Elijah – Das Herz eines Alphawolfs von Darklover ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel --------------------- Zehn Jahre später – Great Falls High Das Ende war nah. Hinter ihnen lag ein harter und brutaler Kampf. Auf beiden Seiten hatten sie schwere Verluste erlitten und mehr als nur einmal waren sie an ihre körperlichen Grenzen auf oftmals schmerzhafte Art und Weise erinnert worden. Dennoch war ihre Entschlossenheit ungebrochen. Die Great Falls Bison gaben niemals auf. Auf den überfüllten Tribünen trugen die Fans der beiden gegnerischen Mannschaften voller Leidenschaft und Inbrunst für ihr Team ihre eigene Schlacht aus, die nur durch motivierendes Gebrüll und demoralisierende Beschimpfungen geführt wurde. Die bunten Farben ihrer Treue waren dabei ihre Rüstungen und das jeweilige Schullogo ihre Banner. Der Lärm war einfach unbeschreiblich aber auch die außergewöhnliche Stimmung, welche sich über den ganzen Platz ausgebreitet hatte. Fast alle Schüler der beiden konkurrierenden Schulen waren zum diesjährigen Abschlussspiel des Highschool Footballs gekommen und dementsprechend hoch war auch der Anteil an hitzigen Emotionen. Aber die beiden Mannschaften konnten jeden einzelnen Fan auch wirklich dringend gebrauchen, denn so knapp war die Entscheidung über Sieg oder Niederlage in dieser Saison noch nicht gewesen, obwohl oder gerade weil sie bei diesem letzten Spiel wirklich alles gaben. Ermutigende Zurufe und die einstudierten Nummern der Cheerleader könnten jetzt tatsächlich noch den Ausgang des Spiels empfindlich entscheiden. Es waren nur noch 10 Sekunden zu spielen und die Great Falls Bison lagen nur um einen Punkt im Rückstand. Ein einziger Touchdown würde sie zum Sieg führen, sollten sie es in dieser kurzen Zeit überhaupt noch in die gegnerische Endzone schaffen. Die Alternative dazu wäre eine Niederlage beim Abschlussspiel und das ausgerechnet gegen die Rustlers, was keiner von ihnen anstrebte. Im Huddle ging Conners ihr Teamleader und erster Quarterback gerade noch einmal ihre Strategie für den nächsten und höchstwahrscheinlich auch letzten Spielzug durch, doch Elijah hörte nur mit einem Ohr zu. Er hatte sie gefunden. Nachdem er sich bei den Spielen grundsätzlich nur auf seine Aufgabe konzentrierte und die Zuschauer völlig außen vor ließ, hatte ihn heute doch dieses bestimmte Gefühl, dieses gewisse Kribbeln im Nacken, dazu veranlasst, seinen Blick über den Spielfeldrand hinaus auszudehnen. Eigentlich war diese Reaktion ziemlich dumm, wenn man bedachte, wie viele Augenpaare jede einzelne seiner Bewegungen verfolgten, sobald er den Ball in seinen Händen hielt. Aber es war eben das Augenpaar eines ganz besonderen Mädchens gewesen, das ihn selbst nach all den Jahren noch immer nicht kalt ließ. Sie saß in der vorletzten Reihe auf der linken Seite neben ihrer Freundin Ruth und gehörte wohl zu der einzigen Person, die nicht in den Farben ihres Teams gekleidet und voll auf Adrenalin war. Das war wohl auch der Grund gewesen, wieso er Holly überhaupt in der tobenden Menge hatte finden können. Sie kam nie zu den Spielen und auch beim diesjährigen Abschlussspiel hatte er absolut nicht damit gerechnet, aber nun war sie hier und er konnte sich kaum von ihrem Anblick losreißen. Ihre letzte Unterhaltung vor knapp einem halben Jahr kam ihm wieder in den Sinn, denn sie hatte ihn noch lange danach sehr beschäftigt. Im Schulflur waren sie unwillkürlich aufeinander getroffen, obwohl sie es dank jahrelanger Routine meistens schafften, sich nicht über den Weg zu laufen. Aber vermutlich hatte auch der Umstand, dass Holly kaum an ihrem Physikprojekt vorbeisehen konnte, zu dieser Begegnung geführt und eine kleine absturzgefährdete Glaskonstruktion tat ihr Übriges, um sie beide zum Handeln zu zwingen. Vorsichtig hatte er das filigrane Gebilde noch aufgefangen und wieder an einer sichereren Stelle abgestellt, wo sie es im Notfall mit ihrem Kinn selbst halten konnte. Ihr gehauchtes ‚Danke‘ war ehrlich und ohne weitere Hintergedanken gewesen und dennoch hatte es ausgereicht, um ihn schneller die Flucht ergreifen zu lassen, als ein aufgescheuchtes Reh das ein Raubtier gewittert hatte. Ein knappes Nicken und er war weiter gegangen, ganz so als würden sie sich nicht kennen. Als wären sie Fremde. Er hatte ihr noch nicht einmal in die Augen gesehen. Elijah musste sich nichts vormachen. Sie waren Fremde geworden, obwohl er das zu einem anderen Zeitpunkt in einem anderen Leben nie für möglich gehalten hätte. Doch nach dem Tod seiner Mutter hatte sich einfach alles verändert. Er hatte sich verändert und war fortan nicht länger der passende Umgang für dieses so unschuldige und herzensgute Mädchen gewesen. Außerdem hatte sein Vater deutlich klar gemacht, was er von den Masons hielt. Niemand hätte ausschließen können, dass dieser herzlose Bastard nicht auch noch auf die Idee kam, seine beste Freundin umzubringen, nur weil sie mit ihrer Familie den untersten Platz in der Rudelhierarchie einnahm. Elijah wollte nicht auch noch Holly verlieren, obwohl er das am Ende natürlich mit seinem abweisenden Verhalten getan hatte. Aber wenigstens war sie immer noch am Leben und in Sicherheit. Der Schatten seiner düsteren Vergangenheit würde sie nie berühren und schon bald würde er endgültig aus ihrem Leben verschwunden sein. Es war wirklich verdammt hart, auch nur daran zu denken, aber auf jeden Fall besser so. „McKenzie!“ Elijahs Kopf wurde unvermittelt vorne am Visier gepackt und zum Spielgeschehen herumgerissen. Conners funkelte ihn wütend an. „Mann, hör auf zu träumen! Wir verlieren, falls du es noch nicht bemerkt hast.“ Ach ja. Das Spiel… Elijah verdrängte die Gedanken an Holly aus seinem Kopf und versuchte sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Conners hatte Recht. Sie hatten zu hart gekämpft, um jetzt wegen ein paar Träumereien zu verlieren. Außerdem war es auch für ihn das Abschlussspiel. Danach würde er nie wieder für die Great Falls Bison spielen. Ein mehr als unwirklicher Gedanke zu diesem Zeitpunkt und wenn das hier schon das Ende war, dann sollte es doch wenigstens richtig über die Bühne gebracht werden. Auch für Conners schien das zu gelten, denn sein Blick zeigte eine Entschlossenheit, als würde es hier mehr als nur um ein Spiel gehen. Selbst entschlossen die Saison mit einem Sieg zu beenden, riss Elijah sich noch ein letztes Mal zusammen und blickte seinem Teamleader tief und fest in die Augen. „Wenn du mir den Ball zuwirfst, dann schwöre ich dir, dass ich das Baby für uns nach Hause bringen werde.“ Seine Teamkollegen mochten ja schon am Ende sein, doch er hatte noch ein paar Reserven übrig, von denen die anderen noch nicht einmal etwas ahnten. So dachte er zumindest, doch Conners schien zu wissen, dass Elijah noch nicht seine Grenzen erreicht hatte, denn er zögerte nur kurz. „Also gut. Enttäusch uns nicht.“ Niemals. Sie besprachen noch einmal die neue Strategie, danach nahmen sie Aufstellung und der letzte Spielzug konnte beginnen. Es wurde still auf der Tribüne und die Spannung war nun greifbarer denn je. Beinahe jeder schien den Atem anzuhalten. Elijah konzentrierte sich nun ausschließlich auf das Spiel und vor allem auf den Quarterback. Es würde jede Sekunde losgehen. „Down! – Set!“ Conners fing den Football und lief los, bevor noch sein „Hut!“ erfolgte, womit sie die Defensive der Rustlers überraschten und wertvolle Sekunden gewannen, die vielleicht doch noch einen entscheidenden Vorteil bringen könnten. Er täuschte zunächst einen langen Pass an, bevor er den Ball geschickt getarnt an den Runningback mit der Nummer 24 abgab. Elijah sprintete mit dem heißbegehrten Leder eng an sich gepresst los, als wären seine ganz persönlichen Dämonen hinter ihm her, die nach seiner Seele verlangten. An seinem Sportstipendium konnte eine Niederlage zwar nicht mehr rütteln, dennoch wäre es verdammt unbefriedigend gewesen, sein letztes Spiel zu verlieren, geschweige denn sein Versprechen zu brechen. Aufgeben kam also gar nicht erst in Frage. Flint und Jones blockten zwei Gegner ab, die sich ihm in den Weg stellen wollten und machten somit eine kleine Lücke frei, durch die Elijah hindurch schlüpfen und den Weg zum Spielrand nehmen konnte, um noch einmal seine Schritte zu beschleunigen. Hände griffen nach ihm und zerrten erfolglos an seinem Trikot. Mit einer geschickten Körperdrehung wich er einem Cornerback aus, der bereits seinen Arm um ihn geschlungen hatte und ihn zu Boden reißen wollte. Kurz kam Elijah aus dem Tritt, schaffte es aber noch innerhalb des Spielfelds zu bleiben und über einen weiteren Gegner hinweg zu springen, der von einem seiner eigenen Leute vor ihm zu Fall gebracht worden war. Danach hatte er für einen Moment Luft, so dass er mit riesigen Sätzen weitere Yards Spielraum gewann, bis ein Strong Safety in voller Fahrt seine Seite rammte und ihn beinahe aus dem Spielfeld beförderte. Im aller letzten Moment konnte er die Wucht mit einem Ausfallschritt gerade noch abfangen, ohne mit dem Fuß ins Aus zu treten, aber der Angriff hatte ihn empfindlich aus dem Gleichgewicht gebracht, so dass er nun mehr vorwärts stolperte, als dass er lief. Wenigstens hatte der heftige Aufprall ihn sofort wieder von seinem Angreifer befreit und sobald Elijah sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, sprintete er unaufhaltsam weiter. Der Sieg war schon zum Greifen nahe. Dennoch hatte der kleine Zwischenfall ihn wertvolle Zeit gekostet, in der ein weiterer Spieler der Rustlers hatte herankommen können und sich nun an ihn dranzuhängen versuchte. Elijah fehlten nur noch ein paar Meter bis zur Endzone, weshalb er gar nicht erst versuchte, sich aus dem unbarmherzigen Griff zu lösen, der ihm plötzlich die Eingeweide zusammendrückte. Stattdessen gab er alles was er hatte und was er war und zog den zusätzlichen Ballast einfach mit sich. Genau hier zeigte sich, wieso er die Position des Runningbacks einnahm. Er war vielleicht nicht so wendig, wie kleinere und leichtere Spieler, aber dafür konnte er wahnsinnig schnell laufen und es brauchte oftmals schon mehr als zwei schwere Angreifer in vollem Lauf, um ihn aufzuhalten. Die Rustlers hatten keine Chance. Elijah kämpfte sich einfach weiter bis zur Endzone durch und der erzielte Touchdown ließ die Fans der Great Falls Bison von der Tribüne aufspringen. Doch so laut das Siegesgebrüll auch war, wurde es doch von den ganzen Körpern gedämpft, die sich noch in letzter Verzweiflung auf ihn warfen und nur langsam wieder von ihm runter kletterten. Conners war der erste, der bei ihm ankam und ihm mit einem derart breiten Grinsen hoch half, als hätte er gerade einen 6er im Lotto gewonnen. Sie schlugen mit den Helmen aneinander, bevor die Jackson-Brüder Elijah einfach an den Beinen hochhoben und stolz herumtrugen, als hätten sie gerade fette Beute gemacht, mit der sie jetzt angeben mussten, während sie eine Siegeshymne trällerten. In diesem Moment des Triumphs und der aufrichtigen Anerkennung ließ Elijah wohl zum ersten Mal nach dem Tod seiner Mutter die vage Hoffnung zu, dass sich sein Leben vielleicht doch noch in eine positive Richtung entwickeln könnte. Denn in nur wenigen Tagen würde er Great Falls und somit auch seine Vergangenheit für immer hinter sich lassen. *** „Hervorragendes Spiel, McKenzie.“ Eine schaufelgroße Hand legte sich auf seine nackte Schulter und ließ ihn von seinen Schuhen, die er sich gerade aufband, hochsehen. „Mach‘ nur so weiter und du wirst es mal weit bringen, mein Junge.“ Das Lächeln des in die Jahre gekommenen Mannes war warm und echt, beinahe väterlich, wenn dieser Ausdruck in Elijahs Welt nicht so völlig ins Gegenteil verkehrt worden wäre. „Danke, Coach.“, war daher nur seine gemurmelte Antwort, die Dank des Siegesgegröles, das in dem beengenden Umkleideraum vorherrschte, beinahe unterging. Elijah brachte es nicht fertig, dem Mann vor sich länger als nötig in die Augen zu sehen, da er sehr genau wusste, dass er seine sportliche Karriere bestimmt nicht weiterverfolgen würde, so wie sein Coach es angedeutet hatte, weshalb er sich wieder seinen Schuhen widmete. Er wollte studieren und kein Profispieler werden. „Na dann will ich dich nicht länger aufhalten. Geh dich abkühlen. Du glühst ja regelrecht wie ein Dampfkessel.“ Kurz versteifte Elijah sich, konnte aber nur noch den Rücken seines Trainers sehen, als er aufblickte, dem zum Glück an seiner überdurchschnittlich hohen Körpertemperatur nichts Ungewöhnliches aufgefallen war. Auch ein Grund, weshalb er es nicht so mit Berührungen hatte und gerade bei Menschen gerne vermied. Obwohl er gerade nur so von ihnen umzingelt war. Seine Teamkollegen waren allerdings ganz okay. Selbst für Menschen oder vielleicht auch gerade deshalb. Zwischen ihnen bestand ein richtiger, unverfälschter und nicht durch Angst und Terror hervorgerufener Zusammenhalt. Das übliche Klischee von Footballspielern traf bei ihnen nicht zu und es gab auch keine Hackordnung. Jeder hatte sich seinen Platz im Team durch harte, ehrliche Arbeit verdient und das wurde respektiert. Für Elijah waren diese Jungs sein wahres Rudel. Sein Halt, wenn er einmal nicht mehr weiter wusste oder kurz davor stand, wirklich dumme Dinge zu tun. Es war zwar nicht so, dass er ihnen sein Herz ausschüttete. Eigentlich sagte er sogar verhältnismäßig wenig und gehörte mehr zu den Stillen, schweigsamen Typen, aber sie akzeptierten ihn vorbehaltlos so wie er war und wollten ihn nicht auf Biegen und Brechen ändern, so wie sein Vater es ständig tat. Bei ihnen konnte er einfach nur sein, ohne ständig von Angst, Wut und Hass aufgefressen zu werden. Und sie brachten ihn schon mit kleinen Dingen zum Lächeln. Elijah musste sich das Grinsen verkneifen, als Flint splitterfasernackt auf eine der Bänke sprang und eine etwas schräge Version eines Indianers im Siegestaumel aufführte, während er dabei seinen Tomahawk für jeden ersichtlich vor sich her schwang, bis sein Kumpel Mike ihm mit einem nassen Handtuch auf den blanken Hintern klatschte und ihn damit wie ein Mädchen aufkreischen ließ. Danach verschwanden die beiden Jungs abwechselnden im Schwitzkasten des anderen in den Duschen. „Klasse Leistung, McKenzie. Ich bin froh, dass ich dir vertraut habe, obwohl ich mir am Schluss nicht sicher war, ob du es schaffen würdest, als dich dieser Berg von einem Strong Safety beinahe niedergemäht hat.“ Elijah wandte den Kopf und sah zu Conners hoch, der anscheinend bereits geduscht hatte und gerade dabei war, sich die Haare trocken zu rubbeln. „Mich haut nichts so leicht um. Trotzdem danke für die Chance.“ Er stand auf und stellte seine Schuhe in den Spind, machte allerdings noch keine Anstalten, sich ebenfalls zum Duschen fertig zu machen. „Ich würde ja gerne sagen: Beim nächsten Mal wieder, aber…“ Conners seufzte und ließ kurz den Kopf hängen, bevor er sich wieder zusammenriss. Für ihn als Teamleader war es bestimmt noch härter, die Mannschaft verlassen zu müssen. Immerhin war das auch für ihn das Abschlussjahr. „Du kommst doch dieses Mal zur Afterplay-Party, oder?“, wechselte er schließlich das Thema und klang dabei gleich viel enthusiastischer. Da sprach eindeutig der Partykönig aus ihm. Elijah brummte nur eine unbestimmte Antwort, da er schließlich nicht mit seinem Ruf als absoluter Partymuffel brechen wollte und er damit meistens durchkam, wenn ihn jemand danach fragte. Auch dieses Mal wurde er nicht dazu genötigt, sich mit Bier volllaufen zu lassen, bei einer Musiklautstärke die eigentlich sofort die Bullen auf den Plan rief, während er sich mit Händen und Füßen von volltrunkenen Barbies befreien musste, für die sein Aussehen und der Status als Footballspieler ein Ticket für eine sofortige Image-Verbesserung zu sein schien. Ihn schüttelte es regelrecht bei dem Gedanken daran und er beeilte sich, aus seinen verschwitzten Sachen zu kommen, nachdem der Quarterback ihn wieder allein gelassen hatte. Eine Dusche war jetzt das Einzige, was er nach diesem Sieg wirklich brauchte. Elijah ließ das heiße Wasser über seinen schmerzenden Körper laufen, während er sich mit geschlossenen Augen seine Schulter massierte, die heute ganz schön was hatte einstecken müssen. Eine Zeit lang stand er einfach nur so da, ließ das wohltuende Wasser seine angespannten Muskeln erweichen und hörte zu, wie es immer stiller im Umkleideraum wurde, bis er schließlich vollkommen alleine war. Noch ein paar Mal war er aufgefordert worden, doch noch zu der Party zu kommen, aber er hatte es einfach ignoriert und nun stand er einfach nur da und dachte über Dinge nach, die im Augenblick eigentlich ohne Belang waren, aber ihn davon abhielten, an die heutige Nacht zu denken. Eine Weile hatte er sich zum Beispiel gewundert, warum sich nicht mehr seiner Artgenossen für das Sportangebot der High School interessierten. Aber letztendlich lag es wohl an genau dem einen Grund, der seinen Vater dazu brachte, Elijahs außerschulische Aktivität zu billigen. Für gewöhnlich verwandelten sich Werwölfe in seinem Alter oft und durchaus schon mal in Situationen, wo sie es eigentlich gar nicht wollten. Dazu reichte schon ein gewisses Maß an Wut und Aggression aus. Gewürzt mit einer kräftigen Portion Adrenalin oder pubertären Gefühlsanwandlungen war das eine hochexplosive Mischung. Wortwörtlich. Eigentlich war es da ganz logisch für einen Werwolf, sich nicht in eine Situation zu begeben, die ihn selbst oder seine ganze Spezies in Gefahr bringen könnte, wie zum Bespiel während eines laufenden Footballspiels, bei dem man immer wieder von allen Seiten attackiert und dabei von einer ganzen Masse an Menschen beobachtet wurde. Elijah hatte sich darum nie Sorgen gemacht und sein Erzeuger hatte es inzwischen auch längst aufgegeben, in dieser Hinsicht noch irgendetwas von ihm zu erwarten. Vielleicht hatte er anfangs noch gehofft, dass das Spiel den Wolf in seinem Sohn hervorlocken würde, aber nachdem eine Saison nach der anderen vorüber gegangen war, ohne das etwas passierte, hatte er wohl resigniert und diese eine Verwandlung vor so langer Zeit als ‚keinmal‘ abgetan. Was er Elijah auch heute noch immer wieder bei jeder Gelegenheit spüren ließ, wenn es um das Rudel ging und darum, ein vollwertiges Mitglied zu sein. Als wollte der Kerl in seiner Position als Alphawolf die Schande über die Unzulänglichkeiten seines Sohnes mit allen möglichen Demütigungen wieder wettmachen. Heute Abend würde er leider wieder Gelegenheit dazu bekommen. Elijahs Hände ballten sich zu Fäusten als das wohl bekannte Gefühlsgemisch in ihm explosionsartig wieder hochkam, das mit den Jahren keine Sekunde lang abgeflaut war, sondern nur noch an Intensität zugenommen hatte. Als sein Körper daraufhin zu beben begann, biss er die Zähne fest zusammen und schluckte seine Gefühle wieder hinunter. Nur noch ein paar Tage, versuchte er sich zu beruhigen. Dann werde ich das Rudel verlassen und diesen Wichser nie wieder sehen. Und er würde endlich die Ketten sprengen, die ihn so lange am Boden gehalten hatten. Die dafür gesorgt hatten, dass er sich von seiner besten und einzigen Freundin abgewandt hatte und seither auch keinem anderen Mädchen die Chance gegeben hatte, den Zorn seines Vaters auf sich zu ziehen, weil sie in dessen Augen alle unwürdig gewesen wären. Selbst die Mitglieder des Rudels mieden ihn so gut sie konnten aus der Angst heraus, als nächstes ins Visier des tyrannischen Alphawolfs zu geraten. Verdammte Feiglinge! Mit einem Ruck drehte Elijah das Wasser ab, ging zu seinem Handtuch hinüber, rubbelte sich kurz ab und wickelte es sich anschließend um die Hüften. Auf dem Weg zu seinem Spind lief er an den Waschbecken vorbei und konnte einem weiteren Grund in die Augen sehen, warum sein eigenes Rudel den Kontakt zu ihm weitestgehend vermied. Er sah verdammt noch mal so aus wie sein Vater. Elijah hatte die gleichen eisblauen Augen. Das gleiche schwarzblaue Haar, auch wenn seines etwas kürzer war. Das gleiche energische Kinn und im Moment auch exakt die gleiche Kälte im Blick. Die feinen Unterschiede waren nur minimal. Natürlich sah er jünger aus. Hatte keine deutlich sichtbaren Kampfspuren am Körper und wenn sie nicht direkt nebeneinander standen, fiel es auch nicht auf, dass er mit seinen annähernd 1, 96 Metern seinen Alten sogar noch um einige Zentimeter überragte. So manch einer würde sogar behaupten, er hätte einen ganz guten Griff in den Genpool gemacht. Trotzdem fühlte es sich für ihn eher wie ein kräftiger Tritt in die Eier an. Genauso gut hätte er das Gesicht von Charles Manson haben können. Ohne seinem Spiegelbild noch einen weiteren Blick zu schenken, marschierte Elijah zu seinem Spind zurück und zog sich an. Vielleicht sollte er sich die Haare bleichen und somit ein noch deutlicheres Zeichen dafür setzen, dass sein Vater schon bald endgültig aus seinem Leben verschwunden sein würde. Während er seine Sporttasche zusammen packte, verwarf er den Gedanken allerdings gleich wieder, da er bisher keinen großen Aufwand mit seinen Haaren betrieben hatte und es in Zukunft auch eigentlich gar nicht wollte. Im Grunde genommen brauchte er doch lediglich jeden Spiegel zu meiden und das war nun wirklich kein Problem. Dank seiner Gene musste er sich nur alle paar Tage rasieren und das bekam er mit einem Elektrorasierer auch ohne Spiegel ganz gut hin. Entschlossen sich nicht länger mit seinem Vater zu beschäftigen, wenn es sich vermeiden ließ, schulterte Elijah schließlich seine Tasche und verließ die Umkleideräume, nach dem er noch einen letzten Blick in den leer daliegenden Raum geworfen hatte. Er würde das wirklich vermissen, aber wenn er Glück hatte, fand er auf dem Collage ein neues Team und neue Freunde und selbst wenn nicht, so hatte er dann doch endlich seine Freiheit gewonnen. Damit würde er auf jeden Fall etwas anzufangen wissen. *** Sie hatten bei dem heutigen Spiel nicht nur Glück gehabt, was das Endergebnis anging, sondern auch mit dem Wetter, wie es schien. Als Elijah vor die Tür trat, fuhr ihm ein kühler Wind unters Hemd und benetzte seine Haut mit feinen Wassertröpfchen, obwohl er noch unter Dach stand. Es hatte zu regnen begonnen und so tief wie die schwarzen Wolken über ihm hingen, würde sich in nächster Zeit wohl auch nichts daran ändern. Na toll und ausgerechnet heute war der letzte Bus schon weg. Geld für ein Taxi hatte er grundsätzlich keines und darauf zu hoffen, dass sein Alter plötzlich eine barmherzige Ader in sich entdeckte und ihn von der Schule abholte, war ungefähr genauso sinnlos, wie darauf zu warten, dass die Sonne um die Erde zu kreisen begann. Er würde also wieder einmal laufen müssen. Unter normalen Umständen machte ihm das nicht wirklich etwas aus, aber ab einem gewissen Punkt in seinem Leben hatte er eine bestimmte Abneigung gegen Regen entwickelt. Insbesondere gegen das Gefühl, dabei nach Hause laufen zu müssen. Wenn man das Loch in dem er wohnte, denn überhaupt so bezeichnen konnte. Nichtsdestotrotz spielte Elijah noch nicht einmal mit dem Gedanken, doch noch die Afterplay-Party zu crashen, um anschließend auf eine Mitfahrgelegenheit zu hoffen. Stattdessen legte er sich den Schulterriemen seiner Tasche so um, dass er sie am Rücken tragen konnte und die Hände dabei frei hatte. Dann würde er eben die 15 Meilen querfeldein nach Hause rennen. Das hielt ihn zumindest fit und war schon einmal ein gutes Aufwärmprogramm für die bevorstehende Tortur heute Nacht. Ausgerechnet heute hatten sie Vollmond. Der Geschmack des Sieges begann bereits bei diesem Gedanken wieder zu verfliegen, aber spätestens morgen früh, würde nichts mehr davon übrig sein. Sein Vater wusste schon, wie er Elijah wieder auf den Boden der Tatsachen bringen konnte. Vor allem wenn es um Rudeltraditionen ging. Noch bevor er das Eingangstor der Schule passierte war Elijah bereits nass bis auf die Knochen und der Wind peitschte ihm die Nässe auch noch ziemlich unbarmherzig ins Gesicht. Trotzdem gab es für ihn kein Zögern. Es war nicht das erste Mal, dass er nach Hause lief, aber schon bald würde es das letzte Mal gewesen sein und dann wäre auch endgültig Schluss mit den Demütigungen. Gerade als er in einen leichten Trab fallen wollte, hielt neben ihm ein Wagen an und auf der Beifahrerseite wurde rasch ein Fenster heruntergekurbelt. „Darf ich dich mitnehmen?“ Elijah durchlief ein Zittern, das er auf den kalten Wind schob, der ihm über die nassen Kleider fuhr. „Schon gut. Ich laufe lieber.“ Er ging weiter, ohne sich auch nur einmal nach dem alten Ford Escort mit der kleinen Delle in der Beifahrertür umzuschauen und versuchte dabei mit aller Macht den Wagen mit bloßen Gedanken dazu zu bewegen, einfach weiter zu fahren. Vergebens. Das Auto holte auf und fuhr langsam neben ihm her. „Jetzt sei kein Idiot, Eli. Es gießt in Strömen und selbst du brauchst mehr als zwei Stunden zur Farm.“ „Eineinhalb.“ Wenn er sich beeilte und im Augenblick wäre es ihm sogar egal gewesen, wenn es vier Stunden gewesen wären. Hauptsache er musste nicht in dieses Auto steigen. „Ach, komm schon. Ich wollte sowieso mit dir über etwas Bestimmtes reden. Da kann ich dich doch auch gleich nach Hause fahren..“ „Ich wüsste nicht, was wir uns zu sagen hätten.“ Elijah beschleunigte seine Schritte, während er dem Wetter ebenso sehr trotze, wie dem Gefühl in seinem Bauch. Verdammt, wo waren die ungeduldigen, die Hand ständig auf der Hupe habenden Autofahrer, wenn man sie mal brauchte? Offensichtlich nicht hier. Der alte Ford kam abrupt zum Stehen. Eine Tür wurde aufgerissen und noch ehe er sich versah, stand Holly breitbeinig vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte ihn wütend von unten herauf an. Inzwischen reichte sie ihm nicht einmal mehr bis zum Kinn, was ihr Zähnefletschen ungefähr so beeindruckend machte, wie das eines Chihuahuas. „Jetzt hör mir mal genau zu, McKenzie!“ Ein spitzer Finger bohrte sich mit dem Enthusiasmus eines ausgehungerten Buntspechtes in seinen Brustkorb. „Ich habe genauso wenig Bock darauf, dieses Gespräch mit dir zu führen wie du. Vor allem da du mir die ganzen letzten Jahre das Gefühl gegeben hast, an einer hochansteckenden Krankheit zu leiden, von der ich selber nichts wusste. Aber im Gegensatz zu dir, bedeutet mir unsere Freundschaft aus Kindertagen noch etwas. Also schieb gefälligst deinen arroganten Arsch in den Wagen, damit ich dich nach Hause bringen kann!“ Elijah machte in diesem Moment den größten Fehler, den er in so einer Situation nur machen konnte - er sah ihr in die Augen. Wie schon die tausende Male davor durchbohrten ihn diese unglaublich lebendigen Saphire, berührten ihn auf eine Weise, wie es wohlwollende Hände nie tun könnten und gaben ihm nun doch auch das Gefühl, ein verdammtes Arschloch zu sein. Der Ausdruck war definitiv neu oder zumindest hatte Elijah ihn noch nie in Hollys Blick gesehen. Aber wann hatte er ihr auch schon das letzte Mal so richtig in die Augen geschaut? „Zwing mich nicht, die Wölfin herauszulassen.“, drohte Holly mit einem Mal seltsam müde und wischte sich eine nasse Strähne ihres Haares aus dem Gesicht. Dabei bemüht den Blickkontakt auch weiterhin aufrecht zu halten, obwohl es ihr offensichtlich schwer fiel. Erst da wurde Elijah klar, dass sie nun beide wie begossene Pudel im Regen standen, sich mit ihren Blicken duellierten, während das Zittern in seinem Inneren auf sie übergegangen zu sein schien. Ihm fehlten dank ihres unerwarteten Auftretens die Worte und sein ganzer Körper schien ihm nicht mehr gehorchen zu wollen. Alles wozu er noch fähig war, war sie einfach nur wie ein Bekloppter anzustarren. Nachdem keine Reaktion seinerseits erfolgte trat Holly schließlich einen Schritt zurück und dann noch einen. Sie ließ geschlagen den Kopf hängen und seufzte tief, bevor sie sich auf den Weg zurück zu ihrem Wagen machte. Als sie an ihm vorbeiging, murmelte sie noch: „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich wirklich so sehr hasst…“ Als der Motor erneut aufheulte, zerrte Elijah hastig seine Sporttasche von seinem Rücken, riss die Beifahrertür auf und ließ sich ins Trockene auf den weichen Sitz neben Holly gleiten. Wortlos setzte sie den Blinker und fuhr los, nachdem sie die Heizung weiter aufgedreht hatte. Elijah betrachtete still die verregnete Landschaft durch das Seitenfenster, während sich das Gebläse des alten Fords alle Mühe gab, die Luft im Wagen zu erwärmen. Nicht dass einem von ihnen beiden kalt gewesen wäre. Werwölfe froren grundsätzlich nur bei extremen Bedingungen. Aber zumindest ihre nassen Klamotten würden so schneller trocknen. Leider hatte es auch den Nachteil, dass die Luft durch den gesamten Innenraum zirkulierte und so garantierte, dass ihm Hollys Witterung auch ganz bestimmt nicht entging. Ihr Duft war durch den nassen Stoff auf erhitzter Haut sogar noch intensiver, als es normalerweise der Fall gewesen wäre und dabei hätte das Elijah schon völlig gereicht. Sie roch schon lange nicht mehr nach Zimt und Knetmasse, mit dem er immer das warme Gefühl von Geborgenheit verbunden hatte. Stattdessen war da jetzt ein Duftgemisch aus etwas Süßlichem, vermischt mit leichtem Moschus und Wolf, das einen Teil in ihm aufzuwühlen begann, den er bisher immer ganz gut im Griff gehabt hatte. Sein Wolf regte sich, schnupperte in die Luft und tänzelte nervös im primitiven Winkel seines Gehirns hin und her, nicht so genau wissend, wie er nun auf diese unerwartete Verlockung reagieren sollte. Elijah ließ sich als Reaktion darauf noch tiefer in den weichen Sitz sinken und versuchte dabei flacher zu atmen. Was nicht wirklich etwas brachte, denn Holly saß schließlich gleich direkt neben ihm und konzentrierte sich ziemlich angestrengt auf die Straße. Irgendeine Ablenkung musste her. „Du wolltest mit mir reden?“ „Ja.“ Holly nickte knapp, machte aber keinerlei Anstalten, ihm zu sagen, worüber sie mit ihm reden wollte. Stattdessen umschlossen ihre Finger das Lenkrad noch fester und ihre ganze Haltung machte klar, dass der richtige Zeitpunkt zum Reden noch nicht gekommen war. Elijah verschränkte die Arme vor der Brust und konzentrierte sich wieder auf die Landschaft draußen vor dem Fenster. In ein paar Minuten würde er Zuhause sein und wenn Holly bis dahin nicht mit ihrem Anliegen ausgepackt hatte, würde sie nachher auch nicht mehr wirklich Gelegenheit dazu bekommen. Denn wenn es sein musste, würde er sogar aus dem fahrenden Auto springen, um zu verhindern, dass sein Vater sie sah. Ein Gespräch auf dem Parkplatz kam also erst Recht nicht in Frage. Nur dass sie gerade an der Abzweigung vorbei fuhren, die zur Farm führte, auf der er aufgewachsen war. Sofort setzte Elijah sich aufrecht hin und warf Holly einen fragenden Blick zu. „Du weißt schon, dass du da hinten hättest abbiegen müssen?“ Zum ersten Mal seit ihrer erneuten Begegnung zeichnete sich auf ihren Lippen so etwas wie ein Schmunzeln ab. „Keine Sorge. Ich bringe dich schon nach Hause. Aber vorher machen wir noch einen kurzen Abstecher.“ „Und wohin?“ Ihr Schmunzeln wurde ein verkniffenes Grinsen. „In die Vergangenheit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)