Wie Sommer in Deinen Augen von Jaelaki ([Sai & Sakura]) ================================================================================ Kapitel 1: Wie Wolken in Deinen Augen ------------------------------------- Sorgfältig wusch er mitten auf dem Kampffeld die Farbe aus den Pinseln. Das Wasser aus seinem Trinkbehälter färbte sich zunächst bräunlich, dann schwarz. Wie Schlamm. Um die Schriftrolle zog er ein dünnes, rotes Band und verknotete es. Zerstörung umgab ihn, Leichen säumten seinen Weg durch das Chaos, der Krieg war vorbei – gewonnen. Er hatte noch nie einen Sieg gesehen, der so verheerend ausgesehen hatte, doch seine Mimik blieb blank. Er warf einen Blick zur Seite, wo Team Sieben über der Verwüstung zu ragen schien. Wie Statuen hatten sie ihren Sieg wahrgenommen, dann sah er Naruto in sich zusammensacken, gehalten von seinen Freunden, so dass er niemals auf dem Boden aufprallen sollte. Sasuke stützte ihn, Narutos Arm über seine Schulter gelegt, ein dämliches Grinsen in dessen Gesicht. Sakuras Blick hielt die beiden gefangen, als sie sich über Naruto beugte und mit ihrem leuchtenden Chakra die erste Versorgung leistete. Sai spürte etwas, irgendetwas, das sich regte. Ein Gefühl. Eine vage Ahnung. Die drei. Sie strahlten etwas aus. Zusammen. Etwas Mächtiges, Unzertrennliches, etwas, bei dem er niemals ein Teil wäre. Es war keine Wehmut, die er fühlte oder Bedauern. Es war eine schlichte Feststellung. Er konnte ja nicht wissen, dass sich das bald ändern würde. Sais Blick senkte sich. Sein Kopf schwirrte und als er sich wie nebenbei über die Stirn strich, hing helles Rot an seinem Mittel- und Zeigefinger. Als er über abgetrennte Gliedmaßen stieg, den Blick auf zerfetzte Gesichter erhaschte, zuckte ein Gefühl durch seine Ader, das er nicht benennen konnte. Blut klebte auf dem Boden. Dunkles Rot. Schreie halten von irgendwo her, Verwundete lagen zwischen den Toten, während er nachdenklich die Stirn kraus zog. Er versuchte es, wirklich. Einfache Gefühle wie Zorn oder Trauer, die hatte er schnell erlernt zu benennen. Aber es gab viele Emotionen, die komplex waren – noch komplexer als ohnehin alle Gefühlsregungen waren. „Sai? Bist du verletzt?“ Er sah auf. Sakuras Stimme klang nüchtern, doch in ihren Augen spielte ein verworrenes Spiel. Das Grün ihrer Augen schimmerte matt. Er erkannte Sorge und Müdigkeit. Aber er war sich sicher, dass er einige Gefühle darin schlicht nicht wahrnahm. „Nein“, erwiderte er knapp und fuhr sich über die leichte Kopfwunde, aus der kaum mehr Blut tropfte. Sie musterte ihn – besorgt? Pflichtbewusst? Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um, rief Kakashi etwas zu, der Naruto inzwischen auf seinem Rücken trug und drehte sich dann dem jungen Mann entgegen, der ihr bisheriges Leben geprägt hatte. Uchiha Sasuke trug ein Mädchen in den Armen, deren Gesicht an seiner Brust lag und deren rote Haare über seinen Oberarm flossen. Sais Blick schwenkte zurück zu Sakura. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Worte auch in Blicken stehen konnten, dass Emotionen manchmal unausgesprochen blieben, obwohl sie für andere greifbar in der Luft sirrten. Das war für ihn bis heute unbegreiflich. Nichtsdestotrotz flog Sakuras Blick plötzlich zu ihm und einen Moment lang standen sie einfach da, ihre Blicke ineinander verwoben. In ihren grünen Augen hingen Gefühle, die er nicht benennen konnte. Dann riss sie sich los und eilte voraus, ihn stramm am Handgelenk gepackt. Das provisorische Lazarett war überfüllt, laut, chaotisch. Es stank nach Schweiß und Blut. Nachdem sie seine Platzwunde verbunden hatte, meinte sie mahnend, dass er wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung hatte und sich ausruhen müsste. Er nickte gehorsam, dachte jedoch keinen Moment daran, es zu tun. Sakura zog die Handschuhe fester. Verletzte lagen auf der feuchten Erde. Verdreckt. Verblutend. Sie versorgte die Versehrten notdürftig. Die Medikamente waren knapp. Die Iryōnin der Anzahl an Verletzten kaum gewachsen. Irgendwo wimmerte jemand. Sie ließ ihr Chakra über verstümmelte Körper wandern, kniete neben entstellten Menschen und sprach ermutigende Worte, die manchmal nur ihre eigene Hilflosigkeit übermalte. Unaufgefordert entrollte er die Papierrolle und tauchte den gesäuberten Pinsel in die schwarze Tinte. Mit wenigen Strichen beschwor er einige Vögel herauf, die Schwerverletzte auf ihren pergamentfarbenen Rücken in das provisorische Lazarett trugen. Ihr Blick erfasste ihn sofort, als sie sein Jutsu bemerkte – er war sich fast sicher, dass sie ihn an jedem anderen Ort, zu jeder anderen Zeit schmerzhaft für seine Missachtung ihres medizinisches Rates geschlagen hätte – doch sie nickte ihm nur knapp zu und er glaubte so etwas wie Dankbarkeit zu erkennen. Ihre hellgrünen Augen bargen gefährliche Erschöpfung, aber auch etwas, das sie nicht zusammenbrechen ließ. Es faszinierte ihn. „Wie machst du das?“, fragte er sie in einem Moment, in dem sie im Stehen etwas aß und alles immer wieder hastig mit Wasser hinunterspülte. „Wie mache ich was?“, fragte sie mit vollem Mund nach, schluckte und murmelte ein halbverlegenes „Entschuldige“. „Wie schaffst du, das hier durchzuhalten?“ Sie verharrte einen Moment und ein schwaches Lächeln zog sich über ihre Lippen. „Es gibt zu viel zu tun, um es nicht durchzuhalten. Ich muss einfach durchhalten“, erwiderte die schulterzuckend und obwohl es ihm im ersten Moment paradox erschien und er ahnte, das mehr zwischen diesen Worten stand, als er heraushörte. Ein Schrei hallte durch die Zelte und sofort sah Sakura auf, stellte den Rest ihres mageren Mahles auf einen wackeligen Tisch und hastete zu einer Liege, in der ein Mädchen lag, dessen Wunde entzündet und wieder aufgeplatzt war. Zwei Schwestern wuselten um sie herum. Sakura fluchte leise. „Wir brauchen hier fünf Milliliter –“ Das schmerzverzerrte Gesicht des Mädchens entspannte sich allmählich und Sakura atmete auf, als eine weitere Schwester zu ihr eilte. „Sakura-san, wir haben einen Notfall reinbekommen!“ Auf einer Trage wurde ein Junge hereingebracht, dessen linke Gesichtshälfte weggerissen war. Er röchelte, schnappte nach Luft. Sai lauschte Sakuras Anweisungen und in ihrer ganzen Präsenz stand, dass ein Mensch viel ertragen konnte, solange er sich selbst ertragen konnte. Solange er glaubte, dass das, was er tat, sinnvoll war, einem größeren Wohl diente, getan werden musste, wichtig war. Sakura stand kurz vor einem Zusammenbruch, war kurz davor vor Erschöpfung umzukippen und doch stand in ihren Augen Entschlossenheit und Kraft. Es faszinierte ihn. „Splitter stecken in seiner Haut, linke Gesichtshälfte zertrümmert“, rief sie den Schwestern zu, „gebt mir zehn Milliliter –“ Der pure Anblick des Kindes weckte in manch einem Anwesenden Brechreiz. Sai musterte den Jungen nüchtern. Sakuras erhitztes Gesicht schwebte wenige Handbreiten entfernt, sie pumpte Chakra in den kleinen, blutenden Körper. Er war am Sterben. In ihren Augen wütete ein Sturm und doch waren ihre Anordnungen glasklar. „Erhöhen. Zwanzig Milliliter!“, schrie sie über das Schreien des Kindes hinweg. Dann war es plötzlich still. Mit leerem Blick bedeckte sie die Leiche des Jungen mit einem weißen Tuch. Blutverschmiert waren ihre Handschuhe. Irgendjemand sagte etwas zu ihr, doch sie schüttelte nur den Kopf, zog die Handschuhe von ihren Fingern und schmiss sie in den dafür vorgesehenen Mülleimer. Dann verließ sie das Zelt. Sorgfältig wusch Sakura am Rande des Lazaretts ihre Hände. Das Wasser war klar und kühl und färbte sich erst unter ihren Händen ein wenig trüb. Sie legte eine Hand über ihre Augen, die höllisch brannten. „Sakura, bist du verletzt?“ Sie schüttelte stur den Kopf, als sie Sais Stimme vernahm. Gemächlich schritt er zu ihr und blieb dann hinter ihr stehen. „Du hast gemacht, was du konntest“, meinte er ausdruckslos – er verstand nicht, warum sie scheinbar so durch den Wind war. „Manchmal ist das eben nicht gut genug“, zischte sie. „Gibst du dir die Schuld?“, fragte er, weil er es nicht verstand. Manche Patienten überlebten, manche starben. Manche wären schneller gestorben ohne Sakuras Hilfe, schmerzhaft, einsam. Er wusste nicht, was besser war, aber er respektierte Sakuras Bemühungen. Er konnte keine schlechte Intention darin erkennen. „Er war nur ein Kind“, flüsterte sie und er nickte, setzte sich neben sie an den Brunnen, gerade soweit, dass er sie sicher nicht aus Versehen berühren würde. „Auch Kinder können sterben“, erläuterte er mit blanker Miene und ihr zorniger Blick erfasste ihn. „Ich weiß das“, geiferte sie wütend, „immerhin ist eines gerade unter meinen Händen weggestorben.“ „War es das erste?“, fragte er und überlegte, ob das Sarkasmus in ihrer Stimme gewesen war oder einfach nur Schmerz. Oder beides? Sie schüttelte den Kopf. „Nein, und es wird wohl auch nicht das letzte gewesen sein.“ „Warum bist du dann – kanntest du den Jungen?“ Sie schüttelte wieder den Kopf. „Aber irgendjemand liebte ihn, Sai. Für irgendjemand war er etwas Besonderes. Er war von jemandem der Sohn. Vielleicht hatte er eine Schwester oder einen Bruder. Und er war noch so jung. Nicht einmal seinen Namen kennen wir“, flüsterte sie und ballte ihre Finger zu Fäusten. Er fragte sich, ob vor Zorn oder Ohnmacht oder Schmerz. „Warum müssen so viele sterben, Sai? Warum gibt es immer so viele unschuldige Opfer? Warum trifft es immer die Falschen? Und warum kann ich so vielen nicht helfen?“, hauchte sie und blickte ihm plötzlich ganz direkt in die Augen. Er dachte nach. Vor vielen, vielen Jahren hatte ihm einmal jemand etwas gesagt, was er bis heute nicht ganz entschlüsselt hatte. Aber. Irgendwie war es auch ganz verständlich. Und trotzdem. Shin hatte es ihm gesagt. Shin. Ein Mensch konnte viel ertragen, solange er sich selbst ertragen konnte. Aber manchmal da konnte man sich nicht selbst ertragen. Weil man die eigenen Grenzen nicht akzeptieren wollte, weil man den Schmerz nicht hinnehmen konnte und das Leid anderer sich in den eigenen Augen spiegelte. Sai erwiderte Sakuras Blick. Instinktiv drückte er sein Wirbelsäule durch und saß augenblicklich ganz gerade und steif da. Er kannte die Antworten auf diese Fragen nicht und er erkannte in ihrem Blick, dass sie es nicht anders erwartete. Das Grün schimmerte zwischen gerötetem Weiß. Ungeweinte Tränen standen in ihren Augenwinkeln, Müdigkeit und Kraftlosigkeit und doch blitzte die Klarheit ihrer Gedanken hindurch. „Lass uns weitermachen“, stellte sie zwischen sie beide, erhob sich und lächelte ihn schwach an. „Es gibt noch zu viel zu tun und wir beide werden gebraucht.“ Sakura balancierte zwischen Leere und Fülle. In ihren Augen war die Erfahrung beider eingeritzt. Er nickte und sie schritten zurück. Zerstörung umgab sie, Leichen säumten ihren Weg durch das Chaos, der Krieg war vorbei – gewonnen. Doch die eigentlich Zerstörung war unsichtbar. Es war die innere Verwüstung, die psychische. Der Prozess, in dem einem die innere Stärke Stück für Stück geraubt wurde, die Prioritäten bröckeln, Ideale verfallen und am Ende bleibt einem nichts mehr – nur Leere. Er kannte das, er hatte es selbst durchgemacht – seitdem er ein kleines Kind gewesen war. Und die Leere in ihm überwog noch immer. Auch er würde ohne einen Namen sterben und begraben. „Wenn ich sterbe“, meinte er nüchtern auf dem Weg zurück zu den Zelten, „wirst du dann auch so wütend werden, obwohl es niemanden gibt, der mich liebt?“ Er spürte neben sich, wie Sakura inne hielt und ihn anstarrte. Chaos stand in ihrem Blick – zumindest machte es für ihn kaum Sinn. Er erkannte Trauer und – der Rest war ein großes Durcheinander. Deswegen konzentrierte er sich auf das Drumherum und auf ihre Augenfarbe. Es war faszinierend. Ihre Augen waren leicht geweitet. Groß und irgendwie erschrocken schaute sie ihn an. Und dann dieses Grün. Ganz grün und hell. Grün stand für das Unproblematische, Normale, Positive. Nicht so ausdrucksstark wie Rot, nicht so beruhigend wie Blau. Grün. Das war für ihn immer eine Farbe gewesen ohne große Kraft. Ein wenig langweilig. Aber wie er ihr so in die Augen sah, musste er revidieren. Grün war eine Farbe voller Emotionen, voller Wildnis und Kühnheit. In ihrem Blick tobte ein Sturm. Wie ein Wald über dem dunkle Wolken hingen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)