On the Rise von Votani ================================================================================ I. Angriff der Reaver. Cygnus. Der Pilot. ----------------------------------------- 1 Die Matratze, auf der Tom Paris lag, war hart und durchgelegen, jede einzelne Feder war spürbar. Sein Rücken würde ihm diese Unterkunft am Morgen danken, vorausgesetzt er schaffte es diese Nacht überhaupt noch Schlaf zu finden. Selbst durch das geschlossene Fenster drang noch das lauter und leiser werdende Summen von Elektrizität. Es stammte von den Straßenlaternen, welche die kleine Ortschaft mit einem flackernden Licht erhellten. „Das ist doch zum Verrücktwerden...“ Sich auf die Seite wälzend drehte sich Tom vom Fenster weg und zog die Decke bis zum Kinn hinauf. Selbst der vergilbte Vorhang vor der ebenso dreckigen Scheibe konnte das Licht nicht vollständig aussperren. Wieso es brannte, wenn keiner mehr draußen unterwegs war, war Tom ohnehin ein Rätsel. Für ihn war das ein Luxus auf den man verzichten konnte. Auf den meisten anderen Randplaneten gab es solche Dinge schließlich auch nicht. Erst als die Sirenen zu heulen begannen und auch die letzte Müdigkeit mit einem Schlag vertrieb, fiel Tom die Erklärung des Barbesitzers wieder ein: die Laternen wurden von demselben Generator wie auch das Sicherheitssystem angetrieben. Man konnte das eine nicht ohne das andere ausschalten. Tom saß aufrecht und schwang die Beine über den Rand der Liege, als er nach seinem Hemd griff, das über dem Stuhl des Zimmers hing. Er zog es über sein Muscleshirt und schnappte sich seine Pistole. Über den schrillen Alarm erhoben sich Schreie und Schritte auf dem Gang vor seiner Tür. Im nächsten Moment wurde sie aufgerissen. Tom zückte seine Waffe, doch nahm den Finger sogleich vom Abzug, als er den Eigentümer der Taverne erkannte. Panik lag auf dem bleichen Gesicht des Chinesen. „Sie sind hier! Reaver, sie sind hier!“ Huangs Stimme überschlug sich, als er diese Worte immer wieder auf Chinesisch wiederholte, fast so, als müsste er sich selbst von der Wahrhaftigkeit seiner Worte überzeugen. Tom kannte das Gefühl. Für einen Moment länger saß er auf der Bettkante, während die Sirenen heulten. Der Tavernenbesitzer wandte sich ab und rannte zum nächsten Gästezimmer, bis Tom dieselbe Nachricht noch einmal vernahm. „Reaver? Mitten in der Nacht?“ Trotz seiner Skepsis packte Tom den Revolver fester und stolperte aus seinem Zimmer und die Treppe herunter, die von den Räumlichkeiten zum Schankraum der Taverne führte. Im Gegensatz zu einigen Stunden zuvor war er nun wie ausgestorben. Stühle waren umgeschmissen worden und die Schwingtüren am Eingang bewegten sich, als seien vor kurzem Leute hindurchgerannt. Hinter Tom kündigte ein Poltern das Flüchten der anderen Gäste an. Ein Mann, den Tom gestern beim Dartspielen gesehen hatte, rempelte ihn an und rannte hinaus ins Freie, noch während er seine Hosenträger hochzog. Joggend folgte Tom ihm, wobei die Sirenen jeden seiner Schritte verschluckten. Das Firmament war wolkenlos und Sternenformationen, die Tom in der Akademie gelernt hatte, sahen schweigend auf sie herunter. Erst draußen in der klaren Nachtluft, welche die tagtägliche Hitze nicht mehr erahnen ließ, konnte Tom sie hören. Konnte er die Motorengeräusche eines Raumschiffes über die Sirenen hinweg vernehmen. Also doch Reaver...? „Auf was wartest du?“, schrie jemand hinter Tom. Er wurde am Arm gepackt und grob mitgezogen, weg von der Taverne und der kleinen Ortschaft. Es war der Tavernenbesitzer Huang, der mit der anderen Hand seine Tochter festhielt. „Wohin?“, presste Tom kurzatmig hervor, darauf bedacht, dass seine Pistole ihm nicht aus den schwitzigen Händen glitt. Der Chinese ließ von seinem Arm ab und deutete in die Ferne, in die Dunkelheit, in der sich die Berge nur als vage Schemen abzeichneten. Sie waren nur vom Mond erhellt, der sie zu perfekten Zielscheiben machte. „In den Bergen sicher. Sie mit Raumschiff nicht dort hinkommen“, erklärte der Alte, als sie gemeinsam über den Sand rannten, als sie mehr und mehr Bewohner aufholten, die sich ebenfalls zu retten gedachten. Das Geräusch von Motoren wuchs an, bis es in Toms Ohren dröhnte und seine Trommelfelle strapazierte. Anhalten tat er nicht, ebenso wenig wie er die Pistole wegsteckte. Strauchelnd rannten sie weiter und weiter, selbst noch, als das kleine Raumschiff über ihre Köpfe hinwegfegte und den Staub aufwirbelte. Als das Raumschiff ihnen den Weg in die Berge abschnitt und sie von dem grellen Licht der Scheinwerfer erfasst wurden. 2 Warum sich ein Planet auf den Namen Cygnus taufen würde, nach einem explodierten Stern, der ein schwarzes Loch hinterlassen hatte, war Mal ein Mysterium. Es trug etwas Kurzlebiges in sich. Dieser Eindruck legte sich auch nicht, als sie die Ortschaft erreichten. Verkommene Häuser und Hütten begrüßten sie mit so dreckigen Fenstern, dass jeder Blick ins Innere verwehrt wurde, wenn die Scheibe nicht gerade eingeschlagen war. Nur das unbeständige Summen von einigen Straßenlaternen war zu vernehmen, als hätte die Stromversorgung einen Kurzschluss. Der Wind wehte Sand genauso wie Müll durch die Gegend und Mal trat mit verzogenem Gesicht um den toten Hund herum, der mitten auf dem Weg lag. Er wirkte ausgetrocknet unter der brütenden Sonne, die auf sie herabbrannte. „Das arme süße Hündchen...“ Kaylees helle Stimme durchbrach die hier herrschende Stille. Sie ging neben Mal her, doch ihr Blick hing auch weiter an dem unter der Sonne verrottendem Tier. „Captain, wo sind alle?“ „Mh?“ Die Augen zu schmalen Schlitzen geformt, spähte Mal umher, bis sich sein Blick an die Taverne des Ortes heftete. Das Schild hing schief und die Schrift war zu verwittert, um den Namen zusammensetzen zu können. „Das sollten wir wohl herausfinden. Wenn man irgendwo Leute antreffen will, dann bestimmt in dem örtlichen Lokal.“ Zusammen mit Kaylee und Jayne, der sich mit grimmigem Gesichtsausdruck umsah, marschierten sie durch die leeren Straßen. „Irgendwas ist hier faul, Mal“, wisperte er verschwörerisch, als er zu seinem Captain aufschloss. „Das riecht man schon zehn Meilen gegen den Wind.“ Widersprechen konnte Mal ihm nicht. Die offenstehenden oder gar aus den Angeln gerissenen Türen der Hütten versprachen nichts Gutes. Genauso wenig taten es die allgemeine Verwüstung oder die blutigen Flecke im Sand, die ihren Weg kreuzten. Eine der Schwingtüren der Taverne lag angelehnt an der Wand. Auch nicht unbedingt vertrauensselig, das gab Mal zu. Das Schaben eines Stuhls über einen Holzboden ließ Mal von der Tür aufsehen und er schob sich gefolgt von seinen zwei Mitstreitern ins Innere. Der Sand knirschte auch hier noch unter ihren Schuhsohlen, war vom Wind hineingetrieben worden, während sich sämtliche Augen der wenigen Anwesenden auf sie richteten. Ein älterer, asiatisch abstammender Mann fegte Glassplitter zusammen, welche das Fenster zusammengesetzt hatten. Holzbretter und ein Hammer mit Nägeln lagen bereits auf dem Tisch daneben bereit. Ein anderer räumte das Regal hinter dem Tresen auf und zwei weitere spielten im hinteren Teil der Taverne eine Runde Billard, zusammen mit einem kleinen asiatischen Mädchen, das als Schaulustige beiwohnte. Geöffnet sah das Lokal nicht aus, doch mehr als argwöhnische Blicke folgten zunächst nicht; sie wurden nicht gebeten, wieder zu gehen. Einige Sekunden lang starrten sie alle einander an, bis der Chinese den Besen an die Wand lehnte und auf sie zu gehumpelt kam. „Was soll’s sein? Wir eigentlich nicht geöffnet haben, aber Joe von der anderen Bar hier ist tot. Wir die einzigen sind, die noch irgendwas anbieten.“ Er fischte ein Tuch aus der Hosentasche und wischte sich damit über sie schweißnasse Stirn. „Was ist mit Joe passiert?“, fragte Mal und sah sich vielsagend in der Taverne um, „und hier? Allgemein überall?“ Ganz Cygnus wirkte wie eine halbe Geisterstadt. Zudem war aus der Resignation des Besitzers herauszuhören, dass Joe nicht nur einen Unfall erlitten und eine Schießerei in der Bar stattgefunden hatte. Vielleicht war das aber auch Mals Paranoia. Er hatte einmal gehört, dass solche Sachen im Alter schlimmer wurden, obwohl er sich praktisch in der Blüte seines Lebens befand. „Reaver, Mister...?“ Mal zögerte. „Reynolds. Malcolm Reynolds.“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Reaver, wirklich? Hier?“ Zwar war sich jeder bewusst, dass das Reaver-Territorium sich nicht allzu weit von den äußersten Randplaneten befand, doch dass sie bereits nach Cygnus vorgedrungen waren, war überraschend. Jemand mit einem gesunden Menschenverstand hätte es sogar als beängstigend angesehen. Neben ihm rückte Kaylee ein bisschen dichter an Mal heran und aus den Augenwinkeln wurde erkenntlich, wie Jaynes Finger sich instinktiv um den Griff seiner Waffe festigten. „Verbreiten sich schlimmer als die Mäuse in den Feldern“, erwiderte der Tavernenbesitzer und humpelte hinter den Tresen, um sich selbst ein Whiskeyglas zu füllen und es in einem Zug zu leeren. Er schüttelte sich. „Selbst das Sicherheitssystem war nutzlos. Ruinieren mein ganzes Geschäft. Haben die Hälfte meiner Stammkunden getötet. Nein, die Hälfte aller Kunden. Shee-niou!“ Die Variation des chinesischen Fluchs erinnerte Mal an Jayne, doch bevor er diesem das zuflüstern konnte, ertönte bereits eine andere Stimme. Sie gehörte einem der Billardspieler, der eine Hand locker in die Hüfte gestemmt hatte und mit der anderen den Queue hielt. Sein blondes Haar war wirr und das weiße Hemd und die Hose waren schmutzig und an einigen Stellen zerrissen. Einen besseren Eindruck als diese Taverne oder der Rest von Cygnus machte er nicht. „Ich weiß nicht, was das waren, doch es waren eindeutig keine Reaver.“ Ein Pflaster, welches auf seiner Stirn klebte, verriet, dass auch er den Angriff nicht ganz unbeschadet überstanden hatte. „Reaver kommen nicht mitten in der Nacht.“ Geräuschvoll stellte der Chinese das Whiskeyglas auf den Tresen, doch seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Wir ihr Schiff gesehen haben. Die verbrannten Körper auf der Außenhülle ihres Schiffs. Männer... Frauen... Kinder...“ Der Mann, der zuvor die Flaschen und Gläser auf dem Regal sortiert hatte, kreuzigte sich rasch. Plötzlich war es so leise in der Bar, dass man jeden Schritt des Billardspielers umso deutlicher vernehmen konnte. „Aber wir haben die Reaver nie gesehen“, korrigierte er. „Wer oder was soll es sonst gewesen sein?“, brummte Jayne, der sich auf einen der Barhocker schob, aber Vera nicht losließ. Auch Kaylee setzte sich, nur Mal verweilte stehend, als der blonde Kerl sich zu ihnen gesellte. „Ich hab’ doch schon gesagt, dass ich das nicht weiß.“ „Viel wichtiger: wie habt ihr das überlebt?“, lenkte Mal ein, denn wenn man dem Schiff bereits so nah war, war es alles andere als ein Kinderspiel, sie wieder von ihrer Spur abzubringen. „Das war reiner Zufall, das sage ich dir“, erwiderte der blonde Mann, wobei sein Blick Kaylee erfasst hatte und er ihr zuzwinkerte. „Die Vibrationen des Schiffs müssen den Sand verschoben haben. Jedenfalls hat der Boden nachgegeben.“ Nun wanderte sein Blick zu dem Tavernenbesitzer herüber, der sich einen weiteren Whiskey gönnte. „Huang hier hält es nicht für nötig, Neuankömmlinge auf diesem Planeten zu unterrichten, dass sich unter der gesamten Umgebung uralte Tunnelsysteme befinden. Nicht zu vergessen, dass hier konstante Einsturzgefahr herrscht und mindestens einmal im Monat die Erde irgendwo nachgibt.“ Der Chinese zuckte in unschuldiger Manier mit den Schultern. „Schlecht für’s Geschäft. Leute immer sofort abreisen, wenn sie erfahren.“ Jayne zog die Füße vom Boden, als ob ihn das davor bewahren könnte, der nächste zu sein, der von einem Loch in der Erdoberfläche verschlungen wurde. „Aber das bedeutet nicht, dass man stirbt“, fasste Kaylee zusammen. „Immerhin lebt ihr ja noch, stimmt’s?“ Der Billardspieler schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Gut, dass Sie das anschneiden. Darauf wollte ich gerade hinaus, Miss.“ Bei dieser Bezeichnung und dem allgemeinen Siezen verschwand die Besorgnis vom Gesicht ihrer Mechanikerin und es hellte sichtlich auf. Sie hatte schon immer eine Schwäche für die feineren Dinge im Leben gehabt, obwohl sie noch immer einen Streifen Schmieröl von Serenitys Motoren am Hals trug. „Jedenfalls kennt Huang glücklicherweise den Weg aus den Tunneln“, fasste Tom mit dem Zucken seiner Schultern zusammen. Er lehnte mit dem Ellenbogen auf dem Tresen, während er mit der anderen Hand noch immer den Queue hielt. Huang beugte sich verschwörerisch vor. „Wissen wird in Familie weitergegeben. Meine Tochter“, sagte er und deutete mit der Hand zu dem kleinen Mädchen herüber, welche noch immer am Billardtisch stand und dem anderen Spieler bei seinem noch nicht vollendeten Zug zuschaute, „kennt ebenfalls Weg.“ „Aber wie auch immer, das erste Raumschiff das vorbeikommt, nehme ich. Wer weiß schon, wann die das nächste Mal hier aufkreuzen“, erklärte Tom und klopfte nach einem Brauch dreimal auf das Holz des Tresens. „Ich empfehle euch, dasselbe zu tun, wenn euch euer Leben lieb ist.“ Mit diesen Worten wandte sich der blonde Mann mit dem Queue ab, um zurück zum Billardtisch zu spazieren. Erst in diesem Augenblick fiel Mals Blick auf das verschlissene Abzeichen auf seinem Hemdärmel. „Gehörst du zur Allianz?“, fragte Mal, doch sein Gegenüber stieß nur ein verächtliches Schnaufen aus. „Nicht mehr – und stolz darauf.“ Sein Mitspieler trat vom Tisch zurück und überließ ihm das Spielfeld, welches jener studierte. Kurz sah Mal ihm nach, bevor er einen Blick zu Kaylee und Jayne riskierte. Die Verwirrung auf ihren Gesichtern verriet, dass sie das Zeichen nicht gesehen hatten, weshalb Mal ihnen zu bedeuten gab, zu warten, während er zu den Männern an den Billardtisch herüberschlenderte. „Aber du bist immer noch ein Pilot, oder nicht?“ „Ich bezweifele, dass das etwas ist, was man verlernen kann“, erwiderte der blonde Mann und warf ihm ein neckisches Grinsen über die Schulter zu, bevor er die weiße Kugel anvisierte. „Das ist gut. Erstaunlich gut sogar, wenn ich ehrlich sein soll.“ Zwar konnte niemand Wash ersetzen, doch Mal spielte schon seit einigen Wochen mit dem Gedanken, einen neuen Piloten anzuheuern. Er konnte immer noch die Gebirgskette vor seinem inneren Auge sehen, mit welcher die Serenity auf dem letzten Planeten beinahe kollidiert wäre. Sein Leben war buchstäblich vor seinen Augen abgelaufen und das wollte Mal nicht noch einmal erleben. Nicht auf seinem eigenen Schiff. So ungern er das zugab, waren weder River (besonders nicht River, die zu diesem Zeitpunkt auf dem Pilotenstuhl gesessen hatte) und er ein Ersatz für Wash. Er hatte ein Feingefühl für die Steuerung besessen, das ihnen fehlte. Es war, als hätte die Serenity ihm ins Ohr geflüstert, wenn niemand anderes im Cockpit mit ihm gewesen war. Bei Mal war das nicht der Fall, in solchen Momenten war er derjenige der flüsterte (meist auf Chinesisch dazu), aber ganz sicher nicht die Serenity. „Ich bin nämlich zufällig auf der Suche nach einem akzeptablen Flieger.“ „Ich bin kein akzeptabler Flieger.“ Er stieß die weiße Kugel an, welche am Rand des Billardtischs abprallte und wiederum zwei volle Kugeln traf, welche mit einem Poltern in der Tasche landeten. „Ich bin der beste Pilot, den man haben kann.“ Selbstbewusstsein schien er jedenfalls zu besitzen, Mal hatte mal gehört, dass so etwas auch beim Fliegen wichtig sein sollte. „Bedeutet das, dass du interessiert bist?“ „Lass mich nur dieses Spiel beenden, dann bin ich bereit zum Gehen, Malcolm Reynolds.“ Die Proteste seines Mitspielers überging er dabei, als er sich zu Mal herumdrehte und ihm die Hand hinhielt. „Ich bin Tom Paris.“ Mal schlug ein und seine Mundwinkel hoben sich zu einem siegreichen Lächeln. Und er hatte sich bereits Sorgen gemacht, dass die Landung auf Cygnus ein Fehler gewesen sein könnte. Allerdings hatten sie irgendwo ihre Vorräte aufstocken müssen, bevor sie ihren Job beendeten und ihre Ladung ablieferten. Nun hatte er obendrein noch einen neuen Piloten, der brillant fliegen konnte, wenn sein Talent hinter dem Steuer dem seines Mundes in nichts nachstand. Er musste das nur noch der restlichen Crew erklären, aber das hatte noch etwas Zeit. „Meinst du, Huang kann auf ein paar Vorräte verzichten?“, fragte Mal. Tom stieß ein Lachen aus. „Für den richtigen Preis würde er auch seine Seele verkaufen. Abgesehen davon haben wir die meisten seiner Gäste heute Morgen vergraben. Da wird er sich freuen, ein bisschen Umsatz zu machen.“ Nachdenklich sah Mal zu Huang herüber, der mit Jayne und Kaylee im Gespräch vertieft war, doch mehr als Wortfetzen konnte er nicht ausmachen. Er versuchte es auch nicht wirklich, denn in Gedanken ließ er Toms Worte noch einmal Revue passieren. „Reaver lassen keine Toten zurück“, stellte er fest und als er wieder aufschaute, hatte auch Toms Gesicht seine Gelassenheit verloren. „Das hab' ich doch gesagt. Das waren keine Reaver. Die Leichen waren noch vollkommen in Ordnung, nur ihre Kehlen waren aufgerissen. Und sie waren bleich. So bleich, als hätten sie keinen einzigen Tropfen Blut mehr im Körper gehabt.“ 3 Inara scrollte durch die Datenbank ohne auch nur ein einziges Mal anzuhalten und sich eines der Gesichter näher anzuschauen. Einen Zweck würde es ohnehin nicht erfüllen, solange die Serenity sich nicht in der Nähe einer dieser Planeten befand. Und wann hatten sie das letzte Mal überhaupt auf einem zivilisierteren eine Rast eingelegt? Inara erinnerte sich nicht. Wenn man mit Mal und seiner Crew unterwegs war, dann bestand das Leben hauptsächlich aus Wüstensand oder Schlamm, aus winzigen Ortschaften mit weniger gut betuchten Bewohnern, die sich die Leistungen eines registrierten Companions nicht leisten konnten. Mit einem lautlosen Seufzen beendete Inara ihre sinnlose Suche nach einem neuen Klienten und erhob sich aus dem Sitz vor der Steuerkonsole. Sanft strich sie das weinrote Gewand glatt, als ihr Blick durch das kleine Shuttle wanderte. Als sie Mal einst gesagt hatte, dass sie die Serenity verlassen würde, hätte sie nie damit gerechnet, zu ihr zurückzukehren und das Shuttle wieder zu bewohnen. Doch bekanntlicherweise kam es stets anders als man dachte. Das war ihr klar geworden, als der Agent der Allianz auf der Suche nach River in ihrem neuen Leben aufgetaucht und Mal im Tempel erschienen war, um sie retten. Nach dem Tod von Wash und dem Wiederaufbau der Serenity erschien es unmöglich, den Leuten, die ihr so an das Herz gewachsen waren, erneut den Rücken zu kehren. Doch was hatte Inara geglaubt? Dass all ihre Probleme einfach verschwinden würden? Dass Mal sie mehr zu schätzen wüsste und nicht länger auf ihre Position als Companion herzog? Oder dass sie wenigstens gelegentlich in einer Gegend ihre Geschäfte vollbrachten, in denen auch Inara arbeiten konnte? Am liebsten hätte sie aufgelacht, aber der Laut blieb ihr in der Form eines Kloßes im Halse stecken, als sie durch das Innere des Shuttles wanderte. Der süßliche Duft von Räucherstäbchen, der in der Luft lag, wurde von einer trockenen Hitze ersetzt, als die Tür sich zischend öffnete und Serenitys Laderaum preisgab. In ihm waren einige Holzkisten säuberlich auf der linken Seite aufgestellt, die Unmengen an Zigaretten enthielten, die zu drei verschiedenen Planeten geliefert werden wollten. Inaras Schritte hallten dumpf auf den Metallstufen wider, welche den Laderaum und diesen wiederum mit dem Rest des Schiffes verbanden, wurden jedoch von lauter werdenden Stimmen zunehmend verschluckt. Es sah ganz danach aus, als ob Mal, Jayne und Kaylee bereits zurück waren. Inara bettete die Arme auf das Geländer, als sie abwartete. Die untergehende Sonne brach sich in orangener Farbe auf der heruntergelassenen Laderampe, die erst die stickige Luft ins Innere des Schiffes ließ und über welche die Sandkörner hineintrieben. „Das ist sie?“, hörte Inara eine unbekannte Stimme fragen, bevor sie in Sichtweite waren. „Firefly-Klasse? Das neuste Modell ist es ja nicht. Soweit ich weiß, werden Fireflys nicht mal mehr hergestellt.“ „Serenity hat schon einige Jahre auf dem Buckel, das kann ich nicht bestreiten“, sagte Mal und allein aus dem geschäftlichen Ton konnte Inara heraushören, dass das kein Gespräch unter Freunden war. Dass er auf Cygnus überhaupt welche hatte, bezweifelte Inara ohnehin. Soweit sie wusste, hatte noch keiner der Crew jemals einen Fuß auf diesen kleinen Planeten gesetzt. Viel zu holen gab es hier ohnehin nicht, man fand ihn kaum auf der Sternenkarte. „Aber sie fliegt noch wie am ersten Tag, das kann ich garantieren“, fügte Mal hinzu. Ein belustigtes Schnauben des Fremden folgte. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass du nichts anderes fliegst. Ich bezweifele nämlich, dass es mit neueren Schiffklassen mithalten kann, wenn es um Schnelligkeit und Manövrierung geht.“ „Dafür interessiere ich mich nicht, Tom“, erwiderte Mal, und schon hatte Inara wenigstens einen Namen. „Ich suche nur jemanden, der sie in der Luft halten kann, wenn du verstehst, was ich meine.“ Einige Sekunden später erklomm die Vierergruppe bereits die Laderampe. Tom war ein junger Mann mit blonden Haaren und abgetragener Kleidung. Er trug eine Tasche in der Hand und mehrere Geldscheine hingen ihm aus der Hemdtasche. „Oh, ich verstehe, was du meinst...“, sagte er und ließ seine Fingerkuppen über Serenitys Wände gleiten, als müsste er den erwärmten Stahl einfach berühren. Kaylee winkte Inara breit grinsend zu, als sie entdeckt wurde. Inara erwiderte diese Geste mit einem sanften Lächeln, nur Mal schien sie nicht zu bemerken. Seine Aufmerksamkeit lag auf ihrem Gast und er hob erstaunt die Augenbrauen. „Wir sind also im Geschäft?“ Tom wandte sich Mal zu und verlagerte die Position seiner Tasche, um ihm die Hand reichen zu können. „So wie ich das sehe, kann ich nicht wählerisch sein, wenn ich von hier weg will. Und du kannst Gift darauf nehmen, dass ich keine weitere Nacht hier verbringen möchte.“ „Verständlich...“, murmelte Mal, als er Toms Hand schüttelte. „Abgesehen davon“, warf Tom ein und sah sich im Laderaum um. „Man hat nicht alle Tage die Möglichkeit ein antikes Raumschiff wie dieses zu fliegen.“ Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, welches ihn für einen kurzen Moment, in dem er seine Maske ablegte, wie ein kleines Kind wirken ließ. Nur Inara konnte es sehen, da er mit dem Rücken zu den anderen stand. Es wich auch sogleich wieder, als er sie bemerkte. „Und wer ist das?“, fragte Tom. Mal und Inara tauschten einen Blick aus, doch es war Kaylee, die sich nach vorn schob und antwortete. „Das ist Inara. Sie ist eine offizielle Companion.“ Der Stolz, der in dem Ton der Mechanikerin mitschwang, trieb Inara abermals ein Lächeln auf die Lippen. Bei Kaylee war das einfach, es passierte im Grunde ohne ihr Zutun. „Das ist bestimmt praktisch“, fasste Tom zusammen und das Grinsen wandelte sich zu einem faulen Schmunzeln, das wahrscheinlich charmant wirken sollte. Nur leider war sie dagegen immun, insbesondere wenn Mal im Hintergrund mit den Augen rollte. Mit langsamen Schritten stieg Inara die Treppe herunter, um mit ihrem neuen Crewmitglied, denn dies war offensichtlich geworden, Aug in Aug zu stehen. Er war einen Kopf größer als sie und überragte selbst Mal um ein paar Zentimeter. „Offizielle Companion, die mit dem Captain der Serenity festgelegt hat, dass sie keine Crewmitglieder als Klienten annimmt.“ Tom hielt auch ihr die Hand entgegen und als Inara ihm ihre reichte, küsste er ihren Handrücken in einer behutsamen Geste. Die Belustigung verweilte jedoch auf seinem Gesicht. „Zu schade, wirklich.“ „Gut, wenn das geregelt ist, solltest du vermutlich die restliche Crew kennenlernen“, unterbrach Mal. Er packte Toms Schultern und führte ihn die Treppen hinauf. „Dann haben wir das wenigstens hinter uns. Ich glaube nämlich nicht, dass ich dich ungesehen ins Cockpit schmuggeln kann.“ Anhand von Mals Worten wurde erkenntlich, dass auch er sich scheinbar bewusst war, dass die Nachricht um die Ergänzung ihrer Mannschaft nicht unbedingt bei allen Bewohnern Serenitys mit Wohlwollen empfangen werden würde. Washs Tod mochte nun einige Monate her sein, doch die Wunde war noch frisch und blutig. Besonders bei Zoe, die jeden Tag daran erinnert wurde, wenn sie in den Spiegel schaute. Inara selbst stand dieser Entscheidung positiv gegenüber, wenn sie an die ruckeligen Landungen in der letzten Zeit dachte. „Wie ich sehe, wart ihr erfolgreich“, entrann es Inara, als Kaylee mit ihr aufschloss und sie gemeinsam den zwei Männern durch die Gänge des Schiffes folgten. Jayne ging mit schleifenden Schritten hinter ihnen und murmelte ein „Ich mag den Kerl nicht“ in seinen Bart hinein. „Oh ja, Mr. Huang und seine Männer machen gerade die Vorräte fertig und bringen sie nachher sogar zur Serenity“, erklärte Kaylee. Inara strich Kaylee eine lose Haarsträhne hinter das Ohr, bevor sie sich bei ihr einhakte und ihren Erzählungen über Cygnus lauschte. Wie vermutet war es kein Ort, an dem man anständige Arbeit fand oder an dem man sich grundsätzlich auf längeren Zeitraum aufhalten wollte. Das galt besonders für das Einfallen der Reaver, die womöglich gar keine gewesen waren. Es erinnerte Inara an etwas, was sie nicht benennen konnte und sie die Stirn in Falten legen ließ. Die staubige Hitze wurde von einer klimatisierten Kälte ersetzt, die von Essensgeruch begleitet wurde. Zudem drang das Klappern von Geschirr an ihre Ohren. Es schien fast so, als seien sie ausnahmsweise alle pünktlich zum Abendessen beisammen. River verteilte Löffel und Schüsseln, während Simon Brotschalen auf dem länglichen Tisch abstellte und Zoe den Kochtopf vom Herd zog und ebenfalls herübertrug. „Zoe macht den besten Eintopf, den es gibt“, bemerkte Mal, als sie den Gemeinschaftsraum betraten. „Und hat die Kontrolle über das Schiff, wenn ich mal nicht da bin.“ Die Anwesenden sahen auf, wobei ihre Blicke sich sogleich an Tom hefteten. Verwirrung spiegelte sich auf dem Gesicht ihres Doktors ab. „Wer ist das?“ Inara, Kaylee und Jayne machten es sich derweil bereits am Tisch bequem, wobei letzterer den Brotkorb sich zu heranzog und sich eines herausangelte. Mal legte bedeutungsvoll einen Arm um Toms Schultern. „Das ist Tom Paris. Er gehört ab jetzt zu unserer Crew. Er wollte vom Planeten runter und er ist zufällig ein Pilot.“ Damit ließ er den blonden Mann stehen und sackte auf den Stuhl am Kopfende des Tisches, gerade in dem Moment, in dem Zoe den Kochtopf abstellte. Eine Hand war in die Hüfte gestemmt, während die andere auf ihrem Babybauch ruhte. „Ich mag ihn nicht“, sagte sie. Kein Muskel regte sich in dem Gesicht der Dunkelhäutigen und sie würdigte Tom auch nicht mehr als einen kurzen Seitenblick. Dieser stand noch immer etwas verloren im Türrahmen, während auch River und Simon sich setzten. „Ja, das scheint der allgemeine erste Eindruck zu sein“, bemerkte Mal freiheraus und auch Inara erinnerte sich daran, von Jayne etwas ähnliches gehört zu haben. „Dann ist es wahrscheinlich gut, dass die Entscheidungen des Captain endgültig sind.“ Mals Ton blieb locker und Zoe widersprach nicht, tat es nie. Tom heranwinkend bot Inara ihm den letzten leeren Stuhl neben sich an, den er dankend annahm. „Das ist ja eine nette Runde, die ihr hier habt“, entrann es ihm und obgleich des Grinsens auf seinen Lippen war es nicht schwer vorstellbar, dass es nicht die gewünschte Aufnahme in diese Mannschaft gewesen war. „Aber ich dachte, ich bin die neue Pilotin“, sagte River an Mal gewand, als Simon ihr Eintopf in die Schüssel schöpfte. Mal sah von dem Brot auf, von dem er gerade abgebissen hatte. „Den Titel hast du verspielt, als wir beinahe mit dem Berg kollidiert sind, Prinzeschen“, bemerkte er mit vollem Mund. Zoe nahm neben ihm Platz und füllte sich schweigend auf, bevor sie den Topf an Mal weiterreichte. „Das ist die beste Entscheidung, die Mal je getroffen hat, wenn ihr mich fragt“, brummte Jayne und River starrte ihn ohne ein Blinzeln von der anderen Tischseite an, was er mit finsterem Blick erwiderte. „Bedeutet mir aus deinem Mund eine Menge, Jayne“, antwortete Mal, bevor er sich räusperte und seine Stimme lauter wurde. Seine Worte galten Tom, während er mit dem Löffel auf Simon und River zeigte. „Das ist übrigens Simon, unser Schiffsarzt, und seine etwas seltsam geratene Schwester River, wie du sehr bald bemerken wirst.“ Tom hob die Hand zum Gruß, bevor Mal bereits fortfuhr. „Und nach dem Essen legen wir ab. Ich will nicht länger auf Cygnus bleiben, als es absolut nötig ist. Nicht nach dem, was hier gestern vorgefallen ist.“ „Was ist vorgefallen?“, fragte Simon und wischte sich mit der Serviette vorsichtig über die Mundwinkel. „Reaver...“, wisperte Jayne unter Rivers beständiger Beobachtung und er drehte sich von ihr weg. „Keine Reaver“, kommentierte Tom. Sein Löffel war auf dem halben Weg zum Mund eingefroren, als er Simon mit dem Blick fixierte. „Etwas anderes. Vielleicht sogar etwas Schlimmeres.“ Eine bedrückende Stille folgte, die nur gelegentlich von dem Schaben eines Löffels auf Porzellan begleitet wurde. „Was gibt es denn Schlimmeres als Reaver?“, fragte Simon irgendwann kleinlaut und auch Inara fuhr ein eisiger Schauer die Wirbelsäule hinab. „Keine Ahnung, aber ich will es auch ungern herausfinden“, antwortete Mal, „deshalb verschwinden wir hier.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)