On the Rise von Votani ================================================================================ I. Angriff der Reaver. Cygnus. Der Pilot. ----------------------------------------- 1 Die Matratze, auf der Tom Paris lag, war hart und durchgelegen, jede einzelne Feder war spürbar. Sein Rücken würde ihm diese Unterkunft am Morgen danken, vorausgesetzt er schaffte es diese Nacht überhaupt noch Schlaf zu finden. Selbst durch das geschlossene Fenster drang noch das lauter und leiser werdende Summen von Elektrizität. Es stammte von den Straßenlaternen, welche die kleine Ortschaft mit einem flackernden Licht erhellten. „Das ist doch zum Verrücktwerden...“ Sich auf die Seite wälzend drehte sich Tom vom Fenster weg und zog die Decke bis zum Kinn hinauf. Selbst der vergilbte Vorhang vor der ebenso dreckigen Scheibe konnte das Licht nicht vollständig aussperren. Wieso es brannte, wenn keiner mehr draußen unterwegs war, war Tom ohnehin ein Rätsel. Für ihn war das ein Luxus auf den man verzichten konnte. Auf den meisten anderen Randplaneten gab es solche Dinge schließlich auch nicht. Erst als die Sirenen zu heulen begannen und auch die letzte Müdigkeit mit einem Schlag vertrieb, fiel Tom die Erklärung des Barbesitzers wieder ein: die Laternen wurden von demselben Generator wie auch das Sicherheitssystem angetrieben. Man konnte das eine nicht ohne das andere ausschalten. Tom saß aufrecht und schwang die Beine über den Rand der Liege, als er nach seinem Hemd griff, das über dem Stuhl des Zimmers hing. Er zog es über sein Muscleshirt und schnappte sich seine Pistole. Über den schrillen Alarm erhoben sich Schreie und Schritte auf dem Gang vor seiner Tür. Im nächsten Moment wurde sie aufgerissen. Tom zückte seine Waffe, doch nahm den Finger sogleich vom Abzug, als er den Eigentümer der Taverne erkannte. Panik lag auf dem bleichen Gesicht des Chinesen. „Sie sind hier! Reaver, sie sind hier!“ Huangs Stimme überschlug sich, als er diese Worte immer wieder auf Chinesisch wiederholte, fast so, als müsste er sich selbst von der Wahrhaftigkeit seiner Worte überzeugen. Tom kannte das Gefühl. Für einen Moment länger saß er auf der Bettkante, während die Sirenen heulten. Der Tavernenbesitzer wandte sich ab und rannte zum nächsten Gästezimmer, bis Tom dieselbe Nachricht noch einmal vernahm. „Reaver? Mitten in der Nacht?“ Trotz seiner Skepsis packte Tom den Revolver fester und stolperte aus seinem Zimmer und die Treppe herunter, die von den Räumlichkeiten zum Schankraum der Taverne führte. Im Gegensatz zu einigen Stunden zuvor war er nun wie ausgestorben. Stühle waren umgeschmissen worden und die Schwingtüren am Eingang bewegten sich, als seien vor kurzem Leute hindurchgerannt. Hinter Tom kündigte ein Poltern das Flüchten der anderen Gäste an. Ein Mann, den Tom gestern beim Dartspielen gesehen hatte, rempelte ihn an und rannte hinaus ins Freie, noch während er seine Hosenträger hochzog. Joggend folgte Tom ihm, wobei die Sirenen jeden seiner Schritte verschluckten. Das Firmament war wolkenlos und Sternenformationen, die Tom in der Akademie gelernt hatte, sahen schweigend auf sie herunter. Erst draußen in der klaren Nachtluft, welche die tagtägliche Hitze nicht mehr erahnen ließ, konnte Tom sie hören. Konnte er die Motorengeräusche eines Raumschiffes über die Sirenen hinweg vernehmen. Also doch Reaver...? „Auf was wartest du?“, schrie jemand hinter Tom. Er wurde am Arm gepackt und grob mitgezogen, weg von der Taverne und der kleinen Ortschaft. Es war der Tavernenbesitzer Huang, der mit der anderen Hand seine Tochter festhielt. „Wohin?“, presste Tom kurzatmig hervor, darauf bedacht, dass seine Pistole ihm nicht aus den schwitzigen Händen glitt. Der Chinese ließ von seinem Arm ab und deutete in die Ferne, in die Dunkelheit, in der sich die Berge nur als vage Schemen abzeichneten. Sie waren nur vom Mond erhellt, der sie zu perfekten Zielscheiben machte. „In den Bergen sicher. Sie mit Raumschiff nicht dort hinkommen“, erklärte der Alte, als sie gemeinsam über den Sand rannten, als sie mehr und mehr Bewohner aufholten, die sich ebenfalls zu retten gedachten. Das Geräusch von Motoren wuchs an, bis es in Toms Ohren dröhnte und seine Trommelfelle strapazierte. Anhalten tat er nicht, ebenso wenig wie er die Pistole wegsteckte. Strauchelnd rannten sie weiter und weiter, selbst noch, als das kleine Raumschiff über ihre Köpfe hinwegfegte und den Staub aufwirbelte. Als das Raumschiff ihnen den Weg in die Berge abschnitt und sie von dem grellen Licht der Scheinwerfer erfasst wurden. 2 Warum sich ein Planet auf den Namen Cygnus taufen würde, nach einem explodierten Stern, der ein schwarzes Loch hinterlassen hatte, war Mal ein Mysterium. Es trug etwas Kurzlebiges in sich. Dieser Eindruck legte sich auch nicht, als sie die Ortschaft erreichten. Verkommene Häuser und Hütten begrüßten sie mit so dreckigen Fenstern, dass jeder Blick ins Innere verwehrt wurde, wenn die Scheibe nicht gerade eingeschlagen war. Nur das unbeständige Summen von einigen Straßenlaternen war zu vernehmen, als hätte die Stromversorgung einen Kurzschluss. Der Wind wehte Sand genauso wie Müll durch die Gegend und Mal trat mit verzogenem Gesicht um den toten Hund herum, der mitten auf dem Weg lag. Er wirkte ausgetrocknet unter der brütenden Sonne, die auf sie herabbrannte. „Das arme süße Hündchen...“ Kaylees helle Stimme durchbrach die hier herrschende Stille. Sie ging neben Mal her, doch ihr Blick hing auch weiter an dem unter der Sonne verrottendem Tier. „Captain, wo sind alle?“ „Mh?“ Die Augen zu schmalen Schlitzen geformt, spähte Mal umher, bis sich sein Blick an die Taverne des Ortes heftete. Das Schild hing schief und die Schrift war zu verwittert, um den Namen zusammensetzen zu können. „Das sollten wir wohl herausfinden. Wenn man irgendwo Leute antreffen will, dann bestimmt in dem örtlichen Lokal.“ Zusammen mit Kaylee und Jayne, der sich mit grimmigem Gesichtsausdruck umsah, marschierten sie durch die leeren Straßen. „Irgendwas ist hier faul, Mal“, wisperte er verschwörerisch, als er zu seinem Captain aufschloss. „Das riecht man schon zehn Meilen gegen den Wind.“ Widersprechen konnte Mal ihm nicht. Die offenstehenden oder gar aus den Angeln gerissenen Türen der Hütten versprachen nichts Gutes. Genauso wenig taten es die allgemeine Verwüstung oder die blutigen Flecke im Sand, die ihren Weg kreuzten. Eine der Schwingtüren der Taverne lag angelehnt an der Wand. Auch nicht unbedingt vertrauensselig, das gab Mal zu. Das Schaben eines Stuhls über einen Holzboden ließ Mal von der Tür aufsehen und er schob sich gefolgt von seinen zwei Mitstreitern ins Innere. Der Sand knirschte auch hier noch unter ihren Schuhsohlen, war vom Wind hineingetrieben worden, während sich sämtliche Augen der wenigen Anwesenden auf sie richteten. Ein älterer, asiatisch abstammender Mann fegte Glassplitter zusammen, welche das Fenster zusammengesetzt hatten. Holzbretter und ein Hammer mit Nägeln lagen bereits auf dem Tisch daneben bereit. Ein anderer räumte das Regal hinter dem Tresen auf und zwei weitere spielten im hinteren Teil der Taverne eine Runde Billard, zusammen mit einem kleinen asiatischen Mädchen, das als Schaulustige beiwohnte. Geöffnet sah das Lokal nicht aus, doch mehr als argwöhnische Blicke folgten zunächst nicht; sie wurden nicht gebeten, wieder zu gehen. Einige Sekunden lang starrten sie alle einander an, bis der Chinese den Besen an die Wand lehnte und auf sie zu gehumpelt kam. „Was soll’s sein? Wir eigentlich nicht geöffnet haben, aber Joe von der anderen Bar hier ist tot. Wir die einzigen sind, die noch irgendwas anbieten.“ Er fischte ein Tuch aus der Hosentasche und wischte sich damit über sie schweißnasse Stirn. „Was ist mit Joe passiert?“, fragte Mal und sah sich vielsagend in der Taverne um, „und hier? Allgemein überall?“ Ganz Cygnus wirkte wie eine halbe Geisterstadt. Zudem war aus der Resignation des Besitzers herauszuhören, dass Joe nicht nur einen Unfall erlitten und eine Schießerei in der Bar stattgefunden hatte. Vielleicht war das aber auch Mals Paranoia. Er hatte einmal gehört, dass solche Sachen im Alter schlimmer wurden, obwohl er sich praktisch in der Blüte seines Lebens befand. „Reaver, Mister...?“ Mal zögerte. „Reynolds. Malcolm Reynolds.“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Reaver, wirklich? Hier?“ Zwar war sich jeder bewusst, dass das Reaver-Territorium sich nicht allzu weit von den äußersten Randplaneten befand, doch dass sie bereits nach Cygnus vorgedrungen waren, war überraschend. Jemand mit einem gesunden Menschenverstand hätte es sogar als beängstigend angesehen. Neben ihm rückte Kaylee ein bisschen dichter an Mal heran und aus den Augenwinkeln wurde erkenntlich, wie Jaynes Finger sich instinktiv um den Griff seiner Waffe festigten. „Verbreiten sich schlimmer als die Mäuse in den Feldern“, erwiderte der Tavernenbesitzer und humpelte hinter den Tresen, um sich selbst ein Whiskeyglas zu füllen und es in einem Zug zu leeren. Er schüttelte sich. „Selbst das Sicherheitssystem war nutzlos. Ruinieren mein ganzes Geschäft. Haben die Hälfte meiner Stammkunden getötet. Nein, die Hälfte aller Kunden. Shee-niou!“ Die Variation des chinesischen Fluchs erinnerte Mal an Jayne, doch bevor er diesem das zuflüstern konnte, ertönte bereits eine andere Stimme. Sie gehörte einem der Billardspieler, der eine Hand locker in die Hüfte gestemmt hatte und mit der anderen den Queue hielt. Sein blondes Haar war wirr und das weiße Hemd und die Hose waren schmutzig und an einigen Stellen zerrissen. Einen besseren Eindruck als diese Taverne oder der Rest von Cygnus machte er nicht. „Ich weiß nicht, was das waren, doch es waren eindeutig keine Reaver.“ Ein Pflaster, welches auf seiner Stirn klebte, verriet, dass auch er den Angriff nicht ganz unbeschadet überstanden hatte. „Reaver kommen nicht mitten in der Nacht.“ Geräuschvoll stellte der Chinese das Whiskeyglas auf den Tresen, doch seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Wir ihr Schiff gesehen haben. Die verbrannten Körper auf der Außenhülle ihres Schiffs. Männer... Frauen... Kinder...“ Der Mann, der zuvor die Flaschen und Gläser auf dem Regal sortiert hatte, kreuzigte sich rasch. Plötzlich war es so leise in der Bar, dass man jeden Schritt des Billardspielers umso deutlicher vernehmen konnte. „Aber wir haben die Reaver nie gesehen“, korrigierte er. „Wer oder was soll es sonst gewesen sein?“, brummte Jayne, der sich auf einen der Barhocker schob, aber Vera nicht losließ. Auch Kaylee setzte sich, nur Mal verweilte stehend, als der blonde Kerl sich zu ihnen gesellte. „Ich hab’ doch schon gesagt, dass ich das nicht weiß.“ „Viel wichtiger: wie habt ihr das überlebt?“, lenkte Mal ein, denn wenn man dem Schiff bereits so nah war, war es alles andere als ein Kinderspiel, sie wieder von ihrer Spur abzubringen. „Das war reiner Zufall, das sage ich dir“, erwiderte der blonde Mann, wobei sein Blick Kaylee erfasst hatte und er ihr zuzwinkerte. „Die Vibrationen des Schiffs müssen den Sand verschoben haben. Jedenfalls hat der Boden nachgegeben.“ Nun wanderte sein Blick zu dem Tavernenbesitzer herüber, der sich einen weiteren Whiskey gönnte. „Huang hier hält es nicht für nötig, Neuankömmlinge auf diesem Planeten zu unterrichten, dass sich unter der gesamten Umgebung uralte Tunnelsysteme befinden. Nicht zu vergessen, dass hier konstante Einsturzgefahr herrscht und mindestens einmal im Monat die Erde irgendwo nachgibt.“ Der Chinese zuckte in unschuldiger Manier mit den Schultern. „Schlecht für’s Geschäft. Leute immer sofort abreisen, wenn sie erfahren.“ Jayne zog die Füße vom Boden, als ob ihn das davor bewahren könnte, der nächste zu sein, der von einem Loch in der Erdoberfläche verschlungen wurde. „Aber das bedeutet nicht, dass man stirbt“, fasste Kaylee zusammen. „Immerhin lebt ihr ja noch, stimmt’s?“ Der Billardspieler schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Gut, dass Sie das anschneiden. Darauf wollte ich gerade hinaus, Miss.“ Bei dieser Bezeichnung und dem allgemeinen Siezen verschwand die Besorgnis vom Gesicht ihrer Mechanikerin und es hellte sichtlich auf. Sie hatte schon immer eine Schwäche für die feineren Dinge im Leben gehabt, obwohl sie noch immer einen Streifen Schmieröl von Serenitys Motoren am Hals trug. „Jedenfalls kennt Huang glücklicherweise den Weg aus den Tunneln“, fasste Tom mit dem Zucken seiner Schultern zusammen. Er lehnte mit dem Ellenbogen auf dem Tresen, während er mit der anderen Hand noch immer den Queue hielt. Huang beugte sich verschwörerisch vor. „Wissen wird in Familie weitergegeben. Meine Tochter“, sagte er und deutete mit der Hand zu dem kleinen Mädchen herüber, welche noch immer am Billardtisch stand und dem anderen Spieler bei seinem noch nicht vollendeten Zug zuschaute, „kennt ebenfalls Weg.“ „Aber wie auch immer, das erste Raumschiff das vorbeikommt, nehme ich. Wer weiß schon, wann die das nächste Mal hier aufkreuzen“, erklärte Tom und klopfte nach einem Brauch dreimal auf das Holz des Tresens. „Ich empfehle euch, dasselbe zu tun, wenn euch euer Leben lieb ist.“ Mit diesen Worten wandte sich der blonde Mann mit dem Queue ab, um zurück zum Billardtisch zu spazieren. Erst in diesem Augenblick fiel Mals Blick auf das verschlissene Abzeichen auf seinem Hemdärmel. „Gehörst du zur Allianz?“, fragte Mal, doch sein Gegenüber stieß nur ein verächtliches Schnaufen aus. „Nicht mehr – und stolz darauf.“ Sein Mitspieler trat vom Tisch zurück und überließ ihm das Spielfeld, welches jener studierte. Kurz sah Mal ihm nach, bevor er einen Blick zu Kaylee und Jayne riskierte. Die Verwirrung auf ihren Gesichtern verriet, dass sie das Zeichen nicht gesehen hatten, weshalb Mal ihnen zu bedeuten gab, zu warten, während er zu den Männern an den Billardtisch herüberschlenderte. „Aber du bist immer noch ein Pilot, oder nicht?“ „Ich bezweifele, dass das etwas ist, was man verlernen kann“, erwiderte der blonde Mann und warf ihm ein neckisches Grinsen über die Schulter zu, bevor er die weiße Kugel anvisierte. „Das ist gut. Erstaunlich gut sogar, wenn ich ehrlich sein soll.“ Zwar konnte niemand Wash ersetzen, doch Mal spielte schon seit einigen Wochen mit dem Gedanken, einen neuen Piloten anzuheuern. Er konnte immer noch die Gebirgskette vor seinem inneren Auge sehen, mit welcher die Serenity auf dem letzten Planeten beinahe kollidiert wäre. Sein Leben war buchstäblich vor seinen Augen abgelaufen und das wollte Mal nicht noch einmal erleben. Nicht auf seinem eigenen Schiff. So ungern er das zugab, waren weder River (besonders nicht River, die zu diesem Zeitpunkt auf dem Pilotenstuhl gesessen hatte) und er ein Ersatz für Wash. Er hatte ein Feingefühl für die Steuerung besessen, das ihnen fehlte. Es war, als hätte die Serenity ihm ins Ohr geflüstert, wenn niemand anderes im Cockpit mit ihm gewesen war. Bei Mal war das nicht der Fall, in solchen Momenten war er derjenige der flüsterte (meist auf Chinesisch dazu), aber ganz sicher nicht die Serenity. „Ich bin nämlich zufällig auf der Suche nach einem akzeptablen Flieger.“ „Ich bin kein akzeptabler Flieger.“ Er stieß die weiße Kugel an, welche am Rand des Billardtischs abprallte und wiederum zwei volle Kugeln traf, welche mit einem Poltern in der Tasche landeten. „Ich bin der beste Pilot, den man haben kann.“ Selbstbewusstsein schien er jedenfalls zu besitzen, Mal hatte mal gehört, dass so etwas auch beim Fliegen wichtig sein sollte. „Bedeutet das, dass du interessiert bist?“ „Lass mich nur dieses Spiel beenden, dann bin ich bereit zum Gehen, Malcolm Reynolds.“ Die Proteste seines Mitspielers überging er dabei, als er sich zu Mal herumdrehte und ihm die Hand hinhielt. „Ich bin Tom Paris.“ Mal schlug ein und seine Mundwinkel hoben sich zu einem siegreichen Lächeln. Und er hatte sich bereits Sorgen gemacht, dass die Landung auf Cygnus ein Fehler gewesen sein könnte. Allerdings hatten sie irgendwo ihre Vorräte aufstocken müssen, bevor sie ihren Job beendeten und ihre Ladung ablieferten. Nun hatte er obendrein noch einen neuen Piloten, der brillant fliegen konnte, wenn sein Talent hinter dem Steuer dem seines Mundes in nichts nachstand. Er musste das nur noch der restlichen Crew erklären, aber das hatte noch etwas Zeit. „Meinst du, Huang kann auf ein paar Vorräte verzichten?“, fragte Mal. Tom stieß ein Lachen aus. „Für den richtigen Preis würde er auch seine Seele verkaufen. Abgesehen davon haben wir die meisten seiner Gäste heute Morgen vergraben. Da wird er sich freuen, ein bisschen Umsatz zu machen.“ Nachdenklich sah Mal zu Huang herüber, der mit Jayne und Kaylee im Gespräch vertieft war, doch mehr als Wortfetzen konnte er nicht ausmachen. Er versuchte es auch nicht wirklich, denn in Gedanken ließ er Toms Worte noch einmal Revue passieren. „Reaver lassen keine Toten zurück“, stellte er fest und als er wieder aufschaute, hatte auch Toms Gesicht seine Gelassenheit verloren. „Das hab' ich doch gesagt. Das waren keine Reaver. Die Leichen waren noch vollkommen in Ordnung, nur ihre Kehlen waren aufgerissen. Und sie waren bleich. So bleich, als hätten sie keinen einzigen Tropfen Blut mehr im Körper gehabt.“ 3 Inara scrollte durch die Datenbank ohne auch nur ein einziges Mal anzuhalten und sich eines der Gesichter näher anzuschauen. Einen Zweck würde es ohnehin nicht erfüllen, solange die Serenity sich nicht in der Nähe einer dieser Planeten befand. Und wann hatten sie das letzte Mal überhaupt auf einem zivilisierteren eine Rast eingelegt? Inara erinnerte sich nicht. Wenn man mit Mal und seiner Crew unterwegs war, dann bestand das Leben hauptsächlich aus Wüstensand oder Schlamm, aus winzigen Ortschaften mit weniger gut betuchten Bewohnern, die sich die Leistungen eines registrierten Companions nicht leisten konnten. Mit einem lautlosen Seufzen beendete Inara ihre sinnlose Suche nach einem neuen Klienten und erhob sich aus dem Sitz vor der Steuerkonsole. Sanft strich sie das weinrote Gewand glatt, als ihr Blick durch das kleine Shuttle wanderte. Als sie Mal einst gesagt hatte, dass sie die Serenity verlassen würde, hätte sie nie damit gerechnet, zu ihr zurückzukehren und das Shuttle wieder zu bewohnen. Doch bekanntlicherweise kam es stets anders als man dachte. Das war ihr klar geworden, als der Agent der Allianz auf der Suche nach River in ihrem neuen Leben aufgetaucht und Mal im Tempel erschienen war, um sie retten. Nach dem Tod von Wash und dem Wiederaufbau der Serenity erschien es unmöglich, den Leuten, die ihr so an das Herz gewachsen waren, erneut den Rücken zu kehren. Doch was hatte Inara geglaubt? Dass all ihre Probleme einfach verschwinden würden? Dass Mal sie mehr zu schätzen wüsste und nicht länger auf ihre Position als Companion herzog? Oder dass sie wenigstens gelegentlich in einer Gegend ihre Geschäfte vollbrachten, in denen auch Inara arbeiten konnte? Am liebsten hätte sie aufgelacht, aber der Laut blieb ihr in der Form eines Kloßes im Halse stecken, als sie durch das Innere des Shuttles wanderte. Der süßliche Duft von Räucherstäbchen, der in der Luft lag, wurde von einer trockenen Hitze ersetzt, als die Tür sich zischend öffnete und Serenitys Laderaum preisgab. In ihm waren einige Holzkisten säuberlich auf der linken Seite aufgestellt, die Unmengen an Zigaretten enthielten, die zu drei verschiedenen Planeten geliefert werden wollten. Inaras Schritte hallten dumpf auf den Metallstufen wider, welche den Laderaum und diesen wiederum mit dem Rest des Schiffes verbanden, wurden jedoch von lauter werdenden Stimmen zunehmend verschluckt. Es sah ganz danach aus, als ob Mal, Jayne und Kaylee bereits zurück waren. Inara bettete die Arme auf das Geländer, als sie abwartete. Die untergehende Sonne brach sich in orangener Farbe auf der heruntergelassenen Laderampe, die erst die stickige Luft ins Innere des Schiffes ließ und über welche die Sandkörner hineintrieben. „Das ist sie?“, hörte Inara eine unbekannte Stimme fragen, bevor sie in Sichtweite waren. „Firefly-Klasse? Das neuste Modell ist es ja nicht. Soweit ich weiß, werden Fireflys nicht mal mehr hergestellt.“ „Serenity hat schon einige Jahre auf dem Buckel, das kann ich nicht bestreiten“, sagte Mal und allein aus dem geschäftlichen Ton konnte Inara heraushören, dass das kein Gespräch unter Freunden war. Dass er auf Cygnus überhaupt welche hatte, bezweifelte Inara ohnehin. Soweit sie wusste, hatte noch keiner der Crew jemals einen Fuß auf diesen kleinen Planeten gesetzt. Viel zu holen gab es hier ohnehin nicht, man fand ihn kaum auf der Sternenkarte. „Aber sie fliegt noch wie am ersten Tag, das kann ich garantieren“, fügte Mal hinzu. Ein belustigtes Schnauben des Fremden folgte. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass du nichts anderes fliegst. Ich bezweifele nämlich, dass es mit neueren Schiffklassen mithalten kann, wenn es um Schnelligkeit und Manövrierung geht.“ „Dafür interessiere ich mich nicht, Tom“, erwiderte Mal, und schon hatte Inara wenigstens einen Namen. „Ich suche nur jemanden, der sie in der Luft halten kann, wenn du verstehst, was ich meine.“ Einige Sekunden später erklomm die Vierergruppe bereits die Laderampe. Tom war ein junger Mann mit blonden Haaren und abgetragener Kleidung. Er trug eine Tasche in der Hand und mehrere Geldscheine hingen ihm aus der Hemdtasche. „Oh, ich verstehe, was du meinst...“, sagte er und ließ seine Fingerkuppen über Serenitys Wände gleiten, als müsste er den erwärmten Stahl einfach berühren. Kaylee winkte Inara breit grinsend zu, als sie entdeckt wurde. Inara erwiderte diese Geste mit einem sanften Lächeln, nur Mal schien sie nicht zu bemerken. Seine Aufmerksamkeit lag auf ihrem Gast und er hob erstaunt die Augenbrauen. „Wir sind also im Geschäft?“ Tom wandte sich Mal zu und verlagerte die Position seiner Tasche, um ihm die Hand reichen zu können. „So wie ich das sehe, kann ich nicht wählerisch sein, wenn ich von hier weg will. Und du kannst Gift darauf nehmen, dass ich keine weitere Nacht hier verbringen möchte.“ „Verständlich...“, murmelte Mal, als er Toms Hand schüttelte. „Abgesehen davon“, warf Tom ein und sah sich im Laderaum um. „Man hat nicht alle Tage die Möglichkeit ein antikes Raumschiff wie dieses zu fliegen.“ Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, welches ihn für einen kurzen Moment, in dem er seine Maske ablegte, wie ein kleines Kind wirken ließ. Nur Inara konnte es sehen, da er mit dem Rücken zu den anderen stand. Es wich auch sogleich wieder, als er sie bemerkte. „Und wer ist das?“, fragte Tom. Mal und Inara tauschten einen Blick aus, doch es war Kaylee, die sich nach vorn schob und antwortete. „Das ist Inara. Sie ist eine offizielle Companion.“ Der Stolz, der in dem Ton der Mechanikerin mitschwang, trieb Inara abermals ein Lächeln auf die Lippen. Bei Kaylee war das einfach, es passierte im Grunde ohne ihr Zutun. „Das ist bestimmt praktisch“, fasste Tom zusammen und das Grinsen wandelte sich zu einem faulen Schmunzeln, das wahrscheinlich charmant wirken sollte. Nur leider war sie dagegen immun, insbesondere wenn Mal im Hintergrund mit den Augen rollte. Mit langsamen Schritten stieg Inara die Treppe herunter, um mit ihrem neuen Crewmitglied, denn dies war offensichtlich geworden, Aug in Aug zu stehen. Er war einen Kopf größer als sie und überragte selbst Mal um ein paar Zentimeter. „Offizielle Companion, die mit dem Captain der Serenity festgelegt hat, dass sie keine Crewmitglieder als Klienten annimmt.“ Tom hielt auch ihr die Hand entgegen und als Inara ihm ihre reichte, küsste er ihren Handrücken in einer behutsamen Geste. Die Belustigung verweilte jedoch auf seinem Gesicht. „Zu schade, wirklich.“ „Gut, wenn das geregelt ist, solltest du vermutlich die restliche Crew kennenlernen“, unterbrach Mal. Er packte Toms Schultern und führte ihn die Treppen hinauf. „Dann haben wir das wenigstens hinter uns. Ich glaube nämlich nicht, dass ich dich ungesehen ins Cockpit schmuggeln kann.“ Anhand von Mals Worten wurde erkenntlich, dass auch er sich scheinbar bewusst war, dass die Nachricht um die Ergänzung ihrer Mannschaft nicht unbedingt bei allen Bewohnern Serenitys mit Wohlwollen empfangen werden würde. Washs Tod mochte nun einige Monate her sein, doch die Wunde war noch frisch und blutig. Besonders bei Zoe, die jeden Tag daran erinnert wurde, wenn sie in den Spiegel schaute. Inara selbst stand dieser Entscheidung positiv gegenüber, wenn sie an die ruckeligen Landungen in der letzten Zeit dachte. „Wie ich sehe, wart ihr erfolgreich“, entrann es Inara, als Kaylee mit ihr aufschloss und sie gemeinsam den zwei Männern durch die Gänge des Schiffes folgten. Jayne ging mit schleifenden Schritten hinter ihnen und murmelte ein „Ich mag den Kerl nicht“ in seinen Bart hinein. „Oh ja, Mr. Huang und seine Männer machen gerade die Vorräte fertig und bringen sie nachher sogar zur Serenity“, erklärte Kaylee. Inara strich Kaylee eine lose Haarsträhne hinter das Ohr, bevor sie sich bei ihr einhakte und ihren Erzählungen über Cygnus lauschte. Wie vermutet war es kein Ort, an dem man anständige Arbeit fand oder an dem man sich grundsätzlich auf längeren Zeitraum aufhalten wollte. Das galt besonders für das Einfallen der Reaver, die womöglich gar keine gewesen waren. Es erinnerte Inara an etwas, was sie nicht benennen konnte und sie die Stirn in Falten legen ließ. Die staubige Hitze wurde von einer klimatisierten Kälte ersetzt, die von Essensgeruch begleitet wurde. Zudem drang das Klappern von Geschirr an ihre Ohren. Es schien fast so, als seien sie ausnahmsweise alle pünktlich zum Abendessen beisammen. River verteilte Löffel und Schüsseln, während Simon Brotschalen auf dem länglichen Tisch abstellte und Zoe den Kochtopf vom Herd zog und ebenfalls herübertrug. „Zoe macht den besten Eintopf, den es gibt“, bemerkte Mal, als sie den Gemeinschaftsraum betraten. „Und hat die Kontrolle über das Schiff, wenn ich mal nicht da bin.“ Die Anwesenden sahen auf, wobei ihre Blicke sich sogleich an Tom hefteten. Verwirrung spiegelte sich auf dem Gesicht ihres Doktors ab. „Wer ist das?“ Inara, Kaylee und Jayne machten es sich derweil bereits am Tisch bequem, wobei letzterer den Brotkorb sich zu heranzog und sich eines herausangelte. Mal legte bedeutungsvoll einen Arm um Toms Schultern. „Das ist Tom Paris. Er gehört ab jetzt zu unserer Crew. Er wollte vom Planeten runter und er ist zufällig ein Pilot.“ Damit ließ er den blonden Mann stehen und sackte auf den Stuhl am Kopfende des Tisches, gerade in dem Moment, in dem Zoe den Kochtopf abstellte. Eine Hand war in die Hüfte gestemmt, während die andere auf ihrem Babybauch ruhte. „Ich mag ihn nicht“, sagte sie. Kein Muskel regte sich in dem Gesicht der Dunkelhäutigen und sie würdigte Tom auch nicht mehr als einen kurzen Seitenblick. Dieser stand noch immer etwas verloren im Türrahmen, während auch River und Simon sich setzten. „Ja, das scheint der allgemeine erste Eindruck zu sein“, bemerkte Mal freiheraus und auch Inara erinnerte sich daran, von Jayne etwas ähnliches gehört zu haben. „Dann ist es wahrscheinlich gut, dass die Entscheidungen des Captain endgültig sind.“ Mals Ton blieb locker und Zoe widersprach nicht, tat es nie. Tom heranwinkend bot Inara ihm den letzten leeren Stuhl neben sich an, den er dankend annahm. „Das ist ja eine nette Runde, die ihr hier habt“, entrann es ihm und obgleich des Grinsens auf seinen Lippen war es nicht schwer vorstellbar, dass es nicht die gewünschte Aufnahme in diese Mannschaft gewesen war. „Aber ich dachte, ich bin die neue Pilotin“, sagte River an Mal gewand, als Simon ihr Eintopf in die Schüssel schöpfte. Mal sah von dem Brot auf, von dem er gerade abgebissen hatte. „Den Titel hast du verspielt, als wir beinahe mit dem Berg kollidiert sind, Prinzeschen“, bemerkte er mit vollem Mund. Zoe nahm neben ihm Platz und füllte sich schweigend auf, bevor sie den Topf an Mal weiterreichte. „Das ist die beste Entscheidung, die Mal je getroffen hat, wenn ihr mich fragt“, brummte Jayne und River starrte ihn ohne ein Blinzeln von der anderen Tischseite an, was er mit finsterem Blick erwiderte. „Bedeutet mir aus deinem Mund eine Menge, Jayne“, antwortete Mal, bevor er sich räusperte und seine Stimme lauter wurde. Seine Worte galten Tom, während er mit dem Löffel auf Simon und River zeigte. „Das ist übrigens Simon, unser Schiffsarzt, und seine etwas seltsam geratene Schwester River, wie du sehr bald bemerken wirst.“ Tom hob die Hand zum Gruß, bevor Mal bereits fortfuhr. „Und nach dem Essen legen wir ab. Ich will nicht länger auf Cygnus bleiben, als es absolut nötig ist. Nicht nach dem, was hier gestern vorgefallen ist.“ „Was ist vorgefallen?“, fragte Simon und wischte sich mit der Serviette vorsichtig über die Mundwinkel. „Reaver...“, wisperte Jayne unter Rivers beständiger Beobachtung und er drehte sich von ihr weg. „Keine Reaver“, kommentierte Tom. Sein Löffel war auf dem halben Weg zum Mund eingefroren, als er Simon mit dem Blick fixierte. „Etwas anderes. Vielleicht sogar etwas Schlimmeres.“ Eine bedrückende Stille folgte, die nur gelegentlich von dem Schaben eines Löffels auf Porzellan begleitet wurde. „Was gibt es denn Schlimmeres als Reaver?“, fragte Simon irgendwann kleinlaut und auch Inara fuhr ein eisiger Schauer die Wirbelsäule hinab. „Keine Ahnung, aber ich will es auch ungern herausfinden“, antwortete Mal, „deshalb verschwinden wir hier.“ II. Ankunft auf Harlan. Boyd Crowder. Geschäfte. ------------------------------------------------ 4 Vor ihnen lag Harlan. Der kleine Mond befand sich im Gravitationsfeld von Poseidon, einem Planeten von enormer Größe, der aus einem Meer aus gelbem Sand bestand. Unter dessen Bewohnern war Harlan auch als der kleine Hirte bekannt. Er gab in der Form Acht auf Poseidon, in dem er Besucher anlockte und die Wirtschaft ankurbelte. Selbst die Allianz war sein Kunde, denn Harlan war berüchtigt für seine Kohleminen. Doch Mal sah nur mit Missmut auf den dunklen Brocken Gestein herunter, der vor ihnen im All hing. Das lag jedoch viel eher damit zusammen, dass die Präsenz der Allianz auf Harlan ihnen mit zwei Gesuchten an Bord Probleme bereiten könnte, und nicht etwa mit Tom Paris’ Flugkünsten. Er hatte kein Genie hinter dem Steuer erwartet, aber genau das hatte er bekommen. Der Vergleich mit Wash lag nahe, obwohl Mal diesen Gedanken in den letzten Tagen, die ihre Reise in Anspruch genommen hatte, zu vergessen versuchte. Tom war nicht Wash und Wash war nicht Tom. Die jeweiligen Flugarten unterschieden sich wie Tag und Nacht. Trotz seines trockenen Humors hatte Wash dem Fliegen eine gewisse Art an Vorsicht und Ernsthaftigkeit entgegengebracht, während Tom hinter dem Steuer wie ein Kind mit seinen ersten Bausteinen wirkte. Ebenso wie die Serenity zu Wash geflüstert hatte, tat sie es zu Tom, nur eben auf eine ganz eigene Weise. Mal hatte die richtige Entscheidung getroffen, ob Zoe oder die anderen ihm das ausnahmsweise nun eingestehen wollten oder nicht. Seine Hand lag auf der Lehne von Toms Stuhl, als die Serenity in den Orbit von Harlan eindrang. Ein leichtes Schaukeln erschütterte die Firefly, bevor sie unter blauem Himmel auf dem Hangarplatz landete, auf dem bereits zwei Transportschiffe und ein kleines Shuttle ruhten. „Gute Arbeit“, bemerkte Mal und klopfte seinem Piloten locker auf die Schulter. „Wenn ich dich nicht bereits angeheuert hätte, würde ich es glatt noch einmal tun.“ Tom drehte sich in seinem Stuhl herum, ein Grinsen auf den Lippen. „Hoffentlich mit mehr Prozentanteil am Gewinn.“ „Werd’ nicht übermütig“, mahnte Mal, obwohl sich ein Mundwinkel seinerseits hob. „Und mach dich bereit. Du kommst mit, wenn wir die Lieferung übergeben.“ Er schlenderte aus dem Cockpit und bis nach hinten zum Laderaum durch. Die Metallstufen heruntersprintend wanderte sein Blick über die Ladung. Es waren die letzten zwei Holzkisten mit teuren Zigarren, die es abzuliefern galt. Der kleine Auftrag brachte nicht so viel ein, wie Mal lieb gewesen wäre, doch es war ohnehin nur der erste gewesen, damit ihr Auftraggeber sehen konnte, dass sie vertrauenswürdig waren. Und jeder, der bereits mit Mr. Kunitz zu tun hatte, wusste, dass er wert auf Zuverlässigkeit legte. Obwohl er von einem kleinen Randplaneten mit einer kaum brauchbaren Wirtschaft agierte, war er mit dem Export seiner Zigarren aus den seltenen Rosewell-Blättern berüchtigt geworden und hatte ein ansehnliches Netzwerk aus Kontakten hergestellt. Ein Netzwerk, von dem sie profitieren konnten, wenn sie es richtig anstellten. Summend wurde die Laderampe heruntergelassen und ließ das Tageslicht in den Bauch des Schiffes hinein. Jayne und Mal luden die Kisten auf den Rücksitz des Roovers, während River wie festgefroren und ohne Schuhe auf der Rampe stand und sich die Sonne in das Gesicht scheinen ließ. „Die nehmen wir aber nicht mit?“, entrann es Jayne mit einem abgehackten Kopfnicken zu ihr herüber und Mal betrachtete den Rücken des Mädchens. „Dieses Mal nicht.“ Jeder an Bord (abgesehen von Tom vielleicht) wusste, dass River sich besser verteidigen konnte, als sie alle zusammen, doch Harlan war kein Planet für Simon und seine Schwester. „Tom wird sich uns anschließen. Umso schneller er sich in unserem Geschäft auskennt, umso besser.“ „Ich mag ihn immer noch nicht“, brummte Jayne, als er die Stricke festzog, welche die Ladung davon abhielten, bei rasanter Fahrt im Rover hin und her zu rutschen. Mal schnaubte belustigt. „Falls es dir ein Trost ist, zuerst war auch niemand aus der Crew sonderlich von dir angetan.“ „Ja, aber der Kerl verbirgt etwas.“ Jayne sah über seine Schulter, um sicherzugehen, dass ihr neuer Pilot nicht plötzlich hinter ihnen stand. „Hinter seinem breiten Lächeln. Das sieht selbst ein Blinder. Ich kenn mich mit Geheimnissen aus, Mal.“ Ein abwesendes Nicken war Mals Antwort, als er sich hinter das Steuer des Rovers schob. Er konnte nicht leugnen, dass da etwas Wahres dran war. Ob Jayne auf seinen versuchten Hinterhalt auf Ariel anspielte oder nicht, konnte er nicht sagen, doch daran musste Mal unwillkürlich denken. Doch Tom schrieb er eine größere Intelligenz zu, obwohl er bisher nichts getan hatte, was Mal an seiner neuen Loyalität der Serenity und seiner Mannschaft gegenüber zweifeln ließ. „Und ich dachte, ihr seid schon ohne mich weg“, ertönte hinter Mal Toms Stimme. Wenn man vom Teufel sprach... „Würde sich Jayne etwas mit dem Festschnüren beeilen, wären wir das vielleicht sogar“, erwiderte er, als Tom sich auf den Beifahrersitz schob und Jayne letztendlich zwischen den Holzkisten Platz nahm. „Dann wollen wir mal“, murmelte Mal, als er den Rover startete und aus der Serenity ins Freie manövrierte. „Und du passt besser in meiner Abwesenheit auf mein Schiff auf“, rief er zu River zurück. Ihr langes Haar wirbelte herum, als der Rover an ihr vorbei und die Rampe heruntersauste. Sie salutierte, verweilte jedoch unter der auf sie herunterbrennenden Sonne. Fern von dem kleinen Hangarplatz senkte sich ein Tal ab. Ein Pfad zwischen halb vertrockneten Sträuchern, die aus dem harten Boden gesprossen waren, führte direkt in die verschlafene Stadt hinein, die sich vor ihnen abzeichnete. Der kleine Gemischtwarenladen war leicht zu finden, als sie durch die engen Gassen sausten und den Sand aufwirbelten. Die Bewohner würdigten ihnen jedoch nicht mehr als einen Blick, nur eine Horde an Kindern hielt in ihrem Ballspiel inne, um dem Rover mit großen Augen hinterher zu sehen. Vor dem kleinen Laden im Zentrum der Stadt machten sie Halt und schwangen die Beine über den Rand. „Nettes Städtchen. Man merkt, dass sie Reisende gewöhnt sind“, entrann es Mal und sein Blick wanderte die Passage hinauf, die auf dem Markplatz mündete. Dort tummelten sich die meisten Menschen und leise Musik drang herüber, welche sich verdächtig nach dem Klang einer Flöte anhörte. „Hey, Mal, können wir einen Abstecher dorthin machen?“, entwich es Jayne mit einem Ächzen, als er die erste Kiste vom Rücksitz des Rovers lud. Vera lag mit dem Gurt um seinen Schultern auf seinem Rücken. „Nachdem wir unser Geld kassiert haben“, erwiderte Mal. Auch Tom und er schnappten sich eine Kiste, wobei das Grinsen bereits wieder den Weg auf die Lippen des Piloten gefunden hatte. „Natürlich erst danach. Ansonsten hat ja auch keiner von uns Geld, was wir ausgeben können“, sagte er und Jayne grunzte zustimmend. Gemeinsam trugen sie die Kisten in den Laden hinein, wobei eine blecherne Glocke an der Tür ihr Eintreten signalisierte. Ein einziger Ventilator drehte sich an der Decke, doch er konnte die trockene Hitze im Inneren kaum vertreiben. „Aber hallo da, meine Herrschaften“, begrüßte sie die Inhaberin. Die alte Dame kam aus dem Hinterzimmer getreten, das mit einem Kettenvorhang vom Rest abgeschirmt war, und strich ihren Faltenrock glatt. „Was kann ich für euch tun?“ Ihr trüber Blick fiel auf die Kisten und sie setzte die Brille auf, die ihr um den Hals hing. „Seid ihr gekommen, um etwas einzutauschen?“ „Nein, M’am“, sagte Mal, nachdem Tom und er ihre Kiste abgestellt hatte, „wir sind nur hier, um die Lieferung von Mr. Kunitz zu überbringen.“ „Ach, Mr. Kunitz... Ein guter Mann, ein sehr guter Mann. Immer zuverlässig und überpünktlich mit seinen Lieferungen.“ Sie lachte leise auf, wobei sie Mal eher an eine niedliche Großmutter als eine Geschäftsfrau erinnerte. Es war verwunderlich, dass ausgerechnet ein Mann wie Kunitz, der so fest an Regulierungen glaubte und diese notfalls mit Gewalt untermauerte, mit jemandem wie ihr Handel betreiben sollte. „Ja, ein sehr netter Mann“, antwortete Mal der Höflichkeit halber, als die alte Dame hinter dem Tresen in die Hocke ging. Er beugte sich etwas vor, um sie im Auge zu behalten, doch sie zückte keine Waffe hervor, sondern hob nur ein Stück des Holzbodens heraus. Darunter lag eine wahre Goldmine versteckt. Jedenfalls hatte Mal selten so viele Yen auf einem Haufen gesehen. Wenn sie nächstes Mal an Geldnot litten, sollten sie anstatt einer Bank einfach eine alte Dame mit einem eigenen Geschäft überfallen. Am besten eine, die mit Kunitz Geschäfte am Laufen hatte, denn scheinbar hatte der Mann tatsächlich einen Riecher für so etwas. „Und ich dachte, sie wäre senil“, flüsterte Tom, der einen Blick über Mals Schulter riskierte. Er lachte auf, während Jaynes Finger nach seiner Vera lechzten. Wahrscheinlich verbrachte Mal doch zu viel Zeit mit ihm, dass er das Zucken seiner Hand bereits derartig gut interpretieren konnte. Mal schüttelte den Kopf in Jaynes Richtung, dessen Gesicht sich automatisch verfinsterte. Ob ein Mann, der die selbstgestrickte, vor allem aber grausige, Mütze seiner Mutter mit Stolz trug, letztendlich jedoch in der Lage war, eine alte Frau um ihr Erspartes zu bringen, war zu bezweifeln. Jayne mochte große Sprüche klopfen, aber trotzdem schien sich in ihm irgendwo ein Funken Ehre zu verstecken. Vergraben unter dem Egoismus und Wunsch nach schnellem Profit. Inzwischen schob die Frau das Brett wieder über das Versteck im Boden. Mal, Tom und Jayne traten einen unauffälligen Schritt zurück, als sie sich aufrichtete und die Scheine vor ihnen auf dem Tresen zu zählen begann. „Und ein bisschen extra für den gutaussehenden Service“, fügte sie hinzu und packte drei weitere Scheine mit einem Augenzwinkern auf die eigentliche Summe. Mal nahm das Geld entgegen. „Das ist sehr großzügig von Ihnen, M’am.“ Nein, senil war sie auf keinen Fall, obwohl auch er anfangs mit diesem Gedanken gespielt hatte. Sie verabschiedeten sich und traten wieder hinaus ins Freie. Auf Jaynes geldhungrigen Blick hin zahlte Mal Tom und ihm den Anteil aus, bevor sie sich dem Markplatz annährten. Das Flötenspiel lag noch immer in der Luft und erhob sich mit majestätischem Klang über das allgemeine Stimmengewirr. Sie mischten sich unter die Leute, wobei Jayne sich zu einem Stand mit gegrillten Fleischspießen herüberkämpfte. Mal verlor ihn bei dem Menschenauflauf schnell aus den Augen, so dass Tom und er allein weiterschlenderten. „Allianz auf elf Uhr“, murmelte der Pilot in einem wegwerfenden Ton. Die Männer stachen mit ihren dunklen Uniformen und den strengen Blicken hervor, doch schlenderten an ihnen vorbei. Kurz sah Mal ihnen nach, bevor er sich an Tom wandte. „Du bist nicht besonders gut auf die Allianz zu sprechen?“, fragte Mal, doch Tom antwortete nicht. Ein Seitenblick verriet, dass er bereits eine hübsche Frau mit hochgesteckten Haaren und Tätowierungen an Armen und Beinen anvisiert hatte. Er schlug die Richtung der Dame ein, während Mals Schritte ihn zu einem der Stände führten. Die verschiedensten Klingen wurden angeboten. Einige wiesen Ähnlichkeiten mit stumpfen Brotmessern auf, andere waren prunkvolle Dolche, deren Griffe mit Diamanten abgesetzt waren. „Was soll es sein, werter Herr?“, fragte der rundliche Verkäufer. Mal winkte ab. „Ich bestaune nur die Auswahl.“ „Falls—“ Die darauffolgende Antwort des Verkäufers ging in einem spitzen Schrei unter, der auch Mal durch Mark und Bein ging. Sein Kopf ruckte herum und seine Hand fand instinktiv den Griff seines Revolvers. Die Menschen tuschelten untereinander, als sie einen Kreis zu bilden begannen. Sehen, was den Aufruhr ausgelöst hatte, konnte Mal nicht, doch hatte sich Tom nicht dort in der Nähe aufgehalten? Rasch sah sich Mal um, aber von dem blonden Haarschopf war nichts mehr zu sehen. Mal drängelte sich bereits zwischen den Besuchern durch, bevor sein Gehirn diese Tatsache verarbeitet hatte. Er überging die Proteste, die ihm folgten, und durchbrach die Reihen, um einen Blick auf den Tumult zu erhaschen. Tom hockte auf dem Boden, hielt sich die blutende Stirn, als seine zwei Angreifer ihn unter den Achseln packten und ihn in die Gasse zwischen zwei Ständen zogen. Sie trugen staubige Kapuzenmäntel und auch die Schatten, die sich in der engen Passage sammelten, machten es unmöglich sie zu erkennen. Der Revolver lag schwer in seiner Hand, als Mal hinter ihnen herjoggte. „Ihr wollt doch nicht einfach so verschwinden, ohne ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen, oder?“, rief er ihnen in einem barschen Ton hinterher, als die Dunkelheit zwischen den Häusern auch ihn verschluckt hatte. Die Leute folgten ihnen nicht, doch das überraschte Mal nicht. Jeder, der nicht betroffen war, hielt sich heraus. Für gewöhnlich verhielt sich Mal nicht anders. Die Fremden hielten inne. Sie ließen von Tom ab, der mit dem Gesicht und einem Ächzen im Staub landete. Der erste zog die Kapuze vom Kopf und entblößte ein junges Gesicht. Mal schätzte ihn auf Anfang Zwanzig ein, doch das, was ihn irritierte, war viel eher das siegreiche Grinsen, welches sich auf seinen Lippen ausbreitete, obwohl er sich nicht einmal die Mühe machte und eine Waffe zückte. Mal schwante Übles. Er wollte herumfahren, doch da traf ihn bereits ein gezielter Schlag am Hinterkopf. Seine Knie gaben nach und Schwärze umfing ihn, den Aufprall mit der Erde bemerkte er gar nicht mehr. 5 Binnen weniger Sekunden war Jayne dem Zauber, den jeder Markt für ihn ausstrahlte, verfallen. Der Geruch von gegrilltem Fleisch stahl sich ungefragt in seine Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Seine Beine trugen ihn zu dem breiten Grill herüber, um den sich, wie um jeden anderen Stand, eine Menschentraube gebildet hatte. Eine Kreidetafel zeigte die Preise an. Im selben Moment, in dem Jaynes Augen sich auf sie hefteten, verschluckte er sich an seiner eigenen Spucke. Ein ersticktes Husten drang aus seiner Kehle, das in den Unterhaltungen, die in der Luft lagen, fast gänzlich unterging. Irgendjemand schien es jedoch zu hören, denn eine Hand klopfte ihm auf den Rücken. Mit tränenden Augen sah zu seinem Retter. Seiner Retterin, wie sich herausstellte. Das Haar der Dunkelhäutigen war zu einem strengen Zopf gebunden und das Symbol auf ihrer ohnehin alles aussagenden Uniform machte sie zu einem Mitglied der Allianz. „Das ist ein ganz schön heftiges Kaliber für einen Touristen“, fasste sie in einem sachlichen Ton zusammen, als Jayne schwer atmend Sauerstoff in seine Lungen sog. Ihr ausdrucksloser Blick galt seiner Waffe, die ihm noch immer mit dem Gurt um den Schultern hing. „Man weiß nie was für... diebische Taschendiebe unterwegs sind“, presste Jayne schließlich hervor. Ein schiefes Grinsen breitete sich auf seinen spröden Lippen aus, welches jedoch keinen sichtlichen Effekt auf die Frau hatte, die Jayne gerade mal bis zu seinen Schultern hinauf reichte. Sie im Notfall zu überwältigen stellte kein Problem dar. Ihm juckte es bei diesem Gedanken instinktiv in den Fingern, wobei die Allianz-Agentin eine Hand locker auf der Pistole an ihrem Gürtel liegen hatte. Es war eine stumme Warnung, die selbst Jayne verstand und ihn geräuschvoll mit den Zähnen knirschen ließ. Sein Blick glitt umher über die Menschen um ihn herum. Wo war Mal, wenn man ihn mal brauchte? Eine feine Augenbraue ihrerseits hob sich ein Stück. „Ach so? Dann ist es sicher kein—“ Das Knacken ihres Funkgeräts, welches auf der anderen Seite ihrer Hüfte saß, unterbrach sie. Es war gefolgt von einer Männerstimme, die nur schnarrend erklang. „Lieutenant Brooks?“ Jayne mit einem Blick fixierend hob sie das Funkgerät an ihre Lippen. „Was ist los?“ „Die Mine, Lieutenant“, presste der Mann am anderen Ende der Leitung atemlos hervor. „Ein Tunnel ist eingebrochen und hat die Arbeiter verschüttet.“ Nur für einen winzigen Moment huschte so etwas wie Besorgnis über das Gesicht von Lieutenant Brooks und ihre Augen wanderten zum Black Mountain, der in der Ferne über die Stadt herausragte. Man mochte Jayne eine lange Leitung zusprechen, doch in dem Augenblick preschte er los. Er schubste die Leute beiseite, darunter einen kleinen Jungen, stolperte beinahe über einen Korb voller Äpfel, kam ins straucheln, hielt jedoch nicht an. Nur gelegentlich sah er zurück, doch er konnte Brooks nicht ausmachen. Sie folgte ihm nicht. Ein verstohlenes Lachen drang atemlos aus seiner Kehle, als er langsamer wurde, um unter der einkaufenden Menge nicht weiter aufzufallen. Wenn man Jayne schnappen wollte, musste man eben früher aufstehen, jawohl! Gut gelaunt bog er in eine enge Passage zwischen einigen Ständen ab und schlenderte durch sie hindurch, um dem Markt den Rücken zu kehren und sich heimlich davon zu stehlen. Mal und sein neuer Möchtegernkumpel konnten den Rover auch allein zurück zur Serenity fahren. Dass sie nicht ohne ihn losfliegen würden, wusste er. Die Gasse mündete auf ruhigeren und vor allem engeren Straßen, in denen vergleichsweise wenig los war. Um genau zu sein, konnte Jayne nur ein paar Leute weiter vorn ausmachen, die etwas hinter sich herschliffen. Jayne sah einmal hin, dann ein zweites Mal, die Augen gegen das grelle Sonnenlicht, welches die Luft flimmern ließ, zu schmalen Schlitzen geformt. War das Mal? Oder bloß jemand, der verdächtige Ähnlichkeit mit seinem Captain hatte? Weiter vorn lief ein weiterer vermummter Kerl, der einen Mann, der sich die Stirn hielt, hinter sich herzerrte. Es war dieser straßenköterblonde Haarschopf, auf den Jaynes Radar reagierte: Tom Paris, Pilot mit einem nervtötenderen Humor, als Wash ihn besessen hatte. Der Typ, der sich einfach in ihre Mannschaft drängte und mit Mal auf lieb Kind machen wollte. Seit ihr zartbesaiteter Doktor mit seiner verrückten Schwester an Bord gekommen war, war es mit ihrer Mannschaft bergab gegangen. Aber wer hörte schon auf ihn? Niemand. Genau das war das Problem! Mit finsterem Blick und Vera im Anschlag schlich Jayne hinter den Männern her, die sich einfach an seiner Crew vergriffen. Und da sollte noch mal jemand sagen, dass er nichts für sie tat... Hoffentlich würden sie sich wenigstens als dankbar erweisen, wenn er sich schon die Mühe machte und sie aus ihrer Misere befreite. Jayne tauchte hinter einer Hauswand ab, als einer der Männer die Umgebung scannte. Vorsichtig lugte er um die Ecke, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sie Mal und Tom in eines der Häuser bugsierten. Es stellte sich als eine Bar heraus, wie Jayne beim Näherkommen erkannte. Das Schild gab dem Lokal seinen Namen: Johnny’s Bar. Wer war Johnny? Hatte Johnny die Entführung angeordnet? Er würde es nicht herausfinden, wenn er weiter hinter der Regentonne hockte. Jayne sah sich um und sprintete auf die Bar zu. Unter dem ersten Fenster duckte er sich, bevor er durch die staubige Scheibe ins Innere spähte. Sie gab Sicht auf den Schankraum, leer und nur von einsamen Tischen und Stühlen bewohnt. Um die Bar herumschleichend schielte Jayne auch in das zweite Fenster, welches sich auf der Rückseite des Hauses befand. Aha! Da war er, dieser Johnny. Einer von ihnen musste es zumindest sein. Die zwei Männer, die am Tisch des Hinterzimmers gesessen hatten, erhoben sich. Einer von ihnen mit braunem Haar, welches in alle Himmelsrichtungen abstand, der andere ein grauhaariger Kerl mit einem Gehstock. Mal und Tom knieten vor ihnen, während ihre Angreifer die Mäntel abstreiften und über die nächstgelegenen Stuhllehnen warfen. Die Stimmen drangen so leise und unverständlich nach draußen, so dass Jayne kein einziges Wort ausmachen konnte. Doch das spielte keine Rolle. Jayne entsicherte seine Waffe mit einem Klicken, als er sich über die Lippen leckte. Er würde das Zimmer einfach stürmen, alle Anwesenden (vielleicht auch Tom, den er als Kollateralschaden abstempeln konnte) niedermähen und Mal retten. Dann hatte er nicht nur bei ihm einen Stein im Brett, sondern Malcolm Reynolds war ihm etwas schuldig. Wie oft kam das schon vor? Das Adrenalin pumpte längst durch Jaynes Arterien, als er den Countdown seines Angriffs herunterzählte. „Zehn, neun, acht, sieben, sechs—“ „Was denkst du, was du da tust, Freundchen?“ Eine Frauenstimme fuhr ihm über den Mund. Verwirrt sah Jayne zu der blonden Frau auf, die sich an ihn herangeschlichen hatte. Er hob Vera, doch da sauste die Bratpfanne bereits auf seinen Kopf zu. Schmerz explodierte in seinem Schädel, als er zur Seite in den Sand fiel und betäubt liegen blieb. Ein Kater nach einer durchgezechten Nacht war kein Vergleich. „Boyd! Wir haben Besuch!“, rief die Frau laut aus. „Da wollt ich nur das heiße Öl draußen auskippen und sieh an, da hockt dieser Kerl unter’m Fenster wie ein billiger Einbrecher, der uns unser Erspartes stibitzen will.“ Nur verschwommen nahm Jayne die Schritte wahr, das plötzliche Stimmengewirr oder wie er an den Armen gepackt wurde. Er wurde auf die Beine gezogen und vor seinen Augen drehte es sich wie auf einem Karussell. Das nächste, was er spürte, war ein harter Boden unter seinen Knien. Er blinzelte verloren und versuchte das Klingeln in seinen Ohren zu ignorieren, als eine vertraute Stimme von rechts ertönte. „Ich hab’ mich schon gewundert, wo du abgeblieben bist, Jayne“, sagte Mal. „Obwohl ich ein bisschen gehofft hatte, dass du uns retten kommst, wenn ich ganz ehrlich sein soll.“ „Du redest fast so, als ob ich vorhätte, euch hier und jetzt die Kehlen durchzuschneiden und meinen schönen Läufer zu ruinieren“, antwortete jemand anderes. „Hältst du mich wirklich für einen solch unhöflichen Gastgeber, Mal? Und ich habe immer angenommen, dass du mich besser kennen würdest.“ „Es ist schwer, in schönen Erinnerungen zu schwelgen, wenn man Kopfschmerzen hat, weil einem etwas über den Schädel gezogen wurde, Boyd.“ „Das tut mir ehrlich leid. Meine Jungs hatten die klaren Anweisungen, Tom hierher zu bringen. Dass er ein paar neue Freunde gefunden hat, war darin nicht einkalkuliert.“ Boyd hob die Schultern in unschuldiger Manier und strich sich die feine Weste glatt, die er über einem dunklen Hemd trug. „Du und dein“, er hielt inne und deutete auf Jayne, der ihn finster anstarrte, „was-auch-immer können gehen. Tom bleibt. Da gibt es leider kein Drumherum. Wir haben noch eine Rechnung zu begleichen. Nicht wahr, mein Lieber?“ Der Pilot antwortete nicht, doch sein ohnehin blasses Gesicht war noch einen Deut bleicher geworden und die Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst worden. 6 „Das kommt schon eher an Gastfreundlichkeit heran“, bemerkte Mal, als die Pistole gesenkt wurde, deren Lauf bis gerade eben noch gegen seinen Hinterkopf gepresst war. Der junge Mann hinter ihm trat zur Seite und ließ ihn aufstehen. „Findest du nicht, Jayne?“, fragte er, als er diesem schwankend auf die Beine half. Jayne stieß ein unzufriedenes Grunzen aus und tätschelte seine schmerzende Wange, während Tom die Hände an seinen Seiten zu Fäusten ballte und als einziger kniend verweilte. Zur Warnung presste die Pistole sich enger an Toms Kopf und machte ihm sein herannahendes Ende bewusst. Wie hatte er nur so dumm sein können? Wie hatte er vergessen können, dass Harlan Boyd Crowders Hauptstützpunkt war? Und woher kannten sich Mal und Boyd überhaupt? Das Universum erschien doch kleiner, als man immer annehmen mochte. „Ava-Darling, würdest du so nett sein und uns etwas zu Trinken holen?“, fragte Boyd derweil an die blonde Frau gewandt. Sie stand noch immer mit der Bratpfanne in der Hand nahe des zweiten Ausgangs der Bar und hob die Brauen. Anstatt zu diskutieren verschwand sie jedoch im Schankraum, während Boyd den massiven Schreibtisch umrundete und auf dem Stuhl dahinter Platz nahm. „Also, Mal, was treibt dich nach Harlan? Du bist der Erste von damals, der hier aufgetaucht ist, seit ich nach Hause zurückkehrt bin.“ „Wir hatten eine Lieferung zu übergeben“, erwiderte Mal und klopfte Jayne auf die Schulter, bevor er von ihm abließ. „Wir erledigen neuerdings ein paar Aufträge für einen werten Herren, der unter dem Namen Kunitz bekannt ist. Ich weiß ja nicht, ob du schon mal von ihm gehört hast.“ Doch Boyd nickte, wobei das selbstgefällige Lächeln keine einzige Sekunde aus seinem braungebrannten Gesicht wich. Tom hätte es gern mit seiner Faust fortgewischt. Als ob der Kerl hinter ihm seine Gedanken gelesen hatte, wurde die Pistole abermals fester gegen seinen Hinterkopf gepresst, bis Tom den feinen Läufer unter sich betrachten durfte. Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass sie hätten splittern müssen. „Es gibt keinen in unserem Geschäft, der nicht schon mal von Kunitz gehört hat“, erwiderte Boyd und machte eine ausschweifende Bewegung zu dem Mann mit dem Gehstock. „Hattest du nicht sogar mal einen Deal mit ihm, Cousin Johnny? Um den Vorrat deiner Bar aufzustocken?“ Johnny hatte längst wieder am Tisch Platz genommen, da ihn das Stehen überstrapazierte. Seine Haare und sein Bart waren grau und die Narben im Gesicht kennzeichneten ihn als einen Überlebenden der Pocken, die auf Harlan vor Jahrzehnten grassiert hatten. „Ja, aber das ist schon länger her“, murmelte dieser ohne den Blick seines Cousins zu erwidern. „Das war bevor du die Bar übernommen hast.“ Bitterkeit schwang in seinen Worten mit, die Boyd zu überhören schien, denn er grinste Mal an. „Dann scheint es so, als läuft es gut für dich, Mal. Das freut mich zu hören.“ Die Unterhaltung wurde weitergeführt, als wollte Boyd Mals neuem Piloten nicht doch am liebsten hier und jetzt eine Kugel verpassen. Hatte Mal tatsächlich vor, ihn auszuliefern? Mit Loyalität bauen konnte Tom dabei nicht, da sie sich kaum kannten. Mal hatte keinen Grund, Jayne oder sein eigenes Leben für ihn zu riskieren. Zeitgleich konnte Tom nicht leugnen, dass er selbst Schuld an dieser Misere hatte. Er hatte sich Boyd Crowder, der ebenso wie Mal und Kunitz seine Finger in illegalen Geschäften hatte, zum Feind gemacht. Natürlich hatte Boyd den längeren Arm, immerhin kontrollierte er inzwischen den Kokainhandel auf Harlan und den umliegenden Planeten. Ava Crowder kehrte mit einem Tablett zurück und verteilte die Gläser an Boyd und Mal. Zum Schluss kam sie bei Jayne zum Stehen und reichte ihm nicht nur das Glas, sondern obendrein noch einen kalten Lappen. „Für deine Wange. Ich hab’ dich gut erwischt, wie ich sehe.“ Es tat ihr nicht leid, doch sie wusste, wie man sich um Boyds Gäste kümmerte. „Vielleicht kann eines meiner Mädchen dir nachher helfen, den Schmerz zu vergessen.“ Sie deutete auf das Fenster zu dem Nebengebäude, welches keine zehn Schritte von der Bar entfernt war. „Mir gehört das Audrey’s. Das einzige Freudenhaus auf ganz Harlan.“ Sie zwinkerte, bevor sie sich das letzte Glas auf ihrem Tablett genehmigte und sich den Alkohol in einem Zug den Rachen herunterkippte. Jaynes Mund stand offen, als sein Blick von Ava zu dem Freudenhaus hin- und herwechselte. „Um zum eigentlich Thema zu kommen und... sagen wir, meine Neugierde zu befriedigen“, unterbrach Mal schließlich und nippte an seinem Getränk. „Was für eine Rechnung hast du mit Tom offen?“ Die Gelassenheit verflog binnen weniger Sekunden und zum ersten Mal zeigte sich Boyds wahres Gesicht. Er ließ sich Zeit mit dem Antworten, als er sich wieder aus seinem Stuhl erhob und sein Glas lautlos auf dem Schreibtisch abstellte. „Nun ja, Mal... Mr. Paris hat mich in eine reichlich unangenehme Situation gebracht. Obwohl ich ihn in meinen Reihen willkommen hieß und Zeit investiert habe, um ihm die Branche zu erklären, damit er sich in ihr zurechtfindet, hat er sich bereits beim ersten Auftrag von der Allianz aufgreifen lassen.“ Boyd gestikulierte mit der Hand, als er mit langsamen Schritten auf Tom zuging und ihn mit einem starren Blick fixierte. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, doch es war gerade diese Tatsache, die dafür sorgte, dass sich Toms Puls beschleunigte. „Aber das hätte ich sogar noch verzeihen können. Das war jedoch bevor er der Meinung gewesen ist, mich an die Allianz zu verraten und dafür einen Deal für sich selbst auszuarbeiten.“ Eine künstlerische Pause folgte, in der Boyd zu Mal aufschaute. „Ich konnte zwar alle Beweise rechtzeitig verschwinden lassen, aber dafür sitzt mir die Allianz nun im Nacken. Bis vor kurzem saß sie genauer gesagt noch dort draußen an der Bar und hat sich meinen Whiskey genehmigt – der im Übrigen aufs Haus gegangen ist, weil man ja nicht unfreundlich erscheinen möchte.“ „Das mag ja alles schön und gut sein...“, begann Mal. Er hatte sein Glas geleert und trat vor, um es ebenfalls auf Boyds Schreibtisch abzustellen, „aber er ist mein Pilot, Boyd. Es ist schwer, einen anständigen Flieger zu finden. Meinst du nicht, dass wir einen Weg finden, Toms Schuld zu begleichen, ohne sein Blut gleich zu vergießen?“ Eine Stille folgte, in der beide Männer sich anstarrten. Toms Herz schlug ihm bis zum Hals und er presste die Lider aufeinander, um es zur Ruhe zu zwingen. „Um der guten alten Zeiten willen?“, fügte Mal hinzu. „Guten Zeiten?“, wiederholte Boyd mit Belustigung. „Du findet die Schlacht und Niederlage auf Serenity waren gute Zeiten?“ „Wenigstens waren wir da noch unabhängig. Frei“, erwiderte Mal mit dem Heben seiner Schultern. Hinter ihnen stieß Johnny ein Schnaufen aus, obwohl keiner der Anwesenden seine Worte in Frage stellte oder gar korrigierte. Mitreden konnte Tom in dieser Hinsicht nicht. Während des Unabhängigkeitskriegs war Tom noch im Internat gewesen, in das sein Vater ihn abgeschoben hatte, da es ein guter Platz war, um Disziplin zu lernen. „Weißt du was, Mal?“, durchbrach Boyd schließlich das aufgekommene Schweigen und deutete zu Mal herüber. „Weil du es bist, bin ich bereit eine Ausnahme zu machen und dir ein Angebot zu unterbreiten.“ „Das ist wahre Gastfreundlichkeit“, bemerkte Mal gutgelaunt. Ein Blick ging in Jaynes Richtung, der seine Wange mit dem Lappen kühlte, jedoch hibbelig von einem Bein aufs andere trat. „Hast du das gehört, Jayne? Das nenne ich Gastfreundlichkeit.“ „Ja, sehr freundlich zu ihren Gästen...“, murmelte dieser und sah zu Ava herüber, die ihm ein amüsiertes Lächeln schenkte. Selbst aus der Ferne und aus seiner Position am Boden vermochte Tom Jaynes errötete Ohrenspitzen zu sehen. „Ich habe da eine Ladung in einem Lagerhaus nicht weit von der Stadt entfernt, die abgeliefert werden will. Darauf scheinen deine Crew und du spezialisiert zu sein, wenn ich das richtig verstanden habe“, kam Boyd sogleich auf den Punkt, obwohl man bei jemandem wie ihm sicher sein konnte, dass ihm die Idee nicht gerade erst gekommen war oder er Mal diesen Vorschlag aus der Güte seines Herzens unterbreitete. Allerdings machte Mal nicht den Eindruck auf Tom, als ob er sich einfach über den Tisch ziehen ließ und nicht selbst das ein oder andere einkalkulierte. Hoffen durfte man schließlich noch. „Was beinhaltet die Ladung?“, fragte Mal, doch Boyd schüttelte sogleich den Kopf. „Das ist nicht wichtig. Was wichtig ist, dass sie unversehrt bei den Koordinaten ankommt, die ich euch geben werde“, erklärte der Geschäftsmann weiter. „Ich würde meine eigenen Männer damit losschicken, aber – wie ich bereits erwähnt habe – kontrolliert die Allianz mein Gehen und Kommen auf Genauste. Wenn ihr das für mich macht, erlasse ich Mr. Paris hier seiner Schuld und wir sind quitt.“ „Klingt einfach. Leicht ausführbar.“ Mal streckte Boyd die Hand entgegen, um den Deal zu besiegeln, doch Boyd zögerte und verriet in dieser winzigen Geste, dass die Sache noch einen Haken hatte. „Ich hoffe, du kannst verstehen, dass ich dich nicht einfach mit Mr. Paris und meiner Ladung von Harlan verschwinden lassen kann. Die Jahre nach dem Krieg haben mich zu einem misstrauischen Mann werden lassen, Mal. Johnny wird euch begleiten und mich darüber zu informieren, ob alles nach Plan verläuft.“ Mals Blick ging über seine Schulter hinweg, als er Boyds grauhaarigen Cousin am Tisch musterte. Auch diese beiden schienen sich mindestens einmal im Leben über den Weg gelaufen zu sein, das konnte Tom in dem Gesicht seines Captains ablesen. „Einverstanden“, sagte Mal. Beide Männer schüttelten einander die Hände, ehe Boyd dem Mann hinter Tom signalisierte und die Pistole von seinem Hinterkopf verschwand. Mit knackenden Knien kam Tom auf die Beine und wischte sich das halbgetrocknete Blut von der Platzwunde an seiner Schläfe mit dem Ärmel seines Hemdes fort. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, doch seine Augen hafteten auch weiterhin auf Mal. Warum machte er sich die Mühe? Tom kannte seinen Wert als Pilot, doch er bezweifelte, dass irgendwer es wert wäre, unter diesen Umständen ein Geschäft mit Boyd Crowder einzugehen. Insbesondere, wenn man ein unfreiwilliges Crewmitglied kostenlos dazu bekam. Doch Toms Fragen blieben unausgesprochen und unbeantwortet. Boyd umrundete ein zweites Mal an diesem Nachmittag den Schreibtisch, um eines der Schubfächer zu öffnen und darin herumzukramen. Er zog eine Karte hervor, die er ausbreitete. Sein Finger markierte einen Platz am Rand der Stadt. „Hier befindet sich das Lagerhaus. Es liegt ziemlich versteckt und läuft unter einem anderen Namen. Johnny wird euch die Kisten zeigen, die ich transportiert haben möchte. Wie ihr ungesehen auf euer Schiff bekommt, ist jedoch euch überlassen. Niemand kann wissen, dass die Ladung von mir kommt. Niemand außer die Person, bei der ihr sie abliefert.“ Einen Stift ergreifend kritzelte Boyd einen Namen und ein paar Koordinaten an den Kartenrand. Tom stand zu weit entfernt, um sie entziffern zu können. Spätestens beim Losfliegen würde er ihren Zielort jedoch kennen lernen. Erst in diesem Moment traf Tom die Erkenntnis, dass er in diesem Hinterzimmer doch nicht sterben würde. Dass er ein weiteres Mal hinter das Steuer eines Raumschiffes schlüpfen durfte. Seine Finger kitzelten allein bei dem Gedanken daran und seine angespannten Schultern lockerten sich ein wenig, obgleich des Hämmerns in seinem Schädel. III. Gespräch über Simon. Die Ware. Drei Lieutenants. ----------------------------------------------------- 7 „Schau, Zoe!“, rief Kaylee zu ihr herüber und hielt eine dunkelrote Bluse mit V-Ausschnitt in die Höhe. „Es ist sogar deine Farbe.“ Die Angesprochene legte das Messer zurück zur restlichen Auswahl, bevor sie von einem Stand zum anderen schlenderte. Der Sand knirschte unter ihren Stiefeln, die in den letzten Monaten mehr als nur unbequem geworden waren. Im Grunde war neunundneunzig Prozent ihrer Kleidung ungemütlich geworden, wenn sie überhaupt noch hineinpasste. Ihre Lieblingsweste hatte sie vor einer gefühlten Ewigkeit zur Seite legen müssen und verstaubte seitdem im unteren Regal ihrer Kommode. Es war das einzige, was von ihr im besagten Schubfach lag, da sie es noch immer nicht über das Herz gebracht hatte, Washs Sachen auszuräumen. Den Gedanken an ihren verstorbenen Ehemann beiseite schiebend streichelte sie über ihren Babybauch und hob eine Augenbraue. „Die Bluse sieht aus wie ein alter Kartoffelsack, in den jemand ein paar Löcher geschnitten hat.“ „Findest du?“ Ihre Mechanikerin kniff ein Auge zusammen und legte den Kopf schief, um zu sehen, ob etwas an dem Vergleich dran war. „Also ich finde sie wirklich hübsch. Wenn ich jemals schwanger bin, werde ich mir so was kaufen.“ Zoes Augen wanderten über die restliche Auslage an bunten Oberteilen, doch keines sagte ihr wirklich zu. Nicht einmal das Hemd, das sie trug, gefiel ihr wirklich. Nur ihre Stiefel und der Gürtel mit der Halterung für ihre Schrotflinte erinnerten an ihren früheren Stil. „Dann nimm es mit. Das passiert schneller, als man annehmen mag.“ Und in Kaylees Fall war eine Schwangerschaft ohnehin nicht ausgeschlossen, jetzt da etwas zwischen Simon und ihr lief. Das war nicht lange ein Geheimnis geblieben, als Mal unangekündigt in den Maschinenraum reinmarschiert war und sie mitten beim – wie hatte er es ausgedrückt? – Entkleiden erwischt hatte, um das halbe Schiff zusammenzuschreien. Zoe hob bei diesem Gedanken einen Mundwinkel. „Das denkst du...“, erwiderte Kaylee, wobei das Lächeln von ihrem Gesicht abgefallen war. Die Frustration war deutlich, doch das überraschte Zoe nicht einmal. Dass Simon kein Experte in Sachen Romantik oder Frauen war, war bereits in den ersten Wochen erkenntlich geworden, die er an Bord verbracht hatte. „Was hat er nun wieder nicht getan?“, erkundigte sich Zoe, als Kaylee die Bluse beiseite legte und sie gemeinsam weiter über den Marktplatz von Harlan schlenderten. Die Sonne stand im Zenit, doch es herrschte noch immer ein reges Treiben. Händler brachten mit lauten Rufen ihre Waren an den Mann, während andere mit ihren Kunden feilschten und Leute sich untereinander unterhielten. Im Gegensatz zu Cygnus war Harlan ein lebhafter Ort, auf dem sich scheinbar niemand um die sich häufenden Angriffen auf Randplaneten scherte. Generell hatte Zoe angenommen, dass sich etwas ändern würde, nachdem die Tatsache, dass die Reaver durch ein Experiment der Allianz entstanden waren, ans Licht gekommen war. Darin hatte sie sich geirrt. In den ersten Wochen war es das Gesprächsthema Nummer eins in jeder Bar und Taverne gewesen. Einige Randplaneten hatten aufgerüstet und in den Nachrichten war über Revolten gesprochen worden, doch eine ebenso imposante Reaktion der Bewohner von Core-Planeten war ausgeblieben. Wahrscheinlich sollte sie das nicht wundern, denn was wussten sie schon über Reaver, die nie bis zu ihnen vordrangen? Sie lebten weiter ihr behütetes Leben. Allerdings fragte sich Zoe, ob sich das in der herannahenden Zukunft nicht vielleicht ändern würde, wenn die Angriffe zunehmen sollten und sich weiter verbreiteten. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich hierbei um Reaver oder etwas anderes handelte. Es war so oder so eine Gefahr. „Wir hatten Sex, aber das war’s gewesen“, erklärte Kaylee, als sie neben Zoe herging. „Und das liegt schon Monate zurück. Seitdem wollte er kein einziges Mal mehr mit mir schlafen, Zoe. Er hält nur meine Hand und küsst mich auf die Wange. Als ich mich den einen Tag vor ihm ausgezogen hab, hat er sich sogar umgedreht.“ Abermals zuckten Zoes Mundwinkel in die Höhe und sie räusperte sich. Kaylees Offenheit vertrieb auch die letzten düsteren Sorgen für den Moment. „Hast du ihn darauf angesprochen?“ Kaylee zögerte, bevor ein Seufzen aus ihrer Kehle drang. „Nein. Nicht direkt.“ Sie verzog das rundliche Gesicht und ließ die Schultern hängen. „Was ist, wenn es ihm nicht gefallen hat? Bisher hat sich niemand über den Sex mit mir beschwert, aber Simon... er ist eben anders als alle anderen. Er ist so höflich, dass es kaum auszuhalten ist. Vielleicht macht er deswegen bloß nicht den Mund auf.“ „Ich bin sicher, dass es ihm gefallen hat. So sehr, dass er überfordert ist mit der Situation. Vermutlich kann er das nicht in Worte fassen. Wir wissen schließlich, dass Simon etwas unbeholfen ist, wenn es zum Zwischenmenschlichen kommt.“, erwiderte Zoe, als sie den Blick geradeaus richtete. Mit ihren roten Gewändern war Inara einfach unter den meist in Brauntönen gekleideten Leuten auf dem Markt herauszuerkennen. Sie stand bei einem Händler und betrachtete bunte Porzellanwaren. Ihr braunes Haar floss ihr über den Rücken und ihre rotgeschminkten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als sie Zoe und Kaylee auf sich zukommen sah. Kaylee winkte ihr aus der Ferne bereits mit schwingenden Armen zu. „Erinnerst du dich noch, als er das erste Mal geflucht hat?“ Ihr Gesicht hellte sich bei diesem Gedanken auf und das Verliebtsein war plötzlich so greifbar, als wäre es mehr als nur eine Emotion. Doch Zoe wusste aus eigener Erfahrung, dass dem so war. Sie erinnerte sich zu gut an dieses Gefühl. Washs Gesicht zeigte sich unwillkürlich vor ihrem inneren Auge, als sie Kaylees Seitenprofil musterte. „Ich erinnere mich.“ Sie erreichten Inara, die ihnen sogleich ihre gesamte Aufmerksamkeit schenkte. Die Blicke, welche ihr besonders die vorbeilaufenden Männer zuwarfen, ignorierte sie so gekonnt, als würde sie diese nicht bemerken. „Seid ihr fertig? Wollen wir zur Serenity zurückkehren?“ „Mal und die anderen müssten schon zurück sein“, bemerkte Kaylee und auch Zoe erkannte an dem niedrigen Sonnenstand, dass es sich langsam dem Abend zuneigte. Zu dritt wanderten sie durch die sandigen Straßen Harlans und erklommen den Hügel, der zum Hangarplatz führte. Wieder einmal machten sich Zoes schmerzende Knöchel bemerkbar. Sie war froh, wenn sie die Stiefel ausziehen konnte. Noch froher würde sie sein, wenn ihre Tochter geboren war und Zoe sie in den Armen halten konnte, anstatt sie in ihrem Leib herumzutragen. Ohnehin war es reines Glück, dass es die letzten Monate so ruhig gewesen war und keiner versucht hatte sie zu erschießen oder auf andere Weise umzubringen. Darauf verlassen, dass das dauerhaft so weiterging, konnte sich jedoch niemand. Das war eine weitere Sorge, die Zoe bis in die Nacht hineinverfolgte. „Wer sind diese Kerle da vorn bei der Serenity?“ Kaylee schirmte die Augen mit der Hand ab, um die Fremden besser erkennen zu können. „Sie haben Waffen dabei.“ Ihre Stimme war kleinlaut geworden, aber Zoes Hand lag bereits auf dem Griff ihrer Schrotflinte, bevor sie zu Ende gesprochen hatte. Sie verlangsamten ihre Schritte kaum merklich, als sie sich ihrem Schiff annäherten. Es waren vier bewaffnete Männer, die sich an der offenen Laderampe positioniert hatten. „Wer seid ihr Hübschen? Gehört ihr zu diesem Raumschiff?“, fragte einer von ihnen. Er war ein rundlicher Geselle, dessen dunkelblondes Haar ihm bis zum Kinn herunterreichte. Die Pistole in seiner Hand war auf den Boden zu seinen Füßen gerichtet, obwohl er Zoes Waffe im Auge behielt. „Ja, das tun wir“, erhob Inara das Wort und richtete sich zur vollen Größe auf. „Und es wäre äußerst freundlich, wenn ihr uns verraten könntet, was hier vor sich geht.“ „Ich bin Colt und ich arbeite für einen Mann namens Boyd Crowder“, erklärte ihnen der Mann mit einem Lächeln auf den Lippen. „Und dieser Boyd Crowder hat veranlasst, dass die Firefly nirgendwohin fliegt, bis er nicht eine Rechnung mit einem Mitglied eurer Crew beglichen hat.“ „Was hat Mal nun schon wieder getan?“, entrann es Inara, wobei es nicht erkenntlich wurde, ob die Frage an Zoe und Kaylee oder nicht doch Colt gerichtet war. „Mal? Wer ist Mal? Soweit ich das weiß ist es ein Tom.“ Bevor einer von ihnen reagieren konnte, winkte Colt bereits jemanden im Inneren der Serenity zu und Simon und River kamen die Rampe herunter. „Wir konnten nichts tun. Sie kamen einfach ins Schiff marschiert“, war das erste, was Simon sagte, als sie vor ihnen zum Stehen kamen. Der Arzt hatte die Hände gehoben, obwohl keine der Waffen auf ihn zielte, während seine Schwester eher neugierig von einem zum anderen sah. „Ist schon gut, Doktor“, murmelte Zoe, obwohl ihre Finger sich keine Sekunde von dem Griff ihrer Schrotflinte lösten. Eine Chance gegen all diese Männer räumte sie sich nicht ein, besonders nicht mit einem ungeborenen Baby. Darauf ankommen lassen wollte sie es genauso wenig – und sie hatte ohnehin das Gefühl, dass wenn River Colt und seine Leute als ernsthafte Bedrohung angesehen hätte, sie jetzt nicht hier stehen würden. „Bist du okay, Simon?“, fragte Kaylee und packte Simons Hände. „Du zitterst ja.“ „Dein Freund hat schon gezittert, bevor wir richtig im Schiff waren, Lady“, bemerkte Colt und tauschte einen belustigten Blick mit einem seiner Männer aus. Simon errötete und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Das Knacken eines Funkgeräts kam ihm zuvor, ehe eine Stimme etwas Unverständliches sagte. Colt zog das Gerät aus der Jackentasche seines Parkas. „Boyd? Kannst du das noch mal wiederholen?“ „Ich sagte, dass die Dinge sich zufriedenstellend aufgeklärt haben“, sagte Boyd am anderen Ende der Leitung. „Kehrt in die Bar zurück. Ich würde es bevorzugen, wenn Raylan und seine Schoßhunde euch dabei nicht über den Weg laufen würden, wenn du verstehst, was ich meine, Colt.“ „Natürlich. Kein Problem“, erwiderte dieser, bevor er das Funkgerät wegsteckte und seinen Männern signalisierte, dass sie hier nicht mehr gebraucht wurden. „Schönen Abend noch“, wandte sich Colt Zoe und den anderen zu. Er machte die Andeutung einer Verbeugung, bevor die Truppe den Weg hinab ins Tal einschlug. „Was war das denn?“, fragte Kaylee, wobei sie auch weiterhin an Simon festhielt, als würde er sonst in sich zusammenfallen. Dabei sollte man meinen, dass der Arzt schon eine Menge schlimmerer Dinge überlebt hatte. „Was auch immer es war, wir sollten uns nicht noch einmal so überraschen lassen, sollten sie der Meinung sein zurück zu kommen“, bemerkte Zoe grimmig. Ein Nicken ging bei diesen Worten durch die Runde, unterbrochen von fernen Stimmen. Dieses Mal zog Zoe ihre Waffe hervor und schob mit einer geübten Handbewegung den Hammer zurück, als sie sich umsahen, um die Herkunft der Laute zu orten. Wenige Sekunden später erschienen vier Personen auf einen der Hügel links von ihnen und weit von dem Pfad entfernt, den Boyd Crowders Männer zurück in die Stadt genommen hatten. Nach all der Zeit würde Zoe ihren Captain auch unter Tausenden wiedererkennen, obwohl sie ihre Schrotflinte nicht sogleich wegsteckte. Das tat sie erst, als sie bemerkte, dass der Vierte und Fremde im Bunde nur einen simplen Gehstock bei sich trug und Schwierigkeiten hatte, die sandige Absenkung herunterzulaufen. Mal, Jayne und Tom waren ihm voraus und erreichten sie einige Momente zuvor. „Wir hatten ein kleines Wiedersehen mit einem alten Bekannten“, erklärte Mal ohne Einleitung und stemmte die Hände in die Hüften. Ein freudloses Lächeln lag auf seinen Lippen und sein braunes Haar war verwuselt. Aber als Zoes Blick über die anderen beiden Herren wanderte, wurde erkenntlich, dass auch Tom und Jayne nicht besser aussahen. Getrocknetes Blut klebte an Toms Stirn und Jaynes linke Gesichtshälfte war gerötet und angeschwollen. „Was ist denn mit euch passiert?“, fragte Kaylee entsetzt, als Simon sich aus ihrem Griff befreite, um sich Toms Verletzung näher anzusehen. „Wie gesagt, ein Wiedersehen. Ein höchst überraschendes dazu“, erwiderte Mal, als der grauhaarige Fremde sie einholte. Sein Atem rasselte und ein paar graue Haarsträhnen klebten an seiner Stirn. „Aber dafür haben wir Arbeit. Nicht bezahlte Arbeit, aber wenigstens werden wir uns nicht langweilen. Das ist übrigens Johnny Crowder.“ Mal machte eine Handbewegung in die Richtung des anderen Mannes, der sie mit bitteren Augen musterte. „Er wird für eine Weile mit uns fliegen.“ „Crowder wie Boyd Crowder?“, fragte Inara, doch selbst für sie hatte Johnny nicht mehr als einen knappen Blick übrig. „Mein werter Cousin...“, brummte er zurück und Zoe runzelte die Stirn. Das gefiel ihr nicht. 8 Die Firefly war der älteste Kahn, auf den Johnny jemals einen Fuß gesetzt hatte. Diese Raumschiffklasse wurde nicht einmal mehr hergestellt, soweit er wusste. Überraschen, dass er es für die nächsten Wochen sein vorübergehendes Zuhause nennen konnte, tat es ihn aber nicht. Boyd hatte doch nur auf eine Gelegenheit gewartet, um ihn abschieben zu können. Natürlich war kein anderer Unterstellter seines geliebten Cousins in der Lage gewesen, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen und den Babysitter für Malcolm Reynolds und seiner Spielgruppe zu mimen. Etwas anderes war das hier nicht. „Was beinhaltet die Ladung?“, fragte der Doktor, der ihm als Simon vorgestellt wurde. Einfach nur Simon, ohne Nachnamen oder Vergangenheit. Er saß an dem langen Tisch im Gemeinschaftsraum des Schiffes, die Mechanikerin und seine Schwester links und rechts von ihm. Mal zuckte mit den Schultern. „Das wurde nicht gesagt. Und ist auch nicht wichtig. Wir schaffen sie nur an Bord und liefern sie am Zielort ab.“ Er stand am Ende des Tisches und hatte die Hände auf der Stuhllehne abgestützt. Die schwangere Zoe (und sein zweiter Captain, falls Mal nicht an Bord sein sollte, wie ihm gesagt wurde) hob eine feine Augenbraue. „Und das klingt nach einer guten Idee, Sir?“ „Natürlich nicht, aber es ist die einzige Idee.“ Mals Blick streifte Tom Paris, der ebenfalls am Tisch saß, jedoch am anderen Ende und entfernt von der restlichen Crew. Nur Jayne saß ihm gegenüber, der jedoch seine eigenen Wunden zu lecken hatte. Tom mied den Blick aller und seine Lippen waren in stummer Wut zusammengepresst. Verübeln konnte Johnny ihm das nicht. Er hatte Mist gebaut und seine neue Mannschaft in seine Angelegenheiten hineingezogen. Es war ohnehin ein Wunder, dass Mal ihm nicht einfach den Rücken gekehrt hatte, als Boyd ihm die Chance geboten hatte. Der Kerl musste nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. „Wer sagt, dass dieser Boyd uns nicht in eine Falle lockt?“, fragte Kaylee. „Ich meine, vielleicht ist ihm seine Ladung nicht so viel wert und so kann er... nun ja, von sich ablenken?“ „Es würde zu Boyd passen“, warf Johnny ein und kratzte sich mit der Hand, die sich nicht auf seinem Gehstock abstützte, den grauen Bart, „aber die Ware ist ihm zu viel wert.“ „Wir warten, bis die Sonne vollständig untergegangen ist“, erklärte Mal, als keine Einwendungen mehr kamen. „Dann kehren Jayne, Johnny, Tom und ich zum Rover zurück und fahren anschließend zum Lagerhaus weiter. In der Zeit macht der Rest das Schiff bereit zum Ablegen.“ Wie treudumme Hunde sahen sie zu ihrem Captain auf und nickten zögerlich. Es erinnerte Johnny unwillkürlich an früher, an diese kurze Zeitspanne, in der Boyd ihn mit seinen Predigten über Gott eingelullt und ihn zum Gläubigen gemacht hatte. Diese paar Monate, in denen Boyd sich felsenfest eingeredet hatte, an eine höhere Macht zu glauben und in denen Johnny Boyd bis an das Ende des Universum gefolgt wäre. Das hätte er getan, bis man ihm die Augen durch eine Kugel im Rücken, die eigentlich für Boyd bestimmt gewesen war, geöffnet hatte. „Und was machen wir bis dahin?“, fragte Johnny, als ein Schweigen sich auszubreiten begann. Mal warf ihm einen Seitenblick zu, abschätzend und nachdenklich. Der Mann vertraute ihm nicht, doch das konnte Johnny nur recht sein. Er befand sich schließlich nicht an Bord der Firefly, um mit der Crew zu liebäugeln. „Bist du hungrig?“, stellte Mal ihm die Gegenfrage. „Ich bin’s nämlich. Es regt den Appetit an, niedergeschlagen zu werden und verhandeln zu müssen.“ Mal schlenderte gemütlich zu der kleinen Kochnische des Schiffes herüber und holte das übriggebliebene Brot vom Vortag hervor und angelte sich einige Konserven. Ungläubig beobachtete Johnny ihn bei seinem Tun. Er beobachtete auch die restlichen Crewmitglieder, die schweigend aufstanden und einen weiteren Stuhl holten, Besteck, Teller, Servietten und Becher auslegten. Inara trug eine Karaffe zum Tisch und goss jedem ein, während das Essen aufgewärmt wurde und der Geruch von Bohnen und Fleisch sich im Raum ausbreitete. „Willst du da Wurzeln schlagen?“, erkundigte sich Mal an Johnny gewandt, als sie alle Platz genommen hatten und kräftig zuschlugen. Nur langsam steuerte dieser den einzig noch freien Platz zwischen Jayne und Simon an. Der Gehstock wurde am Tisch angelehnt, der besonders den Blick des jüngsten Mitglieds der Mannschaft auf sich zog. Das Mädchen (River, wenn er sich recht erinnerte) blinzelte nicht oder sah einmal auf ihr Essen herunter, als sie einen Löffel nach dem anderen zum Mund führte. „Kannst du nicht richtig laufen?“, fragte sie und Johnny verzog das Gesicht. „Nicht mehr.“ Ihre Neugier war mit seiner knappen Antwort nicht befriedigt, das konnte er River ansehen. „Also du konntest es mal?“ Stur auf sein Essen herunterstarrend nickte er kaum merklich. „Vor dem Krieg.“ Der Gedanke war bitter und raubte auch dem Eintopf den Geschmack, so dass er mit dem Löffel Kreise durch die Suppe zog. „Warst du...“, begann der Doktor neben ihm, doch beendete seine Frage nicht. „Er stand auf der Seite der Unabhängigen“, antwortete Mal für ihn. „Die ganze Familie Crowder, wenn ich mich recht erinnere. Oder Zoe?“ „Soweit ich weiß, Sir.“ Zoes Stimme war kühl, doch sie hatte ihre Meinung seiner Anwesenheit betreffend bereits klar gemacht, als sie den Plan in Frage gestellt hatte. Scheinbar besaß sie einiges mehr an Grips als ihr Captain. „Ich nehme an, dass die Kugel die Wirbelsäule knapp verfehlt hat?“, unternahm der Doktor den zweiten Versuch einer Unterhaltung, wobei sein Fachbereich ihm einfacher über die Lippen kam. „Ansonsten wäre dir das Laufen nicht mehr möglich.“ „Offensichtlich. Es hat eine Menge Zeit und Mühe gekostet, aus dem Rollstuhl rauszukommen“, erwiderte Johnny und verdrehte die Augen. Seinen Worten folgte abermals eine Stille, die bis zum Ende des Abendessen andauerte und um einiges drückender erschien, als die vorige es getan hatte. „Zoe, wenn etwas schief geht—“, sagte Mal, als der Tisch abgeräumt war und sie sich auf der ausgefahrenen Laderampe einfanden. „—dann werde ich die Serenity nehmen und hier verschwinden, kein Problem, Sir“, beendete Zoe. „Ich meinte eigentlich, dass wir dann höchstwahrscheinlich von der Allianz aufgegriffen worden sind und du dir dann einen waghalsigen Plan überlegen sollst, um uns zu retten.“ Beide tauschten einen Blick aus, bevor Jayne, Tom, Johnny und Mal das Schiff verließen und in die Stadt zurückkehrten. Die Nacht war sternenklar und einer der anderen Monde rund um Poseidon erhellte den hellen Sand genug, um sie für aller Augen sichtbar zu machen. Johnny nahm es nur im Hintergrund wahr, denn die meisten Nächte auf Harlan waren stets hell und ruhig. Das war auch der Grund, weshalb so viele halbverrottete Leichen in den Minenschächten weit von hier entfernt gefunden wurden. An dem Sprichwort, dass niemand, der in Harlan geboren und aufgewachsen war, es lebend verließ, war etwas dran. Auch Johnny hatte es nur ein einziges Mal von diesem Planeten heruntergeschafft, um in einen Krieg zu ziehen, an den er nicht geglaubt hatte. Denn im Namen der Crowder-Familie lohnte es sich zu sterben. Das war eine weitere Sache, die man bereits den Kindern eintrichterte. Allerdings hatte Johnny nicht vor für Boyd zu sterben. Für jeden, nur nicht für seinen unausstehlichen Cousin. Er würde der erste sein, der Harlan lebend verließ und erst zurückkehrte, wenn er in der Lage war, Boyd von seinem Thron zu stoßen. „Ich versteh immer noch nicht, warum wir den Rover hier stehen gelassen haben“, murrte Jayne, als sie zwischen den Häusern hindurchschlichen, die meisten davon bereits dunkel oder mit zugezogenen Vorhängen. „Wie oft soll ich dir das noch erklären?“, fragte Mal. „Weil diese Allianz-Agenten vorhin hier herumgeschlichen sind“, erklärte Tom, der zusammen mit Johnny das Schlusslicht ihrer eher jämmerlichen Gruppe bildete. „Ich weiß, warum Boyd der Allianz aus dem Weg gehen will, aber warum ihr?“, erlaubte sich Johnny die entscheidende Frage zu stellen. Da steckte mehr als ihre neue Geschäftsbeziehung mit Boyd dahinter, mehr als die illegalen Aufträge, welche Mals Crew ausführte. Johnny hatte einen Riecher dafür oder zumindest waren sie zu offensichtlich in ihrer Abneigung gegen die Allianz, als dass er es nicht bemerken könnte. „Ich hab festgestellt, dass sie einfach zu viele Fragen stellen“, gab Mal undurchsichtig zurück, als sie den Rover erreicht hatten und hineinkletterten. „Was Tom für ein Problem mit ihr hat, kann dir... wahrscheinlich nur Tom erklären.“ „Muss ich unbedingt einen Grund haben?“, fragte der Pilot, als sie in die Dunkelheit davon sausten. „Reicht es nicht, wenn wir offensichtlich alle die gleiche Meinung teilen?“ Das charmante Grinsen war aus seiner Stimme herauszuhören. Seinem frechen Mundwerk nach zu urteilen hatte er sich wieder gefangen oder zumindest seine nonchalante Maske während des Abendessens wieder zusammengebastelt. Der Rover sauste durch dunkle Straßen, während Johnny ihnen den Weg zum Lagerhaus wies. Wie Boyd bereits gesagt hatte, befand es sich am Rande der Stadt, an dem Hütten weniger wurden und weiter auseinander lagen und der Boden steiniger war. Die Lagerhäuser stellten ihr eigenes kleines Viertel dar, welches in vollkommener Finsternis lag. Nicht eine aufgehangene Laterne erleuchtete den Weg, doch kein rechtschaffender Bürger tauchte um diese Uhrzeit noch hier auf. Der Rover kam vor einem der Depots zum Stehen und sie stiegen aus. „Das soll es sein?“, fragte Mal. Johnny machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern humpelte auf das Tor zu. Den Gehstock ließ er im Rover zurück und er ging mit einem Ächzen in die Knie, um das Schloss am Boden öffnen zu können. „Das Lager läuft unter dem Namen von jemand anderen. Deshalb hat die Allianz bisher auch nicht hier nachgeschaut“, erklärte er, als Mal und Jayne ihm halfen, das Rolltor hochzufahren. Tom schaltete die Taschenlampe ein und ließ den Lichtstrahl über die Kisten wandern, die in ihrer Form Ähnlichkeiten mit Särgen aufwiesen. Es waren vier Stück, die nebeneinander in einer sorgfältigen Reihe aufgestellt waren. „Handlich...“, kommentierte Tom. „Wie es aussieht, müssen wir zweimal fahren“, sagte Mal, bevor Jayne und er erst die eine Kiste und anschließend eine zweite heraustrugen und in den Rover luden. „Ihr haltet hier die Stellung, bis wir zurück sind“, fügte er an Tom und Johnny gewandt hinzu, bevor er mit Jayne und dem Rover erneut in die Richtung der Stadt düste. Schweigend sahen Tom und er ihnen nach, Johnny an der Wand zum Depot lehnend. „Weißt du, was sich in den Kisten befindet?“, fragte der Pilot, als er die Taschenlampe wieder ausschaltete. Johnny schüttelte den Kopf, doch konnte nicht sicher sein, ob diese Geste bei den schlechten Lichtverhältnissen erkenntlich wurde. „Nein. Wenn du glaubst, dass mein Cousin mich in alle seine Pläne einweiht, hast du dich getäuscht.“ „Klingt so, als würdest du auch nicht ganz so gut mit ihm auskommen.“ Toms Stimme klang locker und amüsiert. Es war schwer einzuschätzen, ob er an belanglosen Informationen interessiert war oder nicht einfach einen Leidensgenossen suchte. Bei Johnny war er da jedoch an der falschen Adresse. Seine Probleme mit Boyd waren von ganz anderer Natur und hatten sicher nichts damit zu tun, dass Johnny Boyd in irgendeiner Art und Weise hintergangen hatte. „Ist das nicht in Familien so?“, stellte Johnny die Gegenfrage. Tom blieb ihm die Antwort schuldig, als er sich wegdrehte und stattdessen vor dem Lager auf und ab zu laufen begann. Scheinbar war er nicht der einzige, für den das Thema Familie einen wunden Punkt darstellte, interessant. 9 „Warum tun wir das, Mal?“ „Mitten in der Nacht herumschleichen?“ Mal schenkte Jayne einen knappen Blick aus den Augenwinkeln heraus. „Mit wahrscheinlich gestohlener Ware auf einem Planeten, auf dem es von der Allianz nur so wimmelt?“ Jayne brummte zustimmend. „Wir hätten Tom einfach sich selbst überlassen sollen.“ Kurz ließ sich Mal diese Worte durch den Kopf gehen, während der Rover um eine Ecke sauste und durch eine schmale Passage zwischen zwei Gebäuden huschte. „Weil er zur Mannschaft gehört.“ „Seit einer Woche...“, murmelte Jayne in seinen Bart hinein und lehnte sich tiefer in seinen Sitz zurück. Vorsichtig berührten seine dreckigen Finger seine Gesichtshälfte, die inzwischen grün und blau war. Um die Begegnung mit der Bratpfanne beneidete ihn Mal nicht. „Crew ist Crew“, antwortete Mal. Zu einer längeren Antwort hatte er ohnehin keine Zeit, als sie aus der Passage gefahren kamen und sich drei Personen mitten auf den Weg stellten und ihnen damit die Weiterfahrt versperrten. Wunderbar. „Die Allianz!“, presste Jayne harsch hervor. Mit einem Mal saß er kerzengerade und mit angespannten Schultern da, eine Hand bereits nach seiner Waffe angelnd. Mal packte sein Handgelenk, als er die Geschwindigkeit drosselte und sie zum Stehen kamen. „Lass mich das Reden übernehmen“, sagte er, als die drei Personen auf sie zu kamen. Die einzige Frau unter ihnen trug eine Laterne in der Hand und an dem erschrockenen Laut, der Jayne entfuhr, wurde Mal bewusst, dass das Lieutenant Brooks sein musste, von der Jayne auf der Serenity erzählt hatte. Ihr voraus gingen zwei Männer: einer mit Cowboyhut und Stiefeln, der andere mit ausdruckslosem Gesicht und einem Scharfschützengewehr. Alle drei trugen sie die gräuliche Uniform der Allianz. „N’abend“, sagte der Mann mit dem beigen Cowboyhut. „Ich bin Lieutenant Givens und das sind Lieutenant Brooks und Lieutenant Gutterson. Ist das hier nicht der Rover, der den ganzen Tag in der Nähe des Gemischtwarenladen gestanden hat?“ Sein Blick ging zu seinen Kollegen herüber, so dass es schwer zu sagen war, an wem diese Frage gerichtet war. Andererseits war es weniger eine ernstgemeinte Frage als eine Feststellung. „Definitiv derselbe“, kommentierte Brooks. „Ist das ein Problem?“, fragte Mal. „Wir sind nur zu Besuch auf Harlan. Die Regeln sind uns also nicht so geläufig, wie man vielleicht glauben mag.“ „Zu Besuch auf Harlan wofür? Und kommt uns nicht mit der Geschichte über eine sterbenskranke Großmutter“, sagte Gutterson, der auch weiterhin sein Scharfschützengewehr im Anschlag trug. „Ihr habt Lieutenant Gutterson gehört“, fügte Givens hinzu. „Wir hören uns gern die Gründe für den blühenden Tourismus an.“ Er lehnte lässig an der Seite ihres Rovers, als hätte er die ganze Nacht Zeit. Mal glaubte ihm das sogar. Die Ladung, von der er nicht wusste, was sie überhaupt beinhaltete, lag wie ein bleischweres Gewicht in seinem Magen. „Vorräte aufstocken.“ „Mitten in der Nacht?“ Brooks umrundete den Rover und hielt die Laterne in die Höhe, um die länglichen Kisten auf dem Rücksitz zu betrachten. „Wer verkauft um diese Uhrzeit noch was?“ Hatten sie hier gewartet und hielten jeden an, der noch unterwegs war? Oder hatten sie speziell nach ihrem Rover Ausschau gehalten? Nach Jayne? Kaylees Worte kehrten zu Mal zurück: Hatte Boyd das hier angezettelt, um die Allianz von seiner eigenen Spur abzubringen? Ein Seufzen schaffte es über Mals Lippen und er hob beide Hände. „Ihr habt uns erwischt. Es ist verbilligte Kohle, die ein Kerl hier unter der Hand verkauft und—“ „Meisner“, entrann es Gutterson. Givens nickte. „Ist es nicht immer Meisner?“ Verwirrung zeichnete sich auf Mals Gesicht ab und auch Jayne warf ihm einen überforderten Blick zu. Die drei Offiziere würdigten sie jedoch keines Blickes, als sie sich miteinander austauschten. „Ich frage mich, wie oft wir noch bei ihm vorbeischauen und ihm erklären müssen, dass er dafür die Zelle von innen sehen wird“, sagte Givens. Lieutenant Brooks ließ von den Kisten ab und stemmte die freie Hand in die Hüfte. „Bis wir ihn endlich verhaften und er eben jene Zelle von innen sieht.“ „Genügend Beweise haben wir ja jetzt“, gab Gutterson zu bedenken. Givens wandte sich wieder Mal und Jayne zu und studierte ihre schattenbesetzten Gesichter mit Interesse. „Ihr würdet nicht zufällig gegen ihn aussagen wollen, oder? Ich meine, vielleicht würden wir euch dann eure Ware überlassen. Ihr versteht sicher, dass wir die eigentlich konfiszieren müssen, nicht?“ Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann darauf, dass die Allianz einem stets einen Stein in den Weg legte. Und da wunderte man sich noch über Mals Abneigung ihr gegenüber... „Ich würde das liebend gern tun“, erwiderte er, „aber um ehrlich zu sein, hat er nie seinen Namen gesagt und wir haben sein Gesicht auch nicht gesehen. Es war ziemlich... dunkel beim Austausch.“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen, welches sich auf Givens Lippen freudlos widerspiegelte. „Er ist ein cleverer Mistkerl“, sagte Givens. „Sieht ganz danach aus“, antwortete Mal, als Givens sich schlussendlich abwandte. „Verschwindet einfach, bevor ich es mir anders überlege.“ „Du willst sie gehen lassen?“, fragte Gutterson, wobei kein Erstaunen in seiner Stimme mitschwang, was Mal versicherte, dass es nicht das erste Mal sein konnte. „Ja... nun ja... was sollen wir mit kleinen Fischen?“ Mal zögerte nicht lange und fuhr stattdessen weiter. Einem geschenkten Gaul schaute man bekanntlich nicht ins Maul. Dafür war Mal auch nicht der Typ, sondern er nahm, was man ihm gab und machte sich aus dem Staub. Bisher hatte diese Taktik immer gut genug gewirkt. „Das war knapp“, bemerkte Jayne neben ihm, wobei sein Blick noch immer an den drei zurückgebliebenen Lieutenants hing, die hinter ihnen zurückblieben. „Eher seltsam“, korrigierte Mal, als sie aus der Stadt und den Pfad zum Hangarplatz hinauf düsten. Auch im Laderaum der Serenity hatte sich Dunkelheit verschanzt, welche weniger Aufmerksamkeit auf sich zog. Kaylee und Zoe warteten bereits auf sie, als Jayne und er nach einander die Kisten ins Innere schleppten. Sie besaßen ein ordentliches Gewicht und Mal wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Es kommen noch zwei mehr“, erklärte er Zoe, die auf einer kleinen Holzkiste saß und das Gewand, das sie inzwischen trug, bei der kühlen Nachtluft enger um ihre Schultern zog. „Ich wusste, dass Tom Paris uns Ärger machen wird, Sir“, bemerkte Zoe mit leiser Stimme, als Jayne die Kisten schabend über den Boden zu der Stelle schob, die Kaylee ihm zeigte. Mal legte die Stirn in Falten. „Eigentlich hast du gesagt, dass du ihn nicht magst.“ „Das läuft auf dasselbe hinaus. Es war nur anders ausgedrückt.“ „Hättest du das dann nicht gleich so sagen können, Zoe? Damit hättest du mir eine Menge Arbeit erspart.“ Denn dann hätte er Tom gleich wieder vom Schiff geworfen und sie wären jetzt nicht hier und müssten sich mit Boyd und seinem Allianzproblem herumschlagen. Doch in Zoes Gesicht zuckte kein Muskel. „Ich bezweifele, dass es nicht auf dasselbe hinausgelaufen wäre... Sir.“ „Das werden wir jetzt niemals erfahren.“ Mit diesen Worten wandte sich Mal ab, um Jayne herüberzuwinken und zum Rover zurückzukehren. Die Nacht war noch nicht vorbei und umso schneller sie von Harlan verschwinden konnten, umso besser. Der Gedanke, dass ihnen das in letzter Zeit auf vielen Planeten so erging, verfolgte ihn die gesamte Rückfahrt zum Lagerhaus. Wenigstens war keine Spur mehr von den drei Lieutenants zu sehen. Vielleicht knüpften sie sich gerade (in diesem Fall den sogar unschuldigen) Meisner vor, wer auch immer der Kerl letztendlich sein sollte. Das sollte Mal wahrscheinlich leid tun, tat es jedoch nicht. Jeder musste sehen, wo er blieb und wie er überlebte. Mal bildete darin keine Ausnahme. IV. Stimmen im Kopf. Vampire. Gebrochene Seelen an Bord. -------------------------------------------------------- 10 Die Neonlichter in der Krankenstation summten. Es war so leise, doch River konnte es hören. Umso mehr sie sich konzentrierte, umso lauter schien es zu werden, durchgehend und einlullend. Es war eine stete Melodie, die sich in ihrem Kopf festsetzte und klare Gedanken verwischte. Sie hinterließ eine Leere, die nur von vertrauten Stimmen begleitet wurde. „Die Blutwerte sind gut“, sagte Simon. „Der Ultraschall auch. Es könnte dem Baby kaum besser gehen. Über die Müdigkeit würde ich mir keine Sorgen machen. Aber ich habe noch ein paar Vitamintabletten, die es ausgleichen sollten.“ River presste sich fester gegen die Wand in ihrem Rücken, die hart und unnachgiebig war. Im Inneren der Krankenstation öffnete Simon derweil eine Schublade und wühlte in ihr herum, obwohl sie alle wussten, dass Simon die ordentlichste Person auf dem Schiff war. Jedenfalls war er um einiges ordentlicher als Jayne, der seine Sachen überall herumliegen ließ und nur die Wand über seinem Bett, die seine Waffen hielt, aufräumte. Und Simon war auch ordentlicher als Shepherd es gewesen war, der stets eine durcheinander geratene Bibel mit sich herumgetragen hatte und River verboten hatte, ihre Korrekturen zu beenden. „Hier“, erklang Simons Stimme erneut. Die Liege gab ein winziges Quietschen ab, als sich Zoe erhob. „Danke, Doktor.“ Kurzzeitig folgte ein Schweigen, in dem das Summen der Lichter lauter denn je wirkte. Vielleicht war es in Wirklichkeit so laut, dass es Simon und Zoes Stimmen verschluckt hatte. Vielleicht redete River gerade selbst, doch auch ihre Worte gingen in dem beständigen Summen unter, welches ihren Kopf mit Watte füllte. Mit offenem Mund richtete River den starren Blick an die Decke des Ganges. „Alles in Ordnung?“, fragte Zoe irgendwo hinter ihr und ihre Frage hing für einige Sekunden unbeantwortet in der Luft. „Ja... Ja... es ist nur... River“, beantwortete Simon schlussendlich. Doch seine Schwester wusste es besser, als auf ihre namentliche Erwähnung zu antworten. Der zögerliche Ton sagte ihr, dass Simon über sie redete, aber nicht mit ihr. Wenn er sie direkt ansprach, waren seine Silben sanfter. Fast so, als würde sie sonst in Tausenden von Glassplittern zerbrechen. Wie sich das wohl anfühlen mochte? Würde sie sich schneiden oder viel eher jemand anderen schneiden? „Sie wirkt unruhiger in den letzten Tagen“, sagte Zoe und Simon stieß ein Seufzen aus. Es war schwer, als hätte ihm jemand die Luft aus der Lunge gedrückt. „Nicht nur das“, erwiderte er. „Sie schläft auch schlechter. Seit wir von Harlan losgeflogen sind, wacht sie oft mitten in der Nacht schweißgebadet auf oder sie redet im Schlaf. Sie isst auch weniger und wirkt allgemein unkonzentrierter. Ich dachte wirklich, dass sich das dauerhaft gebessert hat, nachdem sie die letzten Monate so stabil gewesen ist. Ich hoffe nur, dass wir bald auf der Raumstation ankommen, damit River mal etwas anderes sieht. Vielleicht hilft ihr das.“ „So wie ich das sehe, wird sie nie vollkommen normal sein – wenn ich das so sagen darf. Sie scheint gute und schlechte Tage zu haben.“ Zoe klang nicht allzu besorgt, sondern gefasst und unabhängig und stark. Zoe war eine Kriegerin und das kleine Mädchen in ihren Leib würde ebenfalls eine werden. Dieser Gedanke kam unerwartet in Rivers Kopf geschossen, zeitgleich wusste sie jedoch, dass er richtig war. „Damit hast du wohl recht. Ich wünschte nur, ich könnte ihr helfen“, sagte Simon und sein Ton war weich wie frisch gebackenes Brot, das unter einem blauen Himmel gegessen wurde. River hatte den Geschmack auf der Zunge, während die Decke aus rustikalem Metall sich unendlich weit und blau vor ihr auftat. Sie schloss die Augen, als die Sonne sie zu blenden begann und ihre kühle Haut wärmte. Das Summen der Lichter verwandelte sich in das Zirpen von Grillen und alles in River schrie danach, sich zu bewegen und zu tanzen und tanzen und tanzen. Sie löste sich von der Wand und rannte barfuß den Gang herunter. Sie streckte die Arme aus und nahm zwei Stufen auf einmal, als sie den Laderaum der Serenity erreichte. Sie konnte den Wind auf der Haut spüren, als sie unter dem Lüftungsschacht stehen blieb und sich die Frische in das Gesicht blasen ließ. Das Summen der Lichter sang hier ein anderes Lied. Das Lied zog sie zu den runden Bullaugen hinüber, hinter denen sich die Sterne auftaten. Das All war endlos und weit und die Sterne saßen wie Glühwürmchen in der Ferne und pulsierten mit ihrem Licht. River presste die Hand gegen die kalte Scheibe, als könnte sie hindurchfassen und eines der Glühwürmchen einfangen. Etwas weckte sie urplötzlich aus ihrer Trance und ließ sie herumfahren. Hektisch wanderten Rivers Augen durch den Laderaum, über all die verschiedenen Kisten, über den Rover und das andere Equipment. Doch erst als sie konzentrierter lauschte, vermochte sie den Unterschied wahrzunehmen. Auch hier vermischten sich Stimmen mit dem stetigen Summen, das die Luft erfüllte. Anders als Simons und Zoes waren sie fremd und unverständlich und... verzweifelt. Rivers Hände fanden den Weg an ihre Ohren und pressten sich auf sie, krallten sich in ihr braunes Haar hinein, als wollten sie es ausreißen. Tränen sammelten sich in ihren Augen, denn die Stimmen wollten nicht aufhören, sondern flehten und bettelten und riefen nach jemandem, nach irgendjemandem. Nach ihr. Ein spitzer Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sie zu den länglichen Kisten herüberstolperte. Sie taumelte auf sie zu und ließ sich vor ihnen auf die Knie fallen. Den Schmerz, als ihre Finger an dem Holz kratzten und sich Splitter in ihr Fleisch gruben, nahm sie nicht wahr. Es war nicht das Summen, was alles andere wie ein schwarzes Loch verschluckte, sondern die Stimmen, die sich in ihre Ohren, in ihr Gehirn, stahlen. „Warum schlaft ihr? Warum liegt ihr herum?“, schrie sie und hämmerte auf eine der Kisten ein, bevor sie sanft über ihr Holz strich. Im Hintergrund ertönten rasche Schritte, gefolgt von Stimmen, die so lebhaft waren. „Was ist los?“, rief Mal hinter ihr aus. „Was ist passiert?“ „Deine Schwester hat schon wieder einen ihrer Anfälle, Doktor“, presste Jayne harsch hervor und Sekunden später schlangen sich zwei Arme um ihre Schultern. „Ist schon in Ordnung. Beruhige dich“, wisperte Simon in ihr Ohr. Sanft, aber bestimmt wollte man River von den Kisten wegziehen, doch sie kämpfte gegen den Halt ihres Bruders an. „Ihr seid tot, aber ihr seid es nicht.“ Tränen kullerten über Rivers Wangen und tropften von ihrem Kinn, als sie sich mit Leibeskräften an den Kisten festklammerte. „Steht auf! Ihr müsst tanzen! Der Himmel ist viel zu blau, um zu schlafen! Steht doch auf!“ Das Stimmengewirr um sie herum schwoll an, doch es waren nicht die aus den Kisten, die durcheinander redeten und zu dem Durcheinander in Rivers Kopf beitrugen. „Mit wem redet sie?“, fragte Tom atemlos. „Sie redet mit niemandem“, antwortete Inara. Mal schnaubte. „Ich bin mir da nicht so sicher.“ „Was soll das heißen?“ Jayne wieder. „Was redet sie da, Mal? Anderes als wirres Zeug? Blauer Himmel? Tanzen?“ „Vielleicht hast du recht, Sir“, entgegnete Zoe und die Atmosphäre wurde schwerer und schwerer, wie kurz vor einem Regenfall, dessen Geruch man vor dem Fallen des ersten Tropfens wahrnehmen konnte. River presste die Stirn gegen das Holz der Kiste und kniff die Augen zusammen, als jemand (sie selbst!) murmelte und flehte und weinte und kreischte. „Hol das Beruhigungsmittel aus der Krankenstation, Kaylee“, rief Simon, der noch immer an ihr festhielt, als würde sie ihm sonst entrissen werden. Verstand er denn nicht? Warum verstand er bloß nicht? „Okay.“ Schnelle Schritte entfernten sich, stiegen Metallstufen hinauf und verloren sich in dem Trubel. „Wo ist Johnny? Ich will wissen, was sich in den Kisten befindet.“ Für einen Moment übertönte Mal sie alle und riss das Ruder herum, brachte sie alle zum Schweigen. Alle, nur nicht die Fremden, die so nah waren. Nah und gleichzeitig so unantastbar. „Warum schlaft ihr?“, wisperte River und zärtlich fuhren ihre Fingerkuppen über den Rand der Kiste. „Hat jemand gerufen?“ Johnnys Stimme war die tiefste von allen und rau wie Sandpapier. „Was ist los? Ich hab jemanden schreien hören.“ Der Schritt seines dritten Beins erklang dumpf und leblos in Rivers Ohren. „Was los ist? Sie ist wegen der Ladung von dir und deinem Cousin ausgeflippt. Total durchgedreht und—“ „Jayne...“, mahnte Mal, bevor er seine Forderung wiederholte. „Ich will wissen, was sich in den Kisten befindet. Das letzte Mal, als River sich so reizend benommen hat, standen wir auf einem Planeten voller Leichen.“ „Was zum—“ „Es ist wahr“, fuhr Zoe Johnny über den Mund. Ein kurzes Schweigen herrschte, was keines war, denn die Stimmen redeten im Flüsterton auch weiterhin auf River ein - so viele Worte durcheinander, unverständlich und beharrend. Sie alle verlangten gleichermaßen nach Rivers Aufmerksamkeit. Sie kauerte mit tränenverschmiertem Gesicht und zittrigen Händen bei den Kisten, denn egal, was sie sagte, sie wollten nicht auf River hören. Sie wachten nicht auf. Sie tanzten nicht. „Ich... Denkt ihr, Boyd weiht mich in seine Geheimnisse ein? Ha!“, rief Johnny aus. „Ich hab keinen Schimmer, was sich in diesen verflixten Kisten befindet oder was Boyd unbedingt verschiffen wollte. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ist es mir auch egal.“ „Wenn das so ist, dann können wir sie auch öffnen und einfach reinsehen. Oder nicht, Mal?“, schlug Jayne vor. „Ich kann nicht glauben, dass ich das jemals sage, aber... Jayne hat recht.“ Auf Mals Worte folgten weitere Schritte, die sich River und Simon annährten. Ein Klirren ertönte nicht weit entfernt, bevor das Brecheisen bei einer der Kisten ansetzte. Der Kloß in Rivers Hals löste sich im selben Bruchteil der Sekunde. Sie konnte atmen, frei und unbefangen. Ihre blutigen und splitterigen Finger lösten sich vom Holz. Simon nahm sie in die Hand und hielt sie behutsam fest, als ihr Bruder sie zur Seite führte und sie sich nicht gegen ihn wehrte. Ihre Augen blieben jedoch auf die Kisten gerichtet, auf die eine, die Mal öffnete. Niemand redete mehr, weder Serenitys Crew noch die fremden Stimmen in den Boxen. Der Nebel in Rivers Kopf lichtete sich und hinterließ eine Klarheit, die ebenso verwirrend zu akzeptieren war. Simon wischte ihr die Tränen von den Wangen, doch River schob seine Hände mit einem genuschelten „Nicht, Simon“ beiseite. Mit Jaynes Hilfe klappte Mal die Holzkiste auf. Die inzwischen mit der Beruhigungsspritze zurückkehrende Kaylee zog scharf die Luft ein, als sie inmitten des Laderaums zum Stehen kam. Erst nach und nach zog sich der Kreis um die Kisten enger, bis sie alle auf den eingefrorenen Mann heruntersahen, der dort in einer Truhe lag. Das Glas war beschlagen, doch man konnte sein bleiches Gesicht erkennen, ebenso wie das weißblonde Haar. „Was zum Teufel... Schon wieder tiefgefrorene Menschen. In den anderen garantiert auch.“ Jayne war der erste, der die Sprache wiederfand. „Sind das auch irgendwelche Geschwister von dir, an denen die Allianz herumexperimentiert hat?“ „N-Nein“, versicherte ihm Simon. „Ich kenne ihn nicht.“ Mal nahm abermals das Brecheisen in die Hand, um auch die restlichen Kisten aufzubrechen. Auch sie enthielten drei weitere Personen: zwei junge Frauen und einen weiteren Mann mit dunklem Haar. „Johnny—“, begann Mal, doch er beendete seinen Satz nicht. River entzog sich Simons Armen mit einer Geschwindigkeit, durch die selbst ihr wuselig im Kopf wurde, als sie auf die Truhen zustolperte. Ihr Finger fand den richtigen Knopf auf jedem einzelnen Kontrollpad durch Instinkt. Es war eines dieser Dinge, die sie einfach wusste. Ein Zischen nach dem anderen erfüllte den Bauch der Serenity, als die Truhen sich öffneten und ihnen eiskalte Luft entwich. „Ich bin der einzige, der ein schlechtes Gefühl hierbei hat?“ „Nein, Sir“, erwiderte Zoe und River sah alle anderen zustimmend den Kopf schütteln.   11 Ein Lachen wollte sich den Weg aus Johnnys Kehle bahnen, doch er presste die Lippen fest aufeinander, um es zu unterdrücken. Die anderen würden es falsch auffassen. Sie waren auch schon so bereit gewesen, ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben – und wer konnte sagen, was sie mit Leuten taten, von denen sie der Meinung waren, sie hätten sie hintergangen. Doch auch für das verstärkte Misstrauen durfte sich Johnny bei seinem geliebten Cousin bedanken. Vermutlich hätte er diese Wendung kommen sehen müssen, denn immerhin wusste er, dass man Boyd nicht vertrauen konnte. Dass er mit seinen Worten und seinem Charme wunderbar andere um den Finger wickeln konnte, aber letztendlich nur in seine eigene Tasche arbeitete. Andere wurden benutzt und wie ein dreckiges Tuch weggeworfen, da sie nicht mehr würdig waren, sich in Boyds Anwesenheit zu befinden. In der Anwesenheit seines Cousins, der vor einem Jahr noch Gott gefunden und ihnen die Bibel gepredigt hatte, nun jedoch tiefgekühlte Menschen per Luftpost verschickte. Ein freudloses Lächeln huschte gegen Johnnys Willen über sein Gesicht, als das Zischen der entweichenden Luft aus den Truhen leiser wurde und gänzlich verebbte. Stille herrschte unter ihnen. Überraschender Weise war der Doktor der erste, der sich aus seiner Starre löste. Mit langsamen Schritten näherte er sich den Kisten an und öffnete die Glasscheibe der ersten. Seine Finger legten sich an den Hals des Mannes mit den weißblonden Haaren. „Er ist tot“, fasste Simon zusammen. „Er hat keinen P—“ Im selben Augenblick, in dem diese Worte seinen Mund verließen, fuhr der Mann hoch und packte Simons Handgelenk. Die Mechanikerin stieß einen Schrei aus, während Mal, Zoe, Jayne und Tom nach ihren Waffen griffen. Vier Sicherungen wurden gleichzeitig gelöst, als der Kerl sich auf Simon warf. Krachend gingen sie zu Boden und wälzten sich über ihn, bevor der Fremde sich an den Kopf fasste und ächzend zur Seite fiel. „Argh, verdammt!“, entwich es ihm zischend und er presste die Stirn gegen den Stahlboden. „Was ist das? Was habt ihr mit mir angestellt?“ Rücklings krabbelte Simon von ihm weg, bis Inara und Kaylee ihm auf die Beine halfen. „W-W-Was...“ „Was zum Teufel geht hier vor?“, beendete Mal für Simon, den Revolver auch auf den Fremden gerichtet, der sich weiterhin den Kopf hielt. „Hat jemand auf ihn geschossen und ich hab’s nicht mitbekommen?“ Er blickte sich in der Runde um, doch die Gesichter der anderen spiegelten dieselbe Verwirrung wider. Auch Johnny hatte keinen Schuss gehört, denn es war keiner gefallen. Nach einigen Minuten schien der Schmerz im Schädel ihres Gegenübers abgeklungen, zumindest setzte er sich mit schweren Gliedern auf. Sein schwarzer Mantel war halb von einer Schulter gerutscht und das knochige Gesicht sah finster drein, als er seine Umgebung musterte. „Wo bin ich? Das hier sieht aus wie eine Sardinenschachtel – und es riecht auch so“, sagte er abfällig, als hätte er nicht soeben versucht, einen von ihnen anzugreifen. „Du hattest keinen Puls...“, presste Simon atemlos hervor und hielt sich an Inara und Kaylee fest, die ihn noch immer stützten. So bleich wie der junge Arzt geworden war, lag es jedoch nicht fern, dass er gleich erneut Bekanntschaft mit dem Boden machen würde. „Du... du bist klinisch tot.“ Der blonde Mann sah ihn unbekümmert an und klopfte sich den Dreck von den Kleidern. „Ach, bin ich das?“ Mit einem Ächzen kam er auf die Beine und beäugte die Pistolen- und Gewehrläufe, die auf seine Person zielten. „Es wäre nett, wenn ihr eure Spielzeuge in eine andere Richtung deuten würdet.“ „Du bist auf meinem Schiff und jemand, der meine Crew angreift, ist der letzte, der Forderungen stellen kann“, merkte Mal mit zusammengezogenen Brauen an. „Wer bist du?“ „Spike.“ Jayne schob sich einen Schritt nach vorn, Vera im Anschlag. „Spike wer?“ „Spike Spike“, erwiderte Spike, nachdem er Jayne von Kopf bis Fuß mit einem desinteressierten Blick bedacht hatte. „Aber was hast du in der Kiste gemacht?“, fragte Kaylee und Spike verdrehte die Augen. „Woher soll ich das wissen? Das letzte, an was ich mich erinnere, ist dass ich mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert hab. Mehr oder weniger zumindest. Eigentlich waren es eher die Angelegenheiten der Slayer“, erklärte Spike, wobei er im selben Augenblick die anderen Truhen entdeckte, die ebenfalls Personen enthielten. „Ach nein, euch hat es also auch getroffen...“ „Was ist ein Slayer?“, wollte Zoe wissen, während Johnny die entscheidende Frage stellte, auf die keiner dieser Tölpel zu kommen schien. „Wer hat euch erwischt?“, fragte er. „Hab ich hinten Augen im Kopf?“, gab Spike zurück und drehte ihnen besagten Hinterkopf kurzzeitig zu. Blicke wurden ausgetauscht und er stieß einen langen Seufzer aus, der von Ungeduld sprach. Johnny kannte dieses Gefühl gut. Ein Hämmern war hinter ihnen zu hören und allesamt fuhren herum. Eine der Frauen war aufgewacht, die Augen vor Schreck geweitet, als sie gegen das Glas hämmerte. Mal gab Zoe mit einem Wink zu bedeuten, dass sie auf Spike achten sollte, als er sich der Kiste annährte und mit erhobenem Revolver langsam die zweite Truhe öffnete. Anders als Spike ging sie nicht auf den Captain der Serenity los, sondern setzte sich nur langsam auf. Ihr blondes Haar wallte ihr über die Schultern und sie erhob die Hände in unschuldiger Manier. „Ich... Bitte nicht schießen?“, entwich es ihr kleinlaut. „Wo sind wir? Was ist passiert?“ Flüchtig sah sie sich um,  doch ihr Gesicht spiegelte dieselbe Orientierungslosigkeit wider, wie auch Spikes zuvor, nur hatte dieser sich schneller gefangen. Was hatte Boyd da am Laufen? Wer waren diese Leute? Das kam Johnny doch alles etwas merkwürdig vor und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er die Antworten auf diese Fragen nicht mögen würde. „Wer seid ihr?“, fragte sie weiter, als sie die fremden Gesichter musterte. „Die sind alle hier sehr sparsam mit ihren Informationen, Liebes“, bemerkte Spike. „Die wissen nicht mal, was ein Slayer ist.“ „Spike“, stieß sie überrascht aus. Mal wedelte mit dem Revolver in seiner Hand, um die Aufmerksamkeit der jungen Dame auf seine Person zu lenken. „Ich bin Mal und ich würde jetzt sehr gern wissen, wer du bist und wo ihr verdammt noch mal herkommt.“ „I-Ich bin Buffy Summers“, stellte sich die junge Frau vor, blieb jedoch in der Truhe sitzen. Fast so, als hätte sie Angst, Mal würde sie erschießen, wenn sie eine falsche Bewegung machte. Das bezweifelte Johnny jedoch. Mal war weich wie Butter in der Sonne. Das hatte er bewiesen, als er sich für einen nichtsnutzigen Kerl wie Tom Paris auf einen Deal mit Boyd eingelassen hatte. „Ich... wir wurden angegriffen“, erzählte Buffy und runzelte die Stirn, als sie versuchte sich zu erinnern. „Von irgendwas Elektronischem. Wahrscheinlich von der Initiative.“ Sie redete so leise, dass es den Eindruck machte, als würde sie mit sich selbst sprechen, anstatt mit Mal. Ihr Finger tippte gegen ihr Kinn. „Es muss die Initiative gewesen sein. Niemand anderes benutzt diese Art von Waffen. Giles weiß bestimmt mehr.“ Abrupt sah sie auf und starrte Mal an. „Ich muss mit Giles sprechen! Wo ist er?“ Doch Mal zuckte mit den Schultern, bevor er einen Schlenker mit dem Revolver zu den letzten beiden Kisten machte. „Vielleicht in einer der anderen Truhen? Wenn nicht, dann ist er definitiv nicht an Bord.“ Buffy drehte den Kopf, bevor sie sich umständlich erhob und aus ihrem bisherigen Gefängnis kletterte. Ihre Schritte waren unsicher und Tom packte ihren Oberarm, als sie gefährlich wankte. „Vorsicht...“, murmelte er, doch sie hörte ihm nicht zu, sondern taumelte nur auf die anderen Truhen zu. Die Scheiben waren durch die Temperaturunterschiede beschlagen und Buffy wischte mit der flachen Hand über das Glas. Sie zog scharf die Luft ein, als sie in das schlafende Gesicht der zweiten Frau schaute. „Faith...“ Anders als Buffys waren ihr Gesichtszüge runder und ihr Haar ein dunkler Braunton. Rasch wandte Buffy sich wieder der Crew zu. „Ihr dürft sie nicht rauslassen, wenn sie aufwacht. Sie ist unberechenbar. Nicht einmal ich weiß, wie sie anfangs reagieren wird.“ „Sie ist wütend“, flüsterte River, die unbeteiligt daneben stand. Ihre Hände hingen locker an ihren Seiten herunter und sie legte den Kopf schief, als sie Faith mit starrem Blick betrachtete. Von ihrer vorigen Hysterie war nichts mehr zu entdecken. „Sie... hasst.“ „Das klingt ja berauschend“, murmelte Mal und sah sich im Lagerraum um. „Jayne, hol ein – nein, zwei oder am besten gleich drei – Seile, damit wir unsere blinden Passagiere erst einmal dingfest machen können.“ Jayne musterte grimmig die Kisten und zählte sie mit den Fingern nach. „Sind es nicht vier?“ „Jayne, mach einfach, was ich sage.“ Als Jayne grummelnd dem Befehl nachkam, trat Zoe zu Mal herüber, ihre Schrotflinte auch weiterhin auf den Kerl mit den weißblonden Haaren gerichtet. „Du willst das Mädchen nicht fesseln?“, fragte sie so leise, dass Johnny es kaum verstand. „Für mich macht sie bisher den einzig vernünftigen Eindruck“, erwiderte Mal und sah zu Spike herüber, der ihnen ein falsches Grinsen schenkte. Johnny musste Mal in diesem Fall gedanklich zustimmen. Wenigstens war er an einen Captain geraten, der so etwas wie Grips besaß. Es blieb zu hoffen, dass er genügend hatte, um zu begreifen, dass Johnny selbst ebenfalls ein Opfer und kein Täter in dieser Sache war. Jayne kehrte mit dem Seil zurück und die Lockerheit verschwand aus Spikes Gesicht. Seine Haltung veränderte sich, erinnerte Johnny an die eines Raubtieres. Bevor er jedoch zum Angriff übergehen konnte, schlug er erneut eine Hand gegen die Stirn. Schmerz zeigte sich auf seinem blassen Gesicht und Jayne nutzte den Moment der Schwäche aus, um seine Hände zu fesseln. „Wunderbar“, bemerkte Spike atemlos, als er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Warum habt ihr mich nicht gleich in der Kiste da gelassen. Da hab ich wenigstens nicht mitbekommen, dass ich gefangen gewesen bin. Und was habt ihr nun – hey, hört mir überhaupt jemand zu!?“ „Beeilt euch“, wies Buffy an und nahm Jayne eines der Seile ab, um Faith selbst fesseln zu können. Johnny beobachtete sie dabei. So hatte man die Gefangenen gern. Sie verrieten ihre Freunde und Bekannte und halfen einem noch dabei, sie unschädlich zu machen. Fest wurde das Seil um die kräftigen Handgelenke der anderen Frau geschnürt, die noch immer bewusstlos in ihrem eisigen Gefängnis lag. Anstatt sie herauszuholen, schloss Buffy die Glasscheibe wieder, bevor sie sich erhob. „Puh!“, stieß sie aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das wäre erledigt.“ „Ganz so vorbei ist es noch nicht“, bemerkte Mal, der noch immer die Pistole auf sie gerichtet hatte. „Erst einmal erklärst du uns, was passiert ist und warum euch jemand tiefgefroren verschickt.“ Buffy öffnete den Mund, doch Jaynes Schrei unterbrach sie. Der Mann in der letzten Kiste, die er soeben geöffnet hatte, war erwacht. Seine Arme hatten sich um Jaynes Schultern geschlungen, ehe er ihm die Hände hatte abbinden können. Seine Stirn war seltsam verformt und die überlangen Fangzähne schlug er fauchend ins Jaynes Hals. Dieser versuchte ihn wegzudrücken, als ein weiterer Schrei seiner Kehle entfuhr. Bevor einer der Umstehenden reagieren konnte, überbrückte Buffy den Abstand zu den zwei Männern. Sie packte beide an den Schultern und riss sie auseinander. Jayne fiel nach hinten, die Hand auf den blutigen Hals gepresst, während der Fremde mit einem Kinnhaken von Buffy zurück nach hinten in die Truhe fiel. „Sargform hat es ja schon mal“, presste sie hervor, als sie den Glasdeckel zuschlug und sich auf ihn setzte, um das Entkommen des Monsters zu verhindern. Ihr Blick wanderte zu Johnny und den anderen. „Hallo? Wie wäre es mal mit etwas Spitzem?“ „Etwas Spitzem?“, erkundigte sich Mal und hob die Brauen. „Ja? Einem Pflock? Um den bösen Vampir zu töten?“ Zögerlich zog Kaylee den Schraubenschlüssel aus einer tiefen Tasche ihres Anzugs und reichte ihn Buffy mit bebenden Fingern. „S-Sowas zum Beispiel?“ Buffy wandte ihn in der Hand hin und her, ehe sie mit den Schultern zucken. „Das sollte es auch tun.“ Sie stieg von der Truhe herunter, öffnete sie und schlug dem Mann den Schraubenschlüssel unzeremoniell ins Herz. Kaylee schlug die Hände vor die Augen, um es nicht mit anzusehen, während alle anderen dem Geschehnis beiwohnten. Die Haut des Mannes verdunkelte sich zunehmend und begann zu bröckeln, bis er letztendlich mit einem Ächzen zu Staub zerfiel.   12 „Was ist gerade passiert?“, entfuhr es Mal und er fuchtelte mit dem Revolver zwischen Buffy und dem Haufen Asche hin und her, der in die Truhe zurückgefallen war. „E-Er hat einfach Puff gemacht und ist verschwunden“, wisperte Kaylee, die inzwischen die Hände wieder von den Augen genommen hatte. Ein Beben unterlag ihnen noch immer, welches ihren gesamten Körper in Besitz nahm. Hinter ihnen ließ Spike ein Schnauben vernehmen. „Er hat Puff gemacht, weil Buffy ihm dieses Ding ins Herz gerammt hat. Was erwartet ihr da, huh?“ Die Genannte sah von einem zum anderen. „Ich weiß, es ist schwer zu begreifen, aber das war ein Vampir.“ Als das Unverständnis nicht aus den Gesichtern der Anwesenden verschwand, fuhr Buffy mit langsamer Stimme fort. „Vampire... schlecht.“ Sie erhob sich aus ihrer gebückten Haltung und Kaylee schrak instinktiv einige Schritte zurück. Derweil kam vom Boden ein Stöhnen und Simon ging neben Jayne auf die Knie, um sich die Wunde an seinem Hals anzuschauen. Über seine Schulter hinweg konnte Kaylee die zwei Einstichstellen erkennen, aus denen das Blut sickerte. „Ich muss die Wunden behandeln“, erklärte Simon, wandte sich jedoch zunächst Buffy zu. „Er... wird sich aber nicht in einen du-weißt-schon verwandeln, oder?“ Buffys Gesichtsausdruck wurde sanft. „Nein, keine Sorge. Dafür ist mehr als ein einfacher Biss nötig.“ „Tom, hilf Jayne in die Krankenstation“, befahl Mal und der blonde Pilot zog Jayne unelegant auf die Beine. Gemeinsam mit Simon torkelten sie die Stufen hoch und verschwanden im Gang, bevor sich Mal Spike zuwandte. „Bist du auch so einer? Ein Vampir?“ Spike hob eine Augenbraue. „Was, wenn ich es bin?“ „Dann“, begann Mal, zögerte jedoch für den Bruchteil einer Sekunde, „kann du wahrscheinlich Bekanntschaft mit der Luke da vorn machen, die dich direkt ins All saugen wird.“ „Macht euch keine Sorgen um Spike“, bemerkte Buffy nonchalant und zuckte mit den Schultern. „Bellende Hund beißen nicht. Zumindest Spike tut es nicht mehr.“ „Hey! Was soll das heißen?“, entfuhr es Spike. „Es soll heißen, dass ich mich nicht mehr an besonders viel erinnern kann, aber daran, dass die Agenten irgendwas von einem Chip erzählt haben, den sie dir eingepflanzt haben“, erklärte Buffy und ein siegreiches Lächeln huschte über ihre Züge. „Der soll dich davon abhalten, jemandem Schaden zufügen zu wollen. Wenn du mich fragst, ist das das einzig Gute, was die Initiative jemals getan hat.“ „Du!“ Spike schnellte vor und wollte sich auf sie werfen, sackte auf halbem Weg zu Buffy jedoch mit einem Keuchen auf die Knie. Abermals waren seine gefesselten Hände gegen seine Stirn gepresst. „Seht ihr“, sagte Buffy zu Mal, Zoe, Kaylee, Johnny, Inara und River, welche dem kleinen Spektakel beiwohnten. „Praktisch“, erwiderte Mal und nickte nachdenklich. „Ein Vampir-Maulkorb“, fasste Zoe zusammen. Erst jetzt erlaubte sie es sich, ihre Schrotflinte zu senken. „Wenn er ein Vampir ist“, begann Kaylee schließlich und deutete mit dem Finger auf den ächzenden Spike in ihrer Mitte, „ist er dann ein Jiang Shi?“ Die Legenden um die Jiang Shi waren nicht allzu weit verbreitet und bis vor ein paar Jahren hätte Kaylee mit diesem chinesischen Mythos ebenfalls nichts anfangen können. Allerdings erzählten sie in Tavernen gern Schauermärchen am Abend, besonders wenn es draußen stürmte und der Wind heulend durch jede Ritze fuhr. Es hatte Kaylee schon oft schlaflose Nächte bereitet, wie damals, als River diese Männer erschossen hatte, ohne hinzusehen. Es waren die kleinen Dinge, die Kaylee erschreckten. „Wenn ja, ich hab gehört, wie man sie abwehren kann. Man muss einen besonderen Zauberspruch auf ein dünnes Blatt Papier schreiben. Mit dem Blut eines Hühnchens.“ Noch während Kaylee das sagte, stellten sich die feinen Härchen in ihrem Nacken auf, wenn sie an das arme Tierchen dachte, welches sie schlachten müssten. „Und dann klebt man ihn dem Jiang Shi auf die Stirn.“ Auf dem irritierten Blick ihres Captains hin, hing Kaylee ein „Was?“ heran. „Das ist widerlich.“ Buffy legte Kaylee eine Hand auf den Arm, als sie ihr den Schraubenschlüssel zurückreichte. Ihre Geste war sanft und beruhigend. „Keine Sorge. Spike ist kein Jiang Shi. Ein Pflock oder etwas anderes Scharfkantiges genügt aus, um sie zu erledigen. Wie der Kerl in der Kiste eben. Danach braucht man sie nur noch auffegen.“ „Gott sei Dank...“, stieß Kaylee aus. „Wie dem auch sei“, bemerkte Inara und starrte abwertend auf den am Boden knienden Vampir herunter, der finster dreinschaute. „Chip oder kein Chip, können wir ihn wirklich auf dem Schiff herumlaufen lassen?“ „Ja“, bemerkte Spike langgezogen. „Nein“, korrigierte Mal. Im selben Atemzug zog er Spike auf die Beine und wies Zoe an, ein weiteres Seil zu holen. Gemeinsam mit Buffy im Schlepptau bahnte die Truppe sich den Weg in den Gemeinschaftsraum, in dem Mal Spike auf den nächstbesten (und am weitesten vom Tisch entfernten) Stuhl beförderte. Zoe reichte ihm das Seil und grimmig ließ sich Spike an den Stuhl fesseln. „Autsch?“, entrann es ihm, als Mal fertig war. „Das Seil ist zu eng. Das drückt einem ja jegliche Blutzufuhr ab.“ Buffy hob eine feine Augenbraue. „Welche Blutzufuhr, Spike? Du bist tot.“ „Danke, das hätte ich beinahe vergessen.“ Diesmal war es Kaylee, die Buffys Aufmerksamkeit auf sich zog, indem sie sich zwischen die Frau und den Vampir stellte. „Du hast sicher Hunger. Wenn du willst, wärme ich dir die Reste vom Abendessen auf. Es ist nichts besonderes, aber...“ „Nein, das wäre wunderbar“, lenkte Buffy lächelnd ein. Spike sich selbst überlassend setzten sie sich alle an den langen Tisch, während sie sich untereinander vorstellten und Kaylee den Eintopf von vorhin auf dem Herd erwärmte, ehe sie Buffy das Essen servierte. Sie aß hastig und schnell, als wäre sie dem Verhungern nah und verlangsamte erst ihr Tempo, als sie die Blicke von Mal und den anderen bemerkte. Sie räusperte sich und errötete. „Entschuldigung. Es ist nur...“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wie lange wir dort drin gelegen haben.“ „Es wäre nett, wenn du uns jetzt vielleicht einweihen könntest, wer genau ihr eigentlich seid und warum euch jemand verschickt hat“, bemerkte Mal und auch Kaylee war neugierig, die neben Buffy Platz genommen hatte. Daran, dass ein Bösewicht sie gegen ihren Willen entführt hatte, bestand für Kaylee kein Zweifel mehr. Sie klebte förmlich an den Lippen der anderen Frau, die kaum älter als sie sein konnte. „Nun ja“, begann diese. „Es ist eine lange Geschichte. Wir stammen von Sunnydale. Es ist nur ein kleiner Planet und sagt euch wahrscheinlich nichts. Vor ein paar Wochen haben wir eine ungewöhnliche Aktivität bemerkt und die Initiative ist bei uns herumgeschlichen. Giles – mein Watcher – hat über ein paar alte Kontakte herausbekommen, dass es eine Geheimabteilung der Allianz ist. Sie hat keine Richtlinien, an die sie sich halten muss und sie experimentieren an übernatürlichen Wesen herum. Im Gegensatz zu den meisten wissen sie also auch über Vampire bescheid. Jedenfalls haben sie uns überwältigt und dann bin ich hier aufgewacht. Ich glaube nicht, dass sie uns ebenfalls für Vampire gehalten haben. So dumm sind sie nicht, weshalb ich davon ausgehe, dass sie uns studieren wollten wie irgendwelche Testobjekte.“ Ein Schütteln ging durch Buffys Körper. „So wie bei River...“, flüsterte Kaylee und sah zu dem jungen Mädchen herüber. Dieses hatte es sich auf der Tischplatte bequem gemacht und ließ die Beine unbekümmert baumeln. Ihr langes Haar hing ihr ins Gesicht und verdeckte es. Furcht überkam Kaylee mit einem Mal. Es war unvorstellbar, dass es Menschen gab, denen das Wohlsein anderer so egal war, dass sie skrupellose Experimente an ihnen durchführten. Da konnte sie von Glück sagen, dass sie nur normaler Durchschnitt und auf keiner Weise besonders war. „Wir müssen ihnen helfen, Captain!“, entfuhr es Kaylee mit einem Mal und Mal blinzelte überrascht. „Es würde schon helfen, wenn ihr uns auf dem nächsten Planeten absetzen könntet“, sagte Buffy und legte das Besteck beiseite. Ihre Stimme senkte sich, wurde unsicherer. „Wir haben aber kein Geld, um es wieder gutzumachen.“ Mal und Zoe tauschten Blicke aus, in denen eine stumme Unterhaltung stattfand. Kaylee hatte diese Form der Kommunikation noch nie entziffern können, weshalb sie stattdessen noch etwas Brot für Buffy holte, welche das letzte Stück in die Soße tunkte. „Was ist Sunnydale für ein Planet?“, fragte sie derweil interessiert. „Ein langweiliges Kaff, in dem man mit keinem Pferd durch die Straßen preschen kann, ohne von einem selbsternannten Retter der Welt wie Buffy niedergemäht zu werden“, gab Spike von seinem Stuhl aus von sich und rümpfte die Nase. „Ich schreite nur ein, wenn ein Vampir auf einem Pferd durch die Straßen prescht und irgendein Motiv dafür hat“, konterte Buffy, bevor sie sich Kaylee zuwandte. „Sunnydale ist wirklich klein. Die einzige Stadt befindet sich auf der südlichen Halbkugel, was es ziemlich warm macht. Die Tage sind auch um einiges länger, als auf vielen anderen Planeten. Es ist außerdem der einzige Platz in der Galaxie, der direkt auf dem Hellmouth liegt.“ Kaylee ließ sich wieder neben ihr am Tisch nieder und reichte ihr die Scheibe Brot. „Was ist ein Hellmouth? Es klingt jedenfalls nicht sehr friedlich.“ „Der Hellmouth ist eigentlich nur eine Stelle, an der die Barriere zwischen den Dimensionen schwach ist“, erzählte Buffy in einem Ton, der davon sprach, dass das für sie nichts Ungewöhnliches war. „Deswegen lockt es Vampire und so an, weil es praktisch ein Portal in die Höllen-Dimensionen ist und die Magie von dort—“ „Warte! Was?“ Johnny, der abseits der anderen saß, lehnte sich vor. Sein Blick lag auf Malcolm Reynolds. „Das Mädchen hat offensichtlich ein bisschen zu viel Fantasie, Mal. Diese Märchen wirst du ihr doch wohl kaum abkaufen, oder?“ „Nun ja...“ Mal ließ sich Zeit mit dem Antworten, obwohl sich Kaylee fragte, was es da zu überlegen gab. Immerhin hatten sie alle gesehen, wie der Kerl Jayne gebissen hatte und mit dem Schraubenschlüssel durchs Herz (ein Gedanke, bei dem es ihr immer noch eiskalt den Rücken herunterlief) zu Asche zerfallen war. War das nicht Beweis genug? Kaylee reichte das jedenfalls aus. „Ich weiß, es klingt alles verrückt“, lenkte Buffy ein, als sie den leeren Teller beiseite schob, „aber das macht es nicht weniger wahr. Ich meine, ich habe keinen Grund, euch anzulügen. Ihr habt mich gerettet. Uns, ihr habt uns gerettet.“ „Also ich neige dazu, den Worten dieses Mädchens zu vertrauen“, erwiderte Zoe und nippte an dem Teebecher, den sie sich soeben eingeschenkt hatte. „Und ich vertraue Zoe, dass sie Lügen besser durchschauen kann, als ich“, fügte Mal hinzu. „Allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass du wirklich nichts von der Ladung gewusst hast.“ Ihr Captain zuckte mit den Schultern. „Seit meiner letzten Begegnung mit Boyd mögen ein paar Jahre vergangen sein, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn nicht kenne. Dass ich nicht weiß, wie er seine Geschäfte macht. Dabei brauch ich nicht einmal wissen, warum ihr so freundlich zueinander seid.“ Diese Antwort ließ Johnny die Zähne knirschend aufeinander beißen. Auch seine Finger festigten sich um seinen Gehstock. Sagen tat er nichts, doch Kaylee konnte auch so sehen, dass Mal einen wunden Punkt getroffen hatte. Obwohl ihr Johnny bisher suspekt gewesen war, wallte unwillkürlich ein Deut Mitleid für diesen Mann in ihr auf. Sie vertrieb diesen Gedanken mit einem Kopfschütteln, als sie sich erhob. „Es ist spät“, verkündete sie. „Da wir Buffy vertrauen, können wir den Rest ruhig auf Morgen vertagen oder nicht? Blondi und das andere Mädchen gehen ja nirgendwohin.“ „Wen nennst du hier Blondi, du—“, zischte Spike, doch seine Worte gingen in der restlichen Unterhaltung unter. „Es ist doch ganz schön spät geworden“, gab Mal zu und nickte. Inara, die bisher allem schweigend gelauscht hatte, schenkte Buffy ein Lächeln. „Kaylee hat recht, du solltest dich ausruhen, Buffy. Du siehst erschöpft aus. Wir haben genug Kajüten frei.“ „Komm, ich zeig dir den Weg“, sagte Kaylee zu Buffy und nahm ihre Hand. Mal, Zoe, Inara und Johnny blieben zusammen mit dem dreckigen Geschirr und einem Schweigen zurück, als die Mechanikerin ihren neuen Gast durch den Gang führte. „Ihr seid alle so nett“, entfuhr es Buffy, als sie die Leiter in eine der Gastkajüten heruntergeklettert waren. Sie saß auf dem weichen Bett und ließ die kräftigen Hände über das Laken wandern, als ihre Augen durch den dekorierten Raum wanderten. Kaylee hatte immer wieder Souvenirs von verschiedenen Planeten in den Kajüten verstreut, um sie wohnlicher und heimischer für ihre zukünftigen Passagiere zu machen. Kaylee lachte leise auf, doch ihr Lachen war bei Buffys Ungläubigkeit von einer Welle von Traurigkeit begleitet. Sie hatte Ähnlichkeit mit dem Gefühl, das sie vor ein paar Minuten noch für Johnny empfunden hatte und war von Instinkt geleitet. Es war lange her, dass sie so viele gebrochene Seelen an Bord gehabt hatten. V. Inaras Buch. Der Master. Gleich zwei Slayer. ----------------------------------------------- 13 An Tageszeiten ließ sich auf einem Raumschiff nur schwer festhalten, denn hier draußen gab es weder Tag noch Nacht. Nur ihre schweren Lider sagten Inara, dass es langsam Zeit wurde, sich zurückzuziehen und dem eigenen Körper die wohlverdiente Ruhe zu gönnen. Allerdings war es schwer, wenn man einen... Vampir und zwei Slayer an Bord hatte. Die Worte waren fremd und fühlten sich merkwürdig auf Inaras Zunge an. Ihre Brauen waren zusammengezogen, als sie Mal nachsah, der sich vom Tisch erhob. Sie folgte ihm binnen weniger Sekunden, Zoe mit ihrer Schrotflinte und dem festgebundenen Spike im Gemeinschaftsraum zurücklassend. „Mal.“ Er hielt inne und sah über seine Schulter zurück, sein Gesicht eine neutrale Maske, die Inara noch nie hatte täuschen können. „Ich weiß, was du sagen wirst, aber hör mir zu Ende zu“, begann Inara, denn sie kannte die Vorurteile, die Mal gegen ihre Arbeit als Companion hatte, gut genug. An manchen Abenden sinnierte Inara darüber, dass seine schroffen Worte, die Beleidigungen gleichkamen, aus Eifersucht heraus entstanden. So schnell wie ihr dieser Gedanke jedoch kam, verwarf sie ihn wieder. „Ich hatte es vergessen – oder besser gesagt, es als ein seltsames Hobby abgetan –, aber einer meiner Klienten hat mir einmal ein Buch geschenkt.“ „Deine Männer machen dir Geschenke, und? Ob sie dich nun mit Geld oder mit materialistischen Sachen kaufen... wo besteht da bitteschön der Unterschied?“ Mals Stimme war locker, doch geübte Ohren wie Inaras konnten die unterliegende Kälte heraushören. „Es ist ein Buch über Vampire gewesen“, vollendete Inara. „Es befindet sich in meinem Shuttle. Ich dachte, du willst es dir vielleicht ansehen.“ „Sag das doch gleich. Auf was warten wir dann noch?“ Mit diesen Worten drehte sich Mal um und marschierte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Inara folgte ihm schweigend. Ihr Blick war auf seine Finger gerichtet, die einen unregelmäßigen Takt auf den Griff seines Revolvers trommelten der in seinem Holster steckte. „Ich bin ziemlich sicher, dass du über Nacht nicht zum Vampir mutierst, Jayne. Diese Buffy hat das ebenfalls gesagt“, erklang Simons Stimme, als sie sich der Krankenstation näherten. Seine fehlende Panik spiegelte sich dagegen in Jaynes Ton wider. „Aber mit Sicherheit kannst du das nicht sagen. Und wer kann schon sagen, ob wir diesem... Mädchen vertrauen können.“ Tom lachte, obwohl Inara fand, dass es nicht ganz so aufrichtig klang, wie sie es in den letzten Wochen gewohnt war. Trotzdem schien er die Umstände noch immer mit dem meisten Humor unter ihnen zu akzeptieren. „Laut den meisten Holo-Romanen muss der Gebissene auch das Blut des Vampirs trinken.“ „Oh...“, sagte Jayne, als Inara und Mal im Durchgang zur Krankenstation zum Stehen kamen. Er saß breitbeinig auf der Liege und trug ein Pflaster auf der blutigen Stelle an seinem Hals. „Wir sollten uns nicht auf fiktive Sachen verlassen“, lenkte Simon ein, der das Desinfektionsmittel wegräumte. Tom stand mit verschränkten Armen daneben. „Warum nicht? Bis vor wenigen Stunden sind sie schließlich auch nichts anderes als fiktiv gewesen.“ Nicht allzu beunruhigt von dieser Unterhaltung zog Mal Inara mit einer stummen Geste weiter. Die Anspannung in Inaras Schultern wich jedoch erst, als sie ihr Shuttle erreicht hatten. Die wenigen Lichter hüllten den Innenraum in einen warmen Glanz, welcher die roten und braunen Tücher und Vorhänge unterstrich. Der Geruch der Räucherstäbchen war bereits ein wenig verflogen, doch darum kümmerte sich Inara nicht. An Mal war ihre beruhigende Wirkung ohnehin verschwendet. Stattdessen trat sie an ihr kleines Regal heran und zog ein vergilbtes Buch heraus. Bücher waren heutzutage rar und Inaras Kollektion bestand auch nur aus wenigen, die sie hier und da hatte ergattern können. Doch das Buch mit dem unbeschrifteten und schwarzen Umschlag stellte das älteste von ihnen dar. Eine dicke Staubschicht lag auf dem Rand, aber sie hatte es in den letzten Jahren auch kein einziges Mal aufgeschlagen. Sie ließ sich auf dem schmalen Sofa nieder, welches sie in das Shuttle hatte einbauen lassen, nachdem Mal es ihr überlassen hatte. Mal sackte neben ihr auf das Sofa. „Und was sagt dir, dass das mehr als unsinnige Legenden und Geschichten sind? So wie Kaylees Jiang Shi, zum Beispiel?“ Ihrem Captain einen geduldigen Blick zukommen lassend bettete Inara das Buch auf ihrem Schoß, um es mit vorsichtigen Fingern aufzuklappen. „Nichts sagt mir das. Alles, was ich weiß, ist dass mir Mister Hughes damals dieses uralte Buch anvertraut hat, welches schon seit mehreren Generationen in seiner Familie gewesen sein soll. Aus irgendeinem Grund empfand er, dass es nicht mehr sicher auf seinem Anwesen war.“ Neben ihm stieß Mal ein Schnaufen aus und lehnte sich ruckartig nach hinten. „Der Kerl muss ziemlich verzweifelt gewesen sein, dass er es einer H—“ „Nenn mich nicht so“, unterbrach Inara mit leiser Stimme, der es jedoch nicht an Nachdruck fehlte. Allerdings atmete sie tief durch, anstatt sich der stillen Wut hinzugeben, die Mal provozieren wollte. Manchmal machte Mal es ihr so schwer ihn zu mögen, obwohl sie ihre Gefühle für ihn wohl nie ablegen konnte. Er würde immer ihre Schwachstelle darstellen, dessen war sich Inara bewusst. Mal nahm ihr wortlos das Buch aus den Händen. Im Gegensatz zu ihr behandelte er es grob, als er die Seiten durchblätterte und den Blick über die chinesischen Schriftzeichen wandern ließ. Groteske Karikaturen von dämonischen Wesen unterbrachen die Erklärungen, doch Mal hielt erst bei einem Bild von einem Mann inne, dessen Gesichtsverformungen Ähnlichkeiten mit dem Vampir aufwiesen, den Buffy getötet hatte. Er hatte weder Augenbrauen noch Haare, dafür waren seine Augen jedoch von einem stechenden Rot und die scharfen Reißzähne standen über seine Unterlippe hervor. „Sieht so aus, als hätten wir unsere Vampire gefunden.“ Inara beugte sich ein wenig zu Mal herüber, um den dazugehörigen Text lesen zu können. „Heinrich Joseph Nest, bekannt als der Master. Der älteste Vampir und Anführer des Ordens des Aurelius“, murmelte sie, während Mals Körperwärme selbst den kleinen Abstand zwischen ihnen überbrückte und wie Wasser durch ihr Gewand sickerte. Sie besänftigte ihre Gänsehaut, die der Anblick des gezeichneten Bildes hervorrief. „Meinst du, ihn gibt es tatsächlich, Mal?“ „Ich weiß es nicht. Und eigentlich weiß ich nicht mal, ob ich es wissen will“, erwiderte er, als er das Buch zuschlug, jedoch den Finger an der Buchstelle stecken ließ. „Hast du was dagegen, wenn ich es mir eine Weile ausleihe?“ Inara sah auf, schüttelte jedoch kaum merklich den Kopf. Mal war ihr so nah, dass es für einen Stich in ihrer Brust sorgte. Kurz huschte Mals Blick von ihren Augen zu ihren geschminkten Lippen herunter, ehe er sich ächzend erhob. „Okay... mh... wir sehen uns dann morgen in aller Frühe.“ Die Augenbrauen zusammenziehend steuerte er den Ausgang des Shuttles an. „Schlaf gut.“ Mit diesen Worten verschwand er und die Tür schloss sich mit einem Zischen hinter ihm, während Inara auf dem Sofa verweilte. Sich im Shuttle umsehend hing sie ihren Gedanken hinterher. Von einem Tag auf den anderen schien ihr aller Leben mal wieder eine drastische Wendung genommen zu haben. Dabei hatte Inara gehofft, dass mit den Geschehnissen um Washs Tod das Schlimmste hinter ihnen lag und sie ein ruhigeres Dasein genießen konnten. Ein Dasein, in dem Zoes Baby in Frieden aufwachsen und in dem vielleicht sogar Kaylee und Simon miteinander glücklich werden konnten. Vielleicht sogar Mal und sie. Doch besonders letzteres war ein bloßer Tagtraum, den sie nur während ihrer Zeit im Tempel hatte ablegen können. Sie brauchte nur Mals Gesicht jeden Tag zu sehen, um daran erinnert zu werden, wie unantastbar er war und wie wenig sie bereit war, ihre Arbeit als Companion für ihn aufzugeben. Es war ein Teil ihrer Persönlichkeit, für den sie sich obendrein nicht schämte. Plötzlich schien es jedoch so, als sollten ihre Gefühle für Mal nichtig im Vergleich dazu sein, dass Vampire unter ihnen wandelten. Und nicht zu vergessen, dass es auch noch Slayer gab. Junge Frauen, die Vampire jagten, wenn Inara Buffys vage Erklärung richtig interpretiert hatte. Reaver waren nun nicht mehr die einzigen, die ihnen nach dem Leben trachteten. Allerdings waren sie das wohl nie gewesen, sie hatten es nur nicht besser gewusst. Doch wieso waren sie dann nie zuvor einem Vampir begegnet? Hielten sie sich bedeckt und versteckten ihre Existenz vor der Menschheit? All diese Fragen konnte ihnen nur Buffy beantworten, ebenso was sie mit ihrer Begleitung anstellen sollten. Ewig konnten sie Faith nicht in dieser Truhe aufbewahren oder Spike an einen Stuhl gefesselt lassen. All das musste jedoch bis morgen warten. Eine Nacht, um darüber zu schlafen und all diese Informationen zu verarbeiten, würde ihnen allen gut tun. Inara erhob sich, um das Licht mit einem Knopfdruck zu löschen und sich aus ihren Kleidern zu schälen und sie gegen ihr dünnes Nachthemd einzutauschen. 14 Die Luft stank nach Feuchtigkeit und erschwerte mit ihrer Wärme das Atmen. Auch der Stein der Höhlenwand fühlte sich nass und beinahe lebendig an. Doch das war unmöglich. Buffy wusste nicht an welchem Ort sie sich befand oder wie sie hierher gekommen war, doch Wände lebten nicht. Sie zog ihre Hand von dem Stein und richtete sich auf. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Fast so, als wüsste es mehr als der Rest ihres Körpers. Wann hatte sie sich das letzte Mal so gefühlt? Ihr Instinkt sagte ihr, dass es nicht so lange her gewesen war, doch ihre Erinnerungen waren vage und hinter einem dichten Schleicher verborgen. Die Finger ihrer anderen Hand schlossen sich um den Pflock, den sie bei sich trug. Den hatte sie nicht nur zum Spaß dabei, so viel stand fest. Irgendwo vor ihr befand sich der Feind, den es zu erledigen galt. Was sie genau erwartete, konnte sie nicht bestimmen, obwohl ein Gefühl ihr sagte, dass sie es eigentlich wissen sollte. Langsam setzten sich ihre Füße in Bewegung. Ihr blondes Haar war zu einem Zopf gebunden, doch die vereinzelt herausgerutschten Strähnen klebten schweißnass an den Schläfen. Es war Angstschweiß. Der Tunnel machte vor ihr eine Biegung und wurde von einem Licht erhellt, dessen Ursprung sich Buffy nicht erklären konnte. Egal wie leise sie sich bewegte, jeder Schritt echote dumpf in der Höhle wider, machte aus einem drei. Das Blut rauschte in ihren Ohren und gesellte sich zu dem Hämmern ihres Herzens, welches Adrenalin durch ihre Arterien pumpte. Die schmale Passage mündete in einer Kammer. Stalaktiten hingen von der hohen und schattenbesetzten Decke, als wollten sie jeden Moment herunterfallen und sie aufspießen, während Stalagmiten Buffy mit ihrer Höhe um einiges überragten. Den Pflock an ihre Brust pressend schlich Buffy vorwärts. Sie konnte ihrem Schicksal nicht entkommen, das spürte sie mit jeder Faser ihres Seins. Worauf ihr sogenanntes Schicksal aufbaute, hatte sie vergessen. Die Antwort lag ihr auf der Zunge, schien jedoch genauso unantastbar wie der Name dieses Ortes. Sie umrundete einen der Stalagmiten. Im selben Moment erklang ein raues Lachen wie ein Donnerschlag, welcher jedes feine Haar in ihrem Nacken aufstellte. Buffys Augen hetzten von links nach rechts, als sie ihre Position verlagerte und eine Abwehrhaltung einnahm. Bevor sie die Quelle dieses Lachen ausmachen konnte, wurde sie bereits von einer Hand im Nacken gepackt. Mit unnatürlicher Stärke, der Stärke eines Vampirs, wurde sie herumgedreht und mit der Brust gegen den Stalagmiten gedrückt. Der Pflock war zwischen ihrem Körper und dem Gestein eingeklemmt, während sich eine Gestalt von hinten an sie drückte. Fauler Atem streifte ihre Wange und ließ Buffy das Gesicht verziehen. „Ich habe mich schon gefragt, wann du auftauchen wirst, Slayer.“ Erneut ertönte ein Lachen. Buffy konnte die Vibrationen in dem Oberkörper an ihrem Rücken wahrnehmen. Wäre es nicht um die Kraft, die hinter seinem Halt steckte, und die Kälte, die er ausstrahlte, hätte er genauso gut ein Mensch sein können. „Ich war des Wartens schon langsam müde“, sprach er weiter, als Buffy gegen ihn ankämpfte. Sie wusste, dass sie stärker war und dass sie dazu in der Lage sein sollte, sich zu befreien. Was war mit ihr los? Ihre unsinnigen Gedanken wurden von einem jähen Schmerz in ihrem Nacken unterbrochen, als zwei Reißzähne sich in ihr Fleisch gruben. Ein Schrei wurde aus ihrer Kehle gerissen, der in einem Ächzen endete. Schwäche erfasste Buffy, eine sich ausbreitende Lähmung, die ihre Knie zittern ließ, bis sie nachgaben und sie zu Boden ging. Bis sie hinein in eine Schwärze fiel, die sie verschluckte. Den Atem scharf einziehend fuhr Buffy aus dem Schlaf. Die Decke rutschte von der Matratze, auf der sie lag. Im ersten Moment orientierungslos kehrten die Erinnerungen nach und nach zu ihr zurück, bis sie sich an alles erinnerte. An die Serenity und ihre Mannschaft, an die Initiative und an ihr sogenanntes Schicksal, welches aus einer uralten und teilweise unleserlichen Prophezeiung stammte, die Giles ausgegraben hatte. Sie erinnerte sich an den Master und an die Suche nach der Sense. Buffy wischte sich mit einer Hand über das schweißnasse Gesicht und schwang die Beine über den Bettrand. Ein Seufzen schaffte es über ihre Lippen. Natürlich nahmen die Träume kein Ende, zumindest nicht solange, wie der Kampf zwischen ihnen nicht entschieden war. Da war die Zeit des Eingefrorenseins fast schon angenehmer gewesen, denn Buffy konnte sich an keinen einzigen Traum erinnern, weder gut noch schlecht. Bevor die Frustration, die Verzweiflung eher, welche sie schon eine Ewigkeit zu begleiten schien, gänzlich von ihr Besitz ergreifen konnte, nahm Buffy ferne Stimmen und Schritte über ihrem Kopf wahr. Mit einem Mal war jeder Gedanke an den Master fortgewischt, als sie dem Tumult auf dem Schiff lauschte. Was war da los? Anstatt weiter tatenlos herumzusitzen, durchquerte Buffy die kleine Kajüte und erklomm die Leiter, die sie mit dem Rest der Serenity verband. Gut, dass sie gestern gleich mit ihren Anziehsachen ins Bett gefallen war. Nicht, dass sie etwas anderes zu tragen hatte... Sobald Buffy die Luke geöffnet hatte, schwollen die Stimmen an, zaghaft und beunruhigt. Sie waren von einem Hämmern und einem Poltern begleitet, welche auch die letzten Details des gestrigen Abend aufdeckten: Faith. Ihre Schritte zurückverfolgend joggte Buffy durch die Gänge, die zum Laderaum führten. Die Truhen, die als ihre Gefängnisse gedient hatten, standen noch immer herum. Sie waren mehr als bloße Gefängnisse, sie waren ein Denkmal an die Zeit, die man ihnen für ihre Suche nach der Sichel gestohlen hatte, um... was? Dafür, dass die Initiative an ihnen herumexperimentieren konnte, weil sie die Slayer für Übermenschen hielten? Hastig rannte Buffy die Metallstufen herunter und schob sich an Kaylee, Jayne und Mal vorbei, welche sich Faith annäherten. Sie achtete nicht weiter auf die Crew, als sie Faith durch das Glas mit einer Handbewegung zu verstehen gab, dass sie sich beruhigen sollte. Erst als die braunhaarige Slayer die gefesselten und geballten Fäuste sinken ließ, öffnete Buffy den Verschluss der Truhe und den Deckel. Gott sei Dank, hatte sie sich nicht allein aus ihr befreien können. Aber aus was war sie bloß angefertigt worden, dass sie der Stärke eines Slayer widerstand? „Was zum Teufel geht hier vor, B?“, zischte Faith, ihr Gesicht gerötet vor Anstrengung und Wut. Ihr Blick ging an Buffy vorbei. „Und wer sind diese Witzfiguren?“ „Das sind die Leute, die uns gerettet haben“, korrigierte Buffy und nahm Faith die Handfesseln ab. Der erste Moment nach dem Erwachen war vorüber und obwohl Faith nicht die rationalste Person im Universum war, so schenkte sie ihren Worten wenigstens Gehör. Mehr konnte Buffy unter den Umständen wohl nicht verlangen. „Die? Uns gerettet?“ Spott unterlag Faiths Stimme, als sie aus der Truhe kletterte und sich streckte. Ihr Nacken knackte, als sie Mal und die anderen von Kopf bis Fuß musterte. Ihr Blick blieb an Jayne hängen, der sie mit offenem Mund anstarrte. Die Emotionen, die über sein bärtiges Gesicht huschten begannen bei Misstrauen, endeten jedoch bei offener Lust. Buffy verdrehte die Augen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Der Kerl hatte keine Ahnung, auf was er sich da einlassen wollte. Ein Räuspern seitens Mal ertönte. „Können wir wieder zum Thema kommen?“ Er schlug das Buch auf, welches er mit sich herumtrug und hielt die aufgeschlagene Seite Buffy und Faith entgegen. „Ist das einer dieser Vampire? Wie der von gestern?“ Im selben Atemzug, in dem er diese Frage stellte, beantwortete Mal sie sich selbst. „Also ja. Und euren Gesichtern ist abzulesen, dass dieser Master nicht nur eine Gruselgeschichte ist.“ Schluckend zwang sich Buffy den Blick von der Karikatur des glatzköpfigen Vampirs abzuwenden, der sie bis in ihren Schlaf verfolgte. Sie sah zu Faith herüber, welche ihre Lippen zu einer schmalen Linie gepresst hatte. Sie hatten nie darüber gesprochen, denn Faith tauschte sich nicht mit jemanden aus und offenbarte ihre Gefühle, aber Buffy konnte ihr in diesem Moment ganz genau ansehen, dass es ihr genauso erging. Dass sie von ihm träumte, dass ihr gemeinsames Schicksal nicht vollständig an ihr vorbeiging. Es sollte das Gewicht auf Buffys Brustkorb leichter machen, tat es jedoch nicht. „Er ist sehr viel mehr als eine Gruselgeschichte“, gestand Buffy. Bisher wussten nur Giles, Willow und der Rest ihrer kleinen Truppe auf Sunnydale von ihm und der Prophezeiung. Allein ihre Blicke in Buffys Nacken waren manchmal schon genug gewesen, mit all ihrer Besorgnis und ihrem Mitleid, und nun stand sie Fremden gegenüber und musste sie mit hineinziehen, weil ihre furchtbar unterschiedlichen Welten zufällig aufeinander geprallt waren. „W-Woher habt ihr das Buch?“ „Gefunden. Mehr oder weniger“, erwiderte Mal, als er es zu sich herumdrehte, um sich noch einmal das Abbild des Masters anzusehen. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Kaylee und Jayne folgten seinem Beispiel und sahen über seine Schulter hinweg. „Er sieht nicht sehr freundlich aus“, bemerkte Kaylee. Dem Schmierfleck auf ihrer Wange nach zu urteilen war sie vor Faiths Aufwachen im Maschinenraum tätig gewesen. „Er ist auch nicht besonders hübsch, dabei heißt es doch, dass Vampire einen mit ihrer Schönheit verführen. Zumindest gibt es genug Geschichten darüber.“ Jayne schnaubte. „Wann bist ausgerechnet du zu einer Vampir-Expertin geworden?“ „Ich mein ja nur...“ Buffy sah zu Faith herüber, die ihre Retter mit abwertender Belustigung musterte. Aussehen, als wollte Faith sie einweihen, tat sie nicht, doch so einfach machte sich Buffy diese Sache nicht. Hier ging es um mehr als das bloße Wollen. Allein mit ihrer Anwesenheit auf dem Schiff hatten sie die Crew der Serenity bereits in Gefahr gebracht und in ihre Angelegenheiten hineingezogen. Diese Möglichkeit bestand jedenfalls und das konnte nicht einfach ignoriert werden. Anders als Faith wollte Buffy nicht das Blut Unschuldiger an ihren Händen haben. „Es gibt da diese Prophezeiung“, platzte die Wahrheit aus Buffy heraus. Ihre Augen waren weit, wodurch sie selbst überraschter aussehen musste, als Malcolm Reynolds es tat. Dieser zog die Brauen zusammen und musterte sie mit ausdrucksloser Miene. Beinahe so, als wollte er sehen, ob sie seinem Blick standhielt und nicht einknickte. Als ob er sichergehen wollte, dass sich ihre Worte nicht als Lüge entpuppten. Doch Buffy hatte schon ganz anderen Wesen in die Augen gesehen und war nicht zurückgewichen. „Eine Prophezeiung...“, wiederholte Mal. „Prophezeiung wie in Schicksal, das sich erfüllen muss?“, hakte Jayne nach. Er blieb auch weiterhin hinter seinem Captain stehen, sein Gewehr im Arm tragend und den Finger nicht eine Sekunde lang vom Abzug nehmend. Er traute ihnen nicht, aber im Gegensatz zu Buffy, die ihren Fäusten vertraute, verließ er sich auf seine Waffe. „Ja. Und jetzt, da wir bei euch an Bord gelandet sind, können wir nicht einfach davon ausgehen, dass ihr euch nicht in Gefahr befindet.“ Im selben Moment, in dem Buffy das erklärte, stieß ihr Faith einen Ellenbogen in die Seite. „Mach doch nicht aus einer Mücke einen Elefanten, B. Du tust ja gerade so, als könnte dieser Möchtegern-Master Gedanken lesen.“ „Das vielleicht nicht, aber er ist bisher immer bestens informiert gewesen“, erwiderte Buffy. Ihre Gedanken kehrten zu dem Traum zurück, der sie aus ihrem Schlaf gerissen hatte. Giles war sich nicht sicher gewesen, aber vielleicht bestand darin eine Verbindung zwischen ihnen und dem Master, deren sie sich nur nicht bewusst waren. Sie konnten jetzt nicht unvorsichtig werden, denn das konnte ihr Ende – oder viel eher das Ende von allem – bedeuten. Ohne auf den ungläubigen Laut zu reagieren, der über Faiths Lippen kam, wandte sie sich wieder dem Captain der Serenity zu, der inzwischen das Buch zuklappte. „Ich werde euch alles erzählen, aber danach muss ich Giles kontaktieren. Er weiß am besten über alles Bescheid und—“ „Kein Wunder, so wie der immer in seinen Büchern vergraben ist“, fiel ihr Faith ins Wort. Buffy nickte. „So kann man es auch ausdrücken.“ „In fünf Minuten im Gemeinschaftsraum“, entrann es Mal nach einigen Sekunden des Stillschweigens. Er drehte sich um, drückte Kaylee das Buch in die Hand und wies Jayne an, den Rest der Crew zusammenzutrommeln. 15 Mal sackte auf eines der schmalen Sofas, die sich im hinteren Teil des Gemeinschaftsraums befanden. Für den Moment war er vollkommen allein, sah man von Spike ab, der mit finsterem Blick jeden seiner Schritten verfolgte. Mal ignorierte ihn. Die anderen würden sich in wenigen Minuten hier versammeln, um... was? Um sich eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte über Vampire und Prophezeiungen anzuhören? Eine Geschichte, für die es leider mehr Beweise gab, als Mal lieb waren. Er war kein Mann, der Dinge im Leben bereute, sondern einer, der versuchte, das beste aus den gegebenen Situationen zu machen. Allerdings war unschwer zu bemerken, dass sein Leben zunehmend absurder wurde. Erst nahmen sie Simon und seine labile Schwester auf, an der die Regierung herumexperimentiert hatten und dann entdeckten sie die Wahrheit von dem Ursprung der Reaver, verloren dabei jedoch gleich zwei Mitglieder ihrer Mannschaft. Reichte das nicht aus? Hatten sie ihren Soll nicht erfüllt? Hatten sie sich nicht etwas Ruhe verdient? Was war aus seinem Vorsatz geworden, sich mit kleinen Jobs über Wasser zu halten und einfach in der Serenity herumzufliegen? Er wollte niemanden retten und auch nicht den Held spielen. Im Grunde sollte man ihn und seine Crew einfach in Ruhe lassen. Immerhin erwarteten sie ein Baby, verdammt noch mal! Mals Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Simon und River den Gemeinschaftsraum betraten und sich nach kurzem Umsehen zu ihm gesellten. River plumpste neben ihn auf das Sofa, während Simon sich auf den Rand des Sessel setzte. Nach und nach tauchten auch die anderen auf. Kaylee hielt das Buch noch immer wie einen kostbaren Schatz in den Armen, während Jayne sich weiterhin an Vera klammerte und Inara ein Tablett mit Tassen und einer Teekanne auf den kleinen Tisch abstellte. Selbst unter diesen absurden Umständen schafften sie alle es eine gewisse Normalität mit sich zu bringen. Mals Muskeln entspannten sich automatisch. Sie hatten so viel überstanden und standen noch immer aufrecht. Keiner von ihnen hatte die Lebenslust verloren und solange sie alle zusammen waren, würde sich daran nichts ändern. „Was ist passiert? Wurde schon wieder jemand gebissen?“, fragte Tom mit einem erhobenen Mundwinkel, als er sich neben Inara auf das zweite Sofa setzte. „Oder hat sich Jayne nun doch in einen Vampir verwandelt?“ „Ich zeig dir gleich einen Vampir...“, grummelte dieser und tätschelte Vera unmissverständlich, während ihr blonder Pilot grinste. Zoe schenkte beiden Männern einen unbeeindruckten Blick, als sie gemeinsam mit Johnny an der Wand lehnte. Simon bot ihr seinen Platz an, doch sie lehnte mit einer Handgeste ab. Zuletzt gesellten sich Buffy und Faith zu ihnen, als hätten sie nur gewartet, bis der Rest bereits anwesend war. Obwohl sich Mal immer noch nicht wohl dabei fühlte, sie frei auf dem Schiff herumlaufen zu lassen, konnten sie sich auch keine drei Gefangene an Bord halten. Dafür war die Serenity nicht gemacht, aber vielleicht sollten sie in näherer Zukunft einmal darüber nachdenken, sich eine Zelle einbauen zu lassen. Buffy trat von einem Bein auf das andere, während die junge Frau an ihrer Seite locker eine Hand in die Hüfte gestemmt hatte. Spike beobachtete sie aus der Ferne und das Licht brach sich auf seinen ungewöhnlich blonden Haaren. Er hatte es aufgegeben, sich gegen das Seil zu sträuben, welches ihn an den Stuhl band, und saß inzwischen nur noch bewegungslos da. „Gruppenbesprechung, huh? Habt ihr da nicht jemanden vergessen?“ „Oh, fühlst du dich vernachlässigt, Spikey?“, säuselte Faith, doch anstatt Wut zeigte sich so etwas wie Resignation auf dem blassen Gesicht des Vampirs. „Er hat recht“, entrann es Buffy zögerlich. „Ob wir es mögen oder nicht, er ist ein Teil von unserem Team.“ Mal lehnte sich bei diesen Worten vor. „Warte, versteh ich das richtig? Ihr bekämpft Vampire, aber arbeitet auch mit einem Vampir zusammen? Bin ich der einzige, der das als ein bisschen merkwürdig empfindet?“ „Paradox“, korrigierte Zoe. „Vielleicht... vielleicht ist er ja ein handzahmer Vampir“, schlug Kaylee vor. Spikes Proteste gingen in Faiths schallendem Gelächter unter. Sie hielt sich den Bauch und deutete mit der anderen Hand auf die Mechanikerin. „Dich mag ich. Du bist die Witzigste von dem ganzen Haufen. Bei Längen!“ Ein Rotschimmer kroch auf Kaylees Wangen und sie senkte den Blick auf das Buch in ihrem Schoß. Zumindest tat sie das solange, bis Inara ihr einen Becher Tee herüberreichte und ihr ein sanftes Lächeln schenkte. Mal beobachtete es aus den Augenwinkeln. „Zurück zum Thema.“ Buffy schien seiner Meinung zu sein, da sie sogleich zu Spike herüber marschierte. „Ja, er ist auch ein Vampir, aber er hat... nun, andere Ambitionen. Oder auch gar keine, könnte man ebenfalls sagen.“ „Ich hab durchaus Ambitionen, Slayer.“ Anstatt zu kontern packte Buffy den Stuhl, an den Spike gefesselt war, an beiden Armlehnen und zog ihn mit einem Ächzen und mitsamt dem Gewicht des Vampirs zu den anderen herüber. „Jedenfalls ist er manchmal, aber eben nur manchmal, ganz brauchbar.“ Das Schaben der Stuhlbeine klang unangenehm in den Ohren und schallte im Innenraum wider, doch keiner schien es zu bemerken. Alle waren zu sehr auf das Spektakel konzentriert. Auch Mals Augen weiteten sich bei der Leichtigkeit, mit der Buffy das vollzog. Mit ihrer Größe und der schmalen Statur sollte es ihr unmöglich sein, doch sie war nicht einmal außer Atem, als Spike einen halben Meter vor ihnen saß und Buffy unverhohlen anstarrte. Sollten sie sich eine Zelle anschaffen, brauchten sie unbedingt eine, die übermenschlicher Stärke standhalten konnte, korrigierte sich Mal gedanklich. „Buffy ist so wie ich“, wisperte River. Im Gegensatz zu allen anderen fehlte in ihrem Ton und in ihrem Gesicht die Bewunderung. Es war eine simple Feststellung. Konnte das möglich sein? Nein, konnte es nicht. River besaß eine Menge unerklärlicher Fähigkeiten, aber eine übermenschliche Stärke nannte sie nicht ihr Eigen. Buffy – und Faith vermutlich ebenfalls – waren etwas anderes. „Wir sind Slayer“, sprach Buffy Mals Gedanken aus. „In jeder Generation wird ein Slayer geboren. Sie sind immer weiblich und besitzen bestimmte Kräfte, um Vampire und Dämonen zu töten.“ „Aber ihr“, begann Simon und deutete zunächst auf Faith und anschließend auf Buffy. „Ihr seid zwei und auch noch im selben Alter, wenn ich richtig schätze.“ „Dass sie im selben Aller sind, sieht doch ein Blinder, wenn er noch Augen hätte.“ „Jayne stellt uns mit seinem Intellekt wirklich alle in den Schatten“, bemerkte Tom und Johnny, der bisher stumm daneben gestanden hatte, brachte ein verächtliches Grinsen zustande. „Sobald ein Slayer stirbt, wird automatisch jemand anderes als Slayer erwählt. Irgendwo im Universum“, antwortete Buffy. „Wäre B nicht gestorben und wiederbelebt worden, wäre mein Leben verflucht langweilig“, sagte Faith, doch Mal kaufte ihr das nicht ab. Man konnte ihr anhand ihres Verhaltens ansehen, dass sie so oder so einen Weg gefunden hätte, um Ärger zu machen. Ihr lag das Abenteuer, das Regelbrechen, im Blut. Mal war schon zu oft solchen Menschen begegnet, als dass er sie nicht erkennen würde, wenn sie ihm über den Weg liefen. Auch er zählte sich zu dieser Kategorie. „Wie sieht nun diese Prophezeiung aus?“, fragte Mal. „Sie ist schon uralt und in einer Sprache verfasst worden, die schon halb verloren ist. So richtig hab ich das nicht verstanden, was Giles erzählt hat, aber—“, sagte Buffy. „Giles ist Buffys Vaterersatz. Ein typischer Streber-Typ, der seinen Tee und seine Bücher vergöttert“, fügte Spike mit einem belustigten Schmunzeln hinzu. Ob ihm einfach langweilig war und er deshalb Informationen beisteuerte oder ob er auf lieb Kind tun wollte, konnte Mal nicht sagen. So schnell würde er die Fesseln allerdings nicht loswerden, wenn es nach Mal ging – und das tat es, weil das hier immer noch sein Schiff war. „Jedenfalls wurde die Prophezeiung von irgendeinen Vampir namens Aurelius gemacht, der seherische Fähigkeiten besessen haben soll. Er war auch gleichzeitig der Gründer eines Ordens, der nach ihm benannt worden ist. Der Master soll laut den alten Schriften ihr neues Oberhaupt sein.“ Buffy zuckte mit den Schultern. Übermenschliche Kraft hin oder her, mit Fakten schien sie es nicht zu haben. „Sie sagt den Kampf zwischen dem Master und zwei Slayer voraus.“ „Eigentlich hat dieser Aurelius-Typ den Tod zweier Slayer vorausgesagt“, korrigierte Faith und betrachtete ihre Fingernägel. Ihre dunklen Haare wallten ihr über die Schultern, als sie die vollen Lippen schürzte. „Unseren Tod halt.“ „Ja...“, gestand Buffy und ihre Stimme senkte sich. „Und damit steht nichts mehr zwischen dem Master und dem Hellmouth auf Sunnydale. Das ist sein Ziel. Er will das Tor zu den Höllendimensionen öffnen, um einen alten widerlichen Dämonen zu befreien, der dort vor einer halben Ewigkeit eingesperrt worden ist. Er wird der Alte genannt – was ein wirklich nicht besonders kreativer oder gar angsteinflössender Name ist, ich weiß.“ „Er ist unbesiegbar“, warf Spike in einem Ton von sich, der einem Glauben machen wollte, dass ihn das alles eigentlich nicht weniger interessieren könnte. „Und wenn das Tor erst mal offen ist, dann kommt noch mehr durch, als nur der Alte. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass dann hier buchstäblich die Hölle los ist.“ Bei seinem eigenen Wortwitz grinste Spike und Zoe rollte mit den Augen. „Im Moment sind wir auf der Suche nach der Sichel. Das ist die einzige Waffe, mit der man etwas gegen den Alten ausrichten kann. Allerdings wissen wir nicht genau, wo sie sich befindet. Eigentlich dient sie auch gleich als Plan B – oder Plan Z –, falls der Master erfolgreich ist und Faith und mich umbringt. Selbst wenn wir nicht mehr sind, kann jemand anderes die Sichel benutzen, um den Dämon zu töten.“ Auf Buffys Erzählungen hin breitete sich ein Schweigen unter den Passagieren und Bewohnern der Serenity aus. Mal sah von einem besorgten und nachdenklichen Gesicht zu dem nächsten. Was ihnen alle durch den Kopf ging, war nicht sonderlich schwer zu erraten. Sein gesamtes Leben bekam man eingetrichtert, dass es das Monster unter dem Bett nicht gab, welches einen zu fressen versuchte, nur um jetzt die Wahrheit zu erfahren. Es gab Monster. Sie nannten sich Vampire. „Wir müssen ihnen helfen“, flüsterte Kaylee und wiederholte ihren Vorsatz vom gestrigen Abend. Ihre Stimme schwoll an in Empörung. „Zu zweit – oder zu dritt, wenn man Spike mitrechnet – kann man doch nicht die Welt retten. Das ist doch zu viel Verantwortung. Unter der Last bricht man doch zusammen.“ „Ich bin ein wertvolles Mitglied dieser Truppe“, entfuhr es Spike. Auf Mals Blick hin zuckte er nonchalant mit den Schultern. „Sobald man mich losschneidet. Und mir diesen Chip in meinem Kopf entfernt.“ „Das ist schon in Ordnung“, lenkte Buffy ein und blinzelte mehrmals. Erst danach breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus. Es war eines dieser Lächeln, welche Kaylee fast jedem entlockt und ganz besonders Inara ihr stets schenkte. Es sprach von Wärme und Freundlichkeit und... Freundschaft. Mal zog die Brauen bei dieser kitschigen Erkenntnis zusammen, die leider den Nagel ziemlich genau auf den Kopf traf. Er erhob sich, um sich seiner Crew zuzuwenden und um diese Bande im Keim zu ersticken. „Wir werden nicht nach einer Sichel suchen, die sonst wo ist, und als Vampirfutter enden. Falls ihr es vergessen habt, warten wir auf Kunitz’ Meldung und unseren nächsten Job.“ „Was für einen Job? Seid ihr ein Transportschiff?“, fragte Buffy. „Wir sind Verbrecher“, korrigierte River mit tonloser Stimme. Sie wickelte einige Haarsträhnen um den Zeigefinger und betrachtete diese Geste mit Neugierde. „Oh...“, entrann es Buffy, während Spike schnaubte. Faith stieß ein kehliges Lachen aus, welches Kaylee und Simon zusammenzucken ließ. „Ihr? Verbrecher? Dass ich nicht lache. Ich wette, ihr könnt keiner Fliege etwas zu leide tun. Ich meine, guckt euch doch an? Ein Haufen Schwächlinge, die sich angesichts eines dingfestgemachten Vampirs wie Spike bereits in die Hose machen.“ Jayne hob Vera an, als er sich vor der braunhaarigen Slayer aufbaute. „Pass auf, was du sagst, Kleine.“ „Oder was?“ Faith visierte Johnny mit dem Blick an. „Willst du mich mit deinem ollen Krückstock verhauen, alter Mann?“ Bevor Johnny einen Schritt nach vorn setzen konnte, stand Buffy bereits zwischen ihnen. „Reiß dich zusammen, Faith.“ Erst danach wandte sie sich an Mal. „Wie gesagt, es würde schon reichen, wenn ihr uns auf dem nächsten Planeten absetzen würdet. Ich glaube nicht, dass der Master weiß, wo wir uns im Moment aufhalten, aber ihr solltet trotzdem vorsichtig sein.“ Sie legte eine Pause ein, in der sie den Blick auf ihre Schuhe senkte. „Können wir wenigstens Giles kontaktieren? Das ist wichtig. Sie werden sich auf Sunnydale bereits Sorgen um uns gemacht haben.“ „Tom, würdest du...“, entrann es Mal und er gestikulierte in die Richtung des Cockpits. Der Pilot löste sich aus seiner Position und salutierte. „Aye aye, Sir. Wenn mir die Ladys bitte folgen würden.“ Mit diesen Worten führte Tom Faith und Buffy davon. Bevor Faith jedoch aus dem Gemeinschaftsraum trat, wandte sie sich noch mal um und sah zu Jayne herüber. „Oh... und Feuerwaffen haben bei Vampiren übrigens so gut wie keinen Effekt, Süßer.“ Mit einem schiefen Grinsen verschwand sie, während Jayne kritisch auf seine Vera herunterschaute, als wäre sein Weltbild gerade in seine Einzelteile zerfallen. VI. Der gesuchte Tempel. Meuterei. Die Lüge. -------------------------------------------- 16 „Hast du die alle gesehen, B?“ Faiths Stimme war laut und energisch. Diese Leute sollten ruhig hören, was sie über sie dachte. „Ein ganzes Schiff voller Feiglinge!“ Buffy und Tom gingen vor ihr her, als sie die kahlen Gänge des Raumschiffes durchquerten. Tom warf ihr einen Blick über seine Schulter zu, ein Schmunzeln auf den Lippen tragend. „Ach, sie sind gar nicht so schlecht drauf, wenn man sie näher kennen lernt.“ Faith hob eine Augenbraue, als sie den Piloten von hinten musterte. Er trug eine einfache Leinenhose und ein buntes Hawaiishirt. Zudem hatte er eine Schürfwunde an der Stirn. „Wenn du meinst. Wenigstens haben sie ein paar gutaussehende Kerle hier. Da ist es leicht, deinen Schmusevampir zu vergessen, oder, B?“ „Schmusevampir?“, wiederholte Tom, wandte sich diesmal jedoch an Buffy. „Doch nicht Spike, oder?“ „Faith...“, mahnte Buffy. Sie starrte stur geradeaus anstatt Tom anzusehen, der neben ihr herging. „Nein, nicht Spike. Niemals Spike.“ Sie beließ es dabei und ging nicht auf Angel ein. Faith grinste. Natürlich erzählte Buffy nicht von ihrem geliebten und inzwischen sehr staubigen Angel. Wenn Faith jemals den Fehler begehen und sich in eine lebende Leiche verlieben würde, würde sie es auch keinem erzählen. Dann würden sie schließlich dahinterkommen, dass Miss Perfekt eben doch nicht so unbefleckt war, wie sie gern vorgab. Nicht so unschuldig und mutig und stark. Die Wahrheit sah ganz anders aus und Faith kannte sie. Sie wusste, dass Buffy alles in den Schoß gefallen war. Sie hatte eine liebende Mutter gehabt und einen vernünftigen Watcher, sie hatte Freunde und ein Zuhause. Buffy besaß alles, wovon man nur träumen konnte und war trotzdem nicht zufrieden. Tom hakte nicht weiter nach, sondern führte sie über eine kleine Treppe in das Cockpit der Serenity. Es war klein und hatte zwei Pilotenstühle mit vielen Konsolen und einer breiten Fensterfront, hinter der sich das All mit seinen unzähligen Sternen auftat. „Wow“, stieß Buffy bei dem Anblick aus und blieb vor Faith angewurzelt stehen. Tom sackte in den Pilotenstuhl und drehte sich mit diesem zu ihnen um. „Ihr seid nicht oft auf Raumschiffen unterwegs, was?“ „Ich stehe eigentlich lieber mit beiden Beinen auf festem Boden.“ Buffy zwang sich ein Lächeln auf, als sie zu Tom hinübertrat. Seine Finger flogen mit einer Eleganz über die Konsole, die ihn für Faith uninteressant machte. Die Sanftheit, mit der er jeden einzelnen Knopf berührte, sagte ihr, dass er im Bett genauso sein würde. Ein langweiliger Liebhaber, der vermutlich nur eine einzige Stellung kannte. „Okay“, sagte Tom nach einigen Minuten und stand auf, um Buffy seinen Stuhl anzubieten. „Ihr müsst nur noch eure Koordinaten eingeben, auf diesem Knopf drücken und abwarten, bis sich eurer Watcher oder wer-auch-immer meldet.“ „Giles“, erwiderte Buffy, als sie mit dem Adlersuchsystem die Koordinaten auf der kleinen Tastatur eingab. „Unser Watcher heißt Giles. Watchers sind die, die Slayers ausbilden und ihnen alles beibringen.“ Ihre Stimme wackelte bei diesen Worten. „Giles also“, antwortete Tom. Die Freundlichkeit in seiner Stimme drohte Faith den Magen umzudrehen. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und verdrehte die Augen. „Du kannst ihn auch Brillenschlange, Bücherwurm oder alten Mann nennen. Es läuft auf dasselbe hinaus“, rief sie dem Piloten hinterher, als dieser aus dem Cockpit schlenderte, um ihnen etwas Privatsphäre zu gönnen. Faith bettete die Arme auf der Rückenlehne des Pilotenstuhls, um Buffy über die Schulter zu sehen. „Er will dich, B.“ Anstatt sie anzusehen, gab Buffy die letzte Koordinate ein und drückte den gezeigten Knopf. Der Bildschirm wurde schwarz. „Nein, tut er nicht. Das tut auch gar nichts zur Sache.“ „Du kannst nicht ewig hinter Angel hertrauern. Eine Frau hat Bedürfnisse und—“ „Faith!“ „Schon gut, schon gut“, lenkte Faith an, die Lippen zu einem vollen Grinsen verzogen. „Wer nicht will, der hat schon.“ Bevor sie diesen Satz komplett ausgesprochen hatte, erhellte sich der Bildschirm vor ihnen. Willows Gesicht tauchte auf. Ihre roten Haare waren in ihrer Abwesenheit länger geworden, was als einziges auf den Zeitraum schließen ließ, den sie tiefgefroren verbracht hatten. „B-Buffy...“, presste Willow hauchzart hervor und ihre Augen weiteten sich. Zaghaft berührten ihre Finger den Bildschirm, als wollte sie durch ihn hindurchfassen. Fast so, als müsste sie Buffy anfassen, um zu glauben, dass sie es auch wirklich war. Buffy erwiderte diese Geste mit einem schmalen Lächeln, welches sie neuerdings für ihre Freunde aufhob. Faith wurde beinahe schlecht. „Oh Buffy, wir dachten, dass ihr...“ Willow brach ab und Buffy nickte. „Ich weiß. Ist Giles da? Und Xander?“ „Ja... Ja, natürlich!“ Mit einem Mal sprang Willow auf. Ihr Ruf gellte durch das Haus, welches seit dem Tod ihrer Mutter Buffy gehörte. Im Laufe der Zeit hatte es sich jedoch in das reinste Hotel verwandelt, in dem sie alle zusammenwohnten. Alle, bis auf Faith und Spike, denn sie passten nicht in diese perfekte Familie hinein, die sich Buffy kreiert hatte. Durcheinander klingende Schritte schallten durch die Verbindung, während sich Stimmen vermischten, bis man kein Wort mehr verstehen konnte. Buffy und Faith tauschten einen Blick aus. „Verändert haben sie sich jedenfalls nicht“, sagte Faith und rümpfte die Nase. Sie waren noch immer Buffys Anhängsel, die über ihre eigenen Füße stolperten, um Buffys Befehle auszuführen. Lächerlich. Drei Personen drängelten sich vor den Bildschirm. Giles nahm auf dem Stuhl Platz und richtete seine Brille ungläubig, als er seine Slayer beäugte. Willow tauchte rechts von ihm auf und Xanders schwarzer Haarschopf schob sich von der linken Seite ins Bild. Er hatte etwas an Gewicht zugenommen, seit er und Faith damals eine Nacht zusammen verbracht hatten. „Geht es euch gut?“, fragte Giles, nachdem er für einige Sekunden nach passenden Worten gesucht hatte. „Wir dachten, der Master hätte euch erwischt.“ „Nicht der Master, sondern diese Initiative, die uns schon ewig hinterhergeschnüffelt hat“, antwortete Faith mit einem Zucken der Schultern. „Sie haben uns auf Eis gelegt. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ Das Erstaunen wich nicht von den drei Gesichtern vor ihnen, als Buffy ihnen die gesamte Geschichte erzählte. Es schien sie auch nicht zu beruhigen, dass sie sich auf einem Schiff befanden, auf dem illegale Geschäfte gemacht wurden, obwohl Faith darin nun wirklich kein Problem sah. Wären sie nicht von dieser Mannschaft aufgegabelt worden, wären sie nicht so schnell aus ihrem eisigen Gefängnis herausgekommen, das konnte sich selbst Faith eingestehen. Sie mochte stolz sein, aber sie war nicht dumm. Das hatten Buffy und ihre kleinen Freunden nur noch nicht verstanden. Man unterschätzte sie, dabei war sie um ein Vielfaches besser als Buffy. Ihre mitleidigen Blicke waren bei ihr an der falschen Adresse, die man ihr seit dem sogenannten Unfall schenkte. Plötzlich war Faith in ihren Augen nicht mehr der Slayer, der Vampire in Staub verwandelte, sondern das böse Mädchen, das man im Zaum zu halten versuchte. Als ob irgendjemand das konnte. Niemand sagte Faith, was sie zu tun und zu lassen hatte. „Wenn sie uns nicht helfen wollen, sollten wir das Schiff einfach übernehmen“, schlug Faith vor, als Buffy sich mit Giles, Willow und Xander über ihre weitere Vorgehensweise unterhielt. Soweit Faith das beurteilen konnte, wussten sie noch immer nicht genau, auf welchem Planeten sich diese bescheuerte Sichel aufhalten sollte, die sie finden mussten. Sich willkürlich auf einem absetzen zu lassen und auf einem anderen Schiff um Transport zu bitten, obwohl sie kein Geld mehr bei sich trugen, war Verschwendung von Zeit, die sie nicht hatten. Wenn sie dieses Schiff übernehmen würden, hätten sie sofort ein Transportmittel. „Sie haben uns gerettet“, sagte Buffy, „und du willst es ihnen gleich danken, in dem wir ihnen ihr Schiff klauen?“ „Hast du eine bessere Idee, B?“, forderte Faith und schob die Brauen gereizt zusammen. „Nein“, gestand Buffy und senkte den Blick. „Nachdem ihr schon meinen ersten Vorschlag abgeschmettert habt, uns einfach diesen Master vorzuknöpfen, könntest du ruhig mal kooperativ sein“, setzte Faith nach. „Niemand hat dich zur Chefin ernannt.“ „Eine Meuterei ist nicht nötig. Wir können euch Geld schicken und euch einen Transport buchen“, unterbrach Giles. „Außerdem haben wir seit eurem Verschwinden weiter geforscht und sind auf ein paar interessante Dinge gestoßen, was den Aufenthaltsort der Sichel betrifft. Willow?“ „J-Ja.“ Das Rascheln von Papieren und das Umschlagen von Seiten war zu vernehmen, als Willow den Bücherstapel, der sich neben dem Bildschirm befand, durchsuchte. Es war ein Wunder, dass Giles’ wohlgehütete und antike Kollektion in ihrem Eifer nicht ebenso wie Vampire zu Staub zerfiel. „Ah, hier ist es.“ Willow tauchte mit einem Buch im Arm wieder auf, während ihr Finger über die Seite wanderte. „Wenn wir es richtig übersetzt haben, besagt die Legende, dass sich die Sichel in einem Höhlenkomplex befindet, der nicht natürlich entstanden ist. Der Orden der Beschützer hat einen Tempel über ihn errichtet und der stellt den einzigen Eingang dar.“ „Wir haben nachgeforscht“, sagte Xander. „Ihr glaubt gar nicht, wie viele Tempel es im Universum gibt und wie viel man über ihre Geschichte in den Datenbänken findet.“ Er wischte sich mit der Hand theatralisch über die Stirn. „Wir haben die Tempel auf Planeten mit natürlichen Höhlensysteme rausgestrichen. Ich meine, rein vom Logischen her, würde es keinen Sinn ergeben, einen Hohlraum auszuheben, wenn man eine Höhle eine Meile entfernt zur Verfügung hat“, erklärte Willow. „Wir haben auch nur Tempel auf der Liste der Möglichkeiten gelassen, die zeitlich zu den Informationen passen, die wir über den Orden haben. Danach haben wir—“ „Willow, die Kurzfassung...?“, unterbrach Buffy und der Mund der rothaarigen Hexe öffnete und schloss sich wieder, ohne dass ein Wort über ihre Lippen drang. „R-Richtig“, presste sie schließlich hervor. Giles räusperte sich. „Es sind drei Tempel übrig geblieben. Einer davon, der sich auf einem Core-Planeten befunden hat, steht allerdings schon seit Jahrzehnten nicht mehr. An seiner Stelle wurde ein Anwesen dahingesetzt. Das Höhlensystem müsste sich theoretisch aber noch immer unter ihm befinden.“ „Und ihr glaubt, dass sich dort diese Sichel befindet?“, fragte Faith, um den Austausch der Neuigkeiten zu beschleunigen. Sie brauchten alle so furchtbar lange, um mit der Sprache herauszurücken und auf den Punkt zu kommen. Bis dahin hätten sie den Planeten schon zehnmal erreicht. „Genau“, erwiderte Giles. „Es wäre nicht unklug, die Geschichte des Tempels zu vertuschen, wenn man sich vor Räubern oder eben Vampiren schützen will. Und es war schwer, überhaupt etwas über diesen Tempel zu erfahren.“ „Nun...“, begann Buffy und atmete tief durch. „Das ist zumindest ein besserer Hinweis, als wir ihn bisher hatten. Es ist ein Anfang. Am besten ihr gebt uns gleich die Koordinaten durch. Ich weiß nicht, ob wir euch noch mal kontaktieren können, bevor wir das Schiff verlassen.“     17 Das Echo seiner Schritte begleitete Simon, als er der Krankenstation den Rücken kehrte. Doch es stellte nicht das beruhigende Geräusch dar, zu welchem es in all seiner Zeit auf der Serenity geworden war. Nun lauschten seine Ohren unweigerlich nach anderen Lauten in seiner Umgebung, als würde sich jemand an ihn heranschleichen wollen. Doch nur weil Vampire plötzlich doch keine Ausgeburten der menschlichen Fantasien waren, bedeutete das noch lange nicht, dass sie nun überall auf dem Schiff auf ihn lauern würden. Der einzige Vampir hier war Spike, der jedoch an einen Stuhl gefesselt war. Das wollte immer noch nicht richtig in Simons Kopf hinein. Er hatte nach einem Puls gefühlt, doch es hatte keinen gegeben. Die Haut war kalt und blass gewesen, selbst jetzt noch. Bedeutete das, dass alle fiktiven Merkmale der Wahrheit entsprachen? Sollte er sich mit Knoblauch eindecken? Hatten sie den überhaupt an Bord? Irgendwie bezweifelte Simon es. Das Skalpell hatte er auch nur unfreiwillig in der Krankenstation zurückgelassen. Allerdings hatte er noch nie jemanden ein Skalpell in das Herz gerammt, geschweige denn irgendjemanden schon mal mutmaßlich verletzt. Verfehlen würde er das Herz bei seinem Wissen um die Anatomie wohl nicht, aber... würde er überhaupt zustechen können? Auch diese Antwort lag auf der Hand, da machte er sich nichts vor. Seine Weste glatt streichend, als könnte er damit auch diese unangenehmen Gedanken fortwischen, folgte Simon den aufgeregten Stimmen, die aus den gemeinschaftlichen Räumlichkeiten drangen. Was war nun wieder geschehen? Simon war sich nicht sicher, ob er es überhaupt in Erfahrung bringen wollte. Diese Vermutung bestätigte sich, als sein Blick auf Jayne fiel. Er saß an dem langen Tisch und nahm einen der Stühle vor sich auseinander. Die Stuhlbeine lagen abgeschraubt neben ihm, als Jayne das Messer zückte, welches an seinem Gürtel hing. „Das ist besser der erste und letzte Stuhl, den du anrühren wirst, Jayne.“ „Oder was?“, brummte dieser, als er anfing, an dem ersten Stuhlbein herumzuschnitzen und eines der Enden zu spitzen. „Du lässt mich Bekanntschaft mit der Luftschleuse machen? So wie du es bei diesem Vampir auch tust, Mal?“ Beide Männer tauschten einen finsteren Blick aus. Simon räusperte sich. „Störe ich?“ „Ja“, sagten Jayne und Mal wie aus einem Mund. Simon hob die Brauen, auf der Stelle festgefroren und nicht ganz sicher, ob er sich vor- oder rückwärts bewegen sollte. „Oh. Dann... geh ich wohl wieder?“ Anstatt ihn anzusehen klebte Mals Blick auch weiterhin auf Jayne, als könnte er Jayne mit seinem Willen allein dazu zu bewegen, den Stuhl wieder zusammenzusetzen. Allerdings hatte Simon wenig Hoffnung, dass dieser stumme Befehl bei dem anderen ankam. Jayne schnitzte weiter stur an dem Stuhlbein herum, während Holzsplitter nach links und rechts flogen und verloren am Boden liegen blieben. Langsam setzte Simon einen Schritt zurück, doch Mals Stimme ließ ihn erneut innehalten. „Schläft River noch?“ „Ja...“, erwiderte Simon langsam. „Ich habe ihr gestern noch das Beruhigungsmittel gegeben und seitdem ist ihr Schlaf friedlich.“ Dass ihr Zustand sich sofort gebessert hatte, nachdem sie die Kisten geöffnet hatten, sprach Simon nicht aus. Es war genauso wie damals auf dem Planeten Miranda. Wahrscheinlich war es nicht einmal nötig, Mal das mitzuteilen. So undurchschaubar wie ihr Captain manchmal wirken konnte, so intuitiv war er bei anderen Gelegenheiten. Es erstaunte Simon immer wieder aufs Neue. „Gut“, sagte Mal und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann können wir—“ „Mal!“, rief Tom, seine Stimme atemlos. Er kam in den Gemeinschaftsraum gestolpert und sah über seine Schulter zurück, als würde er nach jemandem Ausschau halten. „Mal, ich muss mit dir sprechen.“ Mal fuhr herum. „Was ist nun wieder? Ich weiß nicht, ob ich es wissen will, wenn es noch mehr schlechte Nachrichten sind.“ Daraufhin hielt selbst Jayne in seinem Tun inne, um den Piloten zu beäugen. Tom blieb wie angewurzelt stehen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bevor sie seine Stirn empor kletterten. „Es sind keine guten, soweit ich das beurteilen kann. Jedenfalls klang das, was ich von dem Gespräch zwischen den Slayern und ihren Leuten mitbekommen habe, ein bisschen danach, als wollen sie das Schiff übernehmen. Und wenn ich an die Stärke denke, mit der Buffy vorhin den Stuhl mit Spike rübergezogen hat, sind sie nicht zu unterschätzen.“ Trotz der Umstände fehlte dem Piloten die Ernsthaftigkeit und die Besorgnis, die Simon in diesem Moment fühlte. Jayne war mit einem Mal auf den Beinen. In der einen Hand hielt er sein Messer, in der anderen das spitze Ende des Stuhlbeins, als wollte er Tom damit erstechen. „Ist das dein Ernst?“ Tom streckte die Hände in unschuldiger Manier in die Höhe. „Warum sollte ich lügen?“ „Warum solltest du die Wahrheit sagen?“, konterte Jayne, woraufhin Tom nichts mehr zu sagen wusste. Diesen Effekt hatte Jayne auf Simon auch gelegentlich, was nichts mit dem überragenden Intellekt zu tun hatte, den Jayne sich einredete. Der Arzt zuckte mit den Schultern, als Tom fragend zu ihm herüberschaute. Hinter ihnen ertönte ein kehliges Lachen von Spike. Der Vampir war noch immer an seinen Stuhl gefesselt. Simon konnte jedoch sein Gesicht nicht sehen, da er mit dem Rücken zu ihnen saß. „Ihr seid echte Helden, was? Faith hat recht, ihr macht euch in die Hosen, dabei habt ihr das Schlimmste bisher noch gar nicht erlebt.“ Spike wandte den Kopf in ihre Richtung und präsentierte ihnen das Seitenprofil eines selbstgefälligen Grinsens, welches eine Reihe blitzender, wenn auch recht stumpfer Zähne preisgab. Simon bezweifelte, dass er damit jemanden effektiv das Blut aus den Adern saugen konnte. Die Zähne des anderen Vampirs, der Jayne angefallen hatte, hatten anders ausgesehen. Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als Mal an ihm vorbeistürmte. Er packte den alten Waschlappen, mit dem sie stets den Tisch abwischten, und marschierte zu Spike hinüber. Dieser grinste und tat es noch so lange, bis Mal sein Kinn packte, seinen Mund aufzwang und den Lappen als Knebel hineinschob. „Da ich den Verdacht habe, dass es keinen Unterschied macht, ob ich dich nett darum bitte oder nicht, hältst du jetzt den Mund.“ Gedämpfte Proteste kamen von Spike. Unter Mals Blick verstummten sie jedoch, während Simon sich zwang seine Gesichtsmuskeln zu lockern, die sich bei dem Gedanken an all die Bakterien angespannt hatten. Spike war tot. Ein bisschen Schmutz von einem Lappen mochte widerlich sein, aber war nicht schädlich für ihn. Zufrieden gab sich Mal mit der plötzlichen Ruhe nicht. Noch im selben Atemzug zog er seinen Revolver hervor und hob den Hammer geräuschvoll zurück. „Und wenn jemand denkt, sich die Serenity so einfach unter den Nagel reißen zu können, hat er sich gewaltig geschnitten.“ Mal ging davon und in Richtung des Cockpits. Simon und Tom tauschten einen weiteren Blick aus und selbst Jayne grunzte fragend. Mit den Waffen bereits in der Hand folgte er seinem Captain mit energischen Schritten. Ein ekliges Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. Allein das war schon genug, damit sich Simon Sorgen machte. Zusammen mit Tom joggte er hinter den beiden Männern her. „Ist das wirklich weise, einfach mit den Waffen reinzustürmen?“, fragte Simon atemlos. „Wie Tom bereits gesagt hat... sie sind physisch stärker als wir.“ So zerbrechlich wie die beiden Frauen aussahen, waren sie jedenfalls nicht, das stand fest. Er würde das zu gern einmal testen, auch wenn es für diesen Wunsch der vollkommen falsche Augenblick war. Mal drehte sich nicht zu ihm, sondern marschierte weiter. Nur Jayne nahm sich die Zeit, um Simon unsanft von sich zu schubsen. „Das regeln jetzt die Erwachsenen.“ Der Pilot hielt Simon aufrecht, als dieser rückwärts in seine Arme taumelte. „Sie wissen schon, was sie tun. Bisher hat Mal immer die Kurve gekriegt, soweit ich das beurteilen kann.“ „Aber nicht, weil er besonders vorausschauend ist“, bemerkte Simon. Er schüttelte Tom ab und achtete nicht darauf, ob der blonde Mann ihm folgte, als er ein weiteres Mal hinter Mal und Jayne herlief. Sein Herz klopfte wild in seiner Brust und erinnerte Simon daran, dass er für solche Dinge nicht gemacht war. Selbst nach all der Zeit war er nicht gut in den ganzen Kriminalitätssachen, in die sie laufend verstrickt waren. Schießereien und Schlägereien lagen ihm einfach nicht, waren bei dieser Mannschaft jedoch praktisch an der Tagesordnung. Und nun mussten sie sich auch noch mit sogenannten Superfrauen und toten Menschen auseinandersetzen, wobei letztere das Universum zu zerstören versuchten. Das war doch alles ein bisschen zu viel auf einmal. Mal und Jayne erreichten das Cockpit vor Simon und der Lauf von Mals Revolver richtete sich bedeutungsschwer auf Faiths Stirn, als diese sich zu ihnen umdrehte. „Die Serenity ist mein Schiff. Sie bleibt mein Schiff“, verkündete Mal. Buffy blieb auf dem Pilotenstuhl sitzen und reckte den Kopf in ihre Richtung, der Bildschirm vor ihr schwarz. Ihre Augen wanderten von einer Person zur anderen, anschließend von einer Waffe zur nächsten. „Okay...?“ Keiner von ihnen schien den Arzt auch nur wahrzunehmen, der schwer atmend im Türrahmen stehen blieb. Den Kopf schieflegend zog Mal die Augenbrauen zusammen. Seine Wut verpuffte. „Was heißt ihr ‚okay’?  Warum klingt das wie eine Frage?“ „Die Monsterfrauen werden das sowie nicht zugeben. Dazu fehlt es ihnen an Mumm“, entrann es Jayne, dessen Messer auf Buffy zeigte, während das angespitzte Fußbein ebenfalls auf Faith gerichtet war. „Bringen wir sie zur Luftschleuse und sagen ihnen auf Wiedersehen.“ „Oh ja?“ Faith stemmte eine Hand in die Hüfte. „Ihr könnt gern versuchen uns irgendwo hinzubringen. Ob euch das gelingt, nun... das steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Nicht wahr, B?“ Ihre freie Hand ballte sich zu einer Faust, doch Buffy schnellte vor und packte ihr Gelenk, bevor sie etwas tun konnte. Vermochten sie auch eine Pistolenkugel zu überleben oder war Faith lediglich bereit gewesen, das Risiko einzugehen? „Das reicht jetzt“, sagte Buffy. „Sie hat recht“, fügte Simon hinzu. Er schob sich mit erhobenen Händen und mit zittrigen Knien zwischen Mal und Jayne und den beiden Slayer. „Wir sollten in Ruhe darüber reden. Ich bin sicher, dann finden wir auch eine Möglichkeit uns zu einigen und eine Meuterei zu verhindern.“ „Reden?“, spuckte Jayne ihm entgegen. „Es ist zu spät zum Reden. Aus dem Weg!“ Er packte Simon unwirsch am Oberarm, um ihn beiseite zu stoßen, als ein helles Piepen das Cockpit erfüllte. Die Blicke aller Anwesenden wanderten durch den engen Innenraum herüber zu den Konsolen. Ein Licht blinkte im Takt des Geräuschs. Mal biss die Zähne aufeinander. Simon konnte es anhand seines Kiefers sehen, erkennen wie er mit sich rang. Letztendlich beugte er sich vor, ohne die Pistole von Faith abzuwenden. Er verschob den Bildschirm, so dass Buffy und Faith nicht zu sehen waren und gab ihnen mit einem Finger an den Lippen zu verstehen, dass sie ruhig bleiben sollten. Erst danach betätigte er einen Knopf und der schwarze Bildschirm wurde mit einem braungebrannten Gesicht mit wildabstehenden Haaren ersetzt, das Simon nicht kannte. Die fremde Stirn legte sich in Falten, als der Mann die Szene betrachtete, die sich ihm zeigte. Er musterte Jayne und Mal mit ihren erhobenen Waffen. Simon konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie absurd das von seiner Seite aus wirken mochte. Letztendlich breitete sich ein verwundertes Lächeln auf den Lippen des Mannes aus. „Scheint so, als hätte ich mir ein schlechtes Timing ausgesucht, um dich zu kontaktieren, Mal“, verkündete er. „Das kann mal wohl sagen, Boyd.“ Mal wedelte mit dem Revolver herum. „Wir sind hier gerade etwas beschäftigt.“ „Das habe ich mir fast ein wenig gedacht, mein alter Freund“, erwiderte Boyd Crowder, der Geschäftsmann, mit dem Mal und die anderen auf Harlan aneinander geraten waren. Er stellte auch den Grund war, weshalb sie die Kisten an Bord genommen hatten, wenn sich Simon nicht irrte. Also war er verantwortlich für das Auftauchen von Buffy, Faith und Spike – und Mal wollte offensichtlich nicht, dass er sah, dass seine Lieferung sich frei auf dem Schiff bewegte. „Eigentlich lag es mir auch nur am Herzen, nach meinem geliebten Cousin zu sehen“, fuhr Boyd im geselligen Ton fort. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verhakte die Finger beider Hände miteinander. „Immerhin muss ich sichergehen, dass du Johnny gut behandelst. Dass es ihm an nichts fehlt. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er nur noch aus Haut und Knochen bestehen würde, weil eure Rationen bei diesem langen Flug nicht für alle Mitglieder reichen würden. Das wäre ja nun wirklich ein Dilemma.“ Mals Mundwinkel hoben sich. „Ich bin sicher, Johnny wird gerührt sein, dass du so viele Gedanken an ihn verschwendest.“ „Nun, das werden wir wohl nur herausfinden, wenn ich meinen Cousin zu sehen bekomme, nicht wahr?“ Die aufgesetzte Freundlichkeit Boyds war fest mit der Bestimmtheit, die in seinen Worten mitschwang, verankert. Ein Blick aus den Augenwinkeln zu Mal herüber genügte, damit Simon sichergehen konnte, dass auch Mal sich ihm nicht entziehen konnte. Obwohl der Arzt noch nie ein Fan von Metaphern gewesen war, so traf das einer Spinne, die ihre Beute in ihrem Netz fing und dann schnell in einen Kokon einwickelte, ziemlich genau auf Boyd Crowder zu. Er musste nicht viel von diese Art von Geschäften verstehen, um zu wissen, dass Mal diesen Auftrag von ihm nicht angenommen hätte, wenn er eine andere Wahl gehabt hätte. Boyd hatte sie vollkommen in der Hand. „Einen Moment. Ich glaube, er besucht gerade die Herrentoilette“, sagte Mal. „Du weißt ja, Johnny ist nicht mehr der Schnellste...“ Boyd hob die Hände. „Ob du es glaubst oder nicht, ich habe alle Zeit der Welt zur Verfügung.“ Ein Nicken war Mals Antwort, als er den Bildschirm auf Standby schaltete und Boyds Gesicht kurzzeitig verschwand. Widerwillig steckte er seine Waffe weg und stemmte die Hände in die Hüften. „Das war der Mann, der geholfen hat, euch einzufangen“, richtete Mal das Wort an Faith und Buffy. „Wenn ihr nicht wollt, dass er darauf aufmerksam wird, dass ihr nicht mehr in den Truhen im Laderaum liegt, würde ich vorschlagen, dass ihr euch ruhig verhaltet. Was ich damit meine ist, dass es keine Meuterei geben wird. Verstanden?“ „Natürlich“, antwortete Buffy und rammte Faith den Ellenbogen in die Seite, als die braunhaarige Slayer nicht reagierte. „Schon gut, okay. Ich bin es ja eh gewohnt, dass man meine Ideen abschmettert.“ Faith schnaubte verächtlich und marschierte davon. „Es tut uns leid“, sagte Buffy und folgte ihr mit einem Zögern. „Wir sind wieder in unseren Kajüten.“ „Simon, hol Johnny und sag Zoe, dass sie besser ihre Schrotflinte parat hält“, wandte sich Mal an den Arzt, bevor er bereits zu Jayne überging. „Jayne, du passt auf, dass unsere zwei Damen keinen Ärger machen und sich tatsächlich ruhig verhalten.“ Das Grinsen, welches bei Boyds Unterbrechung mehr und mehr verblasst und von einer Grimasse ersetzt worden war, kehrte auf Jaynes bärtiges Gesicht zurück. „Kein Problem, Mal.“ Mit hocherhobenen Messer und dem Pflock folgte er den Slayern. „Ohne Gewalt, wenn es geht“, rief Mal ihm hinterher und massierte sich die Schläfe. „Ist das möglich?“, fragte Simon. Bisher hatte er sich nicht von der Stelle bewegt. Er wusste auch gar nicht genau, ob er sich nun auf Buffy und Faith bezog oder nicht doch auf Boyd und Johnny. Oder auf die Vampire im Allgemeinen und sogar auf den Master, der irgendeinen Dämon aus seinem Gefängnis befreien wollte. Es gab eine Menge Dinge, die zur Besorgnis einluden. Mal sah ihn für einen Moment an, bevor er nonchalant mit den Schultern zuckte. Fast so, als glaubte er, dass Simon blind war und seine Resignation nicht bemerkt hätte. „Ich schätze, das werden wir früher oder später herausfinden, Doktor. Ob wir wollen oder nicht. Und jetzt geh, einen Mann wie Boyd lässt man nicht warten, wenn man kein allzu großes Aufsehen erregen will.“     18 Johnny wusste, warum er Raumschiffe im Normalfall mied. Die klimatisierte Kälte war pures Gift für seinen Rücken. Das ging schon seit heute Morgen so, obwohl er eigentlich keine Ahnung mehr hatte, wann es hier Morgen oder Abend war. Woher sollte man das auf dieser verfluchten Blechbüchse auch wissen? Er war vollkommen verspannt und bereits mit steifem Rücken aufgewacht. Zudem hatte er es kaum aus dem Bett geschafft, als zusätzlich ein stechender Schmerz durch seine Hüfte gefahren war. Dieser machte sich auch jetzt noch als ein dumpfes Pochen bemerkbar, welches bis in sein rechtes Bein hinunter gezogen war. Seine Hand verkrampfte sich um die Tasse, die Inara ihm vor einigen Minuten in die Kajüte gebracht hatte. Ungefragt, verstand sich. Johnny war kein Fan von Tee und ganz besonders nicht von süßlichem Beerengeschmack. Er bevorzugte den Whiskey, den es in seiner Bar stets gegeben hatte. Er vermisste seine Bar, Punkt. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass der Tee ihn wieder etwas aufwärmte und die konstante Kälte, die auf dem Schiff herrschte, zum ersten Mal seit dem Aufstehen in seine Schranken wies. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass wieder Blut in seinen Arterien floss und keine Eisklumpen. Er war für das Leben auf einem Raumschiff einfach nicht gemacht. Niemand war das, der den Großteil davon auf einem wüstenähnlichen Mond verbracht hatte. Sich seinen Oberschenkel massierend leerte er den Rest der Tasse in einem Zug, bevor er sich wieder nach hinten in den Stuhl lehnte. Viel hatte diese Kajüte, die man ihm vorübergehend zugeteilt hatte, nicht zu bieten. Sie enthielt ein schmales Bett, eine einklappbare Toilette, ein Waschbecken und einen winzigen Tisch mit einem unbequemen Stuhl, der bei jeder Gewichtsverlagerung knarrte. Das Schlimmste waren jedoch all die rotbraunen und violetten Tücher, welche an die Wände festgemacht waren, um den Raum... was, Atmosphäre zu geben? Wenn dem so war, hatte der Verantwortliche jedenfalls komplett daneben gegriffen. Johnny besah sich die Dekorationen zum wiederholten Male mit verzogenem Gesicht, als erneut ein Klopfen zu vernehmen war. Sein Blick ging zu der Leiter, die den einzigen Ausweg darstellte. Niemand zeigte sich. „Komm rein“, brüllte Johnny mit einem Augenrollen. Das war nicht Inara, so viel stand fest. Sie war zwar höflich gewesen, aber hatte nicht dort oben gewartet, bis er geantwortet hatte. Ansonsten wäre der Tee vermutlich kalt gewesen. Der Eingang mit der montierten Leiter wurde quietschend aufgezogen und zwei polierte Schuhe tauchten auf, die einige Sprossen herunterstiegen. Zu ihnen gesellte sich eine feine Stoffhose und ein seidenes Hemd, das mit einer Weste abgerundet war. Johnny wusste bereits wer es war, bevor Simons Kopf sichtbar war, als er in die Kajüte herunterkletterte. Was wollte der Arzt von ihm? Hatte Inara ihm etwa Bescheid gegeben? Sie hatte auch ohne sein Zutun auf seine körperlichen Beschwerden geschlossen. Generell wusste diese Frau etwas zu viel für seinen Geschmack – und bestimmt auch weitaus mehr als Malcolm Reynolds. „Ich hoffe, ich störe nicht“, entrann es Simon, der an der Leiter festhielt, ansonsten jedoch einen unleserlichen Ausdruck auf dem Gesicht trug. „Mal sucht nach dir. Es betrifft deinen... Cousin? Einen gewissen Mann namens Boyd.“ Sein Blick huschte durch den kleinen Raum, als erwartete er etwas Ungewöhnliches zu entdecken, blieb letztendlich jedoch an Johnnys Gehstock hängen, der neben ihm am Tisch lehnte. Typisch Doktor eben. Doch dass Simon ihm noch immer nicht vertraute, wurde ebenfalls deutlich. Kein Wunder, dafür hatte Boyd gesorgt, als er diese eingefrorenen Menschen an Bord der Serenity geschafft hatte. Sein Cousin war nicht so blauäugig, um zu glauben, dass das niemanden auffallen würde. Oder doch? Nun, wer rechnete schon mit einem Mädchen, das scheinbar eine ausgeprägte Intuition hatte, wenn sie nicht gerade verrückt in der Gegend herumlief und unsinniges Zeug von sich gab? Jayne hatte ihm nach einem Gläschen bereits zu viel davon erzählt, dass das Gör sein Gehirn zum Platzen bringen konnte, doch Johnny hatte sich nur mit dem Heben einer Augenbraue begnügt. Das war etwas zu albern, als dass er das glauben würde. Allerdings war Jayne nicht der hellste Stern im Universum – und warum sollte es diese Art von Kraft nicht geben, wenn sie sich schon mit Fabelwesen und dem Ende von allem herumschlagen mussten? Das machte es wohl nicht komplett unmöglich. „Mein geliebter Cousin kann ruhig ein bisschen warten“, sagte Johnny, als er sich mit zwei Anläufen aus dem Stuhl hievte. Er biss die Zähne gegen den Schmerz zusammen und stützte sich am Tisch ab. „Vielleicht holt ihn das von seinem hohen Ross herunter.“ Ein freudloses Lächeln huschte über seine Lippen. „Andererseits hat das noch nichts geschafft. Boyds Ego ist so groß wie diese Galaxie. Mindestens. Wo ist er?“ „Im Cockpit. Ich kann mir bei Gelegenheit deinen Rücken ansehen“, erwiderte Simon. „Ich bin immerhin Arzt. Dafür bin ich da.“ Johnny schob sich humpelnd an ihm vorbei und zog sich an der Leiter hoch. „Du siehst fähiger aus, als unser Doktor auf Harlan, dass muss ich dir lassen.“ Mit diesen Worten ließ er Simon in seiner Kajüte stehen und kletterte hinaus. Nicht nur, dass er überhaupt irgendwo im Weltall für Boyd herumfliegen musste, es musste ausgerechnet ein Kahn sein, der Leitern anstatt normale Stufen hatte. Der Weg zum Cockpit war nicht allzu weit, doch ließ sich nur schleppend hinter sich bringen. Allgemein kam Johnny die einzelnen Strecken von einem Ort zum anderem zunehmend länger vor. Als er Mal im Pilotenstuhl sitzen sah, fühlte sich sein Bein bereits an, als hätte es Feuer gefangen und der Schweiß war auf seiner Stirn ausgebrochen. Mal drehte sich nur langsam mit dem Stuhl zu ihm um. „Boyd ist um dich besorgt.“ Ein Schnauben seitens Johnny folgte. „Er hat Angst um seine Ladung. Um die ist er besorgt.“ „Was wirst du ihm sagen, Johnny?“ Darum ging es hierbei also. Mal wollte nicht, dass Johnny ausplauderte, was sich in den letzten Tagen auf der Serenity so alles zugetragen hatte. Am liebsten hätte er aufgelacht, aber schon das Heben der Mundwinkel kostete Mühe. „Keine Ahnung, Mal. Das werde ich sehen, wenn ich meinem Cousin gegenübersitze.“ Beide starrten sich an. Doch wer mit einem Menschen wie Boyd Crowder und dessen Vater aufwuchs, der zu seinen Lebzeiten auf seine Art genauso schlimm gewesen war, der lernte diesen intensiven Blick zu ertragen, ohne sich von ihm die Seele durchleuchten zu lassen. „Ich hoffe, du erzählst ihm nicht, dass du dich unwohl unter meinem Kommando fühlst“, sagte Mal. Er erhob sich ruckartig und bot ihm den Stuhl mit einer Handgeste an. „Das würde mir das Herz brechen.“ Johnny antwortete nicht, als er sich setzte. Trotzdem nahm er im Augenwinkel wahr, dass Mal im Türrahmen zum Cockpit innehielt, anstatt zu gehen. Johnny schaltete den Bildschirm ein und fand einen gelangweilt aussehenden Boyd am anderen Ende der Übertragung vor. Das Leben kehrte erst wieder in das Gesicht seines Cousins ein, als er Johnny entdeckte. Ein Zähne zeigendes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er öffnete die Arme, als wollte er Johnny durch den Bildschirm hindurch an seine Brust ziehen. Als ob sie sich jemals so etwas wie freundschaftlich umarmt hätten, lachhaft. „Johnny, mein Lieblingscousin. Du siehst erstaunlich gut aus, obwohl du eine gewisse Blässe auf dem Gesicht trägst.“ „Das ist das künstliche Licht auf einem Raumschiff, falls du weißt, was das ist, Boyd.“ Johnnys Finger trommelten auf dem Griff seines Gehstocks, der zwischen seinen Beinen ruhte. „Was willst du?“ „Was ich möchte? Ich möchte mich nach deinem Wohlbefinden erkundigen“, erklärte Boyd. Seine gute Laune ließ sich nicht vertreiben, aber das tat sie äußerst selten. Dennoch erwischte sich Johnny zum wiederholten Mal dabei, wie er seinem Cousin gern dieses Lächeln aus dem Gesicht wischen würde. Permanent. „Mich um dein Wohlbefinden zu erkundigen - und das meiner Ware natürlich“, fügte Boyd hinzu. „Wenn ich die Tage in meinem Kalender nicht unregelmäßig abgestrichen habe, dann sollte der Weg zur Raumstation nicht mehr allzu weit sein. Wie viele Tage werdet ihr ungefähr noch unterwegs sein? Zwei oder vielleicht drei?“ Johnny zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Ich bin hier weder Pilot noch Captain, wie du dich sicher erinnerst.“ „Ich hoffe, dass du wenigstens ein Auge auf die Lieferungen hast.“ Es war keine Frage oder gar Bitte, aber Johnny bezweifelte sowie, dass Boyd auch nur im entferntesten die Bedeutung von dem Wort ‚Bitte’ kannte. Johnnys Mundwinkel zuckten ein Stückchen nach oben, sackten im selben Augenblick jedoch wieder. „Sicher. Die Kisten sind alle ordentlich im Laderaum gestapelt. Der ist so kalt, dass da kaum jemand freiwillig einen Fuß hineinsetzt.“ Im Grunde galt das für das ganze Schiff, wenn es nach Johnny ging, aber das konnte Boyd nicht wissen. Er tat stets so, als wüsste er über alles am besten Bescheid, doch Johnny hatte seinen Cousin schon vor Jahren durchschaut. Boyd wusste rein gar nichts. Er war gut darin zu improvisieren und Leute um seinen Finger zu wickeln, aber damit konnte er nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass er genauso wenig Kontrolle über das Universum hatte wie jeder andere. Dieses Wissen über Boyd gab Johnny Macht, auch wenn dieser zu erhaben war, um es zu erkennen. „Das bedeutet also, dass alles ganz genau so abläuft, wie es geplant war?“, fragte Boyd und lehnte sich in seinem Stuhl vor. Er starrte Johnny ohne ein Blinzeln an. „Oder kannst du gerade nicht offen reden, Cousin Johnny?“ Mals Blick von der Seite kitzelte genauso auf Johnnys Haut, wie der Boyds. „Selbst wenn, würde meine Antwort nicht anders ausfallen. Ich hab lieber eine zweite Kugel im Rücken, als ewig auf diesem Kahn festzusitzen. Ich will die Ware nur abliefern und nach Harlan zurückkehren.“ Zum ersten Mal blitzte ein vielsagendes Lächeln über seine Lippen, als er sich den grauen Bart kratzte. „Ich vermisse mein Mädchen.“ Dieses Geständnis schien Boyd zufrieden zu stellen, denn er sackte lachend nach hinten in seinen Stuhl. „Sie bringt Audrey’s eine Menge Profit. Ava ist zufrieden mit ihr“, erwiderte er, als war es das, was Johnny hören wollte. Als wollte er wissen, mit wie vielen Männern am Tag sie ins Bett stieg und wem sie alles Liebesgeständnisse ins Ohr säuselte. Zugegeben, obwohl er anfangs nur etwas mit Teri angefangen hatte, weil sie gut aussah und um seinen Frust abzubauen, hatte er sich inzwischen trotzdem an sie gewöhnt. Zeit mit ihr zu verbringen, stellten ein paar entspannte Stunden dar, die Johnny nirgends sonst auf Harlan fand. „Vielleicht gibt Ava ihr dann einen Tag mehr in der Woche frei, wenn ich wieder da bin.“ „Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, werde ich ein gutes Wort bei meiner atemberaubenden Verlobten einlegen. Da Audrey’s jedoch ihr gehört, möchte ich keine Versprechen machen, die ich eventuell nicht einhalten kann.“ Boyd neigte den Kopf zur Seite und gestikulierte mit den Händen. „Schon klar.“ Johnny erhob sich ächzend. „Wie dem auch sei, ich melde mich, wenn es erledigt ist.“ Ohne Abschiedsworte brach Johnny die Verbindung ab. Ein paar Sekunden lang starrte er den nun schwarzen Bildschirm an, bevor er zu Mal herübersah. Dieser lehnte noch immer mit der Hüfte am Türrahmen, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. „Zufrieden?“, fragte Johnny. „Warum hast du gelogen?“ Natürlich stellte ihm Mal eine Gegenfrage. In dieser Hinsicht ähnelte er Boyd, auch wenn ihm dieser Gedanke wahrscheinlich nicht gefallen würde. Allerdings unterschätzten ihn beide Männer gleichermaßen. Boyd ging davon aus, dass Johnny ihn nicht hintergehen würde, weil dasselbe Blut in ihren Adern floss und er der Meinung war, dass Johnny nicht genug Mumm besaß. Mal dagegen traute ihm nicht über dem Weg, weil er ein Mitglied der Crowder-Familie war. Es war immer das Blut, welches Johnny in Schwierigkeiten brachte. „Boyd hat es verdient. Um ganz ehrlich zu sein, ist das schon eine lange Zeit überfällig.“ Johnny hielt das Grinsen nicht zurück, als er das sagte. Dazu gab es keinen Grund mehr, denn Boyd hatte nicht mehr den längeren Arm. Hier draußen im All wurde nach anderen Regeln gespielt. Hier gab es größere Probleme, als seinen popeligen Cousin, der dachte, dass er der das Zentrum des Universums war. „Soll sich Boyd bloß in Sicherheit wiegen. Vielleicht haben wir Glück und ein paar Vampire laufen ihm über den Weg.“ VII. Die Nachricht. Kontaktabbruch. Angriff. -------------------------------------------- 19 Es war still geworden. Die ruhige Atmosphäre erinnerte Tom glatt ein wenig an die, die auf der Serenity geherrscht hatte, bevor Slayer und Vampire an Bord aufgetaucht waren. Zumindest galt das für das Cockpit, denn in Cockpits hatte sich Tom schon immer am Wohlsten gefühlt. Sein Blick wanderte zu Johnny herüber, der mit einem sturen Schweigen auf dem zweiten Pilotenstuhl saß und durch die breite Scheibe hinaus ins All starrte. Die Furchen von den Pocken waren tief in seine Haut gegraben und stellten bei den schlechten Lichteinflüssen schattige Abgründe dar. „Ganz schön verrückt alles, was?“, sagte Tom, nachdem er alle Systeme zum zehnten Mal überprüft hatte und nun endgültig die Finger von der Steuerungskonsole nahm. Der Autopilot kümmerte sich ohnehin um ihren Flug. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und drehte sich in die Richtung des grauhaarigen Mannes mit dem Ziegenbart, der schon eine halbe Ewigkeit wortlos neben ihm saß. Eigentlich tat er das bereits seit sein Cousin Kontakt zu ihm aufgenommen hatte, was einige Stunden zurücklag. Johnny stützte den Ellenbogen auf der Stuhllehne ab und bettete das Kinn auf der Handfläche. „Ich nenne das durchgeknallt. Ich dachte, mein Leben kann kaum schlimmer werden, nachdem Boyd mich auf diese kleine Abenteuerreise geschickt hat. Scheinbar hab ich mich geirrt. Und da misstraut Mal ausgerechnet mir.“ „Kannst du ihm eigentlich nicht übel nehmen“, erwiderte Tom und schenkte Johnny ein schiefes Grinsen, als dieser ihm einen kritischen Blick zuwarf. „Bei so einem Cousin wie Boyd, meine ich.“ Johnny neigte den Kopf zur Seite. „Und das Schlimmste an ihm ist, dass er mit allem irgendwie durchkommt. Das und seine geschwollene Aussprache. Es gibt niemanden in diesem Universum, der besser große Reden schwingen kann als mein Cousin. Schon von Kindheit an.“ Tom hob die Augenbrauen. Er konnte sich nicht erinnern, dass Johnny zuvor jemals so viel geredet – oder in diesem Fall wohl eher gemeckert – hatte. Das war schon ein kleiner Rekord, der den Piloten mindestens genauso amüsierte, wie die Beschreibung Boyd Crowders. Zugegeben, Tom hatte nicht allzu viel Zeit mit Boyd verbracht, doch der jüngere Crowder hatte dennoch einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen. Dass Boyd in ihrer Zeit zusammen nie ein Wort über Johnny verloren hatte, sprach ebenfalls für sich. Das Lachen war bei Johnnys Worten aus Toms Kehle gedrungen, bevor er es überhaupt als angemessen eingestuft hatte. Allerdings nahm er an, dass es schon in Ordnung ging, da auch Johnnys Mundwinkel sich widerwillig in die Höhe zogen. „Ich hab gehört, dass du Mal von der kleinen Meuterei erzählt hast, die dann doch keine war“, sagte Johnny, als Toms Lachen längst wieder verklungen war. Die Retourkutsche folgte auf dem Fuß, das hätte sich Tom denken sollen. Johnny war kein Mann, der es gern hatte, dass man sich auf seine Kosten amüsierte, ohne ebenfalls herzuhalten. Ganz im Gegenteil, so wie Tom das bisher herausgehört hatte, war er in seinem Leben schon zu oft von seinem Cousin zum Gespött gemacht worden. „Ob du es glaubst oder nicht, aber ich wollte hilfreich sein. Das Richtige tun, du weißt schon. In dem Moment, in dem ich es gehört habe, klang es ernst.“ Tom zuckte in lässiger Manier mit den Schultern und drehte seinen Stuhl weg von Johnny. „Ich geb es zwar nur ungern zu, aber nur wegen mir sind wir in dieser dummen Situation gelandet. Ich schulde es Mal.“ Minutenlanges Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, nur begleitet von dem Rauschen der Lüftungsanlage und von dem Vibrieren der Motoren, welche die Serenity stetig vorantrieben. Anfangs hatte Tom es noch als störend und altmodisch empfunden, dass die Fluggeschwindigkeit sich tatsächlich bemerkbar machte. Das leichte Beben im Boden und auch in seinem Stuhl verursachte ihm jedoch ein Kribbeln im Bauch. Eines, das auch nach Wochen noch auftauchte, wenn Tom die manuelle Kontrolle über das Schiff übernahm. Anders als die neuartigen Raumschiffe konnte er hier die Verantwortung spüren, die in seinen Händen lag. Die Leben, die auf dem Spiel standen. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut und obwohl es ihm nach dem Unfall jahrelang davor gegrault hatte, fiel es ihm leichter es zu akzeptieren, als er angenommen hatte. Immerhin hatte er eigentlich nur die erste Gelegenheit ergriffen, um von Cygnus herunterzukommen, wo er gestrandet war. Weg von dem ewigen Staub in der Luft, den unterirdischen Höhlen und den Reavers, die dort gewütet hatten. Oder sollte Tom sagen, dass die Vampire dort gewütet hatten? Es ergab mehr Sinn, denn Reaver ließen keine blutleeren Toten zurück. Vampire taten es schon eher, zumindest taten sie es in Holo-Romanen. Vielleicht sollte er diesen Spike mal danach fragen... „Das Richtige tun ist überbewertet“, nahm Johnny die Unterhaltung wieder auf. Das Kinn lag wieder auf der Handfläche gebettet und das zerfurchte Gesicht war zu einer Grimasse verzogen. „Menschen, die das Richtige tun, kommen nicht sonderlich weit.“ Tom schielte zu dem Älteren herüber, bevor er wieder zu den Sternen hinaus sah. Sie waren nur helle Punkte in einer unendlichen Dunkelheit. „Vielleicht. Vielleicht sind Mal und die anderen deswegen immer hier draußen unterwegs.“ „Vielleicht philosophierst du dir auch gerade irgendwas zusammen“, erwiderte Johnny und beide Männer teilten ein schiefes Grinsen. Ein blinkendes Licht auf der Konsole zog Toms Aufmerksamkeit auf sich. Seine Finger flogen über die Tastatur. „Da ist etwas...“ Johnny hob die Augenbrauen. „Geht das noch unklarer?“ Doch Tom antwortete nicht, als bereits eine schnarrende Frauenstimme über den Funk zu vernehmen war. Er bedeutete Johnny nur mit einem Finger an den Lippen, dass er ruhig sein sollte. »Ich bin nicht sicher, ob jemand diese Nachricht empfangen kann, aber...« Sie zögerte, während im Hintergrund ein Zischen wie von kaputten Leitungen zu vernehmen war. »Wenn jemand das hier hört, bitte... bitte schickt Hilfe! Ein Leck im Wassertank hat die Leitungen beschädigt und den Antrieb lahmgelegt. Unser Mechaniker arbeitet am System für die Lebensversorgung, aber auch das ist beschädigt worden. Wir wissen nicht, wie lange der Sauerstoff reichen wird und...« Doch ein lauteres Schnarren unterbrach die Nachricht und Tom schaltete die Lautstärke aus, um es sich nicht länger anhören zu müssen. „Wie alt ist die Nachricht?“, fragte Johnny, der sich vorgebeugt hatte. Alarmiert wirkte er nicht, aber seine Augenbrauen waren in Skepsis zusammengezogen. Tom entschlüsselte den Ursprung der Nachricht, was ihm Aufschluss auf die Koordinaten des Raumschiffs und die ungefähre Zeit, die seit dem Senden vergangen war, gab. „Zwei Tage.“ „Wenn sie Probleme mit der Lebensversorgung hatten, liegt es nah, dass sie schon alle tot sind“, spekulierte Johnny. „Oder aber jemand hat ihren Notruf abgefangen und ist ihnen zur Hilfe geeilt. Wobei... hier draußen gibt es im Umkreis nicht viel.“ Wären die Umstände nicht so ernst gewesen, hätte Tom diese Aussage vermutlich als erheiternd empfunden. Sie befanden sich mitten im Weltall, hier lag nichts nah beieinander und zwischen jeden Planeten lag eine ungeheuere Entfernung. Andererseits hatte Mal ihnen deutlich zu verstehen gegeben, dass sie einen kleinen Umweg machen sollten, anstatt die Raumstation anzusteuern, zu der sie ihre Ladung eigentlich bringen sollten. Um nicht auf jemanden zu treffen, der ihnen unfreundlich gesinnt war, hatte Tom einen Kurs eingeschlagen, der tatsächlich an keine Planten oder Monde vorbeikam. In dieser Hinsicht war wirklich nichts und niemand im Umkreis, der einem Raumschiff in Not helfen konnte. Außer ihnen, verstand sich. „Ich würde sagen, dass die Chancen zwar sehr niedrig sind, dass die Leute da noch am Leben sind, wenn sie immer noch in der Misere stecken, aber unmöglich ist es nicht.“ Mit diesen Worten erhob sich Tom aus seinem Stuhl und verließ das Cockpit, um Mal Bescheid zu geben. „Setz unseren werten Captain bloß keine Flausen in den Kopf“, rief Johnny ihm hinterher. „Das Letzte, was ich jetzt bei dem ganzen Schlamassel gebrauchen kann, ist auf eine dumme Rettungsaktion aufzubrechen. Als ob wir nicht schon genug am Hals haben.“ Ein Schmunzeln huschte über Toms Züge. Dafür, dass Johnny sich stets abseits der Crew aufhielt, als wollte er kein Teil von ihr sein, benahm er sich aber wie einer. Vielleicht war er kein selbstaufopferndes Mitglied dieser Crew, aber eingelebt hatte er sich jedenfalls, wenn er Mal bereits als Captain akzeptierte. Tom fand Mal im Lagerraum, in dem er zusammen mit Kaylee die drei Truhen in ihre Einzelteile zerlegte.. Sie hatten den Piloten ohnehin mehr an Särge als Kisten erinnert. Es war nicht schade um sie. „Mal, da ist ein Notruf durchgekommen, den du dir anhören solltest“, sagte Tom und Mal sah zu ihm auf. Er wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn und musterte den Pilot einige Sekunden lang stumm. „Ich hoffe, dass das diesmal kein falscher Alarm ist“, antwortete Mal, ehe er seine Arbeit liegen ließ und sich auf den Weg zum Cockpit machte. Tom sah ihm nach, so dass er kaum bemerkte, dass Kaylee zu ihm herübergewandert kam. „Er ist manchmal ganz schön kleinkariert, aber nicht lange nachtragend“, erklärte sie ihm und knuffte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. „Morgen hat er die Fast-Meuterei sicher vergessen. Wenn du Glück hast.“ 20 „Das riecht nach einer Falle.“ Zoe sprach das aus, was sie alle dachten oder sich wenigsten denken sollten. Jeder, der zwei Augen im Kopf und einen halbwegs vernünftigen Verstand hatte, sollte misstrauisch sein. Mal zog den Raumanzug über die Brust und schob die Hände in die Ärmel hinein. „Du bist wieder furchtbar pessimistisch.“ „Man nennt es realistisch, Captain. Einer von uns muss es sein.“ Trotz ihrer Worte reichte sie Mal den Helm zu seinem Anzug, denn ihre Warnungen hatten ihn noch nie von etwas abhalten können. Die einzige Genugtuung, die Zoe hatte, war die Tatsache, dass sie es ihm im Nachhinein unter die Nase reiben konnte. Vorausgesetzt sie überlebten es. Mal schnaufte belustigt. „Dir ist aber schon klar, dass wir zwei sogenannte Slayer und einen Vampir an Bord haben, oder? Ich weiß nicht, ob da realistisch zu sein nicht eine etwas zu eingeschränkte Sicht ist.“ Er setzte den Helm auf und Zoe half Mal ihn zu festigen, während Jayne ebenfalls in seinen Raumanzug schlüpfte. „Außerdem sehen wir uns nur um“, fügte Mal hinzu, wobei seine Stimme nun gedämpft war. „Die Sensoren haben keine Lebenszeichen mehr an Bord auffangen können. Und wenn wir Glück haben, können wir vielleicht ein paar Vorräte abstauben, sollte die Lebensversorgung doch noch laufen“, fügte Mal hinzu. Obwohl er den Rest seiner Gedanken nicht aussprach, konnte Zoe ihn sich zusammenreimen. Wenn sie mehr Vorräte hätten, bräuchten sie so schnell auf keinem Planeten zu landen und liefen so weniger Gefahr einem von Boyds Spitzeln über den Weg zu laufen. Sie mussten nur die Slayer und den Vampir loswerden. Obendrein würden sie auf diese Art und Weise auch jeglichen Konflikten mit Vampiren oder dem sogenannten Master aus dem Weg gehen, die laut Buffy nach ihnen suchten. Mit der Allianz, die ständig neue Regulierungen festlegte und ihre Kontrolle weiter auf die Randplaneten auszubreiten versuchte, hatten sie bereits genug zu tun. Anstatt etwas zu erwidern, hob Zoe eine feine Augenbraue. Bisher hatten sie es nie geschafft, irgendwelchem Ärger aus dem Weg zu gehen. Mal ignorierte ihre Geste. Stattdessen gab er Tom über das Funkgerät den Befehl sie näher an das tote Transportraumschiff heranzubringen. Ein Ruckeln ging durch die Serenity und Zoe stützte sich an einer der Kisten im Lageraum ab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das fiel ihr mit zunehmenden Monaten schwerer, was einer der Gründe war, weshalb sie froh war, wenn das Baby geboren war. Es wäre leichter es zu beschützen, wenn sie wieder einsatzfähig war. Ihre Hand tätschelte die kleine Schrotflinte, die in der Halterung an ihrem Gürtel hing und mit der sie seit dem Beginn der Schwangerschaft nur noch selten ihre Kajüte verließ. „Wenn etwas passiert—“ „Werde ich den Rest der Crew und mein Schiff in Sicherheit bringen“, beendete Zoe für Mal. „Das ist nicht unbedingt das, woran ich gedacht habe...“ „Ich werde Simon sagen, dass er bereit stehen soll, falls es doch Überlebende gibt“, erwiderte Zoe, anstatt auf seine Worte einzugehen. Im nächsten Moment schlenderte sie bereits davon und erklomm die Stufen, die aus dem Laderaum führten. Als sie das Cockpit erreicht hatte, konnte sie das schnarrende Funkgerät vernehmen, welches den ständigen Kontakt mit Mal, Jayne und Simon aufrecht erhalten würde. „Ich werde jetzt andocken“, informierte Tom die beiden. Anschließend warf er mit geübten Fingern einige Schalter über der Konsole um, bevor er das Steuer zur Hand nahm. Ein erneutes Ruckeln ging durch die Serenity und Zoe hielt sich an Toms Pilotenstuhl fest. Seine Muskulatur spannte sich sichtlich an, als er das Raumschiff noch näher und sanft an das Transportschiff heran brachte, ohne dass sie mit ihm kollidierten. Die Sensoren sangen, als die Zentimeter zwischen ihnen schrumpften, bevor sie mit einem weiteren Ruck andockten. Zoes dunkle Augen blieben auf Toms Hinterkopf gerichtet. Sie sollte jetzt nicht an Wash denken. Mehr als einen gewöhnungsbedürftigen Humor und das Talent des Fliegens hatten sie schließlich nicht gemeinsam – und trotzdem kam Zoe dieser Moment wie ein schlechtgemachtes Déjà-vu vor. Erst Mals über Funk verzerrte Stimme holte sie in das Hier und Jetzt zurück. „Wir betreten jetzt das Schiff.“ Ein Zischen war zu vernehmen, welches andeuten ließ, dass sie soeben die automatisierte Tür geöffnet hatten. Sowohl Tom als auch Zoe starrten den Bildschirm an, obwohl dieser nichts anderes als die Außenhülle des Transportschiffs zeigte. „Das ist wie eines dieser Geisterschiffe, von denen sich die Seeleute damals auf der Erde erzählt haben. Geisterschiffe, die herrenlos auf dem Ozean rumtreiben“, murmelte Tom und warf ihr einen Grinsen über seine Schulter hinweg zu. „Was weißt du schon über Ozeane?“ „Du würdest dich wundern. Ich weiß darüber eine ganze Menge. Als ich damals meine Pilotenausbildung an der Akademie gemacht habe, habe ich Antike Literatur belegt. Es gibt Unmengen an Seefahrergeschichten.“ Ihre Stirn legte sich in Falten, als Zoe Tom musterte. Zugegeben, sie hatte seit seiner Ankunft auf der Serenity nicht allzu viele Gedanken an ihn verschwendet, aber für jemanden, der sich für wahnwitzige Geschichten über eine längst vergangene Zeit interessierte, hatte sie ihn nicht gehalten. Wash hätte ihn gemocht. Die stille Erkenntnis überraschte Zoe glatt ein wenig, aber sie fand auch kein Gegenargument dafür. „Es ist nicht das praktischste Fach, das man belegen kann“, gab sie mit monotoner Stimme zu bedenken, doch Tom zuckte mit den Schultern. „Aber es war ziemlich interessant.“ Die Unterhaltung endete genauso abrupt wie sie begonnen hatte. Sie hinterließ ein Schweigen, welches alles andere als drückend war, was weniger an Zoes Ruhe lag, als an Toms Lockerheit. Allerdings wollte der Gedanke, dass Tom diesen Boyd Crowder für seine Freiheit an die Allianz verraten hatte, sie nicht ganz loslassen. Wer sagte, dass er dasselbe nicht noch einmal tun würde, wenn er die Chance dafür bekäme? Konnten sie ihm wirklich vertrauen? Würde er ihre Rücken decken, wenn Not am Mann war? Zoe war sich da nicht so sicher, auch wenn Mal keinerlei Bedenken zeigte. Aber vielleicht hatte er auch die oberflächlichen Ähnlichkeiten zu Wash bemerkt und ließ sich davon blenden. Wash hätte sie niemals verraten. Das Funkgerät schnarrte lauter, bevor Mals Stimme erneut die Stille im Cockpit zerschnitt. „Die Notfallversorgung läuft noch, obwohl der Generator in einigen Tagen ausläuft. Sauerstoff ist jedenfalls noch ein bisschen vorhanden. Soweit ist von der Crew aber nichts zu entdecken.“ Zoe gestikulierte mit der Hand und Tom reichte ihr das Funkgerät. „Vielleicht ist das der richtige Zeitpunkt, um umzukehren und weiter zu fliegen.“ Von Mal war ein Schnauben zu hören. „Bist du denn gar nicht neugierig, was hier vorgefallen ist?“ „Nein, Sir.“ „Ich habe mir schon gedacht, dass du das sagen wirst, Zoe“, antwortete Mal, doch Zoe erinnerte sich bloß an seine vorigen Worte. Wenn sie mehr Vorräte und Treibstoff hatten, könnten sie einen Bogen um den nächsten Planeten machen. Es war unschwer zu erkennen, dass Mal diese Idee in seinem Tun antrieb. „Dann wenigstens noch die ein oder andere bewaffnete Person als Verstärkung?“, fragte Zoe, konnte sich aber auch diese Antwort bereits denken. „Nein. Ich will ungern zwei eventuell meuternde Frauen und einen Vampir allein auf der Serenity haben. Am Ende—“ Mals Stimme brach ab und hinterließ ein monotones Schnarren, welches Zoe den Schmerz in ihren Fußknöcheln kurzzeitig vergessen ließ, der ihr neuerdings das Stehen bescherte. „Captain?“, sprach sie in das Funkgerät hinein. „Captain.“ Doch eine Antwort blieb aus. Tom drehte sich mit dem Pilotenstuhl zu ihr herum und runzelte die Stirn. „Einfach nur schlechter Empfang? Oder glaubst du, dass da etwas passiert ist?“ Ihre Nackenhaare stellten sich auf, was sie immer taten, wenn sie eine schlechte Ahnung hatte. Sie reichte Tom das Funkgerät und marschierte aus dem Cockpit. Die Schrotflinte war längst aus dem Gürtel an ihrer Hüfte gezogen und lag schussbereit in ihren Armen. „Wir gehen vom Schlimmsten aus.“ Schritte halten hinter ihr durch den Gang, als Tom mit ihr aufholte. Er packte ihre Schulter und hielt sie zurück. „Was hast du vor, Zoe? Darüber zu marschieren? In deinem Zustand?“ Kein Muskel zuckte in Zoes Gesicht, als sie Serenitys Piloten ansah. „Das ist kein Zustand. Es ist eine Schwangerschaft.“ Tom zog seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. „Ich weiß, aber... Es ist trotzdem gefährlich. Lass jemand anderes gehen. Zum Beispiel... wie...“ Die Zahnräder ratterten hinter seine Stirn, als er die Mitglieder der Crew durchging, die sich für diese Aufgabe anbieten würden. Letztendlich schien er zu derselben Erkenntnis wie sie zu kommen, dass Zoe am besten geeignet dafür war. Ihre Crew hatte schon so einiges überstanden, aber niemand wusste, was sie auf dem Transportschiff erwarten würde. „Lass mich gehen“, beendete Tom seinen Gedanken. Sein Blick war fest und seine Hände waren zu Fäusten geballt. „Wahrscheinlich ist ohnehin nur die Verbindung abgebrochen und wir machen uns umsonst Sorgen. Also lass mich gehen, Zoe.“ 21 Ein fernes Rauschen war zu vernehmen, das ihnen auf Schritt und Tritt folgte. Noch bevor sie die Anzeigen überprüft hatten, hatte dieses Geräusch Mal mitgeteilt, dass der Notstromgenerator funktionstüchtig war und das Raumschiff mit Sauerstoff versorgt wurde. Trotzdem hatte er ein mulmiges Gefühl im Bauch gehabt, als er schließlich seinen Helm abgenommen hatte. Die Luft war jedoch kalt und steril, identisch zu der auf der Serenity. „Ich find das hier nicht richtig“, murrte Jayne, der erst jetzt den Helm abnahm. Obwohl seine Stimme gesenkt war, erklang sie laut in der Stille auf dem Schiff. Jayne legte den Helm auf dem Boden ab, um seine Waffe mit beiden Händen zu tragen, als würden sie jeden Moment angegriffen werden. „Leute mit Luft brauchen keinen Notruf wegen ausgehender Luft losschicken.“ Seine Brauen trafen sich in der Mitte. Er ging so dicht hinter Mal, dass dieser seinen Atem im Nacken spüren konnte. Wenn Mal dieses Schiff bisher kein Unbehagen bereitet hatte, dann tat es zumindest dieser feine und eher stinkende Luftzug. Mal umklammert seinen Revolver. Anstatt sich jedoch weiter vorzuwagen und herauszufinden, was mit der restlichen Crew passiert war, hielt er vorerst inne. Noch befanden sie sich in dem Gangway des Schiffes, der duster und mit Schatten übersäht vor ihnen lag. Die Lichter an den Wänden blinkten in stummer Alarmbereitschaft, als Mal sich aus seinem Raumanzug befreite. Dieser war einengend und raubte ihm jegliche Bewegungsfreiheit. Jayne folgte seinem Beispiel mit einem Brummen, welches seine Unzufriedenheit mit der Situation ausdrückte. Sie ließen die Anzüge zurück und wagten sich tiefer in den Gang vor, von dem zu beiden Seiten Räume abgingen. Mal juckte es in den Fingern, doch er rührte das manuelle Funkgerät, welches er bei sich trug, nicht an. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie darüber einen besseren Empfang hatten, als über die Helme war niedrig und jegliches Geräusch würde sie im schlimmsten Fall nur unnötig verraten. Mit einer Handbewegung deutete er Jayne stattdessen zu, sich die Räume auf der rechten Seite vorzunehmen, während Mal sich die anderen ansah. Jayne nickte und hob Vera mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen. Er mochte eine lange Leitung haben, aber in solchen Situationen war auf Jayne Verlass. In solchen Momenten wollte er niemand anderes an seiner Seite haben. Außer Zoe. Zoe stand immer noch an erster Stelle, erst danach kam Jayne. Den Gedanken an seinen schwangeren Vize-Captain abschüttelnd schob Mal den Hammer seines Revolvers zurück. Das Klacken stellte den einzigen Laut neben dem beständigen Rauschen der Lüftungsanlage dar. Mal schob sich in den Raum, der sich trotz der Dunkelheit auf den ersten Blick als die Kombüse des Schiffs entpuppte. Nicht schlecht. Scheinbar hatte sein Glück ihn nicht vollkommen verlassen, denn nachdem der Laderaum ziemlich leer gewesen war, hatte er die Schiffsküche gedanklich ins Visier genommen. Diese lag genauso verlassen vor ihm, wie es auch der Rest des Transportschiffs tat. Der Rest der Jupiter, korrigierte sich Mal gedanklich. Er hatte die grüne Lackierung der Hülle gesehen, die halbabgekratzten Buchstaben, die sich zu dem Namen des Schiffs zusammensetzten und ihm Leben einhauchten. Ein Schiff ohne Namen war kein richtiges Schiff. Aber ein Schiff ohne ein Captain war ebenfalls kein richtiges Schiff – und wo befand sich der Captain der Jupiter? Was war aus dem Sprichwort geworden, dass der Captain stets gemeinsam mit seinem Schiff unterging? Die Wut kam aus dem Nichts und brachte sein Blut in Wallung, bis ihm trotz der Kälte auf dem Schiff warm wurde. Er zog die Taschenlampe vom Gürtel und schaltete sie ein. Ihr Lichtstrahl zerschnitt die Finsternis, die weiterhin in den Ecken lauerte, und Mal ließ ihn über die Tische und Stühle wandern. Eine Staubschicht hatte sich über alles gelegt, die mehr als zwei Tage alt aussah. Allerdings war sie immer mal wieder an einigen Stellen unterbrochen und verwischt. Mit lautlosen Schritten schob sich Mal zwischen den Tischen hindurch, Pistole in der einen und Taschenlampe in der anderen Hand. Stück für Stück nährte er sich der Kochnische an, die sich im hinteren Teil der Kombüse befand. Eine breite Anrichte trennte sie vom Speisesaal. Mal umrundete sie, während der Lichtstrahl ruhig von Seite zu Seite wanderte. Auch hier war keine Spur von der Mannschaft zu entdecken. Mal konnte nicht einmal eine Leiche ausfindig machen und dabei war er sich fast sicher, dass ihn das sogar mehr beruhigt hätte, als rein gar nichts über die ehemaligen Passagiere in Erfahrung zu bringen. Etwas polterte hinter ihm. Mal fuhr herum und leuchtete die Taschenlampe in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Einige Töpfe und Pfannen hingen über dem Herd und schwangen noch immer mit einem leisen Klirren hin und her. Ratten? Wohl kaum. Mit pochendem Herzen sah er sich um, doch nichts bewegte sich in der Dunkelheit. In diesem Moment erinnerte sich Mal unweigerlich daran, dass er nicht nur zwei sogenannte Slayer, sondern auch einen Vampir an Bord seines Schiffs hatte. Er erinnerte sich daran, dass Dinge wie Slayer und Vampire überhaupt existierten. Dass dieser Master sie auf dem Radar hatte. Der Master und Boyd Crowder. Wie hatten sie sich in so kurzer Zeit nur so furchtbar viele Feinde machen können? Das war selbst für Mal ein neuer Rekord. Hinter ihm ertönte ein Laut, der sich verdächtig wie das Schleifen eines Fußes über den stählernen Boden anhörte. Mal gefror in seiner Haltung. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an, als er wartete und wartete. Das Blut rauschte in seinen Ohren, während das Adrenalin durch seine Arterien jagte. Knochige Finger, deren Kälte Mal selbst durch sein Hemd spüren konnte, legten sich auf seine Schulter, umklammerten sie mit einem eisernen Griff. Mal konnte sie nicht abschütteln, aber er drehte sich zur Seite, um einen Blick in das Gesicht seines Gegenübers zu werfen. Der Schein der Taschenlampe, die auf den Boden gerichtet war, gab ein bleiches Gesicht und blitzende Reißzähne preis. Dort wo sich die Augenbrauen befinden sollten, war die Stirn seltsam erhoben und entstellt. Die Ähnlichkeit mit dem Vampir, der aus der Truhe auf der Serenity gesprungen war, um Jayne anzugreifen, war unübersehbar. Der Vampir fletschte sie Zähne und stieß ein Knurren aus. Für einen kurzen Moment starrten sie sich beide an, während sie auf die Bewegung des jeweilig anderen warteten. Da stand mehr als ein bisher fiktives Monster vor Mal: ein bisher fiktives, intelligentes Monster. Der Kopf des Vampirs ruckte nach vorn, damit er die Reißzähne in Mals Halsbeuge schlagen konnte. Mal zuckte zur Seite, wobei ihm die Taschenlampe aus den Fingern rutschte. Sie landete auf dem Boden und strahlte in die entgegensetzte Richtung. Zeitgleich presste Mal sich gegen den toten Körper seines Widersachers und stolperte mit ihm rückwärts. Gemeinsam krachten sie gegen einige Metallschränke und die Hand löste sich bei dem Aufprall von Mals Schulter. Er fuhr herum, als der Vampir ein zweites Mal auf ihn losging. Sein Revolver war halb erhoben, doch der Lauf wurde von dem Vampir gepackt und die Waffe wurde ihm aus der Hand gerissen. Geräuschvoll landete sie ebenfalls auf dem Boden, während er Mals Kehle packte. Ein Ächzen entkam ihm, bevor seine Atemwege komplett zusammengepresst wurden. Ein ekeliges Grinsen, welches die langen Reißzähne preisgab und doch nur ein Schatten im Halbdunkeln darstellte, tauchte auf dem bleichen Gesicht auf. Mals Arme ruderten, die Finger der einen Hand kratzten an dem blutleeren Arm entlang, während die andere Hand nach einer Waffe suchend über die Anrichte neben ihm tastete. „Hilfe, unser Sauerstoff ist alle!“, äffte der Vampir die Frauenstimme von dem Notruf nach. „Ihr seit schon die dritten, die darauf reingefallen sind. Innerhalb von zwei Tagen.“ Ein Lachen drang aus seiner Kehle, gefolgt von polternden Schritten und einem rufenden Jayne. „Mal!“ Schwarze Punkte tanzten vor Mals Augen und er presste die Lider aufeinander, als sich das Gesicht des anderen annährte. Seine Finger schlossen sich um den Messerblock, den er zu fassen bekam, ertasteten die einzelnen Griffe, bevor er es schaffte, eines von ihnen herauszuziehen. Gegen die Bewusstlosigkeit ankämpfend stach er das Messer mit letzter Kraft in den Körper vor ihm. Die Klinge bohrte sich in die Schulter des Vampirs, der zischend zurückwich und von ihm abließ. Mal sackte auf die Knie, als er mit schmerzender Luftröhre Sauerstoff in seine Lungen sog. Der Vampir wand sich, zog das Messer jedoch wieder heraus und warf es klirrend beiseite. Zorn funkelte in den Augen, welcher sich in einem Bruchteil der Sekunde in Erstaunen umwandelte. Er warf einen Blick über seine Schulter, Mal tat es ihm von seiner hockenden Position aus gleich, während Jayne den selbstgefertigten Pflock von hinten aus dem Herz des anderen zog. Wie von Geisterhand begann sich der Vampir aufzulösen und zerfiel zu Staub, welcher zu Boden schwebte. Mal hustete und Jayne verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er drehte den Pflock in der Hand hin und her, aber kein Blut klebte an ihm. Er wirkte unbenutzt. „Hässliche Viecher“, brummte Jayne. „Du hättest dir ruhig weniger Zeit lassen können“, murmelte Mal, als er nach der Taschenlampe angelte und sich an der Anrichte auf die Beine zog. Seine Stimme war kratzig, fast so, als hätte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesprochen. Sich den Kehlkopf reibend ging er auf die Suche nach seinem Revolver, der irgendwo in der Dunkelheit herumliegen musste. Jayne sah ihm dabei zu, der sowohl Pflock als auch seine Vera parat hatte. „Ich hab dir gerade den verdammten Hintern gerettet, Mal.“ „Ich hoffe, du erwartest jetzt kein Danke“, erwiderte dieser. „Das war das Mindeste.“ „Das Mindeste wäre—“ Ein helles Lachen unterbrach Jaynes Konterattacke. Der Lichtstrahl von Mals Taschenlampe zuckte zum Eingang der Kombüse herüber, in dem Mal drei Gestalten ausmachen konnte. Dabei handelte es sich um eine Frau und zwei Männer, die in verschlissener Kleidung gehüllt waren und alle drei beim nähren Hinsehen ein entstelltes Gesicht aufwiesen. „Mal sehen, ob er dir noch mal den Hintern retten kann“, spottete der weibliche Vampir. „Du meinst, ob überhaupt einer von den beiden seinen Hintern retten kann“, korrigierte einer der Männer. VIII. Invasion. Fluchtversuch. Leere Hüllen. -------------------------------------------- 22 „Weißt du, wie man damit umgeht?“, fragte Zoe, als sie ihm das Gewehr reichte. Sie hatte es aus einer getarnten Öffnung an der Wand geholt, von denen es scheinbar so einige an Bord gab. Es würde Tom nicht wundern, wenn das gesamte Schiff mit versteckten Waffen bespickt war. Er drehte das Gewehr in den Händen hin und her. „Ja.“ „Bist du dir sicher?“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah Zoe ihn an, als sie im Gang standen. Um sie herum war es ruhig, fast so, als wäre das gesamte Schiff ausgestorben. „Ich weiß wirklich wie man mit einer Waffe umgeht“, wiederholte er, ein Schmunzeln auf den Lippen tragend. Selbst ein Blinder hätte Zoes Zweifel gesehen, obwohl die vollkommen unbegründet waren. „Keine Sorge.“ „Mein Ehemann wurde von einem fliegenden Teil aufgespießt, das durch die Scheibe im Cockpit gekracht kam“, sagte Zoe mit ausdruckslosem Gesicht. „Ich mache mir Sorgen.“ Ihre Stimme war monoton und furchtbar sachlich, so dass Tom vermutlich aufgelacht hätte, wenn es nicht so ernst gewesen wäre und er die Geschichte von dem Ableben des vorigen Piloten nicht bereits von Inara gehört hätte. Wahrscheinlich war es ein Omen dafür, dass man als Pilot auf der Serenity nicht alt und friedlich in seinem Bett sterben würde. Trotzdem bezweifelte Tom, dass Zoes Sorge tatsächlich ihm galt und nicht doch dem Rest dieser Crew. „Ich bin sicher, Mal und Jayne geht es gut“, sagte er, doch Zoe wandte sich ab, um den Weg zum Laderaum fortzusetzen. Schweigend durchquerten sie den Gemeinschaftsraum, in dem River die verstaubten Konserven durchging, die in Körben und Kisten in der kleinen Kochnische aufbewahrt wurden. Mit den Fingernägeln kratzte sie die Etiketten ab, während der angebundene und inzwischen geknebelte Spike ihr Vorbeigehenden mit einem giftigen Blick bedachte. „Du hast das Funkgerät?“ Zoe erhob erst wieder das Wort, nachdem sie den Raum verlassen hatten und außer Hörweite waren. Dabei war es unschwer vorstellbar, dass River nicht trotzdem irgendetwas aufschnappte. Wenn sie tiefgefrorene Menschen in Truhen aufspüren konnte, nahm sie womöglich auch ihre unruhigen Auren oder etwas dergleichen wahr. Nachdem Vampire nicht mehr nur in Holoromanen Unfug trieben, war alles möglich. „Ja, aber ich glaube nicht, dass es mir viel bringen wird“, antwortete Tom und tätschelte abwesend das Funkgerät, das er beim Laufen an den Hosenbund geklemmt hatte. „Irgendwas scheint schließlich das Signal zu blockieren.“ „Keine Heldentaten, Paris“, fügte Zoe hinzu, anstatt auf seine Worte einzugehen. „Wenn du etwas Verdächtiges siehst, gibst du Bescheid. Wenn das Funkgerät nicht funktioniert, kommst du zur Serenity zurück. Ich werde in der Zeit die anderen zusammentrommeln und—“ Zoe hielt abrupt in ihrem Schritt inne, als sich der Bauch der Serenity vor ihnen auftat. Genauso wie River schien auch sie einen sechsten Sinn zu besitzen, denn ihre dunklen Augen nahmen sofort die Bewegungen unten im Laderaum wahr. Noch im selben Moment sahen die zwei Männer, die drauf und dran gewesen waren, die Stufen zu erklimmen, zu ihnen auf. Tom hob das Gewehr und Zoe packte ihre Schrotflinte fester, als die beiden sich mit übermenschlicher Stärke vom Boden abstießen und zu ihnen hinaufsprangen. Mit der Leichtigkeit von Athleten katapultierten sie sich über das Geländer links und rechts von ihnen. Muskeln zeichneten sich unter ihren abgetragenen Kleidern ab und ihre gerade Haltung sprach von einem Selbstbewusstsein, welches Tom einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Sie hatten den Vorteil und waren sich dessen bewusst. Vorher hatte Tom nicht darauf geachtet, aber aus der Nähe waren die verlängerten Zähne und die verformte Stirn kaum zu übersehen. „Futter“, brummte der Vampir vor ihm und seine Mundwinkel hoben sich, um ihm bessere Sicht auf seine Reißzähne zu geben. „Jetzt werden wir sehen, ob du mit Waffen umgehen kannst“, sagte Zoe, bevor sie den Hammer der Schrotflinte mit einer geübten Schnelligkeit zurückzog. Sie standen Rücken an Rücken, als die Vampire auf sie losstürzten. Noch bevor Toms Finger den Abzug gefunden hatte, packte der Vampir vor ihm sein Gewehr. Sie rangelten miteinander, der Lauf des Gewehrs wanderte hin und her, bis Tom mitsamt seiner Waffe zur Seite geworfen wurde. Ächzend kam er auf dem Boden auf und rollte die Metallstufen herab, das Gewehr hinter ihm her. Schmerz explodierte in seinem Rücken und seiner Seite, als er zum Liegen kam. Mit verzerrtem Gesicht blinzelte er zu seinen Angreifer hinauf, der mit federnden Schritten die Treppe herunterkam und wie ein Raubtier seine Kreise um Tom zog. Ein Schuss zerriss die Stille, die mit seinem schweren Atem gefüllt gewesen war. Er echote im Laderaum und Toms Blick zuckte zu Zoe. Der zweite Vampir holte aus, schlug ihr die Schrotflinte aus den Händen, die über den Boden davon schlitterte. Es war nicht zu hören, denn Tom hatte das Ringen des Schusses noch immer in den Ohren. Im selben Moment wuchs die Haut des Vampirs an der Stelle am Oberschenkel, an der die Geschosse sie ihm aufgerissen hatten, mit rasanter Geschwindigkeit wieder zusammen. Er packte Zoe am Hals, ließ aber zischend wieder von ihr ab. Er hielt sich die Hand, die rot und verbrannt war. Röchelnd und mit einer Hand an ihrem Bauch ging Zoe in die Hocke. Sie schob das Hosenbein hoch und zog den hölzernen Pflock aus der Halterung an ihrem Unterschenkel. Die Zeit zum Aufrichten fand sie nicht, als der Vampir erneut auf sie losging. Mit beiden Händen hielt Zoe den Pflock vor sich und ließ ihren Feind in das spitze Ende hineinrennen. Kaum dass es sich in seine Brust bohrte, zerfiel er Stück für Stück zu Staub und rieselte auf Zoe herab. Als wäre dies das stille Kommando gewesen, ging der Vampir vor Tom zum Angriff über, nicht länger abgelenkt. Seine Bewegungen waren gehetzter, manischer nach dem Ableben seines Kameraden, während der Hass in seinen Augen funkelte. Tom kämpfte sich auf die Knie und schielte aus den Augenwinkeln zu seinem Gewehr. Einen Pflock hatte er nicht und nichts Brauchbares lag herum, wonach er hätte greifen können. Das Herz hämmerte ihm in der Brust, als er den Abstand zu seiner Waffe abschätzte. Sobald er sich bewegte, würde sich der Vampir auf ihn stürzen. Würde er es rechtzeitig schaffen, das Gewehr zu erreichen, es zu heben und den Abzug zu drücken? Vielleicht würde es ihn nicht töten, aber womöglich räumte es Tom genügend Zeit ein, um nach einer besseren Waffe zu suchen. Irgendwas musste es hier im Laderaum geben. Hatte Buffy nicht einen Schraubenzieher benutzt? Wo bewahrten sie noch das Werkzeug auf? Die Gedanken formten sich blitzschnell in Toms Kopf, von Adrenalin angetrieben und so klar, als säße er im Cockpit und hätte das Steuer in der Hand. Der Vampir lauerte und wartete auf das Zucken auch nur eines einzelnen Muskels. Tom zog den Atem zwischen zittrigen Lippen hindurch ein, bevor er die Hände unter sich brachte, sich aufbäumte und losstürzte. Der Vampir griff an, raste auf ihn zu, ehe Tom den halben Abstand zu seinem Gewehr überbrückt hatte. „Kopf runter!“ Zoes Stimme war laut, autoritär – und das Nachladen ihrer Schrotflinte nicht zu überhören. Tom schlug die Arme über den Kopf und stürzte zu Boden. Der Schuss schallte in seinen Ohren, näher diesmal, unendlich laut. Der Kopf des Vampirs explodierte, gefolgt von dem Auflösen seines Körpers. Ein feiner Nebel schwebte durch das künstlich beleuchtete Innere des Laderaum, der furchtbar still wirkte. Vielleicht lag das aber auch an Toms Ohren. Er rappelte sich schwerfällig auf und rieb sich das linke Knie, welches beide Stürze abgefangen hatte. „Das war knapp“, stieß Tom aus, vernahm seine eigene Stimme jedoch kaum. „Wie hast du...?“ Seine Augen wanderten zu Zoe, die auf den Treppen stand, die Schrotflinte auch weiterhin über dem Babybauch im Anschlag tragend. Eine Hand löste sich von ihrer Waffe, um den Kragen ihrer Bluse beiseite zu schieben. Das Licht der Deckenlampen brach sich auf dem Kreuzanhänger ihrer Kette. „Ich wusste, dass sich das Geschenk des Predigers irgendwann als nützlich erweisen wird.“ Tom runzelte die Stirn. „Welcher Prediger? Und woher hast du den Pflock? Ist das einer von Jayne?“ Doch ein Krachen und ein heller Schrei, der durch das Schiff gellte, erlaubte Zoe keine Zeit zum Antworten. Sie wandte sich in die Richtung des Gemeinschaftsraums, während sie ohne hinzusehen ihre Schrotflinte nachlud. „Sie sind überall auf dem Schiff.“ „Was ist mit Mal und Jayne?“, fragte Tom und griff nach seinem Gewehr. „Wir sehen erst nach, wie viele wir auf der Serenity haben“, sagte Zoe. „Danach kümmern wir uns um den Rest.“ Sie machte kehrt und Tom joggte mit schmerzenden Knie, Rücken und Ohren hinter ihr die Stufen hinauf. 23 Das Seil war fest. Besäße Spike noch so etwas wie eine funktionierende Blutzirkulation, wären seine Arme schon vor Tagen eingeschlafen und vermutlich abgefault. Wahrscheinlich sollte er sich glücklich schätzen, dass er bereits tot war. Trotzdem hinterließ das Seil ein Brennen auf der stets regenerierenden Haut seiner Handgelenke. Spikes Augen huschten durch den leeren Gemeinschaftsraum. Es war ruhig geworden und es fühlte sich wie die Stille vor einem Sturm an. Selbst das äußerst merkwürdige Mädchen, das methodisch die Etiketten von den Konserven abgekratzt hatte, war spurlos verschwunden. Spike brauchte keine vampirischen Instinkte, um zu wittern, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Etwas lag in der Luft, so künstlich und steril sie an Bord dieses Schiffs auch sein mochte. Als er sich vergewissert hatte, dass er noch immer unbeobachtet war, setzte er seine stille Arbeit fort. Er schabte die untere Seite seiner linken Fessel gegen den Nagel, der aus dem Stuhl herausstand. Zumindest ragte er nun heraus, nachdem Spike ihn mit abgeschürften Fingerkuppen herausgepult hatte, damit er ihm von Nutzen sein konnte - und das hier war die Chance, auf die er gewartet hatte. In der Ferne vernahm er Schreie, ehe ein Schuss durch das Schiff echote, der selbst Spike die Ohren klingeln ließ. Er arbeitete schneller, bis sich das Seil mehr und mehr lockerte. Das hatten sie nun davon, dass sie ihn unbeaufsichtigt zurückgelassen hatten, dass sie ihm einfach so den Rücken gekehrt hatten, als sei er ungefährlich. Niemand unterschätzte Spike ungestraft, Computerchip im Kopf hin oder her! Buffy und Faith wussten ihn ebenfalls nicht zu schätzen. Wieso war er mit diesen zwei verrückten Frauen überhaupt auf diese zum Scheitern verurteilte Abenteuerreise aufgebrochen? Was sorgte er sich darum, ob dieses kümmerliche Universum unterging oder nicht? Als Vampir würde er schon irgendwo einen Platz in der neuen Weltordnung finden, die ihnen bevorstand. Dämonen konnten ganz witzige Genossen sein... gelegentlich zumindest. Zugegeben, er würde auf einiges verzichten müssen, was er nur ungern aufgeben wollte. Aber alles war ersetzbar, auch populäre Rockgruppen und Lieblingsbars. Mit einem Grinsen auf den schmalen Lippen schlüpfte Spikes Hand unter dem Seil hervor, bevor er sich daran machte, auch die Fessel an seiner rechten Hand zu lösen. Binnen weniger Sekunden war er frei. Mit der ersehnten Freiheit kehrte jedoch das Chaos zurück, als hätte es nur auf Spike gewartet, als hätte die Welt kurzzeitig für ihn die Luft angehalten. Seine Augenbraue hob sich. Die polternden Schritten sagten ihm, dass es zu spät war, um sich ein Versteck zu suchen und bei der erst besten Gelegenheit aus dem Zimmer zu schlüpfen. Soweit er wusste hatten sie ohnehin nirgends angelegt, weshalb seine Flucht ihn nur so weit bringen würde. Sein Gesicht verzog sich bei dieser Erkenntnis, als er den Stuhl packte und zum Türrahmen huschte. Er stellte sich in den Schatten, den Stuhl hoch erhoben. Die Schritte wurden deutlicher, stammten von zwei verschiedenen Personen, das konnte er nun ganz deutlich vernehmen. Spikes Muskeln spannten sich an, als der Schatten der ersten Person auf dem Boden auftauchte. Der Stuhl raste auf den Neuankömmling zu, verfrüht, denn er hatte Zeit einen spitzen und sehr weiblichen Schrei auszustoßen und sich zu ducken. Die Mechanikerin der Serenity stürzte krauchend in den Raum, während der Stuhl mit ihrem Verfolger kollidierte. Spike trat einen Schritt vor, um den Vampir zu sehen, der nach hinten zu Boden ging und sich desorientiert wie ein Fisch an Land wandte. Er war wirklich ein erbärmliches Exemplar. Den Kopf schüttelnd brach Spike ein Bein des ramponierten Stuhl ab, um den Vampir damit gänzlich bewusstlos zu schlagen. Es tat gut, sich mal wieder austoben zu können. Bei einem Vampir schien ihm dieser Chip keine Probleme zu bereiten. Zu schade, dass dieser Jayne nicht ein paar seiner selbstgebastelten Pflöcke hier gelassen hatte, die könnte er nun gebrauchen. Lange genug hatte Spike ihm schließlich zugesehen, außerdem hatte Jayne ihm oft genug das angespitzte Ende mit einem hässlichen Grinsen unter die Nase gehalten. „Du hast nicht zufällig etwas Brauchbares an dir, um ihn in einen Haufen Asche zu verwandeln, oder?“, fragte Spike, als er das Stuhlbein unzeremoniell fallen ließ und sich zu der jungen Frau umdrehte. Kaylee, wenn er sich recht erinnerte. Die Mechaniker saß mit einem Streifen Schmieröl an der Wange auf dem Boden einige Meter von ihm entfernt. Die Beine waren angezogen, aber sie schien nicht sicher, ob sie bewegungslos bleiben oder von ihm wegrutschen sollte. Scheinbar erkannte sie nicht, wenn man ihr das Leben rettete. Nun... Spike gestand, dass das nicht geplant war und aus ihrer Sicht eventuell auch nicht einen solchen Eindruck erweckte, wenn ein Stuhl auf einen zugerast kam. „Außer du willst natürlich, dass ich dich mit ihm allein lasse“, fügte er hinzu und deutete mit dem Daumen über seine Schulter zu dem Vampir. Kaylee schüttelte rasch den Kopf. „Nein, bitte nicht.“ Sie blinzelte, bevor sie den Raum mit dem Blick absuchte. Auf allen Vieren krabbelte sie zu der Kochnische hinüber, um dort in den Schubladen und Schränken wühlen. Spike beobachtete sie dabei, aber als es nicht so aussah, als würde sie fündig werden, drehte sich er wieder zu dem Vampir um. Sofort blieben seine Augen auf der mädchenhaften Gestalt hängen, die sich auf leisen Sohlen durch den Gang geschlichen hatte und sich nun aus den Schatten löste. In der einen Hand trug sie eine Machete, in der anderen einen Pflock, der die splittrigere Form eines Stuhlbeins hatte und verdächtig nach einem von Jayne aussah. Wenn man vom Teufel sprach... Mit einem schwebenden Schritt stieg sie über die bewusstlose Gestalt des Vampirs hinüber, als stellte er keine Bedrohung mehr da. Ihr Blick galt Spike, unleserlich und ohne ein Blinzeln. „Oh gut“, entrann es diesem und er machte eine Handbewegung zu den Waffen, die sie bei sich trug. „Wenigstens einer an Bord dieses Schiffes ist vorbereitet.“ Und dann war es ausgerechnet diejenige, von der man es am wenigsten erwartete. Skeptisch sah er zu, wie River auf ihn zukam, wobei er nicht umhin kam, in den geschmeidigen und doch raubtiertaften Bewegungen eine Ähnlichkeit zu einer gewissen Vampirdame festzustellen, die Spike das Herz gebrochen hatte. Der Gedanke an Drusilla wurde je unterbrochen, da River zu einem schwungvollen Schlag ausholte. Surrend flog die Klinge der Machete auf Spikes Hals zu, der im ruckartigen Reflex nach hinten auswich. River ließ sich nicht beirren, folgte ihm und hackte in seine Richtung, um seinen Kopf von seinem Hals zu trennen. Ihre Schnelligkeit war unmenschlich, maß sich mit seiner, als sie um den Tisch herumtanzten. Jeder ihrer Schritte war elegant, während Spike stolperte und strauchelte und ihr Stühle in den Weg warf, um sie auf Abstand zu halten. „Nicht, River!“, kreischte Kaylee. Sie schielte über den Rand der Anrichte und zog sich an ihr hoch, verweilte jedoch in ihrem Schutz. „Er... Er hat mich gerettet. Tu ihm nicht weh!“ Spikes Rücken prallte gegen die Wand und abermals flog die Machete auf ihn zu. Er packte Rivers Handgelenk und stoppte die Waffe, ehe sie seinen Schädel entzwei spalten konnte. Der Pflock raste als nächstes auf ihn zu, direkt auf seine Brust, sein Herz. Auch diese Hand fing Spike ab. Es endete in einem Unentschieden, in dem ihre Blick einander hielten. Hinter Spikes Stirn pochte das stille Versprechen, dass jeder Versuch des Zurückschlagens ihm mehr Schmerzen bereiten würde, als er diesem Mädchen je antun könnte. „Du kannst mir nichts tun“, stellte River mit hauchzarter Stimme fest. Ihre Mundwinkel zuckten in die Höhe, doch sie ließ die Hände mit den Waffen sinken und Spike ließ widerwillig von ihr ab. Die Anspannung in seinen Schultern löste sich nicht und er behielt Drusillas billigen Abklatsch weiterhin im Auge. „Ich kann spontan an hundert Wege denken, wie ich dich umbringen könnte.“ „Aber du kannst es nicht tun“, korrigierte River und ihre Augen zuckten zu seinem Kopf hinauf, als könnte sie direkt hineinsehen und den Chip in seinem Gehirn ausmachen. Die Wut kochte in Spike hoch und er packte ihren Oberarm, dieses Mal jedoch nicht mit dem Motiv der Verteidigung. Sofort explodierte Schmerz in seinen Schläfen und er krümmte sich, die Hände gegen seinen Kopf gepresst. Rivers Kichern drang nur gedämpft zu ihm heran, ebenso wie die Tatsache, dass sie von ihm wegspazierte. Er stellte keine Gefahr für sie dar. Sie kehrte zu dem Vampir zurück, um sich zu ihm hinunterzubeugen und ihm den Pflock ins Herz zu rammen. Er zerbröselte zu Staub, der von der Luft aus dem Schacht langsam verteilt wurde. Mit zögerlichen Schritten umrundete Kaylee die Anrichte, einen Pfannenwender in der Hand haltend, während Spike erschöpft an der Wand lehnte. So hatte er sich seinen Fluchtversuch nicht vorgestellt und er bezweifelte, dass man das hier überhaupt einen nennen konnte. „Wo kommt er her?“, fragte Kaylee mit zittriger Stimme. „Vom anderen Raumschiff? Sind noch mehr an Bord?“ „Vampire sind selten allein unterwegs. Zumindest nicht hier draußen im All“, informierte Spike sie. „Auf dicht besiedelten Planeten und in den Städten sieht das schon wieder anders aus.“ Ein Teil von ihm sah nicht ein, warum er sich die Mühe machte und er es ihnen erzählte. Andererseits blieb ihm wohl wirklich keine andere Möglichkeit, als vorerst auf lieb Kind zu tun, bevor sich die beste Gelegenheit bot, um sich abzusetzen. „Also sind noch mehr an Bord“, beantwortete Kaylee sich ihre eigene Frage und drückte den Pfannenwender fest an ihre Brust. „Was machen wir denn nun? Was ist mit Mal und Jayne und den anderen passiert?“ „Pssst!“, zischte River und fuhr zu ihnen herum. Den Zeigefinger hatte sie an die Lippen gepresst, während sie noch immer den Pflock und die Machete hielt. Spike lauschte und konnte nun ebenfalls die neuen Schritte ausmachen, die sich ihnen näherten. Nur das laute Nachladen einer Schrotflinte verriet, dass es sich hierbei Menschen und keine Vampire handelte. Tom und Zoe kamen in den Gemeinschaftsraum gerannt, wobei der Pilot mehr humpelte als alles andere. Schweiß stand beiden auf den Gesichtern geschrieben, die mit gezückten Gewehren herumliefen. Wachsam wanderte Zoes Blick durch den Raum, bis er auf Spike zum Liegen kam. Eine Augenbraue hob sich. „Alles in Ordnung bei euch?“, erkundigte sie sich und obwohl sie Spike weiterhin im Visier hatte, war es deutlich zu erkennen, dass sie mit Kaylee und River sprach. „J-Ja, alles okay“, entrann es der Mechanikerin. Auf Toms Lippen tat sich ein halbherziges Lächeln auf, als er zu Atem kam. „Willst du den Vampiren etwas kochen? Mit dem Ding kommst du nicht weit“, sagte er und deutete auf den Pfannenwender. Er nahm ihn ihr sacht aus den Händen, wobei es einige Sekunden bedurfte, bevor Kaylee bereit war, sich von dem Gegenstand zu trennen. „Der Kontakt zu Mal und Jayne ist abgebrochen“, begann Zoe in der Zwischenzeit die Lage zusammenzufassen. „Es war eine Falle. Wenn wir Vampire an Bord haben, dann können wir davon ausgehen, dass sie ebenfalls auf dem Transportschiff auf welche gestoßen sind. Daher brauchen wir zwei Gruppen. Eine, die hier die Stellung hält und nach den anderen sieht, und eine, die auf dem anderen Schiff nach Mal und Jayne sucht.“ Ihr Blick wanderte über die Anwesenden, suchte nach Widerworten, fand jedoch keine. Wenn sie hochschwanger noch die Autorität in Person war, hätte Spike sie gern vorher einmal kennen gelernt. Sie würde einen guten Slayer abgeben. Es war nur seltsam, dass sie nicht der Captain dieser fliegenden Untertasse war. Als hätte sie seinen Gedanken gelesen, sah Zoe wieder zu ihm. „Kämpfst du auf unserer Seite oder auf ihrer?“ Spike stieß sich mit einem Grinsen von der Wand ab und richtete seinen schwarzen Ledermantel. Mit langsamen Schritten schlenderte er auf diese Möchtegern-Vampirjäger zu, die sich hier versammelt hatten und ihre Knie kaum vom Zittern abhalten konnten. Es war ein lächerlicher Haufen. „Vorerst? Auf eurer.“ 24 Ein Kichern drang aus ihrer Kehle, ganz unerwartet hatte es sich den Weg aus ihrem Mund gesucht. Es hallte von den Wänden des Lagerraums wider, den sie zu dritt durchquerten. Alles war still um sie herum, denn die Stimmen in den Kisten waren nun frei und dröhnten nicht länger in ihrem Kopf. Nun waren da nur noch die leeren Hüllen auf den Raumschiffen, die ihnen versuchten das Blut auszusaugen, weil die Vampire sie um das beneideten, was sie nicht mehr besaßen: Leben und Wärme, ihre Seele. Sie waren Marionetten, die nach den Fäden ihres Meisters tanzten. River konnte sie sehen, glitzernd und für den Bruchteil einer Sekunde, ehe ihre Machete die Fäden durchschneiden und sie zu Boden fallen würden. „Was gibt’s da zu lachen, Püppchen?“, murrte Spike, der sie aus den Augenwinkeln betrachtete. Inzwischen trugen sie alle selbstangefertigte Pflöcke, für den ein weiterer Stuhl im Gemeinschaftsraum sein Leben lassen musste. Nun würden zwei Personen aus der Crew keinen Sitzplatz beim Abendessen haben, ging es River durch den Kopf. Ihr Daum fuhr liebevoll dem Pflock entlang, den sie in der einen Hand trug, während die schwere Klinge der Machete noch immer in ihrer linken ruhte. „Du bist die Puppe“, antwortete River, die sich auf leisen Sohlen bewegte. Sie war schon vor gut einer Stunde in ihre Schuhe geschlüpft, gewappnet für alles und jeden, geleitet von diesem Gefühl in ihrem Bauch. „Du bist auf unserer Seite, weil du keine Seite hast... Spikilein.“ Der Vampir gefror in seinen Schritten, wollte sich auf sie stürzen, hielt sich aber doch nur stöhnend den Kopf. „Argh, verdammt! Du Mistweib, du—“ „Sollten wir uns nicht lieber auf unsere Aufgabe konzentrieren?“, gab Tom zu bedenken, der ihnen bisher schweigend gefolgt war. Er trug noch immer sein Gewehr mit sich, während auch er zusätzlich mit einem Pflock bewaffnet war, der in seinem Gürtel steckte. „Wir sollten uns beeilen.“ „Vielleicht sind wir bereits zu spät“, entrann es River. Sie zuckte mit den schmalen Schultern, bevor sie in den Transporttunnel schlüpfte, der beide Schiffe miteinander verband. „Zoe hätte uns nicht losgeschickt, wenn es nichts bringen würde“, erwiderte Tom, doch sein heiterer Ton wackelte. River konnte es hören, genauso wie sie die Leere von Spike hören konnte und jede leere Hülle, die sich auf dem Transportschiff befand. Sie waren umringt von ihnen, nicht nur auf den Schiffen, sondern überall, dort draußen im Vakuum, zwischen den Sternen. Doch warum jetzt, wieso ausgerechnet jetzt? Die Frage rollte durch ihren Kopf, drehte sich wie ein Kreisel, der nie sein Gleichgewicht verlor – und es gab kein Antworten. Nirgendwo gab es Antworten für irgendetwas. Sie alle waren unwichtig, kleine Lichter in einem riesigen Etwas, was keine Anfänge und Enden kannte, weil es sich gleich bleibend drehte und wandte. Toms Hand berührte ihre nackte Schulter, während die sterile Luft vom anderen Schiff zu ihnen drang und am unteren Rand ihres Kleids zerrte. „Alles in Ordnung, River?“, fragte er und River bemerkte, dass sie stehen geblieben war. Wie lange stand sie schon hier? Eine Sekunde oder ein Millennium? „Sie sind nah“, verließ es ihre Lippen. Ihr Instinkt sprach, denn er riss in diesen Momenten stets die Kontrolle an sich. Sie war wie eine Maschine. Die Hand auf ihrer Schulter abschüttelnd setzte River ihren Weg fort, einen Fuß vor den anderen setzend, bis sie das tote Transportschiff erreichten. Lichter über ihren Köpfen blinkten in einem rötlichen Licht, während Rivers eigener Schatten über die Wände kroch, suchend und nicht aufzuhalten. Tom und Spike, ihre Stimmen, die redeten, über sie redeten, drangen nicht zu ihr durch. Sie verloren sich in der Stille, die auf dem Schiff herrschte und die jegliches Leben verschlucken wollte. Die sie zu weiteren leeren Hüllen umwandeln wollte, um ihr Heer zu stärken. Von eine Sekunde auf die andere griff ihre Armee an, kam sie aus den schattigen Ecken gestürzt. Ein Zischen und Knurren lag in der Luft. River schloss die Augen, denn sie brauchte ihre Sehkraft nicht, die von der Dunkelheit ohnehin eingeschränkt war. Ihr Arm mit der Machete surrte durch die Luft und in kreisförmiger Bewegung um sie herum. Sie hielt die Vampire auf Abstand, ließ sie ruckartig zurückzucken. River bewegte sich mit ihnen, nahm sich die leeren Hüllen auf der linken Seite zuerst vor. Ein Tritt beförderte einen gegen die Wand, während sie einem anderen den Pflock ins Herz jagte. Sie wartete nicht, bis er zu Staub zerfallen war, sondern zog ihn heraus, um ihm dem anderen, der sich vom Boden aufrappelte, in den Rücken zu stoßen. Ihn stecken lassend tauchte sie unter den Armen eines anderen Vampirs ab, der nach ihr greifen wollte. Der Pflock fiel zu Boden und rollte davon, doch River brauchte ihn nicht mehr. Sie wandte sich um, noch bevor der Vampir reagieren konnte. Ihre Augen öffneten sich, bevor die Klinge der Machete seinem Nacken berührte und seinen Kopf von ihm trennte. Bevor er den Boden erreichte hatte, war er bereits zerbröselt, mitsamt dem Rest seines Körpers. Die letzte Hülle zögerte einen Augenblick zu lang und erlitt dasselbe Schicksal wie sein Vorgänger. „Da sind mehr“, sagte River und streckte den Finger in die Richtung des Ganges aus, der tiefer in das Schiff führte. Sie setzte sich in Bewegung und hob im Gehen den Pflock auf. „Ich frage mich, warum uns Zoe mitgeschickt hat“, ertönte Toms Stimme, war jedoch nicht mehr als ein Flüstern. „Eigentlich braucht sie uns gar nicht.“ „Vielleicht um sie aufzuhalten, bevor sie auch eure Leute über den Haufen säbelt“, erwiderte Spike. Im Gegensatz zu Tom machte er sich nicht die Mühe die Stimme zu senken, vielleicht wusste er, genau wie River, dass sämtliche Hüllen längst auf der Lauer lagen, weil sie ganz genau wussten, in welchem Gang sie sich befanden. Tom schnaubte leise. „Das würde sie nicht. Glaube ich. Ich frage mich sowieso, weshalb Zoe ausgerechnet dich mitgeschickt hat. Dass sie so viel Vertrauen in dich legt.“ Sprach da Eifersucht? River meinte es herauszuhören, aber was wusste sie schon über die verquerten Emotionen ihrer Crewmitglieder, die sich verhedderten wie ein Wollknäuel, von dem man den Anfang nicht mehr fand. „Weil sie offensichtlich Verstand besitzt, der vielen anderen an Bord eures Schiffes fehlt“, antwortete Spike. All diese Worte brachen wie Wellen über River hinweg. Sie nahm jedes einzelne auf und speicherte es ab für später, aber nichts konnte sie von ihrem Weg abbringen. Ihre Schritte verlangsamten sich nicht, als sie den blinkenden Warnlampen folgte, Tom und Spike irgendwo hinter ihr laufend. Sie gingen an Durchgängen vorbei, die in dunkle Räume führten. Doch von ihnen ging keine Bedrohung aus, denn diese befand sich vor ihnen. River konnte es in jeder Faser ihres Körpers spüren, als würde auch sie von unsichtbaren Fäden geleitet werden. Als wäre sie auserwählt die dämonischen Seelen, welche sich in den leeren Hüllen einquartiert hatten, zu exorzieren. Vielleicht war sie auch ein Slayer, womöglich war das ihre Bestimmung. Ihre Lippen hoben sich zu einem Lächeln, als sie im Rahmen zum Speisesaal des Schiffes stand. Er war in Dunkelheit getaucht, nur die Strahlen zweier auf den Tischen platzierter Taschenlampen spendeten Licht und gaben Sicht auf die Gestalten, die sich in der Schiffsküche versammelt hatten. Sie standen zwischen den Tischen verteilt, strategisch den gesamten Raum einnehmend. River zählte nicht. Ihre Augen hefteten sich sogleich an Mal und Jayne, die in eine der Ecken gedrängt worden waren. Waren sie bereits leer? River wog den Kopf zur Seite, obwohl die Lichtverhältnisse zu schlecht waren, um mehr als ihre Umrisse auszumachen. „River?“, rief Mal. „Was zum Teufel macht ihr hier? Und warum bringt ihr den Vampir mit?“ Er trat vor, doch ein Vampir stieß ihn zurück und sein rechtes Bein drohte einzuknicken, als er rückwärts stolperte. „Das ist unser Ende...“, murmelte Jayne inmitten eines Meeres aus Knurren und raschelnder Kleidung, die von Vampiren sprach, die nur darauf warteten, an ihrem Blut speisen zu können. Eine Vampirdame trat vor und somit in den Schein einer der Taschenlampen. Ihre Stirnknochen standen verformt hervor und ihre Reißzähne blitzten im Licht. Trotz ihrer löcherigen Kleidung hatte sie etwas Raubtierartiges an sich, als sie dastand und eine Hand in die Hüfte stemmte. „Ergebt euch und euer Tod wird schnell verlaufen.“ „Sie... haben sie als Geiseln genommen?“ Unglaube sprach aus Toms Ton heraus, der neben River zum Stehen gekommen war. Seine Finger hatten sich um das Gewehr geschlossen, während der Pflock im Bund seiner Hose steckte. Auf ihrer anderen Seite stand Spike, der die Knöchel knacken ließ. „Nein“, verkündete River hauchzart. Im selben Moment rannte sie los und löste eine Kettenreaktion aus. Auch die Vampire griffen an. Der Vampir, der sich ihr als erstes in den Weg stellte, blockte die Hand mit ihrem Pflock und River riss ihm mit der Klinge der Machete das Bein auf. Schreiend sackte er auf die Knie und seine Hand rutschte von Rivers Gelenk. Der Pflock war wieder einsatzbereit und landete in der Brust des Vampirs. Als er zu Staub zerfiel packte sie etwas am Oberarm und riss sie herum, doch Spike tauchte hinter ihm auf, griff in das fettige Vampirhaar und die hervorstehende Stirn kollidierte mit der Tischkante. Der Pflock, den er mit sich trug, landete in seinem Rücken. Er schenkte ihr ein schiefes Grinsen und stürzte sich an ihrer Seite ins Getümmel. Schüsse explodierten im Speisesaal, ohrenbetäubend, inzwischen jedoch vertraut, und ließen Vampire kurzzeitig zurückschrecken oder sich auflösen, trafen die Pistolenkugeln auf Gehirne und Herzen. Fluchend versuchte Tom das Gewehr nachzuladen, bevor er es wegwarf und den Pflock zog. Der Vampir packte ihn am Kragen seines Hawaiihemdes, um seine Reißzähne in seinem Hals zu vergraben. Mit zusammengebissen Zähnen rammte er den Pflock in die Brust vor ihm und der Vampir ließ von ihm ab, um rückwärts zu taumeln. Er löste sich nicht auf, sondern schaute mit schmerzverzerrtem Gesicht seinem Oberkörper hinab, bevor er den Pflock mit zittrigen Händen herauszog und fallen ließ. „Du hast mein Herz nicht getroffen“, stellte er schwer atmend fest, schaffte es jedoch die Mundwinkel zu heben. Abermals ging er auf Tom los, der nach dem Gewehr tauchte. Der Vampir stürzte über ihn hinüber, was dem Piloten genug Zeit verschaffte, um nachzuladen und ihm eine Portion Blei zu verpassen, von dem etwas sein Herz verfetzt. Mit einem Keuchen zerfiel er zu Staub. Sein Blick streifte umher, River nahm es nur in den Augenwinkeln wahr, als sie sich durch die Menge der Hüllen hackte. Es war ein Tanz, zu dem River jeden einzelnen Schritt kannte, obwohl sie mit richtigen Dingen Schwierigkeiten hatte, mit Verhaltensweisen und Interaktionen und Manieren. Ihre Füße bewegten sich von allein, als sie sich den Weg zwischen den Vampiren hindurch suchte und den Staub mit ihrer Schnelligkeit verwehte, den sie hinterließen. Spikilein war ihr dicht auf den Fersen wie ein treuer Schoßhund, wie ihr Schoßhund. Sie jagte dem Vampir, der sie noch von Mal und Jayne trennte, den Pflock in die Brust, bevor sie den Pflock in einer spielerischen Geste Jayne zuwarf, der ihn perplex auffing. Mal schnappte sich ihre Waffen, welche die Vampire auf einem der Tische mit den Taschenlampen gesammelt hatten. Der Hammer seines Revolvers wurde nach hinten gedrückt und eine Kugel landete zwischen den Augen einer weiterer Hülle. Sie waren die Reinigungstruppe. Sie befreiten das arme Schiff vom Ungeziefer, das sich ungefragt eingenistet hatte. Sie rotteten das Nest aus. River fällte den letzten Vampir, bevor die Stille sie übermannte. Es war nicht dieselbe Stille, sie wollte nicht einnehmen und erobern, sondern suchte den Frieden. Die angespannten Muskeln lockerten sich in den Armen und Beinen und River blinzelte zwischen den schweißnassen Haarsträhnen hindurch, die ihr ins Gesicht hingen. Sie trug noch immer die Machete, die an ihrer Seite baumelte, als sie in einem Meer aus Staub stand, die Blicke aller auf ihrer Gestalt ruhend. IX. Tinktur. Moment der Ruhe. Die Zigarren. ------------------------------------------- 25 Es war ein unerwartetes Gesuch gewesen. Bisher hatte Johnny einen eher widerspenstigen Eindruck gemacht, der deutlich verriet, dass er eigentlich nicht auf der Serenity sein wollte. Dabei konnte Inara nicht leugnen, dass auch sie gewisse Zweifel an der Weisheit hatte, ihre neuen Passagieren frei auf dem Schiff herumlaufen zu lassen. Immerhin hatten sie zwei Slayer und ein Vampir an Bord, die ihre eignen Pläne verfolgten. Auch Johnny war nicht aus freien Stücken zu ihnen gestoßen, obwohl sich Inara nicht sicher war, ob es am Ende wirklich einen Unterschied darstellte. Sie alle hatten unterschiedliche Gründe und Absichten gehabt, als sie Fuß auf die Serenity gesetzt hatten und hatten dennoch zusammengefunden. „Das sollte den Schmerz lindern“, sagte Inara, als sie auch die letzte Stufe der Leiter hinuntergestiegen war. Wahrscheinlich sollte sie ein ernstes Wort mit Mal reden, dass er Johnny mit seinem schlimmen Bein eine der Kajüten zum Hinunterklettern zugeteilt hatte, anstatt einen der Räume in der Nähe der Krankenstation, die im Moment von Tom, Buffy und Faith bewohnt wurden. Dort musste jedoch noch ein weiteres Zimmer frei was, was Inara darauf schließen ließ, dass es Absicht gewesen war. In vielen Hinsichten benahm sich Mal manchmal immer noch wie ein Kind. „Trotzdem solltest du Simons Angebot annehmen. Er ist nicht umsonst unser Arzt und hat schon kleine Wunder verbracht“, mahnte sie mit sanfter Stimme, als sie Johnny den Kräutertee auf den kleinen Tisch stellte. Ihr Blick wanderte zu der Tasche hinüber, die in der Ecke stand und noch immer nicht ausgepackt war. Johnny hievte sich aus dem Bett und humpelte zum Tisch, während sein Gehstock weiterhin an der Wand lehnte. Sich im Stuhl zurücklehnend angelte Johnny nach der Zigarettenpackung in seiner Hemdtasche und zündete sie sich eine der Zigaretten mit dem Feuerzeug an, welches ebenfalls in der Packung steckte. Blauer Dunst stieg fadenähnlich auf und verlor sich in der Luft, aber verbesserte den allgemeinen Rauchgeruch in der Kajüte nicht. „Dazu müsste ich eurem Doktor ein ganz schönes Vertrauen entgegenbringen, nicht?“ Johnny legte den Kopf schief und schenkte ihr ein freudloses Grinsen, welches sein pockenvernarbtes Gesicht entstellte. „Wäre das denn so schwer?“, fragte Inara, während ihre Finger den Knoten des Tuchs berührten, welches um ihre Schultern gebunden war und sie von der Kühle des Schiffes abschirmte. Ihr rosafarbenes Kleid reichte zwar bis zu den Knöcheln hinunter, besaß aber nur schmale Träger. „Haben wir irgendetwas getan, was Misstrauen verdient hat?“ Johnny musterte sie eine lange Zeit schweigend, bis er schnaubte. „Nicht ihr, aber mein werter Cousin dagegen eine ganze Menge.“ Sein Blick wandte sich der Tinktur zu, die er mit der freien Hand zu sich heranzog. Bei der grünlichen Farbe verzog sich sein Gesicht, doch er setzte es trotzdem an die Lippen und nahm einen Schluck. Inara beobachtete ihn dabei. „Und du denkst, dass wir dich für die Fehler deines Cousins zur Rechenschaft ziehen?“ Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. „Ich glaube daran, dass jeder nur für seine eigenen Fehler verantwortlich ist. Und ob du welche in unserem Beisein begangen hast oder nicht, das kannst nur du wissen.“ „Ich weiß nicht mal, was dieser Stuss bedeuten soll“, murmelte Johnny, als er seine Zigarette rauchte und den Tee abwechselnd trank. „Du drückst dich fast so geschwollen aus wie Boyd. Zwanzig Worte benutzen, wenn fünf es auch tun.“ Inaras Lächeln schwand nicht, sie senkte lediglich den Blick. Johnny war sauer, das war offensichtlich. Wütend auf seinen Cousin und die Welt, nicht direkt auf sie. Verständnis aufzubringen war in der Theorie dennoch leichter, als in der Wirklichkeit. „Sag nicht, dass Mal nicht denkt, dass ich von diesen Slayer und dem Vampir gewusst haben muss“, stieß Johnny aus, als Inara nicht mehr antwortete. Sein Ton war bitter, während der Rauch mehr und mehr den Raum benebelte. Inara bevorzugte ihre Räucherstäbchen. „Anfangs... sicherlich“, erwiderte Inara. „Aber er besitzt ein gutes Gespür für Menschen. Und wenn Mal erst einmal—“ Doch sie brach ab, als ein Quietschen hinter ihr ertönte. Sie warf einen Blick über ihre Schulter hinweg zu der Leiter, die aus der Kajüte führte. Inara hatte die Öffnung nach ihrem Eintreten geschlossen, aber nun schob sie sich in Zeitlupe auf. Niemand stieg hinunter und es steckte auch niemand den Kopf hinein. Es blieb vollkommen still. Inara lebte bereits zu lange auf der Serenity, um nicht zu ahnen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Hatten sie Eindringlinge an Bord? Es lag nah, da sie immerhin vor kurzem erst an das Transportschiff mit dem Notsignal angedockt hatten und Mal und Jayne sich auf ihm umsahen. Johnny kam zu derselben Erkenntnis, da er sich am Tisch hochzog und mit schleifenden Schritten den Abstand zu seinem Bett überbrückte. Das Kissen wurde beiseite geworfen und rutschte zu Boden. Zum Vorschein kam eine Pistole, nach der Johnny griff. Im selben Augenblick ertönte ein Knurren und eine Gestalt schlüpfte durch den offenstehenden Eingang in die Kajüte. Inara sowie Johnny fuhren herum, als der Mann sich vom Boden aufrichtete. „Na, ihr Hübschen?“, entrann es ihm und ein Grinsen zeigte sich auf seinem entstellten Gesicht. Er war ein Vampir. Inara hatte sich seit der Enthüllung, dass es Dinge wie Vampire überhaupt gab und sie einer Apokalypse entgegenblickten, zu oft das Buch mit den Skizzierungen angeschaut, um einen nicht auf Anhieb zu erkennen. Sie schnappte nach dem Becher mit dem Kräutertee, als der Vampir mit energischen Schritten auf sie zukam. Mit einem Ruck schüttete sie ihm die heiße Flüssigkeit ins Gesicht. Zischend wich er zurück und hielt sich die Wangen. Inara taumelte rückwärts, näher zu Johnny hinüber. Sie riss den Stuhl um, auf dem er vorher gesessen hatte. Johnny stützte sich am Bettrand ab und entsicherte seine Pistole. Sein Schuss bohrte sich in den Oberschenkel ihres Angreifers, der zurückstolperte und einen Schrei von sich gab, der von dem Echo des Schusses verschluckt wurde. Trotzdem kam er mit dreifacher Schnelligkeit um den Tisch herum auf sie zugerannt, wobei er den Stuhl beiseite warf, so dass er gegen die Wand krachte. Instinkt übernahm die Kontrolle und Inara zog Johnny die Pistole aus den Fingern. Ihr Schuss riss den Vampir nach hinten und ließ ihn inmitten seines Falls zu Staub zerbröseln, als die Kugel sich zwischen seine Augen grub. „Das... war ein guter Schuss“, ertönte Johnnys Stimme an ihrer Seite, kratzig und vermischt mit dem Dröhnen in Inaras Ohren, was von den Schüssen auf so engem Raum stammte. Sie ließ die Pistole sinken, sicherte sie jedoch nicht. Dort oben im Gang konnten noch ein Haufen mehr Vampire lauern, auf dem gesamten Schiff sogar, wurde Inara bewusst. „Hier drinnen sind wir strategisch im Nachteil“, flüsterte sie und straffte die Schultern. Sie reichte Johnny seinen Gehstock. „Lass uns die anderen suchen.“ Mit diesen Worten und auf leisen Sohlen steuerte sie die Leiter an. Oben war niemand zu entdecken, weshalb sie sich mit einer Hand die Stufen hinaufzog und mit der anderen die Waffe bereit hielt. Zwar griff sie nur ungern zu gewalttätigen Mitteln, aber manchmal hatte man eben keine Wahl. Der Gang war verlassen. Inara kletterte gänzlich aus der Kajüte, bevor sie Johnny mit einer Handgeste signalisierte und er sich ebenfalls hochzog. Sie packte seinen Arm, um ihm aufzuhelfen, aber er schüttelte sie mit einem Brummen ab. Von hier konnte Inara direkt die Treppe hinauf in das Cockpit der Serenity sehen, doch es erschien ebenfalls leer. Aus diesem Grund schlug sie mit Johnny im Schlepptau den Weg in den Gemeinschaftsraum ein. Um mehr Beinfreiheit zu haben, hielt sie ihr Kleid hoch, während Johnnys Gehstock hinter ihr wie ein schlechtes Omen einen gleichmäßigen Takt auf den Boden trommelte. Auch im Gemeinschaftsraum war niemand aufzufinden, weder Mensch noch Vampir. Das Schiff schien wie ausgestorben zu sein. Waren sie alle den Vampiren zum Opfer gefallen? Nein, das war unmöglich. Dafür kannte Inara sie alle zu gut, dafür hatten sie zu viel erlebt, vor allem jedoch überlebt. „Hier gab es einen Kampf“, entrann es Johnny und er zeigte auf die aufgerissenen Schubladen der Kochnische und den Staubspuren auf dem Boden. „Und der Vampir ist weg. Dieser Spike oder wie er sich nannte. Denkst du, sie haben zusammengearbeitet und ihn befreit?“ Inara schüttelte den Kopf. „Nein.“ Beweise hatte sie nicht, aber Spike konnte nichts damit zu tun haben. Er war an den Stuhl gefesselt gewesen und davor hatte er eingefroren in einer dieser Truhen gelegen. Ein Poltern drang an ihre Ohren. Den Bruchteil einer Sekunde später kam ein Vampir in den Aufenthaltsraum geflogen, direkt aus dem Gang, der zum Maschinenraum führte. Er stürzte auf den Rücken und blinzelte desorientiert zu Inara und Johnny hinauf, als wüsste er selbst nicht, was mit ihm geschehen war. „Was denn? War es das schon? Wir haben doch gerade erst angefangen“, rief Faith. Die braunhaarige Slayer kam mit energischen Schritten in den Raum marschiert, sackte mit gespreizten Beinen auf die Hüften des Vampirs und rammte ihm den Pflock in die Brust. Im nächsten Moment saß sie auf dem Boden in einem Haufen Staub. „Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so lange durchhaltet“, fügte Faith hinzu, als sie Inara und Johnny musterte. „Wie sind die Vampire an Bord gekommen?“, fragte Buffy, die verspätet eintrat und sich den Staub von der Bluse klopfte. „Ich weiß, sie brauchen keine Luft zum Atmen, aber macht Vakuum ihnen jetzt auch schon nichts mehr aus? Wenn ja, dann haben wir echte Probleme.“ Inara musste sich daran erinnern, dass sie hier alle auf derselben Seite standen, auch wenn das bisher nicht der Fall gewesen waren. „Wir haben auf den Notruf eines Schiffes geantwortet und angelegt. Es muss eine Falle gewesen sein“, fasste sie zusammen und hinter ihr schnaubte Johnny verächtlich. „Das hätten wir euch auch früher sagen können, Schätzchen“, sagte Faith, als sie sich aufrichtete und der Pflock von einer Hand zur anderen tanzte. „Oh mann, ihr seid wirklich nicht die Hellsten, was? Was habt ihr daran nicht verstanden, dass Vampire uns jagen und—“ „Faith... ich denke, das reicht jetzt“, unterbrach Buffy. „Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Master herausfinden wird, dass wir hier gewesen sind.“ „Mal und Jayne sind immer noch auf dem anderen Schiff“, erwiderte Inara. „Wir legen nicht ohne sie ab. Ich würde vorschlagen, wir suchen erst mal die anderen und entscheiden dann, was die beste Vorgehensweise ist.“ „Klingt vernünftig“, stimmte Johnny zu und schenkte ihr ein Halblächeln, das nach einem verquerten Danke aussah, welches Inara sachte nicken ließ. „Euer Schiff, eure Regeln“, sagte Buffy und warf Faith einen langen Blick zu, bis diese den Atem ausstieß und mit den Schultern zuckte. „Hättet ihr uns nicht in dieses Zimmer verfrachtet, dann wäre es erst gar nicht soweit gekommen“, sagte Faith. „Ihr braucht uns. Das hätte ich euch vorher sagen können.“ Doch Inara hörte nicht mehr zu und wandte sich stattdessen zum Gehen. Sie schritt durch den Gang, aus dem Buffy und Faith gekommen waren. Ihre Gedanken waren wirr und schienen zweigleisig zu fahren. Faith hatte recht, Inara hatte keine Probleme, das zuzugeben. Zwar wurden die Passagiere selten in den Vorgehensweisen an Bord eingeweiht, doch in diesmal war es ein Fehler gewesen. Hätten sie die Slayer über das Frachtschiff informiert, hätten die beiden sie warnen und eventuell vom Andocken abhalten können. Andererseits konnte man Mal niemals von etwas abhalten, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte. Zu viert stiegen sie die schmale Treppe hinunter, die sich zwischen Gemeinschaftsraum und Maschinenraum befand. Sie führte hinunter in die untere Etage des Schiffs und direkt zur Krankenstation. Wahrscheinlich hatten Buffy und Faith diese auch erklommen, da sich ihr Zimmer ebenfalls dort unten befand. Stille begleitete sie, aber Inara traute ihr nicht. Es wirkte zu friedlich. Wo waren die anderen? Inara trug noch immer die Pistole, als sie sich weiter vorwagte, Buffy direkt an ihrer Seite, während Johnny und Faith hinter ihnen liefen. Die Lichter in der Krankenstation waren ausgeschaltet und der Raum war in Dunkelheit gehüllt. „Wir haben die Räume dort hinten bereits gecheckt. Da befindet sich niemand“, flüsterte Buffy, als sie an der Krankenstation vorbeischlichen. Ein Klappern im Inneren ließ beide Frauen innehalten. Bevor Buffy sich dem dunklen Raum annähren konnte, hielt Inara sie an der Schulter zurück und streckte selbst die Hand aus. Ihre Finger tasteten an der Wand entlang, die kalt und hart war, bis sie den Lichtschalter gefunden hatte und ihn betätigte. Gleißendes Licht erfüllte die Krankenstation, doch Inara zwang sich die Augen offen zu halten, als sie hineinschaute. „Simon“, entfuhr es ihr. Ein Teil des Gewichts, der ihr das Atmen erscherte, fiel von ihrer Brust und sie eilte zu dem Doktor hinüber. Sie blieb einen halben Meter von ihm entfernt stehen. Er stand an die Liege gelehnt, sich abstützend, als würden seine Beine ansonsten nachgeben. Sein Gesicht war bleich und seine Augen auf den Staub gerichtet, der sich vor ihm auf dem Boden gesammelt hatte. Das Skalpell hielt er noch immer in der Hand, weit von sich gestreckt, und Inara nahm es ihm langsam aus den Fingern. „Simon, alles in Ordnung?“ Er ließ es geschehen, schluckte nur sichtlich. „Ich denke... schon? E-Er hat das Licht ausgeschaltet.“ Unglaube sprach aus dem Arzt, obwohl seine Stimme fest war und er unverletzt schien. „Und dann... dann ist er in das Skalpell hineingerannt. Ich... ich wusste nicht...“ Simon brach ab und zog die Augenbrauen irritiert zusammen. Sein Blick richtete sich auf Inara. „Wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiert?“ Inara hatte keine Antwort darauf, doch Faith ließ ein spöttisches „Du musst ein verdammter Glückspilz sein, Süßer“ verlauten. 26 „Ist es vorbei? Ist es wirklich vorbei?“, kamen die Fragen zum wiederholten Male über Kaylees Lippen, einen Deut lauter diesmal. Ihre Knie fühlten sich noch immer wie Pudding an und ihre Finger wollten nicht mit dem Zittern aufhören. „Es ist vorbei“, antwortete ihr River, monoton und viel zu ruhig in Anbetracht der Umstände. „Dieser Kampf ist vorbei.“ Ihre Worte beruhigten nicht, sondern verursachten einen eisigen Schauer, der Kaylees Rücken hinunterlief. Rivers verschwitztes Gesicht mit den feuchten Haarsträhnen, die ihr in die Augen hingen, und die Machete in ihrer Hand verstärkten den unguten Eindruck nur. Sie hatte keine Antwort erwartet, hatte sie auch vorher nicht bekommen, denn dafür herrschte zu viel Tumult. Andere Dinge waren nun wichtiger, wichtiger als die Nervosität, die Kaylee nicht loslassen wollte. „Tom, ich will in den nächsten fünf Minuten das Transportschiff nicht mehr auf unserem Radar sehen“, blaffte Mal, der zusammen mit Jayne manuell die Luke schloss. Der Tunnel, der als Verbindung zum anderen Schiff diente, verschwand hinter dem Tor und Kaylee stieß den angehaltenen Atem aus. Auch ihrem Captain stand der Schweiß auf der Stirn und zudem zuckte Schmerz jedes Mal über sein Gesicht, wenn er sein Gewicht auf dem linken Bein abstützte. Mals Hose war an am unteren Ende zerrissen und der Stoff blutig. „Ay, Captain“, erwiderte Tom. Das Gewehr legte er auf eine der Kisten im Lageraum ab, bevor er mit einer Hand an seine Rippen gepresst die Stufen erklomm und sich zum Cockpit begab. „Es ist wirklich vorbei, Kaylee“, erklang Inaras sanfte Stimme. Warme Finger berührten Kaylees Arm und bugsierten sie weg vom Lagerraum, in dem sie alle irgendwie wieder zusammengefunden hatten, und hinüber zu ihrer kleinen Krankenstation. „Simon sollte sich deine Knie ansehen.“ Auf halben Weg dorthin ging bereits ein Vibrieren durch den Boden, welches Kaylee kaum vertrauter sein konnte. Die Serenity flog weiter, weg von dem Schiff mit seinen Vampiren und mitten ins Nichts, wo ihnen nichts passieren konnte. Zum ersten Mal waren sie im All trotz seiner Gefahren sicherer, als sie es auf jedem Planeten je sein konnten. Es war ein gruseliger Gedanke, der ein Beben durch Kaylees Körper schickte. Die Neonlampen an der Decke summten, als sie die Krankenstation betraten. Simon, bleich wie ein Leinentuch, sortierte die Schubladen und hob all die heruntergefallenen Gegenstände auf. Er ruckte herum, ein Skalpell erhoben, als er auf sie aufmerksam wurde. Seine Augen waren geweitet und er schluckte, als er sie erkannte. „Inara... Kaylee...“ Kaylee konnte sich sehr gut vorstellen, wen oder was er erwartet hatte. „Wir haben abgelegt. Die Vampire können uns jetzt also nicht mehr aussaugen“, informierte sie ihn mit einem schmalen Lächeln, welches er halbherzig erwiderte. Sie schob sich auf eine der Liegen und ließ die Beine baumeln. Ihr Blick wanderte zu ihnen hinab. Auch ihre Latzhose war teilweise aufgerissen und blutig an den Knien. Bemerkt hatte sie es nicht, dafür war sie zu abgelenkt gewesen. Erst jetzt, da das Adrenalin langsam aus ihren Arterien wich, spürte sie ein Brennen und Pochen in den Knien. Simon folgte ihrem Blick, bevor er bereits in eine der Schubladen zu kramen begann. „Was ist passiert?“, erkundigte er sich, vorsichtig und zögernd, als hätten sie nicht vor einer Weile erst Sex gehabt. Andererseits konnte sie kaum etwas anderes erwarten, denn seitdem hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Kaylee wollte es auf die Umstände schieben, auf die gruseligen Vampire und das Ende des Universum, aber wirklich sicher war sie sich nicht. „Ein Vampir hat mich gejagt und Spike... ich musste dem Stuhl ausweichen“, sagte Kaylee, als Simon ihre Hosenbeine hochschob, um sich die Abschürfungen anzusehen und reinigen zu können. Simones Augenbrauen zogen sich zusammen. „Dem Stuhl... Oh, okay. Gut, dass du ihm ausweichen konntest.“ Er sprühte das Desinfektionssprays auf ein Tuch und presste dieses gegen ihr linkes Knie, vollkommen auf seine Arbeit konzentriert. Kaylee verzog das Gesicht bei dem zusätzlichen Brennen, während ihre Augen zu Inara hinüber wanderten. Sie stand im Türrahmen zur Krankenstation und schenkte ihr in Verbindung mit einem warmen Lächeln ein Nicken, bevor sie den Raum verließ. Stille blieb zurück, in der Kaylee Simons Hände beobachtete, die Pflaster auf die Schrammen klebten. Anschließend wandte er sich dem anderen Knie zu und seine Wangen füllten sich mit Farbe. „Hör mal, Kaylee...“, begann er und er atmete durch, als er nach den richtigen Worten suchte. „Ich weiß, dass wir in der letzten Zeit nicht viel Zeit zum Reden oder für... irgendetwas hatten, aber das hat nichts mit dir zu tun. Ich... Ich mochte es.“ Er hob den Kopf, um ihr einen abschätzenden Blick zuzuwerfen, der Kaylee ein bisschen an den erinnerte, mit dem er sie angesehen hatte, als er ihr damals gesagt hatte, dass er mit ihr schlafen wollte. Auch damals hatten sie dem Tod praktisch ins Auge gesehen, obwohl Kaylee nicht hatte sterben wollen, bevor sie nicht Sex gehabt hatten. „Der Sex ist wirklich gut gewesen“, sagte Kaylee und dieses Mal erwiderte Simon ihr Lächeln mit einem wackeligen Lachen. Schritte ertönten und lenkten ihre Aufmerksamkeit auf die restliche Mannschaft, die nach und nach eintrudelte. Mal humpelte zur anderen Liege hinüber, um sich zu setzen und sein verletztes Bein auszustrecken. „Ich hoffe, du hast dir schon lange wieder etwas mehr zu tun gewünscht, Doktor“, sagte er und riss den Ritz in seinem Hosenbein weiter auf, um die Verletzung an seinem Unterschenkel freizulegen. Jayne und Zoe, noch immer bewaffnet, lehnten sich an die Wand. Sofort schob Kaylee sich von ihrer Liege und gestikulierte zu Zoe hinüber. „Setz dich, Zoe! Du musst furchtbar erschöpft sein.“ Zoes Mundwinkel hoben sich, als sie sich setzte und die Schrotflinte neben sich ablegte. Ihre Hand legte sich auf ihren Bauch und sie sah zu Mal hinüber. „River passt auf den Vampir auf. Sie hat sich offenbar zu seinem persönlichen Wachhund ernannt, Captain.“ „Sein Name ist Spike“, gab Kaylee zu bedenken und Jayne schnaubte. „Wen kümmert’s, wie er heißt!? Er ist der Feind“, brummte er, doch Mal schwieg. Nur kurz erhaschte Kaylee einen Blick auf die tiefe Wunde, die an seinem Bein klaffte. Es sah aus, als sei er an etwas Spitzem entlang geschabt. Kaylee schüttelte sich bei dem Gedanken, während Simon klinisch auch diese Wunde reinigte und verband. „Ich habe einmal gehört, dass der Feind eines Feindes ein Freund sein kann“, gab Zoe zu bemerken. „Außerdem... er hat immer noch diesen Chip eingepflanzt, der ihn scheinbar davon abhält, sich auf uns zu stürzen.“ „Genau!“ Kaylee klatschte in die Hände. Das hatte sie beinahe vergessen. „Es stimmt. Als River ihn angegriffen hat, konnte er sich nur verteidigen. Jedes Mal, wenn er angreifen wollte, hat er sich den Kopf gehalten, als hätte er starke Kopfschmerzen gehabt.“ „Wo sind die Slayer?“, erkundigte sich Mal aber doch nur. Fast so, als wollte er vorerst eine genaue Übersicht der Dinge haben. „Und die anderen?“ „Inara kam uns entgegen. Sie meinte, sie habe Buffy, Faith und Johnny im Gemeinschaftsraum gelassen und wäre wieder auf dem Weg dorthin, um nach dem Rechten zu sehen“, erklärte Zoe. Ihre dunklen Augen folgten Simon, der das Ultraschallgerät aus einem der Schränke holte. Sie hatten es von einem der Coreplaneten gestohlen, nachdem Zoe die Neuigkeiten über ihre Schwangerschaft mit ihnen geteilt hatte. „Ist das eurer Ernst?“, murrte Jayne. „Arbeiten wir wirklich mit einem Vampir und zwei merkwürdigen Mädchen zusammen, die mindestens genauso durchgeknallt sind, wie die Schwester vom Doktor?“ „Meine Schwester ist nicht durchgeknallt“, erwiderte Simon mit monotoner Stimme und klappte das Gerät aus. Er stellte es neben Zoe auf die Liege, während dieses ihre Schrotflinte beiseite schob und sich hinlegte. „Mal!?“, wandte sich Jayne an ihren Captain, der sich mit einer Hand über das Gesicht wischte. „Noch steht nichts fest“, murmelte dieser. Die Ablehnung und das Misstrauen, welche er anfangs ihren neuen Passagieren entgegengebracht hatte, fehlte und hatte eine Resigniertheit hinterlassen, die viel älter als ein paar Tage war. Sie war ein enger Vertrauter des Captains. „Hey Doc“, erklang Toms Stimme, der in die Krankenstation spazierte. „Kannst du dir mal meine Rippen anschauen oder mein Knie? Irgendwie sind die ganz schön in Mitleidenschaft gezogen worden und—“ Doch der Pilot brach ab, als sein Blick auf Zoe fiel, die ihre Bluse hochschob. Das handliche Gerät, welches Simon gegen ihren Babybauch hielt, gab ein leises Summen von sich und der Bildschirm neben ihnen erhellte sich. Nach einigen Sekunden schallte der kräftige Herzschlag des Babys durch die Krankenstation und verursachte Kaylee eine Gänsehaut. Ihre Augenwinkel brannten. Es war der Herzschlag von Wash und Zoes Baby. Auf dem Bildschirm waren die Umrisse dieses kleinen Geschöpfs zu sehen, welches schon sehr bald ein Teil ihrer Mannschaft sein würde und auf welches Zoe schon so lange wartete. „Es scheint alles in Ordnung zu sein“, erklärte Simon. „Ich würde sagen, da ist jemand stark im Nehmen.“ Tom grinste. „Da kommt jemand eben genau nach der Mutter.“ „Sie kommt nach Wash“, korrigierte Zoe, als sie ihre Bluse herunterzog und sich aufsetzte. „Es ist ein Mädchen?“, fragte Kaylee, ihre Stimme schrill in ihrer Aufregung. „Du hast eine Tochter? Dann sind die Frauen an Bord endlich einmal in der Überzahl.“ „Bis dahin wird es wohl noch eine Weile dauern, Kaylee“, sagte Mal, doch auch er trug ein heiteres Lächeln auf den Lippen. Für einen Augenblick waren all die Sorgen wie fortgewischt und Kaylee hielt an diesem Gefühl fest, denn inzwischen hatte sie gelernt, dass diese oftmals zu kurz und flüchtig waren. 27 Jaynes Finger ertasteten das neue Pflaster an seinem Hals. „Was denkt er, wer er eigentlich ist?“, brummte er und warf dem Krüppel, der neben ihm ächzend die Stufen erklomm, einen vorwurfsvollen Blick zu. Ein flüchtiges Grinsen, das schief auf Johnnys verschwitztem Gesicht saß, erschien. Es grub Furchen in seine ohnehin gebrandmarkten Wangen. „Der Captain?“ Jayne blieb stehen und wandte sich zu ihm um. „Du hältst dich wohl für besonders witzig, was? Dabei bist du auch nur auf dem Schiff, weil Mal nun endgültig den Verstand verloren hat.“ Doch Johnny zuckte mit den Schultern, als würde er Jayne, der ihn um einen halben Kopf überragte, nicht sonderlich beeindruckend finden. „Ich finde es nur belustigend, wie viele verschiedene Meinungen es über Mals Kapazität als Captain hier auf dem Schiff gibt und er am Ende des Tages doch alle dazu bringt, seinen Befehlen zu folgen.“ „Mals Kapazi-was?“ Jayne blinzelte. Was sollte das wieder bedeuten? „Ich warte nur, dass Mal als Captain abtritt und mich das Schiff schaukeln lässt“, antwortete er dennoch, obwohl er ganz genau wusste, dass das niemals passieren würde. Mals Ego war unzerstörbar und irgendwie schaffte er es immer wieder, sie aus jedem Schlamassel herauszubringen. Andererseits hatten sie es noch nie mit Vampiren zu tun gehabt. „Nach dem wir die Slayer, dem Vampir und dich losgeworden sind“, fügte Jayne noch mit gerunzelter Stirn hinzu. „Obwohl... wenn ich Captain wäre, würdet ihr einfach Bekanntschaft mit der Luftschleuse machen.“ Johnny schnaubte verächtlich, als sie den Weg zu ihren Kajüten fortsetzten. „Dann können wir froh sein, dass du nicht der Captain bist.“ Auch bei diesen Worten fehlte der Respekt und Jayne juckte es in den Fingern, ihm seine Vera unter die Nase zu halten, um ihm etwas davon einzuflössen. Bevor Jayne jedoch entscheiden konnte, ob er sich die Mühe machen wollte, Vera aus seiner Kajüte zu holen und ihm aufzulauern, stahl sich ein rauchiger Geruch in seine eigene Nase, der die sterile Luft verpestete. Zudem kam er Jayne vertraut war, etwas zu vertraut. Alarmglocken schrillten in Jaynes Kopf, als sie den Gang mit den Kajüten betraten. Die Klappe mit der Leiter zu seiner Koje stand offen und ein grau-blauer Qualm drang durch die Öffnung hinaus. „Was zum Teufel...!?“, entfuhr es Jayne mit erstrickter Stimme. Johnny, der mit seinem Gehstock hinter ihm herhumpelte, holte Jayne ein. „Brennt es?“ Ein Lachen steckte in Jaynes Kehle. Ob es brannte? Der Kerl hatte doch keine Ahnung. Ein Stimmchen, das sich nur selten in Jaynes Angelegenheiten einmischte, sagte ihm jedoch, dass das gut war, dass Johnny von nichts wusste, dass er dachte, dass es brannte. „J-Ja“, stammelte Jayne, bevor er losstürzte und hastig die Leiter in seine Kajüte hinunterkletterte. Der Raum war in demselben grau-blauen Dunst gehüllt. In den ersten Sekunden tränten Jaynes Augen, da die Luft nirgendwohin entweichen konnte und er wedelte mit dem Arm vor seinem Gesicht. Trotzdem fiel sein Blick auf die Gestalt, die es sich mit ihrem schwarzen Ledermantel auf seinem Bett bequem gemacht hatte. Der blonde Vampir schenkte ihm ein süffisantes Grinsen und hob die Zigarre an seine blassen Lippen, um einen kräftigen Zug zu nehmen. „Du hättest die besser verstecken sollen“, sagte Spike und nickte zu der aufgeklappten Box, die neben ihm auf dem Bett lag und die restlichen Zigarren enthielt. Jaynes Hand ballte sich zur Faust, während die andere nach dem Pflock in seinem Gürtel tastete. Erfolglos. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Wo war der Pflock? „Er ist abgebrochen, als du ihm den letzten Vampir auf der anderen Blechbüchse in die Brust gerammt hast“, kommentierte Spike, während er rauchte. „Wie... wie bist du hier reingekommen? Wo hast du River gelassen?“, spuckte Jayne dem Vampir entgegen, der die Schultern hob. „Abgehängt“, erwiderte Spike. „Für den Moment jedenfalls. Das Mädchen ist etwas zu anhänglich für meinen Geschmack.“ Nachdenklichkeit schwang in seiner Stimme weg, doch mehr sagte er nicht. „Dachte ich es mir doch...“, erklang es hinter Jayne und Johnny kletterte umständlich in die Kajüte hinab. „Einem Raucher kann man nichts vormachen. Deiner Reaktion entnehme ich, dass es gut ist, dass ich nicht Alarm geschlagen habe, weil ein Feuer ausgebrochen ist.“ Johnny schenkte ihm einen amüsierten Seitenblick und bewegte sich zu Spike und dem Bett hinüber. Jayne sowohl als auch Spike betrachteten ihn skeptisch, als Johnny sich nonchalant eine der Zigarren aus der Kiste nahm. Er drehte sie in den Fingern hin und her, um die Aufschrift lesen zu können. „Nicht gerade billig“, murmelte er, bevor sich sein Blick auf Spike richtete. „Wärst du so freundlich?“ Spikes Augen wanderten von Johnnys Gesicht zu der hingehaltenen Zigarre und die Finger seiner freien Hand spielten mit dem Zippo, das er bei sich trug. „Und warum sollte ich so freundlich sein, alter Mann?“ Beide tauschten einen Blick aus und schienen vollkommen vergessen zu haben, dass Jayne sich im Raum befand und dass das eigentlich seine gestohlenen Zigarren waren. Johnny hielt dem Vampir auch weiterhin die Zigarre entgegen. „Vielleicht, weil du mit dem Chip im Kopf eindeutig im Nachteil bist“, begann er. „Falls du es vergessen hast, ich war dabei, als der Doktor dich vorhin noch untersucht hat. Insofern ich das verstanden habe, kannst du uns nichts antun, wir dir aber schon.“ Sein Ton blieb monoton, beinahe gelangweilt. „Aber daran muss ich dich wohl nicht erinnern. Du bist ein schlaues Kerlchen, das weiß, wie man überlebt. Daher hast du uns vorhin mit dem Vampiren geholfen, weil du einsiehst, dass wir alle auf demselben Schiff feststecken.“ Eine Mischung aus Resigniertheit und Belustigung huschte sekundenlang über Spikes Gesicht. Anschließend ließ er das Zippo aufschnappen und zündete Johnnys Zigarre an. „Scheinbar funktioniert dein Kopf besser, als dein Körper es tut.“ Johnnys Mundwinkel hoben sich in freudloser Geste, während Jayne sich aus seiner Starre löste. „Das ist Diebstahl, ihr Diebe!“, presste er hervor, doch sowohl der Krüppel als auch der Vampir befanden sich zwischen ihm und der Waffenwand über seinem Bett, die unter anderem Vera hielt. „Was glaubt ihr, was Mal mit euch machen wird, wenn er davon erfährt, huh?“ Johnny entwich ein kratziges Lachen, welches Jayne unangenehm die Armhaare aufstellte. Der Kerl hatte gefälligst nicht zu lachen! Doch bevor Jayne einen Schritt in die Richtung des älteren Mannes setzen konnte, erhob dieser bereits wieder das Wort. „Du wirst aber nichts sagen, denn du bist der wirkliche Dieb unter uns.“ Rauch entwich seinem Mund, während er sprach. Er drehte die Zigarette zur Seite, so dass Jayne einen Blick auf die goldenen Buchstaben werfen konnte. „Das sind Zigaretten von Kunitz. Jeder kennt Kunitz und seine Waren. Und jeder, der ihn kennt, weiß, dass jemand wie du sich niemals seine Zigarren leisten könnte, Jayne.“ Diesmal stoppte ihn kein kleines, unwichtiges Stimmchen der Vernunft und er trat an Johnny heran, um ihn am Kragen seines karierten Hemdes zu packen. „Was willst du damit sagen?“ „Dass du ruhig teilen kannst“, erwiderte Johnny kurzatmig, hielt jedoch seinen Blick. Die Wut brodelte in Jayne und vermischte sich mit einer seltsamen Art der Hilflosigkeit bei dem Gedanken, dass sich all diese Leute in ihre Crew drängten und langsam wie Parasiten dieses Schiff übernahmen. Warum sah Mal unfähig dabei zu? Wenn er nichts dagegen unternahm, musste eben Jayne etwas tun. Aber was? Die Idee mit der Luftschleuse tanzte erneut durch seinen Kopf und ein ekeliges Grinsen zeigte sich auf seinem bärtigen Gesicht. „Du wirst sehen, was ich mit dir teilen werden, dann—“ Über ihnen ertönten Schritte und Stimmen. Was sie sagten konnte Jayne nicht ausmachen, aber ihre plötzliche Präsenz mit dem offensichtlichen Diebesgut auf dem Bett ausgebreitet und überall in der Luft sichtbar, sorgte für einen eisigen Schauer, der Jaynes Rücken herunterlief. Das konnte doch nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein! Bevor Jayne von Johnny ablassen und sich umdrehen konnte, zerriss Mals Stimme bereits die aufgekommene Stille in seiner Kajüte. „Was zum Teufel geht hier vor?“ Ein Fluch in Neu-Mandarin folgte, nach dem er gänzlich in die Kabine hinuntergeklettert war und den Blick über die drei Männer und die Zigarrenkiste huschen ließ. „Hast du die— Sind das--- Das kann doch nicht—“ Doch Mal brach ab und sammelte sich, während er zwischen Jayne und Johnny hindurchzwängte und die Kiste vom Bett aufhob, um die Aufschrift lesen zu können. „Du hast uns gerade zu Gesuchten gemacht, Jayne“, sagte Mal mit gefestigter Stimme, ruhig, so furchtbar ruhig, wie Jayne ihn nur selten erlebt hatte. Interlude. Auf Harlan. Boyds Problem. Allianz. ---------------------------------------------- 1 Das beständige Pochen hinter seiner Stirn erschwerte das Denken. Boyd hob die Hand, um mit zwei Fingern seine Schläfe zu massieren. Die Musik aus dem Barraum nebenan drang zusammen mit den Stimmen einiger angetrunkener Gäste in den Hinterraum hinein und machte diesen nächtlichen Besuch nicht angenehmer. Mit langsamen Schritten durchquerte Boyd den Raum und steuerte die kleine Minibar in der Ecke an. „Kann ich Sie für den feinsten Whiskey begeistern, den unser kleiner Mond zu bieten hat?“, fragte er und seine Mundwinkel hoben sich zu einem charmanten Lächeln, als er eine Flasche aufnahm und sie einladend in die Richtung des Soldaten schwenkte. Er trug dunkle Kleidung mit der er draußen in der Nacht verschmolz und an seinem Gürtel hing ein schwerer Revolver. Mit seinen Stiefeln brachte er die rötliche Erde Harlans hinein, die ohnehin keine Tür und auch kein Fenster dauerhaft aussperren konnte. Doch die fehlende Bräune seines Gesichts und seiner Arme verriet selbst einem Nichtwissenden, dass er nicht heimisch auf diesem Mond war. „Ich bin nicht zum Trinken hier“, erwidert der Mann mit den blonden Haaren und dem strengen Gesicht, welches jedem sagen sollte, dass er nicht zum Scherzen aufgelegt war. Als ob sich Boyd dessen nicht bewusst war, lächerlich. Davon einschüchtern ließ er sich nicht und löste stattdessen den Korken aus der Flasche. Er hatte schon mit ganz anderen Leuten Geschäfte gemacht und nur weil dieser Mann einem versteckten Zweig der Allianz angehörte, würde er Boyd nicht in seinen Freiheiten einschränken. Das versuchten viele, aber nur wenigen gelang es und das auch nur für eine geringe Zeit. „Ich hoffe, dass Sie es mir dann trotzdem nachsehen, wenn ich mir ein Tröpfchen gönne.“ Er nahm eines der Gläser zur Hand and und schenkte sich ein. Dabei ließ er sich Zeit, wohl wissend, dass er den ohnehin kurzen Geduldsfaden seines namenlosen Besuchers strapazierte. „Ich weiß ja nicht wie Ihr Tag war, aber meiner war kein Zuckerschlecken, wie man gern so sagt.“ Boyd nahm einen großzügigen Schluck aus seinem Glas und schloss die Augen, um das erste Brennen des Whiskeys im Rachen zu genießen. Der Moment wäre nahezu perfekt gewesen, wäre es nicht um das Räuspern, welches hinter ihm ertönte. „Mir ist es ziemlich egal, wie erfüllend Ihr Tag gewesen ist oder nicht, Mister Crowder“, folgte es. „Sie sollten wissen, dass ich Ihre Akte gelesen habe und bestens über Ihre Eigenart, niemals den Mund halten zu können, informiert bin.“ „So harsche Worte...“, entrann es Boyd, der sich mit seinem Glas hinter seinen massiven Schreibtisch begab. „Und ich wollte gerade eben noch auf unsere harmonische Zusammenarbeit anstoßen.“ „Harmonisch? Sie haben unsere Ware verschlampt, Mister Crowder“, sagte sein Gegenüber, der mit den Augen jede von Boyds Bewegungen verfolgte. Er war auf der Hut. Scheinbar wusste der Gute nicht nur über seine sogenannten Eigenarten Bescheid, sondern kannte auch seinen Ruf. Kein Wunder, der Name ‚Crowder’ war nicht unbekannt und auch fernab dieses Mondes bekannt. Dafür hatte schon sein Daddy damals gesorgt, der im selben Geschäft wie Boyd heute tätig gewesen war. Allerdings gab Boyd den besseren Kriminellen von ihnen beiden ab – möge die Seele seines Vaters in Frieden ruhen. Der eigene Revolver lag in der Schublade des Schreibtischs, nur wenige Zentimeter von Boyds Finger entfernt, als er sich auf seinen Stuhl setzte und sich gemütlich nach hinten lehnte. Doch er bezweifelte, dass er diesen schneller herausholen konnte, als der Allianzmann vor ihm seine eigene Pistole ziehen und abdrücken konnte. Außerdem war ein Blutbad nicht das, worauf Boyd es abgesehen hatte. Viel eher war er trotz einiger Missverständnisse und Fehler – zugegeben, auch von seiner Seite aus – an einer zukünftigen Zusammenarbeit interessiert. „Wissen Sie, Mister...?“, begann Boyd. „Smith“, erwiderte der Soldat vor ihm mit regungslosem Gesicht. Ein freudloses Lächeln huschte über Boyds Lippen. „Wissen Sie, Mister Smith, ‚verschlampt’ ist ein hässliches und sehr inakkurates Wort“, sagte er, als sein Blick durch das Hinterzimmer der Bar schweifte, die einst seinem Cousin gehört hatte. Er hatte sie vor dem Bankrott gerettet, da sich der werte Johnny mit seiner Verletzung nach dem Unabhängigkeitskrieg nicht mehr darum hatte kümmern können. Im Nachhinein wurde Boyd den Gedanken nicht los, dass das der Ursprung seines jetzigen Problems darstellte. Es war ein leise Ahnung, die ihn in den letzten Tagen nicht losließ und ihm selbst mitten in der Nacht hellwach im Bett liegen ließ, während Ava seelenruhig an seiner Seite schlief. Zum gegebenen Zeitpunkt hatte er es für eine ausgezeichnete Idee gehalten, Johnny zusammen mit der Ware auf das alte Firefly-Model zu schiffen, aber inzwischen konnte er sehen, dass dieser Plan nicht ganz so wasserdicht war, wie Boyd es gern gehabt hätte. Hatte er Johnnys Loyalität unterschätzt? Es war kein Geheimnis, dass es einen gewissen Unmut seitens seines Cousins gab, aber das kam in den besten Familien vor. Außerdem hatte Johnny keinen Vorwand, um einen Gräuel gegen ihn zu hegen. Die Kugel, die er während des Kriegs im Rücken abgekommen hatte, war vielleicht für Boyd bestimmt gewesen, aber er hatte seine Schuld beglichen. Oder hatte er Johnny nicht bei sich leben lassen? Hatte er sich nicht Johnnys Bar angenommen? Und was war Johnnys Dank? Trotzdem konnte Boyd seine Entscheidung nur bedingt bereuen, denn nicht andauernd ein säuerliches Gesicht vor sich zu sehen und von vorwurfsvollen Augen bei allem beobachtet zu werden, hatte seine Vorteile. Das hatte Boyds Geduldsfaden in der letzten Zeit doch zunehmend strapaziert. Seine Augen kehrten zu dem Mann in der dunklen Uniform zurück, der ihn trotz der aufgekommenen Stille kontinuierlich anstarrte. Scheinbar hatte Mister Smith sich entschieden, ihn mit seinem eisernen Schweigen einschüchtern zu wollen. Abermals zeigte sich ein Lächeln auf Boyds Gesicht. „Worauf ich hinaus möchte ist, mein werter Mister Smith, dass ich ganz genau weiß, wo sich Ihre Ware befindet und sie sich lediglich verspätet.“ Der Mann vor ihm verlagerte seine Gewicht und legte den Kopf schief. „Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn Sie mir die Koordinaten geben, Mister Crowder.“ „Dagegen habe ich nichts, aber hat Ihr Kollege beim letzten Mal nicht selbst gesagt, dass der Sinn, jemand Außenstehendes zum Überbringen der Ware anzuheuern, darin besteht, dass niemand den Ort und die Route der Ware kennt? Mir ist etwas von vermuteten Spionen in der Organisation zu Ohren gekommen...“ Boyd beobachtete die Reaktion des Soldaten über den Rand seines Whiskeyglas hinweg, als er einen Schluck nahm. Die Kiefernmuskeln spannten sich an und er nahm eine strammere Haltung an. Boyds Informationen schienen ein Körnchen Wahrheit in sich zu tragen, gut. „Ich weiß nicht, was Ihnen da erzählt worden ist, aber die Initiative hat keine Spione und—“, begann Mister Smith, doch Boyd hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. Das Zögern hatte gereicht, um ihn zu verraten und Boyd hinter die sorgfältig aufgesetzte Maske sehen zu lassen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nun glatt behaupten, dass ich auf das falsche Pferd gesetzt habe“, sagte Boyd und stieß ein raues Lachen aus, das halb verwundert und halb amüsiert klang. „Worauf wollen Sie hinaus, Mister Crowder?“, fragte Smith. Boyd erhob sich aus seinem Stuhl, langsam und genüsslich. „Der Grund, warum ich mich überhaupt entschlossen habe, mit der Initiative zusammenzuarbeiten ist, dass ich angenommen habe, dass Ihr Team die Qualifiziertesten sind, um sich um diese blutsaugende Krise zu kümmern, die neuerdings dieses Universum heimsucht. Allerdings bin ich mir inzwischen da nicht mehr so sicher.“ Die Hand des Soldaten zuckte in die Richtung seines Revolvers, doch er ballte sie im letzten Moment zur Faust, anstatt nach der Waffe zu greifen. „Sie arbeiten nicht mit uns zusammen, sondern für uns, Mister Crowder. Das sollten Sie nicht durcheinander bringen.“ „Sind wir jetzt schon so weit, dass wir einander drohen müssen?“, fragte Boyd, doch sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Es ist eine gutgemeinte Warnung, nichts weiter.“ Smith wandte sich zum Gehen, sah jedoch noch einmal über seine Schulter zurück, bevor er die Hintertür erreichte. „Eine Woche, Crowder. Wenn die Ware bis dahin nicht auf der Raumstation angekommen ist, wird es für uns beide unschön.“ Boyd bekam keine Gelegenheit mehr, um nachzufragen, wie unschön es denn werden würde. Der Soldat verließ die Bar und wurde von der Dunkelheit verschluckt, aus der erst gekommen war. Ein Krachen folgte, als er die Tür hinter sich zuwarf. Seufzend umrundete Boyd den Tisch, um das Schloss vor die Tür zu schieben. Das Letzte, was er nun gebrauchen konnte, war weiteren unerwünschten Besuch. Das galt besonders für Besuch, der nach seinem oder Avas Blut lechzte und für Unruhen auf Harlan sorgte. 2 „Egal, wie ich es drehe und wende, aber mir fällt einfach keine Erklärung ein, wie Crowder dafür verantwortlich sein kann.“ Tims Stimme war trocken, doch Raylan konnte die Belustigung dennoch heraushören. Dafür kannte er seinen Partner bereits etwas zu lange. „Wir babysitten ihn jetzt seit Monaten und nichts ist passiert. Keine Raumschiffbewegung, keine merkwürdigen Besucher, keine nennenswerte Kommunikation, nichts. Also, was denken wir? Wovon gehen wir hier aus?“ Raylan verlangsamte seine Schritte und warf einen skeptischen Blick über seine Schulter hinweg. Nur sein Coyboyhut hielt ihm die Sonne aus dem Gesicht, obwohl es trotzdem hell genug war, um die Augen zu Schlitzen formen zu müssen, wenn man etwas erkennen wollte. „Wir gehen davon aus, dass Boyd einen Weg gefunden hat, auch weiterhin seinen Geschäften nachzugehen und wir nur nichts davon mitbekommen haben.“ „Und diese Geschäfte beinhalten das Verschiffen von blutsaugenden Biestern, die nun nachts die armen Bürger von Harlan heimsuchen?“, fasste Tim zusammen, als er mit Raylan aufholte und sie gemeinsam dem sandigen Pfad folgten, der sie zu Johnnys Bar brachte. Ein in die Irre führender Name, da die Bar schon Jahren nicht mehr Johnny gehörte, sondern – wie so vieles auf Harlan – Boyd Crowder zum Opfer gefallen war. Raylan schürzte die Lippen und seine Finger schlossen sich um den Revolver, der im Halfter an seiner Hüfte ruhte. Das Metall war aufgehitzt, aber die langen Sommer auf Harlan hatten es schon immer in sich gehabt. „Er hat da seine Finger im Spiel. Das ist alles, was ich weiß“, beharrte Raylan, denn Boyd konnte ihm nichts vormachen. Sie hatten in ihrer Jugend zusammen in den Kohleminen gearbeitet und sich fast die Finger mit dem Dynamit weggesprengt. In den engen Tunneln und bei der schlechten Luft lernte man einen anderen Menschen um einiges besser kennen, als in jedem anderen Job. In solchen Momenten bekam man den echten Menschen zu sehen, da konnte man einem Mann direkt in die Seele blicken – und Boyds war schwarz wie die Kohle selbst, auch wenn er gern etwas anderes behauptete. Raylan kannte ihn und er wusste, dass Boyd etwas vor der Allianz, vor ihm, versteckte. Er war sich sogar sicher, dass er mehr Leichen im Keller versteckt hatte, als jeder andere Bewohner Harlans. Dafür legte Raylan seine Hand ins Feuer. Tim sagte nichts mehr dazu, obwohl Raylan auch weiterhin den Blick des anderen Mannes auf seiner Haut spüren konnte. „Wenn ich mich irre, geht der Drink heute Abend auf mich“, lenkte Raylan beschwichtigend ein und schielte aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber. Tim schnaufte. „Tut er sowieso. Immerhin willst du, dass ich dir nach Hause folge.“ „Will ich das?“ Seine Mundwinkel hoben sich, als Tim ihm einen Blick schenkte, der keine Erwiderung bedurfte. Johnnys Bar befand sich im Stadtzentrum von Harlan und war nur eine Häuserwand von Audrey’s, dem örtlichen Freudenhaus entfernt, dessen Eigentümerin niemand anderes als Ava Crowder war, Witwe seit dem Tod von Bowman Crowder und neuerdings Verlobte von seinem Bruder Boyd Crowder. Nicht nur Lokale wurde untereinander in der Crowder-Familie vermacht, sondern auch die Ehepartner... Im Inneren war es stickig und leer. Kein einziger Gast saß an dem langen Tresen, an dem an guten Abenden reichlich Alkohol floss. Auch die Tische waren weitgehend unbesetzt, nur in den hinteren Ecken konnte man den ein oder anderen Dauertrinker ausmachen, der sich mit der flachen Hand warme Luft zufächelte. Raylans Blick wanderte umher, bis er an Jimmy hängen blieb. Der junge Mann stand hinter dem Tresen und trocknete Gläser ab. Er trug eine eintrainierte Maske der Gleichgültigkeit, die es Raylan in den Fingern jucken ließ. Seine Fingerspitzen tanzten über den Griff seines Revolvers, als er die Bar durchquerte. Tim war ihm dicht auf den Fersen, spielte seinen Schatten, genauso wie er es immer tat. „Was kann ich für Sie tun, Lieutenant?“, fragte Jimmy, die Stimme tief für den fast jugendlich aussehende Mann, der seit seiner Ankunft auf Harlan zu einem von Boyds Vertrauten geworden war. Raylan schätzte, dass er in seinen Zwanzigern war und wie viele andere in seinem Alter nach Arbeit gesucht und nichts besseres gefunden hatte. Er konnte einem fast leid tun, wobei die Betonung auf dem Wort ‚fast’ lag. Raylan schenkte ihm ein freudloses Grinsen. „Das Übliche, Jimmy. Wir wollen mit deinem Herrchen sprechen.“ Das Gesicht des Barkeepers zuckte. „Ich werde sehen, ob Boyd Zeit hat.“ Er schwang das Handtuch über seine Schulter und verschwand durch eine Schwingtür im hinteren Teil der Bar. Was besprochen wurde konnte Raylan über die schrägen Klänge, die aus der Jukebox in der Ecke drangen, nicht hören, weshalb er sich Tim zuwandte. „Ich glaub, ich habe seine Gefühle verletzt.“ Tim hob eine Augenbraue. „Denkst du?“ Zurück war der trockene Sarkasmus, der Raylan immer wieder ein belustigtes Schnauben abrang. Ein Räuspern lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Jimmy, der im Türrahmen stand und ihnen schweigend bedeutete, dass Boyd bereit war, um sie zu sehen. Beinahe so, als hätte er eine große Wahl und konnte sich ihnen tatsächlich widersetzen. Dabei war es kein Geheimnis, dass Raylan nur auf einen Grund wartete, um Boyd eine der Zellen in ihrem Quartier zu zeigen. Seine Akte war voll genug. Nur durch fehlende Beweisen und fehlende Zeugen, die sich nicht vor Angst vor Boyd ins Hemd machten, saß Boyd noch nicht hinter Gittern. Noch nicht. Raylan würde das ändern, auch wenn es das Letzte war, was er jemals tun würde. „Raylan...“, wurde er begrüßt, sobald Tim und er das Hinterzimmer betreten hatten, das zeitgleich als Boyds Büro fungierte. „Was verschafft mir diesmal die Ehre deines Besuchs?“ Er saß an seinem Schreibtisch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um die Arme in einladender Geste auszubreiten. Er trug eine feine Weste und ein breites Grinsen auf den Lippen, welches strahlendweiße Zähne preisgab. Doch es war das Scrabble-Spiel, welches vor ihm auf dem Schreibtisch ausgebreitet war, das Raylans Blick auf sich zog. Ein altes Wortspiel, das seine Wurzeln weit in der Vergangenheit und sich im Laufe der Jahrhunderte kaum verändert hatte. Auf der anderen Schreibtischseite hatte sich Boyds rechte Hand einen Stuhl herangerückt, um seinerseits ein Wort zusammenzupuzzeln. Die strohblonden Haare reichten dem stämmigen Mann bis zum Kinn hinunter und ein lockeres Lächeln saß in seinem Gesicht, als könnte er sich nichts besseres vorstellen, als mit Boyd an einem sonnigen Nachmittag ein Brettspiel zu spielen. „Dasselbe wie immer, Boyd“, entrann es Raylan und er schlenderte näher zu den beiden Männern hinüber. „Seltsame Dinge geschehen und die Allianz wird beauftragt, den Verantwortlichen zu finden. Selbst hier draußen, weit entfernt von der richtigen Zivilisation herrscht eine gewisse Ordnung.“ „Und wenn seltsame Dinge geschehen, dann muss ich natürlich darin involviert sein“, fügte Boyd hinzu. „Dann musst du mir aber zunächst einmal verraten, was für außergewöhnliche Sachen von statten gehen, damit ich weiß, für was ich hier genau beschuldet werde.“ Beide Männer tauschten einen langen Blick aus, während Raylan seine Wortwahl abwog. „Nächtliche Überfälle auf unschuldige Bewohner. Vermisste Personen. Mord“, begann er aufzuzählen, ohne Boyd aus den Augen zu lassen. Eine Reaktion blieb aus, doch die fehlende Überraschung bestätigte Raylan, dass Boyd mehr wusste, als er zugeben würde. „Das sind eine ganze Menge Sachen, die ich angestellt haben soll“, erwiderte Boyd, der ein paar Buchstaben auf das Brett legte, welche das Wort ‚amüsiert’ zusammensetzten. Danach lehnte er sich wieder zurück. „Ganz besonders, wenn wir beide wissen, dass die Allianz jeden meiner Schritte verfolgt und jede meiner Kommunikationen überwacht. Ich halte mich zwar für ausgesprochen gut in dem, was ich tue, aber ich bezweifele, dass ich so gut bin.“ „Aber du weißt davon“, sagte Tim, der in der Nähe der Tür verweilte. Er hatte die Arme vor dem Brustkorb verschränkt und lehnte an der Wand, gelassen wie eh und je. Es war ein weiterer Grund, warum Raylan ihn mitgebracht hatte. Seine Gelassenheit konnte leicht mit Boyds mithalten, aber er konnte schneller den Revolver ziehen und akkurater schießen. Tim Gutterson war eine Ein-Mann-Armee, die Raylan den Rücken deckte. „Nun ja, werter Lieutenant, ich leite eine Bar“, antwortete Boyd und erlaubte sich ein Zucken der Schultern. „Wenn Alkohol im Spiel ist, tendieren die Leute etwas freier zu sprechen. Ich kann also nicht bestreiten, dass mir nicht gewisse Dinge zu Ohren gekommen sind, die mal mehr oder mal weniger Sinn machen.“ „Und was für Dinge wären das, die weniger Sinn machen?“, erkundige sich Raylan. „Allerlei Dinge...“, bemerkte Boyd und sah zu seinem Mitarbeiter hinüber, der dabei war die Buchstaben auf dem Brett zu richten. „Colt?“ Dieser sah auf und musterte alle Anwesenden nacheinander, bevor er faul grinste. „Allerlei Dinge, blutsaugende Dinge, die keine Reaver sind, soweit ich gehört habe.“ Sein Ton war lapidar, als würde er irgendwelche Legenden mit Freunden austauschen, die keine Wahrheit in sich trugen. Nur, dass Leichen gefunden wurden, die keinen Tropfen Blut mehr im Leib trugen. Oder an manchen Tatorten nicht einmal ein Toter gefunden worden ist, obwohl es Spuren eines Kampfes und Blutflecken gab. Es war beinahe so, als sei das Opfer einfach aufgestanden und weggelaufen. „Da ist wohl wirklich ein bisschen zu viel Alkohol geflossen...“, murmelte Raylan und Boyd nickte mit vorgespieltem Verständnis. Sie konnten einander nach all den Jahren nichts mehr vormachen und brauchten keine Worte austauschen, um den anderen zu durchschauen. Sie beide wussten, dass da mehr hinter diesen Vorfällen steckten, als sie voreinander zugeben wollten. „Wie dem auch sei...“, räumte Raylan ein. „Wenn du dich vorher schon beschattet gefühlt hast, sollte es dich nicht weiter beunruhigen, dass wir die Leute, die auf dich angesetzt sind, für eine Weile verdoppeln. Nur solange, bis wir herausgefunden haben, ob du für die Vorkommnisse verantwortlich bist oder nicht.“ „Ich habe nichts anderes von unseren noblen Ordnungshütern erwartet“, erwiderte Boyd. Das Spiel war inzwischen vergessen und das Lächeln auf seinen Lippen wirkte ein wenig aufgesetzter als zuvor. „Dabei sollte man meinen, dass dieser kleine Allianzstützpunkt kaum genügend Männer hat, um andere Spuren und Verdächtige zu verfolgen.“ Raylans Mundwinkel zuckten in die Höhe. „Welche anderen Spuren und Verdächtige?“, fragte er, bevor er sich umdrehte und aus dem Hinterraum schlenderte. Tim folgte ihm auf dem Fuße, holte jedoch erst mit ihm auf, nachdem sie die Bar verlassen hatten. „Was denkst du?“ Die Hand, die bis eben noch auf dem Griff seines Revolvers gelegen hatte, hob sich, damit er seinen Hut ein bisschen nach unten ziehen konnte, bis das Sonnenlicht nicht mehr direkt in seine Augen fallen konnte. „Er weiß etwas und hat seine Finger im Spiel. Ich weiß nur noch nicht genau inwiefern. Aber das werden wir noch herauskriegen. Begeistert, dass wir mehr Leute auf ihn ansetzen ist er jedenfalls nicht. Irgendwann wird Boyd einen Fehler machen und ich werde da sein, wenn er ihn begeht.“ 3 Stimmengewirr erfüllte den Barraum und Rauch schwängerte die Luft, von all den Zigarren und Zigaretten, die angezündet worden waren. Nur die Petroleumlampen, die auf dem Tresen und auf den Tischen standen, erhellten den Innenraum und schenkten ihm gleichzeitig eine friedliche Atmosphäre. Diese zog besonders die ältere Kundschaft an, die der Bar seit Jahren bereits treu waren. Hier sammelte sich die Männer und Frauen, die nicht mit der Allianz trinken wollten, denn diese war in Johnnys Bar unerwünscht. Boyd reichte es zu wissen, dass sie dort draußen in der Dunkelheit lauerten und darauf warteten, dass er einen falschen Schritt machte. Sein Blick wanderte zu den Fenstern hinüber, dessen Jalousien zu jeglicher Uhrzeit geschlossen waren. Tagsüber, um die Hitze nicht hineinzulassen, und abends, um etwas Privatsphäre zu mimen – vor Raylan Givens, seinen Soldatenfreunden und allem anderen, was sich dort herumtrieb. Seine Finger verengten sich um das Whiskeyglas, mit dem er am Tresen saß, der restlichen Bar und der gesamten Welt den Rücken kehrend. Erst dachte dieser Smith, ihm drohen zu können, und nun Raylan, der ihm weismachen wollte, dass er für die blutleeren Leichen auf Harlan verantwortlich war. „Das wirklich Ironische an dieser Sache ist, dass beide Männer von der Allianz stammen, aber enger mit einem Kriminellen zusammenarbeiten, als miteinander“, entrann es Boyd. Nun gut, das hatte er auch vorher schon gewusst und versucht zu seinem Vorteil auszunutzen. Im Moment konnte er jedoch nicht behaupten, dass alles nach Plan lief. Johnny, der als einziger wusste, wo sich die Ware von Smith und seiner Initiative aufhielt, meldete sich nicht, während Raylan ihn strenger bewachen ließ als den Allianzstützpunkt, obwohl dieser des Öfteren von Randalen heimgesucht wurde. Der Bitterkeit gegenüber der Regierung war seit dem Krieg groß auf Harlan. Viele Veteranen stammten von hier. Harlan hatte viel im Kampf für seine Unabhängigkeit verloren und eingebüsst, mit dem Erbauen des Allianzstützpunkts auch ein großes Stück seiner Freiheit. Als ob das Leben auf Harlan nicht schon schlimm genug war. Immerhin gab es hier nichts zu holen. Sobald die Männer und Frauen alt genug waren, arbeiteten sie in den Minen, denn Kohle war das einzige Gut, dass sich exportieren ließ. Andere bauten Wasser von den Eispolen von Poseidon ab. Trotz der Umformung der Planeten war der Planet, um den Harlan rotierte, zu kalt, um eine größere Bevölkerung dauerhaft anzuziehen. Es gab ein, zwei Siedelungen auf Poseidon, aber nur Leute, die dort geboren wurden, verweilten im Normalfall. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist, Baby?“, fragte Ava, die sich auf der anderen Seite des Tresens befand. Besorgte Augen suchten seinen Blick, während sie sich etwas zu trinken einschenkte, um sich anschließend zu ihm zu setzen. Ihre blonden Haare trug sie zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengebunden, was Boyd unwillkürlich an ihre Schulzeit erinnerte. Schon damals war er ihr mit Haut und Haare verfallen gewesen, aber sie hatte seinen doch eher stumpfsinnigen Bruder gewählt. Familie war jedoch Familie – und vielleicht war das genau sein Problem. „Ich hätte Johnny nicht mitschicken sollen. Colt vielleicht“, murmelte Boyd und starrte in sein halbleeres Glas hinein. „Jimmy schon eher.“ Ava rückte ihren Barhocker näher an seinen heran und lehnte sich an ihn. Ihr Kopf kam auf seiner Schulter zum Liegen und ihr Atem streifte sein Ohr. Boyd schloss die Augen, um sich auf das Gefühl zu konzentrieren. „Du konntest nicht wissen, dass Johnny sich von dir abwendet, Boyd“, erwiderte sie leise. Avas Stimme war wie Musik in seinen Ohren, die es einfach machte, die Kunden zu vergessen, die hinter ihnen all ihren Kummer in Alkohol ertränkten. Zu diesen Menschen fühlte er dennoch eine engere Bindung, als zu der Allianz, die angeblich für Recht und Ordnung sorgen sollte. Was wussten all diese kleinen Ordnungshüter schon vom richtigen Leben? Was wussten sie schon davon, was dort draußen in der Dunkelheit sein Unwesen trieb? Raylan Givens dachte womöglich, dass er auf der Siegerseite stand, aber Boyd wusste es besser. Aus diesem Grund hatte er alles auf die Initiative gesetzt und den Job des Transportierens überhaupt erst angenommen. Natürlich hatte er vorher heimlich einen Blick in die Truhen geworfen, wusste um die jungen Frauen und Männer, die dort eingefroren gelegen hatten. Was die Initiative mit ihnen vorhatte, konnte sich Boyd ebenfalls ganz gut ausmalen, obwohl er inzwischen nicht mehr sicher war, ob sie die Raumstation der Initiative überhaupt jemals erreichen würden. Boyd drehte den Kopf in die Richtung seiner Verlobten und küsste ihr blondes Haar. „Weißt du, wenn es von dir kommt, könnte ich es glatt glauben, Darling.“ Aber er hätte es besser wissen sollen, denn nur weil sie blutsverwandt und die einzigen noch übrig gebliebenen der einst großen Crowder-Familie waren, bedeutete das nicht, dass sie loyal zueinander standen. „Boyd...“, murmelte Ava und ihrem Ton unterlag plötzlich eine Angespanntheit, die vorher noch nicht da gewesen war. Sie deutete auf den Spiegel, der sich hinter dem Tresen befand und neben dem Regal mit dem Alkohol angebracht war. Auch Jimmy, der mit einer weiteren Kiste Bier aus dem Hinterzimmer kam, zog die Augenbrauen hoch. Boyd folgte Avas Handgeste zu dem Mann hinüber, der vermummt in der hintersten Ecke saß, abseits von allein. Es verwirrte sich selten ein Fremder in diese Bar. Nicht einmal die Allianz machte sich die Mühe, sich dermaßen zu bekleiden, um unerkannt zu bleiben. Er berührte Avas Hände und löste ihre Finger von seiner Weste, bevor er aufstand. „Warte hier“, flüsterte er ihr zu. Seine Augen wanderten durch den Raum, doch der Fremde war der einzige, der mit seinem Aussehen aus dem Rahmen fiel. Mit langen Schritten spazierte Boyd zwischen den Tischen hindurch und zu der einhüllten Gestalt hinüber. „Was darf es sein? Whiskey? Bier?“, fragte er. „Oder etwas ganz anderes?“ Der Fremde hob den Kopf. Nur die dunklen Augen waren unter dem Kapuzenmantel und dem Schal erkennbar. Ob die Kleidungsstücke nur dazu da waren um sein Aussehen zu verbergen oder gleichzeitig gegen die nächtliche Kälte gedacht war, blieb fraglich. „Wasser, bitte“, sagte der Mann mit kratziger Stimme. „Der Minenbau... ich hätte gern etwas Wasser.“ Boyd legte die Stirn kraus, während im Hintergrund ein Gemurmel ausbrach. Für einen Minenarbeiter fand man Sympathie, denn die Mehrzahl aller Anwesenden hatte ebenfalls einmal diesen Beruf ausgeübt, nur um halb verschüttet worden zu sein. „Wasser kommt sofort. Ist Ihnen kalt? Wir können den Generator höher schalten und sie können die Kleider ablegen.“ Ein Nicken folgte und der Mann begann den Schal abzuwickeln. Ein grauer Bart kam zum Vorschein, ein runzeliges Gesicht, dass ihn zu sehr an seinen alten Herren erinnerte. Boyd wandte sich ab. Er hatte den Fremden offensichtlich falsch eingeschätzt. Das hatten sie alle. Von ihm ging keine Gefahr aus. Boyd schlenderte zurück zum Tresen, um ein Glas Wasser zu holen und Jimmy zu beauftragen, die Heizung höher zu stellen. Auf halben Weg wurde jedoch sein Hemdärmel gepackt und er wurde zurückgehalten. Ein junger Mann hielt an ihm fest und lehnte sich auf seinem Stuhl seitlich zu ihm hinüber. „Ich könnte auch noch etwas zu trinken gebrauchen“, murmelte er und grinste zu Boyd hinauf. Im nächsten Moment zog er Boyd mit unmenschlicher Kraft hinunter. Das Gesicht vor ihm verformte sich und Reiszähne blitzten im Licht der Petroleumlampen. Bevor sich die Zähne in seinen Hals schlagen konnten, rang ein Schuss durch die Bar. Er ließ Boyds Ohren klingeln, als der Vampir zurück in seinen Stuhl sackte. Seine Schulter war weggeblasen, was ihn verwirrt an sich selbst hinunterschauen ließ. Es gab Boyd genug Zeit, um über seine Schulter zu schauen und Jimmy mit seiner Schrotflinte hinter dem Tresen stehen zu sehen. Boyd zog den eigenen Revolver hinter unter seiner Weste hervor, unter der sie im Gürtel steckte. Der Hammer wurde zurückgeschoben und der Lauf auf die Brust des Vampirs gerichtet. Ein weiterer Schuss erklang, ehe der junge Mann mit dem deformierten Gesicht sich auflöste. „Boyd, Baby, hat er dich gekriegt?“ Ava war sogleich an seiner Seite und drehte ihn zu sich herum. Er legte die Arme um seine Verlobte. „Die Allianz dürfte gleich hier eintrudeln“, war alles, was er sagte. Diesen Krach konnten sie nicht überhört haben, nicht, wenn sie nur auf einen Mucks seinerseits warteten. „Niemand wird etwas sagen“, entrann es Jimmy, der den Tresen umrundet hatte und den Blick über die Kunden wandern ließen. „Jeder hier weiß, dass die Allianz uns hierbei nicht helfen kann. Wir sind alle auf uns selbst gestellt.“ Ein paar nickten, andere brachen in einem zustimmenden Raunen aus. Sie waren auf sich selbst gestellt, denn niemand hier vertraute der Allianz. Das wusste Boyd, aber erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass ihm das einen größeren Vorteil verschaffte, als er angenommen hatte. Er hatte mehr potenzielle Verbündete, als Raylan Givens sich in seinen kühnsten Träumen vorstellen könnte. Er hatte doch noch eine Chance, um auf der Gewinnerseite zu stehen und diesen Kampf gegen diese untote Brut zu gewinnen, von der niemand wusste, aus welchem Loch sie eigentlich geschlüpft war. Seine Umarmung wurde fester und seine Mundwinkel hoben sich ein Stück, als Ava ein besorgtes „Boyd?“ verlauten ließ. „Keine Sorge, Baby, alles wird gut“, erwiderte er. X. Die Entscheidung. Eine Unterhaltung. Training. ------------------------------------------------- 28 Der Anblick der Sterne, die helle Flecke in der sonst so undurchdringlichen Finsternis darstellten, hatten stets eine beruhigende Wirkung auf Mal gehabt. Nur heute blieb diese innerliche Ruhe aus, die ihn für gewöhnlich binnen weniger Sekunden erfasste. Stattdessen lauerte eine bekannte Wut unter der Oberfläche, deren Ursprung Mal inzwischen ganz genau kannte. Er wollte nicht viel im Leben, nur etwas Freiheit und Unbefangenheit, vor allem aber dass man seine Mannschaft und ihn in Frieden ließ. Weder hatte er Interesse sich mit verärgerten Geschäftsmännern herumzuschlagen, noch das Universum vor dem Untergang zu retten. Sie hatten ihren Soll erfüllt und sämtliche Bewohner aller Planeten über den Ursprung der Reaver aufgeklärt und dabei Leben gelassen. Reichte das nicht aus? Scheinbar war er der einzige, der so dachte. Er hätte einfach nicht nach einem neuen Piloten suchen sollen, denn alles hatte mit Tom Paris begonnen. Seit sie ihn an Bord genommen hatten, hatte ihr Weg sich mit Boyd Crowder gekreuzt, der den Grund darstellte, weshalb sie ein paar sogenannte Slayer und einen Vampir an Bord hatten, weshalb sie überhaupt von dem bevorstehenden Untergang des Universums durch eine Horde Vampire wussten, die nun Jagd auf sie machten. Mal verschränkte die Arme vor dem Brustkorb, als er sich in dem Pilotenstuhl nach hinten lehnte. Er hatte Tom abgelöst, damit dieser für seine geprellten Rippen zu eine Routineuntersuchung in der Krankenstation vorbeischauen konnte. Mal selbst war zuvor dort gewesen, aber die Wunde an seinem Bein war bereits am Verheilen. Sie hatten bei dem Vampirangriff auf dem Transportschiff noch einmal Glück gehabt. Niemand war ernsthaft verletzt geworden, auch wenn das laut Buffy und Faith nur ein Vorgeschmack auf den Orden war, der es auf sie abgesehen hatte. Mal sollte sie einfach auf dem nächsten Planeten absetzen und ihrem Schicksal überlassen. Das war die beste Lösung, das wusste er. Allerdings löste das nicht alle ihre Probleme. „Sieht ganz so aus, als nehme der Ärger kein Ende. Mal wieder“, ertönte Zoes Stimme hinter ihm, tief und mit einem Hauch an trockener Ironie, die Mal ein freudloses Lächeln abrang. „Jayne denkt sich nichts dabei, aber Kunitz kennt kein Vergeben, wenn es Diebstähle betrifft“, entwich es Mal, obwohl er Zoe damit nichts erzählte, was sie nicht bereits wusste. Diese wanderte vom Eingang des Cockpits zu dem zweiten Pilotenstuhl hinüber und ließ sich dort nieder. Ein Blick aus den Augenwinkeln zeigte, dass eine Hand schützend auf ihrem Babybauch lag. Ihr schwarzes Haar war zu einem Zopf zusammengebunden und hing ihr über ihre rechte Schulter, länger als früher noch. Sie trug eine helle Bluse und die Kette, die sie schon seit dem Krieg getragen hatte, hatte Zuwachs in der Form einer weiteren mit Kreuzanhänger bekommen, die erst vor kurzem ihr Leben gerettet hatte und die Zoe seitdem sichtbar trug. „Wahrscheinlich hat er schon Kopfgeldjäger auf uns angesetzt und wir haben es nur noch nicht bemerkt“, ergänzte Zoe und sprach somit das aus, was Mal ohnehin im Kopf herumgeisterte. „Wie Boyd vermutlich“, sagte er und Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Drei verschiedene Parteien waren hinter ihnen her, von der Allianz, um die sie grundsätzlich einen Bogen machen mussten, gar nicht erst zu reden. Und sie konnten nicht ewig hier draußen herumfliegen, denn ihre Vorräte und ihr Treibstoff nährten sich dem Ende und Geld kam so auch nicht in die Kasse. „Inara hat mit den Slayern gesprochen“, erhob Zoe nach einer Weile erneut das Wort. „Sie sind bereit bei unserem nächsten Stopp von Bord zu gehen. Allerdings können sie nicht versprechen, dass die Vampire uns nicht trotzdem auflauern, weil sie denken, dass sie noch immer hier sind. Scheinbar braucht es eine Weile, um sich im Universum herumzusprechen.“ „Sie sollten an ihrem Informationsnetz arbeiten“, erwiderte Mal und Zoe stieß einen zustimmenden Laut. „Sir?“, fragte Zoe irgendwann und Mal wandte sich ihr zu. Ihre dunklen Augen legten sich mit Ruhe und einem Wissen auf ihn, der ihre Frage Lügen strafte. „Hast du schon eine Entscheidung getroffen?“ „Wie ich das sehe, gibt es da nicht viel zu entscheiden“, gestand Mal und ein harter Ton, den er nicht beabsichtigte, schlich sich in seine Stimme hinein. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er ihn bemerkte, als er bemerkte, dass seine Antwort noch vor Zoes Eintreten ins Cockpit festgestanden hatte. Er hatte nach einem Ausweg gesucht, nach einem anderen Weg, aber diesen gab es nicht. Sie standen mit dem Rücken zur Wand. Boyd, Kunitz und diese Vampire hatten ihn in die Ecke gedrängt und nun war es an Mal – an ihnen allen – sich wieder aus ihr hinauszuboxen. „Ich frage mich, wie viel Glück wir noch auf unserer Seite haben.“ „Ich habe gehört, dass man der eigene Schmied seines Glücks ist. Ein altes Sprichwort von der Erde. Laut Tom zumindest“, antwortete Zoe und Mals Mundwinkel zuckten in die Höhe. „Seine Liebe für alles, was die Erde und die Vergangenheit betrifft, ist schon ein wenig eigenartig. Oder bin ich der einzige, der so denkt?“ Zoes Augenbraue zuckte bei seinen Worten in die Höhe. „Ich hab gleich gesagt, dass ich ihn nicht mag, Captain.“ Ein belustigtes Schnauben suchte sich den Weg über Mals Lippen. „Ich hab von Tom das Gegenteil gehört. Angeblich sollst du ihm das Leben gerettet haben.“ „Gerüchte“, mutmaßte Zoe und Mal nickte, anstatt diese Unterhaltung fortzuführen. Tom Paris war ein Teil dieser Crew, ganz gleich seiner Fehler. Die hatten sie alle, da machte sich Mal nichts vor. Trotzdem war Tom ein guter Mann, der auf die Serenity passte und auch Zoe schien das so zu sehen, wenn sie sich die Mühe machte und sein Leben rettete. Vielleicht war sie auch einfach nur netter als er, wer konnte das schon mit Gewissheit sagen... „Ich schätze, es wird Zeit für ein Gespräch mit den anderen“, sagte Mal. „Das kann nicht schaden“, erwiderte Zoe, obwohl keiner von ihnen aufstand, sondern sie erneut schweigend nebeneinander saßen und das unendliche Weite des Alls durch die Frontscheiben der Serenity beobachteten. Erst nach einigen Minuten hievte Mal sich aus dem Pilotenstuhl und verließ das Cockpit. Er wartete nicht auf Zoe, aber er kannte ihre Antwort ohnehin bereits. Ob Mal es ihr nun anbieten oder er sie direkt darum bieten würde, Zoe würde keinen Fuß von der Serenity setzen und der Mannschaft den Rücken kehren, nicht einmal für ihr Baby oder vielleicht gerade wegen ihrem Baby nicht. Auch ohne darüber zu reden, wusste Mal, dass sie bereit war für eine Zukunft für das Kind, das Washs Blut in seinen Adern fließen hatte, zu kämpfen. Sein Weg führte ihn in den Gemeinschaftsraum, in dem er bereits aus der Ferne das Klappern von Konservendosen und Geschirr vernehmen konnte. Es war vermischt mit Stimmen, die durcheinander redeten, als sei das ein ganz gewöhnlicher Tag und als trachtete ihnen niemand nach dem Leben. Für einen Moment verweilte Mal in dem offenen Rahmen, der den Gang mit dem Gemeinschaftsraum verband, anstatt die Aufmerksamkeit auf sich und seine Neuigkeiten zu ziehen. Die Lichter waren gesenkt und tauchten den großen Raum in ein angenehm, warmes Halbdunkel. Tom, Kaylee und Inara deckten den Tisch, während Buffy und Simon den Inhalt der Konserven in die Kochtöpfe schütteten. Jayne saß mit Spike, Faith und Johnny am Tisch und spielte Karten, zusammen mit River, die unter Spikes Protesten neugierig über seine Schulter schaute. Worte wurden genauso einfach ausgetauscht wie Lächeln und kurze Armberührungen – und was Mal sah, war kein zusammengewürfelter Haufen Menschen, sondern eine zusammengewachsene Crew. Er sah sein Zuhause, das irgendwie zu dem Zuhause aller geworden war, unterschiedlich und fremd wie einige von ihnen waren. Dieser Erkenntnis konnte die Anspannung in Mals Schultern nicht lockern, festigte jedoch seinen Entschluss. Das hier – die Serenity und ihre Bewohner – waren ihm wichtiger als alles andere und das würde er nicht kampflos aufgeben. Dabei spielte es keine Rolle, wer oder was sich dachte es zerstören und ihm wegnehmen zu wollen. Trotz seiner Verletzung am Bein waren Mals Schritte fest, als er den Gemeinschaftsraum betrat und sich räusperte. Alle verstreuten Unterhaltungen und Witze fanden ein abruptes Ende, als hätten sie nur auf Mal gewartet. Die Sorglosigkeit war zerbrechlicher als Glas und lag nun in Scherben vor Mals Füßen. Sein Blick wanderte von einem zum anderen, von den Mitgliedern seiner Crew zu den Neuankömmlingen an Bord, die ihn mit ganz verschiedenen Ausdrücken anschauten. Etwas Erwartungsvolles lag in Buffys Blick, während Faith und Spike ihn herausfordernd ansahen. Johnny brachte ihm eine grimmige Geduld entgegen, die er so von dem älteren Mann nicht kannte, und Tom ließ sich gemütlich auf der Tischkante nieder. „Mal...“, begann Inara, doch Mal bat sie mit einem stummen Blick um Ruhe. „Ich habe mir lange unsere Situation durch den Kopf gehen lassen. Die Situationen von uns allen, um es besser auszudrücken“, sagte Mal, denn um diese kleine Rede kam er nicht herum. Er war immer noch der Captain dieses Schiffs, aber das machte ihn nicht wichtiger als die anderen. Es erlaubte ihn genauso wenig über die Köpfe seiner Crew zu entscheiden. „Nicht nur, dass wir uns scheinbar mit dem Ende des Universums durch einer Horde Vampire – so komisch wie das auch klingen mag - konfrontiert sehen, aber auch Boyd Crowder wird uns nicht in Ruhe lassen.“ Mals Augen blieben an Johnny hängen, der sein Kartenblatt beiseite gelegt hatte und sein Gesicht verzog. Das war Mal Zustimmung genug. „So wie ich das aus euren Informationen zusammensetzen kann“, fuhr Mal fort und wandte sich Buffy und Faith zu, „scheint Boyd mit dieser Initiative zusammenzuarbeiten. Das bedeutet also, dass es ihm nicht gefällt, dass wir mit seiner Ware einfach spurlos verschwunden sind und sie nicht bei den Koordinaten ankommt. Er wird uns Ärger machen. Das ist sein Spezialgebiet. Ganz genauso wie die Initiative, wenn sie Wind bekommt, dass da etwas in ihrem Deal mit Boyd schiefgegangen ist. Auch Kunitz können wir nicht unterschätzen. Der Mann ist nicht umsonst so berüchtigt auf jedem halbwegs zivilisierten Randplaneten. Man hintergeht ihn nicht.“ Jayne mied seinen Blick und studierte angestrengt seine Karten, als Mal zu ihm hinübersah. Die angefangene Packung mit Zigarren lag derweil noch immer in Mals Kajüte, obwohl er sie am liebsten mit der Luftschleuse bekannt gemacht hätte. Allerdings brachte das Vernichten von Beweismaterial ihm rein gar nichts. Allein für einen Verdacht des Diebstahls waren laut den Gerüchten bei Kunitz bereits die Köpfe gerollt. „Wir müssen also davon ausgehen, dass uns eine Menge Leute auf den Fersen sind. Wir haben uns Feinde gemacht. Nicht wenige und nicht schwache. Daher ist die einzige logische Entscheidung meinerseits, dass wir nicht darauf warten, dass man uns findet, sondern dass wir uns dem Feind stellen.“ Auf seine Worte hin herrschte drückendes Schweigen. Blicke wurden ausgetauscht. Inara berührte Kaylees Arm mit sanfter Geste und Tom legte die Stirn in Falten, eine stumme Frage auf den Lippen tragend. „Darum werden wir auf dem nächsten Planeten einen Stopp einlegen. Wir brauchen ohnehin neue Vorräte und Treibstoff. Das wird die letzte und einzige Gelegenheit für diejenigen sein, die entscheiden, sich meinem Plan nicht anzuschließen. Alle anderen werden mit Buffy, Faith und mir nach dieser merkwürdigen Sichel suchen gehen, um wenigstens eine Gefahr aus der Welt zu schaffen. Wird es gefährlich? Auf jeden Fall. Gefährlicher, als sich mit einer Reaver-Flotte und der Allianz konfrontiert zu sehen? Bin ich mir ziemlich sicher. Überlegt es euch gut. Wir werden den Planeten in dreizehn Stunden erreichen. Wer von Bord gehen möchte, sollte bis dahin fertig sein.“ Anstatt auf eine Reaktion zu warten, wandte sich Mal ab und marschierte davon, zurück zum Cockpit, Zoe ignorierend, die im Schatten des Gangs stand und diesen Monolog mitangehört hatte. 29 War sie verwirrt? Definitiv. Aber wirklich verübeln konnte man Buffy das wohl kaum. Immerhin erwachte man nicht jeden Tag aus einem künstlichen und äußerst kalten Schlaf auf einem Raumschiff voller herzensguter Spinner, die mehr als nur eine Schraube locker hatten. Anders konnte sie es beim besten Willen nicht erklären. Ihre Finger schlossen sich um das kalte Stahl des Geländers. Es war dasselbe Stahl, welches das gesamte Schiff zusammenhielt und dafür sorgte, dass sie nicht dem Vakuum zum Opfer fielen. Buffy konnte nicht behaupten, dass sie schon Fuß auf viele Raumschiff gesetzt hatte. Die ein oder zwei Transportflüge zu benachbarten Planeten von Sunnydale stellten die Ausnahme dar. Sie waren nötig gewesen, denn sie Suche nach der Sichel konnte nicht aufgeschoben werden. Ganz im Gegenteil, wenn sie sich nicht beeilten und die legendäre Waffe aufspürten, dann war nicht nur Sunnydale verloren, sondern gleich das gesamte Universum. Irgendeine kosmische Macht fand es offenbar unterhaltsam, all diese Verantwortung auf die Schultern eines – in ihrem Fall zweier – Slayer abzuladen, die von einem sarkastischen Vampir begleitet wurde, dessen Motive ihr immer noch recht schleierhaft waren. Buffy konnte sich wirklich kaum einkriegen vor Lachen! Obwohl... wahrscheinlich musste sie sich korrigieren, denn ihre Gruppe erhielt Zuwachs in der Form eines Raumschiffkapitäns und seiner zusammengewürfelten Crew, sollte sie sich nicht dafür entscheiden zuerst von Bord zu flüchten. Zugegeben, im Kampf gegen die Vampire hatten sie sich wacker geschlagen. Sie hatten überlebt, was man nicht von vielen Menschen behaupten konnte. Vielleicht waren sie doch zu mehr zu gebrauchen, als Buffy ihnen zutrauen wollte? Ihre Gedanken kamen jäh zu einem Ende, als Schritte hinter ihr auf dem Metall erklangen und im Lagerraum von den Wänden hallten. Buffy löste ihren Blick von dem Platz unten im Bauch der Serenity, wo noch immer die Kisten standen, die Tiefkühltruhen, die sie gefangen gehalten und ihnen kostbare Wochen geraubt hatten. Stattdessen sah sie über ihre Schulter hinweg zu dem Piloten, der im Gang hinter ihr aufgetaucht war und auf sie zukam. Doch er war nicht allein, wie ihre Sinne ihr schnell mitteilten. Weitere Schritte folgten und auch River, Inara, die zuckersüße Mechanikerin Kaylee, die von dem Arzt und dem miesepetrigen Jayne gefolgt war, gesellten sich zu ihnen. Faith schob sich an ihnen vorbei, die Mundwinkel zu einem belustigten Grinsen gehoben. „Rate mal, wer das Bekämpfen von Vampiren lernen will, B.“ Buffys Blick wanderte über die Anwesenden und ihre Augenbrauen zogen sich in Verwirrung zusammen. „Ähm... Alle?“ „Immerhin wäre es ziemlich unverantwortlich von uns, uns mitten ins Getümmel zu werfen und am Ende nur ein Klotz am Bein zu sein“, sagte Tom, der neben ihr am Geländer zum Stehen kam. Er bettete die Arme auf der Metallstange und lehnte sich trotz seiner Rippenprellung vorsichtig nach vorn. Ein charmantes – oder auch blendendes – Lächeln ruhte auf seinen Lippen. „Ich bin sicher, dass wir es bereuen werden“, räumte Simon ein, der zwischen Kaylee und seiner Schwester stand. Er hatte die Arme vor dem Oberkörper verschränkt und Sorge schwamm in seinen dunklen Augen. „Aber wenn das Universum zerstört wird, werden wir sowieso alle sterben. So wie ich das sehe, haben wir also kaum eine Wahl.“ „Was immer der Spinner-Doktor sagt“, brummte Jayne. Kaylee trat mit einem zaghaften Lächeln vor. „Bitte bring uns bei, wie wir uns am besten verteidigen können. Wir haben zwar keine Superkräfte wie du und Faith – oder River –, aber wir tun unser Bestes.“ „Unsere Mannschaft besteht aus Überlebenskünstlern, Kaylee“, sagte Inara, die der Mechanikerin einige Haarsträhnen hinter das Ohr strich. Sie strahlte eine Ruhe aus, die Buffy nur selten erlebt hatte und sie ein bisschen an Giles erinnerte. Buffy lächelte, bevor sie es bemerkte. Dabei war sie sich kaum mehr sicher gewesen, dass sie dazu überhaupt noch im Stande war. So viel war in den letzten Monaten geschehen. Sie war von Zuhause weg und hatte ihre Freunde seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen, nur um einer Legende hinterher zu jagen und sich mit Faith in die Haare zu bekommen, weil sie verschiedene Methoden hatten, um ihre Ziele zu erreichen. Nicht nur die Vampire waren ständig hinter ihnen her, sondern auch die Allianz. Nicht zu vergessen war diese merkwürdige Initiative, die annahm, sie könnte an ihnen herumexperimentieren. Am schlimmsten waren jedoch die Träume, die sie jede Nacht plagten und ihr ihren Tod durch den Master vorspielten. Waren es ihre Sorgen und Ängste, die sich manifestierten, oder eine Art Eingebung, eine Vision? „Buffy...“ Ihr Name wurde gesagt und Buffy schreckte in die Realität zurück. „Was?“ Tom berührte ihre nackte Schulter und die Berührung löste eine Gänsehaut aus. „Alles in Ordnung? Wir reden die ganze Zeit mit dir, aber du scheinst mit den Gedanken woanders zu sein.“ „Es ist nichts. Mir geht’s gut“, antwortet Buffy und entzog sich seinem Griff, als sie sich umdrehte, damit sie die gesamte Truppe ins Gesicht sehen konnte. Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Okay. Ich werde euch trainieren“, verkündete sie und die Sanftheit wich aus ihrem Ton. „Aber erwartet nicht, dass ich es euch einfach mache oder euch sanft rannehme. Das werden die Vampire auch nicht tun. Sie werden eure Schwachpunkte ausnutzen, also wäre es gut, wenn ihr sie kennt und wisst, wie ihr das vermeidet. Faith wird mir helfen.“ Die braunhaarige Slayer ließ ihre Fingerknöchel knacken. „Wir werden sicher noch einiges an Spaß haben.“ „Gut, als erstes solltet ihr euch etwas Bequemes anziehen. Bewegungsfreiheit ist entscheidend. Wir treffen uns in zehn Minuten da unten.“ Buffy zeigte auf dem verlassenen Laderaum, der sich unter ihnen erstreckte, bevor sie ihre neuen Schüler entließ. Faith verweilte. „Sie haben mehr Mumm, als ich ihnen zugetraut habe. Ich frage mich, wie viele überleben werden, wenn es hart auf hart kommt. Wollen wir wetten, B?“ „Über so etwas macht man keine Scherze, Faith“, erwiderte Buffy. „Diese Leute setzen ihr Leben aufs Spiel, um uns zu helfen. Wo ist Spike? Er kann sich ruhig nützlich machen und einen Beitrag zu diesem Training leisten.“ „Denkst du, was ich denke?“ Faith grinste, aber wartete nicht auf Buffys Antwort. „Ich werde ihn holen.“ Erst in dem Moment, in dem Buffy wieder vollkommen allein war, wurde ihr bewusst, was das Ganze eben wirklich bedeutete. Sie gingen nicht von Bord. Sie alle hatten sich entschieden ihrem Captain und drei Fremden ins Ungewisse zu folgen. Ihre Worte an Faith entsprachen der Wahrheit. Sie setzten ungefragt ihr Leben für sie auf Spiel. Sie riskierten ihr Leben für das Universum, obwohl die Mehrheit aller Bewohner keine Ahnung hatte und es vielleicht auch nie haben würde. „Wo bist du diesmal?“, unterbrach dieselbe Person zum dritten Mal ihre Gedanken. Es war Tom, der Pilot, der – soweit Buffy gehört hatte – nur eine halbe Woche vor ihnen auf der Serenity gelandet war. Viel wusste sie nicht über den Mann mit den blonden Haaren, den bunten Hawaiishirts und dem charmanten Lächeln, welches meist an Kaylee gerichtet war. Seine bunten Hemden hatte er für ein enganliegendes T-Shirt auswechselt und seine Stoffhose für eine einfache Shorts. „Nirgendwo“, erwiderte sie und schüttelte den Kopf. „Ich... hab nur gerade gedacht, dass nicht viele Leute an Bord bleiben und sich uns anschließen würden. Andererseits erzählen wir grundsätzlich niemanden davon, dass wir eine sagenumwobene Sichel suchen, um einen übermächtigen Dämon zu töten, der von einem Vampirorden aus seinem Käfig befreit wird. Die meisten Leute würden uns wohl für verrückt erklären.“ „Vermutlich. Die Geschichte klingt auch eher nach einem Holoroman. Einem spannenden Holoroman, muss ich dazu sagen.“ Buffy hob eine Augenbraue. „Spannend?“ „Spannend mit einem herzzerreisenden Ende, in dem mindestens eine Person stirbt“, korrigierte sich Tom und eine Ernsthaftigkeit unterlag seinem Ton. War sie schon vorher da gewesen und Buffy hatte sie nur überhört? „So kann man es schon eher ausdrücken“, bestätigte Buffy und spazierte um Tom herum, um die Stufen hinunterzusteigen und die Kisten, die als ihre Gefängnisse fungiert hatten, mit übermenschlicher Kraft beiseite zu schieben und mehr Platz zum Trainieren zu kreieren. Toms Blick war Säure auf ihrer Haut, als er sie vom Treppengeländer dabei beobachtete, die Arbeit nur von den fernen Stimmen der restlichen Mannschaft begleitet, die lauter wurden und näher kamen. 30 Faith konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie die Augen verdrehen oder lachen wollte. Es war vermutlich eine Mischung aus beidem, als sie den mickrigen Haufen betrachtete, der sich in sportlicher Kleidung im Lagerraum zusammengefunden hatte. Eigentlich hatte es sie schon amüsiert, als der Pilot und die restliche Crew ihr im Gemeinschaftsraum aufgelauert hatten, um sie auf das Training anzusprechen. Die Guten wussten schon wirklich nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Sie war keine Lehrerin. Sie hatte bessere Dinge zu tun, als ein paar Möchtegernvampirjägern das Kämpfen beizubringen. Am Ende würden sie ihnen doch nur im Weg sein, sobald es schwierig wurde. Sie waren keine Slayer und mit ihrem Können konnten sie einfach nicht mithalten. Wieso sie also hier stand und mitmachte, war selbst ihr ein Rätsel. Andererseits hatte sie wenigstens etwas zu lachen, wenn sie ihre Vorstellungen übertreffen und sich noch lächerlicher als ohnehin schon anstellen würden. Man konnte schließlich nie wissen – und für die kleine Mechanikerin und dem Arzt sah Faith eindeutig schwarz. „Also gut, ich brauche euch wohl nicht mehr erklären, was ein Vampir ist“, begann Buffy. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und ihr Blick wanderte bedeutungsschwer über die Mannschaft der Serenity. Ja, bei Buffy waren sie an der richtigen Adresse. Die gute Buffy war das Paradebeispiel aller Slayer, schlau, hübsch und von allen geliebt. Sie machte nie etwas falsch, weil sie perfekt war. Faith würde sich am liebsten übergeben. Oder ein Loch in die Außenhülle der Serenity schlagen, aber sie hatten eine Mission zu erfüllen. Sie mussten das Universum vor dem Untergang retten, weil irgendeine Macht es so entschieden hatte. Da sollte jemand Faith noch einmal etwas vom freien Willen erzählen… „Ihr wisst inzwischen was ein Vampir ist. Was ein Vampir anrichten kann“, erzählte Buffy weiter und spielte die Rolle der Trainerin mit einer Leichtigkeit, die Faith beinahe beineidet hätte, wenn es sie nicht so anekeln würde. „Vor allem aber wisst ihr, wie man ein Vampir tötet.“ Tom nickte, ein gelassenes Grinsen auf den Lippen tragend. „Etwas Spitzes. Mitten ins Herz, dann macht es Puff und das Problem hat sich erledigt.“ Selbst aus den Augenwinkeln heraus konnte Faith sehen wie Buffys Mundwinkel sich hoben. Faith hingegen verzog das Gesicht und verschränkte die Arme vor dem Brustkorb. Der Humor der beiden war sich ähnlich, furchtbar ähnlich sogar. Bemerkten sie das überhaupt? „Gibst du ihnen nun eine Kostprobe oder nicht, B? Dafür ist Spike doch hier, oder?“, lenkte Faith ein und deutete auf Spike, der halb auf den Treppen lag, die hinauf zum restlichen Schiff führten. „Was soll das heißen?“, meckerte dieser. „Seh ich etwa aus wie das Versuchskaninchen, an dem jeder seine Slayer-Fähigkeiten austesten kann?“ Er hatte die Beine ausgestreckt und übereinandergeschlagen, während er sich lässig mit einem Ellenbogen auf der Metallstufe abstützte und sie bei ihrem Tun beobachtete. Nun legte er den Kopf schief und hob eine feine Augenbraue, uninteressiert, leger und ach-so-cool. „Solange du diesen Ship im Kopf hast, bist du zu nix anderem zu gebrauchen, Spikilein“, erwiderte Faith mit einem Zucken der Schultern. Selbst auf Buffys Lippen erschien ein schmales Schmunzeln, als sie den Vampir mit einer Handgeste aufforderte sich zu erheben. „Komm schon, Spike.“ Mit einem schweren Seufzen kam dieser auf die Beine und bewegte sich mit schlürfenden Schritten auf Buffy zu, um mit ein paar Metern Abstand vor ihr stehen zu bleiben. Die anderen machten ihnen Platz und formten einen Kreis um die zwei Kämpfer, die kaum unterschiedlicher sein konnten. Ganz besonders, da sich einer von ihnen nicht einmal wehren konnte, ohne höllische Kopfschmerzen zu bekommen. Plötzlich war der gefährliche Vampir nur noch ein grimmiges Schoßhündchen, das bellen aber nicht beißen konnte, lachhaft. „Okay...“, begann Buffy und nahm eine Kampfstellung ein. Sie zog einen spitzen Pflock aus dem Hosenbund hinter ihrem Rücken, der aussah wie einer, den Jayne aus den Stuhlbeinen geschnitzt hatte. Im Moment waren die alles, was sie hatten, denn die Initiative war scheinbar davon ausgegangen, dass sie keinerlei Waffen in den Tiefkühltruhen brauchten. „Hey“, brummte Spike und hob die Hände in Abwehr. „Müssen wir mit dem Ding herumspielen? Ich bin sicher, dass sie auch so den Sinn hinter dieser Übung verstehen.“ Sein Blick glitt über die Mannschaft, als er nach Verständnis in den Gesichtern suchte. Kaylee hatte die Finger ihrer Hände ineinander verhakt und presste diese gegen ihre Brust und der Arzt hatte die Arme verschränkt. Auch die anderen zeigten gemischte Gefühle, nur nicht die merkwürdige Schwester von Simon, die einige Schritte nach vorn gesetzt hatte, als hielte es sie kaum noch an Ort und Stelle. Fast so, als juckte es ihr in den Fingern, sich selbst den Pflock anzueignen und den Übungskampf mit Spike auszutragen. Sie hatte Blut geleckt. Faith kannte diese Reaktion zu gut von sich selbst, als dass sie sie nicht wiedererkennen würde. River war ihr Name, wenn sich Faith recht erinnerte. Bisher hatte sie mit dem Mädchen nicht viel zu tun gehabt, doch sie strahlte etwas aus, das Faith nicht benennen konnte. Zudem hatte sie eine Unterhaltung zwischen Tom und Jayne mitbekommen und hatte gehört, wie River die Vampire auf dem anderen Schiff mit faszinierender Leichtigkeit niedergemäht hatte. Sie war die einzige an Bord, die Slayer-Potenzial hatte, obwohl kein weiterer Slayer existieren konnte. Zumindest war es unmöglich, solange Faith und Buffy am Leben waren – und so schnell wollte Faith daran eigentlich nichts ändern. „Meinetwegen“, gab Buffy zu und warf Faith den Pflock lapidar zu. „Passt genau auf“, widmete sie sich dann wieder den anderen, die sie beobachteten. „Es ist wichtig besonders auf die Reißzähne zu achten. Spike?“ Abermals ein Seufzen, ergebend, beinahe gelangweilt. „Fein.“ Spikes Gesicht begann sich zu verformen. Die Augenbrauen wichen hervorstehende Wölbungen, die sein Gesicht in eine hässliche Fratze verwandelten, während seine Zähne sich verlängerten, schärfer wurden und die Reißzähne bildeten, von denen Buffy sprach. Kaylee zog scharf die Luft ein und Simon löste die Verschränkung seiner Arme, um ihre Schulter stattdessen zu unsicher zu tätscheln. Und auch Jayne umschlang den Griff seines Waffe fester, seine Vera, nicht ganz sicher, ob er dem Vampir nicht doch gleich den Kopf wegpusten sollte. „Passt jetzt genau auf“, sagte Buffy. Im nächsten Moment überbrückte sie schnellen Schrittes den Abstand zu Spike, packte ihm am Kragen seines Mantels und trat ihm die Beine weg. Spike stieß ein Knurren aus, welches in einem schmerzvollen Schrei endete. Er griff sich an die Stirn, während er rückwärts fiel. Buffy ließ sich mitziehen und landete auf ihm, um ihm mit der Faust gegen die Brust zu boxen, dort wo sich sein nicht mehr schlagendes Herz befand. „Au!“, brummte Spike und sah an sich hinunter. „Tu nicht so, als ob das wehgetan hat“, antwortete Buffy mit einem Augenrollen, bevor sie den Blick hob und die anderen fixierte. „Das Wichtige ist, dass ihr nicht zögert. Ihr dürft dem Feind keine Zeit zum Handeln lassen. Ihr müsst den ersten Schritt machen. Ganz egal, was der Blutsauger sagt oder tut, ihr habt den Vorteil, wenn ihr zuerst handelt. Verstanden?“ Ein zögerliches Nicken seitens Kaylee, Simon, Jayne und Tom folgte. Rivers starrer Blick hing dagegen an dem von Buffy auf dem Boden gehaltenen Vampir, der wahrscheinlich insgeheim jede Minute davon genoss. Inara lehnte mit der Hüfte an dem Treppengeländer. Nicht einmal für diese Trainingsstunde hatte sie ihre feinen Kleider gegen etwas Beweglicheres eingetauscht. Scheinbar musste sie immer die Prinzessin spielen – oder sollte Faith sagen, die Companion. Mit so einem hübschen Gesicht und Körper machte man bestimmt ein kleines Vermögen... „Na gut, dann können wir ja jetzt mit dem richtigen Training anfangen“, erklärte Buffy, als sie sich bei Spike abstützend aufrichtete. „Kaylee und Simon, ihr bildet ein Trainingsteam. Jayne trainiert mit Faith und Tom...“ „Ich trainiere mit Spike“, lenkte River ein. Sie stand neben dem blonden Vampir, der sich aufgerichtet hatte. Wann genau sie sich bewegt hatte, war selbst Faith entfallen. River sah zu ihm hinunter und er schenkte ihr einen resignierten Blick. „Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich kann mich nicht wehren, ohne dass mein Kopf förmlich explodiert, Püppchen.“ River schwieg und Buffy seufzte ergeben. „Du findest schon eine Möglichkeit, Spike...“ „Nicht, dass River tatsächlich trainieren muss, wie man Vampire in Staub verwandelt“, fügte Faith hinzu. „Ich frage mich, wie viel am Ende von Spike noch übrig sein wird.“ Mit einem hämischen Grinsen an Spike gewandt, ging Faith davon. „Tom, du trainierst mit Inara“, hörte sie Buffy sagen, doch Inara winkte ab. „Ich glaube, ich werde für eine Weile nur zuschauen.“ „Sieht so aus, als müsstest du mit mir trainieren, Buffy“, sagte Tom und Faith musste sich nicht umdrehen, um das Schmunzeln auf seinem Gesicht zu sehen. Stattdessen stellte sie sich vor Jayne auf, der nur widerwillig seine Vera auf der untersten Treppenstufe ablegte. Es war ohnehin ein lächerlicher Name für eine Waffe. „Bereit?“, fragte Faith. Sie streifte die Lederjacke ab und warf sie unwirsch beiseite, ehe sie sich die braunen Haare beiseite strich. Jaynes Blick folgte ihrer Bewegung. Trotz dem Abstands konnte sie die geweiteten Pupillen seiner braunen Augen sehen, erkennen, dass ihm gefiel, was er sah. Die Erkenntnis ließ sie grinsen. Er hatte keine Ahnung, auf was er sich bei ihr einließ, aber das war nicht Faiths Problem. „Pass auf, dass du dir nicht wehtust“, erwiderte Jayne und die Arroganz in seiner Stimme war erheiternd, da er sich wirklich nicht dem Ernst der Lage bewusst zu sein schien. Er war ein großkotziger Angeber, wie Faith sie schon oft in den Bars auf Sunnydale und auf anderen Planeten gesehen hatte. Im Gegensatz zu Buffy, die nie aus dem kleinen Nest herausgekommen war, hatte Faith schon so einiges von diesem Universum gesehen. Allerdings hatte sie nie den Platz gefunden, an dem sie gehörte. Sie hatte auch keine Familie und keine Freunde, denn sie war schon immer ein Einzelgänger gewesen. Ein bisschen so wie Jayne auch einer war, dessen war sich Faith durchaus bewusst. Sie konnte die Ähnlichkeit in dem bärtigen Mann erkennen, was sie gleichzeitig anekelte und faszinierte. „Das Gleiche könnte ich dir raten“, sagte sie und stieß ein Lachen aus. Sie beide nahmen eine Kampfstellung ein und traten um den anderen herum, während sie auf eine perfekte Gelegenheit für einen Angriff warteten. Doch sie waren zu ungeduldig, was eine weitere Eigenschaft war, die sie teilten. Gleichzeitig gingen sie aufeinander los. Jayne holte aus, doch Faith duckte sich unter dem Schlag hinweg. Sie trat ihm ein Bein weg, doch Jayne packte sie an den Schultern und stützte sich bei ihr ab. Ein Ächzen drang aus Faiths Kehle, als sie nach unten gedrückt wurde, doch sie befreite sich aus seinem Griff, indem sie ihm an den Unterarmen wegschlug. Sie packte eines seiner Handgelenke, drehte sich zur Seite und verdrehte Jayne im selben Atemzug den Arm. Ein Schrei entfuhr ihm und seine Beine knickten ein, als Faith im gegen den Rücken drückte. „Gibst du auf?“, fragte sie. Ein Lufteinziehen folgte, dann Schweigen. Faith bohrte ihr Knie in seinen Rücken und Jayne presste ein mit Zähnen zusammengebissenes „Ja“ hervor. „Das ging sogar schneller als erwartet“, erwiderte Faith, als sie von ihm abließ und davon marschierte. Bevor sie den schmalen Gang erreichte, der zu ihrem und Buffys vorläufiger Schlafstätte führte, schlangen sich jedoch zwei muskulöse Arme um ihren Körper. „Man sollte seinem Feind nie den Rücken zudrehen“, grummelte Jayne dicht an ihrem Ohr und sein Atem kitzelte ihre Haut. „Und offenbar nie Gnade zeigen“, stieß Faith aus. Sie versuchte sich zu befreien, doch ihre Arme blieben dicht an ihren Oberkörper gepresst, weshalb sie mit dem Bein ausholte und ihm rückwärts in den Schritt trat. Jaulend ließ Jayne von ihr ab und stürzte zu Boden, die Blicke der anderen auf sich ziehend. Faith richtete ihr Top und setzte grinsend ihren Weg fort. Das dürfte ihm eine Lehre sein, sie ein weiteres Mal zu unterschätzen. XI. Losziehen. Der Laden. Folter. --------------------------------- 31 „Langsam... langsam... langsam!“, bellte Mal und Tom spürte, wie sich der Schweiß zwischen seinen Fingern und dem Steuer bildete. Auch sein Nacken und seine Schläfen juckten unter dem dünnen Schweißfilm, der unter dem Druck entstanden war, den die klippenartigen Steinwände um sie herum auslösten. Der Canyon war ein perfektes Versteck, um vor neugierigen Blicken geschützt zu sein. Gleichzeitig war es eine Kunst die Serenity zwischen dem Gestein gen Boden sinken zu lassen. Toms Mundwinkel hoben zu einem verschmitzten Lächeln, als das Steuer in seinen Händen vibrierte. Sein Griff festigte sich, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Er hielt es gerade, während das Raumschiff absackte, sich stetig senkte, bis die metallenen Füße der Serenity mit einem Ruck auf der staubigen Erde aufsetzten. Ein Moment der Stille folgte. Tom sackte im Pilotenstuhl nach hinten und drehte sich mit ihm in Mals Richtung. „Das war ein Kinderspiel.“ „Ich bin sicher, dass es irgendwo einen Kratzer mehr gibt“, erwiderte Mal, der sich während ihrer Landung an einem Griff an der Wand festgehalten hatte. „Ich habe eindeutig ein Schleifen gehört.“ Tom stieß ein Lachen aus. „Komm schon. Das war eine Meisterleistung, wir wissen es beide. Bei jedem anderen Piloten wäre es mehr als nur ein Kratzer geworden.“ Tom wischte sich die feuchten Hände an der hellen Leinenhose ab, die er trug, ehe er sich aus seinem Stuhl hievte. „Dann wollen wir mal. Ich bin schon gespannt, was der Planet zu bieten hat.“ Er sah an sich hinunter, hinab zu dem hellblauen Hawaiihemd, welches er extra für diesen Landgang angezogen hatte. Mal stieß ein Schnauben aus, als sie gemeinsam das Cockpit verließen. „Du hast keine Ahnung, wie man sich bedeckt hält, oder?“ Sein Blick galt Toms Hemd. „Wir wollen keine Aufmerksamkeit erwecken. Außerdem sind wir nicht aus Vergnügen hier.“ „Ich weiß, ich weiß.“ Tom hob die Hände in entschuldigender Geste. „Wir sind nur hier, um unsere Vorräte und unseren Treibstoff aufzufüllen. Aber mal wirklich... glaubst du nicht auch, dass wir uns etwas Spaß verdient haben? Ich mein, vielleicht ist das unsere letzte Gelegenheit, bevor... du-weiß-schon, Mal.“ Der ernste Gesichtsausdruck des Raumschiffkapitäns verriet, dass er den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte. Zwar hatte er Mal nicht ihr eventuelles Ableben auf der Suche nach der Sichel unter die Nase reiben wollen, aber... im Grunde hatte er recht. Das Leben war zu kurz, um alles nur ernst zu nehmen. Sie mussten das Beste aus dem machen, was sie hatten. „Wie auch immer“, räumte er ein, ehe sie den Laderaum erreichten. „Ich weiß, was ich zu tun habe. Mach dir deine Sorgen, Captain. Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst.“ Ein Grinsen seinerseits folgte, doch Mal schenkte ihm einen eindringlichen Blick auf seine Worte hin. Es war kein Misstrauen, was Tom in ihm las, viel eher eine stumme Frage. Im Bauch der Serenity stand der Rover bereits vor der geschlossenen Laderampe und Johnny hievte sich schwerfällig auf den Rücksitz. Der Doktor, der sie ebenfalls begleiten würde, stand abseits mit seiner Schwester, während Zoe das Spektakel von den Treppen aus beobachtete. Als sie Mal und Toms Schritte vernahm, wandte sie sich zu ihnen um, die Arme über dem Babybauch verschränkt und einen zusammengefalteten Zettel in den Fingern haltend. „Bist du sicher, dass ich nicht mitgehen soll, Captain?“ Eine ihrer Augenbraue hob sich, um ihren Unmut über Mals vorige Entscheidung deutlich zu machen. „Wie ich Mal gerade schon gesagt habe, ich habe alles unter Kontrolle“, sagte Tom, doch Zoe würdigte ihn keines Blickes. Am Anfang hatte er sich noch Gedanken um Zoes abweisende Art gemacht, inzwischen war er sich jedoch fast sicher, dass sie mindestens seine Flugkünste zu schätzen wusste. Außerdem hatten sie gemeinsam gegen die Vampire gekämpft, genau hier auf diesen harten Stufen. Toms Rippen schmerzten noch immer von seinem Sturz. Dieser Kampf hatte sie zusammengeschweißt oder zumindest hatte sie ihm das Leben gerettet, was er ihr durchaus hoch anrechnete. „Sir?“, fragte Zoe erneut. „Keine Sorge, Simon ist ja auch noch da“, erwiderte Mal. Simon ging derweil seine Umhängetasche ein letztes Mal durchging, als wollte er sichergehen, dass er auch wirklich nichts vergessen hatte. Tom konnte ihm ansehen, dass er nicht besonders oft von Bord ging und es auch dieses Mal eher unfreiwillig tat. „Ich werde ein Auge auf ihn haben“, versprach Tom und zwinkerte Zoe zu, als sie ihm doch einen knappen Seitenblick schenkte. Unbeeindruckt reichte sie ihm den Zettel, welche die Liste mit den Vorräten enthielt, die sie benötigten. Tom steckte sie grinsend in die Westentasche seines Hawaiihemds, bevor er zu Johnny auf das eckige Gefährt kletterte und hinter das Steuer schlüpfte. „Dann wollen wir mal.“ „Ich verstehe immer noch nicht, wieso ausgerechnet ich mitkommen muss“, brummte Johnny, der seinen Gehstock umklammerte, während er eine gute Position für sein Bein suchte. „Das wird spaßig, wirst du schon sehen“, antwortete Tom. Es würde Johnny und Simon gleichermaßen gut tun, dem Schiff für einige Zeit den Rücken zu kehren und mal etwas zu erleben. Simon zog den Riemen seiner Tasche enger, als er zu ihnen hinüberkam und River ihm mit lautlosen Schritten folgte. „Und vergiss nicht, dass es vollkommen in Ordnung ist, Spike zu… du-weißt-schon, wenn er dir zu nahe kommt.“ „Ich werde ihm den Pflock ins Herz rammen“, entrann es River tonlos und sie zog den von Jayne entwendeten Pflock aus dem Gürtel, der um ihre Hüfte geschnallt und ein Teil des dunkelblauen Kleids war. Ihr Zeigefinger berührte die Spitze, ihr Gesicht genauso passiv und gedankenverloren wie immer. Die Erinnerung an das Transportschiff, auf dem River die Vampire mit einer beinahe unmenschlichen Präzision niedergemäht hatte, jagte Tom selbst jetzt noch einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter. Er schmunzelte, als Simon mit einem letzten langen Blick an River gerichtet zu ihm in das kompakte Gefährt stieg. „Passt auf euch auf. Haltet die Augen offen“, erklärte Mal, als er den Knopf betätigte und sich die Rampe surrend zu senken begann. Staubkörner wehten ins Innere und Tageslicht flutete den Bauch der Serenity. Hier unten im Canyon war es jedoch schattenbesetzt, denn die Klippen waren zu hoch, als dass die Sonnenstrahlen es bei diesem Stand zu ihnen hinab schafften. „Bei Schwierigkeiten gebt uns Bescheid und kommt zurück. Hast du die Karte, Tom?“ Tom suchte das kleine Fach zwischen den beiden Vordersitzen ab und griff nach dem Datenpad, um es hochzuhalten. „Klar.“ Auf Knopfdruck schaltete es sich ein und stellte die Lage ihrer Umgebung bildlich dar. Damit war es eine Leichtigkeit den Ausgang dieser natürlich entstandenen Schlucht und den Weg in die örtliche Stadt zu finden. Der Motor schnarrte, als Tom den Schlüssel drehte. Binnen weniger Sekunden verwandelte er sich in ein Zischen und Rauschen, bevor die Antriebe am Boden den Rover in die Höhe anhoben und er einen halben Meter über diesen schwebte. Tom hob grinsend die Hand und winkte Mal und Zoe zu, die zurückgetreten waren. Im nächsten Moment rauschte das Gefährt bereits die Rampe hinunter und wirbelte den Sand auf, als sie losdüsten. Die Luft war frisch und nicht so warm, wie Tom erwartet hatte. Ein Frösteln erfasste ihn, als der Fahrtwind an ihren Kleidern zerrte und ihre Haare durcheinander wirbeln ließ. Tom gab das Datenpad an Simon weiter, der blass war, der besorgte Blick auf die enge Schlucht gerichtet, durch die sie flogen. „An der Abzweigung links“, rief der Doktor aus, nach dem er sich zwang die Karte zu studieren. Tom folgte den Anweisungen und der Rover sauste geschmeidig durch die engen Passagen, welche die hohen Klippen kreierten. Binnen weniger Minuten weiteten sich diese und der Boden kletterte stetig höher, bis sie eine flache Ebene erreichten und den Canyon hinter sich ließen. Bäume und Sträucher mit gelbbraunen Blättern kreuzten ihren Weg und Laub wirbelte auf. Die Temperaturen und die Jahrzeit variierten verglichen mit dem letzten Planeten, den sie besucht hatten. Kein Wunder eigentlich, denn sie waren lange unterwegs gewesen und sie befanden sich weiter von der Sonne entfernt. Bedeutete das, dass auf dem Planeten, auf dem die Sichel angeblich versteckt sein sollte, im Moment Winter oder ein ähnliches Klima herrschte? Der Gedanke wurde von dem Anblick der Stadt fortgewischt, die sich aus der Ferne zunächst durch aufsteigenden Rauch abzeichnete. Einige Hütten und Häuser tauchten zwischen den Bäumen auf und Tom verringerte die Geschwindigkeit des Rovers, bis sie im Schneckentempo durch die Straßen der beschäftigten Stadt flogen. Stimmengewirr lag in der Luft und Händler riefen ihre Waren von aufgebauten Ständen aus. Die Häuser waren dicht beisammen gebaut, so dass die Wege schmal waren und von Pferden, Maschinen und Menschen zugleich geteilt wurden. Essensgerüche schwängerten die Luft, vermischt mit dem rauchigen Geruch von kleinen Feuern, die in Grillen und Containern brannten, um Fleisch und Gemüse zu rösten und die anfängliche Winterkälte zu vertreiben. Tom war der einzige, der ein kurzärmeliges Hemd trug, selbst Simon trug seine übliche Weste über sein Hemd und Johnny hatte eine gefütterte Jacke an, deren Kragen aufgestellt war. Sie parkten den Rover an einer verlassenen Straßenecke, nah genug an den Ständen, um die gekauften Waren problemlos hineinräumen zu können. „Die anderen verpassen was“, entrann es Tom, als er gefolgt von Simon und Johnny ausstieg. „Kaylee wollte mitkommen, aber sie will ein paar Sachen überprüfen, bevor wir nachher Treibstoff kaufen gehen“, erwiderte Simon, dessen Blick über die ausgelegten Waren wanderten. Tom ging neben ihm her, als sie gemeinsam zwischen den Ständen schlenderten. Der Plan war nicht so effizient, wie sie sich wohl alle erhofft hatten, aber man konnte nicht zu viel erwarten, wenn man ständig Augen und Ohren offen halten musste, weil allerhand Leute und Monster nach ihrem Blut lechzten, wortwörtlich. Doch was wusste Tom schon davon? Er mochte in bestimmten Kreisen verpönt sein, aber er war zum ersten Mal ein gesuchter Mann. Selbst in diesem Augenblick kam er sich beobachtet vor, als ob die Augen einiger Leute nicht nur über sie und die anderen Leute hinweghuschten, sondern jeden ihrer Schritte verfolgten. Ein Blick umher bestätigte jedoch, dass es Toms Einbildung war, denn er konnte nichts und niemanden entdecken, der sie beobachtete oder sich merkwürdig verhielt. Wahrscheinlich war das so, wenn man auf der Flucht war: man sah und nahm Dinge an, die gar nicht existierten, weil man immer auf der Vorsicht sein musste. „Kaylee...“, wiederholte Tom und verwarf seine Paranoia. „Hat sie eigentlich jemanden an der Hand? Ich meine, die Auswahl an Bord ist ja begrenzt und ihr scheint euch nie lange am selben Ort aufzuhalten. Ist bestimmt schwer, da mit jemanden anzubändeln.“ Simon hustete auf, als hätte er sich verschluckt und schüttelte Toms Hand ab, als dieser ihm auf den Rücken klopfte. Johnny zog unbeeindruckt die Augenbrauen zusammen. „Gönn’ dem armen Doktor ruhig mal eine Auszeit“, antwortete dieser für Simon, einen leisen Spott dennoch in seine Worte hineinlegend. „Jeder weiß doch, dass zwischen ihm und der Mechanikerin etwas läuft. Außer man hat keine Augen im Kopf.“ Das lockere Grinsen verblasste und Tom musterte Simons errötetes Gesicht, als dieser schwer durchatmete. „Oh“, entrann es dem Piloten. „Klare Ansage. Ich will sie dir sicher nicht streitig machen, Simon.“ „K-Kein Problem“, erwiderte Simon tonlos. „Es ist nicht so, als ob wir—“ „Papalapap“, fuhr Tom ihm über den Mund und tätschelte ihm die Schulter. „Du magst sie. Mehr musst du gar nicht sagen. Du hast mich wieder zusammengeflickt, da bin ich dir das schuldig.“ Immerhin ging es seinen Rippen schon viel besser, nachdem Simon ihm einige Salben zum Draufschmieren gegeben und ihm einen stabilisierenden Verband umgemacht hatte. Zwar konnte Tom durchaus ein Frauenheld sein, war es zumindest in der Vergangenheit gewesen, aber er spannte keinem Kameraden die Freundin aus. Kaylee war in ihrer unschuldigen Art niedlich, ganz besonders, da sie es trotzdem faustdick hinter den Ohren hatte, aber der Arzt war ihm ebenfalls sympathisch. Er erinnerte Tom an einen Knaben, mit dem er sein Zimmer in der Flugschule geteilt hatte. Harry Kim war sein Name gewesen, wenn er sich recht erinnerte. Der Bursche war ebenfalls zurückhaltend und – Toms Meinung nach – glatt ein wenig verklemmt gewesen, aber er war auch ein ehrlicher und guter Mann gewesen. Was wohl aus ihm geworden war? Tom nahm an, dass er in der Allianz die Karriereleiter hinaufgeklettert war. Mit dem Gedanken an seinen alten Freund fischte er den zusammengefalteten Zettel aus der Hemdtasche und entfaltete ihn. Das Grinsen kehrte auf seine Lippen zurück und er drängte sich bei den Ständen zwischen den Menschen hindurch, um ihren Auftrat zu erfüllen und die Vorräte zu beschaffen. 32 Es war schon eine Weile her, seit Inara Fuß auf diesen Planeten gesetzt hatte. Sie war nicht sonderlich sentimental, denn in ihrem Beruf brauchte man eine gewisse emotionale Distanz, die man sich nicht anmerken lassen durfte, die aber dennoch eine Barriere zwischen ihrem Klienten und ihrem Ich kreierte. Trotzdem hatte dieser Randplanet damals schon eine gewisse Faszination in ihr ausgelöst. Die Einwohnerzahl war niedrig, doch die wenigen Ortschaften beteiligten sich in regem Handel, der die Wirtschaft erhielt. Selbst die Allianz machte einen Bogen um den Planeten, auf dem die Traditionen eng mit den Ängsten und Zweifeln der Menschen verknüpft waren, mit ihren Alpträumen, die scheinbar nicht nur simple Illusionen waren. Inara zog das Steuer an, als sie das kleine Shuttle zwischen den Trauerweiden landete. Laub und Sand wirbelte auf, bevor der Antrieb sich hinunterfuhr. Ihre Augen wanderten zu Mal hinüber, der den Stuhl neben ihr eingenommen hatte. Das Buch, welches sie ihm gezeigt hatte, da es Informationen über den sogenannten Master enthielt, ruhte auf seinem Oberschenkel. Es war alt und vergilbt, doch enthielt mehr als nur die Mythen, die Menschen hier über Generationen hinweg weitergaben. „Ich bin nicht sicher, wie gut wir empfangen werden“, gestand Inara, obwohl sie wusste, dass ein Besuch bei ihrem Klienten womöglich nützlich sein würde. Aber sie kannte Jonathan und wusste, dass er ein exzentrischer Mann war, der nur schwer vertrauen fasste. Sie sah die Ironie in der Tatsache, dass er sich lieber in den Armen einer professionellen Companion fallen ließ, anstatt sich eine Frau hier auf seinem Heimatplaneten zu suchen und mit ihr niederzulassen. „Werden wir jemals irgendwo gut empfangen?“, fragte Mal, bevor er sich aus dem Stuhl erhob und das Shuttle durchquerte. Obwohl sein Bein ihn weniger zu schaffen machte, konnte Inara dennoch das leichte Humpeln erkennen, welches seine Schritte noch immer begleitete. In der einen Hand trug er das mysteriöse Buch, die andere ruhte an dem Halfter an seiner Hüfte, welches seinen Revolver hielt. Inara seufzte lautlos und tauschte einen Blick mit Buffy aus, die auf dem schmalen Sofa saß, das in der hintersten Ecke stand. Sie trug ein dunkelgrünes T-Shirt, das sie sich von Kaylee geliehen hatte, obwohl es ihr etwas zu groß war, und ihre schwarze Lederhose. In ihrem Hosenbund steckte ein selbstangefertigter Pflock, dessen Form man trotz des T-Shirts darüber erahnen konnte, wenn man sich mit diesen Dingen auskannte. Die beiden Frauen folgten Mal wortlos und gemeinsam verließen sie das kleine Shuttle, welches seit Jahren schon als Inaras Heim diente. Für eine Weile mochte sie der Serenity den Rücken gekehrt haben, aber in ihrem Herzen hatte sie bereits damals gewusst, dass dieses Schiff und diese Crew immer ihr Zuhause bleiben würden. Nach der Entdeckung der Herkunft der Reaver und Washs Tod war es ein natürlicher Übergang gewesen, beim Wiederaufbau der Serenity zu helfen, vor allem jedoch an Bord zu bleiben. Auch jetzt unter diesen kuriosen Umständen bereute sie es nicht. Der Platz auf dem sie das Shuttle gelandet hatte, lag nahe der Häuser am äußeren Rand der Ortschaft. Sie war kleiner und lag verteilter zwischen vertrocknetem Gestrüpp und Bäumen, die ihre Blätter allmählich verloren, als die Stadt, in die Tom, Simon und Johnny gefahren waren, um ihre Vorräte zu kaufen. Hier und da spähte ein Bewohner zwischen den Vorhängen eines Fensters hindurch, um einen Blick auf die Neuankömmlinge zu erhaschen. Ganz besonders, als sie eine abgelegene Hütte ansteuerten, aus dessen Schornstein schwarzer Rauch stieg, der sich allmählich im blauen Himmel verlor. Jonathan war daheim. Inara ignorierte die misstrauischen Blicke und zog das Tuch um ihre Schultern enger, welches ihre nackten Schultern bedeckte. Schon bald würde sie die Sommerkleider ablegen und auf ihre schwereren Gewänder zurückgreifen müssen. Jedenfalls verriet die Route, die ihnen bevorstand, dass sie sich weiter von der Sonne entfernten. Ihr fröstelte es bei dem Gedanken, dass sie bei eisigen Temperaturen nach einer mystischen Sichel suchen sollten, um Vampire daran zu hindern das Universum zu zerstören. „Ist es das?“, fragte Mal und stemmte die Hände in die Hüften, als sie vor dem Haus zum Stehen kamen. „Es macht nicht fiel her. Als du Anwesen gesagt hast, habe ich etwas... Prunkvolleres erwartet.“ „Bist du sicher, dass hier jemand wohnt, der uns behilflich sein kann, Inara?“, äußerste auch Buffy ihr Unglaube. Inara schmunzelte. „Jonathan Hughes ist der einzige, den ich kenne, der von der Existenz von Vampiren und Dämonen überzeugt ist und das hat, was wir benötigen.“ Mit diesen Worten öffnete Inara die Tür. Eine Glocke über ihren Köpfen klingelte und stellte das einzige Geräusch in dem kleinen Laden dar. Regale füllten den Innenraum, dicht beieinander stehend und beladen mit Artefakten, von denen nur wenige Inara etwas sagten. Ihre Augen wanderten über Bücher und antiken Schwerter, Messer und Armbrüste. Allerlei anderer Waffen waren zwischen ihnen aufgebaut. In einem Regal standen Kristallkugeln, während in einer Glasvitrine Ketten mit mysteriösen Anhängern ruhten, zusammen mit Ringen und Broschen. Ein Tisch, der als Tresen diente, stand auf der anderen Seite des Raums, dahinter eine weitere Tür, von den Inara wusste, dass sie in den zweiten Stock führte, in die kleine Wohnung, die Jonathan über dem Laden bewohnte. Dieser schob die angelehnte Tür auf, die zu den Stufen führte, um zu sehen, wer hineingekommen war. Sein Blick huschte von Buffy, zu Mal, hinüber zu Inara. Seine Augen waren geweitet, doch der Misstrauen wich und hinterließ Überraschung, als er sie erkannte. Röte kroch auf seine Wangen und Inara schenkte ihm ein Lächeln. Sie spazierte den engen Weg hindurch, den zwei Regale kreierten. „Jonathan. Schön dich zu sehen. Du siehst gut aus.“ Der hochgewachsene Mann, der selbst Mal um einen halben Kopf überragte, schluckte, als er nach Worten suchte. Er trug feine Kleidung und strich seine Weste unter ihrem Blick glatt. „Inara... du auch. Natürlich tust du das. Aber... aber was machst du hier? Wer sind deine Begleiter?“ Seine Stimme war sanft und spiegelte sein Gemüt wider, seine Finger auf ihrer Haut, seine Lippen in ihrem Nacken. Sie konnte sich noch gut an die langen Nächte erinnern, die sie mit ihm in seinem Bett und in ihrem Shuttle verbracht hatte, an den Sex und an die noch längeren Unterhaltungen. „Erinnerst du dich noch an das Buch, welches du mir bei meinem letzten Besuch mitgegeben hast?“, erkundigte sie sich und Mal hielt das besagte Werk in die Höhe, damit Jonathan einen Blick auf die chinesischen Schriftzüge werfen konnte. Seine Muskeln spannten sich an und sein Mund bewegte sich, ohne dass ihm ein Laut entkam. Letztendlich räusperte er sich. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er kam um den Tisch herumgeschritten, um Mal das Buch wegzureißen. „Und du bringst es hierher zurück?“, zischte er, wobei seine Augen nicht ihr galten, sondern in eine buchbeladene Ecke huschten. Inara folgte seinem Blick und entdeckte einen Herren vor einem hohen Buchstapel. Seine Brille hing schief auf seiner Nase and er war dicht über einen dicken Wälzer gebeugt, der aufgeschlagen auf einem Podest lag. Er schenkte ihnen keine Beachtung, aber Jonathan gestikulierte dennoch, dass sie ihm zu folgen hatten. Er führte sie durch die Tür in den kleinen Hinterraum hinein, in dem einige Kisten gestapelt standen und die Treppe ins Obergeschoss führte. Mal hob vielsagend die Augenbrauen und Inara schüttelte kaum merklich den Kopf, um jeglichen Kommentar seinerseits im Keim zu ersticken. „Dieses Werk... ist das letzte Exemplar seiner Art“, flüsterte Jonathan, als er die Tür anlehnte und durch einen Spalt hindurchschielte, um sicherzugehen, dass sein Kunde ihnen nicht hinterher schlich und sie belauschte. „Deswegen habe ich es dir anvertraut, Inara.“ Die Sanftheit war aus seinem Ton gewichen und hatte eine Verzweifelung hinterlassen, die sich in seinen Fingern bemerkbar machte, als er nach ihrem Arm griff. „Hier ist es nicht sicher. Seit ein paar Wochen verschwinden immer mal wieder ein oder zwei Bewohner. Nach einigen Tagen kehren sie zurück, aber... sie sind nicht mehr dieselben. Fast so, ob sie ihre Seele verloren haben. Sie sind kalt. Gefühllos, gemein.“ Ein Beben ging durch seinen Körper und er drückte das Buch eng gegen seine Brust. „Sie sind hier“, bestätigte Buffy aufgrund der Beschreibung. „Es stimmt, dass sie alle Spuren über ihre Existenz zu verwischen versuchen. Einerseits, um den Orden geheim zu halten, aber auch damit es keine Informationen über sie gibt, die gegen sie verwendet werden können.“ Ihr Blick wechselte zwischen Mal und Inara hin und her, doch Jonathan schob sich zwischen sie. „Redest du von Vampiren?“, fragte er und Inara zog ihren Arm aus seinem Griff, als es zu schmerzen begann. „Es gibt sie wirklich? Ich wusste es! Ich habe es immer gewusst!“ Er drehte eine Pirouette und Mal trat einen Schritt zurück, um ihm aus dem Weg zu gehen. „Ich habe schon früher Bedenken gehabt, wenn es um deine Klienten ging. Das ist aber nichts im Vergleich zu diesem Besuch.“ „Mal...“, mahnte Inara, bevor sie näher an Jonathan herantrat, der in seinem eigenen Kopf feststeckte und manisch in Chinesisch wisperte. „Jonathan. Wir benötigen deine Hilfe, Jonathan.“ Er blinzelte und sein Blick fokussierte sich auf ihr Gesicht. „Hilfe?“ Inara nickte. „Du bist der einzige, der uns helfen kann.“ Im Gegensatz zu Mal wusste sie, wie man mit Menschen umging und das bekam, was sie wollte. Sein Gesicht war schweißgebadet und nun kehrte auch die verlegene Röte in seine Wangen zurück, die sie beim Eintreten bereits wahrgenommen hatte. „Wir brauchen Vorräte, um uns vor ihnen zu wappnen.“ „Du meinst... Schwerter und Weihwasser. Etwas dergleichen?“ „Genau“, erwiderte Inara und machte eine schweifende Handgeste in Buffys Richtung. „Buffy kann dir genau sagen, was wir brauchen, okay?“ „Okay“, sagte er und ließ zu, dass Inara ihm das Buch aus den Händen nahm. Es wog schwer in ihren Armen, schwerer als jemals zuvor. Er sah sie lange an und sie hielt seinen Blick, bis er sich abwandte und Buffy in den Kaufraum führte, damit sie ihm sagen konnte, was genau sie brauchten. Mal und Inara folgten ihnen, blieben jedoch nahe des Tresens stehen. „Er ist vermutlich die durchgeknallteste Person auf diesem Planeten, aber er ist der einzige, der durchschaut, was hier vor sich geht“, kommentierte Mal. „Jonathan hat ein sensibles Gespür“, sagte Inara. Mal schnaubte. „Was ist aus Mister Hughes geworden?“ „Ich habe ihn in deiner Gegenwart so genannt, weil ich weiß, was du über meinen Beruf denkst und ich nicht an deinen Beleidigungen interessiert bin.“ Sie lächelte ihn an, obwohl sie ihm ansehen konnte, dass ihm etwas auf den Lippen lag. Bevor jene Worte es jedoch aus seinem Mund schafften, unterbrach ein „Entschuldigen Sie“ ihre Unterhaltung. Der Mann, der bis eben noch über die Bücher gebeugt gewesen war, trat an sie heran. Intelligente Augen musterten sie durch die Brille hindurch und blieben an dem Buch in Inaras Armen hängen. „Könnte ich einen Blick auf das Buch werfen, das Sie bei sich tragen, Miss? Ich konnte nicht Mister Hughes doch eher leidenschaftliche Reaktion auf das Buch nicht überhören.“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Wie unhöflich von mir, mich nicht einmal vorher vorzustellen. Mein Name ist Daniel Jackson. Ich bin ein Archäologe und—“ „Was tut ein Archäologe in einem Laden gegen übernatürliche Kreaturen?“, unterbrach Mal. Daniel belächelte diese Frage. „Sie dürften dann wohl der berühmte Malcolm Reynolds sein. Ich hatte sie auf den ersten Blick erkennen müssen.“ Mal und Inara sahen einander an und Mals Hand rückte näher zu dem Revolver an seiner Hüfte hinunter. Daniel Jackson bemerkte es nicht, als er weiterredete. „Immerhin haben wir es Ihnen und Ihrer Mannschaft zu verdanken, dass wir die Herkunft der Reaver endlich aufgedeckt haben. Ich war erst vor kurzem auf Miranda, um das Phänomen zu studieren. Dort bin ich auf die Existenz der Vampire gestolpert. Natürlich wusste ich am Anfang nicht, um was es sich handelt, aber...“ Er brach ab und ging stattdessen zu seiner Tasche hinüber, die schwer gepackt zwischen zwei hohen Bücherstapeln ruhte. Er kramte in ihr herum, bis er ein kleines Notizbuch hervorzog. Inara erhaschte einen Blick auf hingekritzelte Notizen, die mindestens die Hälfte des Hefts füllten. „Nicht nur, dass die Menschen dort gestorben sind, nichts wies auch nur auf einen einzigen Tropfen Blut hin. Keine Überbleibsel, nichts. Es hat zu dem Zeitpunkt keinen Sinn ergeben, bis unser Schiff von diesen sogenannten Vampiren angegriffen wurde. Wir sind nur knapp mit dem Leben entkommen, aber danach... nun, kaum jemand von meinem Forschungsteam hat überlebt. Und die Überlebenden glauben an Wissenschaft, aber nicht an das Übernatürliche.“ Sein Lächeln verblasste und er räusperte sich. „Nun ja, es ist ein Zufall, dass ich von diesem Laden und Mister Hughes in meinen Nachforschungen gestolpert bin, doch ich bin sicher, dass—“ Abermals wurde Daniel unterbrochen, diesmal von Jonathan, der mit erhobenem Schwert auf sie zukam. „Hände weg von dem Buch. Hände weg, sagte ich!“ Daniel hob besagte Hände und distanzierte sich von Inara und Mal, wobei er fast über seine eigene Tasche stolperte. „Schon gut. Ich wollte nicht... ich wollte wirklich nicht...“ Doch Jonathan schwang das Schwert in die Richtung der Tür. „Raus. Raus, raus, raus!“ Daniel protestierte, doch die Klinge des Schwerts war scharf und Zorn flimmerte über Jonathans Gesicht, der sogar Inara einen Schauer den Rücken hinunterlaufen ließ. Daniel ergriff den Riemen seiner Tasche und stolperte rückwärts aus dem kleinen Laden hinaus. Die Glocke klimperte, bevor die Tür hinter ihm geräuschvoll zufiel. „Er ist weg. Du kannst das Schwert nun beiseite legen, Jonathan“, bemerkte Mal, der die Finger nicht von seinem Revolver nahm. Buffy, die mehrere Fläschchen mit Weihwasser in einer Hand hielt, legte die andere auf die Schwertklinge, um sie gen Boden zu senken. „Das Schwert nehmen wir auch“, verkündete sie. „Das wird uns bestimmt nützlich sein. Wenn es einen Menschen in die Flucht schlägt, dann sicher auch den ein oder anderen Vampir.“ 33 Frustriert streifte sich Spike seinen Mantel ab. Er landete auf dem schmalen Bett, bevor Spike sich neben ihn auf die Matratze warf. Auf der Seite liegend stützte er das Kinn auf der Handfläche ab, während sein gelangweilter Blick durch die kleine Kajüte wanderte. Es war ein Wunder, dass er sich in diesen vier Wänden überhaupt umdrehen konnte, so eng wie es war. Obendrein befand sich die Schlafkoje direkt gegenüber von den beiden Slayern. Nachdem er sich dazu hatte überreden lassen mit ihnen von Sunnydale aufzubrechen, um die Sichel zu finden und das Universum vor anderen seiner Art zu retten, hatten sie bereits ständig auf einem Haufen gegluckt, was ihm auf die Nerven gegangen war. Nicht nur, dass er nun diesen dummen Chip im Kopf hatte, der dafür sorgte, dass ihn niemand ernst nahm, Buffy und Faith befanden sich die meiste Zeit über auch in unmittelbarere Nähe. Selbst wenn Buffy es nicht war, war es nicht spannender an Bord dieser Blechbüchse. Die gesamte Crew war gegangen, um Vorräte zu kaufen, irgendeinen Bewohner dieses Kaffs aufzusuchen und Treibstoff ausfindig zu machen, aber es waren ausgerechnet Faith und River, die zusammen mit ihm dazu verdonnert waren, das Schiff zu hüten. Als ob Spike es kümmerte, wenn irgendjemand kam und es übernahm… Spike rollte sich stöhnend auf den Rücken und sah zu der eintönigen Metalldecke hinauf. Was würde er für eine dieser Zigarren geben, die er vor Tagen in Jaynes Kajüte gefunden hatte. Aber nicht einmal die waren ihm vergönnt, da ihr geliebter Captain sie einkassiert hatte, um… sie wahrscheinlich selbst zu rauchen. Seine Augen verdrehten sich. „Er sollte mir lieber dankbar sein“, murmelte Spike. „Ohne mich hätte er erst bemerkt, dass er sich einen Feind gemacht hat, wenn man ihm die Pistole gegen die Stirn gehalten hätte.“ Aber hier wusste ihn niemand zu schätzen, daran hatte er sich bereits gewöhnt. Solange der Chip der Initiative jedoch in sein Gehirn steckte, war er verwundbar, weil er sich nicht zur Wehr setzen konnte. Er konnte nicht einmal Blut trinken, obwohl er ein verdammter Vampir war! Die Wut brodelte wie Lava in seinem Bauch und seine Hände formten Fäuste, als er sich das blanke Gesicht des Wissenschaftlers vorstellte, der ihm den Chip eingesetzt hatte. Was würde er dafür geben diese Person in die Finger zu bekommen…! „Spikilein“, säuselte eine Stimme. Spike zuckte zusammen, entspannte sich jedoch wieder, als Faith im Rahmen der Tür zum Stehen kam, nicht dieser verflixte Übermensch, der ihn schon seit dem Erwachen aus seinem aufgezwungenen Schlaf terrorisierte. „Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“ Faith hob eine Augenbraue, als sie am Türrahmen lehnte. „Du siehst aus, als ob du einen bösen Gedanken gehabt hast.“ Spikes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Faith war noch schlimmer als Buffy und die blonde Slayerin strapazierte bereits seine Nerven. „Was willst du?“ „Was will ich, hm?“ Ein Finger tippte gegen ihre Unterlippe, die mit Lippenstift blutrot gemalt hatte, den sie wahrscheinlich von einer der Damen an Bord entwendet hatte. „Mir ist in den Sinn gekommen, dass wir einiges gemeinsam haben. Du und ich.“ Ein spöttischer Laut entwich seinen Lippen. „Seit wann das denn?“ Er schob die Ellenbogen unter sich, um sich hochzustemmen und Faith besser sehen zu können. Offensichtlich würde sie nicht so schnell wieder von dannen ziehen, nicht bevor sie aussprach, was ihr auf den Lippen lag. „Wir sind beide Außenseiter. Ganz besonders auf diesem Schiff.“ Faith lächelte. „Niemand nimmt uns hier für voll und alle treffen Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg. Sag mir nicht, dass du dich damit zufrieden gibst.“ Spikes Stirn legte sich in Falten. „Und? Was schlägst du vor, um das zu ändern?“ Jedenfalls ließen ihre Worte erahnen, dass sie etwas im Schilde führte. Sie wollte seine Hilfe bei dem, was sie ausheckte. Faiths Schultern zuckten. „Wir sind praktisch allein auf dem Schiff. Und wer sagt, dass wir unbedingt Buffy – geschweige denn die anderen – brauchen, um die Sichel zu finden? Wir wissen schon auf welchem Planet sie sich befinden soll. Stell dir vor, wie es wäre, wenn wir den bösen Dämon allein besiegen. Für wie überflüssig uns dann alle halten.“ Nun setzte sich Spike gänzlich auf und zog ein Bein an, um seinen Arm auf dem Knie abzustützen. Er ließ sich Zeit mit dem Antworten. Was Faith tatsächlich vorschlug war eine Meuterei aus zwei Personen bestehend. Die Idee reizte ihn, allein aus Prinzip heraus. Zu lange hatte er bereits den netten Schoßhund gespielt, den heldenhaften Vampir, obwohl es so etwas nicht gab. Andererseits… „Falls du es vergessen hast, es befindet sich noch eine andere Person an Bord.“ Obwohl es Spike niemals laut zugeben würde, hatte sich diese River seinen ungewollten Respekt erarbeitet. Er konnte sich noch sehr gut an ihren Umgang mit der Machete erinnern, als sie die Vampire auf dem Transportschiff niedergemetzelt hatte. Die scharfe Präzision ihrer Bewegung hatte ihn einsehen lassen, dass es im Moment besser für ihn war, sich von ihr fernzuhalten. Mit dem Chip war er schließlich nicht in der Lage ihr auch nur ein Haar zu krümmen, während sie jeder Zeit in seine Kajüte spazieren konnte, um ihm von hinten einen Pflock in den Rücken zu jagen. „Ich übernehme sie, da du ja… verhindert bist“, echote Faith seine Gedanken. Spike schnaufte belustigt. „Sorry dir das mitteilen zu müssen, aber du hast keine Chance gegen sie.“ Faith war gut, aber River… nun River befand sich auf einem ganz anderen Level als Faith oder auch Buffy, eine oder zwei lose Schrauben hin oder her. Außerdem verfügte sie über einen unerklärlichen sechsten Sinn, wie Spike wieder einmal bewusst wurde, als er ihren braunen Haarschopf um die Ecke lugen sah. „Du denkst allen Ernstes, dass-“, begann Faith, doch Spike räusperte sich. Ein Frösteln ging durch seinen Leib, als er Faith mit einem Nicken bedeutete, dass sie nicht länger unter vier Augen waren. „Eine Narbe…“, murmelte River und legte den Kopf schief, die Hände am Türrahmen, bevor sie sich an Faith in die Kajüte schob, als sei der Raum nicht auch schon so klaustrophobisch klein für jemanden, der in einem eisigen Gefängnis gelegen hatte, welches nicht größer als der nächstbeste Sarg gewesen war. Nicht einmal als Vampir gewöhnte man sich an manche Dinge, auch wenn die Gerüchte andere Sachen behaupteten. „Was laberst du da, Püppchen?“, murrte Spike, doch seine groben Worte konnten River nicht abschrecken. Stattdessen tapste sie mit lautlosen Schritten auf das Bett zu, bis ihre Knie, die unter dem weißen Sommerkleid, sichtbar waren, den Rand berührten. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht, als sie sich vorlehnte und den Arm nach ihm ausstreckte. Der Zeigefinger näherte sich Spikes Gesicht an und er drehte den Kopf weg, doch sie folgte seiner Bewegung, bis die Fingerkuppe sich gegen seine linke Augenbraue presste. „Du hast eine Narbe. Genau dort. Von einem Vampir? Oder… von einer Slayerin?“ „Das geht dich einen Scheißdreck an!“ Spike schlug ihre Hand weg, bevor er sich ächzend die Stirn hielt. „Was zum Teufel? Sollte man nicht wenigstens in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen? Ist das zu viel verlangt?“ Er drehte sich und drückte das Gesicht auf die Matratze, die Hand in das Laken gekrallt. Verdammt noch mal! Er konnte so nicht mehr leben. Was sollte er mit diesem verflixten Chip tun? Er war einfach kein richtiger Vampir mehr, kein richtiger Mann! Faith stieß ein kehliges Lachen aus. „Oh, du hast Spikilein kaputt gemacht.“ Eine Pause folgte, in der Spikes Gaumen juckten und sich seine Fänge ausfahren wollten. Bevor sie es konnten, kehrten die Kopfschmerzen doppelt so schmerzhaft zurück und er presste die Stirn härter gegen die weiche Unterlage. „Argh!“ „Weißt du was, Spike?“, fragte Faith. „Das war eine dumme Idee. In deiner Lage bist du nur ein Klotz am Bein.“ Schritte ertönten und verebbten, doch es war nur ein Paar, was bedeutete, dass River noch immer neben dem Bett stand. „Hast du Spaß daran, mir meine Situation unter die Nase zu reiben?“ Seine Stimme war gedämpft, aber die wackelnde Matratze verriet, dass River ihn gehört hatte. Schlimmer noch, dass sie sich neben ihm auf dem Bett niederließ. Womit hatte er das alles bloß verdient? Ihre Hand berührte seine Schulter und tätschelte sie, als wollte sie ihn beruhigen. Es war lachhaft, aber Spike unterdrückte den aufkeimenden Impuls um sich zu schlagen, wohl wissend, wie das enden würde. Ein Seufzen entrann seiner Kehle, schwer wie Blei. „Was habe ich dir jemals getan? Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ „Einer muss doch aufpassen, dass du keinen Unsinn anstellst“, wisperte sie, als wüsste sie um die Gedanken, die ihn im Kopf herumspukten, als hätte sie die Idee der Meuterei überhört. „Ich habe es Mal versprochen. Simon sagt immer, dass man Versprechen nicht brechen darf.“ Seine Schulter wurde weitergetätschelt, als wäre er ein Hund, der bellte, aber nicht biss. Dieses Mädchen war absolut durchgeknallt! Diese Worte lagen auf seiner Zunge. Bevor er sie jedoch aussprechen konnte, drangen neue Geräusche an ihre Ohren. Spike hob den Kopf bei dem bekannten Knallen. „Schüsse…“, murmelte er und Rivers Hand rutschte von seiner Schulter. Die Matratze wackelte erneut und ehe Spike den Kopf zur Seite drehen konnte, war River bereits aus seiner Kajüte geschlüpft. XII. Daniel Jackson. Das Blut. Kleidung. ---------------------------------------- 34 Daniel hatte schon eine Menge im Leben erlebt, aber von dem Besitzer eines Ladens, der übernatürliche Gegenstände verkaufte, mit einem Schwert bedroht zu werden, war eine komplett neue Erfahrung für ihn. Ein Funke Wahnsinn hatte in den Augen von Jonathan Hughes gelegen. Aber wer konnte es ihm verübeln? Wenn er auch nur annährend so viel über die Existenz der Vampire wusste wie Daniel, dann war es kein Wunder, dass er realitätsfern war. Auch er hatte zeitweilig an seinem Verstand gezweifelt. Zwar lag sein Interesse im kulturellen Bereich, der den Zweig der Mythologie beinhaltete, doch er war auch ein Mann der Wissenschaft und der Logik. Vampire entsprachen jedoch nichts von alledem. Trotzdem befand er sich nun auf diesem kleinen Planeten und alles in ihm schrie förmlich danach das kleine Buch, das Malcolm Reynolds und seine Begleitung in der Hand gehabt hatte, in die Finger zu bekommen. Zwar hatte er nur ein paar Wortfetzen aufgeschnappt, doch er war sich sicher, dass das Buch der Schlüssel zu einige seiner Fragen darstellte. Frustriert fuhr sich Daniel mit einer Hand über das Gesicht und ging im staubigen Sand auf und ab. Er blieb stehen. Sein Blick wandte sich der Richtung zu, in der sich Hughes‘ Laden befand, nur ein paar fast verdorrte Sträucher und Bäume verwehrten in die Sicht und versteckten ihn vor den Augen des Ladenbesitzers, der ihm sonst wahrscheinlich mit dem Schwert hinterher gejagt wäre. Aber er konnte jetzt nicht einfach eine Mitreisegelegenheit auf einem der Transportschiffe erhandeln und verschwinden. Nicht, wenn er mit jeder Faser seines Seins spürte, dass Reynolds etwas wusste, was seine Forschung vorantreiben würde! Daniel stieß einen frustrierten Laut aus und marschierte in die Richtung des Ladens zurück. Bevor er jedoch fünf Schritte gemacht hatte, hörte er Stimmen und sein Tempo verlangsamte sich. Sein Elan verpuffte und hinterließ Überraschung, als Reynolds und seine zwei Begleiterinnen eine Baumgruppe umrundeten und direkt in seine Richtung marschierten. Malcolm Reynolds humpelte leicht und trug einen Beutel, während die kleine, blonde Frau an seiner Seite ein Schwert und eine Axt trug. Doch Daniels Blick galt abermals dem Buch, das seine zweite Gefährtin in der Hand trug, dicht an ihre Brust gepresst, als sei es ein heiliger Gegenstand. Als beinhaltete es die Antworten auf Daniels Fragen. Tief durchatmend stellte er sich der Gruppe in den Weg, machte abermals mit einem Räuspern auf sich aufmerksam und schenkte ihnen ein entschuldigendes Lächeln. „Eigentlich bin ich nicht so aufdringlich, aber mein Anliegen ist mir wichtig.“ Malcolm Reynolds betrachtete ihn mit passivem Gesicht. „Das sagen alle aufdringlichen Leute. Wenn es um das Buch geht, kann ich dir versichern, dass wir es nicht kampflos aufgeben.“ Seine Hand rutschte zu dem Griff seines Revolvers an seiner Hüfte und auch die blonde Frau wirkte, als sei sie bereit von der Axt oder dem Schwert Gebrauch zu machen. Es war die dunkelhaarige Frau mit dem Seidenkleid, die vortrat. „Du sagtest, du warst auf Miranda. Was hat Miranda und die Herkunft der Reaver mit den Vampiren zu tun?“ Anders als ihre Crewmitgliedern war sie interessiert und bereit ihm zuzuhören. „Genau das möchte ich euch erklären“, erwiderte Daniel, war jedoch nicht bereit alle seine Karten auf den Tisch zulegen, ohne etwas im Gegenzug zu erhalten. „Ich denke, wir könnten uns gegenseitig einige Fragen beantworten und helfen.“ „Haben dir deine Eltern nie beigebracht, dass man sich nicht mit Fremden unterhält? Inara, Buffy, lasst uns gehen.“ Der Captain wollte weitergehen, doch Inaras Hand auf seinem Arm hielt ihn zurück. „Ich denke, wir sollten ihm zuhören, Mal.“ „Dieser Meinung bin ich auch“, sagte Buffy. „Immerhin ist er ein... was war das noch gleich?“ Daniels Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ein Doktor der Archäologie?“ „Genau. Jemand, der sich mit alten Ruinen und Geschichte und so auskennt“, erklärte Buffy. „Und zufällig suchen wir etwas, was mit diesen Dingen zu tun hat.“ Mal stieß ein Schnaufen aus und die Nachdenklichkeit auf seinem Gesicht verriet, dass er darüber nachdachte, ob an Buffys Worten etwas dran war oder ob er Daniel nicht einfach erschießen und somit das Thema im Keim ersticken sollte. Daniel verfolgte den Austausch mit Skepsis. Zudem schlich sich ihm der Gedanke auf, dass diese Buffy nicht wirklich wusste, was ein Archäologe eigentlich tat, sondern sich die Informationen aus dem Ärmel schüttelte. „Falls ihr nach etwas Bestimmten sucht, kann ich euch vielleicht helfen“, warf er dennoch auf gut Glück ein. Offensichtlich suchten sie nach etwas, genauso wie Daniel, der nach Erklärungen und dem Ursprung dieser Vampire Ausschau hielt. „Und warum sollten wir dir über den Weg trauen?“, fragte Mal und Daniel bekam das Gefühl, dass die Frage ernstgemeint war. „Es ist schon ein komischer Zufall, dass wir mitten im Nirgendwo jemanden treffen, der über die Vampire Bescheid weiß.“ Mals Mundwinkel hoben sich zu einem freudlosen Lächeln. „Wahrscheinlich arbeitest du für Boyd“, fügte er leiser hinzu, mehr zu sich selbst, als dass er mit Daniel sprach. Dieser runzelte die Stirn, denn er hatte keine Ahnung, wer dieser Boyd sein sollte. „Ich kann verstehen, dass du keinen Grund siehst, mir über den Weg zu trauen. Aber... mir geht es doch eigentlich genauso. Alles, was ich über euch weiß, sind die Geschichten, die man sich über die Crew der Firefly erzählt. Die meisten sprechen nicht einmal wirklich für euch. Trotzdem bin ich bereit mir ein eigenes Bild von euch zu machen – und dass sollte schon etwas heißen, denn ich bin eindeutig gerade im Nachteil.“ Sein Blick zuckte zu Buffy und dem Schwert und der Axt hinüber. „Und unbewaffnet dazu.“ „Er hat nicht unrecht, Mal“, bestätigte Inara und auch Mal konnte seine Worte nicht widerlegen. Tat er auch nicht. Stattdessen zog er den Revolver aus dem Halfter an seiner Hüfte und presste den Hammer mit dem Daumen nach hinten. „Du kannst uns zum Schiff begleiten. Dann reden wir. Eine falsche Bewegung – sollte es auch nur ein merkwürdiges Zwinkern sein, was mir nicht gefällt – und du wirst nie mehr eine Bewegung machen.“ Daniels hob die Hände in abwehrender Haltung, ließ sie auf halben Weg jedoch wieder sinken. Er schluckte. „Einverstanden.“ Soweit er das beurteilen konnte, durfte er das als einen kleinen Sieg verbuchen, denn all seinen Informationen nach zu urteilen, war Mals Beschützerinstinkt gegenüber seiner Mannschaft und seines Schiffes unheimlich ausgeprägt. Gemeinsam und mit einem anspannten Schweigen kehrten sie der kleinen Stadt endgültig den Rücken. Vermutlich hätte Daniel klar sein sollen, dass ein Raumschiff wie die Serenity irgendwo entfernt und versteckt gelandet war. Allerdings hatte er nicht geahnt, dass sie sich zwischen steilen Klippen in einer schmalen Schlucht befand, die nicht viel Platz zum Manövrieren bot. Andererseits wusste Daniel nichts vom Fliegen eines Raumschiffs. Die folgten einem schmalen, verwinkelten Pfad, der zwischen den Felsen entlang führte. Sie gelangten tiefer in die Schlucht hinein, bis die Steinwände hoch über ihre Köpfe ragten und selbst die Sonne aussperrten. Hier unten herrschten Schatten und die damit einhergehenden Temperaturen waren kühler. Das Raumschiff der Firefly-Klasse ruhte zwischen den Felswenden mit weniger als fünf Metern Abstand. Die hintere Rampe war ausgefahren und erlaubte einen Blick in den Laderaum der Serenity. Ansonsten wirkte das Schiff und die Gegend verlassen. Daniel öffnete den Mund, obwohl er nicht wusste, was er eigentlich sagen wollte. Bevor er jedoch einen Laut über die Lippen brachte, gesellte sich ein anderes Geräusch zu den von den Steinwänden widergegebenen Echo ihrer Schritte. Es waren Motorengeräusche, gefolgt von dem Knattern von Pistolen. Sie fuhren herum. Daniels Blick huschte die Erhöhung hinauf, die einen weiteren Pfad durch den Canyon bildete und breiter als der Weg war, den sie genommen hatten. Die Geräusche schwollen an. Daniel konnte schwören, dass er über den brummenden Motor auch das gelegentliche Wiehern von Pferden vernahm. Bildete er sich das ein? „Was zum Teufel…?“, begann Mal, beendete seinen Fluch jedoch nicht, als im selben Moment ein Rover die Erhöhung hinunter gesaust kam. Am Steuer saß ein blonder Mann mit gehetztem Gesichtsausdruck, während seine zwei Passagiere sich festhielten, jedoch duckten, um dem Kugelhagel zu entgehen. „Wieso kann nicht irgendwas mal ohne Komplikation von statten gehen?“, zischte Mal, bevor er Daniel am Arm packte und mit sich zur Serenity zerrte. Buffy und Inara folgten ihnen mit hastigen Schritten. Sie erreichten die Rampe, schafften es jedoch nicht hinauf, weil in diesem Moment der Rover auf sie zudonnerte. Daniel fiel seitlich mit seiner Tasche in der Hand auf den sandigen Boden. Der Rover sauste an ihnen vorbei die Rampe hinauf. Das Steuer wurde herumgerissen und das Gefährt fuhr einen bremsenden Schlenker, schepperte jedoch gegen einige hohe Kisten im Laderaum, ehe er zum Stehen kam. Doch Daniel blieb keine Zeit um durchzuatmen, da die Reiter auf ihren Pferden den Canyon erreichten. Sie galoppierten auf das Raumschiff zu. „Mach schon, Mister Archäologe!“, rief Mal, der auf die Reiter schoss und gleichzeitig mit Buffy und Inara die Rampe hinaufrannte. Daniel kämpfte sich auf die Beine. Eine Kugel sauste dicht an seiner Schulter vorbei und er stolperte in den schattigen Bauch der Serenity. „Schließt die Rampe“, befahl Buffy, die Schwert und Axt beiseite warf, da sie in einer Schießerei nutzlos waren. Der Mann, der den Rover geflogen war, sprang aus diesem hinaus und betätigte den Mechanismus an der Wand. Quietschend hob sich die Rampe, während Mal durch den letzten Spalt die restlichen Kugeln in seinem Revolver verschoss. „Tom, Cockpit!“, rief er. „Aye, Aye, Captain.“ Der blonde Mann im verschwitzten Hawaiishirt rannte die metallenen Stufen hinauf. „Und ihr könnt mir auch erklären, wer zum Teufel auf mein Schiff schießt, sobald wir nicht mehr in dieser Schlucht festsitzen“, richtete Mal das Wort an die anderen Passagiere des Rovers, bevor er dem Piloten folgte. Daniel wich von der geschlossenen Rampe weg, gegen die noch immer geschossen wurde, und ließ seine Tasche auf den metallenen Boden fallen. Kleine, metallene Explosionen waren zu vernehmen, die Daniel einen eisigen Schauer über den Rücken jagten. Eine Hand berührte seine Schulter und ließ ihn zusammenzucken. Im nächsten Augenblick wurde er bereits herumgerissen. Die Beine wurden ihm weggetreten und die Luft ihm beim Aufprall aus den Lungen gepresst. Ein schweres Gewicht ließ sich auf seinem Brustkorb nieder, bevor sich die kalte Klinge eines Küchenmessers gegen seinen Hals legte. „River, nicht!“, rief einer der Passagiere. Nur der besorgte Stimme des Mannes war es zu verdanken, dass sein Blut nicht floss. Das Mädchen, welches auf ihm hockte, starrte ihn mit blankem Gesichtsausdruck an. Sie nahm nicht die Augen von ihm, hielt jedoch inne. „Er... ist ein Eindringling“, murmelte sie, aber Inara tauchte neben ihr auf und nahm ihr mit sanften Fingern das Messer aus der Hand. „Daniel ist ein Gast“, beschwichtigte Inara sie, auch wenn River trotzdem keine Anstalten machte, von ihm herunterzugehen. 35 Sein Herz rumpelte in seiner Brust und Simon hatte Mühe sich auf seinen wackeligen Beinen zu halten. Es war merkwürdig, denn es war nicht seine erste Verfolgungsjagd gewesen. Seit seinem Betreten der Serenity wurde ihm schon nach dem Leben getrachtet und scheinbar würde er sich niemals daran gewöhnen. Bevor er realisierte, was er tat, brachten ihn zittrige Schritte zu River hinüber. Simon packte seine Schwester an den Oberarmen, um sie auf die Beine zu ziehen, weg von dem fremden Mann, der bäuchlings und eingefroren auf dem Boden lag. „Tut mir leid. River ist manchmal etwas überstürzt, aber sie meint es wirklich nur gut“, murmelte Simon, als der Mann sich ächzend aufsetzte und seine Brille richtete, die ihm halb von der Nase gerutscht war. „Ich schätze, wir sind alle gerade etwas angespannt“, erwiderte dieser und akzeptierte Inaras Hand beim Aufstehen. „Wir sind alle nicht von Kugeln durchlöchert. Das sehe ich als etwas Positives an.“ „Simon, River, das ist Daniel“, sagte Inara und Daniel hörte auf an sich hinunterzuschauen, als wollte er sichergehen, dass er auch wirklich keine Kugel abbekommen hatte. Stattdessen streckte er ihnen die Hand entgegen, die Simon mit gekräuselter Stirn schüttelte. „Daniel Jackson“, stellte er sich vor. „Ich bin Archäologe und—“ Ein Ruckeln, das durch das Schiff ging, unterbrach ihn und auch Simons besorgter Blick wanderte zu den Stufen hinauf, die zum Cockpit führten. Rivers Blick wanderte zu den Stahlwänden und ein Summen schlüpfte über ihre Lippen. „Wie eine Fliege, die versucht den Händen zu entkommen, die nach ihr greifen wollen…“ Obwohl Simon ihre kryptischen Worte gewohnt war, jagten sie ihm trotzdem manchmal einen eisigen Schauer die Wirbelsäule hinunter. Ganz besonders, wenn ihre Metapher ins Schwarze traf, denn sie waren wie Fliegen, die versuchten dem Tod zu entkommen, weil überall irgendjemand auf sie lauerte. „Wohin fliegen wir eigentlich?“, erkundigte er sich. „Weit, weit weg von hier, wenn uns unser Leben lieb ist“, murmelte Johnny, der erst jetzt mühevoll aus dem Rover kletterte und den Gehstock den Großteil seines Gewichts tragen ließ. „Wahrscheinlich Zoe, Jayne und Kaylee abholen“, antwortete Inara. Simon nickte. Kaylee… Er wandte sich ab und stieg die Stufen hinauf. Spike und Faith kamen ihm entgegen und die braunhaarige Slayer hob die Augenbrauen. „Was war jetzt schon wieder los? Hier auf dieser Blechbüchse wird es wohl nie langweilig.“ Doch Simon winkte ab, bevor er sich an ihr vorbeischob. Seine Beine trugen ihn instinktiv zum Cockpit, in dem sich Mal und Tom verschanzt hatten. „Es waren Boyd Crowders Leute“, platzte es aus Simon heraus. Mal nahm den Blick von den Konsolen. „Ich weiß.“ „Ich hab schon geplaudert“, sagte Tom über seine Schulter, während er die Serenity über die hohen Klippen flog, die den Planeten zwischen flacheren Ebenen ausmachten. „Oh“, entwich es Simon und er hielt sich fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Aber es war fast so, als ob sie auf uns gewartet hätten.“ Es hatte nur so von seinen Leuten gewimmelt, die sie bei ihren Einkäufen beobachtet hatten. Simon wusste nicht, wie lange sie ihnen auf dem Marktplatz hinterher geschlichen waren. Sie hatten erst auf sich aufmerksam gemacht, als sie sich auf den Rückweg gemacht und sie sich nicht länger zwischen engen Menschentrauben befunden hatten. „Boyd ist nicht dumm“, sagte Mal. „Er wird die ungefähre Route vorausgeahnt haben, die wir zu den Koordinaten nehmen, die er uns gegeben hat. Mit seinen Kontakten hat er vorgesorgt. Wahrscheinlich hat er geahnt, dass wir dahinterkommen, was sich in den Kisten befindet und dass wir irgendwo für Treibstoff halten müssen.“ „Kann es da nicht sein, dass Kaylee… ich meine, Zoes Gruppe in Gefahr schwebt?“, fragte Simon und seine Ohrenspitzen glühten. Sein Anbändeln mit Kaylee war kein Geheimnis auf dem Schiff, nicht seitdem seine Schwester es den anderen detailliert beschrieben hatte, aber… es war ihm immer noch unangenehm. Diese Sachen gingen niemanden außer Kaylee und ihn etwas an. „Deswegen machen wir uns auf den Weg zu ihnen, Doktor“, erwiderte Mal. „Aber falls es dich beruhigt: Die Wahrscheinlichkeit ist niedrig. Zoe und ich haben extra einen abgelegenen Ort gefunden, um Treibstoff zu kaufen. Von Leuten, die kein Interesse an dem Trubel der Stadt haben und auch keine Fremde willkommen heißen.“ „Aber sie werden uns hoffentlich willkommen heißen?“, warf Tom ein. Mals Mundwinkel hob sich. „Sagen wir so, Boyd ist nicht der einzige, der den ein oder anderen kennt.“ Das Funkgerät gab ein Knarzen von sich, als ob es nur darauf gewartet hatte, dass Mal seinen Satz beendete. „Sir?“, erklang Zoes Stimme verzerrt über den Funk. „Wenn man vom Teufel spricht...“, murmelte Tom, als Mal nach dem Funkgerät griff. „Zoe.“ „Das Shuttle ist aufgetankt“, sagte Zoe. „Und es gibt noch mehr Treibstoff, alles bezahlt und abgesprochen. Alle warten nur noch auf euch.“ Ein Grinsen huschte über Mals Lippen und er sah Simon mit gehobenen Augenbrauen an, bevor er antwortete. „Wir sind auf dem Weg. Serenity out.“ Anschließend wandte sich Mal gänzlich an Simon. „Doc, tu mir den Gefallen und behalt unseren Gast im Auge, während wir das Schiff auftanken. Er scheint eine Menge über Vampire zu wissen – und ich frage mich, wie er reagiert, wenn er bemerkt, dass wir einen an Bord haben.“ Die fehlende Sorge in seinem Tonfall sagte ihm, dass es Mal nicht schade um Spike finden würde, sollte ihm etwas zustoßen. Ihm selbst war der Vampir auch nicht sonderlich vertrauenswürdig, aber sie hatten nun die Verantwortung für ihn. Ein Seufzen entfloh Simon, ehe er sich abwandte. Daniel Jackson fand er im Gemeinschaftsraum, da Inara gerade dabei war ihm Tee aufzusetzen, während Johhny seinen Oberschenkel massierte und in die Richtung seiner Kajüte davonhumpelte. Inzwischen bestaunte Faith die gekauften Waffen, die Buffy ihnen präsentierte. Faith schwang die Axt mit Leichtigkeit und Simon machte einen Bogen um sie. River fehlte, fiel ihm auf. Die Abwesenheit seiner Schwester wog schwer auf ihm und ein Gefühl der Nervosität breitete sich ständig in seinem Magen aus, umso länger sie voneinander getrennt waren. Ganz besonders, wenn mal wieder jemand hinter ihnen her war. Schlimmer noch, wenn das Ende des Universums nahte. Simon hatte immer noch Schwierigkeiten damit, sich vorzustellen wie eine Gruppe von Vampiren ein Tor öffnete, um einen uralten Dämon zu befreien, der das gesamte Universum in Schutt und Asche legen sollte. Andererseits war da Spike, der sarkastische Sprüche verteilte, aber weder Herzschlag noch Puls besaß. Gerade für einen Mann der Wissenschaft, wie Simon einer war, war das ein Schlag ins Gesicht. Er fand Spike in der Krankenstation, dicht an die Wand gedrängt, während River wie eine Raubkatze vor ihm lauerte. „River...“, entrann es Simon, sein Tonfall leise, um sie nicht zu erschrecken, obwohl er meistens wusste, dass das nicht passieren konnte. River hatte einen sechsten Sinn, was die Anwesenheit von anderen anging, seine Anwesenheit eingeschlossen. „Hey, Doc, halt mir deine verdammte Schwester vom Leib!“, fauchte Spike und hob abwehrend die Hände. Sein Gesicht war verärgert, doch die Angst funkelte in seinen Augen. Würde Spike nicht andauernd mit all den Leuten prahlen, die er auf dem Gewissen hatte, hätte er glatt Mitleid mit dem Vampir gehabt. So aber ignorierte er die aggressive Bitte. „River, was machst du da?“, erkundigte er sich stattdessen, als er eintrat. Spike schnaubte. „Nach was sieht es denn aus? Mich belästigen, weil sie weiß, dass ich ihr nichts tun kann. Sie spielt unfair.“ „Er war ein böses Hündchen“, erklärte River über seine Proteste hinweg und kam ihm mit dem Gesicht so nah, dass ihre Nasenspitze nur Zentimeter von seinem Kinn entfernt war. „Das Hündchen hat furchtbaren Hunger. Er hat nach unserem... Gast gelechzt.“ Nun rollte Spike mit den Augen. „Gelechzt, aber nur aus der Ferne. Und ich nichts getan“, maulte er. Simon stieß ein Seufzen aus, als er das Problem erkannte. Vampire mochten Untote sein, aber natürlich brauchten sie auch eine Energiequelle. In diesem Fall war es nun mal Blut, von dem er seit seinem Erwachen noch nichts zu sich genommen hatte. Bei dem Gedanken erschauderte Simon, doch er konnte es auch nicht ignorieren. Er hatte einen Eid geschworen, Leben zu erhalten. Zählte das in diesem Fall? Das war eine Frage, über die man debattieren konnte. Fest stand jedoch, dass Spike mehr oder weniger ebenfalls ein Gast auf der Serenity war, ob ihnen das nun gefiel oder nicht. „River, es ist in Ordnung. Mit dem Chip kann er Daniel und auch keinem von uns etwas tun“, beruhigte er seine Schwester, bevor sein Blick an Spike festhielt. „Ich werde sehen, was ich machen kann, was das Blut angeht. Gibt es... Gibt es eine Blutgruppe, die du bevorzugst?“ Seine Ohrenspitzen glühten bei dieser dummen Frage, obwohl sie ihm nur halb so peinlich war, als wenn Kaylee ihn fragte, ob der Sex nicht gut gewesen war oder warum er ihr sonst aus dem Weg ging. Abermals ging ein bekanntes Ruckeln durch das Schiff, als es in den Landeflug ging und auf den Boden aufsetzte. Scheinbar hatten sie den Ort erreicht, an dem sie sich Treibstoff beschaffen würden. Simon war froh, sobald sie wieder die Atmosphäre hinter sich gelassen hatten. Das All kam ihm im Moment noch als der sicherste Ort vor, obwohl Vampire und allerlei Kriminelle auch dort lauerten. Spike stieß ein raues Lachen aus und holte ihn aus seinen unsinnigen Gedanken. „Im Moment ist mir selbst die Blutgruppe ganz egal.“ Er schob sich an River vorbei, brachte Abstand zwischen sie und richtete bedeutungsschwer seinen verschlissenen Ledermantel. Ein weiteres Seufzen steckte in Simons Kehle, als er darüber nachdachte, dass er sich wahrscheinlich Blut abzapfen musste, um den Vampir zu füttern. Von den anderen konnte er das nicht verlangen, obwohl ihm speiübel bei dem Gedanken war, dass er Spike sein Blut servieren würde. Kaylee würde wahrscheinlich irgendwelche aufmunternde Worte für ihn übrig haben, die vielleicht nicht immer viel Sinn ergaben, aber gutgemeint waren. Im Moment hätte er sie gut gebrauchen können. Spike trabte aus der Krankenstation und Rivers durchdringender Blick lag nun auf ihm. Er erwiderte ihn mit einem schwachen Lächeln, ehe er die Schubladen durchging, um die nötigen Utensilien herauszusuchen. 36 Es war ein guter Deal, den sie gemacht hatten. Stolz brodelte in Buffys Brust, als ihr Blick über die Waffenauswahl wanderte, die sie auf dem Tisch im Gemeinschaftraum ausgebreitet hatte. Natürlich war diese kein Vergleich zur Magic Box, die mit allen möglichen Waffen vollgestopft war. Diese paar Spielzeuge reichten auch nicht an all das heran, was sie bei sich getragen hatten, bevor sie der Initiative in die Hände gefallen waren. Doch all das war nun Schnee von gestern. Nun waren sie hier auf der Serenity und auf dem Weg um die Sichel zu bergen, die verhindern würde, dass das Universum in Chaos versank. Dann galt es nur noch den Orden des Masters zu eliminieren. Und danach… danach konnten sie endlich nach Sunnydale zurückkehren, zu Willow und Xanders, sogar zu Giles, dessen nervige Ratschläge und Weisheiten ihr inzwischen fehlten. „Nicht schlecht“, kommentierte Faith, welche die Axt herumschwang, als wog sie nicht mehr als ein gewöhnliches Brotmesser. „Hey, pass auf“, beschwerte sich Tom halbherzig, der sich zu ihnen gesellte. Er duckte sich, als die Klinge dicht über seinem Kopf hinwegsauste. „Mein Gesicht ist das Beste an mir. Ich will nicht, dass es verunstaltet wird.“ Doch das Grinsen kehrte bereits wieder auf seine Lippen zurück. „Ich bringe Geschenke.“ Die Tüten in seinen Händen hochhaltend reichte er Faith eine von ihnen, bevor er Buffy die andere präsentierte. Mit einem Lächeln zuckte er mit den Schultern. „Ich dachte, ihr wollt vielleicht mehr als nur eine Sache zum Anziehen haben. Ich hoffe, ich habe einigermaßen euren Geschmack getroffen. Simon und Johnny waren leider überhaupt keine Hilfe.“ Faith stieß ein belustigtes Schnaufen aus und zog eine Jacke aus rauem Leder und eine dunkle Hose aus der Tasche. Dass sie nur eine Augenbraue hob, aber nichts sagte, bestätigte Buffy, dass sie mit Toms Wahl leben konnte. Ihre eigene Tüte nahm Buffy eher zögerlich entgegen. Toms Augen leuchteten förmlich vor Aufregung und diese Erwartungen füllten sich bleischwer auf ihren Schultern an, obwohl es ihr eigentlich egal sein sollte. „Solange es passt, hab ich keine besonderen Wünsche“, sagte sie und zuckte mit den Schultern, bevor sie einen Blick in die Tüte warf. Der dünne Pullover und die Stoffhose waren in warmen Brauntönen gehalten und auch die Größe schien zu stimmen. Bei ihrem Anblick konnte sie das Blut in ihren Ohren rauschen hören. „Sieht gut aus. Danke“, fügte sie tonlos hinzu, bevor sie energisch die Tüte beiseite packte und sich stattdessen wieder den Waffen widmete. Mit scharfen Objekten konnte sie besser umgehen, als mit Menschen. Als mit Männern. „In der nächsten Trainingsstunde werden wir den Umgang mit den Waffen üben“, informierte sie Faith und Tom, sprach jedoch laut genug, damit auch Inara und Daniel sie hören konnten. Diese standen nahe der Kochnische und unterhielten sich im Flüsterton. Das alte Buch, das die Informationen über den Master und seinen Orden enthielt, ruhte in Daniels Händen, der es wie einen antiken, wertvollen Schatz in den Händen hielt. Buffy hatte nicht viel für Bücher übrig, aber in diesem Moment erinnerte sie der merkwürdige Archäologe an Giles. „Energiewaffen sind gut, werden gegen eine Horde Vampire allerdings nichts ausrichten“, erklärte Faith weiter und deutete sie auf die kleinen Fläschchen. „Das hier dagegen schon. Schütte einem Vampir ein bisschen Weihwasser ins Gesicht und sieh zu, wie gut er tanzen kann.“ „Tanzen…“, wiederholte eine tonlose Stimme hinter ihnen. „Ich würde sie gern tanzen sehen.“ Ihre Köpfe ruckten herum, als River und Simon den Raum betraten. Der Arzt folgte seiner Schwester zu ihnen hinüber und betrachtete die Waffen skeptisch, während River die Hand nach dem Schwert auf dem Tisch ausstreckte. Liebevoll fuhren ihre Finger über die scharfe Klinge. „Wo hast du dein Schoßhündchen gelassen?“, fragte Faith, doch River antwortete ihr nicht. Simon räusperte sich. „Er ist in der Krankenstation. Ich… ich glaube, er braucht Blut“, sagte dieser. „Ich glaube, er ist noch blasser geworden. Wenn das überhaupt noch möglich ist.“ „Oh, der arme Vampir ist am Verhungern...“, höhnte Faith. Buffy zog die Augenbrauen zusammen. Sie dachte nicht gern über Spikes Nahrungsaufnahme nach, aber es musste tatsächlich schon eine sehr lange Zeit her sein, seit er das letzte Mal Blut zu sich genommen hatte. Er würde nicht verhungern und sich dadurch in Asche auflösen, aber… so oder so musste es unangenehm für ihn sein. Sie war kein Freund von Spike, aber seine Hilfe könnte sich noch als nützlich erweisen, ob sie das nun gern zugab oder nicht. Ganz besonders jetzt, da sie es mit einem Schiff voller Amateure zu tun hatten, die sich entschlossen hatten, mit ihnen das Universum retten zu wollen. Buffy schätzte diese Entscheidung, aber sie war realistisch genug um zu wissen, dass sie wahrscheinlich nicht alle überleben würden. Spike verbesserte ihre Chancen jedoch. „Wir müssen etwas tun“, entschied sie, obwohl sie wusste, dass ihre Optionen nicht gut aussahen. „Ich habe überlegt, dass es vielleicht funktionieren wird, wenn wir alle… nun, etwas Blut spenden würden“, schlug Simon vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah blass um die Nasenspitze herum aus, doch seine Stimme war fest. „Damit sollten wir ihn auf den Beinen halten können, wenn wir ihn eine bestimmte Menge zu bestimmten Zeiten geben.“ „Und du wirfst mir immer böse Blicke zu, B, wenn ich Hundewitze mache. Dabei klingt dein Vorschlag auch so, als sei Spike irgendein Köter“, sagte Faith und stieß ein Lachen aus, bevor sie mit der Axt, die sie offenbar für sich beanspruchte, davonging. Tom, Simon und Buffy sahen ihr nach. „Dann fang mit mir an, Doc“, verkündete Tom und betrachtete seinen Arm, der durch das Hawaiihemd ohnehin unbedeckt war. „Ich hab Blutgruppe A. Hoffentlich liegt es ihm nicht schwer im Magen…“ „Das ist nicht witzig“, rutschte es über Buffys Lippen und sie bereute es sofort wieder. Toms Blick huschte zu ihrem Gesicht. „Machst du dir etwa Sorgen um meine Gesundheit?“, erkundigte er sich mit einem lockeren Lächeln auf den Lippen. „Simon ist ein guter Arzt“, sagte Buffy. „Er wird schon nicht zulassen, dass dir etwas widerfährt.“ Sie zog River den Schwertgriff aus der Hand und sammelte die Waffen ein, um diese irgendwo sicher zu verstauen. River mochte ein übernatürliches Talent für die Bekämpfung von Vampiren besitzen, aber so ganz vertraute Buffy ihr nicht mit einer Waffe in der Hand. „Was denkst du, Daniel?“, schnappte sie auf dem Weg aus dem Raum auf. Daniel sah von dem Buch auf und starrte Inara an. „Dass ich doch nicht verrückt bin und meine Theorien auf Realität beruhen, anstatt aus der Luft gegriffen sind“, sagte er ernst, doch Buffy hörte ein Hauch von Erleichterung heraus. Sie identifizierte sich mit diesem Gefühl, denn es gab oft Gelegenheit in denen Monster ihr versucht haben einzureden, dass sie den Verstand verloren hatte und in denen sie es wenigstens für eine kurze Zeit geglaubt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)