiden gefangen, als sie sich über Naruto beugte und mit ihrem leuchtenden Chakra die erste Versorgung leistete. Sai spürte etwas, irgendetwas, das sich regte. Ein Gefühl. Eine vage Ahnung. Die drei. Sie strahlten etwas aus. Zusammen. Etwas Mächtiges, Unzertrennliches, etwas, bei dem er niemals ein Teil wäre. Es war keine Wehmut, die er fühlte oder Bedauern. Es war eine schlichte Feststellung. Er konnte ja nicht wissen, dass sich das bald ändern würde. Sais Blick senkte sich. Sein Kopf schwirrte und als er sich wie nebenbei über die Stirn strich, hing helles Rot an seinem Mittel- und Zeigefinger. Als er über abgetrennte Gliedmaßen stieg, den Blick auf zerfetzte Gesichter erhaschte, zuckte ein Gefühl durch seine Ader, das er nicht benennen konnte. Blut klebte auf dem Boden. Dunkles Rot. Schreie halten von irgendwo her, Verwundete lagen zwischen den Toten, während er nachdenklich die Stirn kraus zog. Er versuchte es, wirklich. Einfache Gefühle wie Zorn oder Trauer, die hatte er schnell erlernt zu benennen. Aber es gab viele Emotionen, die komplex waren – noch komplexer als ohnehin alle Gefühlsregungen waren. „Sai? Bist du verletzt?“ Er sah auf. Sakuras Stimme klang nüchtern, doch in ihren Augen spielte ein verworrenes Spiel. Das Grün ihrer Augen schimmerte matt. Er erkannte Sorge und Müdigkeit. Aber er war sich sicher, dass er einige Gefühle darin schlicht nicht wahrnahm. „Nein“, erwiderte er knapp und fuhr sich über die leichte Kopfwunde, aus der kaum mehr Blut tropfte. Sie musterte ihn – besorgt? Pflichtbewusst? Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um, rief Kakashi etwas zu, der Naruto inzwischen auf seinem Rücken trug und drehte sich dann dem jungen Mann entgegen, der ihr bisheriges Leben geprägt hatte. Uchiha Sasuke trug ein Mädchen in den Armen, deren Gesicht an seiner Brust lag und deren rote Haare über seinen Oberarm flossen. Sais Blick schwenkte zurück zu Sakura. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Worte auch in Blicken stehen konnten, dass Emotionen manchmal unausgesprochen blieben, obwohl sie für andere greifbar in der Luft sirrten. Das war für ihn bis heute unbegreiflich. Nichtsdestotrotz flog Sakuras Blick plötzlich zu ihm und einen Moment lang standen sie einfach da, ihre Blicke ineinander verwoben. In ihren grünen Augen hingen Gefühle, die er nicht benennen konnte. Dann riss sie sich los und eilte voraus, ihn stramm am Handgelenk gepackt. Das provisorische Lazarett war überfüllt, laut, chaotisch. Es stank nach Schweiß und Blut. Nachdem sie seine Platzwunde verbunden hatte, meinte sie mahnend, dass er wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung hatte und sich ausruhen müsste. Er nickte gehorsam, dachte jedoch keinen Moment daran, es zu tun. Sakura zog die Handschuhe fester. Verletzte lagen auf der feuchten Erde. Verdreckt. Verblutend. Sie versorgte die Versehrten notdürftig. Die Medikamente waren knapp. Die Iryōnin der Anzahl an Verletzten kaum gewachsen. Irgendwo wimmerte jemand. Sie ließ ihr Chakra über verstümmelte Körper wandern, kniete neben entstellten Menschen und sprach ermutigende Worte, die manchmal nur ihre eigene Hilflosigkeit übermalte. Unaufgefordert entrollte er die Papierrolle und tauchte den gesäuberten Pinsel in die schwarze Tinte. Mit wenigen Strichen beschwor er einige Vögel herauf, die Schwerverletzte auf ihren pergamentfarbenen Rücken in das provisorische Lazarett trugen. Ihr Blick erfasste ihn sofort, als sie sein Jutsu bemerkte – er war sich fast sicher, dass sie ihn an jedem anderen Ort, zu jeder anderen Zeit schmerzhaft für seine Missachtung ihres medizinisches Rates geschlagen hätte – doch sie nickte ihm nur knapp zu und er glaubte so etwas wie Dankbarkeit zu erkennen. Ihre hellgrünen Augen bargen gefährliche Erschöpfung, aber auch etwas, das sie nicht zusammenbrechen ließ. Es faszinierte ihn. „Wie machst du das?“, fragte er sie in einem Moment, in dem sie im Stehen etwas aß und alles immer wieder hastig mit Wasser hinunterspülte. „Wie mache ich was?“, fragte sie mit vollem Mund nach, schluckte und murmelte ein halbverlegenes „Entschuldige“. „Wie schaffst du, das hier durchzuhalten?“ Sie verharrte einen Moment und ein schwaches Lächeln zog sich über ihre Lippen. „Es gibt zu viel zu tun, um es nicht durchzuhalten. Ich muss einfach durchhalten“, erwiderte die schulterzuckend und obwohl es ihm im ersten Moment paradox erschien und er ahnte, das mehr zwischen diesen Worten stand, als er heraushörte. Ein Schrei hallte durch die Zelte und sofort sah Sakura auf, stellte den Rest ihres mageren Mahles auf einen wackeligen Tisch und hastete zu einer Liege, in der ein Mädchen lag, dessen Wunde entzündet und wieder aufgeplatzt war. Zwei Schwestern wuselten um sie herum. Sakura fluchte leise. „Wir brauchen hier fünf Milliliter –“ Das schmerzverzerrte Gesicht des Mädchens entspannte sich allmählich und Sakura atmete auf, als eine weitere Schwester zu ihr eilte. „Sakura-san, wir haben einen Notfall reinbekommen!“ Auf einer Trage wurde ein Junge hereingebracht, dessen linke Gesichtshälfte weggerissen war. Er röchelte, schnappte nach Luft. Sai lauschte Sakuras Anweisungen und in ihrer ganzen Präsenz stand, dass ein Mensch viel ertragen konnte, solange er sich selbst ertragen konnte. Solange er glaubte, dass das, was er tat, sinnvoll war, einem größeren Wohl diente, getan werden musste, wichtig war. Sakura stand kurz vor einem Zusammenbruch, war kurz davor vor Erschöpfung umzukippen und doch stand in ihren Augen Entschlossenheit und Kraft. Es faszinierte ihn. „Splitter stecken in seiner Haut, linke Gesichtshälfte zertrümmert“, rief sie den Schwestern zu, „gebt mir zehn Milliliter –“ Der pure Anblick des Kindes weckte in manch einem Anwesenden Brechreiz. Sai musterte den Jungen nüchtern. Sakuras erhitztes Gesicht schwebte wenige Handbreiten entfernt, sie pumpte Chakra in den kleinen, blutenden Körper. Er war am Sterben. In ihren Augen wütete ein Sturm und doch waren ihre Anordnungen glasklar. „Erhöhen. Zwanzig Milliliter!“, schrie sie über das Schreien des Kindes hinweg. Dann war es plötzlich still. Mit leerem Blick bedeckte sie die Leiche des Jungen mit einem weißen Tuch. Blutverschmiert waren ihre Handschuhe. Irgendjemand sagte etwas zu ihr, doch sie schüttelte nur den Kopf, zog die Handschuhe von ihren Fingern und schmiss sie in den dafür vorgesehenen Mülleimer. Dann verließ sie das Zelt. Sorgfältig wusch Sakura am Rande des Lazaretts ihre Hände. Das Wasser war klar und kühl und färbte sich erst unter ihren Händen ein wenig trüb. Sie legte eine Hand über ihre Augen, die höllisch brannten. „Sakura, bist du verletzt?“ Sie schüttelte stur den Kopf, als sie Sais Stimme vernahm. Gemächlich schritt er zu ihr und blieb dann hinter ihr stehen. „Du hast gemacht, was du konntest“, meinte er ausdruckslos – er verstand nicht, warum sie scheinbar so durch den Wind war. „Manchmal ist das eben nicht gut genug“, zischte sie. „Gibst du dir die Schuld?“, fragte er, weil er es nicht verstand. Manche Patienten überlebten, manche starben. Manche wären schneller gestorben ohne Sakuras Hilfe, schmerzhaft, einsam. Er wusste nicht, was besser war, aber er respektierte Sakuras Bemühungen. Er konnte keine schlechte Intention darin erkennen. „Er war nur ein Kind“, flüsterte sie und er nickte, setzte sich neben sie an den Brunnen, gerade soweit, dass er sie sicher nicht aus Versehen berühren würde. „Auch Kinder können sterben“, erläuterte er mit blanker Miene und ihr zorniger Blick erfasste ihn. „Ich weiß das“, geiferte sie wütend, „immerhin ist eines gerade unter meinen Händen weggestorben.“ „War es das erste?“, fragte er und überlegte, ob das Sarkasmus in ihrer Stimme gewesen war oder einfach nur Schmerz. Oder beides? Sie schüttelte den Kopf. „Nein, und es wird wohl auch nicht das letzte gewesen sein.“ „Warum bist du dann – kanntest du den Jungen?“ Sie schüttelte wieder den Kopf. „Aber irgendjemand liebte ihn, Sai. Für irgendjemand war er etwas Besonderes. Er war von jemandem der Sohn. Vielleicht hatte er eine Schwester oder einen Bruder. Und er war noch so jung. Nicht einmal seinen Namen kennen wir“, flüsterte sie und ballte ihre Finger zu Fäusten. Er fragte sich, ob vor Zorn oder Ohnmacht oder Schmerz. „Warum müssen so viele sterben, Sai? Warum gibt es immer so viele unschuldige Opfer? Warum trifft es immer die Falschen? Und warum kann ich so vielen nicht helfen?“, hauchte sie und blickte ihm plötzlich ganz direkt in die Augen. Er dachte nach. Vor vielen, vielen Jahren hatte ihm einmal jemand etwas gesagt, was er bis heute nicht ganz entschlüsselt hatte. Aber. Irgendwie war es auch ganz verständlich. Und trotzdem. Shin hatte es ihm gesagt. Shin. Ein Mensch konnte viel ertragen, solange er sich selbst ertragen konnte. Aber manchmal da konnte man sich nicht selbst ertragen. Weil man die eigenen Grenzen nicht akzeptieren wollte, weil man den Schmerz nicht hinnehmen konnte und das Leid anderer sich in den eigenen Augen spiegelte. Sai erwiderte Sakuras Blick. Instinktiv drückte er sein Wirbelsäule durch und saß augenblicklich ganz gerade und steif da. Er kannte die Antworten auf diese Fragen nicht und er erkannte in ihrem Blick, dass sie es nicht anders erwartete. Das Grün schimmerte zwischen gerötetem Weiß. Ungeweinte Tränen standen in ihren Augenwinkeln, Müdigkeit und Kraftlosigkeit und doch blitzte die Klarheit ihrer Gedanken hindurch. „Lass uns weitermachen“, stellte sie zwischen sie beide, erhob sich und lächelte ihn schwach an. „Es gibt noch zu viel zu tun und wir beide werden gebraucht.“ Sakura balancierte zwischen Leere und Fülle. In ihren Augen war die Erfahrung beider eingeritzt. Er nickte und sie schritten zurück. Zerstörung umgab sie, Leichen säumten ihren Weg durch das Chaos, der Krieg war vorbei – gewonnen. Doch die eigentlich Zerstörung war unsichtbar. Es war die innere Verwüstung, die psychische. Der Prozess, in dem einem die innere Stärke Stück für Stück geraubt wurde, die Prioritäten bröckeln, Ideale verfallen und am Ende bleibt einem nichts mehr – nur Leere. Er kannte das, er hatte es selbst durchgemacht – seitdem er ein kleines Kind gewesen war. Und die Leere in ihm überwog noch immer. Auch er würde ohne einen Namen sterben und begraben. „Wenn ich sterbe“, meinte er nüchtern auf dem Weg zurück zu den Zelten, „wirst du dann auch so wütend werden, obwohl es niemanden gibt, der mich liebt?“ Er spürte neben sich, wie Sakura inne hielt und ihn anstarrte. Chaos stand in ihrem Blick – zumindest machte es für ihn kaum Sinn. Er erkannte Trauer und – der Rest war ein großes Durcheinander. Deswegen konzentrierte er sich auf das Drumherum und auf ihre Augenfarbe. Es war faszinierend. Ihre Augen waren leicht geweitet. Groß und irgendwie erschrocken schaute sie ihn an. Und dann dieses Grün. Ganz grün und hell. Grün stand für das Unproblematische, Normale, Positive. Nicht so ausdrucksstark wie Rot, nicht so beruhigend wie Blau. Grün. Das war für ihn immer eine Farbe gewesen ohne große Kraft. Ein wenig langweilig. Aber wie er ihr so in die Augen sah, musste er revidieren. Grün war eine Farbe voller Emotionen, voller Wildnis und Kühnheit. In ihrem Blick tobte ein Sturm. Wie ein Wald über dem dunkle Wolken hingen. Kapitel 2: Wie Nebel in Deinen Augen ------------------------------------ „Wieso wütend, Sai?“, hakte sie ruhig nach – was so gar nicht zu ihren Augen passen wollte – und sprach zu ihm wie zu einem Kind. „Wenn jemand stirbt, dann ist man gewöhnlich traurig.“ Sie sagte es tatsächlich so, als war sie unsicher, ob er das bereits wusste oder eben nicht. Er hingegen winkte ab. „Das weiß ich“, erwiderte er und irgendwie wusste er nicht, ob er darauf stolz sein sollte – denn Trauer und Tod waren Themen, mit denen die wenigsten Menschen Stolz assoziierten. Natürlich kannte er hier durchaus Gegenbeispiele. „Bevor du stirbst, werden wir aber noch viel zu tun haben“, entgegnete sie forsch und zog ihn kurzerhand mit sich zurück zum Lazarett. In ihren Augen war der Schatten ihrer einstigen Entschlossenheit zurück. Wenn Sakura früher über die Zukunft gesprochen hatte, dann hatten ihre Augen geleuchtet. Mitreißende Entschlossenheit hatte darin gelegen, Mut und Hoffnung ihre Gesichtszüge gezeichnet. Das Grün ihrer Augen war ein Wald im Sommer gewesen. Kräftiges, leuchtendes Grün. Ein Rauschen in den apfelgrünen Blätter. Ein Zittern in den ahorngrünen Zweigen. Wie Blattgrün von der Sonne geküsst. Wenn sie ihn angesehen hatte. Früher. Sai hatte es gesehen: Damals als sie nach jahrelangem Suchen Sasuke gefunden hatten. Im Krieg aber gab es keine Zukunft. Es gab nur die Gegenwart und die naive Hoffnung, irgendwann wieder eine Zukunft zu haben. Für etwas zu kämpfen, das sich lohnte, und wenn es nur so etwas wie Freundschaft war, einen verlorenen Teamkameraden oder Liebe, die hätte sein können. Irgendwann verschwamm dieses Etwas. Verschüttet unter dem Drang zu überleben. Jetzt standen sie davor. Vor den Kriegsfolgen und konnten allmählich die Ausmaße erahnen. Vor den Trümmern ihrer Zukunft und sahen die Vergangenheit. Es würde nie wieder so sein, wie es einmal gewesen war. Das hatte er in Sakuras Blick gesehen. Sie verließen das Lazarett und ließen viele Tote zurück. Die Verletzten und Kranken wurden in ihre Heimatländer gebracht, soweit das möglich war; Schwerstverletzte in die nächstgelegenen Versteckten Dörfer und dort versorgt, bis ein Transport in die Heimat medizinisch verantwortet werden konnte. Das Krankenhaus in Konoha war die nächsten Wochen hilflos überfüllt. Es gab zu viele Verletzte, zu wenige Ärzte, zu wenig Zeit und zu wenige Räume. Und da Sai nicht heilen konnte oder die Zeit beeinflussen, malte er ununterbrochen Vögel und Tiger, mit deren Hilfe Baumaterial geliefert wurde, um provisorische Krankenzimmer zu errichten oder Kranke zu transportieren, medizinische Ausrüstung und Medikamente. Seine Kopfwunde war längst zu einer feinen Narbe verblichen, die kaum sichtbar war. Doch von Tag zu Tag nahm er die dunklen Ringe unter Sakuras Augen deutlicher wahr. Ihr Teint wirkte ungesund blass, kränklich. Ihr Blick flog unruhig umher, als wäre sie ständig auf der Suche nach etwas. Er wusste nicht, was das hätte sein können, bis – „Sakura“, hörte er Sasukes dunkles Timbre und Sais Blick schwenkte zu Sakura, die müde immer wieder neue Patienten am Eingang aufnahm. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Worte auch in Blicken stehen konnten, dass Emotionen manchmal unausgesprochen blieben, obwohl sie für andere greifbar in der Luft sirrten. Das war für ihn bis heute schwer zu verstehen. Aber als er ihr in die Augen sah, bekam er eine Ahnung davon. Sakura und Sasuke standen einen Moment einfach nur da. Zwischen ihnen schien die Luft zu sirren, doch Sai wusste nicht, warum. In Sasukes Armen eine junge Frau, offensichtlich hatte sie starke Schmerzen. Ihre roten Haare erinnerten Sai daran, dass er sie schon einmal gesehen hatte – auf dem Kriegsschauplatz, in Sasukes Armen. Sakura schenkte diesem einen Blick. In ihren grünen Augen hingen Gefühle, die Sai nicht benennen konnte. Vielleicht stand dort alles, was sie hatte sagen wollen. Doch sie sagte nichts. Dann riss sie sich von Sasukes Blick los und beugte sich über die junge Frau mit den roten Haaren. Sakuras Chakra pulsierte um ihre Fingerspitzen, schloss klaffende Wunden, aus denen helles Blut quoll. Es war vielleicht dieser Moment, der die Zukunft zwischen ihnen beschloss. Sakura zog die Handschuhe fester, als die junge Frau aufgehört hatte zu röcheln und ihr Atem gleichmäßig ging. Ihren Puls kontrollierend, winkte sie Sai heran, um die junge Frau auf dem Rücken einer seiner Vögel in ein Zimmer zu geleiten. „Was ist passiert?“, fragte Sakura an Sasuke gewandt, als sie schnellen Schrittes folgten. Es klang nüchtern, professionell, als leitete sie nur die medizinische Fürsorge, doch in ihren Augen glitzerte noch etwas anderes. „Das ist nicht von Bedeutung“, wies Sasuke distanziert ab. „Sasuke, du bringst eine verblutende Frau her – eine Frau, die während des Krieges nicht auf unserer Seite stand und erwartest –“ „Sie war Teil meines Teams“, schnitt er ihr das Wort ab und ging ungerührt an ihr und Sai vorbei. „Sasuke, du kannst nicht hier – das ist der Intensivbereich!“, empörte sie sich, als er durch die Tür schritt und an das Krankenbett trat. Mit ausdrucksloser Miene beobachtete Sai die Szene. Krankenschwestern schoben sich an ihr vorbei zu der Patientin. Sakura war im Begriff zu folgen, doch dann verharrte sie, die Hand auf der Klinke. Sie sah durch die Glasfront, wie Sasukes Blick die blasse Gestalt in dem Bett streifte. Wie er diese junge Frau anblickte, wenn er dachte, keiner sah es – es sagte alles. Und Sakura wandte sich um. Das Grün ihrer Augen wurde blass, wie ein Wald im Nebel. Als hätte sich ein graues Band über ihren Blick gelegt. Mühsam wandte sie sich ab. Ihre Augen unleserlich, um ihren Mund hing ein harter Zug. Sai konnte nicht sagen, was es war, was ihre Augen durchwob. Ohne ein Wort und ohne ein Blick zurück fixierte sie ihn plötzlich, als wäre sie sich eben erst bewusst geworden, dass er da mit ihr auf dem Gang stand, und packte sein Handgelenk. Stur eilte sie voraus, ohne ihn loszulassen. Vielleicht war es Zufall gewesen an jenem Tag. „Wir haben noch viel zu tun“, raunte sie ihm zu, als würde es alles erklären „sie wird von den Schwestern versorgt.“ Es war spät in der Nacht. Obwohl es dunkel war, hing die Hitze des Tages noch in den Gängen und Räumen. Sakura strich sich eine Strähne aus dem verschwitzten Gesicht und wies die Krankenschwestern für den nächsten Tag ein. Ihr Schreibtisch war überfüllt mit Krankenakten, Notizen und Schriftrollen, auf denen komplizierte Heil-Jutsus erläutert waren. Wie sie den Überblick über das bürokratische Chaos behalten konnte, war Sai ein ungelöstes Rätsel. Er stand in einer Ecke und lauschte ihren Anordnungen, bis die Belegschaft endlich das voll gestellte Zimmer verlassen durfte. Die stickige Luft lag auf seiner Haut und ließ seine Aufmerksamkeit abdriften. „Wie machst du das?“, beförderte Sakuras Stimme seine Konzentration wieder in die Schwüle des Raumes. „Wie mache ich was?“, hakte er ausdruckslos nach. Warum sie daraufhin lächelte, war ihm nicht klar. „Es ist so schwül hier und den ganzen Tag verbrauchst du eine Unmenge an Chakra für die Unterstützung hier im Krankenhaus und – trotzdem. Du siehst so – frisch aus.“ Er musterte ihre Mimik und suchte nach Anzeichen von Ironie – manchmal erkannte er diese sogar. Manchmal. Momentan lag es bei sieben zu zehn. „Ironie?“, fragte er vage und sie gluckste, schüttelte freundlich den Kopf. Sieben zu elf. „Ich weiß es nicht“, antwortete er dann höflich, „wie machst du es?“ „Ich denke kaum, dass ich frisch aussehe.“ Sai schüttelte zustimmend den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Eine Dusche wäre auch angebracht.“ Er beobachtete, wie sich ihre Augenbrauen zusammenzogen und erkannte, dass es Unmut sein musste. „Du magst keine Duschen?“, riet er mit gerunzelter Stirn und ihre Mimik bewegte sich zwischen Ärger und Amüsement. „Das ist eine seltsame Kombination“, urteilte er und sie sah ihn fragend an. „Du scheinst verärgert zu sein und doch irgendwie belustigt. Oder ist das so eine Frauensache, wie Naruto letztens meinte?“ „Jeden anderen hätte ich für so einen blöden Kommentar eine gegeben“, nuschelte sie, doch dann seufzte sie resigniert, schob ihn aus dem Büro und schloss hinter sich zu. „Gute Nacht, Sai“, wünschte sie ihm und lächelte ihn müde an, er nickte ihr zu und verschwand mit einem dezenten Pfuff. Als Sai in seinem Apartment ankam und die Tür hinter ihm ins Schloss glitt, ließ er sich einfach ins Bett fallen. Seine Glieder zitterten vor Erschöpfung, sein Blick verschwamm immer mal wieder vor seinen Augen. Das war die kontinuierliche Chakrareizung. Er ignorierte seit Tagen sein Limit. In seinem Kopf trommelte ein stetiger Schmerz, ein Pochen durchwühlte seine Schläfen. Ohne einen weiteren Gedanken schloss er die Augen und entkam in eine unruhige Dunkelheit. Augen, die ihn amüsiert musterten, Augen, die ihn müde anblickten, Augen, in denen Sehnsucht stand. Gefühle, die er nicht verstand, Gefühle, die er kaum erahnen konnte. Grüne Augen. Kapitel 3: Wie Regen in Deinen Augen ------------------------------------ Krieg war nicht ruhmreich. Krieg war nicht heldenhaft. Krieg war dreckig. Und es hörte nicht mit den Schlachten auf. Die Feinde mochten besiegt sein, aber die Zerstörung, der psychische Druck, die physischen Schmerzen. Sie alle balancierten an den Grenzen ihrer Belastung entlang, ihrer mentalen Gesundheit, ihrer körperlichen Möglichkeiten. Doch irgendwie schlich sich immer auch ein Alltag mit hinein. Und wenn es nur ein Besucher war, der regelmäßig auftauchte oder ein Patient, der nicht so schnell heimkehrte. Sai sah, wie Sakura manchmal in der Nacht vor dem Zimmer stehen blieb – kurz bevor sie nach Hause ging. Dann wenn die Gänge wie ausgestorben da lagen und die Patienten schliefen. Die junge Frau mit dem roten Haar lag in dem Bett hinter der Glaswand, durch die Sakura mit ruhiger Mimik ihren Blick schweifen ließ, als suchte sie etwas. Es war unsicher, ob die Patientin aus ihrem Koma erwachen würde „Hast du es endlich gefunden?“, fragte Sai in irgendeiner der Nächte hinter ihr und schaute ihr ratlos über die Schulter. Sakura fuhr erschrocken herum und klatschte instinktiv ihre Faust in sein Gesicht. „Es tut mir leid, Sai!“, wiederholte sie zum etlichen Male irgendwie verlegen, ehe sie dann verärgert fortfuhr: „Aber was hast du dir dabei gedacht?“ Er saß auf der Liege in ihrem Büro und presste sich das Tuch unter die Nase, aus der sein Blut tropfte und erwiderte ihren forschenden Blick gleichmütig. „Ich dachte jedenfalls nicht, dass du mir meine Nase brechen würdest“, gab er schulterzuckend zurück. „Deine Nase ist nicht gebrochen“, korrigierte sie leichthin, „du hast Glück gehabt.“ „Das ist eine seltsame Art von Glück“, erwiderte er ehrlich nachdenklich und nahm wahr, wie sie ihn einen Moment lang betrachtete, wie er wohl so da saß, das sich rot verfärbende Tuch unter seine gerötete Nase haltend; und trotzdem fegte ein Lächeln über ihre Lippen. „Nur weil etwas seltsam ist, heißt es nicht, dass es schlecht ist oder schlechter als das Gewöhnliche“, erwiderte sie leise lächelnd und drückte ihm ein sauberes Tuch in die Hände. „Du hast großes Glück“, stellte er in den Raum und sie erwiderte seinen Blick fragend. „Weil du einfach nur gewöhnlich bist.“ In seinen Ohren klang es wie ein Kompliment – und als so etwas in der Art war es auch tatsächlich gemeint gewesen. Doch die Furche zwischen ihren Augenbrauen ließen ihn seine Worte überdenken. „Ich meinte nur –“ „Überstrapazier dein Glück heute nicht, Sai“, unterbrach sie ihn mahnend. Ihre Augen funkelten, das Grün darin wirkte wie leuchtende Acrylfarbe auf weißer Leinwand, „nur weil du Glück hattest bei meinem ersten Schlag.“ Er versuchte, sich die mimetischen Anzeichen einer freundschaftlich-scherzhaften Bemerkung in Erinnerung zu rufen. Allerdings – „Ironie?“, fragte er direkt und das Glitzern in ihrer Iris war keines davon. „Rate doch“, neckte ihn Sakura und genoss offensichtlich seinen ratlosen Blick. Dann schüttelte er den Kopf. „Keine Ironie“, schlussfolgerte er, „wie Naruto meinte: deine brachial-burschikose Art benötigt keine Ironie.“ „Brachial-burschikos?“, erwiderte sie mit zuckender Augenbraue. „Das hat Naruto gesagt?“ Sai zuckte mit seinen Achseln. „Es waren nicht seine Worte, aber –“ „Dem werde ich meine brachial-burschikose Art mal zeigen!“, wetterte sie über seine Worte hinweg. Sai beobachtete ihre Mimik, ihre Augen blitzten, doch in ihren Mundwinkeln zuckte ein Grinsen. Es war verwirrend. „Vielleicht bist du doch nicht gewöhnlich“, korrigierte sich Sai, „du bist dafür zu verwirrend.“ Sakura zog ihm das Tuch aus der Hand. „Ich nehme dieses Fazit einfach mal als Kompliment“, erwiderte sie und warf es in den Mülleimer. Sai widersprach nicht. „Dann sollten wir langsam gehen – es ist schon viel zu spät.“ Sie streckte sich und ihr Nacken knackte unangenehm, als sie aufstand und die Tür des Büros öffnete. „Weswegen warst du eigentlich noch hier? Warum bist du nicht zu Hause?“, fragte sie, während sie die Tür hinter sich abschloss. „Weil es keinen Unterschied macht“, erwiderte er nüchtern. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr und blickte ihn fragend an. Seite an Seite schlenderten sie den Flur entlang. „Natürlich ist es ein Unterschied“, widersprach sie, „ob du zu Hause bist oder hier; hier ist der Schlaf äußerst unbequem, aber zu Hause –“ Sie lächelte ihn von der Seite an. „Dann solltest du regelmäßiger zu Hause schlafen, Sakura. Deine Augenringe sind hässlich.“ Sie stockte, zuerst strömte Ärger durch ihr Gesicht, doch dann musste er Platz machen für Resignation. „Damit hast du leider sogar recht. Mit beidem.“ Ihr Blick verdüsterte sich. „Und heute wäre ich auch schon längst zu Hause, wenn –“ „Du mir nicht die Nase gebrochen hättest?“ „Deine Nase ist nicht gebrochen!“, widersprach sie stur. „Aber wenn du willst, zeige ich dir bei Gelegenheit mal den Unterschied.“ „Ironie?“, fragte er, doch dann schüttelte er den Kopf. „Ich will es gar nicht wissen. Jedenfalls. Ich hoffe, du findest bald, wonach du suchst, Sakura“, meinte er. „Was – ich habe nichts gesucht“, erwiderte sie verwirrt, was ihn seine Augenbrauen heben ließ. „Als du vor dieser Frau gestanden hast, da. In deinen Augen war –“ „Ich denke, da irrst du dich. Ich habe nur nochmals nachgesehen, ob alles okay ist – das mache ich jede Nacht, bevor ich nach Hause gehe.“ „Gehst du jede Nacht nach Hause?“ „Nein.“ „Warum nicht?“ „Weil es kaum einen Unterschied macht“, antwortete sie verschmitzt. „In deinem Gesicht auf jeden Fall“, erwiderte er ernst und erkannte nicht ihre Anspielung, fuhr sich dafür gleich einen Schlag in den Nacken ein – einen außergewöhnlich sanften – für Sakuras Verhältnisse. „Nicht, dass ich dir noch aus Versehen das Genick breche“, erklärte sie ihm und er fragte sich, woher sie wusste, dass er sich fragte, was er sich eben fragte. Oder ob sie es wusste oder ob sie es nur erriet oder ob es ihre weibliche Intuition war oder weibliche Hormone. Naruto meinte meistens, dass es die Hormone waren. Irgendwie waren es bei ihm immer die Hormone. „Sakura“, hob er seine Stimme, „hast du deine Periode?“ Schon als sie sich wie in Zeitlupe zu ihm wandte, ahnte er, dass sie diese Frage nicht erwartet hatte und er zweifelte in demselben Moment an der ganzen Hormon- und-oder Intuitionssache. In ihren Augen blitzte es, wie ein Gewitter, das sich über einem Wald entlud. Ein Sommerwaldgewitter. „Will ich wirklich wissen, warum du das wissen willst?“, fragte sie betont ruhig und er runzelte die Stirn. Ihre Mimik und Gestik, ihr Blick und ihre Stimme. Es war so konträr, es machte keinen Sinn, es widersprach sich in sich selbst. „Bist du wütend?“, fragte er distanziert und sie schnaubte. Bestimmt schob sie ihn durch die Haupttür des Krankenhauses und verschloss sie hinter sich. „Nein, Sai, ich bin einfach nur müde. Du nicht?“ Nachdenklich zuckte er die Schultern. Er wusste es nicht. Es war nicht oft, dass er wusste, was in ihm vorging. Müdigkeit konnte leicht übergangen werden, genauso wie Freude oder Trauer. Wer wusste schon, was sie wirklich bedeuteten? Gefühle, die verräterisch waren auf einer jeden Mission. Gefühlskälte, Kalkül, Nüchternheit, Distanz. Das waren Zustände, mit denen er Zeit seines Lebens aufgewachsen war, damit konnte er umgehen. Sein Blick traf auf den Sakuras. Ihre Augen waren voller Gefühl und Wärme, Nähe und Lebendigkeit, voller Ehrlichkeit und einem Hauch Naivität, der sich in ihrem Alter in feinem Idealismus offenbarte. „Gute Nacht, Sai“, wünschte sie ihm mit einem müden, aber ehrlichen Lächeln. Er nickte ihr zu und verschwand mit einem leisen Pfof. Die Nebelwolke, die er hinterließ, verwischte in einem Windzug. Er hatte nie verstanden, warum ihn manche Ninja um seine Gefühlskälte beneideten. Für ihn war es Teil seiner Ausbildung gewesen, ein gewaltsamer Eingriff in seine Natur, seinen Charakter, ein Kampf ums Überleben. Manchmal fragte er sich, wie er heute wäre, wäre es anders gekommen. Aber er konnte es sich nicht vorstellen. Er war, wie er war. Und mit Fakten konnte er umgehen, mit vagen Möglichkeiten, das fiel ihm schwer. Sakuras Stimme zwang ihn wieder sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. „Kannst du bitte die neu ankommende Medizin in den zweiten Stock bringen und dann –“ Doch sie wurde mitten in der Anweisung unterbrochen. Sai schaute gleichzeitig mit Sakura auf, als eine Krankenschwester ohne anzuklopfen durch die Bürotür polterte und keuchend verkündete: „Sie ist aufgewacht, Sakura-san!“ Ohne ihm noch einen Blick zu zollen, stand Sakura auf, zog ihren Kittel über und folgte der Krankenschwester. Sai befolgte ihre Anweisungen. Mit wenigen Pinselstrichen zog er einen Vogel aus dem Pergament und ließ die neu eingetroffenen Medikamente in den zweiten Stock transportieren. Dort erwartete ihn bereits eine Krankenschwester. „Endlich. Die Medikamente sind spät dran“, begrüßte sie ihn. Es war später Abend und er auf dem Weg zu Sakuras Büro. Er musste noch kurz die Medikamentenlieferung für den nächsten Tag besprechen, als er beobachtete, wie Naruto hartnäckig auf Sakura einredete. Stur schritt sie den Gang entlang, offenbar auf dem Weg in ihr Büro, den weißen Kittel zog sie sich ihm Gehen aus. Dann betrat sie das Zimmer und ließ die Tür hinter sich zu donnern. Sai blickte den beiden nach. Seine Mimik blank, aber seine Gedanken von Verwunderung durchdrungen. In Narutos Miene hingegen standen seine Gefühle und Gedanken wie in einem offenen Buch. Er schaute einen Moment perplex, als er auf die geschlossene Tür blickte, die ihm vor der Nase zugeschlagen worden war, doch dann zog er sie ohne zu klopfen auf und rauschte in den Raum, ohne die Tür zu schließen. Sai blieb instinktiv im Gang stehen. „Bitte, Sakura, du weißt doch gar nicht, ob –“ „Und es geht mich auch nichts an“, schnitt sie ihm das Wort ab, „ebenso wenig wie es dich etwas angeht, ob –“ „Sakura, sie ist nur eine alte Teamkameradin, vielleicht –“ Sie schaute ihn lange an, schweigend, in ihrem Gesicht zuckte eine Emotion, die Sai nicht wiedererkannte. „Genau, Naruto“, seufzte sie. „Und doch war er jeden Tag hier – kurz, aber er war da. Er war da, als sie aufwachte und er hielt ihre Hand, als sie nach ihm fragte. Uchiha Sasuke hielt ihre Hand. Verstehst du?“ „Aber –“, widersprach er und sie seufzte. „Aber es ist okay, Naruto. Bitte schau mich nicht so an, Idiot.“ „Sasuke und dieses Mädchen“, überlegte Naruto laut. „Karin“, fügte sie ein und Naruto wischte es mit einer Geste beiseite. „Wie auch immer – vertraust du ihr? Glaubst du nicht, dass sie in Wirklichkeit ihm irgendwie schaden will und –“ Sakura legte eine Hand auf Narutos Schulter, er verstummte und sah sie mit großen, fragenden Augen an, ein schwaches Lächeln hing in ihren Mundwinkeln. „Sie wäre fast für ihn gestorben“, erinnerte sie ihn. „Ich denke, wenn sie ihm hätte schaden wollen, wäre sie ihm nicht bis hierher gefolgt, sondern hätte es bereits früher.“ Naruto atmete tief durch. „Und jetzt geh endlich nach Hause, Hohlkopf, ich muss noch schnell etwas erledigen“, ordnete sie an, ehe er noch etwas hätte in den Raum werfen können. Naruto blähte die Wangen und es schien als wollte er ihr einen Moment widersprechen, doch dann senkten sich seine Schultern und er sagte nur: „Sie hat eine verdammt hässliche Nase, echt jetzt!“ Sakuras Mundwinkel zuckten, doch sie warf ihm einen mahnenden Blick zu. Mit einem übertriebenen Grinsen wandte sich Naruto um und ging. „Wie auch immer, Sakura-chan. Wenn was ist –“ „Schon klar, Idiot. Geh jetzt!“ Vielleicht war es Narutos Präsenz gewesen, die den Raum zuvor erfüllt hatte, vielleicht war es einfach seine Freundschaft oder sein Lächeln oder das Funkeln in seinen Augen, das Sakura nicht hatte ertrinken lassen in der plötzlichen Stille. Aber nachdem er gegangen war, erfüllte eine drückende Leere das Zimmer. Sai stand im Gang, die Tür geöffnet, nur angelehnt hätte er ohne ein Problem eintreten können. Aber er tat es nicht. Es war, als trennte ihn etwas von Sakura. Eine unsichtbare Barriere. Ein Gedanke. Ein Gefühl. Sie sah auf. Ihm direkt in die Augen. Leere stand darin. Und er verstand, dass nicht nur er sich fragte, wie es heute wäre, wäre es anders gekommen. Und er fragte sich, ob sie es sich vorstellen konnte. Wenn sie ihn heute ansah, dann trübte ein grauer Schleier ihren Blick. Ihre Augen erinnerten dann nur matt an ihren sonstigen Glanz. Ihr Grün ähnelte dem vertrockneten Laubes, das grünbraun verfärbt auf nassen Straßen lag. Wie Regen, der durch ihre Augen rauschte. Kapitel 4: Wie Mondlicht in Deinen Augen ---------------------------------------- Es war dunkel und trotzdem noch immer warm. In dem Zimmer staute sich die Hitze des Tages, die sich nur träge in der Nacht verflüchtigte. Schon wieder legte sie ein Dokument zur Seite und beschriftete das nächste. Der Stapel jedoch schrumpfte nur zäh. Müde rieb sie sich die Augen. Er wusste, dass sie wusste, dass er da war, doch noch hatte keiner die Stille durchbrochen – nur das stetige Kratzen des Füllfederhalters auf dem Papier. Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken – immer. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie er eine Mission erfolgreich abzuschließen plante. Es waren nüchterne Gedanken, die stets einer Intention folgten. Doch zumeist war die Intention eine ihm aufgetragene. Seltenst ging er einer eigenen Intention nach. Vielleicht wusste er deswegen nicht, welcher Intention seine Gedanken momentan folgten. Jetzt gerade fragte er sich, warum sie nicht nach Hause ging – denn ihre Augenringe sprachen Bände. Er war sich auch nicht im Klaren darüber, warum sie sich offenbar in der Arbeit zu ertränken gedachte, denn die Stapel Dokumente um sie herum wuchsen jeden Tag, obwohl sie Überstunde um Überstunde in ihrem kleinen Büro verbrachte. Er wusste auch nicht, warum er ihr von allen Fragen, die durch seine Gedankenbahnen strömten, ausgerechnet diese Frage stellte. „Sakura, geht es dir gut?“ Er wusste es wirklich nicht. Sie arbeitete so energisch wie immer, ihre Anweisungen waren präzise, ihr Vorgehen professionell. An ihrer Arbeitsweise hatte sich nichts geändert. Ihre Stimme klang kräftig und ihre Anordnungen waren klar wie immer. Trotzdem konnte sie ihren erschöpften Zustand nicht völlig verhüllen. Und in ihren Augen hing etwas, das ihn die Frage stellen ließ. Sai stand in der Tür zu ihrem Büro, konnte weder einen Schritt vor noch zurück machen. In ihrer Gestik lag Abweisung. Sie wollte nicht, dass er hier war, das glaubte er zu erkennen. Vielleicht drang er in ihre Privatsphäre ein – das ganze Konzept war für ihn bis heute schwer zu verstehen und hoch komplex. So erwarteten Menschen von Fremden andere Verhaltensmuster als von Freunden und selbst unter Freunden gab es Abstufungen. Es war unübersichtlich für ihn. Und er wusste nicht einmal, was für ein Freund er für Sakura war – oder ob er ihm Moment einfach nur ein Kollege war. Vielleicht war er auch nur tagsüber ein Kollege und abends ein Freund. Aber ab wann? Und inwiefern war es sein Recht oder seine Pflicht als Kollege und ab späterer Uhrzeit als Freund nach ihrem Befinden zu fragen. Oder war das ihre Privatsache? Vielleicht blickte sie ihn deswegen gerade so verstört an. Doch in ihren Augen – „Ja, gut. Was soll die Frage, Sai? Geh nach Hause. Es ist spät“, erwiderte sie geradezu harsch, doch das kümmerte ihn nicht. Weil es in seinen Ohren nicht wirklich harsch klang, sondern erschöpft. „Wirst du nach Hause gehen?“ Ihr Blick schnellte nach oben und erfasste ihn. „Wenn ich alles hier erledigt habe“, murmelte sie. Sein Blick schweifte über ihren Schreibtisch, überfüllt von Papierrollen und Dokumenten, Stapel, die sich aus Platzmangel auf dem Besucherstuhl und daneben türmten. „Weißt du, warum man bei der ANBU taktisch immer zehn Minuten bis zu einer halben Stunde pausiert vor dem finalen Zugriff bei Attentaten?“, entgegnete er nüchtern. Ihr Blick lag wieder auf dem Papier vor ihr, sie zuckte wie nebenbei die Schultern und murrte: „Ich wäre schneller fertig, wenn du nach Hause gehen würdest.“ „Diese Pause ist für die Regeneration. Die Konzentration, den Chakrahaushalt, die emotionale Kontrolle. Einige Momente, in denen man seinen Geist von aller Emotion leert, Vergangenheit und Zukunft ausblendet und alles in die Gegenwart legt. Diese konzentrierte Kraft ermöglicht den Erfolg solcher Missionen.“ „Sai“, seufzte sie, „ich weiß doch. Ich sollte schlafen gehen und mich ausruhen. Danach könnte ich die Arbeit wieder effizienter erledigen, aber –“ „Nein“, widersprach Sai bedacht. „Diese Pause bedeutet mehr als nur Schlaf oder Ruhe. Es bedeutet vor allem Akzeptanz. Loszulassen.“ „Was –“ „In deinen Augen – ich habe es oft gesehen. Da ist etwas, wie es oft bei neuen ANBU nach einem Attentat vorkommt.“ „Was meinst du, Sai? Was gesehen?“ Er zuckte die Schultern und lächelte sie unpassend höflich an. „Ich weiß nicht, was es ist. Ich habe es oft gesehen, aber nie selbst gefühlt.“ Leichtfüßig wandte er sich um. „Gute Nacht, Sakura“, wünschte er ihr. „Geh bald schlafen. Dein Gesicht ist nicht mehr schön.“ Er spürte ihren Blick in seinem Rücken und stellte sich vor, wie sie zornig die Wangen blähte und ihm höchst eloquent einige Beleidigungen an den Kopf warf, nur um dann mit einer gepfefferten Kopfnuss nachzulegen – aber es kam nichts. Ohne eine einzige Beleidigung, ohne eine Backpfeife oder auch nur einen Hauch von Gegenwehr ihrerseits verschwand Sai in der Stille der Nacht und fragte sich, warum sie nun so hässlich aussah, wenn es ihr doch gut ging. Er lag in seinem Bett. Wärme kribbelte über seine Haut und ließ ihn von der einen Seite auf die andere drehen. Er verabscheute warme Nächte, solche, in denen man trotz Erschöpfung nicht einschlafen konnte. So eine Nacht wie heute. Dann horchte er auf. Instinktiv zog er das Kunai unter seinem Bettkissen hervor und lauschte. Da war etwas vor seiner Tür, jetzt seinem Fenster. Er stieg aus dem Bett, drückte sich die Wand entlang, das Kunai in der Hand und zog seine Augen zusammen. Draußen schien der bleiche Mond und erhellte doch nur alles schemenhaft hinter dem Vorhang. Vorsichtig lugte er heraus und öffnete das Fenster, als er den Schatten erblickte. Mit dem Kunai genau zwischen die Augen gezielt stand er plötzlich vor – „Sakura? Was machst du hier?“ Sein Atem verlangsamte sich wieder, sein Herzschlag beruhigte sich in seiner Brust. Das Adrenalin seufzte in seinen Adern. Sakura beäugte das Kunai, das zwischen ihre Augen zielte, nicht annähernd beunruhigt genug nach seinem Geschmack, doch er ließ es sinken und schaute sie mit gehobenen Augenbrauen an. „Ich kann nicht schlafen“, erklärte sie knapp und fummelte an ihrem T-Shirt-Saum herum, als wäre sie verlegen den Umstand zuzugeben. „Warum?“, hakte Sai trotzdem nach und beobachtete sie aufmerksam – in der wilden Hoffnung etwas in ihrer Mimik zu erkennen. Doch er erkannte nichts, das ihm eine Erklärung liefern wollte, warum Sakura mitten in einer warmen Juli-Nacht auf seinem Balkon stand mit tiefen Augenringen und geröteten Lidern. „Der Krieg –“, hob sie ihre Stimme, doch der Satz verlor sich irgendwo in ihren Gedanken. Sie schaute hinweg, als sah sie nicht nur die Dächer Konohas, sondern etwas anderes. „Er ist vorbei“, sprach ihr Sai zu und folgte ihrem Blick. Er sah nur Dächer in der Nacht. Schwarzgraue Dächer, einige vom blassen Mondlicht berührt und in silberweißem Licht gemalt. Sakura seufzte. „Aber nicht in meinem Kopf. Nachts – sie schreien und ich sehe überall Blut. Die ganzen Menschen, die ich nicht retten konnte und –“ „Es ist normal, dass in einem Krieg Menschen sterben – vor allem in einem solch großen Krieg, Sakura. Es ist –“ „Nicht meine Schuld!“, schleuderte sie ihm entgegen. Ärger brannte in ihrem Blick. „Ich weiß! Was denkst du, wie oft ich es mir gesagt habe. Wie oft Naruto es mir gesagt hat oder Kakashi-sensei? Jeder sieht mich nur mit diesem Blick an, als wäre ich vollkommen verblödet oder naiv oder alles zusammen. Ich weiß das alles! Aber es kommt nicht hier an.“ Sie legte ihre Hand über ihre rechte Brustseite. „Jede Nacht liege ich wach und frage mich, wie viele Kinder gestorben sind. Nur weil ein paar Verrückte mehr Macht hatten, als gut gewesen wäre, und noch mehr Macht wollten. Wie kannst du nur schlafen, Sai? Wie schaffst du das?“ Über Sais Lippen wandelte ein leises Lächeln. „Ich kann nur schlafen, weil ein paar Verrückte mehr Macht hatten, als gut gewesen wäre und noch mehr Macht haben wollten. Ich bin kaputt, Sakura. Sie haben mich zu einem Werkzeug gemacht und dabei habe ich das verloren, was dich nachts wachhält.“ „Was?“ „Ein Gewissen. Empathie. Idealismus.“ „Ich wünschte manchmal –“ „Nein, sag es nicht. Glaub mir. Du würdest es dir nicht wünschen, wüsstest du – nein. Es würde dich zerstören.“ „Aber. Warum tut es so weh? Immer wieder. Immer. Mehr und mehr“, fragte sie und er hörte etwas Unangenehmes in ihrer Stimme. Vielleicht war es Verzweiflung. Es klang jedenfalls nach Schmerz. „Wo tut es dir weh?“, erwiderte Sai und ließ seinen Blick nüchtern über ihren Körper streifen, suchte eine Wunde, eine Blessur. Doch er fand nichts. Dann bemerkte er ihren Blick. Sakura lächelte traurig. „Hier“, meinte sie und legte ihre Hand dorthin, wo wohl ihr Herz sein musste. Er erwiderte ihren Blick ratlos. Seine Mimik blank. Doch sie schien zu wissen, dass er ahnungslos war. „Irgendwie beneide ich dich darum, dass du es nicht weißt.“ Ihre Augen schimmerten in diesem trüben Grün, das er nicht mochte. Es war ein schmutziger Farbton, als hätte jemand hässliches Grau untergemischt. Er empfand ihre Augenfarbe als viel angenehmer, wenn sie lachte und dieses Lachen sich in ihrem Blick widerspiegelte. Dann leuchteten sie. Und das Grün war ein satter, strahlender Ton.   „Was weiß ich nicht?“, hakte er nüchtern nach, doch sie winkte nur ab. Der Farbton in ihren Augen ließ ihn nicht los. „Erkläre es mir, Sakura“, beharrte er und ihr Blick erfasste ihn, als sie aufsah, wie sie so da stand ihre Beine angewinkelt, die Arme auf der Balkonbrüstung. Langsam wandte sie sich zu ihm, bis sie vor ihm stand, näherte sich soweit, dass ihr Gesicht seinem ganz nahe war. „Manche Dinge kann man nicht erklären, Sai. Man muss sie fühlen. Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Gute Nacht.“ Damit strich sie ihm mit ihrem Handrücken über die Wange und ging. Er sah ihr lange nach. Sogar noch dann, als sie längst hinter einigen Häusern die Straße runter verschwunden war. Er verabscheute diese Nächte, in denen er nicht schlafen konnte, weil es zu warm war und er verabscheute diese Gespräche in warmen Nächten, nach denen er das Gefühl hatte, die Hälfte nicht verstanden und ein gutes Viertel nicht mitbekommen zu haben. Seufzend legte er das Kunai zurück unter sein Bettkissen und starrte noch zähe Augenblicke an die Decke, ehe er endlich einschlief. Mondlicht, das in silbergrünen Augen tanzte. Augen voller Trauer und Zweifel und Schmerz. Augen voller Empathie, Gefühl und Idealismus. Kapitel 5: Wie Sternenlicht in Deinen Augen ------------------------------------------- Wenn er im Krankenhaus arbeitete sah er sie immer wieder. Diese Augen voller Trauer und Zweifel und Schmerz. Immer wenn Sasuke dort auftauchte oder wenn nur sein Name erwähnt wurde. Sakura glaubte vielleicht, dass es niemand sah oder besser – dass er es zwar sah, aber nicht verstand. Und damit lag sie sogar richtig. Er sah es, aber er begriff es nicht. Es schien, dass sie etwas suchte, ohne zu wissen, was und etwas verloren hatte, ohne es je besessen zu haben. Und dann waren da ihre Augen voller Empathie, Gefühl und Idealismus. Pure Kraft, die ihm bestätigte, dass nichts Sakura in die Knie zwingen konnte, weil sie – ja, warum? – vielleicht weil sie eben doch weiter suchte. Naruto und sie stritten ab und zu – er bekam es mit, weil sie dann stets laut wurden und sich Beschimpfungen an den Kopf warfen. Aber er machte sich nicht viel daraus, denn meistens endeten die Auseinandersetzungen mit einer Kopfnuss für Naruto und wehleidigem Murmeln – und wenige Stunden später lachten die beiden wieder gemeinsam. Laute Gespräche waren meistens nicht die komplexen, das hatte er schnell gelernt. Komplex wurde es erst, wenn Sakura schwieg. Und das tat sie zunehmend oft – besonders wenn es dunkel wurde. Seit einem halben Jahr schaute sie regelmäßig bei ihm zu Hause vorbei – seit dieser Nacht damals. Erst hatte sie ihn wochenlang, wo es ging, ignoriert, dann war sie eines nachts wieder zu ihm gekommen. Sie hatten geredet – einfach so. Und er hatte nicht einmal verstanden, warum. Dann war sie regelmäßig alle paar Tage abends bei ihm gewesen, irgendwann hatte sie sich auf sein Sofa gesetzt und ihm mit einer Handgeste bedeutet, es ihr gleich zu tun. „Glaubst du, dass es irgendwann besser wird?“, hatte sie gefragt und ihn nicht angesehen. Ihr Blick hatte auf etwas gelegen, das er nicht hatte sehen können. Irgendwo draußen, vor seinem Fenster. Vielleicht hatte sie sich auch nur an etwas erinnert. Er neben ihr, weit genug, um sie nicht zu berühren, nah genug, um ihre Präsenz auf seiner Haut prickeln zu spüren. Nein. Er glaubte nicht daran, dass es besser werden würde. Vielleicht würde es nicht schlimmer werden. Aber meistens war das Leben monoton und ohne große Änderungen. „Was meinst du?“, hatte er trotzdem nachgehakt und war sich sicher gewesen, nicht für so ein Gespräch qualifiziert zu sein. „Unser Team. Oder –“ Ein ironisches Lächeln zupfte an ihren Lippen. „Eigentlich sind wir ja nicht einmal das. Genau deswegen. Darum geht es. Alles – es bricht auseinander.“ „Ein Team geht immer früher oder später auseinander“, hatte er nüchtern erwidert. Schon oft hatte er in Teams gearbeitet. Teams waren temporäre Zusammenschlüsse, Zweckgemeinschaften. Eine Zusammenarbeit, die nach erfolgreichem Abschluss der Mission wieder aufgelöst wurde. Das war der Gang der Dinge. Doch ihr Kopfschütteln war stur gewesen und ihr Schweigen erst. „Warum bist du zu mir gekommen?“, hatte er leise gefragt und gewusst, dass man in diesem Schweigen nur falsche Fragen stellen konnte – doch er tat es trotzdem. Wie immer. „Warum nicht?“ Er konnte sich nicht gut in Menschen hineinversetzen – aber das hieß keineswegs, dass er dumm war. Mit einem vielsagenden Blick hatte er ihr genau das eröffnet. Sie hatte verlegen auf ihre Hände gestarrt, die sie ineinander verdrehte. „Naruto würde mich trösten – aber das kann ich momentan nicht ertragen. Ino würde Rachepläne schmieden – aber dafür habe ich keine Kraft. Und alle anderen geht es nichts an. Ich bin nicht mehr das kleine, schwache Mädchen von vor acht Jahren, Sai.“ Er verstand es nicht, begriff nicht, was letzteres mit ersterem zu tun hatte, aber er akzeptierte es. „Warum ich?“ „Weil – ich weiß nicht.“ Und damit hatte sie sich gegen ihn gelehnt. Instinktiv versteifte er sich. Körperkontakt hieß, dass ihm der Feind so nahe gekommen war, um ihm lebensbedrohlichen Schaden anzutun. Dass seine Verteidigung Lücken aufgewiesen hatte, die er nun mit dem Leben bezahlen konnte. „Sai, alles okay? Entschuldige, ich wollte nicht –“ Er blickte sie schweigsam an. „Niemand darf mir nahe kommen, Sakura. Nähe bedeutet, dass der Gegner einen verletzt.“ „Aber –“ Erschrecken zeichnete sich durch das Grün ihrer Iris. „Ich – siehst du mich als Gegner? Ich würde doch nicht –“ Sai schüttelte seinen Kopf, seine Lippen – so glaubte er – zu einem beruhigenden Lächeln verzogen. „Rational gesehen weiß ich, dass du kein Feind bist. Es sind die Instinkte. Unser natürliches Misstrauen wurde gezielt trainiert, um jeglichen potenziellen Gegner keine Gelegenheit zu bieten, uns zu verletzen.“ „Dann bin ich ein potenzieller Feind?“, hakte sie nach und Verwunderung verschwamm mit Verärgerung. „Natürlich. Jeder Mitmensch ist ein potenzieller Feind“, erläuterte Sai ohne zu zögern. „Aber – wir sind doch Freunde“, widersprach Sakura. „Auch Sasuke ist euer Freund gewesen und trotzdem musstet ihr etliche Kämpfe als Gegner bestreiten“, führte Sai an. „Das ist etwas anderes gewesen. Sasuke ist – Sasuke war – es war etwas Anderes“, beharrte sie. „Nähe bedeutet Verletzungen“, erklärte Sai, „das ist einfach in meinem Körper drin. Es tut mir leid. Aber ich werde mir Mühe geben.“ „Womit? Mir nicht gleich eine mit dem Kunai überzubraten, wenn ich dich berühre?“, fragte sie scherzhaft. „Ja, das auch“, erwiderte er ernst und ihr Grinsen erstarb auf ihren Lippen. „Aber ich hab eigentlich gemeint, dass ich mir Mühe gebe, dich in meiner Nähe zu dulden, wenn es dir hilft.“ „Was? Wobei?“ „Du hast es anscheinend genossen, oder? Oder habe ich es falsch –“ „Nein, du hast recht. Ich habe es genossen. Ich wusste nicht, dass es für dich –“ „Ich wurde nicht dabei verletzt“, erwiderte Sai und lächelte sie an. Es erreichte nicht seine Augen, aber das war nicht wichtig. Er wollte nur, dass Sakura verstand und er sah in ihrem Blick, das sie es tat. Und so waren so verblieben – ohne dass es einer irgendwie festgelegt hätte. Jetzt war es Routine. Und er fragte nicht, warum oder welche Intention sie hatte, wenn sie wie üblich plötzlich vor seinem Fenster stand auf dem Balkon und gegen die Scheibe klopfte. So wie jetzt gerade. Und er spürte auch nicht seiner eigenen Intention nach, wenn er ihr öffnete. So wie jetzt gerade. Es war bereits dunkel – natürlich. Sakura riss sich immer erst vom Krankenhaus los, wenn es bereits dunkel war. Diese Nacht war ein wunderbar klarer Himmel über ihnen. Sterne glitzerten in der kühlen Februarnacht. Sai zog das Fenster wie nebenbei auf – und wortwörtlich mit links, während er mit seiner Rechten den Pinsel führte. Auf der Leinwand zog sich ein weiterer schwarzer Strich über die Mitte, der sich mit dem Ende eines anderen überkreuzte. Die Flosse des Delfins auf dessen Rücken bildete den Abschluss der Abbildung. Kritisch betrachtete er die Proportionen und spürte wie sich Sakura hinter ihm auf die Fußspitzen stellte, um ihm über die Schulter zu blinzeln. „Warum sind deine ganzen Bilder eigentlich schwarz-weiß? Die Farben sind so – langweilig“, stellte Sakura fest und er glaubte etwas Neckendes in ihren Augen wahrzunehmen. „Schwarz und Weiß sind keine Farben“, erwiderte er bloß ohne sich ihr zuzuwenden und brachte sie dazu, leise zu schnauben. Sie lehnte sich langsam zurück und verschränkte ihre Arme im Nacken. „Mit Farben habe ich schon lange nicht mehr gemalt“, fügte er dann hinzu, weil er gelernt hatte, dass Korrekturen nicht zu einem gelungenen Smalltalk beitrugen – zumindest nahm es ihm Naruto oft übel. Irgendetwas stimmte nicht. Vielleicht hatte er die Flosse zu weit oben angesetzt. „Warum?“, hörte er sie neugierig fragen und seine Gedanken fragten sich einen Moment dasselbe, ehe er sich gewahr wurde, dass sie nicht die Flosse gemeint hatte. „Im Kampf braucht es keine Farben, da kommt es auf die Schnelligkeit an.“ Sie schwieg und ließ sich umständlich aufs Sofa fallen. „Und wenn du es tust“, meinte sie, „welche Farben verwendest du dann?“ „Bunte – also kein Schwarz oder Weiß“, erwiderte er trocken und sie wollte bereits genervt nörgeln, als er in ihren Augen erkannte, dass sie verstand, dass es ein Scherz hatte sein sollen – und er sah sogar ein leises Grinsen. „Also – was ist deine Lieblingsfarbe, Sai?“, ließ sie nicht locker und sah sich um. Sein Wohnzimmer war voller Leinwände und Papierrollen, alle bereits voller Malereien und Skizzen. Durchweg schwarz-weiß. Er wusste nicht, was sie zu entdecken versuchte – es waren nur Übungen. Ebenso wenig verstand er, was sie sich von ihrer Frage erhoffte. „Ich weiß es nicht“, antwortete er aufrichtig, drehte sich ihr einen Moment lang zu und lächelte sie höflich an. „Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Was ist deine Lieblingsfarbe, Sakura?“ Smalltalk basierte auf Frage-Antwort-Rückfrage. „Nicht schwarz-weiß“, entgegnete sie und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Mund aus. So eines, das sie wie ein freches Mädchen wirken ließ, übermütig, jung und frei. Unbesorgt. Er mochte es, denn es breitete sich bis in ihre Augen aus und ließ sie funkeln. Er stockte einen Moment, fuhr herum und sah aus dem Fenster in den Himmel, dann schritt er unverwandt auf sie zu und musterte ihre Augen aus der Nähe. So nah, dass er ihre Wimpern sah, einzelne, dicke Härchen. Sein Gesicht direkt vor ihrem. Helle Härchen, die ihre Augen umrahmten. „Sai?“, fragte sie unsicher. Ihr warmer Atem strich über seine Wange. „Erstaunlich“, zog er nüchtern sein Fazit und machte einen Schritt zurück. „Wenn du so lachst, dann glitzern deine Augen ganz seltsam.“ Ihre Nase kräuselte sich. „Was meinst du?“, forderte sie zu wissen und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. „In deinen Augen – wie –“ Er suchte offensichtlich nach einer passenden Beschreibung und konnte sich nicht erwehren, aber es war die passendste. „Wie Sterne in deinen Augen, wenn du so lachst.“ Kapitel 6: Wie Sterne und Mond in Deinen Augen ---------------------------------------------- Sakura räusperte sich. „So ein Quatsch“, lachte sie und stand vom Sofa auf. „Ich muss gehen. Es ist schon spät und ich muss morgen früh raus. Die nächsten Tage wird endlich Karin entlassen und Sasuke wird sicherlich –“ Sie unterbrach sich und zuckte die Schultern. „Wie auch immer.“ „Was wird er?“, fragte er ruhig. Ihr Blick wich dem seinigen aus und er fragte sich, warum. „Er wird sie sicherlich abholen und allerlei Arbeit machen. Mit Sasuke hat man nichts als Arbeit und Mühen und Ärger.“ „Warum liebst du ihn dann trotzdem?“, fragte er sie, weil er es sich schon lange fragte und in ihren Augen keine Antwort stand. Sie erstarrte und sah hoch, an ihm vorbei und lachte hohl auf. „Sai, das hast du eindeutig falsch verstanden. Früher da war er mal wichtig für mich – immerhin waren wir in einem Team und – alles. Aber ich liebe ihn nicht.“ Sie redete sich ein, dass es nur noch eine Pflicht war, sich Gedanken um ihn zu machen, weil sie einmal Freunde gewesen und immer noch waren – irgendwie. Wie eine Erinnerung. Mehr nicht. Und Sai sah in ihren Augen, dass sie es hartnäckig versuchte zu glauben. Es war als belog sie sich selbst. Und in ihrem Blick lag plötzlich etwas, das er noch nie zuvor gesehen hatte. „Was war das?“, fragte er aufmerksam. „Was?“, erwiderte sie unsicher. „Das Gefühl. In deinen Augen. Da war etwas, das ich vorher noch nie gesehen habe.“ Er näherte sich ihr und schaute sie intensiv an. „Oder war es Trauer? Zorn? Nein. Schmerz?“ Sie wich einen Schritt zurück, als scheute sie, er könnte die Wahrheit in ihren Augen lesen. Er fragte sich nur, welche. „Mh. Die Gefühle erkenne ich – meistens. Es war etwas anderes. Oder?“ Sie schritt zügig zur Balkontür und öffnete es abrupt. „Ich weiß nicht, wovon du redest, Sai“, fuhr sie ihn an und wandte sich hastig zum Gehen. „Gute Nacht.“ Mit einem kräftigen Stoß sprang sie hinab auf das Vordach und verschwand dann in der Dunkelheit. Sai seufzte. Er kannte sich nicht gut aus mit Gefühlen und Freunden und Liebe und all den komplexen Dingen, bei denen er noch immer das Gefühl hatte gegen versperrte Türen zu rennen. Aber er wusste, wann ihn jemand belog. Die Nächte waren lang ohne Sakura. Und zum ersten Mal in seinem Leben, spürte er die Einsamkeit. So also fühlte es sich an, wenn man wusste, wie etwas sein könnte, aber die Alternative sich plötzlich verschlossen hatte. Sakuras Besuche waren mit ihrem letzten Gespräch versiegt und er ahnte, dass es seine Schuld war. Wahrscheinlich hatte er wieder einmal etwas gesagt, das man nicht sagte, sondern nur dachte, obwohl es jeder wusste – oder vielleicht gerade deswegen. Jetzt waren sie wieder nur Arbeitskollegen und Sakura sprach mit ihm wie mit jedem anderen. Er hatte wirklich keine Idee, warum ihm diese Erkenntnis eine heiße Welle in seine Adern schickte – wie ein Sturm, der sich mit glühender Lava vermischte und – „Ah, hier bist du, echt jetzt!“ Sai sah auf von seinen Papierrollen, den Pinsel verkrampft in der Hand und hielt mitten in der Bewegung inne. Naruto funkelte ihn an, klopfte ihm gönnerisch auf die Schulter und lehnte sich neben ihm an einen Baum. „Ich hab dich gesucht – was machst du hier?“ „Ich male.“ Naruto lachte fröhlich auf. „Das seh ich auch. Achso, die sind sicherlich für die Arbeit im Krankenhaus, nicht? Sakura hat jedenfalls so irgendwas erzählt. Oder?“ „Weswegen hast du mich gesucht, Naruto?“, entgegnete er ohne ein Blinzeln und Naruto kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Jaaaah, also“, begann er gedehnt und runzelte die Stirn. „Ich wollte nur – also – weißt du.“ Er seufzte. „Ich bin da echt nicht gut drin, aber – ich weiß, dass es Sakura ziemlich – naja – scheiße geht. Vor allem, wenn Sasuke sich einmischt. Ich hab ihr gesagt, sie soll Karin doch von jemand anderem behandeln lassen – von Oma Tsunade oder so – aber nein. Die ist so stur – Sakura mein ich. Lieber quält sie sich mit der blöden Tusse und Sasuke –“ „Streitet ihr euch deswegen?“, hakte Sai unverhohlen nach und Naruto stockte einen Moment, ehe er nickte. „Ich denk, sie glaubt, etwas beweisen zu müssen. Dass ihr die ganze Sache nichts ausmacht, aber gerade ihr! Ich mein, jeder weiß doch –“ „Welche Sache?“, unterbrach er Naruto direkt und der sah ihn forschend an. „Naja, Karin ist – nein, sie war schwanger. Aber sie hat das Kind verloren, nachdem sie doch da angegriffen worden war von ein paar Zetsus, die sich im Wald –“ „Was hat Sasuke damit zu tun?“, fragte Sai die Frage, die endlich das letzte Puzzleteil in das Bild einfügen solle. „Naja, Sasuke ist – nein, war der Vater.“ Sai wusste nicht, ob sich damit das Puzzle vollendete oder ein neues entstand, dessen Bild er noch nicht erkennen konnte. Aber er wusste, dass es mit allem irgendwie zusammenhing. Dass es zwischen Sakuras Blicken gehangen hatte und in ihren Augen. „Und warum hast du mich gesucht, Naruto?“, flüsterte er, spürte, wie ihm die schwarze Tinte die Finger entlangwanderte. „Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll – ich hab das Gefühl –“ Naruto schüttelte den Kopf und führte seinen Satz nicht zu Ende. „Sai, ich weiß nicht, warum oder - was das zwischen euch ist, aber sie hat die letzten Wochen – oder Monate? – so oft von dir erzählt. Sai macht, Sai sagt, das muss ich aber Sai erzählen – blablabla. Echt jetzt. Schon fast nervig. Aber sie hat dabei gelächelt.“ Sai verstand nicht. Er wusste noch immer nicht, warum Naruto ausgerechnet zu ihm gekommen war und ihm das Ganze erzählte. Vielleicht sah er ihn genauso an, jedenfalls stöhnte Naruto entnervt auf. „Ich bin da echt nicht der richtige Mann für“, murmelte er vor sich her und klopfte ihm dann auf die Schulter. „Ich mein. Sie weint so oft. Sasuke hat sie immer nur zum Weinen gebracht. Aber. Wenn sie bei dir war, wenn sie von dir geredet hat – du hast sie zum Lächeln gebracht, Mann.“ Sai stellte den Pinsel in den mit Tinte gefüllten Becher und betrachtete die Papierrolle – noch immer zur Hälfte leer und starrte dorthin, als stünde dort eine Antwort auf seine zahlreichen Fragen. Doch es blieb leer. „Was habe ich mit Sasuke zu tun?“, formulierte er die erste Frage, die seine Gedanken beherrschte. Naruto schaute ihn entgeistert an. „Ich meine –“ Überfordert raufte sich Naruto seine blonden Haare und brachte damit seinem Schopf ein noch größeres Chaos. „Keine Ahnung! Nichts? Es geht um Sakura! Und die blöde Idiotin steht jeden Abend vor Karins Zimmer und – wartet und geht wieder. So kann das doch nicht ewig weitergehen! Vor allem seitdem sie nicht mehr mit dir spricht, nachdem du ihr die Frage an den Kopf geworfen hast, warum sie noch immer Sasuke liebt!“ Sai konnte sich nicht der leisen Überraschung erwehren. „Woher weißt du das alles, Naruto?“ „Sie hat es mir natürlich erzählt“, murrte der zunehmend genervt und fuhr sich mürrisch durchs Haar. „Warum?“, wollte Sai wissen und Naruto warf ihm einen düsteren Blick zu. „Was meinst du? Warum was? Darum! Echt jetzt!“ „Ich meinte, warum sie bei mir lächelt und bei ihm weint – und trotzdem nicht mehr zu mir kommt“, erläuterte Sai leise, doch deutlich. Naruto öffnete den Mund. Doch dann schloss er ihn wieder, zuckte die Schultern und schaute ratlos in den Himmel, als stünde dort die Antwort. Doch die Wahrheit war, dass nur Sakura ihm darauf eine Antwort geben konnte – vielleicht. Vielleicht auch nicht. So dehnten sich seine Fragen über Tage hinweg. Dann sah er sie. Er wusste, dass sie bereits wusste, dass er da war. Er sah es, wie sie kurz ihren Atem anhielt und die Finger instinktiv stärker ineinander drückte. Doch sie wandte sich nicht um. Sie stand einfach da, vor dem Krankenzimmer, der geschlossenen Tür, die sie nicht öffnete, durch die sie nicht ging und die sie nur anstarrte, als stünde dort die Antwort auf ihre Fragen eingeritzt in das Holz. „Ich weiß nicht, was ich getan oder gesagt habe, das dich von mir fernhält. Aber wenn es dir gut tut, dann ist es gut. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich nichts bewusst sagen oder machen wollte, das dich fernhält. Gute Nacht, Sakura.“ Er ging. Seine Schritte hallten in dem leeren Krankenhausgang und tönte in seinen Ohren. Er hatte gesagt, was ihm wichtig erschienen war und jetzt sollte er schlafen, denn es war recht spät und morgen war wieder ein anstrengender Tag – so wie jeder Tag anstrengend war. Überhaupt war sein Leben eine Aufreihung anstrengender Tage – und anstrengender Nächte. Niemals fand er wirklich Ruhe. „Warte! Sai!“ Ihr Ruf ließ ihn unwillkürlich inne halten. Verwundert drehte er sich um, wie sie da plötzlich hinter ihm stand auf dem Kiesweg, hinter ihnen ragte das Krankenhaus empor, verdeckt von einigen kahlen Bäumen. „Es – nein, es stimmt nicht“, widersprach sie ihm und er wusste nicht, bezüglich was. Der Wind pfiff eisig um seine Ohren. „Mir geht es nicht gut. Es tut mir nicht gut, wenn ich mich von dir fernhalte“, erläuterte sie leise. Stille. Er überlegte. Und konnte nicht das Problem erkennen, das sie anscheinend quälte. Ihre Wangen waren sicherlich gerötet vor lauter Kälte und ihre Finger halb verfroren. Wenn sie sich nicht von ihm fernhalten wollte – „Dann halte dich nicht von mir fern“, schlug er die ihm plausibelste Lösung vor und um Sakuras Augen bildeten sich winzige Fältchen. Auf ihrem Mund zeichnete sich ein ehrliches Lächeln. „Wenn nur alles immer so einfach zu lösen wäre“, lachte sie übermütig und lief fröhlich auf ihn zu. „Da sind sie schon wieder“, bemerkte er ernst und sie blickte ihn mit gerunzelter Stirn an, drehte sich um und schaute hinter sich, doch da war niemand und sie wandte sich fragend gen Sai. „Wer?“ „Die Sterne in deinen Augen. Warte!“, beschwor er sie, ehe sie ihre Augen verdrehen und den Hinweis mit einer Handgeste wegwischen konnte, denn Sai hielt sie in der Bewegung fest. „Und der Mond“, bekräftigte er beschwörend, sein Gesicht nach oben gerichtet und in den Himmel starrend. Über ihnen thronte der Vollmond und ließ Sakuras Augen glitzern. Vielleicht aber war es auch nur eine Sinnestäuschung aufgrund anhaltender Schlafstörungen. Sai war sich nicht sicher. Er begriff vieles nicht, was Sakura auf ganz natürliche Weise verstand. Er wusste auch nicht, was genau es war, das Sakura zum Weinen brachte und Naruto zu ihm geführt hatte. Doch solange Sakura wegen seiner Kommentare lächelte, war ihm das gerade egal. Kapitel 7: Wie Wärme in Deinen Augen ------------------------------------ Gefühle, das hatte Sai früh gelernt, waren – problematisch. Gefühl hieß Verletzungen, Streit, Krieg. Gefühl hieß Gefahr, Schwäche, Tod. Gefühl – das war ihm unerbittlich eingedroschen worden – war ein Aspekt, der aus dem Leben zu streichen war, bis nichts mehr außer Instinkten, Rationalität und Gehorsam übrig blieben. Gefühl, das hatte Zeit seines Lebens für Versagen und Untergang gestanden. Vielleicht verstand er deswegen nicht, wie Sakura genau das Gegenteil schaffte. „– hat er tatsächlich gesagt. Du hättest Tsunades Blick sehen müssen und Shizunes Panik, als sie versuchte, Tsunades Ausbruch zu verhindern“, plapperte sie, verstummte plötzlich und lehnte sich vor. „Sai, hörst du mir zu?“ Er wandte ihr seinen Blick zu, lächelte aufgesetzt und nickte. In ihren Augen standen immer Gefühle. Wut oder Entschlossenheit oder Sorge oder Hoffnung oder Mitgefühl oder – Gefühle, die er nicht verstand. Und all das machte sie zu der Person, die sie war. Und wenn er sie sah, fragte er sich manchmal, was es dann bedeutete, wenn er all diese Gefühle nicht empfand – was das aus ihm machte. Ob es ihn auch zu dem machte, der er war. Oder ob er eigentlich jemand anderes war. Oder hätte sein sollen. „Entschuldige, ich wollte dich nicht langweilen“, meinte sie und kniff verlegen ihre Augen zusammen. Es war selten. Dass sie verlegen war. Meistens war sie überzeugt, von dem, was sie sagte oder tat. Gegenüber Naruto schien sie nie verlegen. Da rührte die leichte Röte ihrer Wangen lediglich von Zorn. „Es ist nicht langweilig“, entgegnete Sai aufrichtig und direkt. Er hatte nie verstanden, warum Menschen nicht einfach sagten, was sie dachten oder fühlten. Warum sie Gefühle verschleierten oder das Gegenteil behaupteten. Er war überzeugt davon, dass Gefühle weniger problematisch wären, würden Menschen nicht lügen. „Es tut gut, mal wieder draußen zu sein – die Sonne tut gut.“ Sie saßen auf der Wiese. Es war später Nachmittag. Ein Dienstag, den Tsunade ihr frei gegeben hatte. Eigentlich hatte sie Sakura förmlich aus dem Krankenhaus geworfen, nachdem sie ihr um die Ohren geklatscht hatte, dass die Konzentration eine Ärztin entscheidend war. Konzentration hieß ein Mindestmaß an Schlaf, gesunder Ernährung und Sauerstoff. Abschließend hatte Tsunade ihr noch mit auf den Weg gegeben, dass sie furchtbar aussah und erst wiederkommen sollte, wenn die Augenringe verschwunden waren. Wenn Sai ehrlich war – und das war er immer – dann glaubte er fast, dass sich die Augenringe so tief gegraben hatten, dass sie nie wieder völlig vergehen würden. Leider hatte er nicht ganz nachvollziehen können, warum ihm Sakura auf diese Enthüllung, eine mächtige Tracht Prügel angedroht – die sie jedoch nicht durchgezogen hatte. Wahrscheinlich weil sie einfach zu erschöpft gewesen war. Mit ihren verquollenen Augen und dem zerzausten Haar. Wenn er sie jetzt ansah, fiel ihm dann doch auf, dass ihre Augen viel größer und offener wirkten, ihr Haar duftete frisch und die Augenringe waren verblasst. Und auf ihrem kränklichen Teint prangte eine leichte Röte. Alles nur, weil sie den ganzen Mittag geschlafen hatte. „Ich glaube, du hast Sonnenbrand – erstaunlich, so schnell. Und obwohl wir die ganze Zeit im Schatten gewesen sind. Deine Haut ist – inkompetent.“ „So ein Blödsinn!“, erwiderte sie stoisch. „Meine Haut ist nicht inkompetent, du blöder, inkompetenter Idiot.“ Sie lehnte sich an ihn. Es war seltsamerweise vertraut, ihr Gewicht gegen die Schulter zu spüren und trotzdem schrillten Alarmglocken. Als würde ihm sein Körper stets die potenzielle Gefahr vor Augen führen wollen. Instinktiv verkrampfte er sich und sie schreckte hoch. „Entschuldige, ich hab vergessen, vorher zu fragen.“ Irgendwann hatte Sakura gefragt, ob sie sich gegen ihn lehnen dürfte – weil es auf der Wiese so unbequem war ohne Lehne und ihr Rücken und überhaupt. Er hatte nicht genau verstanden, warum sich Sakura nicht einfach an irgendeinen Baum gesetzt hatte, aber eingewilligt. Er hatte überrascht wahrgenommen, dass seine inneren Warnsignale erstaunlich schwach angeschlagen hatten, als sich das erwartete Gewicht gegen seinen Rücken lehnte. Vielleicht hatte sie das bemerkt. Weibliche Intuition nuschelte Naruto in solchen Fällen, was Sai aber nicht durchschaut hatte, denn wieso sollte Naruto etwas davon verstehen? Jedenfalls hatte es sich eingespielt, dass Sakura ihn routinemäßig fragte, ob sie sich an ihn lehnen könnte. Und er nickte. Jedes Mal. Dann durchströmte ihn so eine kribbelnde Welle. Manchmal eiskalt, manchmal heiß. Er fragte sich dann, ob sie auch das bemerkte. Weibliche Intuition vielleicht. „Ich glaube, dass es nie wieder so sein wird, wie es mal gewesen ist“, stellte sie plötzlich zwischen sie beide. Es hing in der Luft. Die Erinnerung an Krieg und Verletzte und Tod. An unschuldige Opfer und Kinder, die ihre Eltern verloren hatten und nach ihnen fragten. Sai nickte. „Nach so vielen Schlachten“, murmelte er. „Aber inzwischen glaube ich auch wieder, dass es irgendwann wieder besser wird. Wir haben überlebt. Wir haben viel geschafft. Nicht nur verloren. Konoha und die anderen Dörfer pflegen jetzt eine echte Allianz. So eine große Gemeinschaft! Es gibt Freundschaften über Dorfgrenzen hinweg. Es wird sogar getuschelt, dass es mehr als Freundschaften gibt.“ Sie strahlte, streckte ihr Gesicht gen Himmel und Sai spürte ihr Gewicht und den Druck gegen seinen eigenen Rücken. Wenn er bei ihr war, hatte er den leisen Verdacht, manchmal ein Stück davon zu verstehen, was es hieß, wenn Menschen behaupteten, dass Gefühle die Basis des Lebens waren.Wenn Naruto sich auf sein Bauchgefühl verließ oder Sakura unbeugsam für ihre Freundschaft kämpfte. Dass hinter Gefühlen mehr stand als Verletzungen, Streit, Krieg. Gefahr, Schwäche, Tod. Das geschah in solchen Momenten wie jetzt. Wenn sich Sakura zu ihm wandte und ihn anlächelte. Und in ihren Augen die Gefühle sprudelten. Eines erkannte er ganz deutlich: Wärme. Und er fragte sich, was es bedeutete. Was Gefühle bedeuteten. Gefühle, das hatte er in einem Buch gelesen, waren nur der biochemische Vorgang, um höhere Säugetiere in einer aufeinander abgestimmten Gesellschaft überleben zu lassen. Empathie, das hieß: Wie du mir, so ich dir. Freundschaft, das hieß: Zusammen sind wir stark. Liebe, das hieß: Unsere Gemeinschaft wird fortbestehen. Er wollte, dass Sakura seine Gegenwart ebenso genoss, wie er ihre. Er spürte Stärke, wenn sie bei ihm war. Und er hoffte, dass ihre Gemeinschaft nie enden würde. Kapitel 8: Wie Kälte in Deinen Augen ------------------------------------ Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Es wäre dumm sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war. Und er war sich sicher, dass auch Sakura genug gesehen und erlebte hatte, um das zu wissen. Und trotzdem betrog sie sich. Und stand wieder einmal hier. Und wartete. Er verstand nicht, worauf sie wartete oder auf wen, denn niemals änderte sich etwas. Niemals kam jemand vorbei. Nur er selbst manchmal, vor seiner Nachtschicht, dann wenn sie eigentlich schon lange hätte zu Hause sein sollen. Er beobachtete sie verschwiegen. Glaubte, dass sie wusste, dass er da war. Und trotzdem rührte sie sich nicht. Sie starrte nur auf diese Tür, als hätte sie vorbeigehen wollen, aber wäre mitten in der Bewegung einfach stehen geblieben. Immer wieder. Er verstand es nicht. „Ich verstehe es nicht“, sagte er also irgendwann in so einer Nacht, in der sie mit verquollenen Augen auf die Tür starrte und er seine Nachtschicht beginnen sollte. Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Ihr Puls musste rasen. Ihre Augen starrten ihn erschrocken an. Langsam näherte er sich ihr. Der karge Flur und die Nachtbeleuchtung ließen ihren Teint kränklich und blass wirken, ihre grünen Augen viel zu groß. „Was machst du hier?“, fragte sie und nach dem Erschrecken lauerte Zorn in ihrer Stimme. Er fragte sich, ob sie ärgerlich über sich war oder zornig auf ihn. Beides jedoch hätte er nicht verstanden. „Ich habe gleich Schicht. Und warum wartest du hier?“, wollte er ruhig wissen. Ihr Blick wanderte von ihm zurück zu der Tür. Ihre Finger verkrampften sich in ihrem Ärztekittel. Sie stieß Luft aus und zuckte dann die Schultern, ehe sie freudlos auflachte. „Sie hatte auf ihn gewartet, sie hat es mir erzählt. Sie hatte erst vor wenigen Tagen erfahren gehabt, dass sie schwanger war und wollte sich mit Sasuke treffen. Sie war auf dem Weg, als sie von Zetsus angegriffen wurde. Sie ist sicherlich kein schwaches Mädchen“, fügte sie hinzu, „aber sie hatte bereits einige Wunden, die sich entzündet hatten und Fieber und – er muss sie ohnmächtig gefunden haben. Blutüberströmt. Und er hat sie mitgenommen und hierher gebracht. Ich konnte das Baby nicht retten.“ „Und Sasuke –“ „Ja, es war sein Kind.“ Sai verstand es nicht. Er versuchte es, wirklich. Aber er fand den roten Faden nicht. Oder den Rahmen, in den das Werk gehörte. Vielleicht fehlte ihm auch ein Teil des Bildes, das auf zwei unterschiedlichen Leinwände gemalt worden war und zusammen ein großes ergab. „Aber. Warum stehst du vor ihrer Tür und wartest?“ „Ich weiß es nicht.“ Ihr Blick verdunkelte sich. Kühl schaute sie an ihm vorbei. An ihm nagte die vage Ahnung, dass das nicht alles war. Sai hatte nie verstanden, warum Menschen um ihre Gefühle logen, sie verschleierten, verleugneten. Aber er glaubte zu erkennen, dass Sakura es tat; wie sie seinem Blick auswich und ihre Finger ineinander rang. Wie Kälte in ihren Blick kroch, sobald es auf ihn zu sprechen kam. „Wie auch immer – ich gehe dann mal nach Hause. Viel Erfolg bei deiner Schicht“, bemühte sie sich um einen locker-leichten Ton und schritt an ihm vorbei. „Gute Nacht“, murmelte er. Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Es wäre dumm sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war. Und er war sich sicher, dass auch Sakura genug gesehen und erlebte hatte, um das zu wissen. Und trotzdem betrog sie sich. Er hatte nicht verstanden, worauf sie wartete oder auf wen. Bis zu diesem Tag, an dem sie wutentbrannt aus dem Zimmer des rothaarigen Mädchens stürmte, Sasuke folgend. „– nicht einfach verlassen! Gerade jetzt! Sie hat ein Kind verloren! Deines!“, keifte sie zornig. Ihre Stimme bebte. „Nur deswegen ist sie überhaupt noch hier“, erwiderte Sasuke nüchtern. „Wir sind kein Paar, waren es nie und werden es nie sein. Ich denke, sie erwartet nicht, dass sich das jetzt ändert.“ „Aber –“ „Es ist nicht deine Sache, Sakura. Beschränke dich auf die medizinische Nachsorge. Umso schneller kann sie wieder gehen.“ Damit wandte er sich um und ließ sie stehen. Sakura schaute ihm einen Moment wortlos nach. Dann ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Mit wehendem Ärztekittel raste sie ihm den Flur nach. „Du bist und bleibst ein Arsch, Sasuke! Du hast nicht den Mut, dich dem Ganzen zu stellen und wie immer rennst du davon!“ Mit einer abrupten Bewegung zwang sich Sasuke stehen zu bleiben und drehte sich langsam zu ihr um. Seine dunklen Augen funkelten. „Und du bist und bleibst eine Nervensäge. Wie immer rennst du mir hinterher.“ Damit wandte er sich von ihr ab und ließ sie stehen. Bebend machte sie einen Schritt zurück, fuhr herum und schritt den Gang zurück in ihr Büro, einfach an ihm vorbei. Wortlos. Er fragte sich, wie kalt die Kälte in ihren Augen gewesen wäre. Es war dunkel. Frösche, die lauthals quakten und Grillen, die wieder mit ihrem Zirpen fortfuhren, sobald er sich ein wenig entfernt hatte. Die alten Weiden vor dem Krankenhausgebäude rauschten sachte in der abendlichen Brise. Noch bevor er sich umwandte, wusste er, dass sie da war. Auf der alten Bank in dem kleinen Park, in dem tagsüber kranke, verletzte Menschen spazieren gingen, humpelten. Er setzte sich unaufgefordert neben sie. Ohne sich anzusehen verweilten sie so. „Wie machst du es?“, durchbrach er die angespannte Stille. „Was mache?“, erwiderte sie argwöhnisch. „Wie kannst du ihn trotz allem, was er dir – euch – angetan hat, lieben?“ Wütend schoss sie in die Höhe, stierte auf ihn herab mit Eiseskälte im Blick. Zorn waberte durch ihre mattgrünen Augen, die sich abweisend zusammenzogen und ihn geradezu mit Feindseligkeit tangierten. Instinktiv erhob er sich von der Bank, überbrückte spielend den Höhenunterschied und schaute nun auf sie herab. „Ich liebe ihn nicht“, zischte sie doch – sein offener Blick? Ihre Wut? – riss sie zu einer Erläuterung hin: „Nicht mehr.“ „Aber warum wartest du dann auf ihn?“, fragte er sie ganz ruhig. Ihre Augen weiteten sich. Es war ganz still. So eine Stille, in der mehr stand, als es Worte hätten ausdrücken können. Nur verstand er nicht, was. Aber ihre leuchtenden, grünen Augen wollten ihm nicht aus dem Kopf gehen. Es war die Erkenntnis, dass sie etwas vermisste, was nie gewesen war. „Ich warte nicht auf ihn“, behauptete sie flüsternd und beugte sich zu ihm, griff gleichzeitig nach seinem Shirt und zog ihn zu sich. Sai folgte ihrer Bewegung. Seine Gedanken ausradiert. Fragen, die plötzlich auf ihn eingedroschen waren, weggewischt. Da war nur ihre Nähe und sein intensiver Drang seine inneren Alarmglocken zu überhören. Ihre Lippen berührten die seinige. Er unterdrückte den ersten Impuls, sie wegzustoßen. Ihre Lippen pressten sich auf die seinigen. Er spürte ihre Wut und die Sehnsucht und es überwältigte ihn. Sie bewegte ihre Lippen auf den seinigen. Und er antwortete ihr. Wie ein Echo. Er spürte ihren warmen Atem seine Wangen entlang streichen, ihre Hand in seinem Nacken, ihren Busen an seine Brust gedrängt. Und er sah, wie die Kälte in ihren Augen brach, wie Eis, klirrend und knackend. Und zurück blieb ein leuchtendes Funkeln. Augen, in denen Sehnsucht stand. Gefühle, die er nicht verstand, Gefühle, die er kaum erahnen konnte. Grüne Augen. Grün. Das war für ihn immer eine Farbe gewesen ohne große Kraft. Ein wenig langweilig. Aber wie er ihr so in die Augen sah, musste er revidieren. Grün war eine Farbe voller Emotionen, voller Wildnis und Kühnheit. In ihrem Blick tobte ein Sturm. Grün. Wie ein Sommergewitter über Konoha. Kapitel 9: Wie Gewitter in Deinen Augen --------------------------------------- „Wir sollten – wir sollten“, keuchte Sakura und sah sich fahrig um. Er fragte sich, was sie sollten. Dann griff sie nach seiner Hand und zog ihn mit sich. „Zu dir“, ordnete sie an. Er fragte sich, wozu. Aber er wollte nicht, dass Sakura aus seiner Nähe entschwand. Etwas schien noch immer über seine Lippen zu kribbeln. Seine Finger schlossen sich fester um die ihrigen. Seine Wohnung war nicht weit weg vom Krankenhaus. Eine Straße geradeaus, links abgebogen und dann quer über die Straße, das rechte Haus. Er wollte das Licht anmachen, doch er kam nicht dazu. Sie stolperten durch den dämmrigen Gang, sie drückte die Klinke zum Schlafzimmer hinunter. „Bist du müde?“, fragte er. Unverständnis zuckte über ihre Mimik. „Warum willst du in mein Schlafzimmer?“, hakte er nach. Sie keuchte schwer. Das Mondlicht malte silbernes Licht in ihre Gesichtszüge und schwammige Schatten. Ihre Augen funkelten. Grüne Silberstreifen. Er spürte ihre Wärme. Eine Hand lag noch immer in seiner eigenen. Ihr Atem strich ihm über die Wange und ihr Blick senkte sich brennend in den seinigen. „Hast du schon mal – ich meine – du weißt, was – das hier bedeutet, oder?“ Er sah sie verständnislos an. Ehrlich gesagt, wusste er kaum, was wann bedeutete. Wenn es nicht gerade eine Strategie in einer Mission, ein Befehl oder ein Jutsu war. „Du weißt, was Sex ist, oder?“ Ihre Stimme klang vorsichtig. „Natürlich. Ich bin nicht dumm, Sakura.“, erwiderte er entrüstet. Wie konnte sie annehmen, er wüsste nicht, was das ist? Sie atmete durch, anscheinend erleichtert. „Sechs ist eine Zahl“, fuhr er nüchtern fort und fragte sich im selben Moment, warum Sakura ihn so anstarrte. „Nein, ja. Nein, ich meine“, stammelte sie und fuhr sich übers Gesicht. „Sex – das – wenn eine Frau und ein Mann – wenn sie ein Kind zeugen.“ „Du willst ein Kind?“, fragte er verwirrt. „Nein! Um der Hokage Willen“, preschte sie dazwischen. Dann überkam ihn die Erkenntnis. „Oh“, entgegnete er. Sie gluckste auf. Und er fühlte sich plötzlich ganz dumm und überrumpelt. „Entschuldige, Sai – ich wollte nicht.“ Sie vollendete ihren Satz nicht, sondern drückte leicht seine Hand und zog ihn mit ins Wohnzimmer, setzte sich auf das Sofa und sah zu ihm herauf. Wortlos ließ er sich neben sie gleiten. Schweigen. Stille. Die Uhr tickte. Etwas raschelte draußen auf dem Dach. Sie saßen da und sagten nichts. „Warum?“, durchbrach er die Mauer des Schweigens und sie zuckte kurz zusammen, ihr Blick fuhr zu ihm und floh wieder davon. „Es war egoistisch und dumm. Ich hätte nicht –“ „Warum stehst du vor ihrer Tür und wartest?“, präzisierte er stoisch. Er spürte ihre Nähe neben sich. Das Sofa, das sich unter ihrem Gewicht sanft eindrückte. Ihre verlegenen Blicke und die gemurmelten Worte. Ihre Wimpern waren dunkel und lang. Ihre Sätze dunkel und kurz. „Ich habe mich gefragt, ob er sie liebt. Ob er sie wirklich liebt. Oder – ob er sich nur aus Pflichtgefühl um sie kümmert.“ Er antwortete nichts. Diese Themen waren wirklich nicht seine Stärke. „Es ist offensichtlich, dass sie ihn liebt. Sie wäre für ihn gestorben.“ Sie verstummte. Schweigen. Stille. Die Uhr tickte. „Wärst du für ihn gestorben?“, hakte er nach. „Er wollte mich umbringen“, murrte sie düster. „Das ist keine Antwort“, entgegnete er und sie schnaubte. „Es gab eine Zeit, da hätte ich alles in meiner Macht stehende getan, um von ihm einen Blick zu bekommen. Aber –“ Er schaute auf, als sie zögerte. „Das ist keine Liebe. Liebe heißt nicht, dem anderen alles von sich hinzuwerfen – vor die Füße, in den Matsch – dich völlig auszubrennen, bis du dich leer fühlst und nur hoffen kannst, dass es gut genug war. Liebe bedeutet, dass man sich lebendig fühlt. Dass man weiß, dass es gut ist, weil es dir der Blick des anderen versichert.“ Zum ersten Mal in seinem Leben verstand er, warum Menschen ihre Gefühle verschleierten, über sie logen und verleugneten. Manche Gefühle waren so stark, dass sie einem Angst machten. Manche Gefühle ließen einen sich klein und bloß vorkommen. Andere Gefühle waren so aussichtslos, dass es besser schien, sie zu verschweigen. Er fühlte sich lebendig mit Sakura. So lebendig in seinem Leben wie noch nie. Aber sie wich seinem Blick aus. „Und trotzdem wartest du auf ihn“, schloss Sai. „Ich sollte gehen.“ Sakura fuhr hoch und floh aus seiner unmittelbaren Nähe. „Wir hätten nicht – ich hätte nicht – gute Nacht, Sai“, stammelte sie durcheinander. Sai verstand es nicht. Er verstand Sakuras Worte, aber ihre Gefühle waren ein undurchdringlicher Dschungel. Eine Welt für ihn völlig unnahbar, abgeschottet, verschlossen. Hinter ihren Augen, die ihn so durchleuchteten, so grün, so funkelten, so grün. Ein Wald, in dem Gefühle lauerten, die er nicht verstand. Wie wilde, verängstigte Tiere. Gefühle, die wie Blitze durch ihren Blick zuckten. Grüne Blitze. Ein Donner nahend. Gewitter in ihren Augen. „Warum fliehst du so oft?“, fragte er. Sie sah ihn an und lächelte traurig. „Weil es kompliziert ist. Weißt du? Es gibt im Leben nicht nur – eine Richtung. Und manchmal verirrt man sich und dann weiß man nicht wie man dahin kommt, wo man hin wollte und manchmal vergisst man sogar, wo das war.“ „Aber vielleicht solltest du genau hier ankommen“, wandte Sai ein und er sah, wie sie schluckte. Er stand durch einen inneren Impuls auf und näherte sich ihr. Ohne zu wissen, was er eigentlich tun sollte oder sagen. Mit ruhigen Schritten. Ihren Blick keinen Moment aus den Augen lassend. In ihnen schimmerte etwas. Unsicherheit vielleicht und Verlegenheit. Aber auch Neugier und – Hoffnung. „Wenn du gehen willst, dann geh“, sagte er dann und sie runzelte ihre Stirn. „Aber lauf nicht mehr weg. Ich verstehe es nicht. Ich weiß nicht, was man in solchen Momenten –“ Plötzlich machte sie einen Schritt auf ihn zu, überbrückte die letzten Zentimeter und legte ihren Finger behutsam auf seine Lippen. „Ich auch nicht“, erwiderte sie leise. „Aber ich sollte jetzt gehen.“ Damit ließ sie ihn stehen und er blieb dort. Er und namenlose Gefühle. In diesem Moment durchfuhr ihn der Gedanke, dass vielleicht auch für andere manche Gefühle namenlos waren. Weil man sie noch nie zuvor empfunden hatte. Er suchte unter N. Tage später saß er in der Bibliothek und blätterte in den Seiten vergilbter Bücher. Unter N fand er auch nichts. Namenlose Gefühle waren in dem Lexikon nicht aufgelistet. Er hatte ja eigentlich schon damit gerechnet, aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Das hatte man ihm zumindest gesagt, ob es auch wirklich stimmte – nun, er hatte es noch nicht überprüft. Dagegen hatte er gefühlt alle möglichen Bücher mit dem Stichwort Gefühl überflogen. Neben dem Ninja-Grundlagen-Band Wie man Gefühle versteckt, stand Wie man Gefühle ergründet. Das Buch Wie man das Gefühl los wird, während einer Mission urinieren zu müssen hatte er dabei ausgeklammert. Stattdessen saß er hier und starrte inzwischen auf Buchstaben, ohne sie zu lesen. Sakuras Augen funkelten vor seinem Geiste. Kopfschüttelnd ließ er sich tiefer in den Stuhl sinken. Fast ein Jahr war inzwischen vergangen. Ein Jahr ohne Krieg, aber mit vielen Dingen, mit denen er sich vor dem Krieg nicht hatte auseinander setzen müssen. Zunächst waren da die verletzten Kinder. Schwer verletzte Kinder anfangs, dann mit den Wochen waren es vor allem die hungernden Kinder. Es war wirklich nicht einfach. Vor allem, weil er nie genau verstand, warum sie weinten. Es zu ignorieren war allerdings auch nicht korrekt, hatte man ihm erklärt. Am liebsten waren ihm die Kinder, die gar nicht weinten. Die waren aber auch die schwersten Fälle, hatte man ihm erklärt. Er wusste nicht warum, denn er weinte selbst nie. Irgendwann war ihm klar geworden, dass er auch so einer der schwersten Fälle war oder besser: es damals gewesen wäre, hätte man ihn nicht nach seiner Ausbildung auch als Ninja benutzt. Was ihn damals von den Kindern heute unterschied, wurde ihm nicht ganz klar. Er war sogar jünger als die meisten heute, er hatte selbst gekämpft und getötet und war nicht nur Opfer gewesen. Nein, er war Opfer und Täter. Im Laufe der Zeit hatten sich beide Rollen miteinander vermischt und es war unwichtig geworden, wer er gewesen war oder was. Irgendwann hatte nur noch die Mission gezählt. Er war niemand mehr gewesen. Sein Leben die Aneinanderreihung von Missionen. Es hatte kein Unterschied existiert, ob er gelebt hatte oder tot gewesen wäre. Niemand hätte ihn vermisst, ein anderer hätte die Mission erledigt, er war ein namenloser Schatten gewesen. Bis jemand seinen Namen gerufen hatte. Seine Freunde. Nicht er selbst. „Oh, Sai. Hier bist du. Was suchstn du hier?“, zog ihn Narutos Stimme in die Gegenwart zurück. Er starrte ihn an, fuhr hoch, so dass der Stuhl auf den Boden schepperte. Er spürte den entgeisterten Blick des Blondschopfes, doch nicht weniger hätte er sich dafür interessieren können. „Weißt du, ich muss im Krankenhaus helfen und –“ Er war falsch an die Sache herangegangen. Er hatte krampfhaft versucht seinen Gefühlen einen Namen zu geben. Dabei war das gar nicht nötig. Er selbst hatte es doch erlebt. Seine Freunde mussten das tun. Entschlossen sah er auf. Zumindest dachte er, dass er entschlossen schaute, Naruto hingegen sollte es in späteren Erzählungen als unheimlich, echt jetzt bezeichnen. „Naruto, hilf mir meine Gefühle zu ergründen.“ Für den Blick, den dieser ihm daraufhin zuwarf, sollte Sai auch in späteren Erzählungen keine passende Beschreibung finden, doch Naruto würde darauf beharren, dass panisch keine entsprechende Option war. Kapitel 10: Wie Schneeflocken in Deinen Augen --------------------------------------------- „Deine Ge- was?“, stammelte Naruto und blicke ihn mit seinen großen, blauen Augen an. Verständnislosigkeit zuckte durch seine Mimik. Sais hingegen war ausdruckslos. „Du hast mir geholfen, was Freundschaft anbelangt. Es wird Zeit, dass du mir weiterhilfst.“ „Weiterhelfen? Was – ich glaube nicht – du – ich –“ Sai legte seine Hand auf Narutos Schulter. „Es geht um eine Frage bezüglich sozialer Kontakte.“ Einen Augenblick starrte Naruto ihm sprachlos entgegen, dann atmete er durch und schien erleichtert. „Mann, ich dachte schon – also echt.“ Sai hob eine Augenbraue, um sein Unverständnis auszudrücken (das hatte er so gelernt) und Naruto winkte ab. „Schon gut. Wie kann ich dir helfen?“ „Ich habe eine Frage – und angesichts dessen, dass Hinata dich liebt, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass du für die Beantwortung der Frage qualifiziert bist.“ Als er Naruto damals das erste Mal getroffen hatte, hätte er nie gedacht, dass es jemals so weit kommen würde – in vielerlei Hinsicht. Erstens: Dass er qualifiziert und Naruto in einem Satz verwenden oder gar denken würde, ohne es mit einem Nicht zu verbinden. Und zweitens: Dass er ihn jemals etwas fragen würde, das auch nur annähernd in die Richtung gehen sollte. Und vor allem: Dass er tatsächlich etwas Hilfreiches von ihm erwartete. Naruto sah ihn erwartungsvoll an. „Wie veranlasse ich es, dass sich eine Frau im romantischen Sinne für mich interessiert?“ Narutos Mimik wurde blank. „Hä? Was meinst –?“ Allmählich schwappte eine vage Ahnung über seine Gesichtszüge und dann strömte plötzlich eine Erkenntnis über sein Gesicht. „Du – du – du – hast dich VERLIEBT?“, rief er aus, sprang auf seine Füße und deutete mit anklagendem Zeigefinger auf Sai. Sai empfand es als verstörend. Verliebt? Er schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte er Narutos Qualifikation doch überbewertet. „Warum sollte ich das tun?“, fragte er stoisch. „Warum solltest du es sonst fragen?“, hielt ihm Naruto entgegen. Dann lehnte er sich vor. Seine Nasenspitze berührte fast die des anderen. „Wer ist es?“, hakte er nach. „Wer ist was?“, fragte Sai. „In wen – oh, bei der Hokage! Sakura-chan? Ist es – sag es mir!“, redete Naruto auf ihn ein. Sai fragte sich in diesem Moment zwei Dinge. Erstens: Seit wann dachte Naruto nach? Und zweitens: Woran erkannte man, dass man verliebt war? „Was – wohin gehst du?“, fragte Naruto entgeistert, als Sai aufstand und ihn einfach zurückließ. „Ich muss etwas nachforschen“, erwiderte er bloß. Er hätte nie gedacht, dass das der Name seines Gefühls sein konnte. Verliebt? Hatte Naruto seinem Gefühl den richtigen Namen gegeben? Fast ein Jahr war inzwischen vergangen. Ein Jahr ohne Krieg, aber mit vielen Dingen, mit denen er sich vor dem Krieg nicht hatte auseinander setzen müssen.  Er betrat die Bibliothek. Gefühl. Das Fühlen; (durch Nerven vermittelte) Empfindungen. Das Fühlen; psychische Regung, Empfindung des Menschen, die seine Einstellung und sein Verhältnis zur Umwelt mitbestimmt. Gefühlsmäßiger, nicht näher zu erklärender Eindruck; Ahnung. Fähigkeit, etwas gefühlsmäßig zu erfassen; Gespür.* Er blätterte weiter. T … U … V. V. Verliebt. Von Liebe zu jemandem bzw. zueinander ergriffen.* Er schlug die Seiten zurück. O … N … M. L. Wie … Liebe. Starkes Gefühl des Hingezogenseins; starke, im Gefühl begründete Zuneigung zu einem [nahestehenden] Menschen. Auf starker körperlicher, geistiger, seelischer Anziehung beruhende Bindung an einen bestimmten Menschen, verbunden mit dem Wunsch nach Zusammensein, Hingabe o. Ä. Sexueller Kontakt, Verkehr. Gefühlsbetonte Beziehung zu einer Sache, Idee o. Ä. In »mit Liebe« … Gefälligkeit; freundschaftlicher Dienst oder … (umgangssprachlich) geliebter Mensch.* Anziehung. Bindung. Mit dem Wunsch nach Zusammensein. Sex. Er atmete tief durch, hob seinen Blick von den vergilbten Seiten. Er wusste wirklich nicht, ob Naruto den richtigen Namen gefunden hatte. Er bezweifelte es und lehnte sich zurück mit diesem Gefühl, das an seinen Magenwänden kratzte. Sakura ging ihm aus den Weg, als forderte die plötzliche Nähe durch den Kuss und all das, was passiert war, all das, was in seinem Kopf einen wirren Knoten ergab und Bilder, bei denen ihm heiß und kalt wurde, jetzt eine Distanz, um es wieder auszugleichen. Er akzeptierte Sakuras Entscheidung. Er schauderte vor Hitze, als ihm dieses Bild erneut in den Kopf schoss und legte sich die Rechte auf seine Stirn. Vielleicht hatte er Fieber. Draußen tanzten Schneeflocken in der Brise. Als hauchte ihnen jemand Leben ein. Es war ein lächerlicher Gedanke, aber wenn er es recht bedachte, dann doch nicht. Es war wie bei ihm selbst. Er war wie diese Schneeflocken, überlegte er und streckte die Hand nach ihnen aus, schaute nach oben, als könnte er so ihren Weg ausmachen. Der Himmel war grau. Wolken schoben sich dort entlang und verdeckten das Blau. Er war wie dieser Himmel. Aber niemand schien zu begreifen, dass er eigentlich nicht grau war. Manchmal begriff er es ja nicht einmal selbst. Er wusste nicht, warum oder was, aber er fühlte etwas. Danzou hatte Unrecht gehabt. Gefühle zerstörten die Menschen nicht. Gefühle waren Teil von ihnen. Ohne sie fehlte etwas. Manchmal etwas Gutes, manchmal etwas Schlechtes. Am Abend stand er bei ihr auf dem Balkon vor dem Wohnzimmer und zögerte. Der Himmel war schwarz. Der Schnee ließ sich auf seinen Schultern nieder und obwohl er die Winter-Uniform trug, fröstelte er. Er akzeptierte Sakuras Bedürfnis nach Distanz. Er wollte nur – ihr Blick traf ihn unerwartet durch das Wohnzimmerfenster in diesen Gedanken hinein. Sie machte einige Schritte und öffnete die Balkontür. Er sah, dass sie gezögert hatte. Er verstand es, glaubte er zumindest, immerhin hatte er es auch getan. Anstatt ihn hinein zu bitten, trat sie zu ihm auf den Balkon und blieb vor ihm stehen. In ihren Augen reflektierte das Licht von der Wohnung, erhellte ihre Gesichtszüge teilweise und ließ Schatten darüber wandern. So standen sie voreinander, gerade entfernt genug, um sich nicht versehentlich zu berühren. Doch ihre Gegenwart war ihm so präsent, als tastete sie ihn ab. Durch ihren Blick schwebten Schneeflocken, blieben in ihren Haarsträhnen hängen und sie schaute ihn nicht an, dann doch, dann wieder nicht, als könnte sie sich nicht entscheiden. „Sai, ich –“ Er ließ sie den Satz nicht beenden. Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Für einen Wimpernschlag hatte er aufgehört zu atmen. Der Gedanke, sie würde ihn berühren, nur mit den Fingerspitzen. „Ich wollte dir lediglich Tschüss sagen. Ich habe eine Mission, wir gehen gleich los“ – als wäre das nicht offensichtlich, wie er so vor ihr stand in ANBU-Uniform – „und obwohl es unlogisch ist, da du offenbar meine Nähe vermeidest, wollte ich –“ „Ich habe nicht –“ Diesmal ließ sie den Satz von sich aus in der Luft hängen, denn es wäre eine Lüge gewesen und das wussten sie beide. Stattdessen rührte sie ihre Hand, als wollte sie sie auf seine Wange legen, doch sie tat es nicht, verschränkte lediglich ihre Arme. Sie rang sich dazu durch, seinem Blick nicht auszuweichen. Etwas schwebte in ihren Augen, gefangen in dem Grün. Er versuchte dem durch ihren Blick zu folgen, doch es war, als versuchte er den Weg der Schneeflocken vom Himmel herab zu erraten. „Ich habe viel – nachgedacht und – ich meine – mach kein dummes Zeug auf der Mission, Sai.“ Stille. Er betrachtete ihr Profil, als versuchte er, es sich einzuprägen. „Danke.“ Sie verzog das Gesicht, als hätte sie einen Schlag in die Rippen bekommen, und er wusste nicht warum. „Wofür?“, hakte sie nach, seinem Blick ausweichend. „Naruto hat mir einmal gesagt, dass – wenn Leute solche Sachen sagen, dass man ihnen dann etwas bedeutet.“ Sie schaute auf und blinzelte, ein Lächeln zuckte verlegen an ihrem Mundwinkel und sie bewegte ihre Hand zu ihm, als wollte sie ihn berühren. Doch statt sich einfach nur ihr Haar zurück zu streichen, wie er es erwartet hatte, legte sie ihre Finger tatsächlich an seine Wange. Ihre Berührung schien sich einzubrennen, nicht mit Schmerzen, sondern mit diesem Gefühl, das ihn die Augen schließen ließ. „Komm wieder zurück, Sai“, flüsterte sie an seinem Ohr. Danzou hatte Unrecht gehabt. Ohne sie fehlte etwas. Kapitel 11: Wie Blitze in Deinen Augen -------------------------------------- Etwas, das ihm den Atem raubte. Etwas, das ihm die Lungen zusammenquetschte und trotzdem tief durchatmen ließ. Ihre Worte hallten in seinen Gedanken wider. Vielleicht begann er tatsächlich zu fiebern. Mit gerunzelter Stirn legte er sich seine ANBU-Maske über und rauschte über den Schnee, der noch durch keine Fußspur gezeichnet war. Missionen waren nicht ruhmreich. Missionen waren nicht heldenhaft. Missionen waren dreckig. Er fror in seinem Schlafsack in dem Einmannzelt und wünschte sich, die Abtrünnigen hätten sich den Sommer für ihre Flucht ausgesucht. Im Sommer waren die Nächte während solcher Aufträge erträglich. Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie sie diese Mission erfolgreich abzuschließen planten. Es waren nüchterne Gedanken. Er hatte nie verstanden, warum ihn manche Ninja um seine Gefühlskälte beneideten. Für ihn war es Teil seiner Ausbildung gewesen, ein gewaltsamer Eingriff in seine Natur, seinen Charakter, ein Kampf ums Überleben. Manchmal fragte er sich, wie er heute wäre, wäre es anders gekommen und wenn er in Sakuras Nähe war, dann bekam er den Eindruck, ihm wurde erlaubt durch ein Fenster zu sehen und sich selbst zu beobachten und er konnte sich verschwommen vorstellen, wie er geworden wäre. Ein Künstler, der sich in Malereien versenkte, ein junger Mann, der in Farben träumte. Wahrscheinlich wäre er nie ein Ninja geworden. Er hätte nie diesen Schmerz ertragen müssen. Diesen Verlust. Er hätte Naruto nicht kennen gelernt und er wäre ihr nie begegnet. Vielleicht hätten sie sich zufällig auf der Straße gesehen, aber niemals mehr als einen Gruß ausgetauscht. Aber er war, wer er war.  Die Nächte waren lang ohne Sakura. Und in seinem Leben hatte er nicht oft die Einsamkeit gespürt. So also fühlte es sich an, wenn man wusste, wie etwas sein könnte. Gefühle, das hatte Sai früh gelernt, waren – problematisch. Gefühl hieß Verletzungen, Streit, Krieg. Gefühl hieß Gefahr, Schwäche, Tod. Gefühl – das war ihm unerbittlich eingedroschen worden – war ein Aspekt, der aus dem Leben zu streichen war, bis nichts mehr außer Instinkten, Rationalität und Gehorsam übrig blieben. Gefühl, das hatte Zeit seines Lebens für Versagen und Untergang gestanden. Vielleicht verstand er deswegen nicht, wie Sakura genau das Gegenteil schaffte. Gefühle, das hatte er in einem Buch gelesen, waren nur der biochemische Vorgang, um höhere Säugetiere in einer aufeinander abgestimmten Gesellschaft überleben zu lassen. Empathie, das hieß: Wie du mir, so ich dir. Freundschaft, das hieß: Zusammen sind wir stark. Liebe, das hieß: Unsere Gemeinschaft wird fortbestehen. Er wollte, dass Sakura seine Gegenwart ebenso genoss, wie er ihre. Er spürte Stärke, wenn sie bei ihm war – nein, er fühlte sie sogar jetzt, hier in diesem Moment, wenn er nur an ihren Blick dachte, an ihr Lächeln, ihre Berührung. Es war unlogisch und er fror. Wenn er von Missionen zurückkam, dann ging er so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Die Gesundheitskontrolle war obligatorisch und er zögerte die Durchführung von Aufgaben nicht hinaus. Aufträge, Aufgaben, Missionen. In seinem Leben hatte es nie etwas Wichtigeres gegeben. Falsch. Aufträge, Aufgaben, Missionen waren sein Leben. Genau eine Woche nach ihrer Verabschiedung lehnte er vor ihrer Bürotür. Er trug noch die ANBU-Uniform. Es war wohl nichts Akutes, aber es war Abend und die Gänge leer – eigentlich hätte er auch morgen vorbeikommen können.   Noch bevor sie um die Ecke bog, wusste er, dass sie es war. Ihre Schritte hatten einen eigentümlichen Takt. Klack, klackklack, klack. Als sie ihn wahrnahm, weiteten sich ihre Augen, doch sie ließ sonst nichts durch ihren stoischen Gesichtsausdruck durchschimmern. „Sakura“, meinte er und zog sich die ANBU-Maske vom Gesicht, „ich glaube, ich bin krank.“ „Was? Wieso?“ Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, ihn hier anzutreffen – oder überhaupt jemanden. Eigentlich hatte er nicht einmal selbst damit gerechnet. Aber es hörte einfach nicht auf.   „Seit einiger Zeit verspüre ich flatternden Magenschmerzen, mir wird plötzlich kalt, dann heiß und ich leide immer mal wieder unter Schweißausbrüchen – vor allem an den Händen, was angesichts meines spezialisierten Jutsus sehr ungünstig ist“, erläuterte er mit ruhiger Mimik. „Und wann kommt das vor?“, hakte sie nüchtern nach, während sie die Bürotür öffnete.   Er überlegte und irgendwie führten alle Striche zu – „Immer, wenn du in der Nähe bist.“   Sie fuhr zu ihm herum und er sah, wie sich ihre Augen weiteten, sich das Grün ihrer Augen verdunkelte. Wie ein Wald vor einem Sturm. „Oder wenn ich an dich denke.“ Sie räusperte sich und bat ihn in ihr Büro. „Also – Sai“, begann sie und schaute sich in dem Raum um, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Vielleicht suchte sie etwas. Obwohl Sakura ihm den Stuhl gegenüber ihres Schreibtisches anbot, blieb er stehen. „Wenn du möchtest, dann kann ich die Nachkontrolle gleich jetzt erledigen und –“ „Und die Symptome?“ „Ich denke, diese – Symptome werden sich von selbst wieder legen.“ „Naruto meinte, ich hätte mich verliebt.“ Sie sah ihn als, als fürchtete sie seine Worte. Er verstand es nicht. Worte waren ungefährlich. Sie konnten niemanden verletzen oder gar töten. Es waren keine Waffen, sondern Silben, die in der Luft zwischen ihnen hingen. „Sai, ich weiß nicht, ob –“ „Ich weiß es auch nicht, ob es zutrifft.“ Sie schaute ihn an und Verwirrung stand zwischen ihren Stirnfurchen. Ihn kitzelte Wärme, weil er dieses Gefühl verstand – es war selten, dass er etwas auf dieser Ebene so gut nachvollziehen konnte. „Ich habe es nachgeschlagen“, erklärte er weiter, weil er dachte, es würde das Ganze tatsächlich verständlicher machen, „aber die Definition von Verliebtsein schien mir doch sehr unverständlich.“ Sie gluckste und er schaute sie an, das Gesicht unbewegt, weil er es so antrainiert bekommen hatte, doch in ihrer Mimik stand das, was er nicht wusste auszudrücken. Verwirrung, Verlegenheit, Unwissenheit. Und dann war da ihr Lächeln, das in ihren Mundwinkeln aufblitzte. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. Ihr Kinn, ihre Lippen, die Wangen, auf denen Röte lag, die Stirn, die sie in Falten gelegt hatte und das Grün ihrer Augen, welches ihm im Kunstlicht entgegen strahlte. In ihren Augen stand etwas, das er suchte und nicht zu finden wagte. Er glaubte, es zu sehen, aber ein Schleier verhüllte es. Wie Blitze, die hinter Wolken den Himmel durchzuckten. Er streckte eine Hand nach ihrem Gesicht aus, ohne zu wissen, was sie tun sollte, wenn sie ihre Wange erreichte. Sakura wich nicht aus, obwohl er in ihren Augen sah, dass sich ihr der Gedanke aufgedrängt hatte. Seine Fingerspitzen strichen über ihre Schläfe und die Wange und blieb auf ihren Lippen liegen. Als hätte er sich verbrannt, zog er die Hand zurück. „Warum bist du hier?“, fragte sie und er hörte das Krächzen ihrer Stimme, was er nicht deuten konnte. Vielleicht hatte sie Halsschmerzen und war krank. Das würde auch ihre Müdigkeit erklären. Naruto hatte ihm einmal gesagt, dass kranke Leute schlapp waren und viel schlafen mussten, um wieder gesund zu werden. Vielleicht hatte sie sich aber auch einfach nur wieder überarbeitet. Sie räusperte sich und wiederholte ihre Frage, nachdem er sie nur wortlos anstarrte. „Sai? Warum bist du hier?“ Wieder stand in ihrem Blick etwas, als würde sie sich vor seinen nächsten Worten fürchten. „Du hast gesagt, ich soll wieder zurückkommen. Ich bin zurück gekommen.“ Sie sprang beinahe auf von ihrem Stuhl, in dem sie die ganze Zeit so erstarrt gesessen hatte, sprang auf und stand plötzlich vor ihm, so nah, so dicht. Er spürte ihren Atem in seinem Gesicht und es erinnerte ihn an ihre Verabschiedung. Und plötzlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und legte ihre Wange an die seinige. Für einen Moment wusste er nicht, was er mit seinen eigenen Armen machen sollte, doch dann legte er sie auf ihren Rücken. „Stimmt es, was Naruto gesagt hat?“, wollte er wissen. „Ich – was genau?“, hakte sie nach, ohne sich zu rühren. Sie standen einfach da, Arm in Arm und wechselten Worte, die sie gerade so laut sprachen, dass der andere sie hörte. „Stimmt es, dass Leute solche Sachen sagen, wenn man ihnen etwas bedeutet?“ Er spürte, wie sie sich unter seinen Armen verspannte, fühlte, wie sie die Luft anhielt. „Bedeute ich dir etwas?“ Als er es in ihr Ohr geflüstert hatte, verstand er plötzlich, wenn sich Leute vor Worten fürchteten. Worte konnten verletzen oder gar töten – sie konnten einen so tief verletzten, dass selbst ein Medinin nicht mehr helfen konnte. Und so hingen diese Silben zwischen ihnen und Sakuras mögliche Antwort war wie Kunaispitzen auf ihn gerichtet. In diesem Moment überwältigte in der Gedanke, dass er noch nie einem Menschen näher gekommen war. Eine Nähe, die sich nicht in Zentimeter messen ließ. Es hörte sich unlogisch an. Doch als er ihr Nicken an seiner Wange spürte, explodierte ein Gefühl in seinem Bauch, das ihn befürchten ließ, zu implodieren. Beunruhigt flüsterte er ihr zu: „Sakura, ich glaube, mit meinem Magen stimmt etwas nicht. Es fühlt sich an, als ob –“ Doch ihr Kichern ließ ihn den Satz einfach in der Luft hängen bleiben. Er drückte sie einen Arm breit weg, um ihr in die Augen sehen zu können und musterte das Amüsement in den ihrigen mit Skepsis. „Ich weiß nicht, warum du –“ Sie beugte sich zu ihm und beendete seinen Satz mit einem Kuss. Ihre Lippen warm auf den seinigen, ihre Hände lagen auf seinen Armen und dann – dann war da etwas, das ihm den Atem raubte. Etwas, das ihm die Lungen zusammenquetschte und trotzdem tief durchatmen ließ. Als sie den Kuss löste und er die Augen öffnete – wann hatte er die Augen geschlossen? – strich sie ihm durch sein Haar wie nebenbei. „Vielleicht solltest du doch lieber morgen nochmals für die Kontrolle wieder kommen.“ Da leuchteten Blitze in ihren Augen, obwohl die Ringe darunter ihr Gesicht so müde wirken ließen. Kapitel 12: Wie Regenbögen in Deinen Augen ------------------------------------------ Also kam er wieder zurück, nachdem er sich von den Strapazen der Mission etwas erholt hatte und stand gegen Nachmittag vor Sakuras Büro. Doch sie war nicht alleine. „Ja, körperlich ist sie gesund“, bejahte Sakura sträubend. Als er anklopfen wollte, vernahm er eine zweite Stimme, dunkel und nüchtern. „Dann sehe ich kein Problem.“ „Sasuke, es geht nicht nur um ihr körperliches Befinden. Es geht um ihre –“ „Ich habe eine Mission. Deswegen bin ich hier. Wenn meine Gesundheitskontrolle positiv ist, dann gehe ich jetzt und bereite mich vor.“ „Du kannst sie doch nicht einfach –“, Sai hörte, wie sie hier stockte, „zurücklassen.“ „Sprechen wir noch von Karin oder –“ „Du bist so ein egoistischer –“ „Sie ist nicht du!“, knallte er ihr an den Kopf und plötzlich herrschte Stille. Sai beugte sich vor, um durch die Tür hindurch keine Silbe zu verpassen. „Das weiß ich, Sasuke“, zischte sie. Die Tür öffnete sich und Sai stand da und sah in das Zimmer, an Sasuke vorbei, der die Türklinke in der Hand hielt und Sakura, die an ihrem Schreibtisch saß und aussah, als würde sie ihre Finger nur aneinander lehnen, um Sasuke nicht den Hals umzudrehen. Sasuke drückte sich an ihm vorbei und er stand Sakura alleine gegenüber. Ihr Blick hing dem anderen nach und in Sai brüllte ein Gefühl, das er noch nie gespürt hatte. „Was bedeutete das?“, wollte er wissen. „Nichts“, behauptet sie, doch er sah in ihren Augen, dass das nicht stimmte. Natürlich war er gesund. Nichts als die üblichen Schrammen. So saß er gegen Abend bei Naruto, der sich voll Eifer Ramen in den Mund stopfte und beschrieb ihm die Situation – und das Gefühl. „Vielleicht bist du eifersüchtig.“ Naruto zuckte die Schultern. Sai schüttelte den Kopf. So etwas Unlogisches. Eifersucht. Starke, übersteigerte Furcht, jemandes Liebe oder einen Vorteil mit einem anderen teilen zu müssen oder an einen anderen zu verlieren.* Er sah von dem Buch auf und schlug es zu. In der Bibliothek erreichte ihn ein ANBU, der ihm zuflüsterte, er solle sich in der Hokage Büro einfinden. Tsunade saß mit spitzen Lippen in ihrem Bürostuhl und schaute auf ihn, als erwartete sie etwas. Die Tür wurde aufgezogen und Sakura betrat den Raum. In diesem Moment wusste er, worauf sie gewartet hatte und sein Bauch fühlte sich an, als verknoteten sich dort seine Därme miteinander. Sakura schritt auf den Schreibtisch in der Mitte des Raumes zu. „Sie haben mich geru-“ Und stockte, als sie sich gewahr wurde, dass Sai dort stand. Tsunade nickte, als würde sie es nicht bemerken und legte ihre Fingerspitzen aneinander. „Eine Mission.“ Natürlich, was hätte sonst sein sollen? Er sah in den Augenwinkeln, dass Sakura auf Schulterhöhe bei ihm stand. „Abtrünnige haben Zivilisten entführt. Die Abtrünnigen werden bereits von der ANBU verfolgt. Sie sollten sie bald gestellt haben. Aber die Zivilisten müssen versorgt werden.“ Tsunades Blick schweifte über sie beide, ehe sie fortfuhr. „Es handelt sich um eine Familie aus einem kleinen Dorf unweit Konohas. Ihr beide werdet sie versorgen und hierher bringen.“ Sakura trat einen Schritt zu der Hokage und beugte sich zu ihr. „Tsunade-sama. Wenn ich – warum – er?“ Sie wisperte es, als könnte er es dadurch nicht hören. Natürlich tat er es trotzdem. „Weil ihr beide im Krankenhaus ein außergewöhnlich gutes Team wart. Und jetzt geht!“ Tsunade hatte sich nie gerne in die Karten sehen lassen oder sich erklärt. Jeder Handgriff saß, jede Bewegung, jedes Gefühl war ihm bekannt. Das war sein Leben. Missionen erfolgreich abzuschließen. Niemand musste ihm erklären, was zu tun war, niemand sagen, was es bedeutete. Mission. [Mit einer Entsendung verbundener] Auftrag; Sendung. [Ins Ausland] entsandte Personengruppe mit besonderem Auftrag. Eine Mission war das Einzige im Leben, bei dem er sich sicher war, das er sich nicht verloren fühlte. Und das Ende einer Mission bedeutete nur das Warten auf den Anfang einer neuen. Sie fanden die Familie an dem Ort, an dem zwei ANBU-Mitglieder zwei Abtrünnige gefasst hatten. Sie gingen mit den Gefangenen vor und überließen das Wohl der Entführten Sakura. Sie untersuchte die kleine Tochter und deren großen Bruder zunächst, dann die Eltern. Sie waren verschreckt, aber ansonsten unversehrt. Sai beobachtete, wie Sakura mit Ruhe auf die Familie einsprach, als beruhigte sie scheuende Tiere und mit einem Lächeln und Sätzen, die Sai ihr gerne glauben wollte.. Sai wollte ihr so gerne glauben, dass alles wieder gut werden würde. Aber alles hatte ein Ende. Missionen endeten, Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Es wäre dumm gewesen, sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war. Und er war sich sicher, dass auch Sakura genug gesehen und erlebte hatte, um das zu wissen. Das Problem war, dass es einem zu spät bewusst wurde. Und dann kam das Ende viel zu früh, dabei hätte man noch so viel sagen sollen, wollen – müssen. So viel tun und genießen und – In diesem Moment durchbohrte ihn ein Schmerz, der ihn den Mund aufreißen ließ, doch es entkam kein Ton. Es war ein Hinterhalt. Die Haut des Mannes fiel ab wie eine Maske, die Frau schob sich vor ihre Kinder, die schrien und weinten. Sai schaffte es nur, zwei Tiger zu malen, die Sakura und die Kinder und deren Mutter schützten. Dann zerschnitten die mit Chakra geladenen Hände seines Gegners das Fleisch an seinen Armen, er spürte wie seine Muskeln durchtrennt wurden und Gelenke durch den Aufprall der Energie auseinander sprangen. In diesem Moment durchbohrte ihn die Erkenntnis, dass er nie wieder ihre Augen sehen würde und all diese verwirrenden Gefühle darin. Wie ein Regenbogen an Gefühlen, der dort von all den Nuancen von Freundschaft und Liebe, Hoffnung und Melancholie, Vertrauen und Zwiespalt, Freude und Wut zeugte. Sakuras Finger ballten sich zu Fäusten und mit einer Wut, deren Kraft durch ihn hindurch stob, schlug sie auf den Ninja ein. Sai spürte etwas, irgendetwas, das sich regte. Ein Gefühl. Eine vage Ahnung. Er starb. Dann erfüllte ihn eine Kraft, die seinen Körper sich aufbäumen ließ, als durchstieße ihn ein Stromschlag. „Sai! Schau mich an! Nein, nicht zu machen! Sai, bleib hier!“ Er hörte ihre Stimme und spürte erneut eine Energie, die ihn zwang zu atmen, sein Herz dazu trieb zu schlagen. Er konnte sich nicht bewegen, nichts sagen. Es war als schwebte er. Aber dann erkannte er, dass die Welt schwebte. „Der Feind –“, keuchte er. Doch sie schüttelte den Kopf. Hatte sie ihn erledigt? Hatte er sie beschützen können? Sie schien zu leuchten. Es erinnerte ihn an den Moment nach dem Krieg. Die drei. Sie hatten über ihm gestrahlt. Zusammen. Etwas Mächtiges erschufen sie gemeinsam, Unzertrennliches, etwas, bei dem er niemals ein Teil wäre, das hatte er erkannt, als Naruto und Sasuke gemeinsam kämpften, wie zwei Kameraden, die blind den Zug des anderen voraussehen konnten. Keine abgesprochene Strategie, sondern – ein Band. Es war keine Wehmut, die er gefühlt hatte oder Bedauern. Es war eine Feststellung gewesen. Aber jetzt schüttelte ihn diese Tatsache, drückte ihm Schmerz bis in sein Innerstes. Oder waren es die Wunden? Das Innerste, von dem er geglaubt hatte, es wäre vor langer Zeit abgestorben. Er sah ihr Gesicht über seinem eigenen. Sie würde ihn niemals so ansehen, wie sie Sasuke ansah. Sie würde immer an ihm vorbei sehen, wenn Sasuke im Raum war. „Sai? Du – bleib hier. Ich bringe dich nach Hause.“ Es hörte sich unlogisch an, aber er vertraute ihr. Er wollte gerne aufsehen und die Worte in ihrem Blick widerspiegeln sehen. Sakuras Stimme klang nüchtern – das war ihre Rolle als Ärztin – doch das Zittern darin verriet sie. In ihren Augen spielte womöglich ein verworrenes Spiel, wie es doch so oft bei ihr der Fall war. Es erinnerte ihn an die Momente unmittelbar nach dem Vierten Krieg. Er starb. Und er erkannte, dass er sie liebte. Denn mit ihr fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben lebendig. Er zog sie mit seiner letzten Kraft an sich und hauchte Worte in ihr Ohr, die er noch nie zuvor ausgesprochen hatte. Dann war er tot. Tot. In einem Zustand, in dem die Lebensfunktionen erloschen sind; nicht mehr lebend, ohne Leben. Als Mensch, Lebewesen nicht mehr existierend; gestorben. Organisch nicht mehr belebt, abgestorben. Regelmäßiges Piepsen ertönte. Er hatte sich nie Gedanken darum gemacht, was nach seinem Sterben kommen würde. Nein, das war nicht wahr. Jeder Mensch stellte irgendwann einmal solche Überlegungen an – besonders, wenn Menschen um einen herum starben. Auf Missionen, im Krieg. Er hatte sich nur nie Gedanken darum gemacht, ob er im Tod nicht ewig sein Sterben bedauern, seine letzten Worte bereuen würde oder ob er einen trockenen Hals ertragen müsste. Er blinzelte und öffnete die Augen. Von den Geräten meldete sich erneut ein Piepsen, Kochsalzlösung tropfte in seine Vene, ein zentraler Venenkatheter prangte an seinem Hals, dem Schlüsselbein. Er war enttäuscht. Den Tod hatte er sich nicht wie im Krankenhaus vorgestellt. Neben ihm schnarchte jemand leise. Seinen Kopf wandte er und entdeckte, dass ein blonder, junger Mann mit dem Gesicht in seinen Laken, die Stirn auf die Arme gebettet, auf einem Stuhl am Bett sitzend, schlief. Unter diesen Umständen, hätte er eine Wiedergeburt ernstlich in Erwägung gezogen – aber die Möglichkeiten verletzt zu werden. Im Leben wurde man dauernd verletzt. Es war unerwartet ernüchternd, dass der Tod einem das nicht aufzuwiegen schien. „Naruto?“, krächzte er, als der vermeintlich Unbekannte schmatzte und ihm das Gesicht entgegenstreckte. Sai rührte seine Hand, um ihn anzustoßen. War Naruto auch gestorben? Doch seine Glieder fühlten sich taub an. Schwere lag auf seinen Armen, die er nicht bezwingen konnte. Die Tür öffnete sich und er schaute auf. Ihre Präsenz überflutete ihn. Sie hielt inne, die Türklinke noch in der Hand und betrachtete ihn, als wäre sie unschlüssig, welche Reaktion angebracht war. Dabei war das doch seine Schwäche. Sie schritt auf das Bett zu, in dem er lag, ein Klemmbrett in den Fingern, an das sie sich klammerte, als müsste sie es, um nicht umzustürzen. Wortlos notierte sie die Werte, die die Geräte anzeigten, dann fragte sie ihn ab, als hätte er an der Akademie eine Prüfung abzulegen – dabei hatte er das nie getan. Ihre Stimme klang gepresst, so wie sie es tat, wenn sie wütend war. „Bin ich tot?“, fragte er und seine Stimme klang rau. Sakura sah ihn nicht an und er hatte das Gefühl, als hätte er auf einer Beerdigung angefangen lauthals zu lachen. Man hatte ihm gesagt, dass ein fröhliches Lächeln dort nicht angebracht war – und ein Lachen erst recht nicht. „Nein“, behauptete sie. Er lebte. Es war seltsam, wieder zu leben, wenn man gedacht hatte, man wäre tot. Und plötzlich überrollte ihn dann das Gefühl, dass er wieder ihre Augen sehen würde und all diese verwirrenden Gefühle darin. Wie ein Regenbogen an Emotionen, der dort von all den Nuancen von Freundschaft und Liebe, Hoffnung und Melancholie, Vertrauen und Zwiespalt, Freude und Wut zeugte. „Es tut mir leid, dass ich dich nicht besser beschützen konnte“, sagte er, weil er wusste, dass Frauen das an Männer schätzten. Das hatte er gelesen. „Du Idiot“, warf er ihr an den Kopf und in diesem Moment war die Professionalität aus ihrem Körper gewichen und da stand die junge Frau, die sich ihren Kopf über ihre Freunde zerbrach und ihre Gefühle auf ihrem Gesicht zur Schau trug – und in ihre Augen wanden sich Regenbögen an Emotionen. Sie drückte ihr Gesicht an seine Brust, griff mit beiden Händen in die Bettdecke, als würde sie andernfalls auseinanderbrechen und schluchzte in den Bettbezug. Sai verstand nicht, was sie seiner Bettdecke mitteilte. Nur Wortfetzen drangen zu ihm durch. Idiot und Sorge und nie wieder und immer wieder Idiot hörte er heraus. Aber es war so ein – so ein – er wusste nicht was für eines, aber ein Gefühl, da war er sich sicher, dessen Namen er niemals herausfinden würde – so überwältigend war es. Ihre Haare kitzelten in am Kinn und ihr Gewicht drückte auf seine Brust und ihr Duft stieg ihm in die Nase, ihre Wärme bewies ihm, dass sie hier war, ihr Schluchzen, dass er noch immer da war. Plötzlich raschelte etwas auf der anderen Seite seines Bettes. „Oha“, rief Naruto aus, die eine Wange rot gedrückt durch seinen Arm, der Blick verschlafen und die Augen doch aufgerissen. „Sakura, alles – Leute, ich –“ Sie achtete nicht auf Narutos Worte, so dass sein Blick ratlos an Sai hängen blieb, der nur mit den Schultern zuckte. „Ich geh dann – mal –“ Sai war der Meinung, dass Naruto nie etwas Besseres in seinem Leben getan hatte. Naruto würde ihm bei späteren Gelegenheiten jedoch widersprechen. Immerhin hatte er Konoha gerettet und Madara besiegt und – doch Sais Meinung würde sich nicht ändern. Kapitel 13: Wie Asche in Deinen Augen ------------------------------------- Sie lehnte sich zu ihm und berührte seine Wangen und die Stirn, die halb unter einem Verband lag, strich über seine Lippen, die leicht spröde waren und beugte sich weiter. Sai betrachtete sie und sah, dass ihr Blick auf seinen Lippen lag. Es schien, als dehnte sich die Zeit aus. Und dann berührte Sakuras Mund den seinigen. Nicht wild und leidenschaftlich und ungestüm, sondern zärtlich und ruhig, als legte sie all ihre Besonnenheit in den Kuss.   „Andernfalls würde ich dir jetzt die Klamotten vom Leib reißen, was nicht gut wäre, weil du dich noch nicht übermäßig anstrengen sollst“, erklärte sie an seinem Ohr, doch er wusste nicht, was sie erklärte. „Sich umziehen ist doch nicht anstrengend“, entgegnete er und ein Grinsen zuckte an ihren Lippen. „Stimmt, das nicht.“ „Oh! Oh! Das war eine Anspielung auf Geschlechtsverkehr!“, erkannte er und sie giggelte.   Sakura hing noch immer halb über ihm, doch hatte sich beruhigt. Sie schnaufte ganz regelmäßig, so dass er sie ein wenig zur Seite schob. Sie sah auf und er sah, dass noch ein paar Tränen in ihren Augenwinkeln hingen, die sie sich wie nebenbei wegwischte, vielleicht hoffend, dass er es nicht sah. Sai spürte etwas, irgendetwas, das sich regte. Ein Gefühl und dann war da dieses – er sah auf seine untere Region, woher das Gefühl stammte und erstarrte.   „Du solltest weiterarbeiten“, behauptete er. „Mir geht es ja wieder gut.“ „Falsch. Also ja. Ich muss weiterarbeiten, aber dir geht es nicht wieder gut, Sai! Du musst dich ausruhen, verstanden?“ Obwohl es formal eine Frage war, klang es wie ein Befehl. Immerhin kannte er sich mit Befehlen aus. Er nickte. „Du bleibst im Bett. Am besten schläfst du. Wir geben dir wieder mehr Schmerzmittel und –“ „Wann kann ich wieder auf Missionen?“ Sie stöhnte angesichts der Frage, mit der sie sich wohl tagtäglich herumschlagen durfte. Ninja, die keine Zeit hatten, um zu genesen, keine Geduld, keine Lust. Mit letzterem hatte Sai allerdings keine Probleme augenblicklich – oder eigentlich ja doch. „Du hast schwere Verletzungen erlitten.“ Er wich ihrem Blick aus, denn er hatte versagt. Auf sozialen Ebenen zu versagen war er gewohnt, aber Missionen nicht erfolgreich abzuschließen – sein Problem erledigte sich von selbst. „Er ist entkommen, nicht?“ Sie schwieg einen Moment und es sagte alles für ihn, aber scheinbar war sie nicht dieser Ansicht, denn sie legte ihre Finger an seine Wange und strich über die Schrammen, die er davon getragen hatte. „Hör zu, Sai. Dieser Ninja hatte ein Kekkei Genkai. Er konnte die äußere Erscheinung anderer Menschen annehmen. Nicht einmal die Frau, von deren Mann er die Erscheinung inne hatte, hat es gemerkt. Es muss ein lang angelegter Plan gewesen sein. Deine Reaktion war fabelhaft. Ohne dich wären die Kinder und die Frau verletzt – wahrscheinlich eher getötet worden.“ Sie berührte seine Schulter, dann seine Wange. Diese Geste voller Vertrauen ließ ihn den Blickkontakt wieder zulassen. „Hörst du? Du hast sie beschützt. Aber –“ Ihre Augen verengten sich. „Beim nächsten Mal beschütz auch dich selbst, du Idiot! Ich hätte es auch ohne deine Hilfe gepackt, Blödmann!“   Naruto hatte es ihm einmal erklärt, als er gefragt hatte, warum Sakura ihn beschimpfte. Ob das der Definition von Freundschaft nicht widersprach. Naruto hatte gelacht und gemeint, dass es Sakuras Art wäre, ihm zu zeigen, dass sie sich verdammt Sorgen gemach hatte. Wie Sakura gerade mit ihm sprach, erinnerte ihn daran, wie sie mit Naruto sprach. Seine Mundwinkel hoben sich.   Er konnte seine Arme nur mühsam bewegen. Sakura erzählte ihm, dass sie die Muskeln und Chakrabahnen und Sachen, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass sie in seinen Armen waren, wieder hatte zusammenfügen können. Aber trotzdem müssten sie sich erholen und besonders die Nerven wieder besser zusammenwachsen.   In der Nacht machte er kein Auge zu. Seine Arme wurden mit Schmerzmittel vollgepumpt, nachdem er einen Schmerzschub erleiden musste, und er fühlte sich, als wäre er unbesiegbar, obwohl er natürlich wusste, dass das ein Irrtum war – andernfalls läge er ja nicht hier. Seine Beine funktionierten einwandfrei. Vielleicht könnte sein Gehirn nach einem Spaziergang endlich abschalten. Er stieg aus dem Bett und wanderte durch die einsamen Flure. Er schwebte. Die Nacht war frisch, doch in dem Gebäude herrschte eine Temperatur, die ihn dazu verleiten wollte, das Krankenhemd auszuziehen. Er tat es nicht, weil er plötzlich Sakuras Stimme vernahm.   „Hast du Schmerzen?“ Er schüttele den Kopf. „Sai, du sollst noch nicht aufstehen. Das weißt du“, warf sie ihm vor. „Wenn sich ein Kamerad verirrt, würdest du ihm sagen, dass er sich verirrt hat, auch wenn du den richtigen Weg nicht weißt?“ Wie so oft, stand sie an dieser Tür, die Hand wie eine Feder auf die Türklinke gelegt und wartete. Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Es wäre dumm sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war. Und er war sich sicher, dass auch Sakura genug gesehen und erlebte hatte, um das zu wissen. Und trotzdem betrog sie sich. Und stand wieder einmal hier. Und wartete. Aber vielleicht hatte sie eigentlich keine Zeit mehr dafür. Vielleicht wartete sie schon zu lange und vielleicht wartete auch er schon zu lange, obwohl er noch nicht ganz begriff, worauf. Vielleicht war das auch nur das Schmerzmittel.   „Sai, du bist voller Schmerzmittel, du solltest wirklich –“ „Das sind nicht die Schmerzmittel“, behauptete er und bestand auf eine Antwort. Aber ganz ausschließen konnte er es nicht.   „Ja“, entgegnete sie langsam, als erwartete sie einen Haken. „Natürlich, wenn ich weiß, dass er sich verirrt hat.“ „Ich auch“, erwiderte Sai und dann sagte er ihr, was sie nicht hören wollte „Sakura, du hast dich verirrt.“ „Nein, habe ich nicht, ich wollte lediglich zu dir, um nach dir zu sehen.“ Sie standen in dem leeren Flur, der durch Sterilität gezeichnet war – so ein Krankenhausflur mit Bilder die nichts aussagten und nur dort hingen, in einem Versuch, die Anonymität aus dem Gebäude zu vertreiben, doch es gelang nur, sie zu verschleiern. Die Nacht scheuchte alle Geräusche des Tages in weite Ferne und übrig blieben nur seine Worte.   „Warum stehst du dann vor ihrer Tür?“   Sakura stand zwischen diesen Bildern und schaute ihn nicht an, doch er hatte bemerkt, dass sich ihre Augen geweitet hatten. Strähnen fielen ihr ins Gesicht, das Müdigkeit in sich verbarg. Es versuchte. Und sie wartete. Wartete hier auf jemanden, auf den sie schon seit ihrer Kindheit wartete. Sai wusste das, weil er es selbst gefühlt hatte – vor langer Zeit. Er hatte sich immer ausgemalt, wie es sein würde, seinen Bruder wiederzutreffen. Er hatte es sich als Kind so oft und so sehr gewünscht, dass er manchmal davon geträumt und aufgewacht war, in der Annahme, es wäre Realität geworden. Doch das war es nie.   „Hier – wo du stehst. Es ist eine Sackgasse.“ Sie wollte widersprechen, er bemerkte es daran, wie sie ihre Kiefer aufeinander presste. Doch er hatte recht und sie entkräftete es nicht. Nicht einmal Schmerzmittel konnten diese Wahrheit verunreinigen.   Danzou hatte in seiner These nicht falsch gelegen. Hass führte zu Konflikten und Konflikte arteten in Kriege aus. Die Liebe war nicht die Lösung. Denn auch die Liebe führte zu Konflikten, zu Kriegen. Es ging nicht darum, Gefühle zu haben oder keine Gefühle zu haben. Oder welche. Vielleicht war es gar nicht so wichtig, was für ein Name seine Gefühle besaßen. Vielleicht ging es darum, wie man mit ihnen umging. Das hatte Naruto ihm doch schon so oft vorgeführt.   „Ich stecke auch in einer Sackgasse“, gab er zu. „Würdest du mir die Richtung zu deinem Herzen zeigen?“ Für einen Moment war Sakura still. „Das sind jetzt aber wirklich die Schmerzmittel, Sai. Aus welchem Buch hast du das schon wieder?“, prustete sie dann los und es passte nicht an diesen Ort oder zu ihrem Gespräch. Es passte nicht, so wie sie beide nicht hierher passten. Zusammen in diesen Gang, über das redend, über was sie sprachen. Er öffnete den Mund, doch sie winkte ab. „Schon gut. Ich will es gar nicht wissen. Wir haben uns beide verrannt, Sai. Jeder von uns auf seinem Weg. Aber –“ Mühsam konzentrierte sie ihren Blick auf ihn, aber es wirkte, als wollten ihre Augen ihn nicht erfassen, als versuchten sie ihn auszublenden, während ihr Blick auf ihn gerichtet war. Er sah etwas, dass wie ein Kampf aussah. Es durchzuckte ihre Iris wie ein Blitz, der in einen Baum einschlug, das Laub entfachte. Feuer fing. Sie versuchte, es zu löschen. Er sah es ganz deutlich, wie es flimmerte, was auch immer es war. „Aber ich glaube nicht, dass ich dir auf deinem Weg helfen kann. Höchstens zurück in dein Zimmer.“   Asche, es war wie Asche in ihren Augen. Sakura lächelte schwach. Nein, es war kein Lächeln, sie verzog lediglich die Lippen, als versuchte sie, sie nicht aufeinander zu pressen, als wollte sie ihm zeigen, dass es okay war. Aber es war nicht in Ordnung. In ihrem Augen stand es. Dort stand er geschrieben, der Schmerz, der Verlust, die Schuld. Alles, was sie in ihrem Leben gezeichnet hatte, alles, was sie mit ihm verband und all die Gründe, warum sie in diesem Moment hier stand. Und warum sie ihn küsste und doch wieder abwies.   In dem Buch war die Reaktion der Frau anders ausgefallen.   „Ich glaube, dass es nie wieder so sein wird, wie es mal gewesen ist“, stellte sie plötzlich zwischen sie beide. Es hing in der Luft. Die Erinnerung an Krieg und Verletzte und Tod. An unschuldige Opfer und Kinder, die ihre Eltern verloren hatten und nach ihnen fragten. Und sie selbst, die so viel geopfert hatten, die zwischen all den Ereignissen standen und für eine Zukunft gekämpft hatten, mit der sie inzwischen kaum mehr etwas anzufangen wussten. Sie führten Missionen durch und sie erwarteten, irgendwann während einer zu sterben.   „Du hast zu mir gesagt, ich soll wiederkommen und ich bin wiedergekommen, Sakura“, erinnerte er sie, stützte sich an ihrer Schulter ab, weil seine Beine plötzlich so schwer wurden. „Ich bin nicht er“, murmelte er, während sie seinen Arm um ihren Nacken legte und ihn zurück in sein Zimmer brachte. Er folgte ihren Bewegungen und ließ sich im Bett nieder, spürte, wie sie ihm die Decke bis zum Hals zog. „Nicht er“, hauchte er und seine schweren Augenlider schlossen sich. Kapitel 14: Wie Frost in Deinen Augen ------------------------------------- Er erwachte und Erinnerungen drängten sich ihm auf, die er nicht von Träumen unterscheiden konnte. Er war aufgestanden in der Nacht. Das war Realität gewesen, nicht? Er hatte Sakura getroffen. Dann hatte er mit Shin geredet. Sie hatten trainiert. Das war keine Realität gewesen. Er hatte mit Sakura gesprochen. Er hatte sie vor jener Tür bemerkt. Realität. Eine Sackgasse hatte sie verfolgt, die sich plötzlich über ihre Köpfe gestülpt hatte. Realität? Eher nicht. Danzou hatte ihm klar gemacht, dass er versagt hatte. Dass er Versagen nicht duldete. Naruto hatte ihm erklärt, dass Freunde auch ab und zu den anderen küssten und war ihm verdächtig nahe gekommen. Sakura hatte ihn angesehen, doch dann war er nicht mehr er selbst gewesen, sondern Sasuke.   Sai schloss seine Augen und seufzte.   In seinem Kopf trommelte Schmerz, ein Pochen durchwühlte seine Schläfen. Ohne einen weiteren Gedanken entkam er in eine Dunkelheit der Unruhe. Augen, die ihn amüsiert musterten, Augen, die ihn müde anblickten, Augen, in denen Sehnsucht stand. Gefühle, die er nicht verstand, Gefühle, die er kaum erahnen konnte. Grüne Augen.   Umso mehr die Schmerzmittel herunter gesetzt werden konnten, desto weniger zitterten seine Hände. Er starrte aus dem Fenster, betrachtete die Wände und musterte die Gesichter, die sich über ihn beugten, um ihn zu untersuchen. Eines blieb ihm im Gedächtnis.   Manchmal in der Nacht, streifte er durch die dunklen Gänge – in der Zeit, wenn Traum und Wirklichkeit verwischten. Doch durch seine Gedanken waberte Klarheit. Dann beobachtete er sie ab und zu, wie sie dort vorbeiging, die Fingerkuppen die Türklinke entlang streifen ließ und zögerte, als wollte sie die Tür öffnen, aber sie tat es nicht. Sie wirkte so verletzlich in diesen Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlte, dass er ihr nicht vor Augen führen wollte, dass er sie sah. Denn er war sich sicher, es wäre wie für ihn eine unangekündigte Berührung. Er zog sich wie ein Schatten zurück und ließ sie allein an der Tür zurück. Immer wieder. In seinem Bauch kämpfte Kälte gegen Wärme. Er wollte sie gerne an die Hand nehmen und ihr sagen, dass alles gut werden würde. So wie sie es der Familie versprochen hatte. Aber er wusste, dass das nicht stimmte. Sakura suchte hier etwas, das er ihr nicht versprechen konnte, denn andernfalls wäre sie nicht hier, sondern bei ihm.   Seinen Kopf durchkreuzten Gedanken, die er nicht greifen konnte. Gedanken, wie er überleben konnte, schoben sich zur Seite und übrig blieben Erinnerungen und Wünsche. Jetzt gerade fragte er sich, warum sie nicht nach Hause ging – denn ihre Augenringe sprachen Bände. Er war sich auch nicht im Klaren darüber, warum sie sich offenbar in der Arbeit zu ertränken gedachte, warum sie auf ihn wartete. Er wusste auch nicht, warum er ihr von allen Fragen, die durch seine Gedankenbahnen strömten, ausgerechnet diese stellte.   „Warum wartest du auf ihn, Sakura?“ Sie stellte ein Gerät ein und notierte sich Werte, als er sprach und sie inne hielt. „Was meinst du?“ „Warum gehst du nicht einfach zu ihr hinein?“ „Zu wem?“   Er lag in dem Bett, stemmte sich hoch, um sie besser ansehen zu können. Sie trug geschäftig Werte ein und kontrollierte seinen Blutdruck, aber er hatte gelernt, dass sie solche Dinge auch tat, um seinem Blick auszuweichen.   „Zu dem rothaarigen Mädchen.“ „Achso, du meinst Karin.“ Sie nannte diese Information, als wäre es für sie eine Neuigkeit über die junge Frau nachzudenken. Aber Sai wusste es besser, denn er kannte das Gefühl, wenn eine Person die eigenen Gedanken beherrschte.   „Hast du mit ihr gesprochen?“ „Warum?“ Sakura tastete seine Arme ab. „Hast du sie gefragt, wie sie zu Sasuke steht?“ Sakuras Finger hielten in ihrem Tun inne, ehe sie ihm den Verband am Kopf erneuerte. „Wie kommst du denn darauf?“ Sie lachte auf, nur um dann diesen Ausdruck von Ernst in ihren Augen nicht verbergen zu können. „Wie kannst du nicht darauf kommen?“   Gefühle waren für ihn oft eine Angelegenheit, die mit Unverständnis und Überforderung verbunden war. Er las etwas in Sakuras Mimik, wie sie die Lippen verzog und auf ihrer Stirn Falten entstand, die nicht vom Älterwerden stammten, sondern von – Ärger? Sorge? Sie strich sich eine Strähne ihres Haares hinters Ohr und atmete tief ein, weil sie – genervt war? Ruhe bewahren wollte? Sauerstoff benötigte?   „Er hat dir doch gesagt, dass sie nicht du ist. Das hört sich logisch an.“ Sie hörte seine Lungen ab, notierte sich etwas. Vielleicht tat sie aber auch nur als ob. „Auf was wartest du, Sakura? Sagt dir sein Blick, dass –“ „Sei still, Sai.“   Sie sah plötzlich von ihrem Klemmbrett auf und fixierte ihn, statt seinem Blick auszuweichen griff sie ihn mit ihrem eigenen an, wie ein verwundetes Tier, das man in die Ecke gedrängt hatte. In ihren Augen schoben sich Eisschollen über das Frühlingsgrün ihrer Iris und ließen es erfrieren. „Es geht dich nichts an.“   Er war sich nicht sicher, ob das stimmte. Vielleicht würde er ein Buch dazu finden, aber zunächst einmal akzeptierte er die Prämisse. „Wann kann ich wieder trainieren?“   Sicherlich deutete sie seine Frage als Zustimmung, aber das war nicht seine Intention. Vielleicht war sie auch lediglich überrascht über den Themenwechsel und hatte sich für ein Streitgespräch gewappnet. Jedenfalls musterte sie ihn einen Moment lang, als erwartete sie eine Bombe, die er zünden würde, doch es kam keine und so ließ sie sich auf seine Frage ein.   „Kein Training für die nächsten zwei Monate.“ Ihn überrollte Erschütterung. Was sollte er mit seiner Zeit anfangen? Was bedeutete seine Zeit? Was bedeutete er? Das hieß – er war nutzlos, eingesperrt in einen nutzlosen Körper, ein nutzloser Teil der Gesellschaft, der – „Aber du solltest deine Arme trainieren. Das heißt weiterhin Physiotherapie für dich und morgen darfst du gerne etwas malen“, ordnete sie an und machte sich währenddessen Notizen. „Etwas malen?“, hakte er nach und Unverständnis durchkreuzte seine Gedankenwege. „Kommt das für dich nicht Training am nächsten?“ „Malen wozu? Braucht ihr Unterstützung für –?“ „Nein, kein Training, kein Auftrag. Lediglich – malen. Für dich. Für deine Arme.“ „Ich male nicht für mich. Ich male für den Kampf, für Missionen, für Konoha.“ „Und für nicht im Kampf?“ Er sah sie verständnislos an. „Was meinst du?“ „Hast du denn nie einfach so gemalt?“   Es war so lange her, dass er sich nicht erinnern konnte. Das war sicherlich noch gewesen, als er nicht einmal hatte schreiben können – wenn überhaupt. Also schüttelte er langsam den Kopf und verlangte nach Pinseln und Papier.   „Gut, gut. Bekommst du morgen“, sagte sie ihm zu und wandte sich um. Sie hatte bereits ihre Finger auf der Türklinke, als ihn ein Gedanke durchzuckte. „Sakura“, sprach er sie an und sie hielt sofort inne, als hätte sie darauf gewartet, ihren Namen aus seinem Mund zu hören, schaute ihn über die Schulter hinweg an.   „Wenn er bei dir ist, fühlst du dich dann lebendig?“ Da war er wieder. Der Frost in ihren Augen. Kapitel 15: Wie Herbst in Deinen Augen -------------------------------------- Sie sagte nichts auf seine Frage hin. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Worte auch in Blicken stehen konnten, dass Emotionen manchmal unausgesprochen blieben, obwohl sie für andere greifbar in der Luft sirrten. Das war für ihn bis heute schwer zu verstehen. Aber als er ihr in die Augen sah, glaubte er, die Antwort zu kennen. Am nächsten Tag starrte er statt an die Wand oder Decke auf eine Leinwand, die auf einer Tischstaffelei auf dem Fensterbrett stand. Erstaunt hatte er die Schwester gefragt, woher sie die Utensilien hätten, doch die hatte lediglich geantwortet, dass ihre Chefin herumgefragt hätte. Sakura hatte sich also bei Freunden und Bekannten erkundigt, vielleicht sogar eingekauft – für ihn. Jetzt stand er am Fenster und ließ seinen Blick schweifen, in seiner Hand Pinsel, in der anderen eine Farbpalette. Er konnte nicht. Er war unfähig zu malen – nicht, weil seine Arme noch immer nach einer gewissen Anstrengung viel zu schnell ermüdeten, sondern weil er es nicht sah. Im Kampf erkannte er sofort, welche Linien, welche Figuren er zeichnen musste. Er dachte nicht lange darüber nach, sondern malte das, was benötigt wurde. Ein Tiger, wenn sie Verstärkung im Kampf brauchten, Mäuse, wenn sie etwas auskundschafteten, Vögel, um einen Überblick zu bekommen. In solchen Situationen war es so selbstverständlich, seine Hand wurde dann wie von selbst geführt, aber jetzt. Er fühlte sich so unvollkommen. Als suchte er eine Antwort auf eine Frage, die er nicht kannte. Aber hatte er ihr nicht bereits die Frage gestellt? Manchmal sah er Naruto, wie er Hinatas Hand in die eigene legte und ihr sein Lächeln schenkte – nicht dieses überbreite, sondern eines, das seine Augen erwärmte. Dann schlenderten die beiden die Straße entlang, dabei schienen sie nicht einen Meter davon wahrzunehmen, sondern nur einander. Sai fragte sich, ob es stimmte, was Naruto ihm gesagt hatte – dass es nichts gab, womit er die Liebe erklären konnte, aber dass sie sich selbst erklärte, wenn man sie fühlte. Natürlich hatte er es mit anderen Worten ausgedrückt. „Keine Ahnung, wie man das erklären soll, aber – also – wenn sie da ist, ist es total klar. Man weiß es einfach, echt jetzt.“ Aber was war, wenn man sich vor ihr fürchtete? Was, wenn die Antwort, die man fand, nicht die war, die man hören wollte? War es dann nicht besser, sie nicht zu finden und zu suchen, ohne auf sie zu stoßen? Tat es mehr weh, sie nicht zu finden – als die Antwort zu finden, die einem womöglich das Herz brach? Brachen Herzen überhaupt? Konnten nicht nur Dinge brechen, die hart waren? War Sakuras Herz hart, obwohl ihre Haut so weich war, ihre Lippen, ihr Blick? „Das ist wirklich schön, Sai.“ Sakura tastete seine Arme ab, wie sie es immer während der Kontrolluntersuchungen tat und schenkte ihm einen Blick, den er nicht deuten konnte. „Also geht es meinen Armen besser“, stellte er fest und zog die Ärmel herunter. „Das auch. Aber – ich meinte eigentlich das Bild.“ Ihr Blick wanderte von ihm zu der Leinwand und wieder zurück. „Es ist nichts Besonderes.“ „Ist das nicht subjektiv?“ „Alles auf der Welt ist subjektiv, ja. Aber wenn es für die Mehrheit als nicht-besonders gilt, dann wird es als Tatsache anerkannt.“ „Hierbei geht es nicht um die Mehrheit, sondern nur um dein Bild und mich. Ich mag es.“ „Ich mag dich auch.“ Sakura sah Sai überrascht an. „Dir ist bewusst, dass –“ „Ich habe es nicht missverstanden, Sakura. Oder?“ „Was meinst du?“ Sie wich seinem Blick aus und sie wussten beide, dass sie nicht mehr über das Bild sprachen, sondern über all die kleinen und großen Gesten. „Ist das eine rhetorische Frage? Das ist nicht meine Stärke.“ Sakura atmete tief durch, was er ihr nicht verübeln konnte, denn vielleicht fühlte sich ihr Brustkorb gerade auch so eng an wie sein eigener. „Ich – mag dich auch, Sai. Sehr. Ich –“ „Aber?“ Wenn Leute solche Sätze sprachen, dann folgte meistens eine Einschränkung. „Aber es geht nicht nur darum, was ich – mag.“ Da war sie – die Einschränkung. Nur die Erklärung leuchtete ihm nicht ein. „Aber – was ändert es an dem Ergebnis?“ „Es geht nicht um das Ergebnis, Sai. Es geht um die Ursache. Und das ist ein Unterschied.“ Er verstand nicht, wo der Unterschied liegen sollte. Vielleicht sagte ihr das genau sein Blick, denn sie begann von selbst zu erklären, ohne dass er vorher nachgehakt hätte. „Es ist ein Unterschied, ob ich dich – mag oder ob ich einfach nur Sasuke nicht mehr – mag.“ „Aber letztlich mündet es in derselben Konsequenz. Du magst es, bei mir zu sein.“ „Aber es ist ein Unterschied. Ob ich es mag, weil ich dich mag oder weil ich es einfach nicht mag, alleine zu sein.“ „Für mich nicht. Für mich heißt es einfach, dass du hier bist. Bei mir.“ Er wusste nicht, ob sie seinetwegen glücklicher würde, aber er war sich sicher, dass sie seinetwegen nicht unglücklicher wäre. Auf ihrem Gesicht zuckte etwas wie Qual. Und in ihren Augen da schmolz etwas. Als könnte sie sich nicht dagegen wehren, dass er etwas in ihr aufbrach und die Kälte und das Eis aus ihrem Blick fegte – immer und immer wieder. Vielleicht war ihr Herz doch hart und irgendwie schaffte er es, es zu brechen, aber nur die harte Schale und das, was darin verborgen lag, frei zu legen – wie bei einer Nuss. „Es ist nicht so – einfach.“ Und dann dieser Moment, wenn Herbst in ihren Augen tobte. Sturm. Braunes Laub, das sich über die Grashalme legte und alles Grün unter einer braunen, matschigen Schicht erstickte. „Wenn mir eines bewusst ist, dann das, Sakura. Ich verstehe die meisten Gefühle nicht, es ist schwer für mich, zu begreifen, was in anderen vorgeht, oft, weiß ich nicht einmal, was in mir selbst vorgeht. Ich verletze Menschen, die ich nicht verletzen will und Menschen, die mir nahe sein wollen, entfernen sich von mir, obwohl ich versuche, ihnen näher zu kommen. Ja, es ist alles andere als einfach.“ Sie blieb stumm, obwohl er glaubte, sie wollte ihm etwas sagen. „Ich weiß aber, dass wenn du bei mir bist – dann fühle ich mich lebendig.“ Sie schluckte, dann öffnete sie den Mund, dann schloss sie ihn wieder, dann zog ihr Blick Bahnen durch das Zimmer, dann zurück zu ihm, dann hinaus aus dem Fenster, als suchte sie etwas, vielleicht die Worte, die ihr nicht über die Lippen kamen. Es lag etwas in ihrem Blick. Vielleicht eine Entschuldigung, aber er verstand es nicht. Er wusste nur, dass die Worte, die sie letztlich aussprach, nicht die Worte waren, die sie herunter geschluckt hatte. „Wenn es so weiter verläuft, wie jetzt, dann darfst du morgen nach Hause.“ Und ließ ihn zurück. Am nächsten Tag entließen sie ihm. Das hieß, dass er vor dem Frühstück nach Hause geschickt wurde, während Sakura einen Patienten versorgte. Letzteres wusste er, weil er nach ihr gefragt hatte. Er rechnete damit, dass er Sakura in den folgenden Tagen nicht sehen würde, weil sie genug Patienten, genug zu tun, zu wenig Zeit zum Schlafen hatte, aber da irrte er sich. Also wahrscheinlich hatte sie genug Patienten, aber sie besuchte ihn trotzdem. Vielleicht lag es wirklich an ihrem Schlaf, aber dafür war sie beinahe zu gut gelaunt. Es war fast unbeschwert, so wie in den Tagen, in denen sie regelmäßig bei ihm aufgetaucht war und umgekehrt. In der Zeit, in der die Wunden des Krieges langsam vernarbt waren, aber noch frisch genug, um ab und zu aufzuplatzen. Aber vielleicht konnte einen die Vergangenheit immer einholen, egal, wie viel Zeit vergangen war, denn die Vergangenheit war in unseren Gedanken präsent. Dort wurde sie immer wieder für einen Moment zur Gegenwart. Und das verdarb ihm den Appetit. Sakura sah ihn deswegen an, wie sie es tat, wenn sie ihn zur Kontrolle untersuchte und so, wie sie es tat, wenn sie sich um Naruto Sorgen machte. Er war stolz auf sich, dass er ihre Gefühle erkannte. Sie sprachen das Gespräch, das sie geführt hatten an dem Tag vor seiner Entlassung, nicht an, und er wusste, dass es eine Art Übereinkunft zwischen ihnen gegeben haben musste. Denn weder er noch sie verloren ein Wort darüber. Natürlich war es Naruto, der das System nicht begreifen wollte. „Hey, Sai. Sakura meint, du würdest nichts essen. Ich hab Ramen mitgebracht. Du kannst auch was haben.“ Er sah nicht auf, den Pinsel in der Hand, doch er roch sofort, dass Naruto nicht log. Wie könnte der das auch bei dem Thema Ramen? „Ich habe keinen Hunger.“ „Was?“ Für Naruto schien es unnachvollziehbar zu sein, dass jemand angesichts von Essen – und insbesondere Ramen – nicht sofort in Fressattacken ausbrach und alles davon in sich hineinstopfte. „Keine Zeit.“ „Keine Zeit?“ „Genau. Ich male.“ Naruto setzte sich unaufgefordert auf das Sofa und begann zu essen. „Warum? Was malst du?“, fragte er mit vollem Mund, was Sai nicht sah und auch nicht sehen musste, deswegen hörte er auch nicht auf zu malen. Wobei. Eigentlich war das natürlich nicht der Grund. Denn – „Es nimmt mir meine Luft zum Atmen. Ich – all das. In meinem Kopf. In meinem – Bauch. Alles ist so voll. Ich fühle mich so – voll und – so leer. Wie geht das?“, brachte er heraus und zögerte in der Pinselführung, aber er legte den Pinsel nicht zur Seite, er hörte nicht auf. Er würde nie aufhören. „Voll – weil du – ähm. Also leer, weil du wahrscheinlich Hunger hast und voll, weil es – Sai. Ich kenn mich da nicht gut aus, aber Sakura –“ „Sakura weiß nicht, was sie will.“ „Sakura hat mir –“ „Sie liebt Sasuke.“ Naruto hustete. Er hustete und rang nach Luft, so dass Sai ihm einen Blick zuwarf, um abzuwägen, ob er fast erstickte und neben ihm auf dem Sofa starb oder ob er fast erstickte und überleben würde und welche Rolle dabei seine Hilfe spielte. Er kam zu dem Schluss, dass seine Hilfe unerheblich war, als Naruto aufhörte mit der Husterei und krächzte: „Hat das was damit zu tun, was sie dir da gesagt hat?“ Narutos Stärke war es noch nie gewesen, sich präzise auszudrücken. „Also – sie hat mir erzählt, dass ihr geredet habt – bevor du wieder aus dem Krankenhaus nach Hause durftest und –“ „Sie wird ihn immer lieben“, unterbrach er Narutos Ausführung, denn darauf lief es hinaus. War es nicht genau das, was Sakura ihm mitgeteilt hatte? Naruto machte einen Laut, der ihn an einen Fisch auf trockenem Wasser erinnerte. Er schluckte und schwieg und diese Stille schwebte zwischen ihnen, in der nur Sais Bewegungen störten, die ein Rascheln seiner Kleidung verursachte. Und dann sprach Naruto und er tat es mit leerem Mund, was Sai irritierte, denn mit einem vagen Blick konnte er erkennen, dass die Nudeln in den Pappbox vor ihm noch nicht aufgegessen waren. Vielleicht war es das, was Sai in seiner Bewegung innehalten ließ. „Weißt du, wenn sie von Sasuke spricht, dann redet sie von früher. Sie sagt so was wie: Naruto, weißt du noch? Naruto, erinnerst du dich? Oder damals und so. Ich glaube, also – Sakura liebt ihn nicht. Sie liebt nicht den Sasuke, der er jetzt ist, sondern den, der er einmal war. Oder so.“ Naruto kratzte sich an seinem Hinterkopf, runzelte die Stirn, als überlegte er, ob seine Worte einen Sinn ergaben. Sai betrachtete ihn, als wollte er ihn malen, als versuchte er sich seine Mimik einzuprägen, um sie auf die Leinwand zu bannen. Es überraschte ihn, dass Narutos Worte für ihn tatsächlich sinnvoll klangen – und trotzdem so unverständlich waren. „Das verstehe ich nicht“, gab er dann resigniert zu und setzte sich neben Naruto, der ihm – natürlich unaufgefordert – eine Pappbox Ramen hinschob. „Ich auch nicht.“ Kapitel 16: Wie Winter in Deinen Augen -------------------------------------- „Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Ich bin in der Gegenwart, Naruto. Aber sie ist in der Vergangenheit“, versuchte er zu erklären, warum er malte, versuchte dieses Gefühl in seinem Magen und diese Enge in seinem Brustkorb in Worte zu fassen, wenn er an das Gespräch zurückdachte und dadurch die Vergangenheit für einen Augenblick wieder zur Gegenwart wurde. Naruto runzelte die Stirn, aber widersprach nicht und kaute weiter auf den Nudeln herum.   Sai sah, wie Sakura manchmal in der Nacht vor dem Zimmer stehen blieb – kurz bevor sie nach Hause ging. Dann wenn die Gänge wie ausgestorben da lagen und die Patienten schliefen. Es waren jene Momente in der Nacht, wenn sie dachte, dass sie niemand sah. Aber Sai betrachtete sie und wie sie vor der Tür stand, die Hand auf der Klinke und sonst nichts tat. Als er sich aus den Schatten löste, zuckte Sakura zusammen und fuhr ihn aufgebracht an: „Was machst du hier, Sai? Es ist Nachtruhe!“ „Genau deswegen“, erwiderte er und griff nach ihrer Hand. „Komm mit.“ Sie zog ihre Finger nicht aus den seinigen und für einen Moment blitzte in seinen Gedanken das Bild von Naruto und Hinata auf, wie sie gedankenlos die Straße entlang schlenderten. Vielleicht spürte Sakura, dass es für ihn nicht bedeutungslos war – nein, sie wusste es bestimmt und vielleicht zog sie aus diesem Grund ihre Hand dann doch aus seiner und schaute ihn so an, als wollte sie etwas sagen, aber sie tat es nicht. „Ich möchte dir helfen –“ „Nein, Sai, du sollst noch nicht wieder aktiv mitarbeiten und –“ „Und du solltest auch nicht immer Überstunden machen.“ Sie verstummte und verzog den Mund. „Touché.“   Einige Tage später mampfte Naruto auf seinem Sofa die zweite Packung Instant-Ramen, als er ihm davon berichtete. „Du hast Recht“, stimmte er mit vollem Mund zu, „sie macht wirklich zu viel Überstunden.“ „Ich meinte die Sache mit der Tür.“ „Welche Tür?“ In diesen Momenten zweifelte er an Narutos Aufnahmekapazität und an seiner eigenen Wahl des Kommunikationspartner. „Die Tür, vor der sie immer stehen bleibt“, erläuterte er stoisch. „Achso.“ Sai wartete. Und wartete. Aber er wartete vergeblich auf Narutos große Erklärung, was hinter diesem Achso stand. Stattdessen aß der voller Wonne weiter und bemerkte erst nach gefühlten Stunden, dass Sai ihn nicht aus den Augen ließ. Vielleicht gab es hinter Narutos Ausruf auch tatsächlich nichts Weiter als die Erkenntnis, dass Sakura vor einer Tür wartete. „Warum geht sie nicht einfach rein?“, hakte Naruto nach und kratzte sich am Kinn. „Rein?“ „In das Zimmer. Durch die Tür.“ „Es ist wegen Karin, denke ich.“ „Die wurde doch schon längst entlassen“, widersprach Naruto verwirrt. Sai erwiderte seinen Blick stoisch, aber seine Verwirrung war nicht weniger als die des Blondschopfes.   Wenn er bei Sakura war, dann verwirrten ihn seine Gedanken noch mehr, als es Naruto jemals hätte tun können. Sie lächelte, während Trauer über ihre Mimik zuckte. Sie lehnte sich an ihn, während sie sagte, dass sie gehen müsste. Sie ging, wenn sie sagte, dass sie gerne bleiben würde. Es war als wären alle zwischenmenschlichen Regeln, die er sich mühsam angelesen hatte, bei ihr verloren gegangen.   Aber ihr Lächeln ließ ihn lächeln.   „Du hast gemalt!“, rief sie und schaute über ihre Schulter zurück zu ihm, dann wieder zu der Leinwand. Normalerweise malte er mit schwarzer Tusche. Dieses Mal war es anders. Er trat einen Schritt an sie heran, stand hinter ihr und nahm ihren Finger. „Das ist Naruto“, erklärte er und deutete mit ihrem Zeigefinger auf eine Figur, die gelb loderte und ließ die Fingerkuppe leicht über die Farbe streichen, so dass sie den dicken Farbauftrag nicht nur sehen, sondern auch spüren konnte. Es war typisch Naruto. Leuchtende Farbe, viel Farbe. So wie seine Beweggründe und die Worte, die er sprach. Mit denen er aus Fremden Freunde machte, ja sogar Feinde berühren konnte.   Ihr Blick wanderte weiter über die Leinwand und zeigte auf einen jungen Mann, der in Rot leuchtete und am Rand stand. In der Rechten einen Pinsel, vor sich eine Pergamentrolle. Es war eindeutig, dass er sich selbst hatte darstellen wollen – zumindest warf Sakura ihm einen Blick zu, der es in Betracht zu ziehen schien. „Das bist du, nicht?“ Er nickte. „Rot? Warum rot?“, fragte sie und legte ihren Kopf schräg. „Rot ist die Komplementärfarbe zu Grün.“ Ihre Stirn runzelte sich. „Komplementärfarben sind Farben, die miteinander gemischt, Grau ergeben. Der Begriff stammt aus der Farbenlehre. Komplementär heißt Ergänzung.“ „Grau?“, hakte Sakura ab und Verwirrung zeichnete ihre Mimik. Sai hatte das schon oft gesehen, wenn Naruto mit vollem Mund sprach und nichts zu verstehen war – wobei dann noch eine andere Komponente in ihrem Gesicht dominierte: Ekel. Von dem erkannte Sai momentan nichts. Nein, es war einfach nur Verwirrung, dabei war seine Erklärung doch simpel gehalten – und für Sakura bei Weitem keine Herausforderung. Vielleicht begriff sie nicht, worauf er hinaus wollte. Das Problem war, dass er das selbst nicht konkretisieren konnte. Gefühle waren so verwirrend.   Er deutete auf eine Gestalt, die sich aus grünen Farbtönen hinaus bewegte. Es war ein Mädchen, eine junge Frau, die zwischen Laub und grünlichen Sonnen zu schweben schien. „Das bist du.“ Etwas in ihrem Blick veränderte sich, glaubte er zu erkennen. Dieses Mal war es anders. „Weißt du, was Komplementärfarben noch kennzeichnen?“, flüsterte er, stand ganz nah bei ihr, spürte ihre Wärme und nahm mit jedem Atemzug ihren Duft tiefer in sich auf. Sie neigte ihren Kopf zu ihm, als wartete sie auf seine Erklärung. „Sie bringen einander zum Leuchten“, hauchte er. Ihr Mund formte ein stilles „Oh.“   Er stand hinter ihr, ihr Nacken sah so weich und blass aus. Eine feine Narbe schlängelte sich dort von oben nach unten. Was hatte sie dort getroffen? Er wollte sie mit seinen Fingern nachfahren. Sakura drehte ihren Kopf ein Stück und schaute ihn von unten heraus an. Das Grün ihrer Augen war ein Wald im Sommer. Kräftiges, leuchtendes Grün. Ein Rauschen in den apfelgrünen Blätter. Ein Zittern in den ahorngrünen Zweigen. Ihre Lippen näherten sich, er lehnte sich vor, da war ihr warmer Atem an seiner Wange und –   „Hey! Sai, wir müssen –“ Narutos Stimme brach ab, als er mit einem plötzlichen Ruuuums auf der Fensterbank ausrutschte und im Zimmer landete. Sakuras Kopf ruckte zurück, sie taumelte, ehe sie sich fing. Wieder in der Realität landete. Sai beobachtete, wie Naruto ihm und ihr abwechselnd Blicke zuwarf, ehe er sich räusperte. „Also – ähm – wir haben eine Mission. Es ist wichtig. ANBU-mäßig. Die Hokage will uns sehen“, raunte Naruto. Sai bemerkte, wie Sakura kurz ihre Augen schloss. In diesem Moment sah sie so verletzlich aus, dass in ihm das seltsame Gefühl aufstieg, sie in seine Arme ziehen zu wollen. Auch, wenn er nicht begriff, was ihr das helfen sollte, das Bedürfnis blieb. „Du bist kaum auskuriert“, warf Sakura ein, als könnte ihn das davon abhalten, sich in die nächste Mission zu stürzen.   Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Fristen endeten, Ruhephasen endeten. Manchmal endeten Momente, bei denen man sich im Nachhinein fragte, was gewesen wäre, wenn –? Aber solche Fragen stellte ein Ninja nicht, denn es war unerheblich. Die Mission ragte über jede Frage hinaus. Der Erfolg der Mission war wichtiger als das persönliche Glück. Die Zukunft Konohas entscheidender als die eigene Gegenwart. Es wäre dumm sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war.   Mit wenigen Schritten stand er im Schlafzimmer und zog seine ANBU-Uniform aus seinem Kleiderschrank. Zurück im Wohnzimmer, verharrte Sakura noch immer am selben Ort. Die Maske in der Hand sprang er auf das Fensterbrett, hielt sich mit der andere am Rahmen fest. Er wollte ihr etwas sagen, ihr etwas mit auf den Weg geben, etwas, das ausdrückte, was sich in seinem Bauch abspielte, wenn sie lächelte oder wie sich sein Magen zusammenzog, wenn sie so bedrückt schaute wie gerade. Er wollte verbalisieren, dass er zurückkommen würde und dass er ihre Augen sah, selbst, wenn sie nicht da war, dass das Grün ihrer Augen ihn verfolgte, ihn begleitete und er es auch nicht auf dieser Mission abschütteln könnte – oder wollte. Er sollte es, ja, aber er hatte gelernt, dass sein eigener Wille nicht gleich der Wille seiner Befehlshaber war. Nicht mehr. Er suchte ihren Blick und als sie seinen erwiderte, stolperten die Worte über seine Lippen. „Wenn du gehst, mach die Tür hinter dir zu.“ Sie nickte. „Danke“, sagte er und ließ sie zurück.   Niemals wusste man so ganz, was man zurückließ. Oder mit was man zurückkommen würde. Wie viele Narben mehr einen zeichnen, wie viele Opfer die Mission forderte, wie viele zurückkommen würden. Auf Missionen erschienen Stunden wie Tage und Wochen wie Monate. Manchmal drückte einen ein Gewicht, als wäre man um Jahre gealtert. Als er sah, wie Chakrapfeilen sein Kamerad durchlöcherten, nur weil er zu langsam gemalt hatte, blieb die Zeit einen Augenblick lang stehen. Sie dehnte sich aus und dann explodierte sie. Alles stürzte über ihn ein. An Narutos Brust klafften Wunden. Die Haut eingerissen, Blut tropfte über seine Glieder. Er sagte ihm, dass er, wenn er die Augen schließen würde, nie wieder Ramen essen könnte, dass er ihm noch etwas schuldete, weil er ihn das letzte Mal eingeladen hatte, Augenlider flatterten, ein Grinsen, das nicht in diesen Dreck passte, blaue Augen, die sich schlossen und – er flüstere Worte, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, als er auf Sakuras Liege saß. Wie war er hierher gekommen? Wo war Naruto?   „Er wird es überleben.“ Hatte er seine Gedanken laut ausgesprochen? Sakura notierte sich etwas, ehe sie zu ihm aufsah. Ihr weißer Kittel war fleckig. Ihre Augen klein und unter ihnen prangten Schatten. „Es ist ein Wunder, dass ihr da lebend rausgekommen seid. Es ist ein Wunder, dass du nur Kratzer abbekommen hast.“ Sie schaute ihn kaum an. Ihr Ton barg keine Erleichterung, nur Distanz. Sein Blick klebte auf der Uhr. Sie machte schon wieder Überstunden. Sie sollte damit aufhören. Mit den Überstunden und mit dieser Distanz. Er wollte sie erreichen, in ihrer Nähe ertrinken, wenn er schon ertrinken musste in diesen Gedanken und Bildern, die ihn jagten. Er versuchte, ihr zu erklären, was er fühlte. Dass es nicht die Kratzer waren, die ihn gezeichnet hatten auf dieser Mission. „Ich lebe, Sakura, aber ich fühle mich tot. Als raubt jede Mission ein Stück von mir.“ Dass man oft nicht sehen konnte, was in einem anderen vorging, wollte er sagen, aber wer wusste das besser als sie? „Jedes Mal, wenn ich sehe, wie jemand stirbt oder verletzt wird. Jedes Mal wird ein Stück von mir abgerissen, das ich nicht wieder finden kann“, erläuterte er nüchtern, als sähe er nicht gerade den Körper des dritten Kameraden vor sich, wie er zerfetzt wird. Er stöhnte, sein Kopf pochte wieder. Das Adrenalin ließ nichts als Leere und Schmerzen zurück. „Aber“, fuhr er fort, „wenn du da bist, dann fühle ich mich – nicht kaputt, dann bin ich da. Ganz da. Lebendig.“   Er rutschte von der Liege, um sich ihr zu nähern. Er nahm ihre Finger in die seinen, zog sie Zentimeter für Zentimeter an sich, so langsam, dass er wusste, dass sie jede Menge Zeit hatte, um sich von ihm loszumachen. Stattdessen tauchte sie ein in seine Nähe. Die Distanz bröckelte. „Ich hatte Angst, ich hatte so Angst“, murmelte sie gegen seine Haut, „ich hab gedacht, du kommst nicht wieder zurück. Ich denke jedes Mal, vielleicht kommt er dieses Mal nicht mehr wieder.“   Die Worte berührten etwas in ihm. Er lehnte sich vor und sie folgte seiner Bewegung. Ihre Lippen bewegten sich auf seinen und ihn durchzuckte das Gefühl der Unsterblichkeit. Adrenalin überschwemmte seine Adern, ein Pochen zog sich bis in seine Füße. Sie berührte seine Wange, seine Schulter, seinen Bauch. Seine Finger fuhren durch ihr Haar, über ihren Nacken, ihre Seiten hinab. Sie erzitterte.   „Nicht hier, nicht hier“, flüsterte sie und er glaubte zuerst, er sollte sie dort nicht berühren, aber dann nahm sie seine Hand und schaute ihn an und führte ihn aus dem Krankenhaus. Wie zwei Schatten verschwanden sie durch das Fenster.   Sie drückte sich an ihn, als hätte sie Angst, dass er verschwand. Etwas in ihm rumorte, verschlang jedes andere Gefühl außer dieses Brennen. Es schmerzte nicht, es war anders. Als rauschte Adrenalin durch seine Adern, ohne, dass er um sein Leben kämpfen musste. Seine Sinne waren geschärft. Er nahm ihren Duft war, ihren Schweiß und dieses Parfum. Er erkannte die Schatten unter ihren Augen und den unpassend wachen Blick, mit dem sie ihm entgegen blitzte. Mit einer Berührung überwand sie die Distanz, die ihre Zunge bisher gehütet hatte. Er spürte, wie sie über seine Lippen leckte. Er öffnete den Mund, um zu fragen, aber da hatte er schon seine Antwort und er presste die Augenlider aufeinander. Unwillkürlich hielt er den Atem an, als er sie so schmeckte. Er spürte ihre Hände, die unter sein Shirt wanderten, riss die Augen auf und bemerkte, dass sie ihn keine Minute unbeobachtet ließ, als las sie jede seiner Bewegungen, jede Miene, jeden Ton, den er von sich gab. Das Grün ihrer Augen durchstieß jeden Gedanken, der sich bilden wollte, jedes Gefühl baute sich dort herum auf. Er keuchte. Seit wann atmete er so laut? Ihre Zunge wanderte über seinen Hals, ihre Lippen berührten sein Ohr. Er erschauderte. Atemlos schauten sie sich einen vagen Moment an, stolperten bebend von seinem Wohnzimmer in sein Schlafzimmer, ohne die stetigen Berührungen zu unterbrechen, die zwischen Erschütterung und Lust pendelten. Es raubte ihm den Atem. „Sai“, flüsterte sie rau und alles in ihm versteifte sich. Da war Zuneigung in ihrer Stimme. Das war Zuneigung, oder? Kein bisschen Unsicherheit und trotzdem – es klang wie eine Frage. „Du weißt, was wir hier gerade machen, nicht?“, hauchte sie und er nickte knapp. Sie saß auf seinem Bett, hielt seine Hand, während er stand. „Willst du es? Du musst nichts tun, was –“ Er wollte ihr etwas sagen, ihr beweisen, dass er nichts Anderes wollte in diesem Moment, etwas, das ausdrückte, was sich in seinem Bauch abspielte, wenn sie ihn so anschaute oder wie sich etwas in seiner Leiste anstaute. Er wollte verbalisieren, dass das Grün ihrer Augen ihn verfolgte, ihn begleitete und ihn gerade ausfüllte. Ihre Wimpern lang und ihre Lippen geschwollen und ihre Hand auf seinem Handgelenk. Er fand keine Worte, aber er wusste – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben mit absoluter Sicherheit – was ihm sein Gefühl sagte.   „Darf ich?“, fragte er und sie nickte. Er legte seine Finger unter den Saum ihres Shirts und zog es langsam hoch. Sie ließ ihn erkunden, wandte ihren Blick nicht ab. Er spürte ihn durch seine Klamotten hindurch. Es prickelte. Jeden Zentimeter ihrer Haut verschlang er mit seinen Augen. Ihre Haut war weich und die Narbe, die sich über ihre linke Seite zog, hellte langsam auf. Er fuhr mit seinen Fingern darüber und spürte, wie Sakura schauderte. Sie lehnte sich zurück, nahm ihm ihr Shirt aus der Hand, das er planlos betrachtet hatte, und führte sein Gesicht über ihr eigenes. Er folgte ihrer Bewegung, kniete über ihr und öffnete ihre Hose, nachdem sie ihm bedeutet hatte, dass er es durfte, während sie ihm seinen Pullover über den Kopf zog und neben das Bett zu Boden gleiten ließ. Sie streichelte mit ihren Fingern über seinen Schenkel, öffnete seine Hose und fragte, ob er ihre Finger dort spüren wollte. Er wollte und sie ließ ihre Hand hinein wandern. Er keuchte, drückte sein Kreuz durch, wollte viel mehr von ihrer Berührung, wollte alles. „Sakura, ich –“, wollte er flüstern, aber es war ein Rufen.   Keuchend spürte er ihre warmen Finger zwischen seinen Beinen, seine Lippen an ihrem Nacken. Sein Blick fuhr über ihre zierliche Figur, die sich Jahr um Jahr gestählt hatte, feine Muskeln zeichneten sich auf ihrem Bauch ab, blieb an ihren hellgrünen Augen hängen, deren Farbe er im Mondlicht nur erraten konnte. Aber er wusste es, kannte jeden Millimeter ihrer Iris. Auf seinen Wangen spürte er ein Prickeln. Wurde er rot? Er war noch nie errötet. War eine nackte Frau in seinen Armen ein angemessener Grund? Die Finger dieser Frau in seiner Unterwäsche? Er fragte sich, ob Naruto auch – „Ist alle okay?“, wollte Sakura wissen, als er innegehalten hatte und musterte ihn. „Tut dir etwas weh oder hast du Sym-“ Er schüttelte den Kopf, legte einen Finger auf ihre Lippen, um diese nachzufahren, ließ sie dadurch sofort verstummen und ihn aufmerksam betrachten. Er hatte sich nie gefragt, ob er schön war, denn Schönheit war subjektiv. Jede Malerei, jede Zeichnung, jedes Bild vervollkommnete sich erst im Auge seines Betrachters. In diesem Moment fragte er sich, ob das auch auf Menschen zutraf. Und er wünschte sich, dass Sakura ihn als schön empfand. „Sai, du darfst mich berühren, wenn du willst“, hauchte sie und führte seine Finger über ihren Körper. Ihren Bauch entlang, an ihre Seiten hoch, über ihre Arme und Schultern. „Darf ich?“, fragte er und sie grinste, als er ihren Busen betrachtete. „Ja, Sai, du darfst“, flüsterte sie, als er sich wieder nicht bewegte, bis sie eindeutig ihre Erlaubnis gegeben hatte. Die Haut ihres Busens war weich, die Brustwarzen hell und wenn er mit seinem Finger darüber strich, dann begann sie schneller zu atmen. Er sah, wie sich ihr Brustkorb rascher hob und senkte und er hörte sie. Es war interessant, welche Reaktionen sie zeigte. Unterschiedlich – je nach dem, wo er sie berührte. Ob das bei allen Frauen die gleichen Reaktionen waren? Er hatte nie einen Gedanken an so etwas verschwendet. Jetzt war er sich unsicher, ob es überhaupt einer Verschwendung war. „Will ich wissen“, sie atmete tief durch, wahrscheinlich, um ihre Atmung und Stimme zu kontrollieren, „was du gerade denkst?“ „Ich habe mich nur gefragt, ob alle Frauen –“ Er sah, wie Sakuras Augen sich zusammenzogen und entschied, dass es vielleicht etwas sein konnte, dass sie nicht wissen wollte. „Ja, ob alle Frauen?“, fragte sie zu seiner Überraschung nach. Er lag schräg neben hier, sie auf dem Rücken. Ihre Finger kreisten auf seinem Bauch, spielten mit der feinen, schwarzen Haarlinie, die hinabführte. Er beobachtete, wie sich ihre Hand bewegte und schluckte. „Ob alle Frauen dieselben Reaktionen zeigen, wenn man sie an denselben Regionen berührt.“ Sie starrte ihn einen Augenblick an, dann hörte er etwas, das so klang, als versuchte sie nicht in Lachen auszubrechen. „Wie wäre es, wenn ich dir ein paar Reaktionen entlocke und dann kannst du ja andere Männer fragen, ob sie dasselbe empfinden, wenn man sie dort berührt?“ Ihre Mundwinkel zuckten, etwas glitzerte in ihren Augen, etwas, das ihn über das Angebot nachdenken ließ. „Hört sich nach einer interessanten sozialen Untersuchung an“, gab er zu und nickte. Sie kicherte. Es war ein Geräusch so frei von Sorgen und so weit weg von der Sakura, die vor dieser Tür verharrte, dass er sich fragte, ob die beiden dieselbe Person waren. Rein rational wusste er das natürlich, aber um diese Sakura hier pulsierte das Leben, während die andere davor wegrannte. Wellen aus Hitze, Strom, Lava pulsierte plötzlich in seinem Körper, als Sakura über seinen steifen Penis strich, sich im nächsten Moment über ihn beugte, ihr Mund näherte sich seiner Körpermitte, sie schaute ihn von unten her an, als wollte sie wegen etwas sichergehen, doch als er sich nicht rührte und ihrem Vorhaben gebannt folgte, entlockte sie ihm mit ihrer Zunge Reaktionen, die er nicht vorhergesehen hatte. Er stöhnte, wand sich unter ihren Berührungen, wollte mehr und nur sie. Da kam eine Lawine auf ihn zugerollt. Das Gefühl unter all diesen Gefühlen begraben zu werden, die Hitze verschlang ihn. Sakuras Lippen, Mund, ihre Zunge, ihre Finger, Hände. Haut, die sich gegen seine presste. Mit einem Schrei warf er seinen Kopf zurück und ließ los. Zum ersten Mal in seinem Leben befreite ihn jemand von all seinen emotionalen Unzulänglichkeiten.   Er blinzelte und erkannte, dass er geschlafen hatte. Durch seine Augenlider hindurch wusste er, dass die Sonne schien. Doch er ließ sie geschlossen, sog einen Moment alles ein, was er spürte. Wärme. Einen Arm auf seinem Bauch – einen fremden Arm, nein, einen vertrauten. Er atmete tief ein, nahm ihren Duft wahr, ihre Gegenwart. Dann öffnete er seine und nahm das grüne Paar Augen wahr, das ihn von unten her studierte. Sie war ihm so nah, dass er ihre Wimpern hätte zählen können. Er sog einen Moment alles ein, was er fühlte. Er wollte es gar nicht verbalisieren, er hatte es nicht geplant und vielleicht kamen deswegen die Worte so einfach über seine Lippen.   „Ich liebe dich“, flüstere er nahe an ihrem Ohr. Und in diesem Moment wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte.   Ein Sturm fegte den Sommer aus ihren Augen, schnitt Kälte durch das Grün und das Eis darin versuchte alle Gefühlsregungen einzufrieren. In diesem Moment wusste er, dass sie eine Wut auf ihn hatte, die sich geradezu durch seine Glieder bohrte, Eiszapfen auf nackter Haut. Es war als brach sich der Winter durch ihre Augen einen Weg. Doch mit Wut wusste er umzugehen, was unerträglich war, war dieses Grau in ihren Augen. Wie wenn sich Wolken am Himmel mit dem Schnee auf der Erde und dazwischen vermischten und die Farben der Dinge dahinter kaum mehr wahrzunehmen waren. Dann muteten ihre Augen an wie ein Wintertag, Grau in Grau von Grau durchzogen.   „Du weißt nicht, was du da sagst“, behauptete sie dumpf, erhob sich. „Sakura, ich –“ „Du hast das Wort Liebe in einem Buch nachgeschlagen und jetzt glaubst du zu wissen, was es ist. Aber Liebe ist – anders. Liebe tut weh. Und es soll nicht weh tun, Sai. Nicht schon wieder. Nie wieder!“ Mit jedem Wort erhob sie ihre Stimme, stieß ihn dann zur Seite, verschaffte sich Platz, als könnte sie sonst nicht atmen. Ihre Brust hob und senkte sich hektisch. Vielleicht bekam sie wirklich keine Luft.   „Es war ein Fehler“, fasste sie knapp zusammen, als würde sie auf eine ungestellte Frage antworten, die im Raum stünde. Doch er wusste nicht, auf welche. Er sah, wie sie in einer fahrigen Bewegung ihr Top überzog, neben dem Bett etwas suchte und dann in ihren Slip schlüpfte, in ihre Hose. Ihre Augen wichen ihm aus und unwillkürlich fragte er sich, ob es seine Schuld war. Er rutschte an die Bettkante, erhob sich, wollte ihre Hand greifen, doch verharrte. Wo eben noch Wut lauerte, konnte er jetzt Trauer erkennen. Trauer – das hatte er schon oft in fremden Blicken gesehen. Genauso wie Schmerz. Doch in ihren grünen Augen schimmerte noch etwas Anderes. Als läge es hinter einem grauen Schleier. Er konnte es nicht benennen. Sakura drehte ihren Kopf ein Stück und schaute ihn von unten heraus an. Das Grün ihrer Augen war ergraut. Stumpfes, kaltes Grün. Eiskristalle auf Zweigen. „Es tut mir leid, Sai“, murmelte sie, als sie sich an ihm vorbei durch die Tür in den Flur drückte. Ihre Hand lag einen Moment auf der Eingangstür, als wollte sie noch etwas sagen, doch sie tat es nicht, drückte die Türklinke hinunter und verließ wortlos sein Apartment.   Wortlos schlenderte er zum Fenster, durch das die späte Morgensonne strahlte. Warm und hell wanderte sie über seine Haut. Mit gerunzelter Stirn nahm er wahr, wie es in seinem Inneren trotzdem kalt blieb. Einen Fehler hatte sie es genannt. Wahrscheinlich sogar mit Recht. In seinem Magen zog sich etwas schmerzhaft zusammen. Vielleicht hatte er gestern etwas Falsches gegessen. Nachdenklich lehnte er sich gegen den Fensterrahmen. Er verstand diese Situation nicht, in der sie sich befand. Er wusste nicht, was in ihr vorging. Er wusste ja die meiste Zeit nicht einmal, was in ihm selbst vorging. Aber dieses eine Mal hatte er gedacht, es einfach zu fühlen.   Alles erschien ihm hinter einer trüben Wand aus grauem Nebel – es erinnerte ihn unwillkürlich an ihre Augen, wenn sie Sasuke mit diesem Mädchen sah, das mit dem roten Haar. Als lauerte hinter dem Nebel etwas, das sie nicht beherrschen konnte – und trotzdem mühsam unterdrückte. Vielleicht. Er fühlte etwas. Etwas, das ihm den Atem raubte. Etwas, das ihm langsam die Lungen zusammenquetschte. Ihre Worte hallten in seinen Gedanken wider. Aber er spürte noch ihre Berührung, ihre Lippen auf seiner Haut. Überall. Wie in Zeitlupe ließ er sich zurück auf das Bett senken. Vergrub sein Gesicht in den Händen.   Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Momente endeten. Momente, die ihm eine Ahnung davon schenkten, was es bedeutete, lebendig zu sein. Er war so dumm. Kapitel 17: Wie Frühling in Deinen Augen ---------------------------------------- Etwas, das ihm den Atem raubte. Etwas, das ihm die Lungen zusammenquetschte. Ihre Worte hallten in seinen Gedanken wider. Alles erschien ihm windstill – als stünde er im Auge des Wirbelsturms – und er traute sich nicht, sich zu bewegen, weil dann alles um ihn herum zusammenfallen würde. Er hatte das Gefühl gehabt, dass sich sein Leben in den letzte Monaten, ja, in den letzten zwei Jahren seit Kriegsende verändert hatte. Dass er sich verändert hatte. Er hatte das Gefühl gehabt, andere besser zu verstehen – und sich selbst. Aber jetzt stand er hier vor Sakuras Büro im Krankenhaus und wusste nicht, was er fühlte. Vielleicht, weil sein Körper taub war. Vielleicht weil die Missionen wieder sein Leben bestimmten und nichts Anderes diese Routine durchbrach. Vielleicht stand er einfach wieder am Anfang oder hatte sich nie einen Zentimeter bewegt. Vielleicht hatte er nie etwas verstanden und nur gedacht, er hätte endlich begriffen. Es dämmerte und trotzdem war es schon warm. Die frühen Sonnenstrahlen vertrieben die Dunkelheit der Nacht, trotzdem war es noch so still draußen, weil der Alltag für die meisten erst in einigen Stunden beginnen sollte. Er klopfte und trat ein.   Sie legte ein Dokument zur Seite und beschriftete das nächste. Der Stapel jedoch schrumpfte nur zäh. Müde rieb sie sich die Augen. Er wusste, dass sie wusste, dass er da stand und wartete und gleich etwas sagen würde, doch noch hatte keiner die Stille durchbrochen – nur das stetige Kratzen des Füllfederhalters auf dem Papier.   „Ich nehme an, du brauchst dein Gesundheitszertifikat.“ Er sah auf, betrachtete ihre Mimik. Sakuras Stimme klang nüchtern, doch in ihren Augen spielte ein verworrenes Spiel. Das Grün ihrer Augen schimmerte matt. Er erkannte Sorge und Müdigkeit. Aber er war sich sicher, dass er einige Gefühle darin schlicht nicht wahrnahm. „Ja“, erwiderte er knapp. Sie musterte ihn – besorgt? Pflichtbewusst? Schuldig? und erhob sich, zog an einem Aktenschrank, suchte eine Akte heraus und übergab sie ihm. Er nahm sie entgegen und wollte gerade verschwinden, als ihn ihre Stimme zurückhielt. „Sai – ich –“, begann sie, doch verstummte, versuchte es anders, räusperte sich, „lass uns einfach weitermachen“, stellte sie zwischen sie beide, erhob sich und lächelte ihn schwach an. „Es gibt noch zu viel zu tun und wir beide werden gebraucht.“ Sakuras Blick balancierte zwischen Leere und Fülle. In ihren Augen war die Erfahrung beider eingeritzt. Er nickte und ließ sie in ihrem Büro zurück. Danzou hatte in seiner These nicht falsch gelegen. Hass führte zu Konflikten und Konflikte arteten in Kriege aus. Die Liebe war nicht die Lösung. Denn auch die Liebe führte zu Konflikten, zu Kriegen. Es ging nicht darum, Gefühle zu haben oder keine Gefühle zu haben. Oder welche. Vielleicht war es gar nicht so wichtig, was für ein Name seine Gefühle besaßen. Vielleicht ging es darum, wie man mit ihnen umging. Das hatte Naruto ihm doch schon so oft vorgeführt.   „Ich benötige deine Einschätzung, Naruto.“ Sie saßen an der Theke des Ramenstandes und Naruto schaufelte sich Nudeln in den Mund, während Sai nachdenklich seine Suppe betrachtete. „Mh?“, meinte Naruto und forderte ihn mit einer Geste auf, weiterzusprechen. „Ich habe gelesen, dass Geschlechtsverkehr nichts mit Liebe zu tun haben muss.“ „Jaaaaah“, erwiderte Naruto erneut, dehnte das Wort dieses Mal aber auf drei Silben und hob seine Augenbrauen, während er die Schüssel an die Lippen setzte und trank. „Glaubst du, Sakura schläft mit vielen Männern?“ Naruto verschluckte sich, starrte ihn an und versuchte, seine Lungen frei zu bekommen. Sai beobachtete ihn, wollte die Situation zwischen sich und Sakura erklären. All diese Blicke und Berührungen, all diese Gespräche und Gefühle, die er nicht begriff. Er musste einsehen, dass er es nicht einmal sich selbst erklären konnte. Wie sollte es Naruto verstehen können? „Ich meine, sie hat mit mir fast geschlafen, aber –“ „Sie hat – was?“ Narutos blaue Augen schienen aus seinem Schädel zu quellen. „Vielleicht möchte sie nur eine einmalige, rein physische Beziehung, denn als ich ihr gesagt habe, dass ich sie liebe –“ Narutos Kopf schien zu platzen, als er ihm so seitlich gegenüber saß, die Luft anhielt, weil er scheinbar vergessen hatte, wie man atmete und sein Mund öffnete und wieder schloss, ohne ein Laut von sich zu geben. Dann schlug er sich die Hand gegen die Stirn, verbarg sein Gesicht zwischen beiden Händen und stützte die Ellbogen auf der Theke ab. Mit einem Seufzen hob er seinen Blick wieder und schaute Sai mit einem solchen Ernst an, dass diesem bewusst wurde, dass Naruto nicht mehr der sechzehnjährige Trottel war. „Ich glaube“, begann er, „dass es Zeit ist, los zu lassen.“ Sai nickte langsam und senkte seinen Blick zurück auf seine Suppe.   Vielleicht hatte er wirklich nicht gewusst, was er gesagt hatte. Liebe. Er hatte tatsächlich einige Artikel darüber gelesen. Nie eine befriedigende Antwort gefunden. Sakura hatte Recht. Naruto hatte Recht. Und vielleicht ging es wirklich darum, wie man mit Gefühlen umging – und nicht darum, sie zu verdrängen. Er akzeptierte es. Er konnte zugeben, dass Sakura etwas in ihm – berührte, das bisher noch nie berührt worden war. Er konnte zugeben, dass er ihren Blick vor sich sah, ihre Stimme hörte, wenn sie gar nicht anwesend war, ihre Finger auf seiner Haut spürte, ihre Lippen auf seinen. Dass er sich wünschte, sie nochmals so anzufassen und diese ganzen anderen Momente mit ihr zu teilen. Aber es war Zeit, los zu lassen.   Es war dunkel und Sakura noch immer in ihrem Büro. Natürlich. Er beobachtete, wie sie sich eine Strähne hinter ihr Ohr strich, die Augen zukniff. Wahrscheinlich, weil die Müdigkeit auf ihre Augenlider drückte. Als er durch ihr geöffnetes Fenster glitt, fuhr sie überrascht zusammen. „Sai? Warum bist du hier?“ Er schaute auf. „Ich habe eine Mission. Ich werde ab morgen die nächsten Wochen weg sein“, begann er und fragte sich gleichzeitig, warum er es ihr überhaupt mitteilen wollte. „Es ist eine ANBU-Mission, deswegen weißt du nichts davon. Ich wollte mich verabschieden. Ist es dir noch wichtig, dass ich wiederkomme?“ Er wusste nicht, warum sie ihn mit seinen letzten Worten so entsetzt anschaute. „Natürlich, Sai! Ich möchte, dass alle meine Freunde gesund zurückkommen!“ „Ich meine nicht, generell wiederkommen. Sondern zu dir.“ Natürlich hoffte man stets, dass alle Kameraden die Mission überlebten, aber es ging ihm nicht ums Überleben. Er konnte nur noch nicht ausmachen, um was es ihm dann ging. Wollte er, dass Sakura ihn vermisste? Würde sie um ihn weinen? Nein, darum ging es ihm nicht. Er wollte wissen, ob er nach der Mission zu ihr gehen sollte. Ob sie sich freuen würde, ihn in die Arme zu schließen. Ob sie es wollte. Nicht aus medizinischer Sicht. Und in diesem Moment erkannte er, was er eigentlich fragen wollte. „Hast du es endlich gefunden?“, fragte Sai. „Bist du glücklich?“ Als sie ihn ansah, trübte ein grauer Schleier ihren Blick. Ihre Augen erinnerten nur matt an ihren sonstigen Glanz. Ihr Grün ähnelte dem vertrockneten Laubes, das grünbraun verfärbt auf nassen Straßen lag. Wie Regen, der durch ihre Augen rauschte. Sai fragte sich, ob es stimmte, was Naruto ihm gesagt hatte – dass es nichts gab, womit er die Liebe erklären konnte, aber dass sie sich selbst erklärte, wenn man sie fühlte. Natürlich hatte er es mit anderen Worten ausgedrückt. „Keine Ahnung, wie man das erklären soll, aber – also – wenn sie da ist, ist es total klar. Man weiß es einfach, echt jetzt.“   Er wusste nicht, ob es dieses Gefühl war. Aber er wollte, dass Sakura glücklich war.   Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken – immer. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie er eine Mission erfolgreich abzuschließen plante. Es waren nüchterne Gedanken, die stets einer Intention folgten. Doch zumeist war die Intention eine ihm aufgetragene. Missionen waren sein Leben und sein Leben waren Missionen. Es gab keine Grauzone, keine Leerzeichen dazwischen. Alles, was ihn überleben ließ, zeichnete er während Gefechten und Kämpfen. Mit jeder Woche, die er draußen überlebte, erinnerte er sich daran, was ihn ausmachte. Schwarz-weiß. Sein Leben war schwarz-weiß. Die Tusche verblasse auf dem Papier. Vielleicht würden auch irgendwann die Narben verblassen.  Schmerzen bedeuteten, dass die Mission beendet war. Im besten Falle waren es Muskelschmerzen von tagelanger Suche und zu wenig Schlaf. Oder es waren Schmerzen, die einem das Leben aus den Knochen zogen. Meistens aber war es etwas dazwischen. Mehr als Muskelkater, weniger als der Tod. In seinem Rücken spürte er die Matratze. Er musste unter einer Decke liegen. Um ihn herum piepten Geräte. Er tauchte langsam aus der Schwärze hoch. „Man kann die Vergangenheit nicht ändern, Sakura. Aber wenn du auch nur ein bisschen daran glaubst, dass du mit ihm glücklich werden kannst, dann solltest du endlich mit ihm reden, echt jetzt!“ Er kannte diese Stimme, doch er fühlte die Müdigkeit in seinen Gliedern. Er wollte die Augen noch nicht öffnen. „Irgendwann wird es Zeit, die verdammte Tür zu öffnen. Sai hat es mir erzählt. Du stehst einfach da und wartest, echt jetzt – glaubst du wirklich, dass Sasuke –“ „Naruto – “ „Ich weiß, du wartest auf etwas oder jemanden oder so. Die Frage ist, wartest du darauf, dass Sasuke dir zustimmt oder widerspricht. Und sehnst du dich nach dem, was er für uns – für dich in der Vergangenheit war oder ist er es immer noch in der Gegenwart? Du weißt, dass –“ „Naruto, das geht dich nichts an“, zischte sie, doch sie klang müde. „Stimmt. Aber ihn geht es was an.“ Jemand stieß die Tür auf, ließ sie wieder zufallen. Dann war es verdammt ruhig.   Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken – immer. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie er eine Mission erfolgreich abzuschließen plante. Es waren nüchterne Gedanken, die stets einer Intention folgten. Doch zumeist war die Intention eine ihm aufgetragene. Seltenst ging er einer eigenen Intention nach. Vielleicht wusste er deswegen nicht, welcher Intention seine Gedanken momentan folgten, als er irgendwann die Augen aufschlug und sich verwirrt umsah. Seine Glieder hingen schwer an seinem Rumpf. Seine Augen verklebt von Schlafsand. Er hob seinen Kopf. Das Piepsen war verstummt. Er lag in einem Zimmer des Krankenhauses – nicht auf der Intensivstation. Das war ein gutes Zeichen. Oder? Er verspürte keine Freude darüber, keine Erleichterung. Er nahm es hin. Die nächste Mission würde kommen. Es machte keinen Unterschied, wie er sich fühlte. Es war unwichtig.   Jemand zog die Tür auf. Sakura schritt auf sein Bett zu in ihrem weißen Kittel. Mit einem Klemmbrett in den Händen und ihrem Blick auf eine aufgeschlagene Akte gerichtet blieb sie vor ihm stehen. „Sakura, geht es dir gut?“ Sie war nicht unwichtig. Sakura konnte ihren erschöpften Zustand nicht verhüllen. Und in ihren Augen hing etwas, das ihn die Frage stellen ließ. Vielleicht waren es nicht einmal ihre Augen, sondern all das, was er in ihnen sah oder gesehen hatte. Ihr Lächeln, ihre Tränen, ihre Hoffnungen, ihren Kampfgeist, ihre Ängste. Er wusste nicht einmal, ob er einen Freund für Sakura darstellte – oder ob er ihm Moment einfach nur ein Kollege war, ein Patient. „Die Frage sollte ich dir stellen, Sai“, meinte sie und ein Lächeln zuckte über ihre Lippen, ein Lächeln, das schnell wieder verblasste. „Mir geht es gut.“ „Das ist – gut“, erwiderte sie, notierte etwas auf dem Papier, das im Klemmbrett feststeckte. „Hast du Kopf- oder Magenschmerzen? Übelkeit?“ „Nein.“ Sie nickte, zögerte, doch dann deutete sie an, den Raum zu verlassen. „Später wird eine Krankenschwester deine Verbände erneuern und –“ Er griff nach ihrer Hand und sie erstarrte, aber sie zog sie nicht weg. „Warum glaubst du, dass es ein Fehler war?“, fragte er. Es passte nicht in die Situation, nicht dazu, wie er verletzt in dem Krankenzimmer lag oder wie sie ihre Finger um das Klemmbrett krallte. „Sai, nicht hier, nicht jetzt“, seufzte sie und es klang wie eine Bitte. Ihr Blick hing auf der Bettdecke, wanderte über die Bettkante. Er wusste, dass er die Frage nicht hätte stellen sollen – nicht hier und jetzt. Aber er wusste nicht, wann oder wo. Gab es für solche Situationen einen richtigen Ort, einen Zeitpunkt? Oder verschoben es die Menschen nur immer weiter, bis sie irgendwann die Frage vergessen hatten? Vergaß man so etwas? „Willst du es vergessen?“, fragte er. Ihr Blick zog sich zu ihm hoch. Sie stockte und er sah, wie ihre Miene, diese Maske der Professionalität, Risse bekam. „Ich – ich habe mit so Vielem noch nicht abgeschlossen. Ich – Manchmal fühlt es sich an, als würde ich in meinen Erinnerungen – irgendwie ertrinken. Und dann, wenn ich bei dir bin, dann – ich liebe es – also die Zeit, die wir gemeinsam verbringen und das Gefühl ist – aber ich glaube, manchmal – ich bin noch nicht angekommen. Es – es fühlt sich seltsam an, ich weiß nicht –“ „Nur weil etwas seltsam ist, heißt es nicht, dass es schlecht ist oder schlechter als das Gewöhnliche“, zitierte er sie und drückte ihre Finger, betrachtete ihr Gesicht, ihre Augen. Es schien, als klärten sie sich wie der Himmel. Wolken flohen davon, doch ein Schatten blieb. „Ja, das –“, ihr entwich ein verlegenes Lachen, „aber ich glaube einfach, dass – Irgendwann wird es Zeit, die Tür zu öffnen. Aber ich kann es nicht. Ich habe Angst, Sai. Ich kann sie nicht alleine öffnen und was sagt das über mich? Wenn ich es nicht alleine kann, dann –“ Zuerst dachte er, dass es eine Metapher war. Die Tür zu öffnen. Türen standen für neu zu erschließende Räume, aber auch für eine Barriere. Gewöhnlich konnte man nicht sehen, was einen auf der anderen Seite der Tür erwartete. „Dann sollte dir jemand helfen. Es sagt über dich, dass du es nicht alleine kannst, aber wer sagt, dass du es allein tun musst?“, grübelte er und schaute sie an. „Heißt das nicht, dass ich nicht so weit bin? Dass ich zu schwach bin?“, entgegnete sie zweifelnd. „Als Ninja muss man doch –“ „Missionen erfüllen. Die meisten Missionen erfüllen Ninja im Team.“ Er spürte, wie sich ihr Blick in den seinen brannte. „Aber. Warum tut es so weh? Immer wieder. Immer. Mehr und mehr“, fragte sie und er hörte etwas Unangenehmes in ihrer Stimme. Vielleicht war es Verzweiflung. Es klang jedenfalls nach Schmerz. „Tut es dir noch immer hier weh?“, wollte Sai wissen, zog sie näher und legte ihre Hand dorthin, wo wohl ihr Herz sein musste. Ihre Augen weiteten sich ob der plötzlichen Nähe. „Du hast mich mal gefragt, ob es besser wird, Sakura. Damals hätte ich gesagt, nein. Aber ich glaube jetzt, dass es besser wird, wenn du auch willst, dass es besser wird.“ Sakura schenkte ihm einen Blick. In ihren grünen Augen hingen Gefühle, die Sai nicht benennen konnte. Vielleicht stand dort alles, was sie hatte sagen wollen. Doch sie sagte nichts, nur ein Wort: „Danke.“   Er wusste nicht, wofür. Fuhr ihre Gesichtszüge nach, als könnte er dort entdecken, was sie meinte. Zunächst nur mit den Augen, dann mit seinem Zeigefinger, berührte ihre Nase, ihre Wange, ihre Lippen. Kurz bevor sich ihre Münder berührten, erhaschte Sai einen Blick in ihre Augen. Und er musste erkennen, dass dort das Leben blühte. Schmerz und Kummer, Trost und Freude. Wie die ersten grünen Triebe im Frühling, wuchs dort ein Lächeln, das sich auf ihren Lippen widerspiegelte. Er spürte es auf seinen eigenen.  Kapitel 18: Wie Sommer in Deinen Augen -------------------------------------- „Er nervt jetzt schon Wochen damit“, murrte sie und seufzte genervt. „Ich könne die Vergangenheit nicht ändern. Ich solle in der Gegenwart leben. Ich müsste Sasuke als den sehen, der er jetzt ist. Ich möchte gerne mal wissen, woher er das hat! Ich lebe in der Gegenwart! Verdammt!“ Sai sagte nichts und sie verstummte einen Moment, aber ihre Blicke sprachen Bände. Er war sich sicher, dass er einige sogar richtig interpretierte, was er als Erfolg verbuchte – selbst, wenn es sich um Ärger handelte. „Und dass er nicht einmal bei einer S-Mission die Klappe halten kann! Von der dürftest du gar nichts wissen! Und dann setzt uns Tsunade auch noch als Dreierteam darauf an. Als wäre das eine gute Idee.“ Ihr Ton war spritzendes Gift. Naruto sagte manchmal, dass er nicht wüsste, was gefährlicher wäre: Sasukes Sharingan oder Sakura, wenn man sie zu etwas bringen wollte, wogegen sie sich sträubte. Jahrelang war Sai sicher gewesen, dass das Sharingan der Uchiha eine der tödlichsten Waffen war. Aber wenn Sakura diesen Ton anschlug, verstand Sai Narutos Standpunkt. Es war eine S-Mission. Schon, dass Naruto die Existenz der Mission vor ihm angekündigt hatte, könnte sie alle in ernsthafte Probleme stürzen. Dass er ihm gesagt hatte, dass Sakura, Sasuke und er deswegen ein paar Monate unterwegs wären, ging gegen jede Geheimhaltungsregel. Aber Sai vermutete, dass Sakura nicht deswegen so angespannt war.   Er beobachtete sie, während er auf dem Hügel saß und mit dem Skizzenbuch auf dem Schoß im Gras saß. Konoha lag vor ihm, die Häuser und Straßen. Vereinzelt hörte er die Stimmen der Bewohner, dann einen Hund kläffen. Ansonsten waren da nur die Lieder der Vögel und das Rauschen des Windes in den Baumkronen, deren Zweige sich über ihm erhoben. Sakura saß neben ihm, schloss die Augen, ihr Haar reichte über die Schulter und hing über den Rücken, während sie sich nach hinten abstützte und das Gesicht gen Himmel hielt. Der Himmel über ihnen war so blau wie Narutos Augen und die Hitze kroch bis in den Schatten, wo sie saßen. Der Wind spielte mit einer ihrer Strähnen. Schon seit ein paar Wochen saßen sie immer wieder hier und genossen die Ruhe zwischen all dem Stress, zwischen Missionen und Verwundeten und Ungewissheit. Aber manchmal da platzte Sakuras Ruhe und sie schmiss mit all den Worten um sich, die Naruto ihr an den Kopf warf, zeterte und machte Platz für die Gefühle, die in ihrem Bauch wüteten.   „Und dann kommt er jetzt auch noch mit einem gemütlichen Treffen bei ihm an! Ich kann dort nicht einfach so anklopfen und tun, als wäre alles okay“, echauffierte sie sich und er schaute sie einfach nur an, weil er nicht wusste, was man auf so eine Bemerkung reagierte oder ob überhaupt. „Diese Mission ist zum Scheitern verurteilt. Wie sollen wir zusammenarbeiten? Als würde es sich einfach so ergeben“, regte sie sich auf. „Als könnte man das einfach so gerade biegen. Naruto scheint das wirklich zu glauben. Er ist so ein Weltverbesserer. Als ob es einen Unterschied machen würde, ob wir diese S-Mission gemeinsam erledigen. Ich habe ihm schon so oft gesagt, dass es nie wieder wird, wie früher.“ Unrecht hatte sie nicht – mit keinem Punkt. „Aber vielleicht muss es auch gar nicht mehr so werden wie früher“, sprach er laut aus, was er schon seit ein paar Wochen dachte. Vielleicht war es ein Gedanke, der unangemessen war. Er hatte noch immer Probleme mit sozialen Konventionen – und wenn er ehrlich war, glaubte er, dass der Umgang mit Menschen für ihn immer wie eine Fremdsprache sein würde. Er konnte flüssiger die Zeichen übersetzen und anwenden, aber es würde nie so natürlich sein, wie bei Sakura oder Naruto. Sie starrte ihn an, als hätte er gerade etwas Unglaubliches behauptet. Er konnte aus ihrer Mimik nicht lesen, ob es akzeptabel oder unakzeptabel war.   Er wusste nicht, warum Sakura ihn so anschaute. Ihre Augen geweitet, ihre Mund gespaltet, ohne, dass sie etwas sagte. Einen Moment lang glaubte er, sie hätte einen Schock. „Kann ich dir helfen?“ Es war die erste Frage, die ihm einfiel und logisch erschien. Sakuras Lippen bogen sich nach oben, als sie ihre Hand auf seine legte. Er betrachtete ihrer beide Hände und kam zu dem Ergebnis, dass es gut war. „Das hast du schon.“ „Wann?“, fragte er verwirrt, doch sie schüttelte nur amüsiert den Kopf. „Lass uns wieder an die Arbeit gehen.“ Er betrachtete sie, legte seinen Kopf schief, während er überlegte, wann er ihr geholfen hatte, aber es wollte ihm einfach nicht einfallen, stattdessen zog er sie langsam auf die Beine. Sie drückte seine Hand, bevor sie den Hügel hinabschlenderte, um zurück in den Stress, die Missionen, zu den Verwundeten und der Ungewissheit zu gehen.   Der Sommer lungerte in Konohas Gassen. Der Wind strich mit einer Hitze über ihre Haut, die den Schweiß hinablaufen ließ, doch Sakura verzog keine Miene. In ihrem Büro stand die Hitze zwischen all den Akten und Dokumenten und Büchern und er wollte sich verabschieden, als Naruto am Fensterrahmen lehnte. „Heute Abend bei mir“, sagte er nur, doch Sakura schnaubte. Sai verstand nicht, warum Naruto so hartnäckig blieb, aber dass es Sakura verärgerte war offensichtlich. Naruto öffnete gerade den Mund, als sie ihm zuvorkam. „Na, schön“, seufzte sie. Narutos Kiefer klappte zu. Nach all den Wochen des Widerstandes und seiner Hartnäckigkeit hatte er anscheinend nicht mit dieser simplen Antwort gerechnet. Trotzdem. Oder gerade deswegen. „Wir kommen vorbei. Vor der Mission müssen eh noch ein paar Dinge klargestellt werden.“ Sai warf Naruto einen planlosen Blick zu, der diesen grinsend entgegnete und nickte knapp.   Am Abend hing die Hitze noch in Konoha, als sie über die Dächer sprangen und Sakuras Schweigen aussagekräftiger war als jede Predigt. Wut blitzte in ihren Augen – er war sich sicher, dass das Wut war. Aber da tauchte auch immer wieder Nervosität auf. Als sie vor Narutos Tür landeten, war nichts mehr von Sakuras Wut übrig. Sie nestelte an ihrem Top und der Hose herum, presste ihre Lippen aufeinander und verlagerte das Gewicht von dem einen auf das andere Bein. Ihre Schulter hob sie. Anspannung. Ihre Augenbrauen gingen nach oben, während sie die Augen weit aufriss und die Nase leicht hochzog. Furcht. Sai wusste, warum, denn er hatte es auch gehört. Hinter dieser Tür sagte Naruto etwas, woraufhin eine tiefe Stimme einsilbig antwortete. Sasukes Stimme. Nur die Tür, die sie voneinander trennten – die Tür und so viele andere Dinge. Sakura machte einen Schritt zurück. „Ich –“, begann sie, doch er griff nach ihrer Hand. Ihr Blick kletterte an seinem Shirt hoch, bis er auf seine Augen traf. „Du musst nicht alleine anklopfen“, flüsterte er ihr zu, nahm ihre Hand und klopfte an die Tür – für sie, weil sie es nicht konnte, obwohl sie eine gesunde Hand hatte. Aber er hatte verstanden, dass es manchmal nicht die physischen Grenzen waren, die einen Menschen vom Handeln abbrachten. Er wusste nicht genau, was es war, das Sakura hier stehen ließ und was sie daran hinderte, hineinzugehen. Aber er wusste, dass sie nicht alleine war – er konnte für sie klopfen, wenn ihr das half. Das Geräusch seiner Faust an dem Holz verhallte und sie rührte sich nicht, als erwartete sie einen Sturm nach dieser Ruhe, doch er nickte ihr zu und als wäre das ein Signal gewesen, öffnete Naruto die Tür. „Naruto“, murmelte sie und zog die Augenbrauen zusammen, schöpfte Mut aus der Wut, die aufflackerte. „Weder er noch ich möchten –“ „Es geht aber nicht mehr nur um Sasuke und dich“, flüstere er sanft und sie gab nach, als hätte sie darauf gewartet, dass er so etwas sagte. Die Anspannung wich aus ihrer Haltung, als Naruto nach ihrem Arm griff und sie gemeinsam in das Wohnzimmer traten.   Egal wie viel Zeit verging, wenn Sakura, Naruto und Sasuke beisammen waren, dann strahlten sie etwas aus, das nur die drei ausstrahlten. Etwas Mächtiges, Unzertrennliches, etwas, bei dem Sai niemals ein Teil sein würde. Es war Wehmut, die er dabei fühlte – vielleicht Bedauern. Es war keine schlichte Feststellung mehr, keine Tatsache, die er nüchtern kalkulierte. Und als er das begriff, fragte er sich, wann sich das geändert hatte. Er wusste es nicht. War es seit der Gedanke an Sakura seine Welt mit Farben flutete?   Sai beobachtete vom Flur aus, wie Sakura und Sasuke einen Moment einfach nur da standen. Zwischen ihnen schien die Luft zu sirren. Dass dabei sein Magen rebellierte, ignorierte er. Sie sagte nichts. Doch manche Dinge mussten nicht ausgesprochen werden. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Worte auch in Blicken stehen konnten, dass Emotionen manchmal unausgesprochen blieben, obwohl sie für andere greifbar in der Luft sirrten. Das war für ihn bis heute schwer zu verstehen. „Guten Abend“, flüsterte sie dann, räusperte sich und Sasuke nickte knapp. Naruto wuselte im Zimmer umher, als wüsste er nicht so recht, wohin er sich setzen sollte und winkte dann Sai heran. Irgendwann endeten sie um den Esstisch. Sakura schaute an ihnen vorbei aus dem Fenster, Naruto setzte Wasser auf und Sai betrachtete Sasuke. Sie standen da, wie mitten in der Bewegung, hinter den Stühlen des Esstischs. „Setzt euch mal, echt jetzt!“ Naruto fuhr sich fahrig durchs Haar und als hätten sie auf seine Aufforderung gewartet ließen sie sich alle gleichzeitig auf den Stühlen nieder. Sakuras Blick wanderte vom Fenster zu Sasuke. Sie würde ihn niemals so ansehen, wie sie Sasuke ansah. Sie würde immer an ihm vorbei sehen, wenn Sasuke im Raum war. Naruto quasselte etwas davon, dass im Supermarkt seine Lieblingsramen nicht mehr vorrätig gewesen wären und er deswegen eine andere Marke hatte kaufen müssen, aber die schmeckte überhaupt nicht wie seine Lieblingsramen, während er ihnen Tee vor die Nase stellte. Sasuke tat nicht einmal so, als würde es ihn interessieren. Sakuras Lippen versuchten ein Lächeln, aber es verrutschte und sah aus, als hätte sie etwas Saures gegessen. „Sasuke, wie geht es eigentlich Karin?“ Stille. Sasuke warf Naruto einen genervten Blick zu, den dieser mit einem Schulterzucken erwiderte, und Sakura erstarrte, drückte die Tasse vor sich mit den Fingern, als suchte sie Halt. „Gut“, behauptete Sasuke und lehnte seine Finger vor der Nase gegeneinander. „Nicht, dass es dich etwas anginge.“ Stille. Dann schaute Sakura auf und sah Sasuke an, als versuchte sie etwas in Worte zu fassen, das in ihren Gedanken noch durcheinander war. Sai kannte das – es ging ihm die meiste Zeit mit Emotionen so. „Es tut mir leid, dass ich damals nicht helfen konnte“, hörte er sie murmeln. Stille. Sasuke erwiderte ihren Blick, seine Mimik blank. Vielleicht erkannte Sai aber auch nur nicht das, was dort stand. Vielleicht erkannten Naruto und Sakura mehr. „Du hast Karin so gut geholfen, wie du konntest“, behauptete Sasuke und Sakuras Augen weiteten sich. Narutos Brauen schossen nach oben, dann lächelte er. „Ja“, murmelte Sakura und nahm einen Schluck des Tees, doch statt zu schweigen fuhr sie anschließend fort, ohne den Blick von Sasuke zu nehmen. Als hätten die Gedanken in ihrem Kopf endlich eine Form angenommen, die beschreibbar war. „Ich meinte aber, als du aus Konoha weggegangen bist.“ Stille. Naruto rutschte auf seinem Stuhl herum, Sasuke lehnte sich zurück, beobachtete Sakura von unten heraus. Es war als füllte jemand mit jeder Minute des Schweigens die Luft mit mehr Druck und Sai wartete darauf, dass jemand platzte. Er wartete auf Schreie und Vorwürfe und Beschuldigungen. Denn so oder so ähnlich waren die Begegnungen der drei bisher immer früher oder später abgelaufen. „Es war nicht deine Schuld. Du warst dafür nicht verantwortlich.“ Sakura und Naruto starrten Sasuke an. Während Naruto den Mund öffnete und ihn wieder schloss, blinzelte sie und schnaubte dann amüsiert. Sai wusste nicht, was daran lustig gewesen war und warf Naruto einen irritierten Blick zu – zumindest glaubte er, dass er einen ziemlich guten irritierten Blick hinbekam – aber Naruto zuckte nur die Schultern. Sakura lehnte sich vor, die Finger noch um die Tasse, ihr Blick schweifte von Sasuke zu dem Tee, während sie sprach. „Es war auch nicht deine Schuld, was mit deiner Familie passierte. Aber manchmal ändert das nichts an dem Gefühl, verantwortlich zu sein, nicht?“ Stille. „Dinge ändern sich“, erwiderte Sasuke in seinem dunklen Timbre und nahm einen Schluck des Tees vor sich, doch sein Blick ruhte auf Sakura, als wartete er auf Widerworte. Doch sie nickte langsam. „Die Träume, die wir damals als Genin beschrieben, haben sich nicht erfüllt. Aber ich hoffe, du wirst trotzdem glücklich“, sagte sie und dann legte sie ihre Hand auf Sasukes. Sasuke zog seine nicht zurück, er betrachtete sie nur, als betrachtete er die Hand eines Fremden und dann – nach einem Moment, in dem sich die Zeit wie Wasserfarbe auf einem Papier ausgebreitet hatte – stimmte er zu. Sai beobachtete diese Szene und verstand nicht, was plötzlich anders war – warum es anders war, aber er bemerkte, dass Sakuras Mundwinkel ihre Wangen hochwanderten. „Du auch“, erwiderte Sasuke und Sakura schenkte diesem einen Blick. In ihren grünen Augen hingen Gefühle, die Sai nicht benennen konnte. Vielleicht stand dort alles, was sie hatte sagen wollen. Doch sie sagte nichts, nur ein Wort: „Danke.“ Dann ließ Sakura los.   „Ich muss noch einiges für die Mission erledigen“, behauptete sie und erhob sich, der Stuhl quietschte, als er nach hinten rutschte. „Lass uns nach Hause gehen“, murmelte sie ihm zu und Sai nickte, bemerkte, dass sie ihren Tee nur zur Hälfte getrunken hatte. Naruto warf ihm einen Blick zu und er wusste, dass er etwas verpasst hatte, irgendetwas nicht verstanden oder fehlinterpretiert – aber in diesem Moment war es ihm egal, denn Sakura lächelte ihn an – sah nur ihn an – und gemeinsam verabschiedeten sie sich von den beiden anderen und traten nach draußen in die Sommernacht.   Er wusste nicht, was er davon halten sollte. So oft er das Gespräch Revue passieren ließ, er hatte das Gefühl, dass er etwas Entscheidendes nicht bemerkt hatte, etwas nicht verstanden, nicht gesehen, den sozialen Konventionen folgend unangemessen interpretiert. Sie schlenderten durch die Nacht, über ihnen der Vollmond, die Wärme des Sommers strich in einer Brise über ihre Haut, doch alles, was Sai wusste war, dass er es nicht verstehen würde, ohne eine Antwort von Sakura. Sie legte gerade ihre Hand in seine und er blieb abrupt stehen, zog die Hand jedoch nicht zurück. „Ich habe gelesen, dass Händchenhalten ein Ausdruck für Zuneigung zwischen zwei Menschen ist und Teil nonverbaler Kommunikation.“ Sie gluckste, doch dann wurde sie ganz ernst und schaute zurück zu ihm, wo er einen Schritt hinter ihr stehen geblieben war. Sie lächelte ihn an und dieses Lächeln hallte jedes Mal in ihm wider, doch es vertrieb nicht die Bedenken, die ihn umzingelten, als er einige Tage später im Bett lag. Er sah auf die andere Seite des Bettes. Die Decke hing ihr knapp über Brust, Strähnen ihres verrückt gefärbten Haares lagen auf ihrer Wange, ihr Atem ging ganz ruhig. Als sie sich zu ihm umdrehte, zuckte er zusammen. Er bemerkte erst, dass sie nicht schlief, als sie ihn schweigend anschaute. „Du bist nicht kaputt, Sai“, flüsterte sie ihm zu, „nicht so sehr, wie du befürchtest. Bei weitem nicht.“ „Was meinst du?“, wollte er wissen, während sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht strich. „Du hast zu mir mal gesagt, dass du nur schlafen könntest, weil du kaputt bist, weil du kaputt gemacht worden bist. Aber du kannst nicht schlafen.“ „Deine Argumentation ist verwirrend.“ Sie gluckste. „Aber irgendwie schlüssig, nicht?“ Er erwiderte nichts darauf, denn er konnte ihr nur zustimmen, was sie eh wusste. „Warum kannst du nicht schlafen? Bist du beunruhigt wegen der Mission?“, fragte sie leise. „Wir sollten vor jeder Mission beunruhigt sein. Man weiß nie, ob man zurückkommt. Ich hoffe, du kommst gesund zurück“, entgegnete er, als hätte er es aus einem Lehrbuch, dabei hatte er etwas völlig anderes gelernt. „Ich meinte, weil ich ziemlich lange mit Sasuke unterwegs sein werde.“ „Sollte ich deswegen beunruhigt sein?“, wollte er wissen. Sie legte den Kopf schief, dann schüttelte sie den Kopf und berührte seine Lippen mit ihren eigenen. Ihre Wärme kroch bis in seine Adern und er spürte sie noch, nachdem sie den Kuss beendet hatte und nachdenklich an die Decke starrte. Er unterbrach ihr Schweigen nicht, denn er hatte entdeckt, dass sich manchmal in der Stille die wichtigsten Gedanken formten und Gefühle entwirrten. „Wenn er bei mir gewesen ist, dann habe ich mich schuldig gefühlt“, murmelte sie ohne sein Zutun. „Wenn ich ihn gesehen habe, musste ich an Narutos Versprechen denken und an all die Opfer, die es gebraucht hatte. Es erinnerte mich daran, was wir alles falsch gemacht haben – auch, wenn wir es damals vielleicht nicht hätten richtig machen können.“ Er sagte nichts, hörte nur zu. Vielleicht würden auch irgendwann diese Gedanken verblassen wie Narben es taten. „Es tut mir leid, Sai.“ Sie drückte seine Finger, als müsste sie sich versichern, dass er noch immer dort war, ihre Hand hielt und nicht plötzlich verschwand. „Was?“, hakte er nach, weil er ihre Mimik nicht zu deuten wusste – er sah Nervosität und Sorge im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster kam, aber auch so vieles, das eine seltsame Mischung ergab, die er nicht einordnen konnte. „Es tut mir leid, dass ich gesagt hatte, dass du nicht wüsstest, was Liebe ist. Ich glaube, du hast es viel früher gewusst als ich. Ich war ziemlich – ich hatte Angst, dass du irgendwann aufwachst und erkennst, dass ich einfach nur Angst habe, allein zu sein. Dass ich mich fürchtete, Träume aufzugeben, die sich als nicht mehr als das erwiesen haben: Träume eines kleinen Mädchens.“ Sie seufzte, doch er nickte langsam. Er erinnerte sich daran, was sie zu ihm gesagt hatte. Und er verstand inzwischen, dass es ein Unterschied war, ob man nicht allein sein wollte oder jemanden liebte. Für ersteres brauchte man irgendeinen Menschen. Für letzteres einen bestimmten. „Ist es das?“, wollte er wissen. „Brauchst du nur irgendeinen Menschen statt ihm?“ Sie hob ihren Blick und schaute durch das Fenster in den Sternenhimmel, während sie mit ihrem Zeigefinger seine Wange entlang strich, die andere Hand auf seinen Brustkorb legte. Er spürte ihren Atmen an seinem Hals und ihre Berührung auf der Haut. „Nein“, flüsterte sie und legte ihr Gesicht an seine Schulter. Er wusste nicht, ob es in Ordnung war, zu fragen, was er fragen wollte. Aber Sakura war die einzige, bei der er sich erlaubte, das Risiko einzugehen, denn er wusste, sie würde es nicht gegen ihn verwenden. „Was fühlst du jetzt, wenn er bei dir ist?“ Aber als er ihr in die Augen sah, glaubte er, die Antwort zu kennen. „Nichts Besonderes. Klar, es gibt viele Erinnerungen, die uns verbinden, aber –“ Sie legte ihre Hand auf seinen Bauch unter der Decke. „Wenn ich bei dir bin, dann fühle ich mich lebendig.“ Er atmete tief ein und ein Gefühl, das sich wie Wärme anfühlte und er Zufriedenheit nennen würde, breitete sich in seinem Bauch aus. In ihren Augen fegte genau diese Wärme alle Bedenken weg. So sah sie Sasuke nicht an. Das Grün ihrer Iris blühte und strahlte, wie von der Sonne geküsste Blätter. Als säße er unter dem Baum auf dem Hügel an einem Sommertag. Es war wie Sommer in ihren Augen. Epilog: Windstille ------------------ Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Es wäre dumm sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war. Nachdem sie die S-Rank-Mission erfolgreich abgeschlossen hatten – was Sai natürlich aufgrund der Geheimhaltungsregel offiziell nicht wusste – saßen er und Naruto bei Sakura zu Hause und aßen Ramen. Sakuras Talent lag nicht im Kochen – aber Narutos Lieblingsramen waren in der Mikrowelle schnell zubereitet. Und so schlürften sie die Nudeln, während Sai nebenher in einem Buch schmökerte, das sich als exzellentes Lehrbuch herausgestellt hatte. „Naruto, welche Position aus diesem Buch gefällt dir am meisten?“, wollte er wissen. Naruto mampfte seine Nudeln und linste zu ihm hinüber, während er mit vollem Mund fragte: „Kampfposition? Aus welchem Buch?“ Sai zeigte ihm den Einband und Naruto verschluckte sich, was Sai aber keineswegs davon abhielt, die Sache weiterauszuführen. „Kakashi hat mir das Buch empfohlen. Sakura mag es am liebsten, wenn ich –“  „Sai!“, durchschnitt Sakuras Stimme seinen Satz mit einem entsetzten Blick auf das Buch und er schaute sie fragend an. Sie hatte ihre Schüssel auf den Tisch geknallt und auf ihren Wangen breitete sich ein Rosa aus. Naruto stierte auf den Titel des Buches und Sai beobachtete, wie dieser versuchte, sein Lachen hinunterzuschlucken. Er legte Itcha Itcha Paradise zwischen ihnen auf den Tisch und runzelte die Stirn. „Sakura, du meintest doch, wir können offen über unsere Präferenzen sprechen.“ Sai war sich sicher, dass er das nicht missverstanden hatte. Sakura hatte es ihm mehrmals gesagt – direkt und ohne verwirrende Gefühle in ihren Augen. Es wäre wichtig in einer Beziehung, zu reden. „Ja, aber nicht mit Naruto!“, schnarrte sie. Sais Blick wanderte zwischen ihr und Naruto hin und her. „Erfahrung spielt eine große Rolle. Während des Lernprozesses kann man von der Erfahrung anderer profitieren, wenn –“ Jetzt brach Naruto doch in Lachen aus, während Sakura ihre Augen mit einer ihrer Hände bedeckte. In diesem Moment hörten sie ein Klopfen gegen den Fensterrahmen. Sasuke lehnte dagegen, während er die Situation analysierte und irritiert berichtete, dass die Hokage ihnen eine neue Mission übertragen wollte, weswegen sie sich schnellstmöglich in ihrem Büro versammeln sollten. „Sie hat auch nach dir gefragt“, fuhr er fort und warf Sai einen Blick zu. Naruto stürzte den Rest seiner Suppe hinunter und stand auf. Team Sieben ging gemeinsam los und sprang über die Dächer Konohas. „Sasuke-san“, rief Sai, während ihnen der Wind ins Gesicht schlug und an ihnen vorbei jagte, „ich hätte eine Frage bezüglich deiner Erfahrung im Bereich der körperl-“ „Sai!“ Sakuras Schrei hallte in seinen Ohren wider. Narutos Lachen brummte in seinem Bauch.   Genau eine Woche später lehnte er vor ihrer Bürotür. Er trug noch die ANBU-Uniform, genau wie Sakura, als sie gemeinsam von der Mission zurückkehrten. Es war Mittag und die Gänge voller Krankenschwestern und Patienten mit Grippe und Sakura rief nach der einen dann nach der anderen Pflegerin, suchte Akten zusammen und unterzeichnete Dokumente, die sich in ihrer Abwesenheit angesammelt hatten. „Sakura, hast du noch Kondome hier?“, fragte er sie völlig ernst und sie schnaufte, drückte ihren Stempel unter eines der Dokumente. „Ich bin Medinin, ich bin immer für den Notfall gewappnet“, behauptete sie und grinste, ohne ihn anzusehen. Er ließ die Tür hinter sich zufallen. „Ich bin nicht verletzt“, erwiderte er, „ich möchte nur mit dir schlafen. Ich habe da diese neue Position, die –“ Warum sie deswegen in Lachen ausbrach, leuchtete ihm auch nach ihren Erklärungen nicht ein. Er fühlte es. Gefühle, das hatte er in einem Buch gelesen, waren nur der biochemische Vorgang, um höhere Säugetiere in einer aufeinander abgestimmten Gesellschaft überleben zu lassen. Empathie, das hieß: Wie du mir, so ich dir. Freundschaft, das hieß: Zusammen sind wir stark. Liebe, das hieß: Unsere Gemeinschaft wird fortbestehen. Niemand hatte ihm gesagt, dass Liebe so viel mehr war. Er fühlte es. Das, was ihm den Atem raubte. Das, was ihm die Lungen zusammenquetschte und ihn trotzdem tief Luft holen ließ. Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider. Liebe. Sie fühlte es auch. Er sah es in ihren Augen. Wie ein Sturm in einem Wald. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und er küsste sie auf ihren Scheitel.   Alles hatte ein Ende. Tage endeten, Menschenleben endeten, Freundschaften endeten. Es wäre dumm sich etwas anderes einzureden. Sai hatte genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass alles andere nur Betrug war. Aber niemand hatte ihm gesagt, dass auch Missionen endeten. Dass das gut war. Dass nach dem Sturm Stille einkehrte, in denen er ihr Herzklopfen hörte. Dass manche Dinge endeten, damit andere beginnen konnten.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)