Yoyogi von Harulein (Tsuzuku & Meto) ================================================================================ Kapitel 1: Harajuku ------------------- Er saß jeden Samstag hier, in einem kleinen Café in der Nähe des Yoyogi-Parks, trank eine Tasse Kaffee und beobachtete die Menschen, die auf dem Weg in den Park vorbeizogen, bunt und kreativ gekleidet ihr Wochenende in dieser grünen Lunge Tokyos und im angrenzenden Harajuku verbrachten. Lolita, Decora, Oshare Kei … er kannte die Namen vieler dieser Modestile, trug er doch selbst Kleidung, die sich zum Visual Kei zählen ließ. Oft ging er, wenn er seinen Kaffee ausgetrunken, ein kleines Stück Kuchen gegessen und beides bezahlt hatte, noch auf ein paar Schritte in den Park, mischte sich unter die pastellfarben bis schwarz gekleideten Jugendlichen und beobachtete, wie sie auf dem Rasen picknickten, sich unterhielten, Fotos machten und selbst fotografiert wurden. Auch heute ging er nach dem Cafébesuch in den Park, setzte sich auf eine Bank unter die grünen Kirschbäume und richtete den Blick zuerst einmal auf eine recht große Gruppe Sweet Lolitas, die sich in ihren teuren Kleidern auf einer großen Decke niedergelassen hatten und gerade Kekse und Teeflaschen aus ihren Rollkoffern holten. Es war ihm unmöglich, das Alter der Mädchen zu erkennen, sie sahen in ihren mit kindlichen Motiven geschmückten, bauschigen Röcken alle wie siebzehn aus. Eine Weile beobachtete er sie einfach nur. Ein Stück weiter hinten hatte sich eine Gruppe Bangya um einen knorrigen Kirschbaum geschart und zwei aus dieser Gruppe waren in die niedrige Gabelung des Stamms geklettert, um sich in dieser Pose fotografieren zu lassen. Zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Gruppen war eine freie Fläche und etwa eine Viertelstunde, nachdem Tsuzuku sich auf die Parkbank gesetzt und mit seiner allsamstäglichen Beobachtung begonnen hatte, erschien am Rand der Wiese eine Gothic Lolita mit Sonnenschirm, die quer über den Rasen spazierte und schließlich genau zwischen den Sweet Lolitas und den Bangya ganz für sich allein eine kleine Decke ausbreitete, sich setzte und begann, ihre Tasche auszupacken. Fast schien es so, als könnte sich dieses Mädchen nicht entscheiden, ob sie in ihrem schwarzen Rüschenkleid zu den dunkel gestylten Visual Bangya oder doch zu den zuckersüßen Lolitas gehörte. Sie schien jedoch für sich allein bleiben zu wollen, passte hier nicht und dort nicht, schien auch nicht passen zu wollen. Und genau dieses ‚Nicht-passen-wollen‘ war es, das Tsuzukus Interesse weckte. Weil es ihm bekannt vorkam, sehr bekannt. Weil er das von sich selbst kannte. Auch er kleidete sich gern aufwändig, gehörte jedoch zu keiner Gruppe. Er beobachtete Menschen lieber, als sich ihnen anzuschließen. Jeder soziale Kontakt bedeutete Stress für ihn, doch genauso sehr hatte er Angst vor dem Alleinsein. Deshalb hatte er sich diese Beobachtungen von Menschen angewöhnt, als eine Art Mittelweg, der ihn jedoch nur zum Teil zufriedenstellte. Er war ein Mensch-für-sich-allein, der sich nirgends wirklich zugehörig fühlte. Doch jeder sehnt sich nach sozialem Kontakt, da bildete er keine Ausnahme. Diese Lolita da auf der Wiese drückte Tsuzukus Gefühle so deutlich aus, dass es fast einem Spiegel gleichkam: Er hier allein auf der Bank, sie dort drüben genauso allein auf ihrer Decke. Er konzentrierte seinen Blick nun vollkommen auf dieses Mädchen, prägte sich ihr Aussehen ein, alles was er aus dieser Entfernung erkennen konnte: Sie hatte hellblond gefärbtes Haar, zu kinnlangen Korkenzieherlocken aufgedreht und mit einer großen, schwarzen Schleife mitten auf dem Kopf geschmückt. Unter dem schwarzen Trägerkleid trug sie eine schwarze Bluse mit langen Ärmeln (trotz der Frühlingswärme) und sogar Handschuhe aus schwarzer Spitze. Ihren dunklen Sonnenschirm hatte sie neben sich liegen, genau wie die ebenso schwarze Handtasche, deren Inhalt auf der Decke ausgebreitet war: Eine kleine Kosmetiktasche, ein paar Kleinigkeiten, ein Handy, ein Buch mit Stift und ein flauschiger, schokoladenbrauner Teddybär. Irgendwann stand das Mädchen auf, strich seinen Glockenrock glatt und zog die klobigen Plateauschuhe aus. Als sie sich wieder setzte, nahm sie ihren Teddy in die Hände und es sah aus, als würde sie mit ihm sprechen. Durch das Geschnatter der Sweet Lolitas konnte Tsuzuku jedoch keinen Ton hören, geschweige denn etwas verstehen. Eine Weile saß er einfach da und beobachtete diese Gothic Lolita, die seine Blicke zunächst noch nicht bemerkte. Sie faszinierte ihn einfach unheimlich, sodass er sich beinahe schon wie ein Stalker vorkam. Sein erster Eindruck von Ähnlichkeit blieb, da sie auch weiterhin so nicht-passend und auf dieselbe Art allein wirkte wie er. Doch dann blickte sie von ihrem Teddy auf, sah sich um und ihr Blick blieb an ihm hängen. Zum ersten Mal sah er ihre Augen: Riesige, dunkle Augen! Sie trug große, schwarze Sclera-Kontaktlinsen, dazu lange Kunstwimpern unter den Augen, und links und rechts auf den Wangenknochen schimmerte etwas metallisch im Sonnenlicht. Ihr Mund war breit, die Lippen voll und mit glitzernden Piercings geschmückt. „Sie hat mich gesehen“, dachte er nur, während ihn die großen dunklen Augen unentwegt anstarrten. Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen. Es war unhöflich, jemanden so zu beobachten. Sie packte ihre Sachen zusammen, stand auf und ihm fiel etwas auf, das er vorhin, als sie den Yoyogi-Park betreten hatte, noch nicht bemerkt hatte. Er konnte nicht genau sagen, was es war, doch die Art, wie sie ihre Schuhe anzog und dann (ach du Schreck!) langsam auf ihn zu kam, war ungewöhnlich. Irgendetwas daran passte nicht so recht zu dem wippenden Petticoat und den hohen Plateauschuhen. Eine Kleinigkeit, die Tsuzuku noch nicht definieren konnte. Das Mädchen ging in großem Bogen um die Gruppe Sweet Lolitas herum, erreichte den Parkweg und blieb in einiger Entfernung von Tsuzuku stehen, den Teddybären mit einem Arm an sich gedrückt, in der anderen Hand den zusammengeklappten Sonnenschirm. Sie starrte ihn weiter an, doch er konnte ihr kaum in die Augen sehen. Deshalb blickte er auf ihr Kleid und bemerkte, dass ihr Oberkörper flach, sehr flach war. Das war es! In diesem Kleid steckte kein Mädchen, sondern ein Junge! Der Junge bemerkte seinen Blick, starrte ihn noch einmal stumm an, drehte sich dann um und lief mit eiligen Schritten davon. Tsuzuku blieb noch eine Weile sitzen, dann stand er auf und ging in Richtung der großen Brücke davon. Er hoffte, in der Menge derer, die sich dort fotografieren ließen, den weiblich gekleideten Jungen vielleicht noch einmal zu entdecken, doch als er dort entlangging und sich dabei genau umsah, war auch hier keine Spur von dem schwarzen Kleid und dem Teddybären zu sehen. „Vielleicht kommt er morgen wieder“, hoffte er und machte sich auf den Weg nach Hause. Kapitel 2: Meto --------------- Bisher hatte Tsuzuku die Gegend um Harajuku und den Yoyogi-Park immer nur am Samstag besucht, genau im Abstand von sieben Tagen. Doch am nächsten Tag machte er sich wieder auf den Weg. Dieses Mal ließ er den Café-Besuch sein, stattdessen spazierte er durch die Takeshitadori, wo sich selbst am Sonntag die Menschen drängten: Harajuku-Girls, gewöhnliche Menschen und auch einige Leute aus dem Westen. Als er den Ausgang der Straße zum Park hin erreichte und weiter in Richtung der Brücke ging, achtete er genau auf jede auffällig gekleidete Person, suchte nach dem Jungen im Kleid. Auch, wenn es gut sein konnte, dass dieser heute ganz anders aussah, sich vielleicht in einem vollkommen anderen Stil gekleidet hatte als gestern noch. Auf der Brücke war viel los. Sweet Lolitas, Gothics und Visual Kei-Cosplayerinnen lieferten sich ein Wett-Schaulaufen um die Fotografen, die entweder von Szene-Modezeitschriften oder aus dem Westen kamen. Tsuzuku suchte sich einen Weg durch die Menge, möglichst ohne den Fotografen ins Bild zu laufen, und hielt dabei weiter Ausschau nach den blonden Korkenzieherlocken. Er erreichte den Park und ging zu der Bank, auf der er am Tag zuvor gesessen hatte. Doch heute war die Wiese davor leer. Weiter entfernt saßen einige Gruppen und Tsuzuku näherte sich ihnen, jedoch nur, um festzustellen, dass niemand dabei war, der dem Jungen ähnelte. Optisch, sicher, da gab es viele, doch keiner von ihnen hatte diese Ausstrahlung, die ihn so fasziniert hatte. Tsuzuku setzte sich wahllos auf irgendeine Bank und wartete. Worauf? Darauf, dass der Junge vorbeikam und wieder vor ihm stehen blieb? Dass er ihn ansprach und sich etwas ergab, ein Gespräch, ein sozialer Kontakt? Wollte er das denn? Kam er nicht deshalb jeden Samstag hierher, um unter Menschen, und doch anonym und allein zu sein? Was wollte er, der sozialen Kontakt als harte Arbeit empfand, denn auf einmal mit jemandem anfangen, worüber wollte er reden? Doch der Junge hatte ganz und gar nicht wie jemand gewirkt, mit dem man einfach so sprechen konnte. Er hatte genau den Eindruck gemacht, den Tsuzuku erblickte, wenn er sich selbst im Vorbeigehen in einem Schaufenster spiegelte: willentlich allein und unnahbar. Er starrte auf den Boden, wartete auf alles und nichts. Bis ein Schatten vor ihm auf den sonnenbeschienenen Weg fiel. Ein menschlicher Schatten. Er blickte auf. Dasselbe schwarze Kleid. Dieselben blonden Locken. Derselbe Teddybär und dieselben riesigen, schwarzen Augen. Die ihn unverwandt ansahen. Der blassrosa geschminkte Mund öffnete und schloss sich ohne einen einzigen Ton. Die Piercings schimmerten in der Sonne. Zwei unter den Augen, vier um den Mund herum. Sicher hatte er auch in den Ohren welche, doch die wurden von den blonden Locken verdeckt. „Tut mir leid… dass ich dich gestern so angestarrt habe…“, brachte Tsuzuku verlegen heraus. Der Junge blinzelte. Öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Es sah aus wie „Schon okay.“ Dann zog er einen Notizblock mit Stift aus seiner Tasche und kritzelte etwas darauf, um es Tsuzuku hinzuhalten: „Hat dir mein Kleid gefallen?“ Tsuzuku versuchte ein Lächeln und nickte. Offensichtlich wollte der Junge aus irgendeinem Grund nicht sprechen und sein Schweigen war in diesem Moment ansteckend. Sie sahen sich an, der Junge blieb stehen und Tsuzuku saß auf der Bank. So vergingen einige Minuten. Schließlich raffte Tsuzuku sich auf. Die Stimmung lockern, sozial kompetent wirken, darum ging es und er hatte im Laufe seines Lebens trotz seiner Schwierigkeiten Übung darin bekommen, zumindest so zu tun. Ein paar Meter weiter gab es einen Crêpes-Stand und er bekam langsam Hunger. Also zeigte er in die Richtung und fragte: „Magst du auch?“ Der Junge blinzelte zögernd, sah ihn an und nickte dann. Wenig später standen sie vor der Auslage mit den Plastik-Imitaten. Der Lolita-Junge deutete auf den aus Plastik nachgebildeten Erdbeer-Schokoladen-Crêpe und Tsuzuku fiel auf, wie praktisch diese Auslagen für jemanden waren, der nicht sprach. „Sie wünschen?“, fragte die Bedienung hinter dem Tresen. Sie trug ein hübsches Kostüm, das zwar recht dezent war, jedoch auch gut zu den Outfits der Jugendlichen im Park passte. „Einmal das Crêpe mit Sirup und einmal das mit Erdbeeren und Schokolade.“ Als sie dann zu zweit an einem der Tische vor dem Stand saßen und aßen, fragte Tsuzuku: „Hast du auch einen Namen?“ Der Junge nickte. Er nahm wieder Block und Stift in die Hand und schrieb, diesmal sorgfältig und mit einer kleinen Katze verziert „me+0“ und daneben die Katakana für „Meto“. Dann schob er Tsuzuku das Blatt hin. „Soll ich dir meinen Namen hinschreiben?“ Meto nickte und reichte ihm den Stift. Tsuzuku (der Name war übrigens ein Pseudonym) schrieb das Kanji-Zeichen mit den passenden Furigana unter Metos Namen. Da dessen Name sicherlich auch nur ein Nickname war, war es sicher kein Problem, den wahren Namen weiter zu verschweigen. Hauptsache, sie hatten etwas, womit sie sich ansprechen und benennen konnten. Wobei „ansprechen“ für Meto wohl eher ein „anschreiben“ war. Sie verbrachten den ganzen Sonntagnachmittag zusammen. Tsuzuku fragte Meto etwas, dieser antwortete mithilfe seines Notizblockes. „Trägst du oft Lolita-Kleider?“ „Fast immer. Sonst Visual Kei.“ „Hat dein Teddy einen Namen?“ „Ruana.“ „Wie alt bist du?“ „Achtzehn.“ „Kommst du oft hierher?“ „Hin und wieder.“ „Immer allein?“ „Ja.“ Dann begann Meto, Fragen zu stellen. Er schrieb sie auf den Zettel und Tsuzuku antwortete. „Und du? Wie oft bist du hier?“ „Jeden Samstag. Und heute.“ „Warum kommst du her?“ „Nun ja… ich beobachte die Menschen…“ „Wegen der Kleider?“ Tsuzuku wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Der Grund, warum er seine Samstage im Yoyogi-Park verbrachte, kam ihm doch recht privat und seltsam vor, deshalb fiel es ihm schwer, darüber zu sprechen. Er konnte ja nicht einfach sagen: „Ich beobachte die Menschen, weil ich sie nicht zu nah an mich heranlassen kann. Ich will aber auch nicht alleine sein, deshalb halte ich diese Distanz und sehe ihnen aus der Ferne zu.“ Nein, das konnte er nicht sagen. Meto nickte, als würde er verstehen. Vielleicht ging es ihm ähnlich, Tsuzuku hatte das ja schon vermutet. „Warum kommst du denn her?“, fragte er den Jungen schließlich. „Hier kann ich anziehen, was ich möchte. Keiner schaut dumm, weil hier ja alle so aussehen. Und ich mag die Musik, die dort hinten gespielt wird.“ Er deutete in Richtung Norden, wo sich an einem der Parkwege ein Platz befand, auf dem samstags und sonntags kleine Rock- und Metalbands spielten. Auch heute schallte von dort Musik herüber, die die Atmosphäre der Bangya-Gruppen auf der Wiese unterstrich. „Wollen wir hingehen?“, fragte Tsuzuku. Ein paar Mal schon war er dort gewesen, hatte zugehört und auch schon einmal eine Demo-CD von einer der Bands bekommen. Meto nickte, packte Block und Stift ein und nahm seinen Teddy. Zusammen gingen sie an den auf den Wiesen lagernden Gruppen vorbei, immer der Musik entgegen. Musik, vor allem Rock und Metal, spielte in Tsuzukus Leben eine große Rolle. Zwar gehörte er keiner Band an, doch er konnte singen und es war wohl keine Angabe, wenn er von sich behauptete, recht gut zu sein. Wenn er zu Hause war, schaltete er als erstes die Musikanlage an, denn bei Musik ließen sich seine Gedanken besser ordnen, seine Ängste noch am ehesten kontrollieren und er konnte das Leben ein wenig genießen. Als sie die Stelle erreicht hatten, bemerkte er etwas, das ihn ein wenig verwirrte: Meto hatte nicht dieselbe Wirkung auf ihn wie andere Menschen. Normalerweise hätte er längst eine sorgfältig zu verbergende Panikattacke gehabt, welche ihn für gewöhnlich bei mehr als zwanzig Minuten des Kontaktes mit Fremden heimsuchte. Doch mit Meto hing er nun schon seit über einer Stunde zusammen und bisher war von seiner sonstigen Sozial-Angst so gut wie nichts zu spüren. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Meto nichts sagte und dass Schreiben nicht so spontan und damit leichter zu handhaben war. Er spürte einen leichten Zug am Ärmel und sah den Jungen an. Dieser zeigte auf das Schlagzeug der Band vor ihnen und lächelte. „Magst du Schlagzeuge?“, fragte Tsuzuku. Meto nickte strahlend. Dann zog er seinen Block aus der Tasche, schrieb etwas auf, und als der Song zuende war, ging er zum Drummer hinüber und zeigte ihm den Zettel. Der musterte ihn zuerst ein wenig, lächelte dann aber und stand auf. Meto stellte seine Tasche ab (er hatte heute weder Schirm, noch Handschuhe dabei), setzte Ruana daneben und sich selbst hinter das Schlagzeug. Schon daran, wie er die Drumsticks in die Hände nahm, erkannte Tsuzuku, dass Meto wusste, was er tat. Und als er zu spielen begann, stand dem Älteren vor Überraschung der Mund ein Stückchen weit offen. „Wow…“, entfuhr es ihm leise, während er auf die puppenhafte Gestalt starrte, die das Schlagzeug mit einem Tempo und Können spielte, wie er es bisher nur selten gesehen hatte. Einige Minuten lang dauerte Metos improvisiertes Schlagzeugsolo, dann stoppte er plötzlich, legte die Sticks beiseite, schenkte dem Drummer der Straßenband ein strahlendes Lächeln und hob seine Sachen wieder auf. Vorbei an den Leuten, die ihn begeistert anstarrten, ging er zu Tsuzuku zurück und grinste stolz. „Du bist ja wahnsinnig gut!“ Wieder wurden Block und Stift gezückt: „Danke! ^^ Ich wollte dir das gern zeigen.“ „Warum denn?“ Meto brauchte eine Weile für die Antwort, doch dann schrieb er: „Wenn ich nicht gerade hier bin und diese Kleider trage, spiele ich Schlagzeug. Ich hab zu Hause den Keller ganz für mich.“ Tsuzuku staunte. Über sich selbst, über Meto, über die ganze Welt. Da war er gestern genau wie immer hier her gekommen, hatte seine aus Einsamkeit und Angst entstandenen Rituale gepflegt, und auf einmal war dieser schweigende Junge in seinen Alltag geplatzt, taute ihn innerhalb kürzester Zeit auf und gab ihm ein Gefühl des „ein-wenig-Sozial-seins“, das er bisher kaum gekannt hatte. Doch so sehr er dieses neue Gefühl auch genoss: Er konnte sich nicht so einfach von seinen Ängsten lösen, konnte die gewohnten, eher negativen Gedanken über Menschen nicht einfach abwerfen. Und so zog er innerlich die vertraute Fassade wieder ein Stück hoch, schützte sich und beschloss, alles, was sich nun ergeben würde, weiterhin langsam anzugehen. Als es irgendwann langsam dunkel wurde, gingen sie zusammen zur Bahnstation. „Ich muss nach Adachi.“ schrieb Meto auf seinen Block. „Meine Wohnung ist in Ichigaya“, antwortete Tsuzuku. Das lag in der anderen Richtung. Die Bahn nach Adachi kam zuerst und Tsuzuku sah Meto nach, bis dieser in der Menge der Menschen im Abendverkehr verschwand. Er wusste, wenn er am nächsten Samstag wieder in den Yoyogi-Park gehen würde, dann würde er Meto wiedersehen. Und Meto wusste es umgekehrt genauso. Kapitel 3: Hikikomori --------------------- Meto kam spät abends zu Hause an. Er zog die Schuhe aus und klopfte dabei mit den Handknöcheln gegen den Türrahmen, damit seine Eltern hörten, dass er da war. Dann verzog er sich erst einmal in sein Zimmer, tauschte das schwarze Kleid, die Bluse und die Kniestrümpfe gegen einen bequemen Jogginganzug und kämmte sich die Locken aus. So sehr er es auch liebte, in diesen hübschen Kleidern durch Harajuku und den Yoyogi-Park zu laufen, so befreiend fand er es, die Maskerade nach einem langen Tag abzulegen und zu Hause gemütliche Kleidung anzuziehen. Seine Eltern saßen im Wohnzimmer vor dem Fernseher, sahen irgendeine Sendung auf NHK an. Meto blieb in seinem Zimmer und schaltete seine Musikanlage ein. Nach einigen Streitereien mit den Nachbarn war ihm verboten worden, sie zu laut aufzudrehen, und so musste er sich mit normaler Lautstärke begnügen. „Was soll’s…“, dachte er. „Die Anlage im Keller kann ich morgen aufdrehen, wie ich will.“ Dort unten stand sein Schlagzeug, der Raum war schallgeschützt, sodass sich weder seine Eltern, noch irgendwelche Nachbarn beschweren konnten, wenn er übte. Und so lag er den Rest des Abends auf seinem Bett und dachte an diesen Nachmittag, der so schön gewesen war. Tsuzuku. Metos erster richtiger sozialer Kontakt seit langem. Ansonsten hatte er nur seine Eltern, und hin und wieder ein gleichaltriges Mädchen aus der Nachbarschaft, dass manchmal vorbeikam und ihm Geschichten aus ihrem neuen Uni-Leben erzählte. Das Mädchen hieß Kasumi. „Meto!“, rief seine Mutter aus dem Wohnzimmer. Da er auf seinen richtigen Vornamen, Haruka, kaum mehr reagierte, waren seine Eltern und auch Kasumi gezwungenermaßen dazu übergegangen, ihn bei seinem Pseudonym zu rufen. Er stand auf, nahm seinen Block und Stift und ging ins Wohnzimmer. „Hattest du einen schönen Tag?“, fragte seine Mutter. Meto nickte und schrieb: „Ich hab jemanden getroffen.“ „In Harajuku?“, fragte sein Vater. Er nickte wieder. „Und? Was für ein Jemand ist das?“ Seine Mutter lächelte. „Er heißt Tsuzuku und er ist… ich glaube, ungefähr fünfundzwanzig oder so. Er hat mir ein Crêpe gekauft und wir haben uns die Bands im Park angeschaut.“ Dass er spontan selbst gespielt hatte, verschwieg er, denn er hatte das Gefühl, dass das eine Sache von Tsuzuku und ihm war, die seine Eltern nichts anging. Es war das erste Mal, dass er jemanden kennengelernt hatte und mochte, den seine Eltern überhaupt nicht kannten. In seiner Schulzeit hatten seine Eltern seine Schulkameraden gekannt und die wenigen Male, die er jemanden mit nach Hause gebracht hatte, waren an einer Hand abzuzählen. Wenn er jetzt ausging, dann ging er allein, war dort allein und kam allein zurück. Kasumi war der einzige Mensch in seinem Leben, dem er den Begriff ‚Freund/in‘ zumindest halbwegs zuordnete. Er war einfach lieber für sich allein. Meto wusste es nicht, doch die Gründe, die ihn dazu bewogen, meist allein zu sein, ähnelten denen, die Tsuzuku in die Einsamkeit zwangen. Angst vor der Unberechenbarkeit der Menschen, wenig Vertrauen in sie und die Systeme der Welt, dazu das Gefühl, grundlegend anders und deshalb ausgeschlossen zu sein… „Was machst du morgen?“, fragte sein Vater. „Willst du dich nicht doch irgendwo bewerben? Du brauchst doch etwas zu tun.“ Meto zuckte mit den Schultern. Sich bewerben für irgendeinen Job? Das erschien ihm unmöglich. Schon allein deshalb, weil man bei den meisten Arbeitsstellen sprechen musste. Er zog sich ohne ein weiteres geschriebenes Wort in sein Zimmer zurück und ging dann bald ins Bett. Am nächsten Tag stand Kasumi vor der Tür. Es gab Tage, an denen sie nicht an die Uni musste und manchmal kam sie dann schon morgens vorbei, um Zeit mit Meto zu verbringen. Sie war ein recht gewöhnliches Mädchen und ihre Freundschaft zu ihm hatte sich einfach daraus ergeben, dass sie mit ihren Eltern im Haus gegenüber wohnte und sie so nebeneinander aufgewachsen waren. „Ich hab dir was mitgebracht“, sagte Kasumi und zog eine Zeitschrift aus ihrer Tasche. Es war die neueste Ausgabe der KERA. „Oder hast du die schon?“ Meto schüttelte den Kopf. Er besaß zwar viele Ausgaben dieser Zeitschrift, doch die neueste hatte er sich noch nicht gekauft. "Danke." „Warst du am Wochenende wieder in Harajuku?“, fragte Kasumi dann. „Ja.“ „Bestimmt wieder in dem hübschen, schwarzen Kleid, oder?“ Meto nickte. „Und dieses Mal war ich nicht alleine da. Ich hab jemanden kennen gelernt.“ „Wow, toll! Was für jemanden denn?“ „Er heißt Tsuzuku und ist wohl so Mitte zwanzig.“ „Und ist er nett?“ „Ja, ich glaube schon.“ „Das ist ja schön, dass du jemand neues getroffen hast. Tut dir sicher gut, wenn du mal ein bisschen aus dir rauskommst. Sag mal, Meto, willst du nicht irgendwann mal wieder reden? Du hast nur einen Mittelschulabschluss und Arbeit findest du so wohl nicht.“ Meto schüttelte den Kopf. Nein, selbst wenn er gewollt hätte, er konnte nicht. Er kannte selbst kaum mehr den Klang seiner eigenen Stimme und da er vor dem Stimmbruch aufgehört hatte zu sprechen, war sie sicher auch nicht mehr dieselbe. Warum er im letzten Jahr der Mittelschule das Sprechen aufgegeben hatte? Nun, sonderlich kommunikativ war er noch nie gewesen. Als dann schließlich das Gefühl, grundlegend anders zu sein und nicht dazu zu gehören, immer stärker geworden war, hatte er sich mehr und mehr in sich selbst zurückgezogen und dabei war ihm das Sprechen irgendwann abhandengekommen. Als er selbst bemerkt hatte, dass er so gut wie nichts mehr sagte, war es schon so weit, dass er den Weg zurück nicht mehr fand. Mit Müh und Not hatte er die Mittelschule abgeschlossen, an den Besuch einer Oberschule war schon nicht mehr zu denken gewesen. Das war jetzt zwei Jahre her. Die erste Zeit über hatte er wie ein Hikikomori gelebt, sein Zimmer kaum noch verlassen, war nur zum Essen und fürs Badezimmer herausgekommen und dann, wenn er zum Schlagzeugspielen in den Keller ging. Das war im ersten halben Jahr gewesen. Doch dann, vor etwa anderthalb Jahren, hatte er begonnen, sich der Welt wieder zuzuwenden, wenn auch auf eine Weise, die nicht dem normalen Leben entsprach. Er war wieder aus dem Haus gegangen, mit der Bahn nach Shinjuku gefahren, und hatte sich dort in den Klamottenläden ein neues Ich zusammengekauft. Kleider, Röcke, feminine Sachen, Visual Kei. Dazu Kontaktlinsen und Make-up. Ein guter Teil seiner Ersparnisse ging so für Kleidung und Styling drauf. Er ließ seine Haare, die während seines Hikikomori-Lebens nicht mehr geschnitten worden waren, bis schulterlang wachsen, Kasumi half ihm, sie blond zu färben, und Kasumi war es auch, die ihn später ins Tattoo-Studio begleitet hatte, wo er sich hatte piercen lassen, um nicht nur durch Kleidung, sondern auch durch Körperkunst seinem neuen, selbst gewünschten Ich näher zu kommen. Wenn er schon nirgends passte und dazugehörte, wollte er wenigstens sein eigener Mensch sein, seinen ganz eigenen Vorstellungen entsprechen. Nach den Piercings kamen Tattoos auf Brust und Schulter. Die waren noch unvollständig, deshalb trug er selbst jetzt im Mai lange Ärmel und hochgeschlossene Sachen. Er wollte dieses Kunstwerk erst zeigen, wenn es fertig war. Das Gesamtkunstwerk Meto, das fast nichts mehr mit dem unscheinbaren, undefinierten Haruka von früher gemeinsam hatte. Neue Kleidung, ein veränderter Körper ohne Stimme und ein neuer Name. Und vor allem ein bestimmter Platz am Rande der Gesellschaft, einen Platz, an dem er fühlte, dass er dort und nirgendwo anders hin gehörte. Räumlich gesehen waren das sein Zimmer und Harajuku, innerlich war es einfach die Sicherheit, zu wissen, dass er anders war und wo er damit stand. Das gab ihm ein Gefühl des Erwachsenseins im Sinne davon, dass er die Entscheidung, wie er sein wollte, allein und selbstständig getroffen hatte. „Ich glaube, ich kann gar nicht mehr sprechen.“, schrieb er und sah Kasumi an. „Was willst du denn machen? Warten, bis eine Band dich entdeckt und vielleicht einen Schlagzeuger braucht? So weitermachen, bis du vielleicht mal einen Platz an einer Musikschule bekommst? Meto, du weißt, ich unterstütze dich, aber… verstehst du, du musst auch selbst etwas tun, ein bisschen auf die Menschen zugehen.“ „Das kann ich nicht. Nicht so.“, schrieb er. Kasumi sah ein wenig traurig aus. Sie mochte Meto und unterstützte ihn auch gern in seinen Bemühungen, ein Mensch nach eigener Vorstellung zu werden, doch sie dachte auch an seine Zukunft und so, wie er im Augenblick lebte, sah die nicht besonders gut aus. Sie blieb bis zum Mittag, aß mit Meto und seiner Mutter zusammen und ging dann nach Hause, um sich wieder dem unermüdlichen Lernen für die Uni zuzuwenden. Als Kasumi weg war, ging Meto runter in den Keller und setzte sich hinter sein Schlagzeug. Er hatte es in der achten Klasse bekommen, als seinem Musiklehrer in der Schule seine Begabung aufgefallen war und er den Eltern geraten hatte, den damals sehr unsicheren Haruka in dieser Richtung zu fördern. Sein Vater hatte den Keller ausgebaut und zu dritt waren sie in ein Musikgeschäft gefahren, wo Meto sich ein großes Drumset ausgesucht hatte. Seitdem übte er fast jeden Tag daran, außer an den Wochenenden, wenn er sich in Harajuku aufhielt. Er wusste selbst nicht, warum er Tsuzuku gleich etwas so Persönliches von sich gezeigt hatte. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, diesem Mann vertrauen zu können und wollte ihn ein wenig an seinem Leben teilhaben lassen. Meto verbrachte den ganzen Tag im Keller, hörte Musik und versuchte dann, den Drum-Part eines Liedes nachzuspielen. Auch das tat er, seit er zu spielen begonnen hatte und so war er schon sehr geübt darin. Sein Vorbild war Yuki, der Drummer der Band Versailles, und so hörte er beim Üben hauptsächlich Songs dieser Band, die er bereits fast alle auswendig konnte. Wenn er oben in seinem Zimmer saß, hörte er meist eher the GazettE oder Dir en grey. Auch von diesen Bands und anderen hatte er bereits Songs nachgespielt, doch Yuki, der einfach unglaublich schnell spielte, war im Augenblick sein Idol. Als er später zum Abendessen wieder aus dem Keller kam, war sein Vater schon da. Er wirkte ernst und nach dem Essen sagte er: „Haruka, wir müssen uns mal unterhalten.“ Meto sah ihn an, obwohl sein Vater den ungeliebten echten Vornamen verwendete. Wahrscheinlich ging es um dasselbe, was auch Kasumi schon angesprochen hatte. „Junge, du musst irgendwas unternehmen. So kann es jedenfalls nicht ewig weitergehen. Willst du dein ganzes Leben lang hier wohnen, ohne zu arbeiten? Dir muss doch klar sein, dass das nicht geht! Dass du nicht immer nur in Harajuku herumlaufen kannst! Weißt du, die meisten Leute, die sich so anziehen wie du und dort ihr Wochenende verbringen, gehen unter der Woche einer geregelten Arbeit nach und haben ein ganz normales Leben. Ich weiß, du fühlst dich nicht danach, aber ein bisschen was davon muss sein, anders geht es nicht! Oder willst du auf der Straße landen?!“ Meto schrieb: „Das hat Kasumi-chan auch schon gesagt.“ „Das wird dir jeder sagen, der sieht, wie du jetzt lebst. Deine Mutter und ich sehen ja, dass du dein eigenes Tempo und deine eigene Sicht auf die Dinge hast, und wir wollen dich auch nirgends reinzwängen. Wir möchten nur, dass du eine Zukunft hast, in der du gut leben kannst. Geld ist nicht das Wichtigste, doch in dieser Welt kommt es eben darauf an und deshalb muss man dafür sorgen, dass man welches hat. Sieh mal, deine Kleider und die Tattoos, das kostet doch auch alles. Und irgendwann in nächster Zeit sind deine Ersparnisse aufgebraucht.“ Meto nickte nur. Im Grunde war ihm das alles klar. Er wusste, ewig konnte es nicht so gehen. Aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie eine Arbeit zu bekommen war, geschweige denn, wie er einen der überall angebotenen Nebenjobs erfüllen sollte. Alle Arbeiten, die ihm einfielen, erforderten schließlich, dass man sprach. Sein romantischer Wunsch war es, eine Band zu finden, die einen Schlagzeuger gebrauchen konnte. Doch auch da wusste er nicht, wie er den ersten Kontakt aufbauen sollte. Ein Gefühl der Aussichtslosigkeit überkam ihn, er drehte sich um und ging in sein Zimmer, wo er die Musik etwas lauter als gewöhnlich aufdrehte. Kapitel 4: Karaoke ------------------ So verging die Woche. Meto hatte seinen eigenen, selbst geregelten Tagesablauf aus Schlagzeugspielen, Essen und der Zeit in seinem Zimmer, die er mit Lesen und Videos schauen zubrachte. Einmal ging er auch aus dem Haus, als seine Mutter ihn zum Einkaufen schickte, doch ansonsten blieb er zu Hause. Nur hin und wieder ging er auf den Balkon, da ihm seine Eltern das Rauchen in der Wohnung nicht erlaubten. Tsuzuku ging zur Arbeit, er arbeitete als Kellner in einem Restaurant mit Namen Tanaka. Der Job war anstrengend, gerade für jemanden wie ihn, doch er hatte nichts anderes gefunden und so quälte er sich durch, um dann abends in seiner Wohnung die Musik aufzudrehen und wieder runterzukommen. Am Freitagabend kam einer seiner Kollegen, Hiroki, mit einer Idee an: „Hey, lass uns nach Feierabend doch noch ein bisschen zum Karaoke gehen!“ „Blöde Idee. Dann sind wir doch alle viel zu müde“, erwiderte ein anderer Kollege, Masahiro. „Also, ich finde das super. Dann können wir mal ohne die Arbeit zusammen abhängen und quatschen“, sagte die jüngste und einzig weibliche Kollegin Miki. Tsuzuku musste zugeben, irgendwie gefiel ihm die Idee. Zwar war er eigentlich kein sozialer Mensch, doch hin und wieder reizte es ihn, seinen Kollegen eine Chance zu geben. Einfach, um sich selbst wieder sicher zu werden, dass er noch nicht aufgegeben hatte. „Komm, Genki-san, wenn du dafür bist, ist Masahiro in der Minderheit!“, forderte Miki ihn auf. Hier bei der Arbeit kannten sie sein Pseudonym nicht und da sich alle Angestellten des Restaurants Tanaka aus irgendeinem unerfindlichen Grund untereinander mit Vornamen ansprachen, nannten sie ihn bei seinem, Genki. Schließlich entschied er sich ebenfalls dafür, abends noch wegzugehen und der ein wenig beleidigte Masahiro erwiderte daraufhin: „Ihr spinnt doch, nach diesem Knochenjob noch Karaoke zu singen!“ Normalerweise hätte Tsuzuku sich nicht so leicht hinreißen lassen, doch seit seinem Treffen mit Meto am Sonntag fühlte er sich ein wenig aufgeschlossener als sonst. Und so machte er sich nach Feierabend, so gehen elf Uhr nachts, mit Hiroki und Miki auf zur nächsten Karaoke-Bar. „Ich wette, Genki-san kann singen!“, rief Miki übermütig, als sie die Bar betraten und Hiroki einen Raum für zwei Stunden mietete. „Wie kommst du drauf?“, fragte Hiroki. „Weiß nicht… irgendwie klingt seine Stimme so, als könnte er gut singen.“ Sie grinste Tsuzuku an und er erwiderte es etwas verlegen. Die Sache mit der Musik und Visual Kei hatte er bisher vor seinen Kollegen verschwiegen. Das Thema war ihm zu persönlich, als dass er einfach so darüber sprechen konnte. Die Momente, in denen er zu Hause mitsang, waren seine ganz eigene Flucht vor dem harten Alltag und nichts, was er einfach so mitteilen konnte. „Gleich werden wir’s ja sehen“, sagte Hiroki. Zuerst war Miki an der Reihe. Sie wählte einen Song einer weiblichen Idol-Formation (einer von der Sorte, deren Name aus drei Buchstaben und einer 48 bestand) und machte sich gar nicht so schlecht. Hiroki ließ, obwohl er selbst ja erst den Vorschlag zum Karaoke gemacht hatte, Tsuzuku den Vortritt. „Was hörst du eigentlich für Musik, Genki-san?“, fragte Miki. „Du redest nie über so was.“ Hiroki warf einen Blick auf Tsuzukus schwarzen, knapp schulterlangen Haare und sagte: „Sicher Rock oder so.“ „Metal“, antwortete er knapp, kniete sich vor die Musikbox und wählte ein Lied von the Gazette aus. Seine Wahl fiel auf ein etwas älteres Stück, ‚Taion‘. Zum allerersten Mal zeigte er seinen Kollegen diese Seite von sich, war deshalb auch erst ziemlich aufgeregt, doch sobald das Lied begann und er anfing zu singen, fiel jede Anspannung von ihm ab. So locker und entspannt konnte ihn nur Musik machen. Er vergaß alles um sich herum, versank in der Melodie und dem Klang seiner eigenen Stimme und fühlte sich einfach gut. Als der Song zu Ende war, starrten Hiroki und Miki ihn staunend an. „Wow! Genki-san, du bist ja der Wahnsinn!“, rief Miki schließlich aus. Hiroki sagte nichts, aber ihm war anzusehen, was er dachte: „Wie steh ich denn jetzt da, wenn ich singe? Was fällt dem ein, uns zu verschweigen, dass er so gut ist?!“ „Nimmst du Gesangsstunden?“, fragte Miki neugierig. „Früher mal. Aber ich… ich singe zu Hause mit, wenn ich Musik höre.“ Fast wurde er sogar etwas rot, zu ungewohnt war es, einer Kollegin gegenüber zuzugeben, wie sehr er Musik liebte. Und es war mehr als nur ein wenig „mitsingen, wenn er Musik hörte“. Er übte richtig, mindestens dreimal in der Woche, meistens abends nach der Arbeit. Und außer zu Liedern seiner Lieblingsbands sang er auch zu Übungsvideos, die Amateursänger im Internet anboten, um damit anderen das Erlernen von Screams und Growls zu ermöglichen. Sein Traum war natürlich, irgendwann selbst in einer Band zu singen, doch er wusste nicht, wo und wie er mit der Suche anfangen sollte. Das Ansprechen war das Schwerste. Allein traute er sich das nicht zu. Hiroki und Miki wechselten sich für den Rest des Abends ab, dann baten sie Tsuzuku, noch einmal zu singen. Er ließ sich breitschlagen und sang noch ein Lied von Gazette, dieses Mal etwas Ruhigeres: ‚Reila‘. Als er geendet hatte, sah er, dass Mikis Augen verdächtig schimmerten. „Mein Gott, Genki-san, du hast es so dermaßen drauf!“ Sie schniefte und wischte sich mit dem Ärmel ihrer schwarzen Strickjacke über die Augen. Eine Stimme aus dem Lautsprecher in der Ecke verkündete das Ende der zwei Stunden und forderte sie freundlich auf, den Raum wieder freizugeben. Sie waren die Letzten und als sie die Bar verließen, schloss die Bedienung hinter ihnen die Tür ab. „Das müssen wir unbedingt öfter machen!“ Miki strahlte. „Ich glaube, Genki-san, du hast deinen ersten Fan“, grinste Hiroki. „Mann, warum hast du uns nicht mal eher gezeigt, dass du so gut singst?“ „Du kennst mich doch, ich zeig nicht gern was von mir…“, murmelte Tsuzuku und als die kleine Gruppe den Bahnhof erreicht hatte, stieg er ohne ein weiteres Wort allein in den nächtlich fast leeren Zug nach Ichigaya. Kapitel 5: Takeshitadori ------------------------ Der nächste Tag war wieder ein Samstag. Tsuzuku machte sich nachmittags auf den Weg nach Harajuku. Meto würde dort sein, dessen war er sich sicher. Und als er über die Brücke ging, sah er ihn. Er stand an der Mauer bei einem Fotografen, der offenbar ein Bild von ihm machen wollte, doch es sah nicht so aus, als wäre Meto damit einverstanden. Er schüttelte heftig den Kopf, während der Fotograf auf ihn einredete und wohl versuchte, ihn davon zu überzeugen, wie toll es doch sei, ein Foto von sich in einer Zeitschrift zu haben. Tsuzuku ging auf die beiden zu. „Alles okay, Meto?“, fragte er. Der Junge sah ihn stumm an, deutete dann auf die Kamera und schüttelte den Kopf. „Aber warum denn nicht?“, fragte der Fotograf verständnislos. „Ich bin von der KERA, ich mache die Streetsnaps. Im nächsten Monat könntest du da als Großaufnahme zu sehen sein!“ „Sehen Sie denn nicht, dass Meto das nicht möchte?“, fuhr Tsuzuku ihn an. „Sie können doch kein Foto von jemandem machen, der gar kein Interesse an einer Großaufnahme von sich in einer Zeitschrift hat!“ Meto warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Hier sind genug andere Mädchen, die Sie fotografieren können“, sagte Tsuzuku zu dem Fotografen und zeigte auf eine Gruppe von sehr fantasievoll kostümierten Decora-Mädchen. „Komm, Meto, wir gehen irgendwo einen Kaffee trinken.“ Meto folgte ihm, ohne den Fotografen, der sich nun tatsächlich den Mädchen zuwandte, noch eines Blickes zu würdigen. Zusammen betraten sie ein kleines Café in der Nähe der Takeshitadori. Meto zog seinen Block und den Stift hervor und schrieb: „Danke, Tsuzuku.“ „Gern geschehen.“ Tsuzuku lächelte. Heute hatte er sich ein wenig mehr zurechtgemacht, trug ein schwarzes Oberteil, das zum Teil aus Netz bestand, und eine ebenfalls schwarze Hose, darüber einen eleganten dunklen Mantel, mehr Make-up und die Haare für Visual Kei typisch toupiert und mit Haarspray in Form gebracht. Er betrachtete Metos Outfit. Dieses Mal war es ein hellrosa-weißes Sweet Lolita-Kleid, darunter eine weiße Bluse, wieder mit langen Ärmeln, und weiße, mit einem Spitzenband verzierte Kniestrümpfe. Auf den blonden Locken saß eine rosa Haarschleife und er trug etwas dezenteres Augen-Make-up, dafür mit himmelblauen Kontaktlinsen. „Du siehst toll aus“, sagte er und zeigte auf das Kleid. „Danke. Das ist fast neu, ich hab es erst vor drei Wochen gekauft.“ „Und? Was hast du heute so vor?“ „Ich wollte mir noch ein paar neue Sachen kaufen.“ „Darf ich dich begleiten?“ Meto nickte und lächelte. Er wunderte sich ein wenig über sich selbst. Bei Tsuzuku fiel ihm alles so leicht, er schrieb flüssig und für seine Verhältnisse recht viel. So viele Worte machte er sonst nur seinen Eltern und Kasumi gegenüber. Tsuzuku kannte er erst seit einer Woche und trotzdem konnte er relativ leicht mit ihm kommunizieren. Vielleicht, so dachte er, vielleicht hatte er nur auf jemanden wie Tsuzuku gewartet, der in manchen Dingen genau so war wie er. Meto ahnte, dass Tsuzuku nicht gerade das sozialste Wesen war und allein deshalb fühlte er sich mit ihm verbunden. Nach dem Kaffee machten sie sich auf den Weg in die Takeshitadori, wo sich die vielen, kleinen Szeneläden dicht aneinanderdrängten und sich die samstägliche Menschenmenge an den Auslagen und Schaufenstern entlang schob. Meto machte große Augen angesichts der vielen Leute und auch Tsuzuku war das dichte Gedränge nicht geheuer. Als sie die tokyoter Filiale von Sex Pot ReVeNGe erreichten, hatten sie beide erst einmal genug von der dicht bevölkerten Straße und waren froh, einen Laden betreten zu können. „Das ist ja mal ganz was anderes“, sagte Tsuzuku im Hinblick auf Metos Lolita-Outfit und die punkigen, dunklen Sachen im Laden. Meto hatte seinen Notizblock jetzt ständig in der Hand und schrieb: „Solche Sachen mag ich auch.“ „Du magst alles, Hauptsache es ist anders als das, was man normal nennt, oder?“ Meto nickte und griff nach einem schwarzen T-Shirt, das auf der Vorderseite ein großer, mit kleinen Nieten besetzter Totenkopf schmückte. Es war weit und gerade geschnitten, würde so seine zierliche Figur sicher noch schmaler und niedlicher wirken lassen. „Willst du’s anprobieren?“, fragte Tsuzuku. „Erst mal suche ich noch andere Sachen, dann probier ich alles zusammen an.“ Eine rot-schwarz karierte Hose, einen schwarzen Minirock, zwei weitere T-Shirts und eine Anzahl punkiger Schmuckstücke später zog sich Meto mit den Sachen in eine der Umkleidekabinen zurück. Tsuzuku blieb davor stehen, bereit, eventuell abgewählte Kleidungsstücke wieder zurück zu bringen. Nach einer Weile öffnete sich der Vorhang ein Stück weit, Meto steckte seinen Kopf heraus und sah sich um, ob noch jemand anderes in der Nähe war. Als er feststellte, dass außer Tsuzuku niemand da war, kam er in der Hose und einem langärmligen T-Shirt aus der Kabine und sah ihn fragend an. „Sieht toll aus.“ Tsuzuku lächelte. „Aber du solltest die Haare dazu anders tragen.“ Meto nickte. Dann verschwand er wieder in der Kabine, zog das Totenkopf-T-Shirt und den Rock an, um sich Tsuzuku wenig später erneut zu zeigen. Das Shirt hatte kurze Ärmel und einen an den Schultern recht weiten Ausschnitt, und so war ein Stück von Metos unfertigem Tattoo zu sehen. „Wow, was ist das?“, fragte Tsuzuku. Meto holte seinen Block und schrieb: „Zeig ich nicht, ist noch nicht fertig.“ „Und was wird das mal?“ Doch Meto sah ihn nur geheimnisvoll an. „Verrate ich nicht.“ „Okay, dann bin ich ja mal gespannt.“ Tsuzuku lächelte und während Meto sich erneut umzog, dachte er ein wenig über ihn nach. Der Junge war ein lupenreiner Exzentriker, in jeder Hinsicht exotisch und in kaum einer normal. Hellblond gefärbte Haare, Piercings an Mund, Ohren und Wangenknochen, dazu offenbar noch unfertige Tattoos, deren Motiv sicherlich ebenso exzentrisch geplant war wie alles an Meto, dieser stummen, lebenden Kunstpuppe. Tsuzuku erkannte, dass der Kleine offensichtlich einer Art allumfassendem Selbstverwirklichungsprojekt folgte und dieses mit einer für sein Alter fast ein wenig ungewöhnlichen Entschlossenheit durchzog. Er schien ganz genau zu wissen, was er in Bezug auf sein Aussehen und Auftreten wollte und was nicht. Als Meto zum dritten Mal aus der Kabine kam, im dritten T-Shirt und der karierten Hose, da zog Tsuzuku seinen Mantel aus und legte die großen Tätowierungen frei, die er auf den Armen und der Brust hatte. Meto starrte ihn bewundernd an. „Wow, die sehen toll aus! Wenn meine fertig sind, zeig ich sie dir auch ^^ “ Während der einen Woche, die seit ihrer ersten Begegnung vergangen war, hatten beide ein paar Mal an den jeweils anderen gedacht, sich so ihre Gedanken darum gemacht, wie der andere wohl war, und fühlten sich dem anderen deshalb schon auf eine bestimmte Weise verbunden. Als Meto sich wieder umgezogen hatte, sie dann schließlich zusammen zur Kasse gingen und Meto die Sachen bezahlte, fiel ihm auf, dass sein Vater Recht hatte: Er besaß nicht mehr allzu viel Geld. In nächster Zeit würde er hier nicht mehr sehr oft einkaufen können, von den noch teureren Lolita-Läden ganz zu schweigen. Seine Laune sank, als ihn die über den Tresen gehenden Geldscheine daran erinnerten, dass er bald eine Geldquelle brauchen würde. Er brauchte einen Job und hatte noch immer keinen Plan, wie das gehen sollte. „Was ist los?“, fragte Tsuzuku, der Metos Stimmungsumschwung bemerkte, als sie den Laden verlassen hatten. Meto antwortete zuerst nicht, dann schrieb er: „Ich hab bald kein Geld mehr und ich weiß nicht, wie ich welches bekommen soll.“ „Hm… ja, ein Job ist wahrscheinlich für dich schwer zu finden, oder?“ Meto nickte. „Meine Eltern wollen, dass ich mir Geld verdiene. Bisher hab ich alles von meinen Ersparnissen bezahlt. Aber für einen Job müsste ich sprechen können.“ „Und das kannst du nicht? Redest du zu Hause denn auch nicht?“ „Nein. Nirgends. Auch nicht, wenn ich allein bin. Ich habe seit über zwei Jahren nicht mehr gesprochen.“ Fast hätte Tsuzuku „Und warum nicht?“ gefragt, doch er ließ es lieber. Das ging ihn noch nichts an. Vielleicht würde Meto es ihm irgendwann mitteilen, wenn sie sich noch besser kannten. „Und? Wo möchtest du als nächstes hin?“, fragte er stattdessen. Meto sah sich um, entdeckte dann ein unscheinbares Ladenschild und lief darauf zu. Tsuzuku folgt ihm und erkannte, als er ebenfalls vor dem Schild stand, dass es sich um ein Tattoo-Studio handelte. „Mein Geld heute reicht noch für eine Session.“ „Lässt du das immer hier machen?“ „Ja, der hat auch meine Piercings gestochen.“ „Ken Kawakami Tattoo-Shop“ stand auf dem schwarzen Schild, umgeben von weißen Flammen und Totenköpfen. Meto betrat den Laden zielstrebig und die junge, mit einem langen Lederkleid bekleidete Frau am kleinen Empfangstresen schien ihn schon zu kennen. „Na, Meto-chan, geht’s weiter mit dem Baby?“, fragte sie. Meto legte den Zeigefinger auf die Lippen und zeigte auf Tsuzuku. Dann schrieb er: „Das ist ein Freund von mir und er soll’s noch nicht wissen. Ist eine Überraschung.“ „Aha, heute bist du also nicht mit Kasumi-chan hier?“ „Kasumi-chan hat keine Zeit.“ „Na dann…“ Sie kam um den Tresen herum und führte Meto hinter einen Vorhang, hinter dem sich den summenden Geräuschen nach der Tätowierraum befand. Tsuzuku setzte sich auf einen der Stühle im Eingangsbereich und nahm sich eine der herumliegenden Zeitschriften. Vielleicht war darin ja eine Idee für ein neues Tattoo. Es war eine Weile her, seit er zum letzten Mal beim Stechen gewesen war und auf einmal bekam er Lust, den großen Tattoos auf Brust und Armen ein neues hinzuzufügen. Währenddessen setzte Meto sich auf die Liege im Tätowierraum und wartete auf Ken, der wenig später aus dem Hinterzimmer kam. „Meto-chan will an dem Baby weitermachen“, sagte das Empfangsmädchen. Das „Baby“ war die Abbildung eines teilweise stilisierten Embryos im Mutterleib, mit Piercings im Ohr, und in bunten Farben ausgemalt. Noch erstreckte sich der Anfang dieses Bild nur über Metos Schulter und einen Teil seiner Brust, doch geplant war, dass es sich noch ein ganzes Stück weiter nach unten ausdehnen sollte. Für Meto war dieses Tattoo eine Art Selbstbildnis mit der Botschaft: „Ich bin schon vor meiner Geburt anders gewesen und deshalb werde ich auch immer anders sein.“ Er hatte die Vorskizze zu diesem Motiv selbst gezeichnet und Akiko, das Mädchen im Lederkleid, die eine begabte Tattoozeichnerin war, hatte den Entwurf dann bis zu seiner jetzigen Form ausgearbeitet. Ken sah sich die Zeichnung noch einmal an, suchte dann die entsprechenden Farben zusammen und begann, die Nadel zu füllen. „Wie viel soll’s denn heute werden?“, fragte er. Meto zog sein Portmonee aus der Tasche, zeigte die letzten Scheine und schrieb: „So viel, wie ich hierfür bekomme.“ „Willst du Betäubung? Heute geht’s wieder über Knochen und du bist so dünn.“ Meto nickte. Bei seinem ersten Tattoo, dem schwarz-roten Anarchie-A auf seinem Brustbein, hatte er auch mit Betäubung stechen lassen. Damals, weil es sein allererstes Tattoo gewesen war. Und heute, weil er vor Tsuzuku nicht als jemand dastehen wollte, dem es von ein bisschen tätowieren wehtat. „Okay.“ Ken hatte die Nadel inzwischen fertig vorbereitet und schickte Akiko hinaus. Meto öffnete das Kleid, zog die Bluse aus und legte sich hin … „Dann kommst du nächste Woche wieder zum Colorieren, ja?“, sagte Ken, als er fertig war. Meto hatte während des Stechens die Augen geschlossen und öffnete sie nun langsam wieder. Er nickte. Ken hielt ihm einen Spiegel hin. „Ist gut so?“ Der neue Teil des Tattoos war noch ohne bunte Farben, doch es sah gut aus und Meto griff sich seinen Block und schrieb: „Ja, sieht toll aus ^^ “ Seine Schulter und Brust fühlten sich taub an und er musste sich ein wenig konzentrieren, um den linken Arm ganz natürlich zu bewegen. Ken warf einen Blick auf die Tunnel in Metos Ohrläppchen. „Willst du größere haben?“, fragte er. „Die kann ich dir dann gleich heute mitgeben.“ Meto nickte und zog sich Kleid und Bluse wieder an. Er stand auf, nahm seine Tasche und folgte Ken, der in den Hauptraum ging, dort zwei neue Tunnel aus einer Sortierkiste aussuchte und in einer kleinen Papiertüte verpackte. „4000 Yen sind das dann“, rechnete Akiko aus. Tsuzuku, der bis jetzt in der Zeitschrift geblättert hatte, stand kurzentschlossen auf und sagte: „Ich bezahle das!“ Meto starrte ihn ungläubig an. „Ich hab einen Job, du nicht. Bei mir kommt immer wieder neues Geld nach, während du langsam deine Ersparnisse aufbrauchst“, erklärte Tsuzuku, kramte seinen Geldbeutel hervor und legte vier 1000-Yen-Scheine auf den Tisch. Meto sah ihn erst noch etwas zögerlich an, dann lächelte er. Vorhin schon hatte er Tsuzuku als „einen Freund“ bezeichnet und jetzt, in diesem Moment, wurde ihm klar, dass sie sich längst angefreundet hatten. Schon am Sonntag, als sie den Nachmittag zusammen verbracht hatten. Seltsam, er hatte nicht gewusst, dass man sich so schnell anfreunden konnte, und sich selbst zugetraut hatte er das schon lange nicht. Ein plötzliches Hochgefühl erfüllte ihn und er strahlte Tsuzuku an. Sie verließen das Tattoo-Studio und als sie an einem kleinen Essensstand vorbeikamen, lud Tsuzuku Meto wieder zum Essen ein. „So, und jetzt kaufe ich mir auch ein paar Sachen“, sagte der Ältere schließlich und deutete auf einen Gothic-Laden gegenüber des Cafés. In dem Laden hatte er den Mantel gekauft, den er heute trug, und auch jetzt sah er im Schaufenster etwas, das ihn interessierte: Ein schwarzes Hemd mit applizierter, zerfetzter, ebenfalls schwarzer Spitze. „Hast du denn noch Geld?“ „Ja, mach dir darum keine Gedanken.“ Tsuzuku bezahlte, dann gingen sie beide über die Straße und betraten den Laden. Er war innen größer, als es von außen aussah, und in der oberen Etage wurde Musik von Moi dix Mois gespielt. Tsuzuku ging zielstrebig zur Kasse, um nach dem Hemd im Schaufenster zu fragen. Die Person hinter dem Tresen hatte hellpink gefärbtes Haar, das vorn in der typischen Visual Kei-Art das fein geschnittene Gesicht rahmte, und groß geschminkte, blau gefärbte Augen. Hätte er nicht in diesem Moment gefragt: „Was wünschen Sie?“, dann wäre der junge Mann von einer Frau kaum zu unterscheiden gewesen. Zwar gehörten feminin zurechtgemachte Männer zu Tsuzukus Alltag, doch einem mit hellpinken Haaren war selbst er noch nicht begegnet, deshalb fiel es ihm besonders auf. „Ich würde gern das schwarze Hemd anprobieren, das unten im Schaufenster hängt“, sagte er. Meto sah sich derweil bei den Gothic Lolita-Röcken um. „Warten Sie bitte einen Moment“, erwiderte Rosa-Haare-san, verschwand die Treppe hinunter und kam wenig später mit dem Hemd zurück. Tsuzuku warf einen Blick auf das Namensschild, wo in Kanji der Name „Koichi“ zu lesen war. Er zog sich in die Umkleidekabine zurück, probierte das Hemd an und rief dann nach Meto, der sofort vor der Kabine auftauchte. „Und? Steht mir das?“, fragte Tsuzuku und trat aus der Kabine. Meto lächelte, holte seinen Block heraus und schrieb: „Ja. Sieht echt toll aus! ^^ “ Während Tsuzuku sich wieder umzog, hörte er, wie der offenbar recht extrovertierte Koichi Meto ansprach: „Hey, du bist ja süß angezogen! Wie heißt du denn?“ Natürlich erhielt er keine Antwort. „Redest du nicht?“ Tsuzuku war fertig, öffnete den Vorhang und sah, wie Meto den Kopf schüttelte. „Macht nichts, du siehst trotzdem süß aus.“ Koichi lächelte strahlend. Meto erwiderte das Lächeln, jedoch sehr viel schüchterner, und wandte sich, ein wenig hilfesuchend, an Tsuzuku. „Er hat’s nicht so mit reden“, sagte Tsuzuku. „Er?“ Koichi strahlte immer noch. „Du bist ein Junge?“ Meto nickte zögerlich. „Herzlichen Glückwunsch, ich hätte dich glatt für ein kleines Mädchen gehalten! Hast du denn ‘nen Namen oder so?“ Meto schrieb seinen Nicknamen auf und hielt Koichi den Zettel hin. „Meto also, ja? Werd ich mir merken, falls du dich hier noch mal umsehen magst.“ Als Tsuzuku das Hemd bezahlte, kramte Koichi noch in einer Schachtel hinter dem Tresen. „Hier, für dich, Meto-chan, weil du so hübsch aussiehst.“ Mit diesen Worten drückte er Meto einen kleinen Anhänger mit Totenköpfen und Sicherheitsnadeln in die Hand. Als sie wieder draußen auf der Straße standen, strahlte Meto über das ganze Gesicht. Zwar bekam er hin und wieder Komplimente für seine Outfits, doch so direkt war bisher noch kaum einer gewesen. Und ein Geschenk hatte er bisher auch nicht dafür bekommen, dass er so aussah. Mal abgesehen von dem aufdringlichen Fotografen am Anfang hatte dieser Nachmittag die Chance, einer der besten in Metos Leben zu werden. Und das lag vor allem an Tsuzuku. Sie zogen noch ein wenig durch die Läden, sahen sich dies und das an, kauften jedoch nichts mehr. Schließlich gingen sie die Straße wieder hinauf, Richtung Yoyogi-Park, überquerten die noch immer von kostümierten und bunt gekleideten Mädchen (und vielleicht auch Jungen) bevölkerte Brücke und setzten sich im Park auf eine der Bänke. Auf einmal hatte Meto eine Idee: Er holte seinen Notizblock hervor und schlug die letzte Seite auf. Dann schrieb er auf die Innenseite des Kartonumschlages: „Menschen, die sehr nett zu mir sind“ und begann, diese einen nach dem anderen untereinander aufzulisten: „Mama, Papa, Kasumi, Tsuzuku, Ken, Akiko, Koichi vom Gothic-Laden“ Tsuzuku sah das und warf einen kurzen Blick auf diese Liste. „Wer ist denn eigentlich Kasumi?“, fragte er. Meto schlug wieder die aktuelle Seite in seinem Block auf und schrieb: „Kasumi kenne ich schon fast mein ganzes Leben lang. Sie ist so alt wie ich und wohnt gegenüber von meinem Zuhause. Sie ist wohl meine einzige Freundin… obwohl… jetzt hab ich ja auch noch dich… ^^ “ „Und der hier?“ Tsuzuku zeigte auf Ruana, die ihren flauschigen Kopf aus Metos Handtasche streckte. „Mit Ruana rede ich. Aber ohne Ton.“ „Kann er Lippenlesen?“ „Ja. Aber Ruana ist ein Mädchen.“ „Ach so. Dann hast du also zwei gute Freundinnen?“ „Ja, sozusagen.“ „Also bist du gar nicht so allein.“ „Und du? Hast du Freunde, auf deiner Arbeit oder so?“, fragte Meto. Tsuzuku überlegte kurz. Na ja, da gab es Hiroki und Miki. Immerhin war er gestern mit den beiden zum Karaoke gewesen, hatte ihnen einen Blick auf seine Liebe zur Musik erlaubt. Aber ob man das schon „Freunde“ nennen konnte? Das Wort passte irgendwie besser auf Meto. „Hm, ja, was man halt so für Bekannte hat. Wir verstehen uns ganz gut, aber im Grunde kennen sie mich nicht wirklich. Ich… na ja, ich kann nicht so gut mit Menschen…“ Meto sah ihn an, aufmerksam und verstehend. „Ich auch nicht. Aber mit dir kann ich gut.“ „Schon komisch, oder?“ Der Kleine nickte. „Menschen sind komisch, und wir sind auch welche, also müssen wir wohl auch komisch sein.“, schrieb er dann. „Eine gute Erkenntnis“, sagte Tsuzuku. Langsam ging die Sonne unter und tauchte den Park für kurze Zeit in goldene Strahlen. Es wurde ein wenig kühler und Meto begann, in seiner dünnen Bluse zu frösteln. Seine Schulter fühlte sich immer noch ein wenig taub an und er hatte keine Jacke dabei. Tsuzuku stand auf und zog seinen Mantel aus. „Hier, mir ist nicht kalt.“ Meto sah ihn zuerst zögernd an, dann lächelte er und zog sich den Mantel um die Schultern. „Wann musst du zu Hause sein?“ „Wann ich will. Und du?“ „Ich wohne allein, ich kann’s mir aussuchen“, sagte Tsuzuku und fragte dann: „Hast du ein Handy? Dann könnte ich dir schreiben und wir können uns wieder treffen.“ Meto nickte und kramte sein Handy aus der Tasche. Tsuzuku nannte ihm seine Nummer und als der Jüngere diese abgespeichert hatte, nannte er ihm seine. Als sie sich am Bahnhof voneinander verabschiedeten, hatten beide das Gefühl, wirklich einen neuen Freund gefunden zu haben. Kapitel 6: Tomodachi no uchi ---------------------------- Den Sonntag verbrachten Tsuzuku und Meto ohne einander. Am Sonntagmorgen erhielt Tsuzuku einen Anruf von Hiroki, der ihn bat, seine Schicht im Restaurant zu übernehmen. „Ich hab ein Problem in der Familie, kannst du für mich einspringen?“ „Natürlich“, antwortete Tsuzuku. „Aber übernimmst du dann meine am Montag?“ „Das kann ich jetzt noch nicht sagen, aber sonst sind ja auch noch Masahiro, Miki und Taro da. Einer von denen kann bestimmt.“ Also machte Tsuzuku sich auf den Weg zum Restaurant Tanaka und brachte den Vormittag mit fast ununterbrochener Arbeit zu. Gegen zwei Uhr nachmittags hatte er endlich eine längere Pause und kam mit Taro, dem ältesten Angestellten, ins Gespräch. „Ganz schön viel los heute, oder?“, fragte er. „Heute Abend wird’s hier ruhiger, denke ich. Im Park drüben ist ein kleines Schreinfest, da werden die meisten Leute hingehen“, antwortete Taro. „Du bist heute eingesprungen, also wäre es dein gutes Recht, wenn du heute Abend etwas früher Feierabend machst.“ „Und das geht, auch wegen der anderen?“ „Ja, klar.“ Taro lächelte. „Du hast eine gute Arbeitsmoral und, weißt du, Genki-san, du leistest schon sehr viel mehr, als wir am Anfang von dir erwartet haben. Als du damals sagtest, dass Arbeit mit Gästen eigentlich nicht so dein Ding ist, hieß es: Okay, lassen wir ihn versuchen. Wir dachten auch, ehrlich gesagt, dass du nicht sehr lange hier arbeiten würdest. Aber jetzt ist über ein Jahr vergangen und du bist immer noch hier. Und wir sehen alle, dass du dazulernst. Also mach dir keine Sorgen, dass wir dir irgendwas ankreiden.“ Tsuzuku wusste gar nicht, wie er mit so viel Ehrlichkeit und Anerkennung umgehen sollte. Sein Puls beschleunigte sich ein wenig und er brachte nichts weiter als ein kurzes „Danke.“ heraus. Er arbeitete noch bis vier durch, dann sagte Taro zu ihm: „Was hab ich gesagt, es sind kaum noch Leute da. Du kannst also gern nach Hause gehen. Ich frag dann Masahiro und Miki, ob‘s geht, dass du morgen frei hast. Hiroki hat ja deine Nummer, oder?“ Tsuzuku nickte, nahm die bodenlange Schürze, seine Arbeitskleidung, ab und ging seine Tasche holen. In der Bahn nach Hause hörte er übers Handy Musik und freute sich auf einen langen, erholsamen Feierabend. Es war nicht das erste Mal, dass er an einem Sonntag gearbeitet hatte, schließlich war das im Gastronomiegewerbe normal. Nur die Samstage hielt er sich nach aller Möglichkeit frei. Währenddessen saß Meto in seinem Zimmer, hörte Musik und las dabei in einem Buch, das zu fast jedem Thema der Weltgeschichte irgendwelche interessanten Informationen enthielt. Manchmal mochte er solche Bücher, und dann gab es auch wieder Tage, an denen er lieber Mangas las. Obwohl er nicht mehr zur Schule ging und mit niemandem über sein gesammeltes Wissen spreche konnte, lernte Meto gern, einfach der Beschäftigung wegen. Er konnte inzwischen genauso viele Kanji lesen wie jemand, der die Oberschule abgeschlossen hatte. Seit dem Ende seiner Schulzeit versuchte er, sich möglichst durchgehend irgendwie zu beschäftigen. Sei es, dass er lernte, Schlagzeug spielte oder einfach nur Videos und DVDs schaute, irgendetwas brauchte er immer zu tun. In dem einen halben Jahr, dass er fast ausschließlich in seinem Zimmer zugebracht hatte, war ihm das oft nicht gelungen, dann hatte er nur da gesessen, meist im Dunkeln, und sehr bald die Kontrolle über seine Gedanken verloren. Düstere, bedrohliche Sachen waren ihm in den Kopf gekommen und er hatte auch ein paar Dinge getan, die man besser sein ließ. Seine Eltern hatten davon nichts mitbekommen und auch Kasumi wusste nichts davon, zu welchen dunklen Gedanken Metos Kopf fähig war. Er konnte nicht darüber schreiben und so blieben diese Gedanken und Taten allein bei ihm. Wenn er daran zurückdachte, so wie jetzt, fragte er sich manchmal, ob er das alles vielleicht auf irgendeine Weise gebraucht hatte, um so zu werden, wie er jetzt war. Vor sich selbst stand er zu diesen dunklen Zeiten, zu seiner finsteren Seite, doch er war sich überhaupt nicht sicher, ob er das jemals vor jemand anderem können würde. Als er vor eineinhalb Jahren beschlossen hatte, nicht länger dieses Hikikomori-Leben führen zu wollen, hatte er nicht nur seinen Kleiderschrank und sein Aussehen komplett verändert. Er hatte auch sein Zimmer neu gemacht, die Möbel anders hingestellt und sogar neue bekommen. Nichts in seinem Zimmer sollte ihn an seine dunklen Gedanken und Taten erinnern. Durch diese vielen, von einem Tag auf den anderen beschlossenen Veränderungen war aus dem schwachen, undefinierten Hikikomori Haruka Maeda der bewusste Exzentriker Meto geworden, der zwar immer noch Angst vor den meisten Menschen hatte und nicht sprach, doch damit vor sich selbst sehr viel selbstbewusster umging und seine Ängste vor allem zu kontrollieren und mit ihnen umzugehen wusste. „Meto! Es gibt Essen!“, rief seine Mutter aus der Küche. Meto stand auf, legte das Buch beiseite und machte die Musik aus. Sein Vater war nicht da, sicher hatte er wieder länger zu arbeiten. Meto war darüber heute ganz froh, denn er wusste: Sobald er und sein Vater sich wieder über den Weg liefen, würde es erneut eine Predigt über Arbeit, Geld und Sprechen hageln. Nicht, dass er nicht einsah, was seine Eltern ihm sagen wollten, nein, er verstand es sogar ganz gut. Aber er hatte nichts vorzuweisen, was sie zufriedenstellte. Er hatte das Sprechen so sehr verlernt, dass er keine Möglichkeit sah, in diesem Zustand eine Arbeit zu suchen oder gar zu finden. Und er wollte auch gar nicht sprechen. Seine Stimme, wie sie inzwischen auch klingen mochte, war sicher tiefer geworden und das passte nicht zu seinem Äußeren und dem Bild, was er sich von sich selbst gemacht hatte. Er dachte an Mana, der aus demselben Grund schwieg, und fand, dass es durchaus ein berechtigter Grund war. „Hast du noch einmal darüber nachgedacht?“, fragte seine Mutter. Jetzt fing sie auch noch damit an?! Reichte es nicht, wenn sein Vater ihm Druck machte? Meto antwortete nicht, ließ den Stift einfach liegen und sah auf seinen Teller. Er wusste nicht, was er sagen sollte. „Irgendwann musst du etwas dazu sagen, das weißt du, oder?“ Er nickte, schrieb aber immer noch nichts. Als er seinen Block anschaute, sah er, dass er fast vollgeschrieben war. Er nahm den Stift, schrieb „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ und riss das Blatt heraus, um es seiner Mutter hinzulegen. Dann stand er auf, nahm den Block und lief in den Keller. Dort unten hatte er, in einem kleinen Raum neben dem Schlagzeugzimmer, sein kleines „Archiv“, in dem er alle Notizblöcke, die er seit über zwei Jahren als Kommunikationsmittel vollschrieb, sammelte. Aufbewahrte Worte, Dialoge, dazwischen auch ein paar Tagebücher. Alles in Kartons, jeder ordentlich mit dem Datum des Zeitraumes beschriftet. Ganz vornean stand der aktuellste Karton, in den Meto jetzt seinen ebenfalls mit Datum versehenen Notizblock legte, zu den vielen anderen, die er in den letzten Monaten verbraucht hatte. Im letzten Moment stockte er, nahm den Block wieder heraus und schlug die letzte Seite auf, wo er auf dem Kartonrücken die Liste mit Menschen, die nett zu ihm waren, angelegt hatte. Er riss jenen beschriebenen Rücken des Blockes ab und steckte ihn in die Hosentasche. Dann ging er ins Schlagzeugzimmer zurück, setzte sich dahinter und begann seine allabendliche Übungsstunde. Am nächsten Morgen wurde Meto davon geweckt, dass sein Handy mehrmals einen kurzen Signalton von sich gab. Verschlafen drehte er sich zum Nachttisch hin, griff nach dem Handy und schlug dabei versehentlich das Buch, in dem er gestern Abend noch gelesen hatte, herunter. Er ließ es unbeachtet liegen und schaute auf sein Handy: Eine Nachricht. Von Tsuzuku. „Guten Morgen, Meto. Ich habe heute frei, wir könnten uns irgendwo treffen. Wo möchtest du gern hingehen? Tsuzuku“ Meto dachte einen Moment nach. Gab es irgendeinen Ort, den er seinem neuen Freund gern zeigen wollte? Einen Ort außerhalb der Gegend um Harajuku und Yoyogi? Ihm fiel keiner ein, jedenfalls kein öffentlicher Platz. Stattdessen dachte er daran, Tsuzuku vielleicht zu sich nach Hause einzuladen. Das machte man doch unter Freunden so und nah genug fühlte er sich dem Älteren schon, besonders nach der Einkaufstour am Samstag. „Du kannst zu mir nach Hause kommen, dann zeig ich dir mein Schlagzeug und alles. Ich wohne in Adachi, im zweiten Bezirk. Frag einfach den Omawari-san nach der Nummer 20-43-5, der bei uns kennt sich gut aus. Meto“ Doch als er die Nachricht abgeschickt hatte, fühlte er sich dann doch etwas seltsam. Wenn Kasumi zu ihm nach Hause kam, war das eine Sache, schließlich tat sie das seit seiner Kindheit. Bei Tsuzuku war es etwas ganz anderes. Sein Handy gab wieder den Signalton einer Nachricht von sich: „Okay, bin auf dem Weg. Tsu“ In zwei Sekunden war Meto aus dem Bett, riss den Kleiderschrank auf, suchte sich in Windeseile ein Outfit zusammen und hetzte dann ins Bad, um sich zu duschen, zu kämmen und zurechtzumachen. Am Ende fiel alles recht casual aus, viel zu privat, doch sehr viel ändern konnte er nicht mehr, denn als er gerade soweit fertig war, klingelte es auch schon an der Tür. „Wer ist denn das so früh am Morgen?“, fragte seine Mutter. Meto hatte seinen Block nicht mit ins Bad genommen und so konnte er nicht antworten, als seine Mutter zur Tür ging und öffnete. „Guten Morgen.“ Tsuzukus Stimme! „Sind Sie Meto-kuns Mutter? Ich bin ein Freund von ihm und wir haben uns heute verabredet.“ „Ach, dann bist du Tsuzuku-san? Meto hat schon von dir erzählt. Komm doch rein, er ist gerade noch im Bad.“ Meto stand vor dem Spiegel und starrte sein Spiegelbild prüfend an. Seine Haare hingen glatt herunter, sein Make-up war wie gesagt viel zu simpel ausgefallen und sein eilig zusammengesuchtes Outfit bestand aus einem weißen T-Shirt mit der Aufschrift „Horror Doll“ und einer blau-grauen Jeans. Kein Vergleich zu dem aufwändigen Styling, in dem Tsuzuku ihn kannte! Während seine Mutter Tsuzuku Kaffee und Kekse anbot, versuchte Meto, seinen plötzlich sehr beschleunigten Puls in den Griff zu bekommen und zumindest sein Make-up nach seinen Maßstäben zu steigern. Doch obwohl er eineinhalb Jahre Übung darin hatte, sein Gesicht fast bis zur Unkenntlichkeit zu schminken, heute wollte es ihm nicht so recht gelingen. Schließlich gab er auf und ging ins Esszimmer, wo Tsuzuku, heute ebenfalls recht lässig gekleidet, am Tisch saß und frisch gebrühten Kaffee trank. „Guten Morgen, Meto.“ Meto lächelte und hob kurz die Hand. Dann lief er über den Flur in sein Zimmer und holte einen neuen Schreibblock und den Stift. „Entschuldige, ich hab’s nicht so schnell geschafft, mein Zimmer aufzuräumen.“ „Kein Problem. Du kannst mir auch zuerst dein Schlagzeug zeigen“, sagte Tsuzuku. „Und wenn du wüsstest, wie meine Wohnung manchmal aussieht…“ Er lächelte. Und irgendwie schaffte er es mit diesem Lächeln, dass Meto sich entspannte und ihn schließlich ganz ruhig in den Keller zum Schlagzeugzimmer führen konnte. „Das sieht ja richtig professionell aus! Na ja, so spielst du ja auch“, bemerkte Tsuzuku, als er das Schlagzeug und die große Musikanlage sah. Meto lächelte, verlegen und geschmeichelt. Während Tsuzuku einen Blick auf den hier unten befindlichen Teil von Metos CD-Sammlung warf, stand er selbst eine Weile unschlüssig da, doch dann setzte er sich kurzentschlossen hinters Schlagzeug und begann zu spielen. Als er mit dem Stück fertig war, sagte Tsuzuku: „Also, du bist wirklich richtig, richtig gut, Meto. Hast du schon mal überlegt, das professionell zu machen?“ „Ja, klar hab ich das!“, schrieb Meto. „Aber ich krieg den Anfang nicht hin, weißt du, das Suchen und Ansprechen und so.“ Das war genau dasselbe Problem, das Tsuzuku auch hatte. Er wusste, dass er gut war und er wollte liebend gern professionell singen, doch er fand den Anfang der Garnrolle nicht, beziehungsweise traute sich das mit der Kontaktaufnahme und so weiter nicht so recht zu. Aber dann kam ihm eine Idee: „Wir könnten uns doch irgendwann mal zusammen umsehen. Irgendwo, vielleicht bei den Bands im Yoyogi oder in einem Club, wo solche Musik gespielt wird. Was hälst du davon? Vielleicht schaffen wir es zu zweit ja besser.“ Meto nickte begeistert. Tsuzuku war einfach toll! Und er hatte so viel mit ihm gemeinsam! Dieselbe Distanz zum Rest der Welt, dieselbe Liebe zur Musik und zum Visual Kei, dieselben Probleme bei der Suche nach musikalischem Anschluss… Meto konnte es kaum glauben. „Sag mal, was machst du eigentlich? Du sagst, du suchst auch eine Band, aber wofür?“, fragte er. „Ich singe“, antwortete Tsuzuku. „Zeig mal.“ „Später vielleicht. So aus dem Stegreif kann ich nicht.“ „Okay ^^ “ „Und jetzt? Zeigst du mir dein Zimmer?“ So unaufgeräumt war es gar nicht, fand Tsuzuku, als er Metos Zimmer betrat. Zwar war das Bett nicht gemacht und ein paar Sachen lagen auf dem Boden herum, doch es sah um einiges ordentlicher aus, als Tsuzuku das von seinem eigenen Zimmer früher her kannte. Und auch heute noch sah seine Wohnung manchmal furchtbar aus, besonders, wenn in seinem Kopf ein ähnliches Durcheinander herrschte. Es spiegelte sich dann sozusagen in seinem Lebensraum. Er setzte sich auf den Stuhl vor Metos Schreibtisch, während Meto selbst auf dem Bett saß. Eine Weile saßen sie nur so da, schauten sich an und schwiegen. Dann stand Meto auf, ging zur Musikanlage hinüber und schaltete sie ein. Sofort schallte GazettE‘s „Toguro“ durchs Zimmer. „Und was machst du so den ganzen Tag über, wenn du nicht gerade Schlagzeug spielst oder in Harajuku bist?“, fragte Tsuzuku. Meto setzte sich wieder aufs Bett und schrieb: „Meistens lese ich. Oder ich zeichne irgendwas.“ „Du zeichnest? Darf ich ein Bild sehen?“ „Die liegen da auf dem Tisch.“ Tsuzuku drehte sich um und fand mitten auf dem Schreibtisch eine schwarz-weiße Kugelschreiber-Mangazeichnung, die auf den ersten Blick ein Mädchen wie aus einem Horrorfilm zeigte. Ein auf dem Rücken liegendes Mädchen mit hellen, wirren Locken, einem blutbespritzen, teilweise zerrissenen Lolita-Kleid und mit einem Teddy im Arm. Doch als er genauer hinsah, fiel ihm auf, dass sie blutige Löcher auf den Wangenknochen hatte und ihr weißes Kleid denselben Schnitt hatte wie das rosa-weiße, welches Meto am letzten Samstag getragen hatte. „Bist du das?“, fragte er. Meto nickte. „Und hat das irgendeinen Grund, dass du so ein gruseliges Bild zeichnest? Ich meine, soll es irgendwas über dich aussagen oder so?“ Meto brauchte eine ganze Weile, noch länger als sonst, bis er die Antwort schrieb: „Dass ich kaputt bin. Es schon immer war.“ „Kaputt?“ „Ich hab noch nie gut funktioniert. Also bin ich kaputt.“ Meto sah Tsuzuku an und dieser erkannte, dass der Kleine dazu nichts weiter antworten würde. Statt etwas zu schreiben, griff Meto nach Ruana, die neben seinem Kopfkissen saß, und drückte sie fest an sich. Auf einmal wirkte er noch ein ganzes Stück kindlicher. „Hey, Ruana-chan, du bist Metos Schatz, oder?“, sprach Tsuzuku den Bären an. Ruana nickte. Sie war ebenso stumm wie ihr Besitzer, natürlich, doch Tsuzuku kam sie eben dadurch auf einmal irgendwie menschlich vor. Die Musik wechselte. Das nächste Lied war „Linda“. „Das ist aber nicht dasselbe Album“, stellte Tsuzuku fest. Meto griff sich wieder seinen Block und antwortete: „Nein, die CD hab ich selber zusammengestellt.“ „Deine Lieblingslieder?“ „Das waren die ersten, die ich gehört habe.“ Mehr wollte Meto dazu nicht schreiben. Dass er bis vor anderthalb Jahren überhaupt keine Musik gehört hatte? Nein, das musste niemand wissen. Andauernd kam das Gespräch an Punkte, über die Meto nichts verraten wollte und konnte. Dinge, die mit seiner dunkelsten Zeit zusammenhingen. Und Tsuzuku schien auf einmal so neugierig zu sein, so freundlich gewillt, ihn besser kennen zu lernen! Aber würde er auch noch so nett und freundlich sein, wenn er irgendwann auf irgendeinem Weg erfuhr, wie Metos Leben vor seiner radikalen Selbstveränderung ausgesehen hatte? Wohl kaum. Damit konnte keiner umgehen, das war bestimmt jedem zu viel! Nein, Meto wollte nicht, dass Tsuzuku diese Dinge wusste. Natürlich bemerkte Tsuzuku, dass Meto etwas vor ihm verbarg. Doch er wollte nicht weiter nachfragen. Wenn Meto irgendwann darüber reden, beziehungsweise schreiben wollte, würde er einfach da sein und sozusagen zuhören. Irgendwann rief Metos Mutter zum Mittagessen. „Will Tsuzuku-san auch mit uns essen?“, fragte sie. Meto sah ihn fragend an und Tsuzuku nickte. Nach dem Essen (es gab Sukiyaki) kam Metos Vater von der Arbeit zurück. „Wir haben gerade gegessen.“ „Wer ist denn das?“ „Tsuzuku. Meto hat doch schon von ihm erzählt, letzte Woche, weißt du noch?“ „Schön, dich kennen zu lernen. Es freut uns immer, wenn Meto jemand nettes kennenlernt.“ Metos Vater lächelte und Tsuzuku stand auf und verbeugte sich leicht. „Seltsam…“, dachte er, „…ich hatte irgendwie vermutet, Meto würde kein sehr gutes Verhältnis zu seinen Eltern haben. Dass er deshalb so ist. Aber hier scheint alles okay zu sein. Also… also muss es wohl irgendeinen anderen Grund haben.“ Meto wurde ein wenig angespannt. Er wusste: Sobald Tsuzuku wieder gegangen war, würde sein Vater noch einmal mit ihm reden wollen. Und er hatte natürlich immer noch keine Idee, wie das Problem „Arbeit und Geld“ zu lösen war. Zuerst einmal ging er mit Tsuzuku zurück in sein Zimmer. Sie hörten zusammen Musik, Tsuzuku sah sich noch ein paar Zeichnungen an, welche weniger finster waren als die erste, und sie unterhielten sich über dies und das, hauptsächlich über Musik und Kleider. Zwar war das, worüber sie „redeten“, nichts sehr persönliches, doch allein dadurch, dass sie sich austauschten, kamen sie sich weiter näher. Gegen sieben schaute Tsuzuku auf die Uhr und sagte: „Es ist schon ziemlich spät.“ Meto nickte. Eigentlich wollte er nicht, dass Tsuzuku schon ging… Aber vertraut genug zum Übernachten fühlte er sich auch noch nicht. „Man soll gehen, wenn’s am Schönsten ist“, sagte Tsuzuku und stand auf. „Du kannst mir jederzeit ne Nachricht schreiben, das weißt du, oder?“ Meto nickte. Er begleitete seinen Freund noch zur Tür und ging dann ins Wohnzimmer zu seinen Eltern, in Erwartung einer weiteren Ermahnungspredigt. Doch anscheinend sahen sich seine Eltern heute lieber die Nachrichten an, als ihn daran zu erinnern, dass er noch immer nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Also ging er zurück in sein Zimmer und verbrachte den Rest des Abends wieder allein mit seinem Buch. Tsuzuku saß in der Bahn und sah aus dem Fenster. Obwohl es nicht so ausgesehen hatte, war es für ihn doch nicht ganz einfach gewesen, bei Meto zu Hause zu sein, sich dessen Eltern als der Freund aus dem Yoyogi-Park vorzustellen und ganz normal und unauffällig zu wirken. So ging es ihm immer, wenn er Leute neu kennenlernte. Sein Herz klopfte schneller, seine Hände wurden schweißnass und manchmal fiel ihm dann auch das Sprechen schwer. Zum Glück war er heute relativ ruhig geblieben und musste sich keine Sorgen machen, dass Metos Eltern ihn für verrückt hielten. Als die Bahn nach etwa einer Stunde Fahrt in Ichigaya hielt, stieg er aus und bemerkte, dass es zu regnen begonnen hatte. Am Morgen war das Wetter noch schön gewesen, deshalb hatte er natürlich keinen Schirm dabei und die Bahnstation war eine gute Wegstrecke von seiner Wohnung entfernt. Es war zwar nur Nieselregen, doch die winzigen Tropfen legten sich auf sein schwarzes Haar, sodass er, als er zurück in seiner Wohnung war, erst den Mantel auszog, dann ins Bad ging und begann, sich mit einem Handtuch die Haare zu trocknen. Dann ließ er sich im Wohnzimmer, das übrigens wieder einmal ziemlich unordentlich aussah, aufs Sofa fallen. Erst wollte er den Fernseher anschalten, doch dann entschied er sich anders, stand auf, ging ins Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich hin. Er lag noch eine Weile wach und dachte nach, über sich, über Meto, und darüber, wie er sich fühlte, seit er diesen Jungen, der ihm so ähnlich war, kennengelernt hatte. Und so war es gar nicht mal so verwunderlich, dass er in dieser Nacht von ihm träumte. Kapitel 7: Chikaku ------------------ Wieder sahen sie sich ein paar Tage lang nicht, genauer gesagt von Dienstag bis einschließlich Freitag. Meto verbrachte seine Zeit wie üblich in seinem Zimmer und im Keller, außerdem ging er seiner Mutter im Haus zur Hand. Einmal traf er Kasumi, und einen Nachmittag verbrachte er bei Ken und ließ dort, nach der längsten und ausgiebigsten Tattoo-Session bisher, einen weiteren großen Teil seines verbliebenen Geldes. Das „Baby“ war nun wirklich so gut wie fertig, passend zum Sommer, der jetzt im Mai vor der Tür stand und schon zu punkig zerfetzten Oberteilen und zu Netzhemden einlud. Seltsamerweise sprachen weder seine Mutter, noch sein Vater noch einmal das Thema Arbeit an. Meto vermutete, dass sie ihm Zeit gaben, nachzudenken und sich nach einem Job umzusehen. Doch Zeit löste sein Problem nicht. Am Samstagnachmittag fuhr er nach Shinjuku, setzte sich im Yoyogi-Park auf eine Bank und wartete auf Tsuzuku. Eine ganze Stunde saß er da, dann schrieb er Tsuzuku eine Nachricht. „Wo bist du? Ich sitze im Yoyogi und warte auf dich. Meto“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Oh, tut mir leid, Meto. Meine Kollegin ist krank und ich muss ihre Schicht übernehmen. Ist das erste Mal am Samstag, normalerweise habe ich am Wochenende frei. Tsu“ „Also kommst du heute nicht?“ „Nein. Tut mir wirklich leid, ich hätte dich gern gesehen.“ „Ich dich auch. Aber ist okay, vielleicht ein andermal." Er klappte das Handy zu, stand auf und machte sich auf den Weg zu den Straßenbands, um ihnen ein wenig zuzuhören. „Mit Tsu zusammen hätte mir das heute sicher viel Spaß gemacht…“, dachte er und setzte sich in der Nähe der Band, an deren Schlagzeug er gespielt hatte, auf eine Bank. Heute trug er kein Lolita-Outfit, sondern die karierte Hose, die er neulich bei Sex Pot Tokyo gekauft hatte, und das T-Shirt mit dem nietenbesetzten Totenkopf. Die Haare trug er glatt und offen, die Augen hatte er wie sonst auch großgeschminkt und mit großen, schwarzen Kontaktlinsen. Wie immer so, dass man kaum noch erkennen konnte, wie er ohne Make-up aussah. Denn darauf kam es ihm an. Unter dem Make-up war immer noch ein bisschen was von Haruka übrig und diesen Rest sollte niemand außer ihm, seinen Eltern und Kasumi kennen. Ohne Tsuzuku machte ihm der Nachmittag im Yoyogi nur halb so viel Spaß, deshalb ging er früh nach Hause, zog sich um, setzte sich in sein Zimmer und lernte noch ein wenig. So lange, bis sein Vater nach Hause kam. „Haruka!“ Schon wieder dieser Name! „Komm mal her, wir müssen noch mal reden.“ Tsuzuku hatte den ganzen Samstag gearbeitet. Miki lag mit einer Erkältung im Bett und deshalb hatte er für sie einspringen müssen, statt wie üblich nach Harajuku fahren zu können. Jetzt hatte er endlich Feierabend, lag in bequemen Klamotten im Wohnzimmer auf der Couch und ruhte sich aus. Im Restaurant war viel los gewesen, was seine Nerven strapaziert und ihn wieder in Sozial-Stress gebracht hatte. Als sein Handy klingelte, erhob er sich mit einem Seufzer, ging zu seiner Tasche hinüber und las die soeben erhaltene Nachricht. Sie war von Meto. „Tsu, wo genau wohnst du?“ Er antwortete: „Stimmt, das weißt du ja noch gar nicht. Und das, obwohl ich schon bei dir zu Hause war. Also, ich wohne in Ichigaya, in 5-70-21. Die Kouban ist gleich bei der Bahnstation.“ Eine Weile blieb er mit dem Handy in der Hand stehen und wartete auf Metos Antwort, doch als keine kam, setzte er sich wieder auf die Couch und schaltete den Fernseher an. Er zappte durch die Programme, bis er auf einen Sender stieß, der an diesem Abend „the Ring“ ausstrahlte. Tsuzuku kannte den Film fast auswendig und noch war Sadako nicht erschienen. Es war sein Lieblings-Horrorfilm und so blieb er dabei. Obwohl er ihn so gut kannte, jagten ihm manche Szenen noch immer jenen angenehmen Gruselschauer über den Rücken, die er an solchen Filmen liebte. Doch in dem Moment, als Sadako ihre bleichen Arme aus dem Fernseher im Bild streckte und mit herunterhängenden, langen schwarzen Haaren herauskletterte, klingelte es an Tsuzukus Wohnungstür. Er hielt den Film an, stand langsam auf, ging zur Tür und warf einen Blick durch den Türspion, um zu sehen, wer zu dieser späten Stunde noch etwas von ihm wollte. Jetzt, wo der Film nicht weiterlief und es still war, hörte er auf einmal, dass dicke Regentropfen an die Fenster schlugen. Und als er sah, wer da vor seiner Tür stand, tropfnass und sichtlich verweint, hielt er erschrocken den Atem an und riss die Tür auf. „Meto? Was ist denn los? Ist was passiert?“ Der Kleine sah ihn an, ließ dann die große Sporttasche fallen, die er über der Schulter getragen hatte, und kramte darin nach Block und Stift. „Kann ich reinkommen?“, kritzelte er und zitterte dabei wie Espenlaub. Kein Wunder, denn er trug nichts als ein weißes T-Shirt, eine abgewetzte Bluejeans und leichte Turnschuhe ohne Socken, alles vom Regen vollkommen durchnässt. Seine Haare, aus denen ebenfalls Regenwasser tropfte, hingen ihm wirr ins Gesicht und sein ohnehin eher sparsam ausgefallenes Make-up war von Regen und Tränen völlig verschmiert. Ohne Kajal, Kunstwimpern und Linsen wirkten seine Augen natürlich ein ganzes Stück schmaler und weniger puppenhaft. „Ja, klar, komm rein.“ Tsuzuku ließ Meto vorbei, der seine Schuhe auszog, ins Wohnzimmer tapste und dort unschlüssig stehen blieb, sich wohl nicht mit seinen nassen Sachen aufs Sofa setzen wollte. Tsuzuku hob die Sporttasche auf, die auf den ersten Blick Ruana, ein paar Klamotten und Metos Kosmetiktäschchen enthielt, und stellte sie zu seinen eigenen Sachen an die Garderobe. „Du bist ja klatschnass. Und du frierst, oder? Wenn du magst, kannst du eben heiß duschen, sonst erkältest du dich noch.“ Tsuzuku zeigte auf die Badezimmertür, die vom Wohnzimmer abging. „Echt? Darf ich?“ „Ja, natürlich darfst du!“ Tsuzuku lächelte. Langsam stand Meto auf, ließ den Block liegen, betrat das kleine Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Wenig später hörte Tsuzuku Wasser rauschen. Er setzte sich wieder auf die Couch und ließ den Film weiterlaufen. Während zum Hintergrundgeräusch von Regentropfen und Dusche Sadako auf dem Bildschirm ihr Unheil verbreitete, schweiften Tsuzukus Gedanken vom Film ab. Was mochte bei Meto zu Hause passiert sein, dass er hastig eine Tasche gepackt und sich durch den strömenden Regen bis nach Ichigaya durchgekämpft hatte? War es doch zum Streit mit seinen Eltern gekommen? Verstand Meto sich mit seinen Eltern vielleicht gar nicht so gut, wie es bei Tsuzukus Besuch ausgesehen hatte? Fragen, die ihm nur Meto beantworten konnte. Doch als dieser, eng in Tsuzukus Bademantel gewickelt und mit der locker auf den nassen, blonden Haaren liegenden Kapuze auf, ins Wohnzimmer zurückkam und sich in zurückhaltendem Abstand neben ihn auf die Couch setzte, da brachte Tsuzuku es nicht fertig, ihn zu fragen. Meto sollte sich erst mal ein wenig ausruhen. Die Fragen konnten warten. Der Kleine schnappte sich seinen Notizblock und schrieb: „Kann ich bei dir übernachten?“ „Klar. Oder denkst du, dass ich dich heute noch bei Nacht und Regen nach draußen lasse? Du kannst hier auf dem Sofa schlafen.“ Meto lächelte. „Danke, Tsu.“ Sie sahen den Film bis zum Ende an. Und als der Abspann über den Bildschirm flimmerte, bemerkte Tsuzuku, dass Meto die Knie angezogen hatte, langsam immer näher zu ihm gerückt war und jetzt dicht neben ihm saß. „War dir der Film unheimlich?“, fragte er. „Nein. Ich hab den schon oft gesehen. Ich mag Horrorfilme.“ „Das hab ich mir auch fast gedacht. Ich frag nur, weil…“ Er sah Meto an und dieser schien erst jetzt selbst zu bemerken, dass er, wohl unbewusst, so nah zu ihm gerückt war. Verschämt blickte der Kleine nach unten und ging wieder ein wenig auf Abstand. Doch eigentlich hatte die Nähe Tsuzuku gar nichts ausgemacht, eher im Gegenteil. Zwar war er ein Mensch, der Nähe und Körperkontakt scheute, doch das hatte eine einzige Ausnahme: Meto. Schon als er ihm nach dem Shoppingtrip in der Takeshitadori seinen Mantel geliehen hatte, war ihm das bewusst geworden und er hatte sich natürlich darüber gewundert. Schließlich war er sein halbes Leben lang immer und zu jedem auf Distanz gewesen, warum also fiel es ihm auf einmal so leicht, jemanden näher an sich heranzulassen? Er konnte sich das nur mit diesem Gefühl von Ähnlichkeit und Verbundenheit erklären, das er schon seit ihrem ersten gemeinsamen Sonntag im Yoyogi Meto gegenüber empfand. Und Meto schien es ähnlich zu gehen. Im Fernseher kündigte eine Ansagestimme als nächsten Film „Apartment“ an, doch Tsuzuku schaltete das Gerät aus. Meto stand auf und kramte Klamotten aus seiner Tasche. Dann verschwand er wiederum im Badezimmer und kam wenig später im Schlafanzug zurück. Das Oberteil war weit und saß sehr locker, sodass Tsuzuku einen ersten Blick auf das „Baby“ werfen konnte. Es war groß und bunt, viel bunter als seine eigenen Tattoos, und es passte zu Meto wie kein zweites auf der Welt. „Ist es fertig?“, fragte er. Meto nickte begeistert. „Sieht wirklich toll aus. Hast du dir das selbst ausgedacht?“ Meto strahlte ihn an und zog das Oberteil aus. „Schau, Tsu!“, sagten seine Augen, „Es ist genau das, was ich wollte und es gehört zu mir!“ Wie er da stand, nur mit der Schlafanzughose bekleidet, ohne Make-up, mit dem riesigen, bunten Tattoo auf der Brust und den vom Schlagzeugspielen sichtbar trainierten Armen, wirkte er auf einmal viel erwachsener und gar nicht mehr wie ein Mädchen. Zum ersten Mal sah Tsuzuku den achtzehnjährigen Jungen hinter der geschminkten Puppe vor sich, den fast erwachsenen Meto, der gerade unheimlich stolz auf das außergewöhnliche Bild auf seinem Körper war. Das war also Metos wahres Gesicht, zumindest der äußerliche Teil davon. Und Tsuzuku musste zugeben, dass ihm diese Seite an seinem jüngeren Freund gut gefiel. „Du siehst ganz anders aus, ohne Schminke und so“, sagte er. Meto griff sich seinen Block und antwortete: „Du auch. Heute hast du ja gar kein Make-up auf den Augen und keine Kontaktlinsen drin. Finde ich aber gar nicht schlecht. Weil du mich jetzt auch ohne gesehen hast.“ „Weißt du, dass du ohne diesen Puppenlook viel erwachsener aussiehst?“ Meto nickte. „Aber ich sehe nicht gern erwachsen aus. Ich bin gerne eine Puppe.“ „Als Puppe bist du auch sehr hübsch. Ich mag deine Kleider, und wie du deine Augen so veränderst, das ist wirklich beeindruckend. Aber so… na ja, so ohne das alles wirkst du stärker, verstehst du? Wenn du so strahlst wie eben und etwas mehr von dir zeigst.“ „Magst du mich denn so?“ Tsuzuku spürte, wie sein Puls sich beschleunigte, als er beinahe „Ja, sehr sogar.“ geantwortet hätte. Er wusste nicht, wie er dieses „Mögen“ einordnen sollte. In seinem Leben hatte es bisher keinen solchen Menschen wie Meto gegeben, für den er eine derartige Zuneigung empfand, deshalb hatte er keinen Vergleich. Alle seine bisherigen Freundschaften waren eher locker, sehr platonisch und nie von Intensität oder großer Dauer gewesen. Und auch verliebt hatte er sich noch nie. Tsuzuku schrak innerlich zusammen, als er das Wort „verliebt“ dachte. Er wusste nicht, worin der Unterschied zwischen enger Freundschaft und Liebe bestand, also war er ziemlich verwirrt und erschrocken, als ihm klar wurde, wie gern er Meto hatte. Der hatte inzwischen sein Oberteil wieder angezogen und Ruana aus seiner Tasche geholt. Offenbar ließ er Tsuzuku Zeit mit der Beantwortung der Frage, ob er ihn auch so, als den Jungen hinter der Puppe, mochte. „Wo hast du denn Decken und Kissen und so?“ Tsuzuku stand auf, ging in sein Schlafzimmer, holte beides und ein Laken aus dem Wandschrank und legte alles zusammen auf die Couch. Sofort machte Meto sich daran, das Laken auszubreiten und Decke und Kissen darauf zu legen. Neben das Kissen setzte er Ruana, auf denselben Platz, auf dem sie auch in seinem Zimmer saß. „Willst du gleich schlafen gehen?“, fragte Tsuzuku. Meto nickte und kroch unter die Decke. Bevor Tsuzuku sich in sein Schlafzimmer zurückzog, gab er sich einen Ruck und sagte: „Ja, ich mag dich auch so sehr gern.“ Dann schloss er die Tür, legte er sich hin und schlief, nachdem sich sein klopfendes Herz wieder beruhigt hatte, bald ein. Mitten in der Nacht wachte er auf. Jemand berührte, ganz vorsichtig, seine Schulter. Er öffnete die Augen und sah Meto im Halbdunkel mit Ruana im Arm vor seinem Bett stehen. „Meto? Was ist denn?“ Zum ersten Mal verwendete dieser ihm gegenüber eine Art Zeichensprache. Er legte den Kopf zur Seite, auf seine zusammengelegten Hände, und schüttelte dann den Kopf. „Kannst du nicht einschlafen?“ Meto nickte traurig. Aus irgendeinem Grund hatte er seinen Notizblock im Wohnzimmer liegen lassen und war nun wirklich stumm. Tsuzuku setzte sich auf. „Was hält dich denn wach?“, fragte er, obwohl er sah, dass der Kleine sein Schreibzeug nicht zur Hand hatte. Statt einer Antwort zupfte Meto an der Bettdecke und sah ihn bittend an. Das war auch ohne Worte zu verstehen: „Kann ich zu dir ins Bett?“ Tsuzuku überlegte einen Moment. Er war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Bei einem Kind wäre es eine einfache Sache gewesen, doch Meto war kein Kind mehr und gerade vorhin war seine erwachsenere Seite so deutlich zu sehen gewesen. Aber andererseits… wenn der Jüngere diese Nähe brauchte, um endlich mit dem Grund für sein trauriges Auftauchen in Tsuzukus Wohnung herauszurücken… Schließlich hatte er sich entschieden und schlug die Bettdecke ein Stück beiseite. Wie ein Kind bei Gewitter kroch Meto zu ihm unter die Decke, Ruana fest im Arm und immer noch ohne ein Mittel zur Kommunikation. Eine ganze Weile lagen sie schweigend nebeneinander. Tsuzuku bemerkte, dass irgendetwas in Metos Kopf angestrengt arbeitete, und trotzdem war er sehr überrascht, als er die leise, noch etwas kratzige Stimme neben sich hörte: „Tsu?“ Er sah Meto verwundert an. „Hast du was gesagt?“ „Tsu… Tsuzuku? Ha… hast du… mal… was getan, …obwohl du… wusstest, dass es… falsch war?“ Es war die Stimme eines Achtzehnjährigen, eindeutig ein Teil von Metos erwachsener Seite. Etwas, das nichts mit der mädchenhaften Puppe zu tun hatte. Die Worte klangen unbeholfen, natürlich, nach der langen Zeit. Doch es waren richtige Worte. Meto sprach. Was auch immer es war, das ihn auf einmal, nach zwei Jahren Schweigen, zum Sprechen brachte: Es musste eine große, schwerwiegende Sache sein. „Ja, schon oft. Wieso fragst du?“, erwiderte Tsuzuku. Meto brauchte eine ganze Weile, bis er leise antwortete: „Ich… wegen der… Arbeit … und so… Mein Vater… hat… er hat mich… angebrüllt, …dass ich… endlich… sprechen und arbeiten… soll…“ „Und was hast du gemacht?“ „Ich… hab geschrieben, …dass ich… das nicht will, …sprechen, …und dass ich… mir mein Ich… von früher… nicht wieder… aufzwingen… lasse…“ „Dein Ich von früher?“, fragte Tsuzuku und erkannte, dass das der Punkt war, den Meto bisher vor ihm verborgen hatte. „Das, weshalb du kaputt bist?“ Meto nickte. „Magst du mir davon erzählen?“ „… nein… da kann ich …nicht… drüber reden…“ „Hast du denn oft Streit mit deinen Eltern?“ Meto schüttelte den Kopf. „Eigentlich… sind sie immer… lieb zu mir. Aber… weil ich ja… nicht spreche… und nicht arbeite… sind sie jetzt… ungeduldig. Sie… machen sich Sorgen, …dass aus mir… nichts wird… und dass ich… nicht lerne, wie ich… allein für mich… sorgen kann und so…“ „Kannst du das denn?“ „Ich… weiß, wie man… kocht und aufräumt und so… Ich helfe auch … zu Hause. Nur… arbeiten gehen, …das kann ich… eben nicht…“ „Wegen dem Sprechen?“ Meto nickte. Und Tsuzuku verstand: Auch, wenn Meto jetzt mit ihm sprach, hieß das noch lange nicht, dass er auch mit anderen Menschen sprechen konnte. Genauso, wie er sich Fremden niemals ungeschminkt zeigen würde. Meto als Puppe, als Gesamtkunstwerk, war und blieb stumm. Tsuzuku sah zwar gerade den Jungen dahinter, der sich nun endlich zum Sprechen durchgerungen hatte, doch ihm war klar, dass das nur ihm galt und Meto diese Seite von sich bestimmt so bald niemand anderem zeigen wollte. Wieder schwiegen sie eine Weile. Tsuzuku, weil er nicht wusste, was er fragen sollte, und Meto wohl, weil ihm das Sprechen einfach schwer fiel. Doch auf einmal bewegte Meto sich, rückte ganz nah an Tsuzuku heran und legte den Kopf an dessen Schulter. „Ich hab dich lieb, Tsuzuku“, flüsterte er und hielt den Arm des Älteren fest. Diese wenigen Worte kamen ganz ohne Stocken, wohl direkt aus Metos Herzen, und enthielten die ganze merkwürdige Art der Freundschaft zwischen ihnen. Der Altersunterschied (Meto hatte ganz richtig geraten, Tsuzuku war fünfundzwanzig), die Vertrautheit, obwohl sie sich noch gar nicht lange kannten und nicht einmal den echten Vornamen des anderen wussten, die ganze Merkwürdigkeit dieser Freundschaft zwischen zwei unsozialen Außenseitern, die sich am Rand der Welt jeder eine eigene geschaffen hatten und diese eigenen Welten nun langsam miteinander verbanden. Tsuzuku drehte sich langsam auf die Seite, bis seine Lippen fast Metos Stirn berührten, und erwiderte, ebenso leise: „Ich dich auch, Meto.“ Eine Welle von beinahe überwältigendem Nähegefühl stieg in ihm auf und sein Herz klopfte aufgeregt, als ihm endgültig klar wurde, dass er von nun an wirklich nicht mehr allein war. Er hatte endlich, obwohl er es schon fast aufgegeben hatte, jene tiefe Freundschaft gefunden, nach der er sich schon sein ganzes Leben lang sehnte. Irgendwann schliefen sie so ein, dicht aneinander gekuschelt und, trotz allem Unglück, das es in ihren Leben außerhalb dieses Raumes gab, in diesem Augenblick glücklich. Kapitel 8: Tobu wo hajimeru - Start to fly ------------------------------------------ Als Meto am nächsten Morgen aufwachte, wusste er erst nicht, wo er war. Er sah sich verwundert um. Was war das für ein Zimmer? Er hörte Wasser rauschen und dazwischen jemanden singen. Eine wundervolle Stimme. Wo war Ruana? Er setzte sich auf, um sie zu suchen und fand sie schließlich auf dem Nachtschrank sitzen, neben dem Bett, in dem er lag. Es war ein recht breites Bett mit zwei Kopfkissen und einer großen Decke. Das zweite Kissen war zerdrückt, es musste noch jemand darauf geschlafen haben. Meto lauschte weiter, hörte der wunderbaren Stimme zu, bis ihm endlich wieder einfiel, dass er bei Tsuzuku in der Wohnung war. Die Uhr an der Wand zeigte neun Uhr und zehn Minuten an. „Ist das Tsu, der da singt?“, fragte er sich. „Das hört sich ja toll an! Aber wieso liege ich in seinem Bett? Ich hatte mir doch ein Lager auf der Couch gemacht.“ Es wurde still, kurz darauf hörte Meto leise Schritte und die Tür zum Schlafzimmer wurde geöffnet. Tsuzuku stand, nur mit einem Handtuch um die schmalen Hüften, im Türrahmen und lächelte. Sämtliche Tattoos auf Oberkörper und Armen waren voll zu sehen, sowie Piercings in Brustwarzen und Bauchnabel. Und zwischen seinen vom Duschen nassen Haaren schaute sein rechtes Ohr heraus: Ein großer Tunnel, dazu ein zweiter, kleinerer, fünf kleine Ringe und ein Stab. Wahnsinn! „Guten Morgen, Meto. Hast du gut geschlafen?“ Meto nickte. Er konnte nicht umhin, Tsuzuku anzustarren. Der hatte auf dem Brustbein eine ringförmige Wölbung, die Meto bisher noch nicht aufgefallen war. Ein Implantat! „Das hab ich letztes Jahr machen lassen“, sagte Tsuzuku, als er Metos Blick bemerkte. Meto wollte „Sieht toll aus!“, schreiben, doch er fand seinen Notizblock nicht. „Sag’s doch einfach. Gestern Abend hast du doch auch mit mir gesprochen.“ Tsuzuku lächelte wieder. Und erst jetzt fiel es Meto wieder ein. Er hatte gesprochen, hatte seinem Freund den Grund erzählt, warum er gestern einfach so bei ihm aufgetaucht war. Er brauchte eine Weile, um sich zu erinnern, wie Sprechen ging, doch dann kam es einfach heraus: „Das ist echt cool, Tsu. Vielleicht mach ich sowas irgendwann auch.“ „Das muss man aber im Krankenhaus machen lassen. Ist schon wie ne OP, deshalb kostet es auch ziemlich viel.“ Tsuzuku ging zum Kleiderschrank, klappte beide Türen auf, so dass Meto ihn nicht mehr sehen konnte, und redete weiter: „Ich hab heute Morgen mal ein bisschen nachgedacht. Über dein Problem mit Arbeiten und so. Es geht ja hauptsächlich darum, dass du dir eigenes Geld verdienst und selbstständig was in der Richtung unternimmst, oder? Also ist mir eine Idee gekommen, die wird dir gefallen: Wir gehen heute in den Yoyogi, zu den Bands, und sprechen mal ein paar von denen an. Du als Schlagzeuger und ich als Sänger. Bestimmt gibt es da jemanden, der mal mit uns zusammen spielen will und vielleicht entdeckt uns ja jemand, der uns weiterhelfen kann. Zusammen schaffen wir zwei das schon. Na, was sagst du dazu?“ „Das… das ist toll!“ Tsuzuku kam, in seinen üblichen, elegant schwarzen Sachen, hinter der Schranktür hervor und sah Meto, der ja noch immer seinen Schlafanzug trug, an. „Willst du vorher noch nach Hause fahren und dich hübsch machen?“, fragte er. „M-hm…“ „Aber erst gibt’s Frühstück.“ Meto stand langsam auf, ging ins Wohnzimmer und holte eine Jeans, einen Kapuzenpullover und das Kosmetiktäschchen aus seiner Tasche, verschwand dann damit im Bad, und als er fertig angezogen wieder herauskam, hatte Tsuzuku in der kleinen Küche schon den Tisch gedeckt. Es duftete nach Toast und Rührei. Sogar eine kleine Kerze brannte und ließ den Tisch fast wie in einem Frühstückslokal aussehen. Das Restaurant Tanaka bot auch Frühstück an, deshalb hatte Tsuzuku Übung darin, einen Tisch dafür schön herzurichten. Meto lächelte, setzte sich und begann, ein Toast mit Marmelade zu beschmieren. In diesem Augenblick fühlte er sich hier bei Tsuzuku mehr zuhause als bei seinen Eltern. Vielleicht, weil er hier gestern Abend seine Sprache wiedergefunden hatte. Oder weil Tsuzuku nichts über Haruka wusste. Nach dem Frühstück packte er seine Sachen zusammen und machte sich ein wenig widerwillig auf den Weg nach Hause. Er hoffte, dass sein Vater nicht da und seine Mutter vielleicht zu beschäftigt war, um sich an diesem Morgen mit ihm abzugeben. Einfach in sein Zimmer gehen, sich umziehen, das Puppen-Make-up auflegen, dann nach Harajuku fahren und mit Tsuzuku zusammen zu den Bands im Yoyogi gehen, das wäre das Beste gewesen. In einer Sache hatte er Glück: Sein Vater war nicht da. Doch als Meto die Haustür aufschloss und seine Schuhe auszog, kam ihm seine Mutter entgegen. „Meto! Wo bist du die ganze Nacht gewesen?“, fragte sie aufgeregt. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!“ Er kramte seinen Block raus. „Ich war bei Tsuzuku.“ „Du kannst doch nicht einfach so abhauen! Ich weiß, dein Vater ist gestern ziemlich laut geworden, aber…“ Weiter kam sie nicht, denn Meto ging ohne einen weiteren Blick an ihr vorbei in sein Zimmer und schlug die Tür zu. Doch im nächsten Moment tat es ihm leid, er schrieb einen Zettel und schob ihn unter der Tür durch. „Ich bin gleich wieder weg, hab was im Yoyogi vor. Ist sehr wichtig. Meto“ Er hörte, wie seine Mutter den Zettel aufhob und dann wieder in die Küche verschwand. Als er sich fertig angezogen hatte (punkige Sachen, die wohl besser als Lolita-Kleider dazu passten, Bands „anzusprechen“), lief über den Flur ins Bad, um das Make-up auszubauen, die großen Linsen einzusetzen und sich die Haare zu glätten. Schließlich war er zufrieden, ging in sein Zimmer zurück und packte den Block, Ruana, Handy, Portmonee und Schlüssel in eine schwarze, nietenbesetzte Tasche. Dann ging er aus dem Haus und machte sich auf den Weg zur Bahnstation. Tsuzuku erwartete ihn im Yoyogi, auf der Parkbank, bei der sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Auch er hatte sich geschminkt, sogar etwas ausgiebiger als sonst. Um die Augen herum viel dunkle Farbe und die Lippen rot. Sein Augenbrauenpiercing schimmerte im Sonnenlicht. Als er Meto sah, ließ er seine Zigarette fallen und trat sie aus. „Die sind da drüben gerade am Aufbauen“, sagte er. „Am besten gehen wir jetzt hin, bevor sie mit den Auftritten anfangen.“ Meto nickte. Zusammen gingen sie durch den Park auf den Platz zu, an dem an diesem Morgen zwei Bands ihre Verstärker und Schlagzeuge aufbauten. Tsuzuku atmete einmal tief durch, nahm Metos Hand, drückte sie kurz und ließ sie dann wieder los. „Bereit?“, flüsterte er. „Ja“, gab Meto noch leiser zurück. Die Band, die ihnen am nächsten war, bestand den aufgebauten Instrumenten nach aus vier Leuten. Auf einer Decke auf dem Boden saß der blonde Gitarrist und stimmte seine schwarze E-Gitarre. Er machte einen ungewöhnlich professionellen Eindruck und blickte nur kurz auf, als Tsuzuku vor ihm stehen blieb. Das auf den ersten Blick Auffälligste an ihm war seine gerade, schmale Nase, die so deutlich unjapanisch wirkte, dass sie nur künstlich so geworden sein konnte. Er trug ein freizügiges Lederoutfit, wie es Visual Kei-typischer kaum sein konnte. „Ganz ruhig, Genki…“, versuchte Tsuzuku, sich innerlich zu beruhigen, doch er spürte schon, wie seine Hände schwitzig wurden und sein Herz zu rasen begann. Meto berührte ihn am Arm. „Alles okay, ich bin ja auch da.“ sollte das heißen. Obwohl der Jüngere selbst nicht weniger aufgeregt war. Der Gitarrist blickte wieder auf. „Kann ich euch was weiterhelfen?“, fragte er. Tsuzuku atmete noch einmal tief durch, dann antwortete er: „Ich bin Tsuzuku und das hier ist Meto. Er spielt Schlagzeug, ich singe, und wir wollten fragen, ob…“ „…Ihr mal mit uns auftreten könnt?“, unterbrach der Gitarrist ihn, legte vorsichtig seine Gitarre beiseite, stand auf und sah Meto an. „Sag mal, bist du nicht der, der vorletzte Woche oder so da drüben ein Schlagzeugsolo hingelegt hat? Ich hab dich gesehen, aber du warst auf einmal weg.“ Meto nickte. „Hey, Mia, wer sind denn die zwei?“, fragte der Bassist, der mit seinem Instrument ein Stückchen weiter auf einer kleinen Mauer saß und nun zu ihnen herüberblickte. Der Gitarrist, der wohl auf den Namen Mia hörte, antwortete: „Das sind Meto und Tsuzuku, einer Schlagzeuger, der andere Sänger. Sag mal, Hiroaki, meinst du, das geht, dass wir die beiden heute mal ein bisschen dabei haben?“ „Shun ist Leader, den musst du fragen“, gab der Bassist zurück. „Er holt sich grade was zu essen, müsste gleich wieder da sein.“ „Setzt euch doch“, sagte Mia und bot Tsuzuku und Meto einen Platz auf seiner Decke an. „Ich bin MiA: M, i, großes A. Unsere Band heißt Dis:Hana. Und ihr? Seid ihr nur zu zweit?“ Tsuzuku nickte. Langsam fiel ein Teil der Anspannung von ihm ab. Doch im Gegensatz zu ihm schien Meto immer aufgeregter zu werden. Der Jüngere blickte unsicher umher, kratzte an seinen Fingernägeln herum und rückte näher an ihn heran. „Hey, ganz ruhig, Meto, du hast das doch schon mal gemacht. Ich hab noch nie vor Publikum gesungen, nur mal so vor meinen Kollegen. Hör mal, wir ziehen das hier jetzt zusammen durch, okay?“, flüsterte Tsuzuku ihm zu. Meto nickte, holte seinen Block aus der Tasche und begann, irgendetwas zu zeichnen. „Wieso denn so schüchtern, Meto-chan?“, fragte MiA und lächelte. „Du bist doch gut!“ Meto reagierte kaum. „Er redet nicht“, erklärte Tsuzuku auf MiAs etwas verwirrten Blick hin. „Gar nicht?“ „Meto schreibt nur.“ „Aber süß bist du“, sagte MiA und lächelte Meto weiter an. Wenig später tauchte ein weiteres Mitglied der Band auf. Den Schachteln mit Crêpes nach zu urteilen, war das Shun, den MiA als den Sänger der Band vorstellte. Kurz darauf traf auch der Drummer namens Akio ein. MiA erklärte den Grund für Tsuzukus und Metos Erscheinen. „Wir wollen heute ‘ne ganze Menge covern“, sagte Shun. „Sachen von Gazette und Diru. Kennst du dich da aus, Tsuzuku?“ „Ja, klar. Ich meine, wer kennt die nicht?“ „Und du, Meto?“ Meto nickte nur. Von dem erwachsener wirkenden, sogar sprechenden Jungen, den Tsuzuku gestern Abend und heute Morgen kennen gelernt hatte, war in diesem Moment nichts mehr zu erkennen. „Wie viel wollt ihr beiden denn übernehmen?“, fragte MiA. „So ein oder zwei Lieder. Oder, Meto?“ Wieder nickte der Kleine. Shun hielt ihm einen Zettel hin, eine Auflistung der Songs, die die Band heute covern wollte. Von Versailles war nichts dabei, dafür einiges von GazettE. „Wir haben auch eigene Songs“, erklärte Akio. „Aber meistens covern wir größere Bands. Wir sind halt noch keine Profis.“ „Ist doch gut.“ Tsuzuku gelang sogar ein Lächeln. Er hatte das Gefühl, einigermaßen gut mit diesen Leuten zurechtzukommen, jedenfalls für seine Verhältnisse. Und als die Band alles aufgebaut und sich für den ersten Song bereit gemacht hatte (einen ihrer eigenen), da hatte sich auch Meto wieder gefangen und wirkte sichtlich entspannter. „Los geht’s!“, rief Shun ins Mikro. Von diesem Moment an fühlte sich für Tsuzuku alles wie ein Traum an. Mit klopfendem Herzen wartete er auf seinen Einsatz und als er dann vorne am Mikro stand, kamen ihm die Zuschauer vor wie ganz weit weg. Es fühlte sich an wie zu Hause in seiner Wohnung, wenn er die Musikanlage auf Playback eingestellt hatte und Singen übte. Obwohl er die Augen geöffnet hatte, bekam er von seiner Umgebung nicht viel mit. Alles, was er spürte, war die Musik, der Song, den er gut kannte und die innere Ruhe und Entspannung, die er an der Musik so liebte. Er hörte MiAs Gitarrenspiel neben sich, Wahnsinn, der Typ war einer der besten Gitarristen, die er je gehört hatte, dazu Hiroakis Bass, ebenfalls gut, wenn auch nicht so umwerfend, und Metos Schlagzeugspiel, so unheimlich schnell und gekonnt. Überall um ihn herum war die Musik und als der Song zu Ende war, da war es für Tsuzuku, als würde er aus dem besten Traum seines Lebens erwachen. Und er fragte sich, warum er nicht schon viel eher den Mut gehabt hatte, öffentlich aufzutreten. Aber der Traum war nicht vorbei. Weil es kein Traum war. Es war echt, real. Er stand hier im Yoyogi-Park, zusammen mit Meto und einer Band, und hatte zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gesungen. Hatte seine große Liebe, die Musik, vor einem ihn staunend anstarrenden Publikum ausgelebt. Die Leute klatschten, jubelten, einige hatten sogar zu tanzen angefangen. Das zu sehen, erfüllte Tsuzuku mit einer unglaublichen Euphorie. Er stand da, spürte regelrecht, wie seine Augen leuchteten, fühlte sich schwebend und konnte es noch gar nicht richtig glauben. Erst Metos Hand an seinem Arm holte ihn wieder halbwegs auf den Boden zurück. „Tsu“, flüsterte der Jüngere hinter ihm. „Das war doch erst der erste Song.“ Tsuzuku drehte sich zu ihm und der Band um und strahlte. So offen zu Lächeln fiel ihm normalerweise recht schwer, doch auf einmal fühlte sich das und alles andere leicht und einfach an. Lächeln, reden, ein bisschen sozial sein. Irgendwo am Rande seines Bewusstseins wusste er, dass das nicht ewig anhalten würde, doch gerade deshalb beschloss er, diesen Zustand jetzt zu genießen. „Wow, du bist ja der Wahnsinn!“ MiA klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Und das sagst gerade du?“, gab Tsuzuku zurück. „Ehrlich, ich hab noch nie jemanden so gut Gitarre spielen gehört!“ „Danke!“ MiA lächelte. „Weitermachen!“, rief ein blauhaariges Mädchen aus dem Publikum dazwischen. Tsuzuku tauschte einen Blick mit Shun, der wieder vortrat und sich für seinen nächsten Einsatz bereit machte. Während der folgenden drei Songs saßen Tsuzuku und Meto auf der kleinen Mauer hinter der improvisierten „Bühne“. Metos Augen leuchteten, das war deutlich zu sehen, obwohl er die großen, schwarzen Kontaktlinsen trug. Er zog seinen Block aus der Tasche. „Du strahlst so, Tsu.“ Tsuzuku lächelte. „Mir geht’s auch richtig gut. Ich meine, ich hab zum ersten Mal vor einem echten Publikum gesungen… das ist schon… wow…“ „Du hast gesagt, wir schaffen das zusammen.“ Meto strahlte. Er schien von derselben Euphorie gepackt, ebenso und aus demselben Grunde glücklich. Wieder fühlte es sich für Tsuzuku ein wenig so an, als würde er in eine Art Spiegel blicken. Wie bei ihrer ersten Begegnung. Das war wohl Schicksal. Denn wie sonst ließ sich erklären, dass er in Meto einen Seelenverwandten gefunden hatte, der so oft dasselbe fühlte wie er und zu dem er eine solche Verbundenheit empfand. „Aber weißt du, Tsu…“, schrieb Meto, „…ich finde, für heute ist es genug. Kein zweites Lied. Mir ist schon ganz schwindlig.“ Tsuzuku dachte einen Moment nach, dann nickte er. Ja, für heute war es wirklich genug. Die Euphorie machte ihm Herzrasen, allzu viel davon vertrug er nicht. „Was ist?“, fragte Shun, der gerade mit dem letzten der drei eigenen Songs fertig war. „Für heute ist genug“, sagte Tsuzuku. „Es hat wahnsinnig Spaß gemacht, aber…“ „Ist klar, war ja euer erster öffentlicher Auftritt, oder? Glaub ich euch zwar nicht so recht, so irre gut, wie ihr seid, aber egal. Wollt ihr denn irgendwann nochmal mitmachen?“ Meto nickte begeistert. Shun winkte MiA heran. „Hey, gib den beiden doch mal deine Nummer, dann können sie sich melden, wenn sie wieder mal Lust auf ‘nen Auftritt mit uns haben.“ „Klar!“ MiA lächelte, zog sein Handy heraus und diktierte seine Nummer, die Meto sofort mitschrieb. Das Publikum schien ein wenig enttäuscht, als sie sahen, dass Tsuzuku und Meto den Platz wieder verließen. Tsuzuku tat es auch ein wenig leid, die Leute nach nur einem Song so stehen zu lassen, doch Meto hatte wirklich Recht: dieser eine Song war genug für diesen Tag. Als sie sich an der Bahnstation Harajuku voneinander verabschiedeten, überkam ihn noch einmal diese Überschwänglichkeit, die er so gar nicht von sich kannte, und er umarmte Meto kurzentschlossen mitten auf dem Bahnsteig. Dann stieg er in die Bahn nach Ichigaya und lächelte die ganze Strecke über vor sich hin, leise eine Passage aus dem Song immer wieder vor sich hin summend. Kapitel 9: Wataba Genki ----------------------- Wieder vergingen für Tsuzuku ein paar Tage mit Arbeit im Tanaka. Seine anhaltend gute Laune fiel allen seinen Kollegen auf, doch auf ihr neugieriges Nachfragen antwortete er nur: „Freut euch einfach, dass es mir gut geht und dass ich arbeite.“ Zu Hause intensivierte er sein Gesangstraining, suchte nach immer neuen Songs und Tutorials und übte bis in die Nacht. Einmal klopfte seine Nachbarin aus der Wohnung darunter, eine ältere Dame mit drei Katzen, an seine Tür und bat ihn mehr oder weniger freundlich darum, zu so später Stunde (es war halb elf) doch endlich mit dem „Geschrei“ aufzuhören. Er entschuldigte sich und als er sie am nächsten Morgen mit zwei schweren Einkaufstaschen auf der Treppe traf, half er ihr kurzentschlossen dabei, diese bis zu ihrer Wohnungstür zu tragen. So etwas war eigentlich überhaupt nicht seine Art, doch er fühlte sich seit dem Auftritt im Yoyogi so entspannt, dass seine Sozial-Angst und alles, was damit zusammenhing, sich weiterhin irgendwo im Urlaub befanden. Währenddessen ging Meto weiterhin seinem gewohnten Tagesablauf nach. Lernen, Schlagzeug üben, Essen, Lesen, weiterlernen, wieder üben. Nach dem Auftritt war er mit gemischten Gefühlen nach Hause gekommen, zumal sein Vater ihn gleich an der Tür empfangen hatte. Doch statt ihm Druck und Vorwürfe zu machen, hatte dieser den langen Zettel, auf dem Meto ihm von dem Auftritt berichtete, aufmerksam gelesen und dann anerkennend gesagt: „Dann hast du dich jetzt also endlich gekümmert. Weißt du, Meto, nichts anderes wollten wir von dir. Wenn du gern professionell Schlagzeug spielen willst, dann bleib da dran. Es besteht bei deinem Talent immerhin die Chance, dass da wirklich etwas draus wird. Deine Mutter und ich, wir unterstützen dich auf jeden Fall.“ Meto hatte gelächelt und war dann sofort im Keller verschwunden, um weiter zu üben. Es lief also ziemlich gut in seinem Leben. Bei Tsuzuku dagegen war es nach ganzen vier Tagen bester Laune wieder vorbei. Nicht etwa, weil seine Motivation nachließ, nein, vielmehr brachte ihn etwas, das am Donnerstagabend auftauchte, plötzlich aus der Bahn. An diesem Abend klingelte das Telefon. Allein das kam recht selten vor, denn Tsuzuku hatte kaum jemanden, der ihn darüber anrief. Mit seinen Kollegen aus dem Tanaka telefonierte er, wenn es einmal notwendig war, über Handy oder schrieb Nachrichten, und so gab er seine Festnetznummer so gut wie nie heraus. Deshalb ahnte er bereits, als er das Läuten des Telefons im Flur hörte, dass es eigentlich nur eine Person gab, die ihn auf diese Weise kontaktierte. Zwar leuchtete die Nummer des Anrufers auf dem Display, doch er sah bewusst nicht hin. „Wataba hier“, meldete er sich knapp. Am anderen Ende war ein leises Lachen zu hören. „Also wirklich, Genki! Hast du meine Nummer immer noch nicht im Telefonbuch? Das sind doch nur ein paar Zahlen, die kannst du doch mal eben eingeben!“ Es war nicht zu fassen. Schon im ersten Satz schwang ein spöttischer, kaum verborgener Vorwurf mit, alles Weitere gab Tsuzuku schon fast den Rest, bevor er der weiblichen Stimme am anderen Ende der Leitung überhaupt mit einem frostigen „Hallo, wie geht’s?“ antworten konnte. „Mama. Wieso rufst du an?“, fragte er, nachdem er innerlich bis zehn gezählt und den ersten Schwall Spott und Vorwürfe heruntergeschluckt hatte. „Ich wollte mal hören, was du so machst in Tokyo. Du hast dich lange nicht mehr gemeldet, Junge.“ Junge. Sie nannte ihn immer noch Junge! Als würde sie seit Jahren ignorieren, dass er längst über zwanzig und somit definitiv erwachsen war. Und genau genommen tat sie das auch. Sie ignorierte beinahe alles an ihm. Es interessierte sie einfach nicht, weshalb er vor sechs Jahren nach Tokyo gezogen war, welcher Arbeit er nachging, was für ein Leben er hier führte. So, wie es sie noch nie interessiert hatte. Ihre Frage „Was machst du so?“ war nichts weiter als die Suche nach etwas, womit sie ihn weiter sticheln und sich darüber amüsieren konnte. „Mir geht’s gut“, erwiderte er knapp und hätte am liebsten ein zynisches „Was interessiert dich das auf einmal?“ hinterhergeschoben. Doch das verbiss er sich, wie eh und je. Noch nie hatte er seiner Mutter eine ihrer bissigen Bemerkungen zurückgezahlt. Er schluckte einfach jedes ihrer Worte, konnte bei ihr nicht anders. Wenn er mit Kollegen stritt (das war in seinem Job vor dem im Tanaka öfter vorgekommen), dann war es ihm leicht gefallen, Kontra zu geben, den anderen zu verletzen und sich anschließend durch Flucht aus der Affäre zu ziehen. Er hatte seine harte Schale ausgespielt, mit der er sich ganz gut verteidigen konnte. Doch nicht gegen seine Mutter. Saeko Wataba war eine Frau, die sich wenig bis gar keine Gedanken darum machte, was ihre Bemerkungen bei anderen Menschen anrichteten. Sie redete, wie es ihr einfiel, und meistens hatte sie für alle anderen nur Spott und ihr verletzendes, leises Lachen übrig. Insbesondere für ihren einzigen Sohn. Tsuzuku wusste nicht sicher, ob es nicht vielleicht diese unsensible Art seiner Mutter war, die ihn unauslöschlich geprägt und zu dem unsozialen, komplizierten Menschen gemacht hatte, der er heute war. Aber er vermutete es. Sie war die einzige, die seine gesamte Kindheit und Jugend in seiner Nähe gewesen war und ihn tagtäglich mehr oder weniger mit ihrem taktlosen Verhalten traktiert hatte. Eigentlich hätte sie ihm beibringen sollen, wie man mit Menschen umging, doch das hatte sie nicht getan und so hatte Tsuzuku sich alles selbstständig beibringen müssen. Nur leider war ein Kind, später ein einsamer Jugendlicher, dazu kaum selbst in der Lage, weshalb das Ergebnis nun einem schiefen, aus abgerissenen Fäden gewebten Fetzen Stoff glich. Einem Stofffetzen, der deshalb die falsche Form hatte und nirgends wirklich passte. „Hast du wieder Arbeit gefunden, Genki? Als ich dich letztes Mal fragte, hattest du keine“, stichelte sie weiter und fand sich selbst dabei wahrscheinlich auch noch humorvoll. „Ja, in einem Restaurant, als Kellner“, erwiderte er und war froh, dass seine Mutter sein Gesicht nicht sehen konnte. Selbst ihr wäre aufgefallen, wie kalt seine Augen wurden, und als er versehentlich in den Garderobenspiegel blickte, erschrak er selbst darüber. „Ich wollte dich nämlich mal besuchen kommen. Vorausgesetzt, du hast eine anständige Wohnung, aber die wirst du dir ja wohl leisten können, wenn du einen Job hast, oder?“ Tsuzuku knallte den Hörer beinahe schon reflexartig zurück auf die Ablage. Die schwarze Nummer auf dem Display verschwand. Saeko hörte jetzt sicher jenes gleichförmige „Tuut, tuut, tuut,…“, das anzeigte, dass ihr Sohn das Gespräch als Reaktion auf ihre Frage abgebrochen hatte. Aber ob sie einsah, warum er auf keinen Fall wollte, dass sie ihn besuchte, war mehr als fraglich. Sie hatte fünfundzwanzig Jahre lang nicht verstanden, was in Genki vorging, warum also sollte sich das jetzt noch einmal ändern. Mit einem gequälten Seufzen ließ Tsuzuku sich auf die Couch fallen. Seine gute Laune der letzten Tage war verflogen und er hasste seine Mutter dafür, dass sie mitten in die beste Zeit seines Lebens geplatzt und ihm wieder einmal alles verdorben hatte. Er schaltete den Fernseher ein, doch dort liefen auf fast allen Sendern entweder Nachrichten oder schlechte Dorama. Also stellte er das Gerät wieder ab, knallte die Fernbedienung auf den Couchtisch und zog sein Handy aus der Hosentasche. Tippte mit den Fingern darauf herum, bis Metos Nummer auf dem Display erschien und starrte die lange Reihe von Zahlen eine ganze Weile an. Doch da er keine Ahnung hatte, wie er das, was gerade passiert war, in eine SMS verpacken sollte, und davon ausging, dass Meto eher nicht telefonieren wollen würde, legte er das Handy schließlich beiseite, zog sich eine dünne Jacke über und verließ die Wohnung in Richtung eines kleinen Parks, der zwischen den dicht gedrängten Häusern von Ichigaya eine winzige Oase bildete. Er setzte sich auf eine der Bänke und da sonst niemand im Park war, den er hätte beobachten können, legte er den Kopf in den Nacken, sah ins dichte Blätterdach über ihm und lauschte dem Rauschen des Windes in den Bäumen. Doch er kam nicht zur Ruhe. Immer wieder gingen ihm die, wie Nadeln gespitzten Worte seiner Mutter durch den Kopf. Warum hatte sie sich ausgerechnet heute melden müssen?! Gerade jetzt, wo er so einen großen Schritt nach vorn gemacht hatte! Manchmal, wenn sie sich lange nicht meldete, vergaß er sie fast und damit auch ihre Bemerkungen und in taktlosen Witzen verpackten Vorwürfe. In den letzten Wochen, genau genommen seit dem er Meto kannte, hatte er nicht einen Gedanken an sie verschwendet und war damit vollauf glücklich und zufrieden gewesen. Das familiäre Gefühl, dass ihm von ihr völlig fehlte, hatte er nun von anderer Stelle bekommen und das war gut so. Auch, wenn er Meto nicht in dem Sinne als seine Familie bezeichnen konnte, so war es doch dessen Freundschaft und die Ähnlichkeit zwischen ihnen, die ihm zum ersten Mal wirklich ein tiefes Gefühl von Zugehörigkeit zu einem anderen Menschen gegeben hatte. Er wünschte sich, dass Meto da wäre, sich neben ihn setzte, seine kleine Hand auf seinen Arm legte und ihn spüren ließ, dass er nicht allein war. Und mit jedem Moment, den er länger in den leeren Park vor sich starrte und versuchte, den Anruf seiner Mutter, die er bei sich nur noch Saeko nannte, zu vergessen, wurde sein Wunsch, darüber zu sprechen, größer. Er musste das irgendwie loswerden, teilen, abladen bei jemandem, dem er bedingungslos vertrauen konnte. Und da gab es nun einmal nur Meto. Tsuzuku stand auf, verließ den Park und kehrte in seine Wohnung zurück. Sein Handy lag einladend auf dem Sofa, schien regelrecht Metos Nummer zu flüstern, doch wieder wusste Tsuzuku nicht, wie er entweder per Nachricht oder über Telefon erklären sollte, was ihm durch den Kopf ging. Schließlich nahm er das Handy und schrieb: „Meto, hast du Zeit, kann ich zu dir kommen? Tsu.“ Und als hätte sein Freund nur darauf gewartet, dass er sich meldete, kam sogleich die Antwort: „Ja, klar, bin sowieso gerade allein zu Hause.“ Er nahm seine Jacke, packte die üblichen Kleinigkeiten ein und machte sich auf den Weg nach Adachi. Im Zug kamen ihm Zweifel. Er konnte doch Meto, der genug Probleme mit sich selbst hatte, nicht mit seinen eigenen belasten! Erst recht, weil dessen Familienleben offenbar recht gut und gesund war. Doch er hatte sich jetzt auf den Weg gemacht und die Alternative „Allein sein“ hielt er schon in der Vorstellung nicht aus. „Ich muss ihm ja nicht alles erzählen“, sagte er sich, als er schließlich vor der Tür des hübschen Einfamilienhauses stand und den Klingelknopf über dem Namensschild „Maeda“ drückte. Meto empfing ihn an der Tür (in denselben lässigen Kleidern wie letztes Mal) und schien sofort zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. „Komm rein. Wie gesagt, ich bin allein zu Hause“, sagte er, als hätte er nie aufgehört zu sprechen. Tsuzuku wusste, dass das nur ihm gegenüber so war, doch trotzdem war es ein Fortschritt. Sie gingen in sein Zimmer und Tsuzuku setzte sich wieder auf den Schreibtischstuhl. Meto räumte ein paar Bücher und Zeichnungen vom Bett, setzte sich dann dort mit gekreuzten Beinen hin und nahm Ruana in den Arm. „Magst du drüber reden? Ist vielleicht gut“, sagte er. „Ach, eigentlich ist das nichts weiter… Viel wichtiger ist: Klappt’s bei dir, mit deinen Eltern und so?“, fragte Tsuzuku zurück. „Ja, alles prima. Ich glaube, sie haben verstanden, was ich will, jedenfalls wollen sie mich unterstützen. Aber jetzt erzähl! Was ist los?“ Tsuzuku sah Meto nicht an, doch er spürte den unnachgiebigen Blick seines Freundes und so gab er schließlich auf. „Weißt du, Meto, ich wäre echt froh, wenn ich solche Eltern wie deine hätte. Die interessieren sich anscheinend echt und ehrlich für dich, obwohl du bist, wie du eben bist. Da kannst du wirklich glücklich drüber sein.“ „Bin ich auch. Aber… bei dir sieht’s wohl anders aus?“ „Ich hab nur meine Mutter. Und die ist…“, sein Herz klopfte aufgeregt, war es doch das erste Mal, dass er mit jemandem wirklich darüber sprach, „…nicht gerade das, was man sich unter einer netten Mama vorstellt. Sie ist… man nennt das wohl unsensibel. Es interessiert sie nicht, ob sie einen mit dem, was sie sagt, verletzt oder so. Und das meiste, was sie sagt, ist halt ziemlich gemein. Vorhin hat sie mich zum ersten Mal seit einem halben Jahr angerufen, nur um mich runterzumachen und mir wieder klarzumachen, dass sie mich für einen unfähigen Jungen hält.“ „Oh. Aber da hat sie überhaupt nicht Recht! Und das weißt du doch, oder?“ „Ja, im Grunde weiß ich das. Aber trotzdem bin ich jedes Mal, wenn sie mich anruft, wieder niedergeschlagen und… manchmal frage ich mich dann schon: Was kann ich eigentlich?“ Obwohl er sich dagegen wehrte, sprangen ihm Tränen in die Augen. Er versuchte, sie wegzublinzeln. Meto beugte sich ein wenig vor, die Augen leicht verengt. „Du kannst singen, Tsuzuku! Und du arbeitest im Restaurant, obwohl du nicht gut mit Menschen kannst! Das kann dir keiner wegnehmen, hörst du, auch deine Mutter nicht, wenn sie doch so gemein zu dir ist!“ Gerade, weil er so glücklich darüber war, liebe und verständnisvolle Eltern zu haben, machte es ihn umso wütender, dass Tsuzuku von seiner Mutter so mies behandelt wurde. „Ihr Lieblingssatz ist „Du wirst das ja wohl können, Genki!“, so nach dem Motto, wenn ich mal irgendwas nicht kann, bin ich ein kompletter Idiot.“ „Genki?“, fragte Meto. „Ist das dein richtiger Name?“ Tsuzuku nickte. „Genki Wataba.“ „Deinen Nachnamen weiß ich schon, der steht ja auf dem Schild an deiner Tür.“ Meto zögerte kurz, dann fügte er hinzu: „Ich heiße eigentlich Haruka. …Aber ich mag den Namen nicht.“ „Klingt auch wie ein bisschen wie ein Mädchenname.“ „Nicht deshalb.“ Das ging schon wieder in diese Richtung. Und noch war Meto nicht so weit, seinem Freund von der ganzen Hikikomori-Geschichte zu erzählen, also blockte er ab. Wie eine nicht enden wollende Tonkassette spielte sich derweil in Tsuzukus Kopf immer wieder das ab, was seine Mutter zu ihm gesagt hatte. Dazu ältere Dinge, die bei ihm tiefe Verletzungen hinterlassen hatten. Saekos Unsensibilität hatte zu manchen Zeiten in seinem Leben kaum Grenzen gekannt, und besonders schlimm war es gewesen, kurz bevor er mit neunzehn von zu Hause ausgezogen war. Wenn er mit anderen Schwierigkeiten gehabt hatte, meist weil er (ja auch durch ihre Schuld) eben nicht sonderlich sozial war, und damit nach Hause gekommen war, hatte es statt Trost und Bestätigung nur wieder diese taktlosen Bemerkungen gehagelt, die seine Mutter auch noch wirklich für humorvoll zu halten schien. Er wäre schon mit Ignoranz vollkommen zufrieden gewesen. All das kam immer dann wieder hoch, wenn sie ihn angerufen hatte, egal wie lange das Gespräch dann dauerte. Saeko brachte es fertig, ihren Sohn schon im ersten Satz mit ihren Worten niederzuschlagen. Tsuzuku blinzelte hastig, doch die Tränen waren zu schwer, zu viele, um sie auf diese Weise unauffällig am Heruntertropfen zu hindern. Er stützte den Kopf auf die Hände, schwere Schluchzer stiegen in ihm auf, die er unmöglich unterdrücken konnte. Es kam einfach alles raus. „Nicht weinen, Tsuzuku.“ Meto war aufgestanden und hatte seine Arme um ihn gelegt. „Du musst nicht mehr traurig und allein sein. Du hast Ruana und mich, und wir haben dich gern.“ Er hielt ihm den Teddy vors Gesicht und ließ Ruana mit süß verstellter Stimme sprechen: „Ruana Tsu lieb. Tsu nich weinen! Tsu viel schöner, wenn er lacht!“ Zum ersten Mal gab Meto seinen Teddy aus der Hand, drückte ihn Tsuzuku in die Arme und sagte leise: „Ruana-chan ist die weltbeste Tröste-Freundin.“ Vorsichtig drückte der Ältere den Bären an sich. Und verstand auf einmal, warum Meto sie immer und überall dabei hatte. Irgendwie schaffte es dieses flauschige Stück Stoff mit den großen, schwarzen Knopfaugen und dem locker sitzenden Kopf, dass man sich gut und sicher fühlte. „Weißt du, Tsu, du kannst gern öfter hier vorbeikommen und auch gerne mit uns essen. Meine Eltern mögen dich, ich hab ihnen geschrieben, wie gut es mir geht, seit du da bist.“ „Wissen sie, dass du mit mir sprichst?“ Meto nickte. „Mein Vater sagt, das ist okay, und er meinte, dass es irgendwas mit Erwachsenwerden und Abnabelung und so zu tun hat. Vielleicht ist das ja so. Ich wende mich dir zu und von meinen Eltern ab, weil das so sein muss.“ „Nur, dass ich etwas älter bin als du…“ „Das ist mir ganz egal. Es zählt doch, dass du mein Freund bist.“ Meto lächelte und hielt ihm ein Taschentuch hin. „Hier, dein Kajal ist ganz verschmiert.“ Tsuzuku stand auf und ging zum Spiegel, der an der Tür von Metos Kleiderschrank hing. Tatsächlich, sein dunkles Augen-Make-up hatte sich bis auf seine Wangen verteilt und ließ ihn noch trauriger aussehen, als er war. Während er versuchte, die Farbe mithilfe des Taschentuchs wegzubekommen, sah er im Spiegel, dass Meto in seinem auf dem Bett herumliegenden Kosmetiktäschchen kramte. „Wenn du magst, mach ich dir ein neues“, sagte der Jüngere und zog Make-up-Entferner, Flüssigkajal und Lidschatten aus dem Täschchen. Tsuzuku setzte sich zu ihm auf die Bettkante und Meto befahl: „Augen zu!“ Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden schminkte. Seine ersten Schminkversuche hatte er mit Kasumi gemacht, er hatte sie geschminkt und sie ihn. „So, jetzt siehst du wieder schön aus“, sagte er schließlich. Tsuzuku sah in den Spiegel. Meto hatte ihm ein Make-up wie zum Ausgehen in Shinjuku verpasst, schwarz, dunkelblau und sogar mit kleinen Glitzerpartikeln. Der Jüngere zog sein Handy hervor. „Lächeln, Tsu!“ Und schon gab die Kamera ihr charakteristisches Klicken von sich. Es war das erste Bild, das Meto von seinem Freund machte, und es folgten gleich noch ein paar weitere, so lange, bis er Tsuzukus hübsches Lächeln eingefangen hatte. Auf einmal legte Meto das Handy rasch weg, beugte sich vor, bis sein Gesicht ganz nah an Tsuzukus war, und sah ihn lange an. Dann hob er langsam die Hand und strich dem Älteren die schwarzen, stufigen Haare aus dem Gesicht. „Weißt du eigentlich… wie wunderschön du bist?“ Natürlich wusste Tsuzuku, dass er gut aussah. Immerhin verwendete er viel Sorgfalt auf sein Äußeres, und auch, wenn es ihm sonst oft fehlte, in Bezug auf sein Aussehen hatte er das Selbstbewusstsein, sich selbst als gutaussehend zu bezeichnen. Sein Körper und seine Stimme waren nämlich so ziemlich das einzige, was er an sich wirklich mochte. Aber irgendetwas daran, wie Meto diese Frage aussprach, war anders. Es bezog sich nicht auf ein hübsches Gesicht, einen schlanken Körper oder helle Haut, sondern meinte etwas anderes. Und obwohl Tsuzuku noch nicht ganz erfasste, wie Meto diese liebevolle Frage genau meinte, so bauten die Worte doch sein durch Saekos Anruf angeschlagenes Selbstwertgefühl wieder auf. Meto sah ihm noch einmal direkt in die Augen. „Okay, du bist wiederhergestellt“, sagte er dann. „Deine Augen leuchten. Aber weißt du, was du tust, wenn du gleich nach Hause fährst? Du machst dir im Zug Musik auf die Ohren, ganz laut, und dann machst du die Augen zu und stellst dir vor, dass du auf einer Bühne stehst und singst. Und wenn du zu Hause bist, übst du singen, bis du todmüde ins Bett fällst.“ Das war die längste Rede, die Tsuzuku bisher aus Metos Mund gehört hatte. Und, soweit er sich erinnern konnte, auch der erste Ratschlag, den ihm der Jüngere gab. „Und du meinst, das bringt was, damit ich Saeko wieder vergesse?“ „Ich hab das früher oft gemacht. Wenn… wenn es um mich herum dunkel geworden ist… dann bin ich runter in den Keller und hab Schlagzeug gespielt wie ein Verrückter. Glaub mir, das wirkt. Aber du musst es richtig machen, nicht nur so’n bisschen.“ „Dann muss ich meine Nachbarn aber vorher warnen.“ „Mach das. Und wenn du’s ihnen erklären musst, sag: Es ist wie bei einem Gewitter. Einmal knallt’s richtig, aber danach ist die Luft sauber und man kann wieder frei atmen.“ Tsuzuku musste zugeben, dass er doch ein wenig überrascht war. Offenbar steckten eine Menge guter, geradezu weiser Gedanken in Metos Kopf und er ließ die jetzt einen nach dem anderen nach zwei Jahren Schweigen wieder heraus. Als er dann wieder im spätabendlich halbleeren Zug nach Ichigaya saß, befolgte Tsuzuku den Ratschlag seines Freundes, setzte sich auf einen etwas abgelegenen Platz und hörte GazettE bei fast voller Lautstärke. Und statt wie sonst auf die vorbeihuschende Stadt zu blicken, legte er den Kopf zurück, schloss die Augen und stellte sich vor, wie er auf einer großen Bühne stand und sang. Der Wahnsinn, ein totales Hochgefühl! Meto hatte Recht, das tat wirklich gut. Als er eine Station vor Ichigaya die Augen wieder öffnete, weil das letzte Lied auf seiner Playlist gelaufen war, bemerkte Tsuzuku, dass ihm gegenüber wohl schon seit einiger Zeit ein Mädchen in blau-gelb-weißer Mittelschuluniform saß und ihn neugierig ansah. „Gazetto?“, fragte sie. „W-woher weißt du…?“, gab Tsuzuku verwirrt zurück. „Sie haben die Lippen bewegt und ich hab den Song daran erkannt. Tolle Musik, klasse Band. Und Sie? Sind Sie auch Sänger?“ „Ich? Wieso?“ „Sie sehen so gekonnt aus. Also, sind Sie Sänger?“ Tsuzuku dachte an den Auftritt mit Dis:Hana, an das Karaoke vor ein paar Wochen und an die vielen Stunden, die er mit Üben verbrachte. „Ja“, antwortete er, „bin ich.“ Der Zug hielt, das Mädchen stand auf und sagte: „Vielleicht hört man ja von dir?“ Dann stieg sie aus und verschwand in der Bahnstation. Dieses kurze Gespräch hatte Tsuzuku ein klein wenig aus der Fassung gebracht und so schaute er bis Ichigaya doch wieder aus dem Fenster. Als der Zug hielt und er nach den üblichen fünfzehn Minuten Fußweg seine Wohnung wieder erreicht hatte, schrieb er mit roten Zeichen auf einen großen Zettel: „Bitte entschuldigen Sie, aber heute Abend gibt es ein Gewitter. Morgen ist dann die Luft wieder klar.“ Er heftete das Blatt mit zwei Klebestreifen an seine Wohnungstür und kramte dann aus einer Schublade im Wohnzimmerschrank eine Mappe, gefüllt mit losen Blättern: Seine etwa zwanzig selbstgeschriebenen Songs. Nur zwei von ihnen hatten bis jetzt eine echte Melodie und mit diesen beiden wollte er sich heute Abend befassen. Und wieder behielt Meto Recht: Die Arbeit an Songs, das Singen, Musik im Allgemeinen, all das sorgte dafür, dass Tsuzuku für den Rest des Abends nicht einen Gedanken an Saeko verschwendete und als er nach dem Üben tatsächlich völlig müde ins Bett fiel, träumte er wieder von der Bühne. In diesem Traum waren die Klänge der Drums besonders intensiv und er erkannte Metos Art zu spielen in ihnen wieder, obwohl kein anderer Mensch außer ihm selbst im Traum vorkam. Kapitel 10: Meiji-Jingu ----------------------- Am Samstagmorgen sahen sie sich wieder. Tsuzuku wartete im Yoyogi auf Meto und als dieser auftauchte, stellte der Ältere etwas überrascht fest, dass Metos Outfit und Make-up für einen Samstag im Park ungewöhnlich einfach ausgefallen waren. „Heute gar kein Lolita oder so?“, fragte er. Meto setzte sich neben ihn auf die Bank, sah sich kurz um, ob irgendjemand anders in Hörweite war und sagte dann, sehr leise: „Nein. Ich dachte mir, heute machen wir was anderes als sonst. Warst du schon mal im Meiji-Schrein?“ Tsuzuku nickte. „Ist aber schon ziemlich lange her.“ „Ich dachte, da könnten wir heute mal hingehen. Aber die sehen da nicht so gerne auffällige Outfits, deshalb bin ich heute so angezogen.“ „Und wie bist du drauf gekommen?“, fragte Tsuzuku. Schrein und Meto, das schien kaum zusammen zu passen. „Früher bin ich oft mit meinen Eltern dort gewesen. Bevor… na ja, bevor ich die Mittelschule abgeschlossen habe.“ „Du… hast nur einen Mittelschulabschluss?“ Na ja, eigentlich war das offensichtlich. Meto war erst achtzehn und schon so lange mit seinen Piercings und Tattoos beschäftigt. Die waren an den meisten Schulen verboten, also musste es länger her sein, dass er eine besucht hatte. Meto blockte sofort ab. „Erzähl ich dir später.“ Tsuzuku merkte ihm inzwischen an, wenn das Gespräch sich auf dieses eine Thema zu bewegte, dem Meto so unbedingt aus dem Weg ging. Langsam begann er, sich darum wirklich Gedanken zu machen. Was immer damals gewesen war: Es hatte großen Einfluss darauf gehabt, wie Meto heute war, und schon allein deshalb interessierte es Tsuzuku. Eine Gruppe Mädchen lief an der Bank vorbei und Meto verfiel fast schon automatisch in seine merkwürdig schüchtern wirkende „Kaputte-Puppe-Haltung“. Den Kopf gesenkt, die Hände locker auf der Bank liegend, wirkte er wie eine alte Stoffpuppe, die man achtlos hier liegen gelassen hatte. Als die Gruppe vorbeigegangen und auch keine weitere in der Nähe war, verwandelte er sich, als sei dieser Wechsel das Natürlichste der Welt, wieder in den punkigen, achtzehnjährigen Meto, als den wohl nur Tsuzuku ihn wirklich kannte. „Kann es sein, dass du schauspielerisch begabt bist?“, fragte Tsuzuku beeindruckt. „Vielleicht. Aber eigentlich wechsle ich nur zwischen meinem einen Ich und dem anderen.“ „Du spielst also dich selbst. Aber das machst du gut.“ Meto lächelte, stand auf und nahm Tsuzukus Hand. „Komm, wir gehen eben noch bei den Bands vorbei. Vielleicht ist MiA ja da.“ Tatsächlich. Als sie den Platz erreichten, sahen sie den blonden Gitarristen auf einer der Bänke sitzen, etwas abseits der anderen Bands. Von Dis:Hana’s Rest war nichts zu sehen, aber MiA hatte seine Gitarre dabei, allerdings ohne Verstärker. Er trug heute auch kein Visual Kei, sondern einen relativ legeren, schwarzen Anzug, bei dem für geübte Augen jedoch zu erkennen war, wie er sich sonst kleidete. Als Tsuzuku und Meto vor ihm stehen blieben, blickte er auf, hörte jedoch nicht auf zu spielen. Die Geschicklichkeit seiner Finger, die die Gitarre fast wie einen Teil von ihm wirken ließ, war wirklich bemerkenswert und Tsuzuku fragte sich, wie lange man wohl üben musste, um derartig schnell und präzise spielen zu können. „Na, ihr? Seid ihr jedes Wochenende hier im Park?“, fragte MiA. „Ja, fast jedes“, antwortete Tsuzuku. „Sag mal, wieso hab ich dich hier eigentlich noch nie gesehen?“ „Wir sind meistens im Probenraum. Weil wir halt nur auftreten können, wenn alle Zeit haben… und das kommt leider ziemlich selten vor. Akio geht noch zur Oberschule, Shun studiert und Hiroaki und ich haben unsere Jobs.“ Obwohl MiA sich nicht wirklich beschwerte, war ihm anzumerken, dass er damit kaum zufrieden war. Kein Wunder, schien er doch der talentierteste und ehrgeizigste Musiker in der Band zu sein. „Ich würde gern öfter auftreten, aber was nicht geht, geht halt nicht.“ Auf einmal begannen Metos Augen zu leuchten, er kramte seinen Block aus der Tasche und schrieb: „Du, MiA, wenn du magst und das okay ist, kannst du ja mal nur mit Tsu und mir zusammen spielen. Ich hab einen guten Raum bei mir zu Hause.“ Tsuzuku sah ihn überrascht an. Woher kam wohl diese plötzliche Kontaktfreudigkeit? Es schien fast so, als sei in Metos Kopf eine Art Schalter umgesprungen, denn er zeigte keine Spur mehr von der merkwürdigen Schüchternheit, die er sonst allen Menschen außer seiner Familie und Tsuzuku selbst gegenüber an den Tag legte. Schon am Donnerstag war er so ungewöhnlich offen gewesen und diese Veränderung schien von dauerhafter Natur zu sein. „Ihr kennt nicht zufällig auch noch ‘nen Bassisten?“, fragte MiA und lachte leise. Meto schüttelte den Kopf. „Aber zum einfach-so-Üben brauchen wir doch auch keinen, oder?“ „Okay. Schreibt mir einfach ‘ne Nachricht, dann sag ich, ob’s grade passt oder nicht.“ „Was arbeitest du denn?“, fragte Tsuzuku. MiA blickte zu Boden. „Lacht nicht…“ „Wieso sollten wir über deinen Job lachen?“ „Weil… weil ich… na ja, ich hab nichts anderes gefunden und… die Bezahlung ist einfach so verdammt gut, also… hab ich ‘nen Job als Host angenommen.“ Daher also der Anzug. Wahrscheinlich hatte MiA heute noch zu arbeiten. Tsuzuku versuchte, sich das vorzustellen, den blonden Gitarristen als Begleiter irgendeiner reichen, jungen Dame. Irgendwie passte das auch. MiAs freundliche Art und sein hübsches Gesicht mit der geraden, westlichen Nase wirkten sicher anziehend auf Frauen. „Und? Wo geht ihr jetzt noch hin?“, fragte der, wohl um das Thema zu wechseln. „Zum Meiji-Schrein. Wir sind da beide schon länger nicht gewesen“, sagte Tsuzuku und Meto nickte. „Na dann, viel Spaß!“ MiA lächelte noch einmal und wandte sich dann wieder seiner Gitarre zu. Der Meiji-Schrein lag ziemlich genau in der Mitte des Yoyogi-Parks und nach ein paar Minuten Fußweg hatten sie das zweite, große Eingangs-Torii aus dunklem Holz erreicht. Alles sah noch ziemlich genau so aus, wie sie es in Erinnerung hatten. Tsuzuku war hier zuletzt mit einer Gruppe von Leuten gewesen, die er damals „sowas wie Freunde“ nannte. Oberflächliche Freunde, zu denen er die Verbindung bald wieder abgebrochen hatte. Kein Vergleich zu Miki und Hiroki, oder gar zu Meto. Der erinnerte sich jetzt daran, wie er den Schrein vor drei Jahren mit seinen Eltern besucht hatte. Damals war er noch Haruka gewesen, hatte schon Schwierigkeiten in der Schule gehabt und begonnen, langsam das Sprechen zu verlernen. Die Besuche im Meiji-Schrein leuchteten in seiner Erinnerung als Ereignisse, bei denen er sich nicht ganz so ausgeschlossen gefühlt hatte wie in der Schule. Und trotzdem war er nach dem halben Jahr zu Hause nie wieder hergekommen, obwohl der Schrein doch so nah am Ort seiner Wochenenden lag. Irgendetwas hatte ihn davon abgehalten. Doch heute Morgen war er mit der Idee, mit Tsuzuku zusammen den Schrein zu besuchen, aufgewacht und wusste nicht einmal mehr, was ihn so lange davon abgehalten hatte. Es war wohl irgendeine undefinierte Angst gewesen. „Glaubst du?“, fragte Tsuzuku, als sie das rituelle Wasserbecken erreichten. „Nicht wirklich. Ich meine… na ja, nicht so richtig halt… Und du?“ „Ich auch nicht. Wer tut das heute denn auch noch? Ein Schrein kümmert sich nicht um dein Leben oder so. Und ich hab’s allgemein nicht so mit Religionen.“ Meto nickte. Trotzdem nahm er die kleine Bambus-Kelle und ließ kurz Wasser aus dem Becken über seine Hände laufen. Er wusste selbst nicht, warum. Vielleicht, weil er das beim letzten Mal auch getan hatte. Sie passierten das erste Gebäude. Dahinter gab es auf der einen Seite einen Stand mit Omamori. Auf einmal öffnete Meto seine Tasche und holte Ruana heraus. „Sie möchte eins haben“, sagte er leise auf Tsuzukus fragenden Blick hin. „Ruana glaubt an sowas.“ „Soll ich dir eins holen gehen oder schaffst du’s alleine, wegen dem Reden und so?“ „Nein, das klappt schon. Warte hier.“ Tsuzuku blieb stehen und sah zu, wie Meto mit Ruana im Arm zu dem Stand hinüber ging und seiner plüschigen Freundin die Auslage zeigte. Es sah aus wie bei einem kleinen Mädchen im Süßigkeitenladen, das seine Puppe die Bonbons aussuchen ließ. Und es erinnerte ihn an das erste Mal, dass er Meto gesehen hatte. Auf der Wiese im Park, als der Jüngere auch seinen Teddy herausgeholt und tonlos mit ihr gesprochen hatte. Der Mann hinter dem Tresen des Standes wirkte leicht irritiert darüber, dass ein offensichtlich fast erwachsener Jugendlicher, der außerdem aussah wie ein Mädchen, einen Teddy dabei hatte und diesem einen Glücksbringer kaufen wollte. Aber Meto schien das nicht im Geringsten zu stören. Natürlich nicht, denn er war von dem, was er tat, wie immer vollkommen überzeugt. „Und? Was hast du für eins gekauft?“, fragte Tsuzuku, als sein Freund wieder zurück war. „Ein Yaku-Yoke“, antwortete Meto und hängte Ruana den seidenbezogenen Holzanhänger um den lockeren Hals. „Das beschützt sie vor fiesen Sachen. Sie glaubt das.“ „Was für fiese Sachen wären das denn?“, fragte Tsuzuku beiläufig und nicht ahnend, was diese Frage bei Meto auslösen würde. Der antwortete zuerst nicht, verstaute den Teddy wieder in seiner großen Handtasche und sah zu Boden. Fast war es zu hören, wie die Stimmung kippte. „Ich… zum Beispiel…“, sagte er dann, sehr leise und ohne aufzublicken. „Du? Wie meinst du das?“ Meto wusste: Jetzt konnte er es nicht mehr länger verschweigen. Tsuzukus Frage hatte in ihm eine Art Schalter umgelegt, etwas ausgelöst. Etwas, das ihn nun gnadenlos aufforderte, seinem Freund die Wahrheit über Haruka zu erzählen. Darüber, wie er ein halbes Jahr lang allein in seinem Zimmer gesessen, mit sich selbst gekämpft und in dunkle Gedanken versenkt hatte. Der richtige Ort, so etwas zu erzählen, war wohl entweder sein eigenes Zimmer oder Tsuzukus Wohnung. „Tsu… ich muss dir was erzählen. Vielleicht hätte ich’s dir schon längst sagen sollen… aber… ich konnte nicht, verstehst du?“, brachte er mit zitternder Stimme heraus. „Können wir zu mir nach Hause fahren?“ Tsuzuku verstand: Jetzt war es soweit. Meto wollte ihm endlich das sagen, was er bis jetzt so hartnäckig verschwiegen hatte, das Thema, dem er stets ausgewichen war. Ihm fiel die Zeichnung auf dem Tisch in Metos Zimmer wieder ein und das, was der Jüngere dazu gesagt hatte: „Ich bin kaputt.“ „Okay, dann fahren wir jetzt zu dir und du erzählst mir endlich, was mit dir los ist, ja?“ Kapitel 11: Haruka ------------------ Die ganze Fahrt nach Adachi über sagte Meto kein einziges Wort. Er saß stumm und reglos neben Tsuzuku und hielt Ruana fest im Arm. Und auch auf dem Weg von der Bahnstation zum Haus der Maedas sagte und schrieb er nichts. Erst, als sie in Metos Zimmer saßen (Tsuzuku wie letztes Mal auf dem Schreibtischstuhl, Meto auf dem Bett), fing er wieder an zu reden. „Tsu… ich hab’s dir nicht verschwiegen, weil ich… dich nicht genug mag oder so… Ich konnte einfach nicht drüber reden. Und, na ja… ich dachte, dass du… dass du es nicht verträgst und mich dann vielleicht… nicht mehr so gern hast.“ „So ein Quatsch! Als ob ich wegen irgendwas aufhören würde, dich zu mögen! Ich hab mir Sorgen gemacht, weil du immer ausgewichen bist, sonst nichts.“ „Ich riskier’s jetzt und erzähl dir alles. Vorher noch was: Das ist alles vorbei. Du musst nicht denken, dass ich immer noch so bin, dass ich solche Sachen immer noch mache oder so. An dem Tag, als ich anfing, mich zu ändern, hab ich damit ein für alle Mal aufgehört.“ „Womit denn?“ Meto setzte Ruana neben sein Kopfkissen, dann zog er langsam die Ärmel seines Shirts bis zu den Ellbogen zurück, beugte sich vor und hielt Tsuzuku seine Unterarme hin. Auf der hellen Haut waren bei genauem Hinsehen einige dünne, blasse Streifen zu sehen, nicht breiter als der Strich eines Bleistiftes. Sie waren so blass und dünn, dass Tsuzuku sie bisher nicht hatte bemerken können, doch nun sah er sie und wusste intuitiv, von welcher Art diese unscheinbaren Narben waren. „Meto, du hast dich … geritzt?“, fragte er erschrocken. „Aber… wieso?“ „Weißt du, Tsuzuku, ich hab mich schon immer irgendwie… ausgeschlossen gefühlt. So, als gehörten alle zusammen, nur ich nicht. Als wäre irgendwas an mir nicht richtig, kaputt eben. Ich war immer anders, hab nie gepasst, und irgendwann wollte ich auch nicht mehr. Im letzten Jahr der Mittelschule hab ich mich dann immer mehr zurückgezogen, bis ich irgendwann das Sprechen verlernt habe. Den Abschluss hab ich geradeso geschafft, weil ich schriftlich ganz gut war. Aber danach… bin ich abgestürzt. Weißt du, ich hatte damals überhaupt kein Selbstbewusstsein oder so, gar nichts. Das Einzige, was ich gemacht hab, war lernen und Schlagzeugspielen, obwohl ich überhaupt keine Musik gehört habe. Ich hab einfach nur so gespielt. Als es mir nach dem Abschluss nicht besser ging, haben meine Eltern beschlossen, mich erstmal nicht auf die Oberschule zu schicken. Ich hätte das auch nicht gepackt. Mir waren Menschen einfach zu viel. Ich hab das nicht ausgehalten, unter Leuten zu sein. Also bin ich zu Hause geblieben.“ „Du bist gar nicht mehr rausgegangen?“ Tsuzuku konnte sich das kaum vorstellen. Sich so vollkommen zurückzuziehen und das Haus nicht mehr zu verlassen… ja, früher hatte er auch manchmal daran gedacht. Doch eigentlich war er immer lieber weg von zu Hause gewesen, denn dort hatten an jeder Ecke Saekos spitze Worte gelauert. „Nein. Gar nicht mehr. Kein einziges Mal. Das erste halbe Jahr nach dem Abschluss hab ich mich fast komplett in mein Zimmer zurückgezogen. Ich bin nur raus, um ins Bad zu gehen oder runter in den Keller zum Schlagzeug. Ich saß hier rum, meistens im Dunkeln, und hab ferngesehen, Videospiele gespielt und so. Und irgendwann lief dann nachts diese Sendung, in der Leute davon erzählt haben, wie sie mit Druck und so umgehen… Da war eine dabei, die gesagt hat, dass es ihr hilft, wenn sie sich verletzt. Dass sie so mit etwas umgeht, das sie „Sozialdruck“ genannt hat. Ich dachte: ‘Das versteh ich, das kenn ich auch‘. Also hab ich’s ausprobiert, ne ganze Weile lang, immer mal wieder. Wenn meine Eltern Besuch hatten und ich Angst hatte, dass sie wollten, dass ich rauskomme. Wenn ich ‘nen schlechten Tag hatte. Wenn jemand was von mir wollte. Dann war da immer dieser Druck in meinem Kopf, den ich irgendwie abbauen musste und das erste, was mir einfiel, war eben, mich zu verletzen. Außerdem… hab ich mich damals für nicht besonders wertvoll oder so gehalten. Ich dachte, ich bin sowieso kaputt, also kann ich mich auch weiter kaputtmachen. Haruka war so. Wenn er mit was nicht klargekommen ist, ist er geflüchtet und hat sich selbst fertig gemacht.“ „Wann hast du damit aufgehört?“ „Nachdem ich ungefähr ein halbes Jahr so gelebt habe. Als ich nämlich anfing, Musik zu hören. Ich hab ein Interview mit GazettE im Fernsehen gesehen und das hat mir sofort gefallen. Also hab ich angefangen, mir die Videos im Internet anzuschauen. Diese Musik, der Bass, das Screamen, und so weiter, das hat mit einem Mal den Druck weggenommen. Und Visual Kei... ich hab’s gesehen und wollte auch. Kleidung, Schminke, Piercings, die ausdrücken, wer man ist und was man will! Obwohl ich zu der Zeit überhaupt nicht danach aussah. Ich hatte auch irgendwie vorher nie was von der Szene und so mitgekriegt. Deshalb war ich so begeistert davon, dass es so etwas Tolles gibt, dass ich da auch mitmachen wollte. Innerhalb von ein paar Wochen war ich total drin. Von da an hab ich viel mehr am Schlagzeug gesessen, ständig Musik gehört und mich damit beschäftigt. Ich hab angefangen, noch mehr Bands zu hören, ihren Style zu bewundern und ihre Songs nachzuspielen. Und ich habe einen Weg gefunden, den Druck abzubauen, ohne mich zu verletzen: Indem ich mich, wenn es in mir wieder …dunkel wurde, ans Schlagzeug gesetzt und bis zum Umfallen gespielt hab. Ich weiß auch nicht, warum ich erst dann darauf gekommen bin.“ „Das meintest du neulich, als du mir geraten hast, an dem Abend Singen zu üben, oder?“, fragte Tsuzuku. Meto nickte. „Ja. Mir hat das damals sehr geholfen. Also… irgendwann, nach vier Wochen oder so, hat’s dann klick gemacht. Ich hab mich, so gut ich konnte, zurechtgemacht und bin mit Kasumi zusammen wieder nach draußen gegangen. Wir sind nach Shinjuku gefahren und als ich das in echt gesehen habe, die ganzen Leute in diesen Klamotten, mit Make-up und allem, da hab ich beschlossen, auch so zu werden. Ich wollte nicht mehr Haruka sein, dieser unsichere, schwache Junge, der immer nur zu Hause saß und Angst vor der ganzen Welt hatte. Aber der saß tief, mit allem, was ich nicht mehr wollte. Also hab ich’s radikal gemacht, hab mir einen neuen Namen ausgedacht und wie ich von jetzt an sein und aussehen wollte. Dann bin ich alleine losgezogen und hab mir Sachen gekauft, Klamotten, Make-up, Linsen, alles Mögliche, und so extrem wie’s ging. So ein richtig krasser Schritt. Kasumi hat mir dann die Haare gefärbt und an dem Tag bin ich zu meinen Eltern und hab geschrieben: ‘Ab heute heiße ich Meto. Haruka ist Geschichte‘ Das ging dann alles ziemlich schnell. Ich bin dann zum ersten Mal zu Ken, hab mir die ersten Piercings machen lassen und so weiter. Es war toll, fast wie ein Rausch. Auf dem Weg zu Kens Studio ist mir jedes Mal vor Glück fast schwindlig geworden. Weil ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich was für mich getan habe und etwas, das ich so richtig wollte. Ich hab mich vorher nie so gut gefühlt, Tsu.“ „Das kann ich mir vorstellen. Meto, ich hab dich als jemanden kennen gelernt, der genau weiß, was er will. Aber… ich hab mich schon ne ganze Weile gefragt, wie du so geworden bist.“ „Jetzt weißt du’s. Du kennst jetzt Haruka. Ich kann ihn nicht besonders gut leiden, das verstehst du sicher, oder?“ Tsuzuku nickte. Sein Blick fiel auf die Zeichnung, die noch immer auf einer Ecke des Schreibtisches lag. Metos Selbstbildnis im kaputten Kleid. „Aber… so ganz durch und fertig bist du mit Haruka noch nicht, oder?“, fragte er und nahm das Blatt dabei in die Hand. Meto schüttelte den Kopf. „Nein. Und vielleicht werde ich das auch nie sein. Er ist eben mein altes Ich, das kann ich nicht abstreifen. Aber ich kann in Zukunft anders sein und das werde ich auch.“ „Du veränderst dich ja auch immer weiter. Allein, dass du wieder sprichst. Und dass wir zusammen aufgetreten sind. Weißt du, Meto, ich bin auch anders geworden, seit wir uns kennen. Deshalb bin ich auch unheimlich froh, dich zu haben.“ Tsuzukus Herz begann wieder, wild zu klopfen. Wie glücklich er darüber war, in Meto einen Seelenverwandten gefunden zu haben, mit ihm zusammen diese ganzen neue Erfahrungen zu machen und endlich, zum ersten Mal in seinem Leben, echte Freundschaft zu erleben: Das alles konnte er noch immer kaum fassen, geschweige denn aussprechen. Gerne hätte er Meto gezeigt, was er fühlte, doch er wusste nicht, wie. In welche Worte, welche Taten, fasste man dieses Gefühl? „Ich merk das auch, Tsu…“, sagte Meto, „…dass ich gerade wieder einen Schritt nach vorn mache. Seit du da bist, fühl ich mich irgendwie… noch besser.“ „Mutiger, oder? Weißt du, mir geht’s genauso. Ist fast ein bisschen seltsam, …dass wir beide so oft dasselbe fühlen, …findest du nicht auch?“ „M-hm…“ Meto nickte. „Ein wenig komisch ist das schon… Aber genau deshalb hab ich dich ja so lieb, Tsuzuku.“ Er stand auf, machte einen Schritt auf Tsuzuku zu, beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, was in dem Älteren wildes Herzklopfen und dasselbe überwältigende Nähegefühl wie am Abend der Übernachtung auslöste. Dieses Überraschende, fast schon Sprunghafte, das passte sehr gut zu Meto. Er war, auf eine seltsam süße Art, schwer einzuschätzen und Tsuzukus Herz machte einen kleinen Satz, als er erkannte, wie unheimlich gern er das mochte. Eine wirklich merkwürdige Freundschaft hatte er da geschlossen. Eine, in der Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, die man mit normalen Maßstäben nicht einordnen konnte. In der Herzklopfen und Nähe keine Romantik bedeutete. Eine Freundschaft, die einfach anders und irgendwie schwer zu verstehen war. „Tsuzuku…“, sagte Meto leise und sah zu Boden, „…weißt du, was noch komisch ist?“ „Was denn?“ „Dass ich sowas mache, dich umarmen und küssen und so. Ich kenn das nicht von mir. Du bist der Erste, bei dem ich das immerzu will.“ Metos Wangen schimmerten leicht rosa, als er aufblickte, die Hand hob und Tsuzuku wieder das Haar aus dem Gesicht strich. „Eigentlich bin ich keiner, der andere gern anfasst und angefasst wird.“ „Ich doch auch nicht. Ich glaube fast, sowas wie das hier zwischen uns beiden gibt es nicht noch mal. So, wie es uns beide kein zweites Mal gibt. Es ist nur für uns.“ Meto nickte und auf einmal strahlte er Tsuzuku an. „Weißt du was, Tsu? Du bleibst heute hier und übernachtest bei mir.“ Er wandte sich an Ruana. „Ist das okay?“ Und ließ Ruana nicken. „Wie lange hast du sie eigentlich schon?“, fragte Tsuzuku. „Ich hab sie bei meinem ersten Ausflug nach Shinjuku gekauft. Sie saß im Schaufenster und hat mich so angeschaut, als ob sie unbedingt zu mir gehören wollte.“ Meto drückte Ruana an sich und dadurch, dass er seine normale Hauskleidung trug, in der er sehr viel weniger puppenhaft aussah, wirkte der Unterschied zwischen seiner erwachseneren Seite und der niedlichen Ruana noch krasser. Doch irgendwie passte das zu ihm, sehr gut sogar. Von der Haustür war das Klappern eines Schlüssels zu hören und kurz darauf die Stimmen von Metos Eltern. „Meto? Sind das hier Tsuzuku-sans Schuhe?“ Meto stand auf, öffnete die Zimmertür, trat auf den Flur und nickte. Dann kam er zurück, nahm sich seinen Schreibblock und flüsterte Tsuzuku zu: „Du isst mit uns, oder?“ Das Abendessen war eine etwas merkwürdige Angelegenheit. Tsuzuku war ein wenig aufgeregt und versuchte das zu kompensieren, indem er recht viel aß. Er beobachtete, wie Meto sich seinen Eltern weiterhin ausschließlich schriftlich mitteilte, und wie alltäglich und normal das wirkte. Es schien für Herrn und Frau Maeda vollkommen in Ordnung zu sein, jedenfalls konnte Tsuzuku keine Ablehnung oder Unwillen erkennen. Er brauchte eine Weile, bis er sich einigermaßen heimisch fühlte. Doch als er so weit war, spürte er, wie gut es ihm gefiel. Willkommener Gast in einer glücklichen, liebevollen Familie zu sein, der Familie des inzwischen längst wichtigsten Menschen in seinem Leben, fühlte sich neu an und gänzlich anders als das, was er von früher mit Saeko kannte. Hier gab es keine spitzen Bemerkungen, kein Auslachen. Meto und seine Eltern gingen freundlich und respektvoll miteinander um, trotzdem ehrlich und es wirkte kein bisschen wie eine „heile Welt“. Es war nicht „heil“, nicht perfekt, aber in Ordnung. Vermutlich wegen Metos Anders-sein, schienen seine Eltern viel Übung darin zu haben, ungewöhnliches Verhalten zu akzeptieren und so gingen sie auch mit Tsuzuku um. Falls sie bemerkten, wie unsicher er am Anfang war, so verhielten sie sich ihm gegenüber doch ganz normal und freundlich. Wenn Meto etwas zu ihm sagte, legte er ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr. Nach dem Abendessen gingen Tsuzuku und Meto runter ins Schlagzeugzimmer. Der Jüngere suchte aus seiner umfangreichen Sammlung die Gitarren- und Bassparts eines Liedes aus, legte die CD ein und drehte die Anlage auf. Tsuzukus vieles Üben zeigte deutliche Ergebnisse und auch Meto hatte sich noch weiter verbessert. „Wie das erst wird, wenn MiA mitspielt…“, sagte Tsuzuku nach dem Lied. „Bestimmt toll, so gut wie er ist.“ Meto nahm Ruana von ihrem Platz neben dem Schlagzeug und sah sich den Omamori um ihren Hals genau an. „Vielleicht hätte ich lieber einen kaufen sollen, der uns einen Bassisten finden lässt.“ „Ich dachte, du glaubst nicht an sowas?“ „Tu ich auch nicht. Aber wer weiß, schaden tut es wohl kaum.“ Sie spielten noch ein paar Lieder nach, redeten über Musik und alles drum herum. Dann gingen sie nach oben, wo neben Metos Zimmertür ein aufgerollter, weißer Gästefuton lag. „Warum hat deine Mutter ihn nicht gleich drinnen ausgebreitet?“, fragte Tsuzuku. „Meine Eltern betreten mein Zimmer schon seit meinem vierzehnten Geburtstag nicht mehr. Sie sagen, das ist ganz allein mein Reich und geht sie nichts an, solange ich es einigermaßen in Ordnung halte“, antwortete Meto. „Du hast echt tolle Eltern.“ „Weiß ich.“ Meto lächelte, drückte Tsuzuku Ruana in den Arm und trug den Futon ins Zimmer. Seine Eltern hatten völlig gelassen auf Metos Ankündigung, dass Tsuzuku bei ihm übernachten würde, reagiert. Frau Maeda schien sich sogar zu freuen, dass ihr Sohn endlich einen so guten Freund gefunden hatte. Meto räumte die Kleidungsstücke, die auf dem Boden herumlagen, einfach in den Schrank und breitete den Futon in dem doch recht schmalen Zimmer direkt vor seinem Bett aus. Er freute sich auf die Übernachtung und war auch ein wenig stolz darauf, diese selbst vorgeschlagen zu haben. Tsuzuku hatte Ruana auf die Bettdecke gesetzt und Meto platzierte seine plüschige Beste Freundin auf ihrem Stammplatz neben seinem Kopfkissen und drückte ihr einen kurzen Kuss aufs Ohr. Dann ging er zum Kleiderschrank zurück, wühlte darin herum und warf seinem Freund schließlich ein leicht zerschlissenes, weites Oberteil und eine Art Jogginghose zu. „Geht das als Schlafanzug für dich?“ „Klar“, antwortete Tsuzuku. „Aber was machen wir jetzt noch, bis Schlafenszeit ist?“ „Hm…“ Meto legte nachdenklich einen Finger an die Lippen. „Irgendwo hingehen?“ „Und wohin?“ Der Jüngere ging zum Schreibtisch, klappte seinen Laptop auf und wählte sich ins Internet ein, bei Google Maps. Eine Weile suchte er auf der digitalen Landkarte herum, dann hatte er eine Idee. „Tsu, ich weiß was! Hier in der Nähe gibt es eine christliche Kirche mit Friedhof, die ist zwar noch nicht alt, sieht aber abends schon ein bisschen gruselig aus. Was hälst du davon, wenn wir da hinfahren und Fotos machen?“ Tsuzuku lächelte. „Du kommst ja auf Ideen… Klingt aber gut.“ „Wir machen uns richtig hübsch, gehen auf den Friedhof und machen Fotos.“ Meto strahlte. Gesagt, getan. Er lief ins Bad und kam kurz darauf voll beladen mit seiner gesamten Kosmetik-Ausstattung zurück, die er großflächig um sich herum auf dem Bett ausbreitete. „Darf ich dich wieder schminken, Tsu?“ Eine halbe Stunde später saßen sie geschminkt und nach allen Regeln des Visual Kei gekleidet im Zug in Richtung der Kirche. Meto trug ein schwarzes Lolita-Lederkleid, ein rot-schwarzes Bonnet, Netzstrümpfe und die schwarzen Plateauschuhe. Beim Make-up hatte er sich ausgetobt: Die Haare wie üblich in Locken gedreht, das linke Auge schwarz umrandet und mit langen Kunstwimpern darunter geschmückt, dazu die größte schwarze Kontaktlinse, die er hatte. Das andere Auge hatte er großzügig blutrot umschminkt, so dass es fast wie eine blutige Wunde aussah, und trug darin eine rotbraune Kontaktlinse. Seine ohnehin breiten Lippen wirkten durch roten Lippenstift noch auffälliger. Er hatte Ruana eine von seiner Mutter genähte Puppenkleid-Version seines eigenen Kleides angezogen. Tsuzuku hatte in etwa dieselbe Kleidergröße wie Meto und hatte sich von ihm ein schwarzes Rüschenhemd geliehen und dieses mit seiner schwarzen Lederjacke und der dunklen Hose, die er heute trug, kombiniert. Der Jüngere hatte ihm ein elegantes, geradezu mustergültiges Make-up verpasst, das die Vorzüge seines Gesichtes hervorragend zur Geltung brachte. Strahlend rote Lippen und großzügig dunkel umschminkte Augen mit täuschend echt gemalter Lidfalte. Tsuzuku betrachtete sein Spiegelbild in der dunklen Fensterscheibe und auf einmal verstand er, was Meto am Donnerstag mit der Frage „Weißt du, wie wunderschön du bist?“ gemeint hatte. Er sah die Antwort in seinen eigenen Augen. Sie leuchteten ein wenig und er lächelte sich zu. Es kam nicht oft vor, dass er sein Spiegelbild anlächelte, doch in diesem Moment, als ihm klar wurde, dass er selbst dieses Strahlen von Innen hatte, um das er andere immer beneidet hatte, konnte er nicht anders. Er wusste, Meto hatte dieses Strahlen gemeint. Andere nannten es „Innere Schönheit“, der Jüngere hatte es einfach in diese Frage verpackt. Meto sah ihn von der Seite an und nickte wissend. Als die Bahn an der Station hielt, in deren Umgebung sich die Kirche befand, stiegen sie aus und gingen durch die Nacht zur nächsten Kouban. Meto kramte seinen Block heraus, doch Tsuzuku sagte: „Ich mach das.“ Der Schutzpolizist in der winzigen Miniwache warf ihnen einen leicht irritierten Blick zu, den typischen Blick von jemandem, der Visual Kei nicht allzu oft zu sehen bekam und nicht recht wusste, was er damit anfangen sollte. Jedoch nichts dazu sagte. „Entschuldigung, wie kommen wir zur Kirche?“, fragte Tsuzuku. Der Polizist kramte eine Karte hervor und deutete auf einen Punkt mit der Aufschrift „Kageyama-Michaeliskirche“. „Also, da müssen Sie diese Straße hier runter, dann links, wieder geradeaus bis zur Kreuzung und dann rechts ab. Da müssten Sie den Turm schon sehen können.“ „Vielen Dank.“ Tsuzuku verbeugte sich leicht, verhielt sich nach seiner gesellschaftsfähigen Seite, die ihm ein Leben in dieser Welt, in der er sich manchmal so seltsam fühlte, möglich machte. Der Polizist wandte sich derweil wieder seiner Arbeit an irgendwelchen Papieren zu, machte dem Leitsatz der Japaner, sich aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten und keinen Kommentar abzugeben, alle Ehre. Meto hatte während des kurzen Gesprächs etwas abseits gestanden und sich tonlos mit Ruana unterhalten. Erst, als er und Tsuzuku die vom Polizisten gezeigte, menschenleere Straße entlang gingen, sagte er wieder etwas. „Komisch, ich hab so ein richtiges Fotoshooting erst ein paar Mal gemacht. Da bin ich mit Kasumi losgegangen und sie hat Bilder von mir gemacht. Ich mach schon hin und wieder Fotos von mir, so Selfies halt, aber das zählt nicht, oder?“ „Lädst du die denn auch irgendwo hoch?“, fragte Tsuzuku. „Ich hab einen Account auf einer Visual Kei Seite, aber den benutze ich kaum. Ich sitze lieber am Schlagzeug als am Laptop.“ „Hast du nicht gern Bilder von dir? Damals bei dem Fotografen in Harajuku fandst du das ja auch nicht so toll.“ „Nein, ich mag Fotos von mir. Aber… ich hatte da irgendwie das Gefühl, als ob ich noch nicht so weit bin. Dass ich mich noch mal ein bisschen ändern muss, bevor ich Bilder von mir in Zeitschriften und im Netz haben will.“ „Wie, ändern?“, fragte Tsuzuku. „Ich muss noch ein bisschen mutiger werden. Aber ich hab das Gefühl, dass das nicht mehr sehr lange dauert.“ Sie erreichten die Kirche und nachdem sie festgestellt hatten, dass nirgends Licht brannte, betraten sie den kleinen Friedhof, der wirklich seltsam neu und alt zugleich wirkte, obwohl er sicher ersteres war. Einige Steine waren mit Kana und Kanji beschriftet, andere auch mit Romaji. Meto kramte sein Handy heraus, zeigte auf einen hübschen Grabstein, neben dem ein großer, schon leicht bemooster Engel stand und drückte Tsuzuku das Handy in die Hand. „Zuerst machst du Fotos von mir, dann ich von dir, okay?“ Tsuzuku nickte. Meto setzte sich mit Ruana im Arm auf den Boden zu Füßen des Engels, setzte sein puppenhaftestes Gesicht auf und der Ältere machte gleich drei Fotos davon, um später das beste auszuwählen. Auf einmal trat ein abenteuerliches Leuchten in Metos Augen, er hatte, halb unter einer Hecke versteckt, einen Spaten gefunden, ging auf ihn zu und hob ihn auf. „Schau mal, Tsu!“ „Was wird das?“, fragte Tsuzuku und grinste. Er erriet schon ungefähr, was für eine Idee gerade in Metos verrückten Köpfchen gewachsen war. Diese Idee war so durchgeknallt, dass man sie schon wieder als genial bezeichnen konnte, und sie gefiel Tsuzuku gut. Meto lehnte den Spaten gegen den nächsten Grabstein, kramte in seiner Tasche und zog schließlich die schwarzen Spitzenhandschuhe heraus und an. Dann setzte er Ruana vor den glänzend schwarzen Stein, betrat die Grabfläche und nahm den Spaten wieder in die Hand. Tat so, als hätte er vor, den dort Begrabenen auszugraben. „Wir spinnen doch…“, dachte Tsuzuku, während er Metos kleine Totengräber-Show in einer Reihe von etwa zwanzig Bildern festhielt. „Aber das ist gut so. Wir sind, wie wir sind.“ Es folgten noch ein paar Puppenposen-Bilder, dann sagte Meto: „Und jetzt bist du dran, Tsu. Hast du sowas schon mal gemacht?“ „Nicht wirklich. Nur so zu Hause mit Selbstauslöser. Und natürlich Selfies.“ Meto grinste. „Pass auf, ich mach gleich die schönsten Bilder, die du von dir je gesehen hast!“ Und tatsächlich. Der Blonde schien ein gutes Händchen für Fotos in der Dunkelheit zu haben. Oder vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass er intuitiv Tsuzukus beste Seiten auf die Fotos zu bannen wusste. Es wurden jedenfalls, dafür, dass sie mit dem Smartphone gemacht wurden, wirklich gute Bilder. „Tsu, stell dich mal zu dem großen Steinkreuz da hin. Und dann stell dir vor, du bist ein Reptil oder so“, kommandierte Meto wie ein echter Fotograf. In diesem Moment hallten aus dem Kirchturm neun Glockenschläge. „Die nächste Bahn kommt um Viertel nach neun, oder?“, fragte Tsuzuku. Meto nickte. „Wir haben ganz schön was geschafft. Die Bilder sind toll geworden.“ Als sie dann im nächtlich leeren Zug saßen, sahen sie sich die Fotos noch einmal an. Meto sah auf seinen Bildern aus wie eine lebendig gewordene Puppe aus einem Horrorfilm, und Tsuzuku fand, dass er selbst auf den Bildern ein wenig wie ein Vampir wirkte. Die ganze Aktion hatte sein Selbstbewusstsein gestärkt und als er sich kurz seine Traumvorstellung von der Bühne ins Gedächtnis rief, stellte er fest, dass sich dieser Traum jetzt noch besser anfühlte. An der Haustür angekommen, legte Meto einen Finger über die Lippen, schloss leise die Tür auf und zog sogleich seine hohen, lauten Absatzschuhe aus. Das Abschminken im Bad war eine langwierige, möglichst lautlose Angelegenheit. Tsuzuku war als erster fertig und ging in Metos Zimmer, um sich umzuziehen und bald darauf kam auch dieser, von sämtlicher Schminke befreit, mit glatt gekämmten Haaren und schon halb aus dem schwarzen Lackkleid heraus, ebenfalls aus dem Bad und zog sich auf dem Bett sitzend Schlafsachen an. Da sie beide ziemlich müde waren, wurde nicht mehr viel geredet. Mitten in der Nacht wachte Meto auf. Irgendwo draußen auf der Straße stritten sich lautstark zwei Katzen und der fast volle Mond warf sein silberhelles Licht durchs Fenster. Meto setzte sich auf und sah Tsuzuku tief schlafend im Futon liegen. Der Schwarzhaarige lag auf der Seite, mit dem Gesicht zum Schreibtisch, weg vom Bett, sodass Meto es kaum sehen konnte. „Ob er auch nur die leiseste Ahnung hat, wie schön er aussieht, wenn er schläft?“, dachte er, stand kurzentschlossen auf und stieg über den Futon, um sich vor Tsuzuku auf den kühlen Boden zu knien. Langsam streckte er die Hand aus und strich ihm das schwarze Haar aus dem Gesicht. Der Ältere gab im Schlaf ein leises Brummen von sich, wachte aber nicht auf. „Und hast du eine Ahnung, wie viel du mir bedeutest?“, fragte Meto leise. „Ich hab das Gefühl, dass ich dir jedenfalls sehr wichtig bin.“ Er beugte sich vor, bis seine Lippen nah an Tsuzukus Stirn waren und tupfte einen ganz leichten, lieben Kuss darauf. Dann stieg er in sein Bett zurück, zog die Knie an, nahm Ruana in den Arm und war bald eingeschlafen. Kapitel 12: Ongaku! ------------------- Der Sonntagmorgen begann mit dem Duft von Spiegelei, welcher unter der geschlossenen Zimmertür hindurch ins Zimmer gelangte und die beiden Freunde fast gleichzeitig weckte. „Schläfst du echt mit Ruana im Arm?“, fragte Tsuzuku, als er sah, dass Meto den Teddy noch an sich gedrückt hatte. „Manchmal…“, antwortete der Jüngere und seine Wangen färbten sich leicht rosa, als ihm wieder einfiel, dass er mitten in der Nacht aufgewacht war und was er getan hatte. Er wusste selbst nicht, warum, aber wenn es Tsuzuku betraf, dann ging irgendetwas einfach mit ihm durch. „Süß“, sagte Tsuzuku nur, erhob sich und öffnete die Zimmertür, um im Bad zu verschwinden. Meto stand ebenfalls auf, nahm den Notizblock vom Nachttisch und ging im Schlafanzug in die Küche, wo seine Mutter am Herd stand und die Spiegeleier zubereitete. „Guten Morgen, mein Schatz.“ Sie lächelte und strich ihrem Sohn durch das blond gefärbte Haar. Meto erwiderte das mit einem „Mama, ich bin so gut wie erwachsen!“-Blick und ging dann zurück in sein Zimmer, um sich richtig anzuziehen. Als er das Lacklederkleid, das noch auf dem Boden herumlag, wieder in den Schrank hängte, dachte er an das gestrige Fotoshooting und stellte fest, dass er durch diese spontane Aktion noch ein Stück Selbstbewusstsein dazugewonnen hatte. Es war wirklich mehr geworden, seit er Tsuzuku kannte. Irgendetwas an diesem Menschen brachte ihn in seiner eigenen Entwicklung schneller voran. Vielleicht war es das sofortige Vertrauen, das vom ersten Moment an zwischen ihnen geherrscht hatte. „Und was machen wir heute?“, fragte Tsuzuku, der fertig angezogen und geschminkt aus dem Bad zurückkam. Meto zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“ Während des Frühstücks ergab sich dann die Planung des Vormittags fast von selbst. Tsuzuku erhielt eine Nachricht von MiA. „Hey, ihr! Ich hab heute frei, wollen wir uns treffen? Ich bring meine Gitarre mit. ^^ MiA“ „Mama, ist das okay, wenn heute noch einer hier ist?“, fragte Meto. „Er heißt MiA und wir wollen zusammen Musik machen.“ „Ja, natürlich. Soll ich euch dann noch was zu Essen machen?“, fragte Frau Maeda. Meto nickte, dann sprang er plötzlich auf, verschwand in seinem Zimmer und huschte kurz darauf mit Klamotten beladen über den Flur ins Badezimmer. „Er will sich wohl noch hübsch machen“, sagte seine Mutter und lächelte. „Ihn darf einfach kein Fremder ungeschminkt sehen.“ „Darf ich Sie etwas fragen?“, fragte Tsuzuku. „Ja, natürlich.“ Frau Maeda lächelte immer noch. „Und, weißt du, du kannst Minami und Du zu mir sagen. Für Meto gehörst du längst zur Familie.“ Tsuzukus Herz machte einen kleinen Satz. Er war solche Herzlichkeit einfach nicht gewöhnt. Freundlichkeit, ja, da gab es ja auch seine Kollegen, aber dass Familie Maeda ihn sozusagen aufnahm, brachte ihn doch ein wenig… aus der Fassung. Natürlich freute er sich riesig, doch es gelang ihm nicht richtig, das auch zu zeigen, und so fiel sein „Danke“ und das Lächeln sehr viel schwächer aus, als es tatsächlich in ihm aussah. Und er musste sich erst wieder daran erinnern, was er Minami für eine Frage stellen wollte. „Wie… ähm, ich meine, wie machen Sie… machst du das, …Meto so zu akzeptieren und zu verstehen, wie er ist, …so als seine Eltern? Ich… kenn das von zu Hause nicht…“ „Na ja, wir kennen ihn eben schon sein ganzes Leben lang. Uns war von Anfang an klar, dass er ein bisschen anders tickt und so seine Schwierigkeiten mit Menschen im Allgemeinen hat. Wir haben noch so jemanden in der Familie gehabt, seinen Großonkel, der hatte ähnliche Probleme. Deshalb ist es für uns nichts in dem Sinne Ungewöhnliches. Als Meto aufgehört hat zu sprechen und in der Schule nicht mehr zurechtgekommen ist, haben wir uns natürlich große Sorgen gemacht und erst recht, als er sich dann in seinem Zimmer eingeschlossen hat. Wir haben immer versucht, ihn zu unterstützen, damit er selbstsicherer wird…“ „Ich glaube, das haben Sie… habt ihr …auch sehr gut gemacht. Wirklich, ich habe selten so tolle Eltern gesehen“, sagte Tsuzuku und fragte sich im Stillen, ob Minami und Metos Vater von den früheren Selbstverletzungen ihres Sohnes wussten. Wahrscheinlich nicht. „Doch am Ende hat er alles wohl aus eigener Kraft wieder in den Griff bekommen. Ich glaube, so etwas muss ein Mensch selbst schaffen, das kann kein anderer für ihn tun. Man kann ihn nur unterstützen, also tun wir das, erlauben ihm diese ganzen Selbstveränderungen, weil wir wissen, dass er da mit ganzem Herzen dabei und sehr glücklich damit ist. Und seit er dich kennt, ist er noch ein ganzes Stück sicherer geworden. Tsuzuku, weißt du eigentlich, wie gut du Meto tust?“ „Ja, das weiß ich. Er sagt es selbst immer wieder zu mir“, antwortete Tsuzuku und dachte an den hauchzarten Kuss nach dem langen Gespräch gestern. „Und Meto wird erwachsen. Irgendwann wird er hier mehr oder weniger aus dem Nest fliegen und seine eigenen Wege gehen. Ich und Satoshi glauben, dass unser Schatz dann bei dir in guten Händen ist, Tsuzuku. Immerhin bist du es, bei dem er wieder zu sprechen angefangen hat.“ Tsuzuku antwortete mit einer höflichen Floskel, in etwa „Was sie sagen, ist zu viel der Ehre“. Er wusste nicht, was er sonst darauf erwidern sollte. Es kam selten, sehr selten vor, dass ihm eine solche Anerkennung und vor allem so großes Vertrauen entgegen gebracht wurde. Genauer gesagt konnte er sich nicht daran erinnern, dass ihm jemals jemand einen anderen Menschen durch solche Worte anvertraut hatte. Ihm wurde warm, Tränen kamen hoch, doch er kämpfte sie mit einem inneren Ruck nieder. In dem Moment kam Meto aus dem Bad zurück. Und offenbar merkte er sofort, dass über ihn gesprochen worden war. „Redet ihr über mich?“, schrieb er. „Ich hab MiA eben gerade unsere Adresse geschickt.“ „Ärgert dich das, wenn wir über dich sprechen?“, fragte Minami. „Nee, eigentlich nicht. Ich hab’s halt nur gemerkt.“ Meto trug wieder die neue Hose von Sex Pot ReVeNGe, dazu das „Horror Doll“-Shirt und ein nietengeschmücktes Lederhalsband. Wie üblich hatte er seine Augen mit großen Kontaktlinsen gefärbt und vergrößert, sich die Lippen matt rosa geschminkt und die Haare in kleine Wellen gelegt. „Das ist dein Lieblingsshirt, oder?“, fragte Tsuzuku. Meto nickte strahlend. „Ja. Das war eins der ersten, die ich damals gekauft hab, und es ist immer noch schön. Bis MiA kommt, können wir uns ja schon mal einspielen.“ Tsuzuku nickte und die beiden gingen runter in den Keller. Meto begann sofort, in dem schmalen Schrank neben der Musikanlage zu kramen und beförderte schließlich ein Karaoke-Mikro ans Licht der Deckenlampe. „Was hälst du davon, wenn wir das heute aufnehmen?“ „Gute Idee. Wenn das für MiA in Ordnung ist.“ Die Tür des ‚Probenraumes‘ stand noch offen und so hörten sie kurz darauf, dass es an der Haustür klingelte, Minami öffnete und MiAs freundliche Stimme zu hören war. „Guten Tag, sind Sie Frau Maeda? Ich bin mit ihrem Sohn Meto verabredet.“ Wenig später kam MiA, begleitet von Minami, die einen Teller Kekse trug, die Treppe herunter in den mehr oder minder improvisierten Probenraum. Er trug ein ähnliches Outfit wie an dem Tag des ersten gemeinsamen Auftritts: schwarzes, glänzendes Leder, knapp geschnitten und mit silbrigen Nieten verziert. Jedoch wirkte es etwas alltagstauglicher als das Bühnenoutfit aus dem Yoyogi und auch eher für die heute merklich sommerlichen Temperaturen geeignet. Über der Schulter trug er eine schwarze Gitarrentasche, in der sich wohl sein Ein-und-Alles von Musikinstrument befand. „Hi, ihr“, sagte er und lächelte. Meto strahlte ihn an. Er freute sich riesig darauf, mit dem offensichtlich sehr begabten Gitarristen zusammen zu spielen. Minami stellte die Kekse neben die Musikanlage und ging mit einem „Na dann, viel Spaß!“ hinaus. Sie stimmten sich ein und dann ging es los. Vielleicht lag es daran, dass sie schon einmal zusammen gespielt hatten, oder daran, dass sie einfach zusammenpassten, jedenfalls harmonierten sie fast sofort, als würden sie schon länger zusammen Musik machen. „Musik ist wie ein Strudel, der einen mitreißt und nicht mehr los lässt“, dachte Meto, während er spielte. Beide, Meto und Tsuzuku, spürten wieder, wie dieses ‚richtige‘ Musik machen, das Zusammenspiel mit jemand anderem in Aussicht auf einen Auftritt, sie veränderte. Es begann mit dem ersten Ton und dauerte über die Länge des Liedes hinaus. Eine Art Rausch, in dem sie sich beide auf einmal viel mehr zutrauten und aus sich herauskamen wie sonst so gut wie nie. Sie kannten das schon vom „Einzeltraining“, doch zu dritt mit MiA war es doch irgendwie anders, fühlte sich nach mehr, nach großen Schritten der Weiterentwicklung an. Und nach Einswerden mit der Musik. Nach dem ersten Song war beiden seltsam schwindlig und MiA bemerkte: „Ihr geht ja richtig ab! Wenn man euch sonst so sieht, denkt man das irgendwie gar nicht.“ Und diese Entwicklung damit auf den Punkt brachte. „Mach mal den Mund auf, Tsu!“, forderte MiA nach dem zweiten Lied plötzlich. Meto grinste wissend und Tsuzuku tat wie ihm geheißen. „Nee, oder? Echt?“ MiA starrte ihn staunend an. „…deine Zunge… Wahnsinn!“ Meto strahlte. Er hatte schon vor einer ganzen Weile Tsuzukus gespaltene Zunge bemerkt, jedoch irgendwie nie etwas dazu gesagt, obwohl es ihm gut gefiel. „Japp“, sagte Tsuzuku nur und lächelte stolz. „Wow! …irre, total irre, aber echt cool.“ MiA legte ihm anerkennend die Hand auf die Schulter. „Da stehen die Girls bestimmt drauf, oder?“ Dazu sagte Tsuzuku nichts. Musste MiA ja nicht gleich wissen, dass es in Sachen Frauen bei dem Sänger nicht so berauschend aussah. Dass er, obwohl er gut aussah und Talente hatte, die sicher gut ankamen, noch nie eine echte Freundin gehabt hatte, einfach weil er das mit der Kontaktaufnahme und dem Halten des Kontaktes nicht hinbekam. Das war etwas, das er an sich selbst nicht sonderlich mochte und peinlich fand er es auch. Und deshalb brauchte MiA das auch nicht zu erfahren. Es reichte aus, wenn Meto es ahnte. Zum Glück ging der Gitarrist nicht näher auf das Thema „Frauen“ ein, sondern fragte stattdessen: „Wo lässt man denn so was machen?“ „In einer Schönheitsklinik in Hiroshima, da, wo ich auch das Implantat her habe.“ Tsuzuku zog den Kragen seines Hemdes ein Stück nach unten und zeigte MiA den Metallring unter seiner Haut. „Wow!“ MiA war offenbar hin und weg. „Das nenn ich mal Körperkunst!“ „Sag mal“, wechselte Tsuzuku das Thema, „seit wann spielst du eigentlich schon Gitarre? Ich hab noch nie jemanden so schnell spielen sehen wie dich.“ „Seit ich zwölf bin. Und ich übe so zwei- bis viermal am Tag. Und ihr, seid wann macht ihr das schon?“ „Ich singe eigentlich schon, seit ich denken kann. Aber so richtig üben tue ich seit fünf Jahren“, antwortete Tsuzuku und Meto schrieb: „Als ich in der achten Klasse war, haben meine Eltern mir das Schlagzeug gekauft. Seitdem übe ich fast jeden Tag.“ MiA ging zu ihm hinüber, hockte sich neben ihn und fragte: „Hey, Meto-chan, magst du immer noch nicht mit mir reden?“ Meto schüttelte den Kopf. Er fühlte sich MiA noch nicht nah genug, um mit ihm zu sprechen. „Er redet nur mit mir“, sagte Tsuzuku. „Ihr seid echt richtig dicke Freunde, oder?“ Meto nickte begeistert und Tsuzuku strahlte. „Aber was, mein liebes Metochen, muss ich denn tun, damit du auch mit mir redest?“ Schweigen. „Warte einfach noch ein bisschen, MiA“, sagte Tsuzuku. Sie spielten noch drei Songs, dann schaute MiA auf die Uhr und sagte: „Ich muss wieder los, arbeiten. Die Ladys warten.“ „Viel Spaß.“ „Den werd ich wohl haben.“ Als MiA weg war, fragte Tsuzuku: „Und? Was machen wir jetzt? Es ist Sonntag, wir könnten in den Yoyogi gehen.“ Meto nickte. „Ich glaube, ich zieh mal wieder ein Kleid an. Das rosa-karierte.“ Nachdem sie sich also beide zum Ausgehen ausgiebig zurechtgemacht hatten, machten sie sich auf den Weg zur Bahnstation. Als sie dann schließlich die Takeshitadori entlang gingen, kamen sie auch am Gothic-Laden in der Nähe von Kens Studio vorbei. „Komm, Tsu, wir besuchen Koichi.“ Meto packte Tsuzuku am Ärmel und zog ihn hinter sich her in den Laden. Es war genauso wie beim letzten Mal, dieselbe Musik, dieselben Sachen. Nur stand hinter der Kasse im Obergeschoss nicht Koichi, sondern ein türkishaariges Mädchen, deren Namensschild sie mit Hiragana als „Ruka“ auswies. „Ist Koichi da?“, fragte Tsuzuku. „Sorry, der hat grad Pause“, antwortete Ruka. „Seid ihr Bekannte von ihm?“ Meto nickte. „Meistens ist er in den Pausen unten im Park und hängt da mit den Visuals rum. Oder er ist auf der Brücke und wartet auf die KERA-Leute, damit er endlich auch mal in die Zeitschrift kommt. Haltet einfach die Augen offen, dann findet ihr ihn schon.“ Tatsächlich fanden sie Koichi sofort, als sie die Brücke erreichten. Er saß an der grauen Steinmauer auf dem Boden, in der Nähe einer GazettE-Cosplaygruppe, rauchte und unterhielt sich mit ihnen. Als er Tsuzuku und Meto bemerkte, winkte er ihnen fröhlich zu. „Hey, Meto-chan! Siehst ja wieder süß aus! Kommt doch her und setzt euch!“ Meto strahlte ihn an, er und Tsuzuku gingen zu ihm hinüber und setzten sich auf die angebotenen Plätze auf der auf dem Boden ausgebreiteten Decke. „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte Koichi Tsuzuku. „Kannst mich Tsuzuku nennen.“ „Schöner Name. Schreibt man das wie in ‚buchstabieren‘?“ Der Schwarzhaarige nickte. Eines der Mädchen, sie cosplayte Ruki in seinem leuchtend roten Cockroach-Outfit, rückte näher zu Meto und sprach ihn an: „Du siehst ja niedlich aus! Ist das Kleid von ‚Baby‘?“ Meto machte große Augen wie eine erschreckte Katze, warf einen hilfesuchenden Blick in Tsuzukus Richtung, doch als der ihm nur ermutigend zunickte, atmete er kurz durch und zog dann seinen Schreibblock hervor. „Ja, das ist von ‚Baby the Stars shine bright‘.“ „Sprichst du nicht?“ „Nein.“ „Wieso nicht?“ „Weil darum.“ Eine einfache Antwort. Doch in Metos Gedanken war die Sache inzwischen alles andere als einfach. Ihm gingen immer noch MiAs Worte durch den Kopf: ‚Aber was, mein liebes Metochen, muss ich denn tun, damit du auch mit mir redest?‘ Er wusste es nicht. Wusste nicht, womit genau sich MiA das notwenige Vertrauen und die Nähe verdienen sollte. Und darüber dachte er schon die ganze Zeit nach. Währenddessen versuchte Tsuzuku, sich in Koichis Gespräch mit dem einzigen Jungen der Cosplaygruppe einzuklinken. Zuerst fiel ihm das recht schwer, wie immer, doch er merkte, dass es schon etwas leichter ging als noch vor ein paar Wochen. Leider kam es dabei manchmal vor, dass er vor lauter Anstrengung, sozial zu sein, unkonzentriert wurde und nicht mehr richtig zuhörte. Und in dem Moment, als er das auch dieses Mal bemerkte, sagte Koichi gerade etwas, dass ihn doch aufhorchen ließ: „… die Riffs da sind richtig schwierig. Hätte nie gedacht, dass Jasmine so kompliziert gespielt hat. Hab ja auch noch nicht viel von Versailles gecovert.“ „Reita spielt ganz anders, oder?“, fragte der Cosplayer, dessen Dress-up-Name Ren war. „Ja, seine Griffe kann ich auch besser. Nao war auch gut.“ „Du spielst Bass, Koichi?“, fragte Tsuzuku, nun deutlich aufmerksamer. Der Pinkhaarige nickte. „Ja. Cool, oder?“ „Und? Hast du schon ‘ne Band?“ „Nee, noch keine gefunden. Irgendwie scheint auch gerade kaum wer einen Bassisten zu suchen.“ Tsuzuku dachte: „Doch. Meto, MiA und ich, wir können einen brauchen“, doch er schaffte es irgendwie nicht, das auszusprechen. Außerdem wusste Koichi ja nicht mal, dass Tsuzuku und Meto überhaupt Musik machten. Doch das sollte sich schon einen Moment später ändern. „Und du?“, fragte Koichi nämlich, „Spielst du auch was?“ „Ich singe. Und ein klein wenig Gitarre spielen kann ich auch. Aber…“, er stockte kurz, wie jedes Mal, wenn es ans Persönliche ging, doch dann kam es ganz leicht über seine Lippen: „Meine Leidenschaft ist eindeutig singen.“ Und damit war das Eis gebrochen. „Bist du gut?“ „Ich denke, schon.“ „Spielt Meto auch was?“ „Schlagzeug. Und wenn du mich fragst, ist er unheimlich begabt.“ „Wow, das würde ich ja gern mal sehen!“ Koichi strahlte ihn und Meto an. Er machte einen ziemlich extrovertierten, lebhaften Eindruck. Fast ein wenig überdreht. Jedenfalls einer von der Sorte Mensch, die Tsuzuku um ihre Offenheit beneidete und deshalb irgendwie mochte. Bisher hatte er solche Menschen nur aus der Entfernung beobachten können, doch seit sich durch Meto so vieles in seinem Leben verändert hatte, schien es ihm auf einmal so, als könnte er nun endlich näheren Kontakt zu diesen Menschen aufnehmen. Allen ihm bekannten und eigentlich für ihn kaum existenten Göttern für die Begegnung mit Meto dankend, begann Tsuzuku mit Koichi ein Gespräch über Musik, erzählte von MiA, vom ersten Auftritt, dem Zusammenspiel heute Morgen und auch davon, wie gut das tat. Er konnte sich selbst kaum erklären, warum er sich mit einem Mal so öffnete. Koichi hatte einfach etwas an sich, das es Tsuzuku leicht machte, sich mit ihm zu unterhalten. Meto saß mit großen Augen daneben, hörte zu, sagte nichts, schrieb nichts, doch sein Gesicht und sein ganzer Ausdruck sprachen Bände: Er wusste, welchen Teil er zu Tsuzukus Weiterentwicklung beigetragen hatte und war sichtlich stolz darauf. Und er staunte, als er erkannte, dass es nur ein paar Wochen gebraucht hatte, um sein leben und das seines Freundes so zum Positiven zu verändern. Bisher hatte Meto geglaubt, da gäbe es nur im Film. Und dass es so etwas wie Seelenverwandtschaft auch nicht wirklich gab. Doch er erlebte es hier und jetzt, und Tsuzuku war definitiv mehr als nur ein freund für ihn. Er war zum wichtigsten Menschen in seinem Leben geworden, zum Vertrauten, und am besten ließ sich das mit „seelenverwandt“ beschreiben. Dass sie beide oft denselben Gedanken im gleichen Moment hatten, bemerkten sie, als sie einen kurzen Blick wechselten und sahen, dass Koichis Eröffnung, dass er Bass spielte, ihnen zum ersten Mal eine ganz bestimmte Idee kommen ließ: Eine eigene Band zu gründen. Noch war es nur ein Gedanke, schließlich hatte MiA noch Dis:Hana und sie beide keinerlei Ahnung davon, wie genau man so eine Band aufbaute, doch vertreiben ließ sich diese Idee nun nicht mehr, war durch das Zusammenspiel am Vormittag sehr in die Nähe gerückt. Koichi warf einen Blick auf die Zeitanzeige seines Handys und sagte: „So, ich muss dann wieder arbeiten gehen. Was macht ihr jetzt noch?“ „Keine Ahnung, irgendwas…“, antwortete Tsuzuku und Meto zuckte ebenfalls mit den Schultern. Sie begleiteten Koichi noch bis zum Eingang der Takeshita. Auf dem Rückweg zwischen der berühmten Einkaufsstraße und der Station Harajuku befand sich auch das kleine Café, in dem Tsuzuku bis vor ein paar Wochen jeden Samstag gesessen und die vorbeigehenden Leute beobachtet hatte. Dieses Ritual hatte sich vollkommen zurückgebildet, doch heute bekam er auf einmal doch wieder Lust darauf, dort am Fenster zu sitzen. Diesmal aber nicht allein. „Komm, wir gehen noch einen Kaffee trinken“, sagte er. Meto nickte, wandte sich kurz an Ruana, die den Kopf aus seiner Handtasche steckte, und flüsterte dann: „Ruana möchte ein Stück Kuchen.“ „Gut. Einen Kaffee für Tsuzuku, einen für Meto und ein Stück Kuchen für Ruana, ja?“ Tsuzuku lächelte. Er fand die Art, wie Meto mit seinem Teddy umging, irgendwie unheimlich süß. Am Ende bekam natürlich der Blonde Ruanas Kuchenstück, tat aber, und das ganz offen vor allen Leuten im Café, so, als würde er den Bären damit füttern. Er hatte ganz offenbar überhaupt kein Problem damit, dass ihn jemand für seltsam halten könnte. „Sag mal, merkst du, dass die Leute schauen und es ist dir egal, oder tust du einfach, als wären sie nicht da?“, fragte Tsuzuku. „Es soll mir egal sein. Deshalb mach ich das immer wieder. Ich übe das so lange, bis ich mich so weit habe, dass es mich wirklich nicht mehr interessiert, was sie denken.“ „Du bist also noch lange nicht fertig mit dir selbst…“ „Nein, aber ich gebe nicht auf. Ich will machen, was ich will.“ Ein wenig konnte man ihm diesen Kampf sogar ansehen. Da kämpfte der neue, stark und auffällig sein wollende Meto gegen den alten, ängstlichen Haruka, der sich am liebsten versteckte. Und dieser Kampf wurde mit allen Mitteln geführt. Extreme Aktionen, Tattoos, Piercings, auffällige Kleidung gegen Angst und daraus folgende Anpassung. Es schien so, als ob Meto immer dann, wenn Haruka in ihm wieder hochkam, sofort mit irgendeiner radikalen Handlung gegenanging, und sei es, dass er in aller Öffentlichkeit seinen Teddy mit Kuchen fütterte. Nach dem Cafébesuch gingen sie zusammen zur Station Harajuku und verabschiedeten sich dort. „Du schreibst mir, wenn was ist?“, sagte Tsuzuku. Meto nickte, verpackte Ruana in seiner Tasche und verschwand in den Zug nach Adachi. Kapitel 13: Arashi ------------------ Am Montagmittag so um eins stand wieder einmal Kasumi bei Meto vor der Tür. Es war ja eine Weile her, dass er sie gesehen hatte und so gab es eine Menge, was er ihr schreiben konnte. Obwohl sie seine älteste Freundin war, wollte er nicht mit ihr sprechen. Es war ähnlich wie bei seinen Eltern. Ein merkwürdiger Loslösungsprozess, der eben auch diese Freundin, die beinahe wie eine Art Schwester für ihn war, mit einschloss. „Meto, kann ich mir ein paar Sachen von dir ausleihen?“, fragte sie, nachdem er sie hereingebeten und sie sich an den Esstisch gesetzt hatte. „Wieso?“ „In meinem Design-Studiengang ist ein Seminar zu Harajuku-Styles, da hab ich mich angemeldet. Und nun soll ich einen Vortrag halten. Ich weiß ja einiges von dir, aber ich hab nichts außer Zeitschriften und Videos zum Zeigen. Deshalb dachte ich, du könntest mir vielleicht Klamotten oder so leihen.“ Meto schüttelte den Kopf. Er wollte seine geliebten Kleider nicht aus der Hand geben, auch nicht an Kasumi. Die Sachen waren seine Schätze, die blieben im Schrank, wenn er sie nicht trug. „Meto, bitte.“ Kasumi gab nicht so schnell auf. „Wieso denn nicht?“ „Das sind meine Sachen. Ich will nicht, dass denen was passiert.“ Kasumi überlegte einen Moment, dann hatte sie eine Idee: „Und wenn du mitkommst? Dann hast du sie immer im Blick. Und du siehst meine Uni mal von innen.“ Schließlich ließ Meto sich überzeugen. Er lief in sein Zimmer, holte seine Sporttasche und fragte Kasumi: „Zu welchem Stil denn?“ „Lolita. Sweet, Gothic, alles.“ Er packte das rosa-weiße Kleid ein, das schwarze und noch ein weißes mit roten Kunstblutspritzern. Alle, die er hatte. Dazu die passenden Haarschleifen, Kniestrümpfe, alles, was dazu gehörte. Wenn er Kasumi schon half, dann richtig. „Du bist heute aber ziemlich… normal angezogen“, bemerkte diese und zeigte auf Metos heutiges Outfit, dass aus recht schlichten, schwarzen Deorart-Sachen bestand. „Hab heute keine Lust, mich großartig schick anzuziehen.“ „Sieht aber gar nicht schlecht aus.“ Auch geschminkt hatte Meto sich heute kaum und als sie mit der großen Tasche aus dem Haus gingen, hatte er sich eine große, dunkle Sonnenbrille und eine blaue, weiß gepunktete Cap mit einer aufgemalten HelloKitty-Schleife und silbrigen Nieten aufgesetzt. „Du bist ja maskiert wie ein VK-Rockstar!“, bemerkte Kasumi. „Fehlt nur noch der Mundschutz.“ Meto kramte in seiner Handtasche nach selbigem, fand jedoch keinen. „Ein Rockstar bin ich trotzdem. Jedenfalls werde ich irgendwann einer.“ „Ich drück dir die Daumen“, sagte Kasumi und klang dabei recht ernst. Sie wusste, wie wichtig Meto dieser Traum war und wollte ihn, so gut sie konnte, unterstützen. Die Bahnfahrt zur Uni war nur insofern anstrengend, dass es ziemlich voll war. Kasumi, die jeden Tag zur Rushhour mit der Bahn durch Tokyo zur Uni fuhr, war daran gewöhnt und passte ein wenig auf, dass Meto, der ja meistens nur am Wochenende Bahn fuhr, nicht ins schlimmste Gedränge geriet. Sie kannte seine Soziophobie nur zu gut. Ansonsten passierte nichts Besonderes und auch Kasumis Vortrag verlief problemlos. Meto wartete auf dem Flur vor dem Vortragsraum und las in einer der herumliegenden Zeitschriften, während seine Kindheitsfreundin drinnen ihr Referat über Harajuku-Mode hielt. Auf der Rückfahrt war der Zug ziemlich voll, zuerst fanden sie beide keinen Sitzplatz und mussten stehen. „Mamehara?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Meto kam sie entfernt bekannt vor, doch erst, als er sich umdrehte, erkannte er, wieso: Hinter ihm und Kasumi standen zwei junge Studenten, die er sofort wiedererkannte. Es waren zwei frühere Mitschüler aus seiner alten Klasse, ein Mädchen namens Sashihara und ein Junge namens Suzuda. Er schob seine Sonnenbrille höher, zog die Cap ein Stück weiter runter und den Kragen seiner schwarzen Jacke hoch. Sein Herz begann zu rasen und er spürte eine unangenehme, aufgeregte Hitze aufsteigen. Kasumi, die sich ob der Ansprache mit ihrem Nachnamen ebenfalls umgedreht hatte, brauchte einen Moment, um zu begreifen, warum Meto so auf zwei einfache Studenten reagierte. Sie war zwar auf derselben Schule, aber nie in seiner Klasse gewesen und dort hatte auch niemand wirklich von ihrer Freundschaft gewusst. Sie begriff es einen Moment zu spät. Auf Sashiharas Stirn erschien eine verwirrte, fragende Falte. „Maeda?“, fragte sie, „Bist du das?“ Meto versteinerte förmlich. Zumindest äußerlich. Innerlich tobte ein Taifun mit heißem Regen, Sturm und Gedankenblitzen. „Du meinst Maeda Haruka?“, fragte Suzuda seine Begleiterin. „Nee, du! Das ist der nie im Leben. Maeda und blonde Haare, nein, dazu ist der doch gar nicht der Typ. Und schon gar nicht für Piercings!“ Sashihara starrte Meto weiter an. „Hey, bist du’s?“ Metos Hände begannen leicht zu zittern. Er stand sichtlich unter Druck. Gerade noch rechtzeitig schritt Kasumi ein. „Ihr verwechselt ihn. Das ist nicht Haruka. Sein Name ist Meto.“ „Häh? Meto? Was ist denn das für ein Name?“, fragte Suzuda. „Bestimmt ein Spitzname. Suzuda, ich sag’s dir, das ist Haruka“, wisperte Sashihara. „Der hatte nämlich auch solche auffälligen Lippen. So was vergess ich nicht!“ „Aber überleg mal, was Maeda Haruka für ein Typ war!“, widersprach Suzuda. „Der war doch komplett unauffällig, hätte sich nie im Leben Piercings stechen lassen oder die Haare so blond gefärbt! So jemand Unsichtbares macht doch so was nicht!“ „Hört mal, wir beide haben grad eine anstrengende Prüfung hinter uns“, log Kasumi genervt. „Könntet ihr uns jetzt also in Ruhe lassen?“ „Hast du denn noch Kontakt zu Maeda?“, fragte Suzuda. „Ja, ab und zu. Aber das geht euch nichts an.“ Sashihara bedachte Meto mit einem weiteren forschenden Blick. Sie schien fest davon überzeugt, ihn erkannt zu haben. Und das setzte ihn extrem unter Strom. An der nächsten Station stiegen sie und Suzuda jedoch aus und Meto und Kasumi konnten sich zwei Sitzplätze sichern. Für den Rest der Fahrt war Meto völlig apathisch und kaum ansprechbar. Er wirkte wie ein verletztes oder tief erschrockenes Tier, obwohl die große Sonnenbrille und der hochgezogene Kragen nicht viel erkennen ließen. Der Weg von der Bahnstation nach Hause war ebenfalls eine wortlose Angelegenheit. Kasumi wusste, dass solche ‚Begegnungen mit Haruka‘ für Meto furchtbar waren, doch dass es so schlimm war, hatte sie nicht vermutet. An der Haustür sagte sie „Auf Wiedersehen“, doch Meto ignorierte sie, schloss hektisch die Tür auf und verschwand im Haus. Der Taifun in seinem Kopf hatte immer weiter an Geschwindigkeit zugenommen, tobte so wie zuletzt vor über einem Jahr und zum ersten Mal seit so langer Zeit spürte er wieder diesen furchtbaren Druck im Kopf. Während er sich umzog und sich ziemlich unsanft das wenige Make-up aus dem Gesicht wischte, zitterte er am ganzen Körper und versuchte krampfhaft, sich am Gedanken an eine scharfe Klinge zu hindern. „Nein! Nein, und nochmals nein, Meto! Du wirst jetzt NICHT in diese alten Sachen zurückfallen!“, schrie er sich innerlich an, zerrte sich das T-Shirt über den Kopf, stand auf und rannte aus dem Zimmer. Auf dem Flur kam ihm seine Mutter entgegen. „Meto, alles o…“, begann sie, ehe sie erkannte, in welchem Zustand ihr Sohn war. Erschrocken trat sie beiseite und er rauschte an ihr vorbei. Lautes Türenknallen, dann war er allein mit der Musikanlage und seinem Schlagzeug. Er setzte sich dahinter, nahm die Sticks in die Hände und begann, den Druck in Stücke zu schlagen, abzubauen und im Lärm zu ersticken. „Du kriegst mich nicht klein! Ich will mich nie wieder selbst verletzen und ich hab Tsuzuku versprochen, dass ich’s nie mehr tue! Und deshalb wirst du Ungeheuer mich jetzt in Ruhe lassen! Sashihara und Suzuda haben doch keine Ahnung von mir! Ich bin nicht mehr Haruka! Ich heiße Meto, verstanden?!“ Dieses Mal schrie er laut, doch seine Stimme wurde von den unzähligen Schlägen aufs Schlagzeug fast völlig übertönt. Unermüdlich hämmerte er darauf ein, lange, so lange, bis er sich wieder etwas beruhigter fühlte. Er stand auf, nahm ein Handtuch vom Tisch neben der Anlage und trocknete seinen schweißüberströmten Oberkörper ab. Schwer atmend blieb er einen Moment lang mitten im Raum stehen und überlegte, ob er Tsuzuku eine Nachricht schreiben sollte, entschied sich aber zuerst dagegen. Sein Freund würde sich nachher noch Sorgen um ihn machen und das wollte Meto nicht. Also tat er etwas anderes, legte eine Versailles-Playbackplatte in die Anlage und setzte sich wieder hinters Schlagzeug, um Yukis Parts weiter zu üben. Nach einer halben Stunde Üben machte er Schluss für heute. Der Sturm hatte sich gelegt und als Meto in sein Zimmer zurückging, hatte er die Begegnung im Zug größtenteils abgehakt. „Geht’s dir besser, Meto?“, fragte seine Mutter, die in der Tür stand, respektvoll und sorgsam darauf bedacht, nicht hereinzukommen. Er nickte und lächelte kurz. „Das ist schön. Tsuzuku hat nämlich vorhin angerufen und gefragt, wie es dir geht. Er sagte, er hätte ein ungutes Gefühl gehabt.“ Sie hatte das Telefon in der Hand. „Willst du ihn gleich zurückrufen?“ Meto schüttelte den Kopf, schrieb „Später.“ und Minami legte das Telefon auf den Teppich. Sie zog ihren Grundsatz, Metos Zimmer nicht zu betreten, ziemlich genau durch. Der Blonde setzte sich erst einmal aufs Bett, nahm die neueste Ausgabe der „Tribal Tattoo“ vom Nachtschrank und blätterte darin herum. Als leidenschaftlicher Bodyart-Fan bewunderte er auch gern die kunstvollen Tattoos anderer und träumte selbst von neuen. In dieser Zeitschrift gab es auch einen großen Teil über Piercings und dieser interessierte ihn im Augenblick besonders. Sobald er wieder genug Geld hätte, wollte er sich ein neues stechen lassen. Die Frage war nur, welches und wo. Er konnte sich noch nicht recht entscheiden und dazu kam, dass das Stechen bei Kawakami Ken je nach Art des Piercings ziemlich teuer war, weil dieser sämtliche Gesundheitsbestimmungen sehr genau einhielt. Das war neben Kens Freundlichkeit auch der Grund, warum Meto kein anderes Studio aufsuchte. Also hieß es Sparen. Er schlug die Zeitschrift zu, stand auf, nahm das Telefon und drückte die Wahlwiederholungstaste, woraufhin Tsuzukus Handynummer auf dem Display erschien. Doch in diesem Moment wurde Meto klar, dass es Jahre her war, dass er zuletzt telefoniert hatte, und so bekam er ziemliches Herzklopfen allein davon, dass er das Gerät in der Hand hielt. Nach einigem „Soll ich, soll ich nicht?“ legte er es wieder aus der Hand und schrieb Tsuzuku stattdessen per Handy eine SMS: „Ich bin okay, hatte ein schlimmes Gewitter, ist aber vorbei.“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Wieso denn?“ „Ich bin mit Kasumi unterwegs gewesen und im Zug auf der Rückfahrt waren ehemalige Mitschüler von mir. Hat mich ganz schön durcheinander gebracht.“ „Kann ich mir vorstellen. Aber jetzt geht’s dir wieder gut?“ „Ja, alles okay. Hab mich gleich ans Schlagzeug gesetzt.“ „Sehr gut, du weißt dir ja zu helfen. Und wenn du drüber reden willst, ich hab in ‘ner Viertelstunde Schichtende, dann kannst du zu mir nach Hause kommen.“ Darüber reden. Meto war sich erst nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Schließlich holte das alles wieder nach vorn. Doch andererseits erschien es ihm so, als würde er, wenn er Tsuzuku nicht davon erzählte, eine Art Geheimnis vor ihm haben, und das wollte er auch nicht. Also beschloss er, hinzufahren, zog sich an, legte das übliche Make-up auf und machte sich auf den Weg nach Ichigaya. Als er an dem Haus ankam, war Tsuzuku noch nicht da und so setzte Meto sich auf die Stufen im Hauseingang und wartete. Es war ziemlich warm, die Straße flirrte im Licht des späten Nachmittags und in der Luft kündigte sich schon ein kommender Regen an. Meto hatte außer seinem Handy nichts dabei, um sich die Zeit zu vertreiben, also beobachtete er die vorbeigehenden Leute und stellte fest, in welchen Punkten sich dieses Viertel von seinem Zuhause unterschied. Hier sahen die meisten so aus, als würden sie allein leben, während in Adachi viele Familien wohnten. Die Häuser in Ichigaya waren ganz andere und es gab Läden und Restaurants. „Wo ist wohl der Laden, in dem Tsu arbeitet?“, fragte Meto sich. „Wenn er so lange für den Heimweg braucht, sicher in einem anderen Viertel.“ Er sah auf und in dem Moment kam Tsuzuku um die Ecke, sichtlich müde von der Arbeit, aber mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. „Hey“, sagte er, als er vor ihm stand, und schloss die Haustür auf. „Hast du lange gewartet?“ Meto schüttelte den Kopf. „Mir war jedenfalls nicht langweilig.“ Als sie dann kurz darauf zusammen in Tsuzukus Wohnzimmer saßen, fragte dieser: „Und? Magst du es mir erzählen?“ „Na ja… ich hab Kasumi zur Uni begleitet, weil sie sich für einen Vortrag Sachen von mir geliehen hat. Und auf der Rückfahrt… da waren halt Sashihara und Suzuda aus meiner alten Klasse. Sashihara hat mich erkannt, obwohl ich ‘ne Cap und ‘ne große Sonnenbrille auf hatte. Suzuda meinte dann, ich könnte das nicht sein, so von wegen ‚Haruka war doch komplett unauffällig, der würde nie Piercings und gefärbte Haare haben‘ und Kasumi hat sogar gelogen, ich wäre das nicht, aber Sashihara war sich total sicher. Die saß mal neben mir, deshalb weiß sie ziemlich gut, wie mein Gesicht aussieht.“ „M-hm…“ Tsuzuku nickte verstehend. Er konnte sich gut vorstellen, was für ein Durcheinander so eine Begegnung bei Meto auslösen konnte. „Das hat mich total umgehauen, so richtig. Zu Hause musste ich echt kämpfen, um keine Dummheiten zu machen und hab mich dann halt gleich ans Schlagzeug gesetzt.“ „Und gespielt bis zum Umfallen?“ Meto nickte. „Ich muss den Druck in Stücke schlagen.“ „Du hast echt gute Bilder für so was“, bemerkte Tsuzuku anerkennend. „Du bestimmt auch. Sag mal, schreibst du eigentlich auch Songs? Ich meine, weil… die meisten Sänger schreiben ja selbst.“ Tsuzuku stand auf, ging zum Schrank und kramte die lose Mappe mit seinen selbstgeschriebenen Songs heraus. „Ja, hin und wieder. Aber ich weiß nicht, ob sie gut sind.“ „Zeig mal her.“ Tsuzuku reichte ihm wahllos ein Blatt aus der Mappe, Meto nahm es entgegen und überflog es. Dabei schlich sich ein süßes Grinsen auf sein Gesicht. „Ziegen?“, fragte er und sah Tsuzuku fragend an. Dieser blickte verlegen zur Seite. Meto hatte einen der Punkte in seiner Art, Songs zu schreiben, gefunden, die er nicht mal selbst ganz verstand. „Ich mag Ziegen… ich finde, sie geben eine gute Symbolik ab“, gestand Tsuzuku schließlich. Meto kicherte leise. „Tsu, das ist so ein Klischee!“ „Ich weiß.“ Es war das erste Mal, dass Tsuzuku überhaupt mit jemandem über seine Songtexte sprach und so begann sein Herz wieder aufgeregt zu klopfen. Dass Meto auch noch gleich eine dieser schwer verständlichen Passagen gefunden hatte, verstärkte das noch. „Gefällt mir aber“, sagte der Jüngere. „Dekadentes Ziegenzählen, nee wirklich, das hat was.“ „Der Song ist noch lange nicht fertig.“ Das Blatt war nicht in Strophen unterteilt, sondern eine notizblatthafte Ansammlung von Stichworten, die Tsuzuku irgendwann eingefallen waren und die er dann zusammenpassend aufgeschrieben hatte. Er wusste weder eine Melodie, noch hatte er eine Art Film dazu im Kopf. „Hast du auch schon einen fertig?“, fragte Meto. Tsuzuku suchte ein anderes Blatt aus der Mappe. Es war der einzige Song, den er bisher mit Melodie und Entwurf fertig hatte. Er schrieb doch recht selten, und oft nur einen Satz oder ein Stichwort, deshalb kam er kaum voran. Auch wegen der Arbeit im Tanaka, nach der er meist so müde war, dass es gerade noch so für seine täglichen Gesangsübungen reichte. Dieses Blatt las Meto sich ganz durch, Wort für Wort, in einem Zug. Am Ende lächelte er, doch seine Augen schimmerten verdächtig. „Oh mein Gott, Tsuzuku…“, kam es leise über seine Lippen. Der Song drehte sich um Angst. Angst vor Menschen, vor Einsamkeit, vor der halben Welt. Jene Angst, die sie beide nur zu gut kannten. Tsuzuku sprach Meto mit diesem Song aus der Seele und rührte ihn beinahe zu Tränen. „Gefällt er dir?“, fragte er Schwarzhaarige. Meto nickte, blinzelte die Tränen weg, stand auf und schloss Tsuzuku in seine Arme. „Der Song ist wunderschön, Tsu. Den musst du irgendwann mal singen, auf einer richtigen Bühne, wenn wir ‘ne echte Band haben.“ Tsuzuku sagte leise: „Wenn ich dann mal nicht auf der Bühne anfange zu weinen…“ „Dann steh ich auf und nehm dich in den Arm.“ Meto lächelte. „So wie jetzt?“ „Ganz genau so. Wenn mein Tsu weint, muss ich ihn doch trösten.“ Jetzt war es Tsuzuku, der den Tränen auf einmal gefährlich nahe kam. „Mein Gott, Meto… sag das doch nicht…“ „Rührt dich das so stark? Mensch, Tsuzuku, ich weiß ja, dass du emotional bist, aber so sehr?“ Meto sah seinen Freund einen Moment lang an, dann fragte er: „Hat das jetzt vielleicht irgendwas mit deinem Früher zu tun?“ „Mein was?“ „Na ja, wie du früher warst und so. Was bei mir Haruka war. Weil… dieser Song… das hast du selbst so erlebt, oder?“ Tsuzuku nickte und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. Es gefiel ihm gar nicht, schon wieder vor seinem besten Freund zu weinen, doch als dieser ihn mit „Jetzt komm schon, erzähl!“ aufforderte, waren seine Versuche, die Tränen zu unterdrücken, vergeblich. Meto tat dasselbe wie beim letzten Mal, wartete geduldig, bis Tsuzuku sich wieder halbwegs beruhigt hatte und fragte dann vorsichtig noch einmal nach. „…erzähl mir doch mal was davon, wie du früher warst…“ Tsuzuku wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, was seinem dunklen Augen-Makeup den Rest gab, und begann, mit leiser Stimme zum ersten Mal wirklich mit jemandem über sein Leben früher mit Saeko zu sprechen. „Du weißt ja, dass ich… mit meiner Mutter nicht so besonders gut zurechtkomme. Dass ich nur ab und zu mit ihr telefoniere und sie ansonsten aus meinem Leben raushalte. Und du weißt, warum. Weil sie eben… nicht gerade das ist, was man einen umsichtigen Menschen nennt.“ Er dachte: „Hasse ich sie?“ und dann: „Nein, hassen tu ich sie nicht. Sie ist mir eher egal und ich will einfach nichts mit ihr zu tun haben.“ Es war keine glühende Wut, die er empfand, wenn er mit Saeko konfrontiert wurde, sondern ein schmerzhaft stumpfes, kaltes Gefühl, wie weiß verbrannte Asche. „Sie ist eben entsetzlich unsensibel und verletzend“, sagte er. Meto nickte. „War sie schon immer so?“ „Ja. Manchmal fast sogar noch schlimmer. Ich meine, sie hat mich nie geschlagen oder so, das nicht, aber wirklich um mich gekümmert hat sie sich auch nicht. Essen, warmes Zimmer, 5000 Yen Taschengeld und so, das hatte ich alles, aber emotional… war da nichts. Nie so was wie Interesse oder Mitgefühl, ich war ihr irgendwie… ziemlich egal. Ich weiß nicht, warum sie so ist, nur, was das mit mir gemacht hat, beziehungsweise was ich deswegen nicht kann. Weil sie mir nie beigebracht hat, wie man mit Menschen richtig umgeht, musste ich mir das alles selbst aneignen. Ich musste sehen, wie ich das alles selbstständig lerne und hab angefangen, die Leute zu beobachten, um rauszukriegen, wie Menschen funktionieren und wie ich mit ihnen umgehen muss. Und ich hab’s auch relativ schnell gelernt, wenn ich’s erstmal verstanden habe. Aber… na ja, wenn man sich solche Sachen selbst beibringen muss, bleibt da immer so eine Unsicherheit und eine ganz gemeine Angst. Deshalb konnte ich nie jemanden wirklich nah an mich heranlassen und bin meistens auf Distanz geblieben. Und wenn jetzt jemand wie du oder MiA oder deine Eltern so nett zu mir ist, kriege ich Herzklopfen und gerate so aus der Fassung.“ „Ist ja klar, weil du das einfach von zu Hause nicht kennst“, sagte Meto. „Aber ich glaub, irgendwann gewöhnst du dich daran, dann ist es für dich nur noch schön.“ „Ja, vielleicht.“ „Und wenn nicht, dann musst du das vor mir auch nicht verstecken. Vor mir kannst du immer so sein, wie du bist, Tsuzuku.“ Meto lächelte. „Und jetzt haben wir beide für heute genug geheult und machen mal was Lustiges. Wo hast du deine Schminksachen?“ Schminken war etwas, das Meto wirklich Spaß machte, und obwohl Tsuzuku etwas weniger Auswahl an bunten Farben im Schminkkasten hatte, reichte es doch aus, dass beide ihre Freude daran hatten, dem jeweils anderen ein schönes Make-up aufs Gesicht zu zaubern. Hier zeigte sich Metos Experimentierfreudigkeit besonders deutlich und so erkannte Tsuzuku sich, als er schließlich in den Spiegel schaute, erst selbst kaum wieder. „…wow…“, entfuhr es ihm überrascht. Meto kicherte. Er zog sein Handy hervor. „Lächeln, Tsu!“ und schon war das für Tsuzukus Verhältnisse recht bunte Make-up auf Bild verewigt. „Wenn wir irgendwann mal berühmt sind, dann stelle ich das irgendwo online“, dachte Tsuzuku. „Als Erinnerung an die Anfänge sozusagen.“ Dieser Traum, irgendwann auf einer echten Bühne zu stehen, zu singen und die Halle zum Kochen zu bringen, daran dachte er den Rest des Abends. Auch als Meto schon nach Hause gegangen war. Und dieser Traum kam mit stetigen Schritten näher, machte ihm glückliches Herzklopfen und trieb ihm beinahe schon Freudentränen in die Augen. Aber nur beinahe. Heute hatte er schon genug geweint. Kapitel 14: Tsuyu ----------------- Wieder sahen sie sich fast eine Woche lang nicht. Bis Samstag. Obwohl das Wetter mäßig war, ziemlich warm und dicht grau bewölkt, trafen Tsuzuku und Meto sich auch an diesem Samstag im Yoyogi. Schließlich wollten sie heute wieder mit Dis:Hana auftreten, hatten mit MiA alles abgesprochen und freuten such natürlich auch darauf. Meto hatte das schwarze Lolita-Kleid von ihrem ersten Treffen an, dazu eine kurzärmlige weiße Bluse, schwarze Kniestrümpfe und flache, schwarze Schuhe. Da NHK für den Nachmittag den ersten Regen der Regenzeit angekündigt hatte, hatte er auch den Schirm dabei, dazu die große, schwarze Lacktasche, aus der Ruanas Köpfchen herausschaute. „Mal wieder mit Locken?“, fragte Tsuzuku lächelnd und strich vorsichtig über die sorgfältig eingedrehten, hellblonden Locken seines Freundes. Meto lächelte zurück. Sie gingen an der Bank vorbei, auf der Tsuzuku gesessen hatte, als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. „Weißt du noch?“, fragte Meto leise. „Das ist noch gar nicht lange her.“ „Ja, stimmt. Fast nicht zu glauben, oder?“ Meto nickte, wieder mit diesem kleinen Leuchten in den Augen, das zeigte, dass er wieder etwas Ungewöhnliches vorhatte. Er griff Tsuzukus Hand, verhakte seine eigene, kleine, mit der größeren, schlanken des Älteren und drückte sie fest. Auf einmal blieb er stehen, stellte sich vor Tsuzuku, dessen Hand immer noch fest im Griff, und küsste seinen besten Freund hier, in aller Öffentlichkeit, auf die Wange. „Ich bin so froh, dass ich dich hab, Tsuzuku. Weil ich hab dich nämlich ganz, ganz furchtbar lieb“, flüsterte er. „Weiß ich“, antwortete Tsuzuku. „Ich dich doch auch.“ Die Leute, die ihnen im Vorbeigehen irritierte Blicke zuwarfen, waren ihnen beiden so ziemlich egal. Das war ein Vorteil davon, am Rande der Gesellschaft zu stehen: Man hatte mehr Freiheit, zu tun, was man wollte, ohne dass es etwas bedeuten musste. Weil solche freundschaftlichen Küsse sowieso kaum jemand verstand. Warum sich also um die Gedanken völlig fremder Menschen kümmern? Hand in Hand gingen sie weiter bis zum Platz, wo Dis:Hana gerade ihre Instrumente aufbauten. Genauer gesagt MiA und Hiroaki. Von Shun und Akio war weit und breit nichts zu sehen. Hiroaki baute gerade das Schlagzeug auf. „Hey, ihr“, begrüßte MiA sie. „Ihr kommt gerade richtig heute. Shun hat eben abgesagt und Akio hat nur wenig Zeit, der macht nur zwei Songs mit.“ Meto bemerkte es im selben Moment wie Tsuzuku: die Stimmung zwischen MiA und Hiroaki war nicht die beste. Es lag eine dünne, aber spürbare Eisschicht in der Luft. Anscheinend waren die Probleme innerhalb der Band größer geworden. MiA hatte ja schon durchblicken lassen, dass es Schwierigkeiten wegen des gemeinsamen Zeitplanes gab, und dass Shun und Akio heute ausfielen, verdeutlichte das unübersehbar. „Aber Ausrüstung ist alles da, oder?“, fragte Tsuzuku. MiA nickte. „Hiro und ich haben heute alles allein hergeschafft, der Van steht bei der Brücke.“ Er hob den Kopf und sah zum Himmel. „Hoffentlich wird’s uns heute nicht verregnet oder so. Sieht ja nicht gut aus, die Wolken.“ „Wird wohl die Regenzeit sein. Sie ist dieses Jahr aber spät dran“, sagte Tsuzuku und erst jetzt fiel es ihm auf, wie leicht es ihm fiel, sich mit MiA zu unterhalten. Es war ähnlich wie mit Koichi. Als hätte Meto bei Tsuzuku eine Art Tor geöffnet. Und dass er mit seinem Freund auch endlich über den Grund seiner Schwierigkeiten gesprochen hatte, das hatte eine große Last von seinen Schultern genommen. „Das ist aber nicht gut. Wenn wir jetzt wegen Regen pausieren müssen, dann…“, sagte Hiroaki. MiA sah ihn an, sagte aber nichts dazu. Stattdessen wandte er sich an Meto. „Na, Metochen, wie geht’s dir?“, fragte er. Meto war kurz in Gedanken versunken gewesen, doch als er merkte, dass MiA mit ihm sprach, lächelte er. Was für Gedanken waren das gewesen? Sie bezogen sich auf den blonden Gitarristen, beziehungsweise auf dessen Wort bei ihrem Zusammenspiel in Metos ‚Probenraum‘. „Vielleicht muss ich MiA einfach noch ein wenig besser kennen lernen“, dachte er. „Mal sehen, ob ich dann mit ihm reden kann. Er scheint mich ja irgendwie gern zu mögen.“ MiA bedeutete Meto und Tsuzuku, sich zu ihm auf die Decke auf dem Boden zu setzen. Auf der anderen Seite des Platzes baute eine zweite Band gerade ihre Instrumente auf, es war eine gemischte Band und die Sängerin winkte zu Dis:Hana hinüber. Hiroaki lächelte zurück, stand auf, sagte: „Ich geh mal eben zu Sayuri rüber“ und ging in Richtung der anderen Band. „Habt ihr Streit?“, fragte Tsuzuku leise, als der Bassist außer Hörweite war. „Nicht direkt, aber irgendwie… na ja, das mit der Zeit und so… und er weiß halt, dass ich ehrgeizig bin und nicht wirklich dran glaube, dass aus Dis:Hana mal was wird“, antwortete MiA. „Dann… steht ihr kurz vorm Disbanding?“ „So würd ich’s noch nicht sagen, aber ich weiß nicht, was passiert, wenn es demnächst so richtig knallt. Zwischen Shun und Hiro sieht’s nicht gut aus.“ MiA sah zu Hiroaki hinüber und fügte hinzu: „Die da drüben heißen Flower und sie haben vor drei Wochen ihren Bassisten verloren, der ist aus Tokyo weggezogen. Und Hiro mag die Sängerin. Kann sein, dass er irgendwann da einsteigt.“ Es sah also wirklich nicht gut aus mit der Band. Meto fand es furchtbar, so die Träume anderer zerbrechen zu sehen, doch er fand keine mitfühlenden Worte, nicht mal geschrieben. Auch das bekam er nur bei Tsuzuku wirklich hin. MiA nahm seine Gitarre und ließ seine Finger über die Saiten hasten, fast als wäre das eine Gewohnheit. „Aber heute sind wir noch eine Band, auch wenn Shun nicht da ist. Wir haben ja einen echt guten Ersatz.“ Er lächelte Tsuzuku an. „Fangen wir ohne Akio an?“, fragte dieser. „Ja, der kommt erst später. Und wir sollten uns ein bisschen beeilen, denn wer weiß, wann es zu regnen anfängt. Bereit, Metochen?“ Meto nickte begeistert. Er ging zum Schlagzeug, stellte seine Tasche dahinter ab, nahm Ruana heraus und setzte sie vorn auf das Gestell, als eine Art Glücksbringer. „Hiro, komm rüber, wir fangen an!“, rief MiA dem Bassisten zu. Dieser kam zurück, hängte sich seinen Bass um und Meto begann schon, auf das Schlagzeug einzuhämmern. MiA kündigte den ersten Song, ein Gazette-Cover, an. Für Tsuzuku war es wie das Eintauchen in seinen liebsten Tagtraum. Er sah, wie sich die Bangya von der Wiese auf dem Platz sammelten, wie sie sich freuten, dass die Musik losging, die Arme hochrissen und vom ersten Ton an mitfeierten. Und er ging voll darin auf, gab alles und fühlte sich dabei so gut, dass er fast völlig in der Musik versank. Doch nicht so weit, dass er es sich nehmen ließ, das tanzende Publikum zwischen den Zeilen des Liedes weiter anzufeuern. Auf einmal ging alles ganz leicht, seine frühere Befangenheit war wie weggelöscht und er hatte das Gefühl, zu schweben. Und dann sah er hinten im Publikum jemanden wild winkend auf und ab hüpfen, den er sofort erkannte: Koichi. Er drehte sich zu Meto um und sah, dass dieser den pinken Haarschopf ebenfalls bemerkt hatte und Koichi schon eine ganze Weile anstrahlte. Dass Koichi da war, gab Tsuzuku nochmal einen Schubs und er zog seine Jacke aus, sodass das engmaschige Netzhemd, welches er darunter trug, offen zu sehen war. Alles war ganz einfach, ohne Angst und vor seinem inneren Auge sah er sich wieder auf einer echten Bühne stehen, diesmal mit Meto, MiA und Koichi zusammen. Und er wusste: diesen Traum zu verwirklichen, lag bei ihm selbst. Er musste sich selber darum kümmern, das kam nicht von allein. Koichi rief ihm irgendetwas zu, das er jedoch nicht verstand, doch zum Zeichen, dass er es bemerkt hatte, riss er den linken Arm hoch und winkte zurück. Nach dem dritten Song war er total erschöpft, aber glücklich. Er schrie dem Publikum ein lautes „Thank you“ zu, verbeugte sich und warf dann einen kurzen Blick zum Himmel. Die grauen Wolken waren dichter und schwerer geworden und enthielten nun sicherlich eine Menge Regen. „Akio müsste gleich da sein“, sagte MiA und stellte seine Gitarre ab. „Meto, alles klar?“ Meto nickte. Er war ebenfalls ziemlich erschöpft und konnte eine Pause gebrauchen. Aber vor allem freute er sich unheimlich darüber, wie offensichtlich leicht Tsuzuku dieser Auftritt gefallen war. Schließlich tauchte Akio auf und sie spielten noch ein Lied. Denn gerade, als sie das zweite anfingen, fielen die ersten Regentropfen. Zuerst machte ihnen das noch wenig aus, doch der Regen wurde schnell stärker und das mehr zufällig zusammen gekommene Publikum löste sich langsam auf, zumal das Lied eher eins der ruhigeren Sorte war. „Aus, Ende, Schluss für heute“, rief Hiroaki, was dann auch die letzten Leute dazu brachte, sich einen Unterstand zu suchen. Nur einer blieb da: Koichi. Er trug eine schwarze Sweatjacke, deren Kapuze er schon bei den erste Tropfen aufgesetzt hatte. Mit einem strahlenden Lächeln kam er auf sie zu und sagte: „Wow, ihr seid ja echt Wahnsinn!“ „Danke.“ Tsuzuku fühlte sich immer noch schwebend. Trotz des Regens hielt seine gute Laune an, einfach weil dieser Auftritt einer der besten Momente seines Lebens gewesen war. „Hey, Meto-chan, heute mal in Schwarz?“ Meto nickte und strahlte Koichi an. Irgendwie hätte er jetzt sogar gern etwas gesagt, doch seine Stimme fühlte sich an wie festgeklebt und er traute sich auch nicht. „Beeilung, Leute, wir müssen jetzt schnell abbauen, sonst geht noch was kaputt!“, kommandiere MiA. „Ich helfe mit“, sagte Koichi und deckte einen der Verstärker vorsichtig mit der Schutzhülle ab. Zu sechst bauten sie die Instrumente ab und trugen alles nacheinander zum Van, der hinter der Brücke in Richtung Takeshita am Straßenrand geparkt war. Akio verschwand, als fast alles eingeladen war, und so zog MiA für die letzten Kleinigkeiten noch einmal allein los, während Hiroaki Zigaretten holte. „Meto?“, fragte Tsuzuku, als sie zusammen hinten im Van saßen und gedankenverloren den Regen draußen beobachteten. „Hm?“ „Während des Auftrittes eben… da hatte ich so eine Vorstellung. Ich hab mich gesehen, auf einer richtigen, großen Bühne. Du warst auch da und MiA und Koichi. Und ich will, dass das was wird. Das ist nämlich das, was ich schon immer tun wollte.“ Meto nickte und strahlte Tsuzuku an. „Ich auch.“ In dem Moment kam MiA mit den letzten Sachen aus dem Park. Er war klatschnass und griff sich ein Handtuch aus dem Kofferraum. „Aber dafür… muss MiAs Band kaputtgehen“, flüsterte Meto. „Ja, und das tut mir auch leid. Aber ich will das einfach so sehr.“ „Dann…“ Meto sah sich um, ob MiA in Hörweite war und flüsterte dann noch leiser: „…darf MiA das erst mal nicht wissen, oder?“ Hiroaki stieg ein, setzte sich auf den Fahrersitz, sah sich suchend nach MiA um und als er ihn entdeckte, fragte er: „Wen soll ich denn noch mit rumfahren? Wo wohnt ihr?“ „Ichigaya“, antwortete Tsuzuku. „Und Meto wohnt in Adachi.“ „Okay, dann machen wir jetzt Tokyo Tour in the Rain. Unser Probenraum ist in nämlich in der Nähe von Akiba. MiA, fährst du mit oder nimmst du den Zug?“ „Ich komm auch mit.“ MiA stieg ebenfalls ein und zwinkerte Meto zu. Als wollte er sagen „Ich krieg dich schon noch zum Reden, Schatz!“ „Ich brauch noch ein bisschen Zeit“, dachte Meto. „Weil ich ja auch selbst nicht weiß, warum ich nicht mit jemandem reden kann, den ich eigentlich mag. Und ich mag MiA wirklich gern.“ Hiroaki startete den Wagen. „Okay, zuerst nach Adachi!“ Meto war immer noch müde, der Auftritt war wirklich anstrengend gewesen, und so lehnte er sich an Tsuzukus Schulter und hätte am liebsten die Augen für eine Weile geschlossen. „Bist du müde?“, fragte der Ältere leise. „M-hm“ „Bist ja bald zu Hause.“ „Das kann noch ‘ne Weile dauern“, sagte Hiroaki. „Hier sieht’s nämlich gleich nach Stau aus.“ „Nee, oder?!“, kam es von MiA. „Schaut euch das doch mal an, ich sag‘s euch, das wird ein fetter Stau.“ Der Bassist deutete auf die Straße vor ihnen, wo sich hinter den Regenschlieren auf der Windschutzscheibe abzeichnete, wie immer mehr Autos auf die Stadtautobahn drängten. MiA drehte sich zu Tsuzuku und Meto um und sagte: „Nimm doch deine Linsen raus und schlaf, wenn du müde bist.“ Meto schüttelte den Kopf. Ohne Linsen, das war fast wie ohne Make-up! „Ach, Metochen, du machst es dir auch was kompliziert! Hast du nicht ‘ne Sonnenbrille oder so dabei? Setz die doch auf und dann nimmst du dir ein Handtuch als Kissen oder so.“ Meto kramte in seiner Tasche, fand aber seine große Sonnenbrille nicht. Ausgerechnet heute hatte er sie nicht dabei! Und ihm fielen wirklich fast die Augen zu. Kurzentschlossen schnappte er sich eines der Handtücher, die über der Lehne der Rückbank hingen und versteckte sein Gesicht darunter, während er die Kontaktlinsen herausnahm und dabei feststellte, dass sein Make-up durch den Regen ziemlich schauerlich aussah. Mit dem Handtuch über dem Gesicht lehnte er sich anschließend wieder an Tsuzuku, der seinen Arm um ihn legte und unter dem Handtuch kurz die Wange des Jüngeren streichelte. Fast augenblicklich schlief Meto ein. „Gott, seid ihr süß!“, rief MiA aus. „Aber, Tsuzuku, du kennst ihn ohne Make-up, oder?“ Tsuzuku nickte. MiA grinste. Meto sah mit dem Handtuch auf dem Gesicht und wie seine blonden Locken darunter hervorschauten, auch einfach zum Quietschen komisch aus. Auch Tsuzuku musste sich ein Kichern verkneifen, um seinen Freund nicht zu wecken. Während sich der Van langsam auf der Straße vorwärtsschob und Hiroaki einige stumme, jedoch von wildem Gestikulieren untermalte Ungeduldsausbrüche hatte, sah Tsuzuku aus dem Fenster. „Mach ich was falsch?“, fragte MiA plötzlich leise in die Stille. „Ich meine, ich bin doch nett zu Meto, wieso redet er dann nicht mit mir?“ „Meto spricht mit niemandem außer mir“, flüsterte Tsuzuku. „Nicht mal mit seinen Eltern, obwohl er sich sehr gut mit ihnen versteht.“ „Aber… ich möchte gern, dass er mit mir redet, verstehst du?“ „Warte einfach noch ein bisschen ab. Meto braucht seine Zeit für so was. Aber ich denke schon, dass er dich sehr mag, sonst würde er nicht so gern mit dir zusammen spielen.“ Irgendwann kurz darauf kamen sie in Adachi an. „Aufwachen, Meto“, flüsterte Tsuzuku unter das Handtuch. Ein kaum hörbares „Mh“ kam durch den Stoff, Meto setzte sich wieder gerade hin und zog sich verwirrt das Handtuch vom Gesicht. „Soll ich die Augen zumachen?“, fragte MiA grinsend, doch Meto schüttelte den Kopf. „Das nenn ich doch mal einen kleinen Fortschritt, Metochen. Du siehst auch mit Pandalook und ohne Linsen süß aus. Und, hey, mach dir keinen Druck, ja? Rede mit mir, wann du magst.“ Meto nickte nur, dann öffnete er die Autotür, nahm seine Tasche und hauchte Tsuzuku noch einen Abschiedskuss auf die Wange. Als er die regennasse Straße überquert hatte und wieder im Flur seines Elternhauses stand, noch nicht ganz wach, überkam ihn kurz das Bedürfnis, das Erlebnis des heutigen Auftrittes mit seinen Eltern zu teilen, richtig mit ihnen zu reden. Doch ebenso schnell verschwand das wieder, er ging in sein Zimmer, zog sich aus, legte sich ins Bett und schlief fast sofort wieder ein. Und zum ersten Mal träumte er wirklich von sich selbst auf einer Bühne, von einer blitzenden Lichtershow, einem echten Konzert… Kapitel 15: Keeki ----------------- Meto zischte unwillig, als er die Haustür hinter sich zusperrte und den durchsichtigen Regenschirm aufspannte. Er konnte die Regenzeit nicht ausstehen, erst recht nicht, wenn sie so spät kam und es dann schon so heiß war. Und er hasste Regenjacken, weshalb er trotz des Regens nur ein T-Shirt und knielange Shorts trug. Wind kam auf und trieb ihm den Regen schon hier vor der Haustür ins Gesicht, was den Schirm ziemlich überflüssig machte. „Ist aber fast egal, ob ich nass werde. Tsuzuku hat ja Handtücher“, dachte er sich und wagte sich ohne den nutzlosen Schirm hinaus in den Regen, Richtung Bahnstation. Sie hatten sich zu sieben Uhr abends in Tsuzukus Wohnung verabredet, diesmal allerdings nicht nur zu zweit. MiA war eingeladen, und Koichi (der nach dem Konzert Tsuzuku seine Nummer gegeben hatte) auch. Ohne Instrumente, nur zum Quatschen, einfach um sich mal näher kennen zu lernen. Seit dem Konzert im Park waren drei Tage vergangen und heute war Mittwoch. In der Bahn war es feuchtwarm und stickig, was Meto wiederum innerlich auf die Palme brachte, dazu kamen die vielen Menschen. Und so war er, als er in Ichigaya ausstieg, erschöpft, durchgeschwitzt und alles andere als gut drauf. Auf dem Weg zu Tsuzukus Wohnung versuchte er, sich wieder zu sammeln und kam schließlich ein wenig entspannter vor der Wohnungstür seines besten Freundes an. Von drinnen hörte er Stimmen und das Geräusch eines elektrischen Küchengerätes. Tsuzuku öffnete die Tür und sah gleich, dass Meto erst einmal einen kurzen Aufenthalt im Badezimmer brauchte. Während Meto sich also den Regen abtrocknete, Tsuzukus Parfüm ausprobierte und sein Make-up wieder herstellte, beobachtete der Ältere, wie seine sonst so ordentliche weil doch recht selten genutzte Küche (er aß meist im Tanaka oder woanders) in eine zuckersüße Kuchenbäckerei verwandelt wurde. Und zwar von Koichi, der als Erster an diesem Tag hier aufgeschlagen war, mit der Idee, man könne doch Cupcakes machen. Gesagt, getan, stand der Pinkhaarige nun mit Schürze um und Mehl im Gesicht am Küchentisch, das Handrührgerät in Gebrauch und dem neugierig dabeisitzenden MiA erklärend, wie er zu diesem Hobby kam. Zweiterer hatte zuerst keine sehr gute Laune gehabt. „Ach, wisst ihr, Dis:Hana ist komplett im Eimer. Ich bin gestern ausgestiegen und hab gesagt, ich komm erst wieder, wenn die ihr Gezicke in den Griff gekriegt haben. Dann haben Shun und Akio einen idiotischen Streit wegen dem Zeitplan angefangen, Hiro hat sich aufgeregt wegen der Miete für den Probenraum und jetzt ist Funkstille. Ich werd mein Talent jetzt besser verkaufen, da können die Gift drauf nehmen!“, hatte er erzählt und Tsuzuku damit zu einem doch recht unsozialen Gedanken verleitet. Denn natürlich war es nicht sehr nett, sich darüber zu freuen, wenn eine Band zerbrach, doch für Tsuzuku, der Meto, MiA und Koichi schon als Mitglieder seiner eigenen Band sah, fühlte es sich wie ein Glücksfall an. Und als Koichi MiA dann ins Backen miteinbezog, besserte sich die Laune des Gitarristen auch recht schnell wieder. Tsuzuku stand einfach daneben und fragte sich, ob seine Küche jemals so viel süßes Zeug erlebt hatte. Meto machte große Augen, als er die von Koichis pastellfarbener Erscheinung, Zuckerdekor und kandierten Erdbeeren dominierte ‚Backstube‘ erblickte. So viel Rosa schien Tsuzukus pragmatisch eingerichtete Küche fast ein wenig zu überfordern. Und das Lied, welches Koichi summte, während er den Teig rührte, setzte dem ganzen eine ebenfalls pinke Krone auf: „… Candy, Candy, Candy, Sweetie, Sweetie…“ „Koichi, was bitte singst du da?“, fragte MiA leicht irritiert. „Das ist aber nicht so’n Idolsong oder so?“ Der Pinkhaarige stoppte schlagartig und schlug sich mit der bemehlten Hand an die Stirn. „Oh Gott, das ist Kyary, glaub ich! Hilfe, bin ich jetzt infiziert?“ Tsuzuku, der diesen Namen nur aus seinen wenigen KERA-Ausgaben und vom Hörensagen kannte, sagte: „Es ist nur ‘ne Sängerin, oder? Die tut doch nichts.“ „Nur? Du bist gut, Tsu! Kyary Pamyu Pamyu ist das gruseligste, was ich je gesehen habe! Sie ist… quietschig und übertrieben niedlich und …überpink!“, erwiderte Koichi, stellte das Rührgerät ab und wandte sich dem Radio auf der Arbeitsfläche zu. „Und, ja, das sage ich mit dieser Haarfarbe! Tu dir ‘nen Gefallen und hör dir nie einen Song von ihr an, das sind extreme Ohrwürmer.“ „Was schreibt sie denn für Lieder?“ „Das willst du gar nicht wissen.“ Koichi drehte am Radio herum. „Hast du hier irgendeinen vernünftigen Sender eingestellt? Aber okay: in Kyarys Liedern geht es hauptsächlich um Bonbons, Kleidchen und so. Und richtige Texte hat sie nicht viel.“ „Okaay…“ Mehr fiel Tsuzuku dazu nicht ein. Er konnte sich nur schwer vorstellen, wie jemand auf die Idee kam, ernsthaft ein Lied über Bonbons zu schreiben. Das passte so gar nicht in seine Vorstellung von Musik. Seine Vorbilder waren Kyo und Ruki, dazu passte das, was Koichi da beschrieb, wirklich überhaupt nicht. Der Pinkhaarige hatte endlich eine passenden Radiosender gefunden und so schallte wenig später ‚Best Friends‘ von GazettE durch die Küche. „Kyary ist halt nicht unsere Musik…“, sagte MiA und wandte sich dann an Meto. „Hey, Metochen, du stehst ja da wie angewachsen!“ „Komm, mach mit, Backen macht Spaß!“ Koichi grinste fröhlich und winkte Meto zu sich her. „Hast du schon mal Cupcakes oder so was gemacht?“ Meto schüttelte den Kopf und wollte schon zu seiner Tasche, um seinen Schreibblock zu holen, aber Koichi hielt ihn zurück. „Beim Backen brauchst du nicht reden oder schreiben. Du musst nur nachmachen, was ich dir sage, okay?“ Meto nickte und nahm den Schneebesen, den Koichi ihm entgegenhielt. „Du hast ja starke Arme, also kannst du das Eiweiß bestimmt so aufschlagen, oder? Die müssen nämlich schön fluffig werden, die Cupcakes.“ „M-hm“, machte Meto leise, was Koichi wiederum grinsen ließ. „Hast du grade einen Ton von dir gegeben, Metochen?“, fragte MiA erstaunt. Meto reagierte darauf kaum und wandte sich dem Eiweiß zu, das es mit dem Schneebesen aufzuschlagen galt. Es war, soweit er sich erinnerte, das erste Mal, dass er beim Kuchenbacken half. Zu Hause gab es selten Kuchen, weil seine Mutter besser kochen als backen konnte, und wenn er einmal in der Küche half, dann höchstens beim Geschirrabtrocknen. Und das zeigte sich nun. Meto hatte keine Ahnung, wie genau Koichi ‚fluffig‘ gemeint hatte, war deshalb unsicher und das bewirkte, dass er etwas zu zögerlich war. „So wird das nichts“, sagte Koichi, als Meto ihm das Zwischenergebnis zeigte. „Du musst schon richtig schlagen. Schau mal, so geht das.“ Er nahm Meto die Schüssel und den Schneebesen aus der Hand und zeigte es. Meto sah genau hin und versuchte daraufhin, das nachzuahmen, aber irgendwie sah es bei Koichi viel einfacher aus, als es war. Er gab sich wirklich Mühe und versuchte, den Schneebesen schneller und mit mehr Kraft zu benutzen, doch diesmal übertrieb er es in die andere Richtung und ein kleiner Teil des jetzt flockigen Eiweißes verteilte sich in der Küche. „Oh…“, entkam es ihm. Tsuzuku war inzwischen etwas näher getreten und schüttelte sich jetzt die kleinen, weißen Flocken aus den Haaren. Er lachte leise. „Nicht schlimm, Meto.“ MiA, der ebenfalls etwas abbekommen hatte, lachte auch. „Sorry, Metochen, aber du bist irgendwie total niedlich, wenn so was passiert.“ Meto atmete drei Mal tief durch. Mit so einem kleinen, dummen Fehler umzugehen, war nicht ganz einfach für ihn. Da ging sein Perfektionismus mit ihm durch und drohte, ihn niederzumachen. „Hey, ist doch alles gut“, sagte Koichi. „Schau mal, das ist fluffig genug, das können wir jetzt unterheben und dann sind wir auch schon fast fertig.“ So motiviert kriegte Meto sich schnell wieder ein und ließ sich von Koichi zeigen, wie man das Eiweiß unter den Rührteig mischte, um diesen in eine fluffige Masse zu verwandeln. „Das werden echte Wölkchen, oder?“, fragte MiA. Koichi zog ein Muffin-Blech aus seiner mitgebrachten Tasche, dazu kleine Kuchenförmchen, und portionierte die Teigmasse so in kleine Kuchenkleckse. „So, die kommen jetzt in den Ofen und nachher wird das Icing gemacht.“ Er stellte eine Backuhr, schob das Blech in den Backofen und schaltete ihn ein. Auf einmal, wo es erst einmal nichts mehr zu tun gab, breitete sich eine etwas unangenehme Stille in der Küche aus. Tsuzuku wusste nicht, was er sagen sollte. Einerseits brannte es ihm unter den Nägeln, endlich über seinen Traum von einer richtigen Band zu sprechen, aber schon stellte sich seine Unsicherheit wieder ein und er war nicht sicher, ob es schon der richtige Zeitpunkt dafür war. Schließlich brach MiA das Schweigen. „Sag mal, Koichi, was spielst du eigentlich?“ „Stimmt, dir hab ich das noch gar nicht erzählt. Ich spiele E-Bass.“ „Hast du ‘ne Band oder so?“ „Nee, noch nicht. Ich suche aber eine.“ MiA lächelte. „Wie wär’s denn, wenn wir alle zusammen mal spielen? Deswegen haben wir uns doch heute hier getroffen. Und, na ja, also ich bin ja jetzt sozusagen wieder zu haben…“ Tsuzuku fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen. MiA sprach genau das an, worüber er ja auch reden wollte, sich nur wieder nicht getraut hatte. Meto lächelte breit, holte seinen Block und schrieb: „Wir können doch eine neue Band gründen. Nur wir zu viert. Wir gehen in den Yoyogi und spielen da und die Leute werden so begeistert sein, dass sie uns sogar Geld hinwerfen.“ „Wow, Metochen! Du hast ja ein Selbstbewusstsein… na ja, so wie du hinterm Schlagzeug abgehst, hätt ich mir das denken können, oder? Aber, weißt du, woher das kommt, dass ich dich zuerst für schüchtern gehalten habe und so?“ Meto nickte. Ja, er wusste, es lag an seinem Stummsein. Wer nicht redete, wirkte nun mal still und zurückhaltend. Dass er dahinter ganz anders war, war wohl schwer zu erkennen. Und er wusste, wie das zu ändern war. Nur fühlte er sich dazu noch nicht bereit. Er erinnerte sich an den Abend, als er zum ersten Mal mit Tsuzuku gesprochen hatte. Daran, wie viel Überwindung ihn das gekostet hatte. Er hatte stundenlang wach gelegen und darüber nachgedacht, dabei versucht, erste Töne hervorzubringen und war schließlich ohne seinen Schreibblock zu Tsuzuku ans Bett gekommen. Weil er mit diesem über den damaligen Streit mit seinen Eltern reden hatte wollen. Und jetzt? War der im Raum stehende Gedanke an eine eigene Band nicht Grund genug, sich wieder zu überwinden und endlich mit MiA und Koichi zu reden? Aber was sollte er sagen? Tsuzuku bemerkte, dass es in Metos Kopf wieder zu rattern begonnen hatte und trat näher an seinen Freund heran. „Willst du reden?“, fragte er. Meto nickte zögernd. „Lass dir ruhig Zeit“, sagte Koichi. „Hier drängt dich keiner.“ „Ich will aber“, dachte Meto. „Ich kann nur nicht.“ Er nahm seinen Block wieder und schrieb das auf. „Das schaffst du schon, Metochen“, sagte MiA und Tsuzuku lächelte ermutigend. Dann ging der Schwarzhaarige ins Wohnzimmer hinüber und schaffte dort ausreichend Ordnung, damit man sich auf dem Sofa zusammensetzen und reden konnte. Als die vier kurz darauf dort saßen, herrschte wieder diese unangenehme Stille. Tsuzuku traute sich nicht, wieder das Thema Band anzuschneiden, obwohl MiA darauf zu warten schien, Koichi sah hin und wieder auf die Uhr und Meto war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. „Okay, Leute!“, brach MiA schließlich wieder das Schweigen. „Wollen wir das so machen, also mal alle zusammen spielen? Meto hat einen tollen Probenraum zu Hause, wir haben alle Instrumente beisammen und genug Songs zum Covern gibt’s auch, oder?“ „Klar, wieso nicht?“, erwiderte Koichi. „Ich meine, wow, da könnte echt ganz schnell ‘ne kleine Band draus werden, oder?“ „Dann… steht doch nichts mehr im Wege, oder?“, fragte Tsuzuku, der langsam seine zwischenzeitlich wieder etwas abhanden gekommene Sicherheit zurückgewann. Er konnte kaum glauben, dass sich hier und jetzt vor seinen Augen der Weg zu seinem größten Traum ebnete. MiA schien die Idee, etwas auf die Beine zu stellen, jedenfalls wirklich zu gefallen. Währenddessen hatte sich das Rattern in Metos Kopf wieder beruhigt. Er war zwar immer noch nicht bereit zu sprechen, doch die Forderung danach, die sich trotz MiAs und Koichis Worten in ihm aufgebaut hatte, war wieder aufgelöst und so konnte er auf seine Weise am Gespräch teilnehmen. „Wann passt es euch denn mit der Zeit?“, schrieb er. „Ich kann ja fast immer.“ „Nächstes Wochenende?“, erwiderte Koichi. „Weil, ich muss die ganze Woche über Dienst im Goth-Laden schieben.“ „Wie wäre Samstag? Ich muss die halbe Woche und Sonntag arbeiten“, schlug MiA vor. „Oder Sonntagabend, wenn die Lady da absagt. Ich kenn die, manchmal macht sie das.“ „Was hast du denn für einen Job, dass du da Dates haben kannst?“, fragte Koichi und grinste. „Ich bin Teilzeit-Host.“ Koichi machte große Augen. „Echt jetzt?“ Dann wandte er sich an Tsuzuku: „Und du? Was hast du für einen Job?“ „Ich arbeite als Kellner“, antwortete Tsuzuku. Das Gespräch blieb beim Thema Beruf hängen. MiA erzählte von der Arbeit als Host, Koichi hatte einiges aus dem Gothic-Laden zu berichten und Tsuzuku warf hin und wieder etwas von seiner Arbeit im Tanaka ein. Meto saß daneben, hörte zu und versuchte, aus dem Gesagten heraus MiA und Koichi noch besser kennen zu lernen. Als die Uhr in der Küche klingelte, sprang Koichi auf, flitzte in die Küche und rief kurz darauf: „Die Wölkchen-Cupcakes sehen super aus!“ Meto folgte ihm und fragte per Notizblock: „Wo hast du denn so gut Backen gelernt?“ „Von meiner Ma“, erwiderte Koichi. „Sie hat auch das Rezept für diese Wölkchen erfunden.“ ‚Wölkchen‘ war wirklich genau der richtige Name für diese kleinen Kuchen. Sie sahen total weich und fluffig aus, was sicher zum größten Teil an dem eingerührten Eischnee lag. Meto nahm eins in die Hand, drückte es vorsichtig ein wenig zusammen und stellte fest, dass es genauso weich war, wie es aussah. Koichi war wirklich gut. „Aber nicht gleich essen!“, sagte der Pinkhaarige. „Da muss noch Icing drauf. Und ich hab Schokoherzchen dabei.“ „Du magst gern süßes Zeug, oder?“ „Ja. Ich weiß, das kommt ziemlich Girlie-like, aber so bin ich eben.“ Sich mit Koichi zu unterhalten, war natürlich ganz anders als mit Tsuzuku, doch es machte Spaß und Meto mochte ihn wirklich gern. Er war schon ziemlich gespannt, wie Koichi wohl Bass spielte und ob das mit seiner eigenen Vorstellung von Musik zusammen passte. Doch so begeistert, wie Koichi auf dem Konzert im Park gewesen war, sah es in der Hinsicht ziemlich gut aus. Währenddessen saßen Tsuzuku und MiA noch im Wohnzimmer zusammen. „Sag mal, kann es sein, dass du mir irgendwas sagen willst?“, fragte MiA. „Du wirkst irgendwie angespannt.“ „Ich… ähm, weißt du, wegen deiner Band… dass die jetzt kaputt ist, tut mir echt leid, aber… ich hab mich auch ein bisschen gefreut. Weil ich… na ja, ich würde gern eine Band mit dir und Meto gründen, und wenn Koichi auch will…“ Wieder hatte sich Tsuzukus Puls ein wenig beschleunigt und er spürte erneut die altbekannte Unsicherheit. War es okay, das jetzt so zu sagen? Obwohl MiA es sozusagen eingefordert hatte, fühlte Tsuzuku sich da nicht wirklich sicher. Aber MiA reagierte keineswegs traurig oder beleidigt. „Mensch, sag das doch! Du willst mehr als nur mal zusammen spielen und in den Park, hab ich Recht? Du willst ‘ne echte Band mit Namen und großen Zielen und allem Drum und Dran. Hey, ich hab gesagt, ich bin in der Beziehung zu haben und so hab ich das auch gemeint, Tsuzuku. Das kannst du mir ruhig glauben.“ „Wirklich?“ „Na klar!“ MiA lächelte, stand auf und nahm Tsuzukus Hand (was diesem wiederum das bekannte Herzklopfen bescherte). „Komm, gleich gibt‘s Kuchen!“ „Noch nicht fertig!“, rief Koichi. „Da muss doch noch die Deko drauf!“ Er riss die Tüte mit dem Icing-Pulver auf, gab Sahne dazu und drückte Meto den Topf in die Hand. „Zweiter Versuch?“ Meto nickte und versuchte daraufhin sein Bestes, um nicht wieder die Hälfte des Topfinhaltes in der Küche zu verteilen. Dieses Mal gelang ihm das auch relativ gut, jedoch half Koichi dann noch mit dem Handrührgerät nach. „Wenn du noch ein bisschen übst, klappt das bestimmt bald.“ Meto nickte wieder. Er hatte das Gefühl, in Koichi einen wirklich netten, neuen Freund gefunden zu haben. Als die Cupcakes schließlich fertig waren, räumten Tsuzuku und Koichi die Küche erst ein wenig auf, während MiA im Wohnzimmer den Couchtisch deckte. Und als sie zu viert um den Tisch herumsaßen, wandte MiA sich ganz direkt an Koichi: „Wir gründen eine Band, willst du mitmachen?“ Koichi blickte von MiA zu Tsuzuku, von Tsuzuku zu Meto und wieder zu MiA. „Das geht aber schnell…“ „Tsuzuku wünscht sich eine echte Band und ich dachte, dem steht doch nichts im Wege, oder?“ MiA lächelte. „So ‘ne richtige Band?“, fragte Koichi. „Ihr wisst doch noch gar nicht, ob ich so gut bin.“ „Würdest du dich denn selbst als gut bezeichnen?“, fragte Tsuzuku. „Na ja, ich spiele seit über drei Jahren Bass… Ich glaube, ich bin schon nicht ganz schlecht“, drückte der Pinkhaarige sich recht japanisch aus. „Es wäre mir eine Freude, das zu sehen und zu hören“, erwiderte Tsuzuku. „Wirklich.“ Meto saß neben ihm und strahlte in die Runde. Er war mehr als happy darüber, dass MiA die Sache in die Hand genommen hatte. Und trotzdem… eine Frage gab es da für Meto noch: „Und die anderen? Was sagen die dazu? Du hast ja vorhin schon gesagt, mit Dis:Hana ist’s aus, aber…“ „Ist mir egal, was die sagen. Ich bin da raus, weil ich keine Lust auf das Gezicke von Shun hab, Akio ist manchmal echt kindisch und Hiro wollte wegen Sayuri eh zu ‚Flower‘ wechseln. Shun ist selber schuld, wenn er mit seinem ‚Ich bin hier der Leader‘-Getue seine Leute vergrault.“ „Wieso, was macht er denn?“ „Na ja, er führt sich halt als Boss auf und glaubt, er sei der Beste. Dabei ist er das nicht mal. Tsuzuku, du bist ihm um Jahre voraus mit deinem Können. Aber das alles sieht Leader-sama überhaupt nicht ein und deshalb sehe ich auch nicht ein, warum ich mich weiter mit ihm befassen sollte.“ MiA schien wirklich ziemlich sauer auf Shun zu sein. Doch dann lächelte er. „Erst recht nicht, wenn ich so eine tolle Alterative habe. Und wisst ihr, ich würde zu gern Shuns Gesicht sehen, wenn er sieht, dass wir vier irgendwann mal so richtig erfolgreich sind.“ Er nahm einen Bissen von seinem Cupcake. „Ich wusste nicht, dass euer Streit wegen dem Zeitplan so schlimm ist…“, sagte Tsuzuku. „Es ging ja nicht nur um diesen blöden Zeitplan. Das Problem dahinter war Shun, beziehungsweise sein durchgeknalltes Ego. Der Typ hält sich einfach für megatoll und sieht’s nicht ein, wenn einer das anders sieht… aber okay, ich bin durch mit ihm.“ Tsuzuku hatte beim ersten Auftritt eigentlich gar nicht dein Eindruck gehabt, dass der rothaarige Bandleader ein so schwieriger Charakter war. Aber vielleicht fiel das auch nur denjenigen wie MiA auf, die länger mit ihm zusammen spielten. Auf jeden Fall freute Tsuzuku sich wahnsinnig, dass sein größter Traum sich gerade begann zu erfüllen. Das folgende Gespräch, an dem Meto sich schriftlich lebhaft beteiligte, drehte sich dann auch darum, was man für eine Band alles brauchte und welche Gründungsgeschichten sie von anderen Bands kannten. Sie verabredeten sich für Samstag zu viert bei Meto zu Hause, um zum ersten Mal alle zusammen Musik zu machen und damit herauszufinden, ob es wirklich passte. Als sie sich spät abends verabschiedeten, hatte der Regen eine kurze Pause eingelegt und so kam Meto trocken zu Hause an. Derweil stand Tsuzuku in seiner Wohnung am Küchenfenster und blickte in den Innenhof. Die Küche war bereits aufgeräumt und wieder vom Pink befreit, dabei hatten alle mitgeholfen. Tsuzuku nahm eine Packung Zigaretten von der Fensterbank, nahm eine heraus, zündete sie an und blies den bläulichen Rauch durch das offene Fenster in die nächtliche Luft. Obwohl der Tag recht anstrengend gewesen war, fühlte er sich noch kein bisschen müde und so beschloss er, noch ein bisschen an seinen Songs zu schreiben. Zuerst fielen ihm wieder nur Stichworte ein, doch dann kam alles Schlag auf Schlag, die Worte flossen geradezu aus dem Stift und bildeten mit den Melodien in Tsuzukus Kopf ein Lied, dann noch eines und noch eines. So viel hatte er noch nie geschrieben. Es waren ganz unterschiedliche Songs. Ein positiver über Freundschaft (beim Schreiben dachte er sehr an Meto), einer über die Angst, die immer noch da war, und einer über Liebe, obwohl er darin ja überhaupt keine Erfahrungen hatte. Als er dann doch irgendwann ins Bett ging, war sein Kopf voll mit Musik und er träumte wieder von der Bühne. Dieses Mal waren eindeutig Meto, MiA und Koichi dabei. Er träumte ein komplettes Konzert, von Anfang bis Ende, mit allem Drum und Dran, auch mit Sachen, die er sich in echt noch gar nicht traute und Liedern, die er noch nicht geschrieben hatte. Von diesen blieb ihm einiges in Erinnerung. Mitten in der Nacht wachte er auf und fühlte sich irgendwie verändert, in eine gute Richtung, die sich mutig und stark anfühlte, so als könne er auf einmal Dinge, die er vor dem Traum nicht gekonnt hatte. Mit diesem guten Gefühl schlief er wieder ein. Kapitel 16: Henka ----------------- Meto hatte ebenfalls von der Bühne geträumt. Von lauter Musik, warmen Scheinwerfern und einem jubelnden Publikum. Und als er aufwachte, schien ein Teil des Traums in der Realität weiter zu leben. Die Gewissheit, dass er irgendwann wirklich dort stehen würde, auf einer echten Bühne, zusammen mit Tsuzuku, mit MiA und Koichi. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einem neuen Selbstbewusstsein, das sich noch besser anfühlte als das, welches er bisher verspürt hatte. Fast schon schwebend vor Glück stand Meto auf, ging über den Flur ins Bad und sah erst dort auf die Uhr. Es war erst sechs. Während er sich duschte und zurechtmachte, träumte er den Traum noch ein wenig weiter, stellte sich vor, wie es wohl war, als Band zusammen durchs Land zu touren und in jeder großen Stadt Japans eine Halle zum Kochen zu bringen. Es so zu machen wie die Bands, die den Sprung zum Ruhm bereits geschafft hatten. Doch zuerst galt es einiges auf die Reihe zu bekommen. Fertig geduscht, angezogen, zurechtgemacht und in das rosa-weiße Lolitakleid gekleidet, ging Meto in die Küche und machte sich eine Tasse Kaffee. Seine Mutter schlief noch, sein Vater war zu dieser Zeit längst aus dem Haus zur Arbeit, und so konnte er eine Weile allein in der Küche sitzen, frühstücken und sich mal um alles in Ruhe Gedanken machen. Zum Beispiel darum, wie er es hinbekommen sollte, mit Koichi und MiA richtig zu sprechen. Er wollte das wirklich, doch er wusste nicht, wie er es anfangen sollte. Während er die Sache im Kopf drehte und wendete und versuchte, herauszufinden, wo sein Problem lag, kam ihm ein Gedanke: Dieser Schritt, mit jemandem außer Tsuzuku zu sprechen, war entscheidend und vielleicht musste er durch irgendeine greifbare Sache untermauert werden. Eine äußerliche Veränderung oder dergleichen. Irgendwas, das es sozusagen festhielt, damit er nicht wieder davon abkam. Und als er diesem Gedanken genauer nachging, kam ihm das Gefühl, mal wieder etwas an seinem Aussehen verändern zu wollen. Etwas Neues musste her, damit ihm nicht bald langweilig wurde. Er trank seinen Kaffee aus, dann lief er in sein Zimmer, zerrte sämtliche KERA-Ausgaben und einige andere Zeitschriften, die er besaß, aus dem Regal und breitete sie zusammen mit seinen Lieblingsklamotten auf seinem Bett und dem Teppich aus, bis ein Brainstorming-förderndes Chaos entstanden war. Eine neue Frisur musste her. Er wusste noch nicht, was genau er an seinen Haaren verändern wollte, nur, dass irgendwas anders musste. Als er eine der KERAs wahllos aufschlug, fiel ihm ein Model ins Auge, das den üblichen Pony trug und die schulterlangen, bunt gefärbten Haare zu zwei Zöpfen gebunden hatte, wodurch sichtbar wurde, dass sie an beiden Kopfseiten Undercut trug. Und ein paar Seiten später hatte dasselbe Model ähnliche Locken wie Meto selbst oft, nur dass sie natürlich durch die fehlenden Haare der Kopfseiten etwas ausgedünnter wirkten. Er sah genau hin, ob es nicht vielleicht eine Perücke war, doch aufgrund der Farben war er sich recht sicher, dass es sich um die echten Haare des Models handelte. Meto blickte von der Zeitschrift auf, in den Spiegel an der Tür seines Kleiderschrankes, und betrachtete sich mit prüfendem Blick. „Ob mir das wohl auch steht?“, fragte er sich und wandte sich dann an Ruana, die auf seinem Kopfkissen saß und ihn beobachtete. „Was meinst du?“ Ruana sah ihn mit ihren schwarzen Teddyaugen an und schien fast zu nicken. „Am besten frage ich Tsuzuku oder Kasumi“, erwiderte Meto daraufhin. „Nicht, dass ich deinem Urteil nicht traue, Ruana-chan, aber die beiden haben vielleicht noch mehr Ahnung davon.“ „Nicht schlimm“, schien Ruana zu erwidern. „Ich glaube, das steht dir sehr gut.“ Manchmal, so wie jetzt, kam es Meto fast so vor, als würde sein Teddy leben. Kurz kam ihm dann die Frage, wie verrückt er eigentlich war, doch letztendlich war ihm das egal. Ob lebendig oder ‚nur‘ ein Plüschtier, Ruana war in jedem Fall sein Schatz. Er sah sich noch ein paar andere Ausgaben der KERA durch und fand einige andere interessante Frisuren, doch die Idee mit dem Undercut ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Eine neue Frisur als sichtbares Zeichen seiner Weiterentwicklung und seines beginnenden Weges als echter Musiker, das war doch was. Er nahm eine Schere vom Schreibtisch und schnitt das Foto des Models aus der Zeitschrift, um es in seiner großen Tasche zu verstauen. Dann schrieb er Tsuzuku eine Nachricht: „Ich will mal wieder zum Friseur, kommst du mit? me+0“ Es dauerte eine Weile, bis Tsuzukus Antwort kam: „Ich bin auf der Arbeit.“ „Ach so… dann frage ich Kasumi.“ „Mach das. Aber sag mal, was soll’s denn werden?“ Meto grinste, während er schrieb: „Lass dich überraschen ^^ “ Dann schrieb er Kasumi eine Nachricht. Doch auch sie hatte keine Zeit, ihn zu begleiten. In solchen Situationen war Metos ‚Zuhause-Leben‘ irgendwie nachteilig. Alle anderen hatten zu tun, mussten arbeiten oder studieren, nur er saß zu Hause herum und kam eben auf solche Ideen, die er dann auch umgehend umsetzen wollte. „Was soll’s…“, dachte er. „Dann geh ich eben nur mit Ruana.“ Er packte den Bären ein, dazu sein Handy, das Foto des Models und das nötige Geld. Seine Spardose leerte sich weiter, an ein neues Piercing war kaum mehr zu denken. Als er sich auf den Weg nach Shinjuku machen wollte, wo sich das Friseurgeschäft befand, in dem Meto auch damals seine Haare hatte blondieren lassen und zu dem er auch dieses Mal wieder gehen wollte, stand seine Mutter im Flur und fragte: „Wohin gehst du?“ „Zum Friseur. Ich brauch mal was Neues“, schrieb Meto und lächelte. „Da bin ich ja mal gespannt…“ Minami erwiderte das Lächeln. Sie freute sich, dass Meto sich, seit er neue Freunde gefunden hatte, so öffnete und entwickelte. In der Bahn bekam er eine Nachricht aufs Handy: „Hey, Meto-chan! Was machst du gerade? Koichi“ „Ich sitze im Zug und fahre zum Friseur nach Shinjuku.“ „Was willst du denn machen lassen?“ „Kann ich schwer beschreiben, aber ich hab ein Foto.“ „Wo ist denn der Friseur?“, schrieb Koichi. „Bei der Takeshita in der Nähe.“ „Cool, ich hab gleich Pause, dann könnten wir uns doch treffen, oder? ^_^ “ „Super“, dachte Meto. „Also doch jemand, der mitkommt!“ So ganz genau wusste er selbst nicht, warum er unbedingt jemanden dabeihaben wollte. Es war nicht so, dass er sich allein nicht traute, aber mit jemandem zusammen war sowas irgendwie… einfach besser. Am liebsten wäre es ihm natürlich gewesen, wenn Tsuzuku ihm begleitet hätte, aber da der wohl wirklich keine Zeit hatte, war Koichi als Begleiter auch vollkommen okay. An der Station Harajuku stieg er aus und ging in Richtung Takeshita. Auf halbem Weg diese schmale und doch so berühmte Straße hinunter kam ihm Koichi schon entgegen. „Hey, Meto-chan, du Süßes!“ Meto lächelte ihn an. Zwar war ‚-chan‘ und ‚Süßes‘ in einem Satz seiner Meinung nach der Niedlichkeit zu viel, doch da es Koichi war, zu dem es nun mal passte, so zu reden, sah er darüber hinweg. Der Pinkhaarige war eben so. „Wie geht’s dir?“, fragte Koichi, als sie zusammen die Straße wieder hinauf in Richtung des Friseurgeschäftes gingen. Statt einer Antwort lächelte Meto nur wieder und stellte fest, dass es sich wirklich ganz anders anfühlte, als wenn er mit Tsuzuku unterwegs war. Sicher lag es daran, dass Koichi ein sozial normaler, umgänglicher Mensch war, der offenbar keinerlei Schwierigkeiten mit Menschen hatte, während man Tsuzuku durchgehend unterschwellig anmerkte, dass er auf diesem Gebiet unsicher war. Oder vielleicht lag es auch daran, dass sowohl Koichi als auch MiA etwas an sich hatten, das solche Menschen wie Tsuzuku und Meto dazu brachte, sich zu lockern. Egal, was es war: Meto mochte alle drei sehr gern (Tsuzuku am liebsten) und wenn er an die Zeit zurück dachte, als er außer seinen Eltern und Kasumi niemanden gehabt hatte, kam ihm das im Nachhinein ziemlich einsam vor. Das Friseurgeschäft war ein kleiner, einen etwas ausgefallenen Eindruck machender Laden, dem schon von der Straße aus anzusehen war, dass hier hauptsächlich Lolitas und Bangyas ein und aus gingen und sich ihre außergewöhnlichen Frisuren machen ließen. Die Einrichtung war eine etwas merkwürdige, aber durchaus hübsche Mischung beider Stilrichtungen, teilweise pink und verspielt, aber auch mit dunkleren, punkigen Elementen. „Hier war ich auch schon mal“, sagte Koichi und öffnete die Tür, die mit einem „Kling!“ antwortete. „Mein Lieblingsfriseur ist in Shibuya, aber dieser hier ist einfach süß.“ Kaum hatten sie den Laden betreten, kam eine junge Friseurin auf sie zu. „Hey, ihr zwei! Ich bin Mikan.“ Sie sah Meto einen Moment lang nachdenklich an und fragte dann: „Warst du schon mal bei uns? Ich glaube, ich kenn dich.“ Meto nickte. „Wie war noch gleich dein Name?“ Meto wollte schon seinen Block rausholen, doch Koichi antwortete für ihn: „Er heißt Meto.“ „Meto?... Ach ja, jetzt fällt‘s mir wieder ein! Letztes Mal warst du mit einer Freundin hier, oder? Okay, dann sag mal, was kann ich heute für dich tun?“ Meto zog seinen Block und das Foto des Models aus der Tasche und schrieb dazu: „Ich möchte gern so was haben, nur nicht so bunt.“ „Also Undercut, aber nicht färben? Oder nur den Ansatz nachfärben?“, fragte Mikan und Meto zog seinen Block hervor und schrieb als Antwort: „Nur Undercut auf beiden Seiten.“ „Du siehst, im Moment ist kein Platz frei.“ Mikan zeigte auf die Reihe von Spiegeln und Frisierstühlen, die im Moment alle besetzt waren. „Setzt euch doch erst mal, ich sag euch dann Bescheid.“ Dann verschwand sie wieder im hinteren Teil des Ladens, während Meto und Koichi sich auf die Stühle an der Längswand setzten, die aussahen wie aus einem europäischen Antikladen. Nach einer Weile zog Meto Ruana aus der Tasche und begann, gedankenverloren am Reißverschluss an ihrem Hals herumzuspielen. „Hast du den Teddy immer dabei?“, fragte Koichi. Meto nickte und schrieb: „Ruana ist meine liebste Freundin.“ „Wie süß!“ Koichi quietschte fast. „Gott, Meto-chan, du bist so niedlich!“ Meto zog einen Schmollmund und schrieb: „Koichi, ich bin achtzehn!“ Der Pinkhaarige zuckte nur mit den Schultern, griff herüber und kraulte Ruana hinter ihren Teddyohren. „Ziehst du ihr auch manchmal was an?“ Meto nickte, schrieb: „Meine Mama näht ihr Kleidchen.“ „Sag mal, ist das nicht auf Dauer ziemlich umständlich, wenn du immer nur schreibst? Ich meine nicht, dass du gleich wie ein Wasserfall reden sollst, aber…“ „Ich hab mich dran gewöhnt. Bevor ich mit Tsuzuku gesprochen habe, hab ich zwei Jahre lang gar nicht geredet, nur geschrieben.“ Koichi wollte wohl noch etwas dazu sagen, doch in dem Moment wurde ein Platz auf einem der Frisierstühle frei und kurz darauf kam Mikan zurück. „So, Meto, dann mal los, sagst du?“ Es war lange her, dass Meto zuletzt nachhaltig etwas an seinen Haaren verändert hatte. Nachdem er sie zu Beginn seines neuen Lebens blond gefärbt hatte, hatte er irgendwie keinen Grund gesehen, so bald wieder eine neue Frisur zu bekommen. Doch jetzt, wo wieder etwas Neues anfing, wollte er wieder einmal etwas verändern. Wie beim Tätowieren hielt er auch, während Mikan seinen Kopf mit Kamm, Schere und Rasierer bearbeitete, die Augen geschlossen. „Wieso machst du denn die Augen zu?“, fragte Koichi ein Stück hinter ihm, doch dann, als er seinen kleinen Fehler bemerkte: „Sorry, du kannst es mir ja nicht sagen…“ Als Mikan kurz darauf mit den Seiten fertig war, sagte sie: „Das sieht wirklich toll aus, Metochen. So was steht dir richtig gut.“ Meto öffnete die Augen. Auf den allerersten Blick hatte sich nicht viel verändert. Die verbliebenen Haare oben auf dem Kopf waren noch immer gleich lang, der Pony verdeckte seine Stirn. Er fühlte sich irgendwie leichter und auf den zweiten Blick sah seine neue Frisur sehr viel punkiger aus als vorher. Er lächelte begeistert. „Hm…“, machte Mikan nachdenklich und besah sich ihr Werk noch einmal. „Ich glaub fast, es sieht noch besser aus, wenn wir hinten auch noch was wegnehmen, und dann machen wir Locken. Was meinst du?“ Meto beugte sich vor, um sich alles noch einmal ganz genau im Spiegel anzusehen und stellte fest, dass Mikan Recht hatte. Er nickte und schloss wieder die Augen zum Zeichen, dass sie wieder anfangen konnte. Am Ende stellte er fest, dass seine neue Frisur ein wenig Ähnlichkeit mit der von Koichi hatte, nur dass er selbst Locken und der Pinkhaarige eine Art Ponytail trug. „Wow, Meto, sieht das cool aus!“ Koichi strahlte ihn an. „Und was sagt Ruana-chan dazu?“ Er zog den Teddy aus Metos Handtasche und fragte sie: „Na, sieht Meto-chan jetzt cool aus?“ Der Blonde griff herüber und ließ Ruana nicken. „Ich bin ja gespannt, was Tsu und MiA dazu sagen, du nicht?“ Meto nickte und strahlte. Solche Veränderungen machten ihm immer unheimlich gute Laune, eine Art Endorphinkick, ein Gefühl von Vorankommen. So war es mit allem, was er an sich veränderte: ungewöhnliche Kleidung, Tattoos, Piercings, seine Frisur: die Seiten seines Ichs, nachdem er beschlossen hatte, sich nach seinen eigenen Wünschen zu entwickeln. Der Unterschied zwischen Meto und Haruka. „Du siehst richtig happy aus“, bemerkte Koichi. Meto stand auf, nahm den Frisierumhang ab und kramte schon einmal sein Portmonee heraus. Die Scheine, die wenig später über die Theke wanderten, hatte er ursprünglich in ein Lolita-Kleid investieren wollen. Aber so, wie es im Moment in seiner Kasse aussah, wäre ein neues Kleid von ‚Baby the Stars shine bright‘, auch wenn es aus dem ‚Closet Child Store‘ kam, ziemlich unvernünftig gewesen. Als Meto und Koichi wieder die Takeshita herunterliefen, gab Metos Handy den für Nachrichten von Tsuzuku eingestellten Ton von sich: „Hey, Meto. Ich hab heute Nachmittag frei, wollen wir was zusammen machen? Tzk“ „Ne SMS von Tsuzuku?“, fragte Koichi. Meto nickte und schrieb seinem besten Freund zurück: „Ja, klar! ^^ Im Yoyogi?“ „Na dann, viel Spaß noch. Ich muss wieder arbeiten…“ Koichi seufzte leicht. „Bis Samstag ^^“, schrieb Meto. Als Koichi wieder im Gothic-Laden verschwunden war, schaute Meto auf die Uhr. Es war kurz vor Mittag und kaum hatte er das registriert, bekam er Hunger. Doch bevor er sich entscheiden konnte, wo er etwas essen wollte, kam Tsuzukus Antwort: „Yoyogi klingt gut. Es ist doch bald Mittag, dann können wir wieder zum Crêpes-Stand gehen und eine Kleinigkeit essen.“ Ein breites, strahlendes Lächeln schlich sich auf Metos Gesicht, als er zurückschrieb: „Ich warte dann da auf dich, okay? me+0“ Er ging über die Brücke, auf der heute, an einem Donnerstag, nicht sehr viel los war, in den Park bis zu dem kleinen Pavillon, in dem sich der Stand befand. Genau hier hatte er an jenem ersten Sonntag mit Tsuzuku zusammen gesessen. Dass seitdem nur einige Wochen vergangen waren, konnte Meto kaum glauben, es kam ihm vor wie Monate oder gar Jahre. Wieder dachte er daran, wie es vorher gewesen war. Er war nicht unglücklich gewesen, aber irgendwie doch ziemlich allein. Und jetzt, jetzt hatte er auf einmal gleich drei gute Freunde und die Aussicht auf eine Band! Er wusste, Tsuzuku ging es genauso, und der Gedanke an diesen und daran, wie gut sie sich verstanden, machte ihn unheimlich glücklich. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis Tsuzuku auftauchte. Er sah ein bisschen geschafft aus von der Arbeit, doch ansonsten schien es ihm gut zu gehen. „Neue Frisur?“, fragte er und lächelte. „Sieht gut aus.“ „Danke.“ Meto strahlte. Seine gute Laune war heute durch so gut wie nichts mehr zu toppen. Am liebsten wäre er noch zu Ken gegangen und hätte sich ein neues Piercing stechen lassen, doch erstens reichte das Geld nicht mehr und zweitens hatte er sich noch nicht entschieden, welches er wollte. Sie kauften sich dieselben Crêpes wie beim letzten Mal und zum ersten Mal fiel Meto auf, dass Tsuzuku recht langsam aß. Danach spazierten sie zusammen durch den Park, vorbei an den Bangya- und Lolita-Gruppen, den Rockabillys und den normalen Leuten, die entweder ebenfalls spazieren gingen oder sich einfach nur in der Sommerhitze ausruhten. An einem Wochentag wie diesem waren nicht allzu viele Menschen hier, was sowohl Tsuzuku, als auch Meto gefiel. „Freust du dich schon auf Samstag?“, fragte Tsuzuku irgendwann, als sie auf einer Bank in der Nähe des heute leeren Band-Platzes saßen. „Ja, klar!“ Meto nickte begeistert. „Du bist heute richtig gut drauf, oder? Wie kommt’s?“ „Ich hab ‘ne neue Frisur, zum ersten Mal in meinem Leben drei supergute Freunde und wir gründen eine Band! Besser geht’s doch fast nicht. Dich macht das doch auch glücklich.“ „Ja. Aber… ich kann irgendwie nicht so strahlen wie du…“ „Musst du ja auch nicht. Es reicht, wenn du sagst, dass es dich glücklich macht und es auch so meinst. Und das tust du ja.“ „Mich…“ Tsuzuku sah zu Boden, legte die Ellbogen auf den Knien ab und die Hände zusammen, „…macht gerade vor allem glücklich, dass du so glücklich bist.“ Meto sah ihn von der Seite an. „Und das macht dich verlegen?“ „…Irgendwie schon. Weil es das erste Mal in meinem Leben ist, dass ich so jemanden wie dich habe.“ Er blickte auf, lächelte, hob die Hand und strich seinem jüngeren Freund über die blonden Locken. „Das sieht wirklich süß aus. Aber auch irgendwie cool.“ „Cool? Na ja, das hat Koichi auch schon gesagt.“ „Es sieht immer noch wie eine Puppe aus, aber… ein bisschen erwachsener irgendwie…“ „Ich hab auch das Gefühl, als ob ich ein bisschen erwachsener geworden bin.“ „Deshalb hast du’s doch gemacht, oder?“ „Ich wollte halt mal wieder was verändern.“ „Das ist, glaube ich, dasselbe“, sagte Tsuzuku. Sie gingen zurück in Richtung Brücke, wo jetzt ein wenig mehr Betrieb als vorhin war. Lolitas und VK-Cosplayerinnen vornehmlich jüngeren Alters wetteiferten um die Aufmerksamkeit der Fotografen. „Und wann lassen wir zwei uns mal fotografieren?“, fragte Tsuzuku. Meto schüttelte den Kopf. „Ich will damit noch warten. Weißt du, wenn wir irgendwann mal berühmt werden, wird es genug Bilder von uns geben. Dann lade ich auch meine eigenen Bilder hoch. Verstehst du, was ich meine?“ Tsuzuku nickte. Dieser Gedankengang leuchtete ihm ein. Es gehörte zur geheimnisvollen Aura des Visual Kei, dass die Künstler ihre Vergangenheit verschleierten und Fotos in der KERA oder gar einem ausländischen Magazin waren da kontraproduktiv. „Okay, dann warten wir.“ An der Station Harajuku verabschiedeten sie sich. Im Zug packte Meto Ruana aus, hielt sie im Arm und irgendwie machte es ihm Spaß, die verwirrten Blicke der Leute um ihn herum zu beobachten, die wieder einmal nicht wussten, wo sie ihn einordnen sollten. Als Tsuzuku zu Hause war, holte er seine Songmappe heraus und arbeitete weiter an seinen Songs. Der Traum der vorigen Nacht war ihm noch ungewöhnlich gut in Erinnerung, zudem hatte er gleich so viel wie möglich davon aufgeschrieben und so ging es fließend weiter. Er schrieb, sang, übte, schrieb weiter, träumte dabei von der großen Bühne. Schließlich suchte er eine Live DVD von GazettE aus seiner DVD-Sammlung und sah sie sich an, bis ihm irgendwann vor Müdigkeit die Augen zufielen und er einfach auf dem Sofa einschlief. Kapitel 17: Ichiban no Rihaasaru -------------------------------- Am folgenden Samstag erlebte das Haus der Familie Maeda eine ungewohnt große Menschenansammlung. Ja, vier Leute zu Besuch, das kam selten vor. Gegen drei Uhr nachmittags stand Kasumi als Erste vor der Tür. Sie hatte wieder ein paar Zeitschriften gekauft, die sie Meto vorbeibringen wollte und erkundigte sich danach, wie es ihm ging. Meto war etwas unkonzentriert, denn er wartete aufgeregt auf das, was sich zur ersten echten Bandprobe entwickeln konnte. Da aus ihm deshalb nicht viel herauszubekommen war, wandte Kasumi sich an Minami und begann, dieser beim Abwasch zu helfen. Als Metos Kindheitsfreundin fühlte und verhielt sie sich bei ihm wie zu Hause, schließlich war sie hier schon immer ein- und aus gegangen. Um halb vier kam Tsuzuku als nächster und wurde von Meto freudestrahlend empfangen. Tsuzuku war Kasumi noch nicht begegnet und dementsprechend war er ein wenig aufgeregt, als sie auf ihn zu kam und sagte: „Schön, dich kennen zu lernen. Meto hat ja schon von dir erzählt.“ Sie lächelte und er bemühte sich, es zu erwidern, hatte jedoch wieder das Gefühl, nicht sozial genug zu sein, diese Unsicherheit. Meto legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. ‚Alles gut, das ist nur Kasumi, die ist nett‘ sollte das heißen und bewirkte auch, dass sich Tsuzukus Aufregung langsam legte. Kasumi wandte sich wieder der Küche zu, wo Minami begonnen hatte, ein paar Kleinigkeiten zuzubereiten. Als kurz darauf dann MiA und Koichi gemeinsam eintrafen, ging es gleich runter in den ‚Probenraum‘, von dem Koichi offenbar ziemlich beeindruckt war. „Wow, deine Eltern müssen ja echt toll sein, dass sie dir ein Schlagzeug kaufen und dann noch einen ganzen Raum dafür einrichten!“ Meto strahlte. Er hatte sich während der letzten zwei Tage viele Gedanken ums Sprechen gemacht und war schließlich, nach einem langen SMS-Gespräch mit Tsuzuku gestern, zu dem Schluss gekommen, es heute einmal zu versuchen. So schwer konnte es doch jetzt nicht mehr sein, oder? „M-hm…“, machte er leise. „…Meine…. Eltern sind… klasse…“ MiA sah ihn überrascht an. „Metochen, hast du gerade echt was gesagt?“ „M-hm…“ Er spürte, wie sich ein leichter, aufgeregter Rotton auf seinen Wangen ausbreitete, und sah Tsuzuku an, der ihm ein ermutigendes Lächeln schenkte. „Redest du jetzt mit uns?“, fragte Koichi. „…ich will’s …versuchen…“ „Das ist toll!“ MiA strahlte. „Und sag mal, Meto, du hast doch was mit deinen Haaren angestellt!“ „Er war beim Friseur, ich war mit“, berichtete Koichi. „Sieht echt gut aus.“ MiA stellte seine Gitarrentasche ab, nahm die Gitarre heraus und begann, so routiniert und schnell wie immer, auf ihr herum zu klimpern. Koichi sah ihn bewundernd an. „Ich hab ja neulich schon gesehen, wie du spielst, aber… wow!“ „Danke. Aber jetzt lass du mal hören.“ Der Pinkhaarige holte seinen Bass, ein hübsches, weißes Instrument, aus der farblich passenden Tasche und schloss es an den kleinen Verstärker an, der neben dem Schlagzeug stand. „Dann mal los.“ Und so machte Koichi den Anfang. Seine Art, Bass zu spielen, hatte etwas tänzelndes, sehr lebhaftes, das sich sofort auf die Stimmung im Raum auswirkte. Besonders auf Tsuzuku, dessen Aufregung sich dadurch legte und in eine gewisse Euphorie verwandelte. „Was wollen wir denn heute so spielen?“, fragte er, als er das Instrument wieder ablegte. „Ich hab ein Notenbuch von Gazetto dabei, davon kann ich eigentlich fast alles.“ „Zeig mal her“, sagte MiA und streckte die Hand nach dem Buch aus, welches Koichi soeben aus seiner Tasche hervorzog. Der Gitarrist blätterte das Buch kurz durch und sagte dann: „Na ja, uns fehlt eindeutig die zweite Gitarre… Das Problem hatten wir bei Dis:Hana auch. Die meisten Bands haben halt zwei Gitarren, da muss man beim Covern ganz schön improvisieren. Blöd, dass wir noch nichts Eigenes haben.“ Tsuzuku dachte: „Doch, haben wir“ und blickte auf seine Tasche, die an der Wand stand und einen komplett fertig geschriebenen Song enthielt. Es war einer von denen, an denen er in den letzten Tagen gearbeitet hatte. Meto hatte er gestern schon davon erzählt, beziehungsweise während ihres SMS-Gespräches geschrieben. Er war ziemlich stolz auf sich, dass er es geschafft hatte, ein Lied mal wirklich fertig geschrieben zu haben, doch gleichzeitig hinderte ihn noch irgendetwas daran, dieses Lied MiA und Koichi vorzulegen. Es war ein ziemlich persönlicher Song und er scheute sich ein wenig, den beiden so etwas von sich zu zeigen. Auch, wenn er in seinem Traum von der Bühne genau dieses Lied vor hunderten von Leuten sang. Meto sah ihn vielsagend an. Es sah aus wie ‚Komm, Tsuzuku, trau dich!‘ und das sollte es wohl auch heißen. Und so atmete der Schwarzhaarige einmal tief durch und sagte: „Ich hab was, also was Eigenes.“ „Was, echt?“, fragte Koichi. „Zeig her!“ Tsuzukus Hand zitterte ein klein wenig, als er die Blätter aus der Tasche zog und sie Koichi reichte. Meto lächelte ihm ermutigend zu. „Darf ich auch mal sehen?“, fragte MiA und als Tsuzuku nickte, beugte sich der Blonde ebenfalls über die dicht beschriebenen Seiten. „Mein Gott, Tsu, … das ist gut, das ist richtig gut!“ „Wow!“, bemerkte Koichi, als er Tsuzuku die Blätter zurückgab. „Das kommt ja gerade richtig. Können wir den Song mal proben?“ Die Entscheidung, heute gleich diesen so persönlichen Song zu proben, fiel Tsuzuku weniger leicht, als er zuvor geglaubt hatte. Objektiv gesehen bestand kein Grund zum Zweifeln, doch sein Gefühl war eine andere Sache. Er fühlte sich unsicher, da Koichi und MiA ja nicht ahnten, wie viel von diesem Song seinen persönlichen Erfahrungen entsprach. Ehrlich gesagt war Meto bisher der einzige, der von dem Problem namens Saeko und den verheerenden Folgen ihres Verhaltens wusste. Und Tsuzuku hatte keine Ahnung, wann der richtige Moment war, MiA und Koichi davon zu erzählen. „Tsuzuku?“, riss MiA ihn aus seinen Gedanken. „Darf ich dich mal was Persönliches fragen?“ „Hm?... Ähm, ja…“ „Dieser Song… wie viel davon hast du so erlebt? Ich meine… er klingt irgendwie ziemlich persönlich, so als ob du… na ja, als ob du das echt so erlebt hast, diese Angst und das alles…“ Tsuzuku hielt erschrocken die Luft an. Hatte MiA ihm seine Gedanken angesehen? Oder war dieser Song so offensichtlich persönlich, dass jeder es sofort bemerkte? „Tsu, du musst das nicht erzählen, aber…“, sagte Meto leise, „…wenn wir alle vier zusammen eine Band sein wollen, dann sollten Koichi und MiA davon wissen, oder?“ Tsuzuku brauchte eine Weile, um kurz darüber nachzudenken, dann sagte er: „Ich erzähl euch das später, okay? Meto weiß schon Bescheid, ich hoffe, ihr versteht das…“ „Klar, natürlich“, sagte Koichi. „Wir können warten, oder, MiA?“ Woraufhin MiA verständnisvoll nickte. „Also, was ist? Dürfen wir mit dem Song arbeiten?“ „Ja… klar“, antwortete Tsuzuku, etwas abwesend. Wenn er einmal darauf kam und an Saeko erinnert wurde, dann drehten sich seine Gedanken eine Weile um sie. Er war sich sicher, dass es sie, wenn sie davon wüsste, nicht mal im Ansatz interessieren würde, dass er gerade dabei war, seinen Traum zu verwirklichen. So, wie sie sich eben für nichts in seinem Leben wirklich interessierte. „Tsuzuku? Alles okay?“, fragte MiA und sah ihn von der Seite an. Er schreckte aus seinen Gedanken auf und als ihm wieder klar wurde, dass die Zeit seiner Einsamkeit vorbei war, dass Saeko ihm nichts mehr konnte, überschwemmte ihn eine kleine Welle voller Glücksgefühle. Er ging zu Meto hinüber, der sich inzwischen hinters Schlagzeug gesetzt hatte, und forderte ihn leise auf, kurz aufzustehen, um ihm dann um den Hals zu fallen und ihn einmal fest an sich zu drücken. „Tsu?“, fragte der Jüngere etwas verwirrt. „Ist was?“ „Nichts... Ich hab… dich nur so gern…“ „Himmel, seid ihr beiden süß!“ Koichi quietschte fast. MiA lächelte. „Ihr habt euch so richtig lieb, oder?“ Meto nickte enthusiastisch, soweit das bei Tsuzukus enger Umklammerung möglich war. Doch statt sich aus dieser zu befreien, legte er die Arme um den Körper des Älteren und erwiderte die Umarmung. „Ich hab ihn ganz furchtbar lieb“, sagte er leise. MiA lachte leise. „Tsuzuku, wenn du dann bitte unser Drummerchen wieder frei lässt, wir wollte doch proben und so, oder?“ Der Schwarzhaarige drückte Meto noch einen Kuss auf die Stirn, dann ließ er ihn wieder los. Der Jüngere setzte sich wieder hinters Schlagzeug, nahm die Sticks und begann, sich schon mal einzuspielen. Er sah, wie Koichi an dem einen kleinen Verstärker herumdrehte und wie MiA sich nach einem anderen umsah. „Der zweite ist da im Schrank“, sagte Meto und deutete auf den schmalen Schrank, aus dem Tsuzuku gerade das Mikro samt Zubehör herauskramte. „Woher hast du denn die ganze Ausstattung?“, fragte MiA. „Mein Vater hat früher mal Gitarre gespielt, daher der zweite Verstärker.“ „Dann hast du das Musikalische wohl geerbt“, bemerkte Koichi. Meto nickte und begann, zuerst langsam und dann immer schneller, sich einzuspielen. Jetzt, wo kein Druck da war, den er zerschlagen musste, war es die Zeit, die er in Stücke teilte, in Takt verwandelte, dabei improvisierte, Harmonien und Disharmonien erschuf, den Rhythmus gestaltete. Dieser kreative, künstlerische Teil des Schlagzeugspielens machte ihm unheimlich viel Spaß und so ließ er sich dabei ein Stück weit gehen, was den anderen aber zu gefallen schien. Koichi und MiA stiegen mit ihren Instrumenten in Metos Improvisation ein und Tsuzuku bewegte sich im Takt dazu, während er sich einsang. Ohne viel Planung und ohne Aufzeichnungen wurde so eine Art Lied daraus, ein Erstversuch zu viert von vier jungen Musikern, die heute den Grundstein einer eigenen Band legen wollten. „Das war doch schon mal gut“, sagte MiA am Schluss. „Nee, wirklich, ihr seid echt toll.“ „Du aber auch.“ Koichi grinste. Tsuzuku spürte sie genau, die Harmonie, die zwischen ihnen herrschte und die er zuvor selten erlebt hatte. Es passte einfach, sozusagen wie angegossen und er genoss das in vollen Zügen. Von solchen Menschen hatte er sein Leben lang geträumt und sie nun endlich um sich zu haben, machte ihn unbeschreiblich glücklich. Anscheinend hatten die Götter, oder was auch immer diese Welt aus dem Off lenkte, ein Einsehen gehabt und ließen ihn nun doch noch glücklich werden. Heute war ein wirklich guter Tag und er wollte alles tun, damit das so blieb. „Du strahlst ja so, Tsu!“, bemerkte Koichi und fügte dann grinsend hinzu: „Willst du wieder wen knuddeln?“ „Wenn ihr wüsstet….“, sagte Tsuzuku leise. „Wenn ihr wüsstet, wie toll das hier gerade ist.“ „Deinem Gesichtsausdruck nach schwebst du uns gleich davon“, sagte MiA. Meto strahlte ebenfalls. Er hatte sich vor einer Weile mal vorgestellt, wie Tsuzukus Leben wohl bisher ausgesehen hatte, und war zu dem Schluss gekommen, dass es ein recht einsames, oft sicher trauriges Leben gewesen sein musste. Die Lieder über Einsamkeit und Angst hatten ihn tief berührt und deshalb freute er sich jetzt sehr für Tsuzuku, weil dieser nun nicht mehr so allein war. „Dann… proben wir jetzt deinen Song, Tsu“, sagte er. „Du singst, wir improvisieren und dann wird da schon was draus.“ Und Meto behielt Recht. Sie arbeiteten den Rest des Tages daran, dem Song Stück für Stück eine gemeinsame Melodie zu geben, einen Takt, eine Seele. Tsuzuku hatte vieles schon vorgezeichnet, doch MiA hatte dazu eigene Ideen und so dauerte es bis sieben Uhr abends, bis sie sich über die Aufteilung und so weiter geeinigt hatten. Es fiel Tsuzuku ein wenig schwer, diesen Song aus der Hand zu geben und den anderen ihren Teil daran zu überlassen, denn er war es einfach nicht gewöhnt, mit jemandem zusammen so zu arbeiten. Doch, und da war er ein wenig stolz auf sich, es gelang ihm und das, was dann gegen halb neun Uhr dabei herauskam, hörte sich für den Anfang wirklich gut an. „Meto, hast du ein Aufnahmegerät hier?“, fragte Koichi. „Dann können wir das Ganze aufnehmen und jeder kann zu Hause seinen Part weiter üben und dran arbeiten.“ Meto stand auf und kramte einen alten Rekorder und eine Schachtel mit unbespielten Tonkassetten aus dem Schrank. „Mehr als den hier hab ich nicht. Geht das?“ Koichi grinste. „Hey, das ist wie bei Gazetto! Die haben doch auch so angefangen, mit Musikkassetten. Daher doch der Name.“ „Vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen…“, sagte Tsuzuku leise. „Dass wir mal genauso berühmt werden wie die?“, fragte MiA. Allein diese Vorstellung, irgendwann einmal einen so großartigen Erfolg zu haben wie the GazettE… Tsuzuku mochte sich das kaum vorstellen, schon beim Gedanken daran, auf einer riesigen Bühne zu singen, vor tausenden von Fans, wurde ihm ein wenig schwindlig, vor allem vor Glück, doch ein wenig Angst war auch dabei. Er verbot sich jeden weiteren Gedanken daran, denn sonst wäre das verstrahlte Lächeln wohl nicht mehr von seinem Gesicht zu kriegen gewesen, und beherrschte sich wieder. Sie nahmen den Song vier Mal auf, gaben sich dabei Mühe, dass es möglichst immer gleich klang, und als Minami in den Probenraum herunter kam und zum Abendessen rief, waren sie fertig. „Na, wart ihr fleißig?“, fragte sie. Meto nickte. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, dass er wieder mit seiner Mutter sprach, doch irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen. „Ich muss kleine Schritte machen“, dachte er. „Dann bin ich irgendwann so weit.“ Beim Abendessen war auch sein Vater da, der gerade von der Arbeit zurückgekommen war. Koichi und MiA stellten sich vor und sie aßen zu sechst zu Abend. Tsuzuku fühlte sich so glücklich und entspannt, dass es ihm unerwartet leicht fiel, sich am Tischgespräch zu beteiligen, mitzulachen und einfach ganz normal am Leben dieser Menschen teilzunehmen. Er wusste, ewig würde das nicht so gehen können, irgendwann kam die Angst und das alles sicher zurück, doch gerade deshalb genoss er diese Zeit so, in der sie nicht da war. Als er dann später im Zug nach Hause saß, schwirrte ihm der Kopf und er musste erst mal wieder ein wenig runterkommen. Meto, dessen Eltern, dazu MiA und Koichi, die ihn offenbar wirklich einfach so nahmen, wie er eben war, das war fast ein wenig zu viel für ihn, der es immer noch, auch nachdem er so viel mit Meto zusammen erlebt hatte, gewöhnt war, allein zu sein und mit Menschen nicht gut zurecht zu kommen. In dieser Nacht träumte er nicht von der Bühne, sondern einem Videodreh zu dem Song, den er heute mit den anderen geprobt hatte. Mitten in der Nacht wachte er auf und schrieb alles auf, woran er sich davon noch erinnerte. Vielleicht, wenn sein Traum irgendwann wahr wurde… Kapitel 18: Natsu ----------------- Wieder hielt die gute Stimmung ein paar Tage an. Tsuzuku fühlte sich schwebend und hatte so gute Laune, dass es sowohl den Kollegen im Tanaka, als auch den Gästen dort deutlich auffiel. Am Mittwochabend nahm Miki ihn kurz auf die Seite und fragte: „Darf ich fragen, weshalb du so gut drauf bist, Genki-san? Du strahlst die Leute an, als wäre das hier dein Traumjob!“ Er erzählte ihr von Meto, von MiA und Koichi, von den ersten Anfängen der Band und davon, wie glücklich ihn das machte. Davon, dass das sein größter Traum war. „Das ist ja toll! Echt, das freut mich für dich.“ Miki lächelte. „Vielleicht werdet ihr ja mal groß rauskommen…“ Natürlich war die gute Stimmung am Ende der Woche ein wenig abgekühlt, doch es gab keine Zwischenfälle namens Saeko, so wie beim letzten Mal, sodass es Tsuzuku trotzdem weiter gut ging. Das Wetter trug seinen Teil dazu bei. Zwar regnete es seltener, dafür wurde es jetzt richtig heiß. Der Sommer war in vollem Gange und Tsuzukus im Frühjahr üblichen schwarzen Hemden wurden endgültig zu warm. Jetzt war es Zeit für etwas, das er im Sommer besonders mochte: Netzhemden. Zwar durfte er diese im Tanaka nicht tragen, dafür zog er sich, sobald er zu Hause war, um und lief zu Hause und auf der Straße in diesen Oberteilen herum, die sich so herrlich halb-angezogen anfühlten und eine ideale Präsentation seines Körperkunstwerkes ermöglichten. Am Samstagnachmittag verabredete er sich wieder mit Meto im Yoyogi. Auch Metos Kleidung passte sich den sommerlichen Temperaturen an, er trug einen schlichten, dunklen Rock und ein schwarzes, aber bunt bedrucktes T-Shirt, anstatt der mehrlagigen und somit viel zu warmen Lolita-Kleidung. Sie saßen zusammen auf ‚ihrer‘ Bank, beobachteten die Leute und rauchten. „Wann hast du damit angefangen?“, fragte Tsuzuku und zeigte auf Metos Zigarette. „Als ich wieder aus dem Haus gegangen bin. Irgendwie hatte ich da auf einmal Lust drauf. Und du?“ „Ist schon lange her. Ich weiß nicht mehr, da war ich wohl sechzehn oder so…“ Eine ganze Weile schwiegen sie, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis Meto auf einmal diese Frage stellte: „Sag mal, Tsu… Hattest du eigentlich schon mal ‘ne Freundin?“ Tsuzuku bekam einen kleinen Schreck, wusste erst nicht, was er antworten sollte, fragte dann zurück: „Wie kommst du da jetzt drauf?“ „Weiß nicht, ich hab grade so dran gedacht… Ich frag mich halt, wie dein Leben früher so aussah und eben auch, ob es da schon mal so jemanden gab“, antwortete Meto. „Du siehst ziemlich gut aus und so, das zieht doch sicher Mädchen an…“ Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Ich hab das nie geschafft, so eine richtige Freundin und das alles.“ „Und es hat sich nie eine für dich interessiert? Das glaub ich nicht.“ „Doch, das schon. Aber… es ist eben nie was Festes draus geworden. Weil ich’s nicht gepackt hab.“ „Warum denn nicht? Du bist toll, du siehst gut aus, du kannst wunderschön singen, wieso hat es nicht geklappt?“ „Weil ich immer unsicher war. Ich hab mich nie getraut, eine als meine Freundin zu bezeichnen, selbst wenn ich mit ihr ausgegangen bin. Weil ich nie dran geglaubt habe, dass es hält. Ich dachte immer, dass ich für so eine Beziehung eh zu unfähig bin.“ „Ich glaub, das bist du gar nicht.“ „Hm?“ „So sehr anders als eine gute Freundschaft ist das gar nicht, denke ich. Und selbst, wenn du es früher nicht konntest, ich glaube, jetzt könntest du das.“ „Meinst du?“ Meto nickte. „Du kannst viel mehr, als du dir zutraust, Tsuzuku. Sieh mal, ich hab auch schon in deinem Bett geschlafen, und das war kein Problem für dich. Ich glaube, wenn du das nächste Mal einer tollen Frau begegnest, dann weißt du, was du tun musst.“ „Mit ihr übernachten?“ Tsuzuku lächelte ironisch. Meto lachte leise. „Mit ihr reden, so wie du mit mir und mit MiA und Koichi redest. Und dir zutrauen, dass was draus werden kann. Dass du das schaffst, weil du dich auch entwickelst und besser wirst. Schau, ich hab jahrelang nicht gesprochen und seit ich dich habe, kann ich’s wieder. Man hört nie auf, sich zu entwickeln, auch du nicht.“ Tsuzuku nickte. Er verstand ja, was Meto meinte, so war es nicht. Auf einmal fühlte er sich merkwürdig alt. Fünfundzwanzig Jahre und noch keine richtige Freundin gehabt, was war das denn?! Es hielt ihm seine soziale Unfähigkeit vor Augen, und es fiel ihm sehr schwer, an das zu glauben, was Meto soeben über Weiterentwicklung gesagt hatte. Irgendwo wusste er, dass der Jüngere Recht hatte, doch es blieb nicht hängen, zu lange war Tsuzuku davon überzeugt gewesen, dass alles Soziale ihm einfach nicht lag. „Ich glaube, du schaffst das, Tsu. Und wenn du ganz genau drüber nachdenkst, dann glaubst du das auch irgendwann. Du brauchst eben Zeit, aber die braucht jeder.“ Meto war deutlich anzumerken, dass er viel darüber nachgedacht hatte. Schließlich hatte er ein ähnliches Problem und jede Menge Zeit, wenn er allein zu Hause in seinem Zimmer saß. Er legte Tsuzuku eine Hand auf den Arm, sah ihm in die Augen und lächelte. Wieder schwiegen sie eine Weile, beobachteten die Gruppe Sweet Lolitas vor ihnen auf der Wiese. Die Mädchen schnatterten alle scheinbar quer durcheinander, unmöglich zu verstehen, eine Art Hintergrundgeräusch, während Tsuzuku über Metos Worte nachdachte und sich vorzustellen versuchte, wie es wäre, eine Freundin zu haben. Doch der Gedanke kam ihm so abstrakt vor, so weit entfernt, dass er es sich nicht recht vorstellen konnte. Irgendwo sehnte er sich danach, doch seine wenigen Erfahrungen dieser Art waren schon so lange her… Auf einmal stand Meto auf. „Komm, wir gehen zu den Bands, ein bisschen Musik hören.“ Sie durchquerten den Park bis zum Platz, auf dem heute nur eine Band aufgebaut hatte, jedoch noch nicht spielte. Am Rand des Platzes auf einer Bank entdeckte Tsuzuku ein bekanntes Gesicht: Akio, den ehemaligen Drummer von Dis:Hana. Er trug die Schuluniform einer bekannten Oberschule und als er Tsuzuku und Meto bemerkte, stand er auf und kam auf sie beide zu. Tsuzuku bekam leichte Panik. Es konnte schließlich sein, dass Akio sauer auf ihn war, weil er ihm und der Band sozusagen MiA ausgespannt hatte. Und da Meto wohl nicht mit Akio reden würde, musste Tsuzuku die Konversation machen. „Hey.“ Akio blieb stehen und an seinem Gesicht war zuerst nicht zu erkennen, ob er sauer war oder nicht. „Tut mir leid, das mit eurer Band“, war das erste, was Tsuzuku zu sagen einfiel. Seine Hände zitterten ein wenig und er hatte das Gefühl, rot zu werden vor Aufregung. Akio lächelte kurz. „Ist schon okay. Ich hab sowieso keine Zeit mehr, bin im letzten Schuljahr, da muss ich mehr lernen als Musik machen.“ „Und die anderen?“, schrieb Meto. Tsuzuku sah ihn dankbar an. „Hiroaki ist gleich ab zu seiner Süßen von Flower, aber Shun ist beleidigt. Er meinte, MiA hätte ja wohl keine Ahnung, welches Genie er da im Stich lässt und so. Ich find’s idiotisch. Erstens ist MiA das musikalische Genie und nicht Shun, und zweitens, wenn wir nicht mehr miteinander können, weil es dauernd nur Streit gibt, dann macht ‘ne Band wenig Sinn.“ „Du bist wirklich nicht sauer?“, fragte Tsuzuku, immer noch unsicher. „Nee, wieso denn? MiA hat sich eben entschieden, Hiro wollte eh weg, also hat’s eigentlich gar nichts mit dir zu tun. Ihr beiden seid doch in Ordnung.“ Akio lächelte wieder. „Und ich, ich finde schon was Neues, wenn ich wieder genug Zeit habe.“ Tsuzuku atmete erleichtert aus. Bis auf Shun schienen alle das Ende von Dis:Hana relativ gut verkraftet zu haben. Und auch der schien ‚nur‘ sauer auf MiA zu sein. Und das würde MiA schon zu klären wissen. „Also dann… viel Spaß noch. Vielleicht komm ich mal her, wenn ihr hier auftretet.“ Akio winkte und verschwand dann in der Menge, die sich inzwischen auf dem Platz gesammelt hatte, da die heutige Band fertig mit Aufbauen war und auftreten wollte. Es war wirklich ziemlich warm heute und so war nicht viel mit Feiern und Tanzen. Und während Meto und Tsuzuku im Publikum standen und der Musik zuhörten, hatten beide denselben Gedanken: Dass sie jetzt wussten, wie es war, auf der Bühne zu stehen, vom Publikum angeschaut und gefeiert zu werden. Wie wundervoll sich das anfühlte. Und dass es das war, was sie aus ihrem Leben machen wollten. Später liefen sie wieder durch die Takeshitadori, kamen an jenen Gothic-Laden vorbei und beschlossen, spontan Koichi zu besuchen. Er stand wie üblich hinter der Kasse im Obergeschoss und lächelte, als er Tsuzuku und Meto bemerkte. „Hey, ihr zwei! Ist grad nicht viel los, wir können also ein bisschen quatschen.“ „…Hast du schon… mit der Kassette geübt?“, fragte Meto. Er sprach noch ein wenig stockend, fühlte sich jedoch schon sicherer Koichi gegenüber. Der Pinkhaarige nickte. „Ja, hab ich. Aber wir hätten vielleicht doch alle die Noten aufschreiben sollen. Ich kann besser nach Noten spielen, als nach Gehör. Na ja, können wir ja nächstes Mal nachholen.“ „Und wann wäre das?“, fragte Tsuzuku. „Ich kann morgen nicht, aber vielleicht Mittwoch.“ Koichi warf einen Blick auf den Kalender, der hinter der Kasse hing und auf dem mit rotem Stift an jedem Tag zwei Namen eingetragen waren. „Hm… heute und am Mittwoch bin ich mit Ruka eingetragen, ich könnte sie fragen, ob sie den Nachmittag auch alleine schafft. Ansonsten kann ich auch erst nächsten Samstag wieder… Und wie sieht’s bei dir aus, Meto-chan?“ „Ich hab ja… nichts zu tun, also kann ich… eigentlich immer.“ Es war das erste Mal, dass er sich irgendwie komisch vorkam, weil er weder Schule noch Arbeit hatte. Alle anderen mussten ihre Vorhaben mit Arbeitsplänen und Kollegen abstimmen, nur er nicht, und das fühlte sich auf merkwürdige Weise nicht gut an. Jetzt erst verstand er vollkommen, was sein Vater an jenem Abend vor einigen Wochen gemeint hatte, als er sagte: „Haruka, du musst irgendwann arbeiten gehen, irgendwas tun, das ist kein Leben so.“ „Ich werde arbeiten“, dachte Meto. „Nur nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellt. Ich werde einfach das tun, was ich am besten kann, und das ist Schlagzeugspielen.“ Sich das so selbst zu sagen, fühlte sich ziemlich gut an und ein Lächeln schlich sich auf Metos Lippen, welches von Koichi, der ihn in dem Moment ansah, sofort bemerkt wurde. „Na, Meto-chan, geht’s dir gut? Woran denkst du grade?“ Meto schreckte auf, ein leichtes Rot schlich sich auf seine Wangen. Es kam schließlich nicht oft vor, dass er gefragt wurde, was er gerade dachte und jetzt erwartete Koichi sicher eine Antwort. „Ich dachte nur… wie toll es wäre… wenn ich richtig professionell Schlagzeug spielen würde, also als Arbeit sozusagen…“, stotterte er. Koichi grinste. „Ja, das wäre echt toll. Ich glaube, das wünscht sich jeder von uns, von der Musik leben zu können, oder, Tsu?“ Tsuzuku nickte, dachte an seinen Traum und musste ebenfalls lächeln. „Hey, wir müssen uns richtig anstrengen und im Park auftreten, dann entdeckt uns vielleicht einer. Da hängen ab und zu Talentscouts und so rum, vielleicht erwischen wir einen von denen.“ Koichi strahlte vor Begeisterung. „Dazu müssen wir aber erstmal gut zusammen spielen können“, bemerkte Tsuzuku. „Ja, eben. Hey, das wird toll, sag ich euch! Und wir können ja auch ein bisschen nachhelfen…“ „Wie, nachhelfen?“, fragte Meto. „Na, es kann doch was bringen, wenn wir uns den Segen der Götter holen. Wir treffen uns vor der nächsten Probe am Meiji-Schrein und sichern uns da ein bisschen ab, was meint ihr?“ „Schaden kann’s nicht…“, sagte Tsuzuku. „Glaubst du denn echt dran?“ „Ich glaub an Glück und dass man da halt ein bisschen nachhelfen kann.“ Koichi lächelte. Tsuzuku dachte: „Du Glücklicher kannst an so etwas glauben“, sagte aber nichts. Es konnte ja nicht schaden, es doch mal mit dem Shinto zu versuchen. In diesem Moment kam Ruka die Treppe hoch. „Hey, Koichi! Na, geht’s voran mit der Musik?“ Koichi hatte also ebenfalls schon jemandem von der Band erzählt. Er schien sich gut mit seiner Kollegin zu verstehen, vielleicht war es ähnlich wie bei Tsuzuku mit Miki. Eine nette Kollegin, der man erzählte, wenn etwas Tolles passiert war. „Tretet ihr auch mal im Park auf?“, fragte Ruka. Tsuzuku nickte. „Aber erst mal müssen wir noch ein bisschen üben.“ „Sagt Bescheid, wenn’s soweit ist. Ich komm dann und feiere mit.“ Ruka deutete eine Art Headbangen an und grinste. „Und, was macht ihr zwei jetzt noch so?“, fragte Koichi. Meto dachte einen Moment lang nach, dann holte er seinen Block raus und schrieb: „Wir besuchen Ken.“ „Ken Kawakami?“, hakte Koichi nach. „Der das Bodyart-Studio hier um die Ecke hat?“ Meto nickte. „Hat der dein tolles Tattoo gestochen?“ „M-hm.“ Meto lächelte. „Cool, da hab ich meins auch her.“ Koichi kam um den Tresen herum und zog sein T-Shirt ein Stück weit hoch. Dort waren in schönstem Tattoo-Schwarz Buchstaben zu sehen, die leicht als römische Ziffern zu erkennen waren: MCCXXII. „Was heißt das?“, fragte Tsuzuku. „Mein Geburtstag. Ich hab am 22. Dezember“, erklärte Koichi. „Und ihr? Wann habt ihr Geburtstag?“ Meto schrieb: „Am 17. Januar.“ „Meiner ist am 15. Dezember“, sagte Tsuzuku. „Wie cool, wir sind alle drei Winterkinder!“ Koichi strahlte, sein fröhliches Koichi-Strahlen, bei dem man einfach mitlächeln musste. „Na dann, grüßt Ken von mal von mir. Vielleicht schau ich demnächst auch noch mal bei ihm vorbei…“ „Machen wir.“ In Kens Studio war es immer relativ ruhig. Nur das Summen der Nadel war neben den Klängen eines sehr leise gestellten Radios zu hören. Ken hatte Meto mal erzählt, dass er sich bei lauter Musik nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte und da er sich nicht den geringsten Fehler erlaubte, lief in diesem Tattoo-Studio untypisch ruhige, leise Musik. „Es ist grad noch jemand drin“, sagte Akiko. „Wollt ihr nur mit Ken reden oder was machen lassen?“ „Nur kurz reden“, sagte Tsuzuku und warf einen Blick über die Auswahl an Motiven, die fotografiert und in Klarsichthüllen auf dem Tresen auslagen. Auf einmal war ihm nach einem neuen Tattoo. Das letzte hatte er sich in einem Studio in Kabukicho zu seinem letzten Geburtstag stechen lassen, das war jetzt ein halbes Jahr her. Akiko, die seinen interessierten Blick bemerkte, lächelte anerkennend und sagte: „Du siehst ja auch echt toll aus. Wo hast du das alles machen lassen?“ „Hiroshima, Sendai, hier und da halt.“ „Bist du aus Tokyo oder von woanders?“ „Jetzt geht’s los“, dachte Tsuzuku und antwortete: „Ich bin vor sechs Jahren aus Sendai hergezogen.“ Meto, der sich ebenfalls die Auslage angeschaut hatte, sah auf. Das hatte er noch gar nicht gewusst, dass Tsuzuku aus Sendai kam. Genau wie das mit der fehlenden Freundin schien es wohl etwas zu sein, worüber sein bester Freund nicht gern redete. Wahrscheinlich war dieses Mal der Grund, dass es mit seiner Mutter zusammenhing. Obwohl Meto diese Frau nicht persönlich kannte, wurde er schon beim Gedanken an sie ein wenig verstimmt, denn schließlich schien sie die Schuld daran zu haben, dass Tsuzuku sich so unzulänglich fühlte. Meto war niemand, der jemanden schnell verurteilte, doch er wusste, dass er Saeko Wataba, wenn sie nicht doch sehr, sehr überzeugende Gründe für ihr Verhalten Tsuzuku gegenüber aufweisen konnte, definitiv nicht mochte. Er schüttelte kurz den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben und schaute sich wieder die Auslagen an. Jedoch war nichts dabei, was ihn wirklich interessierte. Er war zufrieden mit dem Baby, jedenfalls noch, obwohl es in Richtung Arm sicher noch erweiterbar war. Doch da ihm ja das Geld fehlte, verbot er sich vorerst jeden Gedanken an weitere Tattoos. Tsuzuku hatte derweil eine Abbildung gefunden, die ihn interessierte: Einen großen Schmetterling in schönstem Tintenschwarz, der ihn irgendwie sehr ansprach. Manchmal gab es das ja, diese Dinge, die mit einem zu reden schienen, die sagten: ‚Komm, kauf mich‘ und bei denen man von dem Augenblick an wusste: „Das will ich haben!“ So ein Ding war dieses Tattoo. Etwas, von dem Tsuzuku in diesem Moment wusste, dass er es einfach haben musste. Er hielt Akiko, deren Name auf einem kleinen Schild an ihrem Kleid stand, die Abbildung hin und fragte: „Was kostet das hier?“ Akiko nannte einen Preis, der zwar definitiv hoch, jedoch durchaus erreichbar war und fügte erklärend hinzu, dass es deshalb so teuer sei, weil Kawakami-san eben die Hygiene sehr genau nahm. „Der ist schön“, sagte Meto leise und deutete auf den Schmetterling. Akiko machte große Augen. „Meto-chan, hast du gerade was gesagt?!“ Metos Wangen bekamen einen deutlichen Rotschimmer, er nickte undeutlich und seine Stimme versagte natürlich gleich wieder. Für einen unbedachten Moment hatte sich das, was ihn vom Sprechen abhielt, gelockert, wohl deshalb, weil Tsuzuku dabei war, doch darauf angesprochen verschwand dieses Aufgelockerte wieder ins Nichts. In dem Moment kam Ken hinter dem schwarzen Vorhang hervor, gefolgt von einer jungen Frau, die das Abbild eines chinesischen Drachen auf dem Arm hatte. „Na, ihr zwei? Wie geht’s?“, fragte der Tätowierer und lächelte. „Kawakami-san, haben Sie den hier schon mal gemacht?“, fragte Akiko und hielt ihrem Chef das Schmetterlingsbild hin. Ken schüttelte den Kopf. „Nein, das ist bis jetzt nur auf Tierhaut. Wieso?“ „Ich hätte den gern“, sagte Tsuzuku. „Heute?“ „Nein, ich hab gar nicht genug Geld dabei. Aber, …das nächste Mal, wenn ich herkomme, hab ich’s.“ Ken lächelte. „Es wird mir eine Freude sein.“ Als sie das Studio kurz darauf wieder verließen, fragte Meto: „Sag mal, Tsu, was bedeuten deine ganzen Sachen für dich, also die Tattoos und so?“ Tsuzuku musste eine ganze Weile überlegen, bis sich das, was ihm seine Tattoos und Piercings sowie das Implantat und der Schnitt in der Zunge bedeuteten, in Worte fassen ließ. Es war mehr ein Gefühl, was ihn dazu getrieben hatte und bis jetzt hatte er niemandem wirklich erklären müssen, welche Bedeutung Bodyart für ihn hatte. „Freiheit“, sagte er schließlich. „Und dass ich… na ja, dass ich eben ich bin. Mein erstes Tattoo hab ich stechen lassen, um meine Mutter zu provozieren und irgendwie wollte ich auch ausdrücken, dass ich weiß, was ich will. Und irgendwie… ist dieses Gefühl, was an mir zu verändern und zu zeigen, dass ich nicht normal bin, immer krasser geworden.“ Er grinste und ließ dabei die gespaltene Zungenspitze zwischen den Zähnen hervorblitzen. Meto lächelte. „Das Motiv ist mir irgendwie nicht mal so wichtig“, fügte Tsuzuku nach einer Weile hinzu. „Für dich bedeutet dein ‚Baby‘ als solches etwas, das bist ja sozusagen sogar du, aber ich entscheide aus der Laune heraus, was für ein Bild ich auf meiner Haut haben will. Als Abbild des Momentes.“ Sie gingen zusammen zur Bahnstation Harajuku und verabschiedeten sich dort mit einer Umarmung. „Bis Mittwoch“, sagte Tsuzuku und lächelte. Meto nickte, erwiderte das Lächeln und ließ Ruana, deren Kopf und Arm aus seiner Handtasche herausschauten, winken. Kapitel 19: Namae ----------------- Am Mittwochmorgen stand Meto am Meiji-Schrein neben dem Eingangs-Torii und wartete. Er hatte ein buntes T-Shirt, schwarze Shorts mit Schnallen und schwarz-weiße Chucks an und trug den nicht ganz dazu passenden schwarzen Rüschenschirm gegen die alles aufwärmende Mittagssonne in der einen Hand, während er mit der anderen Ruana an sich drückte. Der nächste der vier, der an diesem Morgen am Schrein ankam, war MiA. „Hey, du Süßes!“, rief er und winkte. Meto sah auf und lächelte. Er wusste ja, dass er, obwohl er heute weniger mädchenhaft gekleidet war, süß aussah und so war es okay, dass MiA ihn ‚Süßes‘ nannte. „Sind Tsu und Ko noch nicht da?“ „…Nein.“ MiA schaute auf seine Armbanduhr und sagte: „Ist ja auch noch ‘ne Viertelstunde Zeit.“ Eine Weile standen sie nur wortlos nebeneinander. Meto wusste nicht, was er sagen wollte und vermutete, dass MiA genau darauf wartete, dass er etwas sagte. „Heute nicht viel mit Reden?“, fragte der Gitarrist schließlich. Meto schüttelte den Kopf. „Ich… weiß immer nicht, was ich… sagen soll…“ „Wie wär’s, wenn ich frage und du antwortest? Ich weiß ja noch nicht so viel von dir.“ MiA lächelte. Und Meto nickte. Es erinnerte ihn an den ersten Sonntag mit Tsuzuku, als dieser Fragen gestellt und er darauf mithilfe seines Schreibblockes geantwortet hatte. Nur, dass jetzt etwas Entscheidendes anders war: Er hatte seinen Block nicht dabei und musste reden, wollte auch reden. „Sag mal, wie lange machst du das schon so, also Visual Kei und die Tattoos und das alles?“ MiA konnte ja nicht wissen, dass er damit eine Frage gestellt hatte, deren Beantwortung Meto einiges an Überwindung abverlangte. „Seit… eineinhalb Jahren…“, antwortete er leise und bereitete sich innerlich auf die Frage vor, die darauf unweigerlich folgen musste. „Dann hast du also die Oberschule nicht gemacht?“, stellte MiA genau diese Frage. „Nein.“ „Warum denn nicht?“ „…Konnte nicht…“ „Wegen dem Nicht-Sprechen und so?“ Aus MiAs Stimme war herauszuhören, dass er bemerkt hatte, einen schwierigen Punkt getroffen zu haben. Meto nickte. „Und wegen … der Menschen. Ich konnte einfach nicht mehr...“ „Oh… Aber jetzt geht’s dir wieder besser, oder?“ „M-hm… Seit ich so bin wie jetzt, geht’s mir gut.“ „Also seit du VK trägst, Piercings hast und dich tätowieren lässt?“ „Seit ich Meto bin.“ „Und wie heißt du eigentlich?“ „Haruka.“ „Wie schreibt man das?“ „Wie Frühling und Blume.“ „Süß.“ MiA lächelte. „Ich heiße eigentlich Yuno Miyama.“ Meto erwiderte das Lächeln und winkte dann in Richtung des breiten Weges, wo soeben Tsuzuku aus der Menge der Parkbesucher aufgetaucht war. Aus dieser Entfernung fiel auf, wie unheimlich schlank der Schwarzhaarige war und MiA fragte leise: „Sag mal, Meto, weißt du, ob Tsu irgendwas hat? Weil er so irre dünn ist…“ Meto schüttelte den Kopf. Ihm war zwar aufgefallen, dass Tsuzuku recht langsam aß und natürlich hatte er dessen zierliche Statur schon gleich zu Anfang bemerkt, doch da sein bester Freund das Thema noch nie auch nur annähernd angesprochen hatte, hatte er noch nie wirklich darüber nachgedacht. „Im Grunde weiß ich immer noch nicht viel über ihn…“, dachte er und fragte sich, wie das zu ändern war. Tsuzuku wirkte manchmal immer noch so verschlossen, dass Meto sich nicht nach solchen Dingen zu fragen traute. Aber er hatte das Gefühl, dass sich das mit der Zeit noch ändern würde. Es waren ja gerade einmal ein paar Wochen vergangen, seit sie sich überhaupt kannten und schon hatte sich so viel verändert, da war es vielleicht ganz gut, wenn manches noch ungesagt blieb. Und es schien Tsuzuku ja nicht allzu schlecht zu gehen. In dem Moment erreichte dieser den Schrein. „Hey!“ Er lächelte, ein hübsches, strahlendes Lächeln, und schaute dann auf die Uhr. „Bin ich spät dran?“ „Nee, Koichi ist noch nicht da“, sagte MiA. Tsuzuku beugte sich vor und stupste Ruana, die heute ein rotes Puppenkleid trug, auf die Nase. „Na, Bärchen? Hast du dich schön gemacht?“ „Na so was!“, dachte Meto und lächelte. „Anscheinend geht’s Tsu heute besonders gut.“ Er fragte jedoch zuerst nicht nach. Erst, als Koichi ebenfalls eingetroffen war und Tsuzuku den Pinkhaarigen strahlend und mit High Five begrüßte, fragte Meto: „Sag mal, gibt’s ‘nen Grund, warum du heute so gut drauf bist? Das fällt ja direkt auf.“ Tsuzuku lächelte geheimnisvoll. „Tut es das?“ „Ja, das fällt auf“, sagte MiA. Und Koichi: „Willst du uns nicht verraten, wieso du so tolle Laune hast?“ Doch Tsuzuku schüttelte den Kopf. Er wollte den Grund für seine ausnehmend gute Laune noch ein bisschen für sich behalten, allein genießen. Eigentlich war es gar keine große Sache, er hatte nur gestern Abend mit Miki telefoniert und das Gespräch war geringfügig privat geworden, aber es fühlte sich für ihn wie eine große Sache an. Er hatte seiner Kollegin weiter von seinem Traum von der Bühne erzählt und war sich dabei zum ersten Mal kein bisschen ungeschickt vorgekommen. „Na komm, sag schon!“, forderte Koichi neugierig. „Lass uns doch ein bisschen an deinem Glück teilhaben.“ „Ich hab nur mit einer Kollegin telefoniert“, antwortete Tsuzuku schließlich, zuckte mit den Schultern und ging an den dreien vorbei auf das Gelände des Schreins. „Und deshalb hast du so gute Laune?“, hakte Koichi nach und folgte ihm. „Ist halt nicht so alltäglich für mich.“ MiA und Meto gingen hinter den beiden her zum Becken für die rituelle Reinigung. „Meine Urgroßtante war Opernsängerin“, erzählte MiA. „Vielleicht hat ihr Geist ja einen Rat oder Segen für uns.“ „Glaubst du das?“, fragte Meto. Und MiA gab eine typisch japanische Antwort: „Na ja, irgendwie schon. Ich denke halt, es kann doch sein und sicher nicht schaden, das so zu glauben.“ Während Meto sich als Letzter ein paar Tropfen Wasser über die Hände kippte, war Koichi schon beim Baum für die Glückszettel angekommen. „Und du denkst echt, dass das was bringt?“, fragte Tsuzuku, während Koichi einen Zettel aus der Box neben dem Baum zog und auffaltete. „Ja, denke ich“, trumpfte der Pinkhaarige auf, hielt ihm den Zettel vor die Nase und zitierte das, was darauf stand: „Großes Glück, berufliches Vorankommen, Sie haben viel Talent.“ Tsuzuku lächelte. Ja, da musste er Koichi Recht geben, das passte wirklich. Dieser zog sein Handy heraus, hielt den Glückszettel vor die Linse und machte ein Foto davon. „Dieser Zettel wird unser Glück bestimmen, Tsu.“ Und dann band er das kleine Stück Papier gefaltet an den Baum. „Leute“, sagte der Pinkhaarige dann, als auch MiA und Meto bei ihnen standen, „Wir werden mal berühmt und reich! Wir rocken die Welt!“ Tsuzuku grinste. Diese Vorstellung machte ihn einfach unheimlich glücklich und wenn er wieder daran dachte, wie sehr sich sein Leben in den letzten Wochen verändert hatte… Es zeigte ihm, dass sich immer alles ändern konnte und dass auch er eine Chance hatte, etwas Großes aus seinem Leben zu machen. „Und dabei haben wir noch nicht mal einen Bandnamen“, sagte MiA. „Dann wird’s ja Zeit, dass wir einen finden“, erwiderte Tsuzuku und Meto nickte zustimmend. Auf dem Weg zur Gebetshalle kamen sie an dem Stand mit den Amuletten vorbei und Meto winkte aus reinem Übermut dem Verkäufer zu, der ihn beim letzten Mal so unverhohlen angestarrt hatte. „Wer ist das?“, fragte Koichi ihn. „Jemand, der es merkwürdig findet, dass ich eine Puppe bin“, antwortete Meto grinsend und drückte Ruana an sich. „Aber sprechen würdest du mit so jemandem auch jetzt nicht, oder?“ Meto schüttelte den Kopf. „Ich rede nur mit euch.“ „Nicht mal mit deinen Eltern?“ Erneutes Kopfschütteln. „Und wieso nicht?“, hakte Koichi nach. „Die verstehen mich auch so. Und…“ Meto brach ab, wusste auf einmal nicht mehr, was er hatte sagen wollen. Er wusste nicht, warum er auch jetzt noch nicht mit seinen Eltern sprach, obwohl sie ihm so nahe standen. Sie schienen ihn ja auch so zu verstehen und … nun ja, es waren eben nicht sie gewesen, die ihn direkt wieder zum Sprechen gebracht hatten, sondern Tsuzuku, MiA und Koichi. „Irgendwann redest du aber wieder mit ihnen, oder?“ „M-hm…“ „Sagt mal …“, mischte MiA sich in das Gespräch ein, „… zu wem wollt ihr denn beten?“ „Musikgötter“, antwortete Koichi. „Ich dachte da an Hide.“ „Bist du denn sicher, dass er ein Musikgott geworden ist?“ „Na, aber so was von! So jemand kann doch nur Musikgott werden!“ Sie erreichten die Halle und Tsuzuku betrat sie als erster. Es kam nicht oft vor, dass er einen Schrein zum ernsthaften Beten aufsuchte und so fühlte es sich ein wenig merkwürdig und ungewohnt an. „Ich muss mich mal mehr damit auseinandersetzen“, dachte er. „Religion scheint doch etwas Wichtiges zu sein …“ Er wusste nicht einmal, wie er das Gebet um Glück und den Segen der Götter anfangen sollte. Und so hörte sich sein leise gemurmelter Gebetsbeginn etwas unbeholfen und ungläubig an. Er wusste ja nicht einmal, an wen genau er seine Worte richten sollte. „Tsu?“, sprach Koichi ihn flüsternd von der Seite an. „Kriegst du’s hin?“ Tsuzuku schüttelte den Kopf, flüsterte zurück: „Ich bin eigentlich … nicht besonders gläubig und so …“ „Du musst ja auch nicht unbedingt. Nur, wenn du willst.“ „Ich will aber. Wenn das wirklich stimmt mit dem Glück, dann würde ich euch doch im Weg stehen, wenn ich nicht dran glaube, oder?“ „Quatsch“, sagte Koichi und lächelte. „Bei deinem Talent drücken die Götter sicher mal ein Auge zu.“ „Wenn du meinst …“ Tsuzuku hob den Kopf und blickte die mit Papierwedeln und Strohseilen geschmückte Altarwand der Gebetshalle an. Es fiel ihm wirklich schwer, sich darin Götter vorzustellen, die auf sein Leben und Glück Einfluss hatten und er wünschte sich in diesem Moment, dass ihm ein ähnlich leichter, unbeschwerter Glaube wie Koichi gelingen würde. Und wie er da vor den Göttern kniete und versuchte, sich geistig diesem Glauben anzunähern, schoss ihm, aus irgendeinem Grund auf Englisch, ein einziger Satz durch den Kopf: „I am praying in Meiji-Jingu, hoping for the gods answer cause of my life‘s luck“ Wie ein Ohrwurm wiederholten sich diese Worte in seinen Gedanken, immer wieder, obwohl er nicht einmal wusste, ob der Satz grammatisch richtig war. An ein Gebet war nicht mehr zu denken. Tsuzuku stand auf, verließ die Gebetshalle und setzte sich draußen auf die Stufen. Zog den kleinen Notizblock, den er, seit er so richtig mit dem Liederschreiben angefangen hatte, immer bei sich trug, aus seiner Tasche und schrieb den Satz oben auf ein neues Blatt. „Tsu?“, hörte er kurz darauf Meto hinter sich fragen. „Alles okay?“ Er wandte sich um und antwortete, immer noch mit diesem Satz im Kopf: „Ja, alles gut. Ich hatte nur gerade … so eine Idee.“ „Was für eine?“ „Ich weiß nicht … Vielleicht für eine Song.“ „Zeig mal.“ Er reichte Meto den Block, dieser setzte sich neben ihn, las den Satz und sagte: „Klingt gut.“ Und dann: „Sag mal, Tsu … Wie wollen wir jetzt eigentlich heißen? Ich wusste eben beim Beten gar nicht, wie ich das sagen sollte, weil unsere Band ja noch gar keinen Namen hat.“ „Weiß ich auch noch nicht, hab ich doch vorhin schon gesagt.“ „Ich dachte nur, weil … na ja, du kannst ja gut mit Worten und so …“ „… Dass ich mir auch unseren Namen ausdenke?“ Meto nickte. „Wir können ja dann gemeinsam abstimmen, was wir aus deinen Vorschlägen machen.“ Tsuzuku blickte nachdenklich auf das bis auf den einen Satz leere Blatt Papier. Man sagte ja, ein leeres Blatt sei inspirierend, doch in diesem Moment wollte ihm nichts als dieser Satz einfallen, der für einen Bandnamen eindeutig zu lang war. In dem Moment kamen MiA und Koichi aus der Gebetshalle zurück. „Wieso bist du denn schon so früh raus, Tsuzuku?“, fragte MiA. „Mir ist was eingefallen, ein Satz, vielleicht für einen Song.“ „Lass mal sehen“, sagte Koichi. Tsuzuku reichte ihm den Block und Koichi las den Satz halblaut und mit einem starken Akzent vor. „Ai emu bureingu in Meiji-Jingu …“ Tsuzuku, der in seiner Schulzeit sehr gut in Englisch gewesen und darauf ein bisschen stolz war, lachte ob Koichis sehr japanischer Aussprache auf. „Ey!“, beschwerte sich der Pinkhaarige. „Was ist so lustig?“ „Sorry“, Tsuzuku lachte immer noch. „Aber … das hört sich irgendwie süß an.“ „Süß?!“, motzte Koichi, gespielt beleidigt. „Genauso süß wie du bist.“ MiA grinste. Meto lächelte mit, doch der Satz, der eben noch durch Tsuzukus Kopf gespukt war, schien sich dadurch, dass Koichi ihn vorgelesen hatte, auch bei ihm in eine Art Ohrwurm verwandelt zu haben. Jedenfalls schwirrte er ihm jetzt inklusive der japanisierten Aussprache des Pinkhaarigen durch den Kopf und hinderte ihn am Denken. Und da war sie, die Idee. „Tsu?“, fragte er und zupfte seinen besten Freund am Ärmel an. „Du, mir ist grad was Tolles eingefallen.“ „Was denn?“ Meto strahlte ihn an. „Wir machen aus diesem Satz unseren Namen. Die Leute mögen englische Bandnamen und wenn dir dieser Satz beim Beten eingefallen ist, dann ist er was Besonderes, verstehst du?“ „Der ist doch viel zu lang.“ „Wir basteln ihn so zurecht, dass nur noch wir die Bedeutung verstehen. Damit halten wir uns diesen Tag in Erinnerung.“ „Wieso gerade heute?“ Meto stand auf, Ruana mit der einen Hand an seinen Bauch gedrückt, die andere Hand hielt er Tsuzuku hin, der ebenfalls aufstand und zu viert gingen sie die Treppe vor der Gebetshalle ganz hinunter, blieben als kleiner Kreis davor stehen. „Meto?“, fragte MiA. Meto nahm sich wortlos Tsuzukus Notizblock (er hatte seinen eigenen ja nicht dabei) und schrieb Datum und Uhrzeit dieses Momentes mit einem Stück Abstand unter den englischen Satz. Dann flüsterte er Tsuzuku etwas ins Ohr. Dieser erkannte sofort, was sein Freund meinte und sagte zu MiA und Koichi: „So, das hier ist der Moment, in dem wir vier beschließen“, er machte eine kurze Pause, „eine Band zu gründen, erfolgreich zu sein, die Welt zu rocken und uns von nichts und niemandem davon abbringen zu lassen. Noch heute Abend werden wir einen Namen haben, mir wird da was einfallen, das fühl ich.“ Er streckte die Hand zur Mitte aus, Meto legte seine darauf, MiA und Koichi taten es ihm gleich. „Ikuze!!“ „Yeah!“ Ein Gefühl von Traumerfüllung breitete sich in Tsuzukus Inneren aus, ein warmes Kribbeln voller Aufbruchsstimmung. Eine eigene Band, eigene Musik – wie unglaublich gut sich das für ihn, der Musik und poetische Texte über alles liebte, anfühlte! Beim Verlassen des Schreins kamen sie wieder an dem Stand mit den Omamori vorbei. Die mit schimmernder Seide bezogenen Papptäfelchen glänzten im Sonnenlicht und auf einmal wollte Tsuzuku auch so eines haben. Als Andenken an diesen Moment. Er kramte sein Portmonee aus der Umhängetasche und ging zu dem Stand hinüber. „Tsu?“, rief Koichi ihm hinterher. „Schaden kann’s ja nicht“, antwortete er. Aus der Menge der Glücksbringer und Amulette leuchtete ihn ein mit tiefblauer Seide bezogenes geradezu an. Es war eines dieser Dinge, die ganz von selbst „Kauf mich!“ sagten. „Dieses da“, sagte er zu dem Verkäufer und zeigte darauf. „Das ist für Erfolg und Stärke“, informierte ihn der Händler, nahm das Amulett aus der Auslage und verpackte es in eine kleine Tüte. Tsuzuku bezahlte und lief dann zu Meto, Koichi und MiA zurück, die ein Stück entfernt auf ihn warteten. „Zeig mal her“, sagte Meto. „Später“, erwiderte Tsuzuku. „Jetzt gehen wir irgendwo einen Kaffee trinken und ich mach mir Gedanken um unseren Namen.“ Das Café, in dem sie dann letztendlich saßen, war das, in dem Tsuzuku, bevor er Meto kennen gelernt hatte, seine Samstagnachmittage verbracht hatte. Sie waren einfach auf dem Weg zwischen dem Park und der Takeshitadori daran vorbeigekommen und Koichi hatte bestimmt: „Da gehen wir rein“, natürlich ohne zu wissen, dass es sich um Tsuzukus Stammcafé handelte. Dem Schwarzhaarigen erschien das wie ein weiteres gutes Zeichen und er ertappte sich selbst dabei, wie er das alles doch irgendwie dem Schrein zuschob und bemerkte, dass er gar nicht so ungläubig war, wie er gedacht hatte. Während sich bei Kaffee und Waffeln ein Gespräch zwischen MiA und Koichi entwickelte, an dem Meto sich ebenfalls, wenn auch zurückhaltend, beteiligte, hatte Tsuzuku seinen Block vor sich liegen und dachte an dem englischen Satz herum, versuchte, ihn zu kürzen, schrieb ihn in Katakana noch einmal auf und drehte an den Silben herum. Er spürte dieselbe kreative Kraft, die ihn auch beim Schreiben von Liedern und Gedichten erfasste, und da er auf diese Kraft vertraute, machte es ihm unheimlich viel Spaß, mit dem Satz zu spielen und ihn ungeachtet der grammatischen Regeln so hin und her zu drehen, wie es ihm gefiel. „I am praying in Meiji-Jingu …“ Irgendwann hatte sich der Satz auf diesen ersten Teil gekürzt, auf fünf Worte, aus denen sich leichter etwas machen ließ als aus dem ganzen Satz. Außerdem erschien es Tsuzuku so, als sei dieser Teil der Wichtigere, Entscheidende. Wofür genau er im Schrein betete, konnte sich ja ändern. Was zählte, war, dass er überhaupt betete. Dass es der Meiji-Schrein war, war ebenfalls wichtig, denn der lag im Yoyogi, also dem Ort, an dem er Meto kennen gelernt, was sein Leben ja so sehr verändert hatte. Und so blieben „pray“ und „Meiji“ letztendlich als wichtigste Worte übrig. „Na, wie weit bist du?“, fragte MiA und beugte sich über den Tisch. Tsuzuku lächelte. „Ich hab den Satz auf zwei Worte gekürzt.“ MiA sah sich das, was Tsuzuku aufgeschrieben hatte, an, allerdings ohne den Block herumzudrehen, und las die in Buchstaben geschriebenen Worte über Kopf. „Meiji pray?“ Seine Aussprache war der Koichis ähnlich und so klang das „p“ eher nach einem „b“. „Meijibray?“, wiederholte Meto, der sich inzwischen mit Ruana beschäftigt und deshalb nicht genau zugehört hatte. „Was ist das?“ „Tsuzukus Ergebnis unserer Namenssuche“, erklärte Koichi. „Hey, das hört sich doch ziemlich cool an, oder?“ „Ich finde, es erinnert noch zu sehr an den Schrein“, sagte Tsuzuku und sah sich den Namen des berühmten Schreins noch einmal an. In Katakana fiel es nicht so auf, doch wenn man ihn in Buchstaben schrieb, war zu sehen, dass das erste „i“ wegen des „j“ und des zweiten „i“ dahinter auf den ersten Blick kaum auffiel. Und gesprochen wurde es sowieso nicht. Er schrieb, nur probeweise, die beiden verbliebenen Worte so auf, wie Meto sie ausgesprochen hatte, in Großbuchstaben, und strich dann das erste „i“ heraus. „Mejibray“ Tsuzuku hatte seit jeher einen besonderen Sinn für hübsche Worte gehabt, Worte, die eine gewisse Ausstrahlung abseits ihrer Bedeutung hatten. Er sah sich das Ergebnis „Mejibray“ an und wusste, dies war so ein Wort. Es hatte, abseits davon, dass es eigentlich nichts bedeutete, etwas Besonderes an sich. Die Kombination und wie die Buchstaben zueinander standen, wie der Goldene Schnitt. Er nickte sehr bestimmt und sagte: „Das ist es.“ „Name gefunden?“, fragte MiA. „Hört sich gut an“, sagte Koichi. Meto strahlte und ließ Ruana ihre Arme heben, so als würde sie sich riesig freuen. Tsuzuku nahm einen Schluck von seinem inzwischen merklich abgekühlten Kaffee und schrieb dann das neue Wort, den Namen seiner Band (Oh Gott, allein der Gedanke machte ihn so glücklich!) noch einmal ordentlich auf. Mejibray. Jetzt hatte der Traum einen Namen. Kapitel 20: "Cage" ------------------ „Na, dann fahren Koichi und ich mal unsere Instrumente holen“, sagte MiA. „Wir treffen uns bei dir, Meto-chan?“ „M-hm“, machte der Angesprochene und lächelte. Dann sah er Tsuzuku an, der ein glückliches Strahlen in den künstlich hellen Augen hatte und dem anzusehen war, dass er innerlich schwebte. Sie bezahlten jeder für sich, und Koichi und MiA gingen zuerst los, um jeder für sich nach Hause zu fahren und Bass und Gitarre zu holen. Kurz nachdem die beiden gegangen waren, gab Tsuzukus Handy einen summenden Ton von sich. Er zog es aus der Tasche, blickte auf das Display und als er sah, wer ihm da gerade eine Nachricht geschrieben hatte, spürte er einen kleinen, seltsamen Ruck im Herzen. „Hey, Genki-san, wie geht’s dir, was machst du gerade? ^^ Miki“ Sofort geriet er in eine gewisse Aufregung. Theoretisch war es ganz einfach: Er hatte eine Nachricht bekommen und wusste die darin enthaltene Frage auch zu beantworten („Mit geht’s prima, meine Band hat jetzt einen Namen!“), doch irgendwie war es trotzdem nicht ganz leicht, zurück zu schreiben. Da war immer noch diese Unsicherheit, dieses unbestimmte Nicht-wissen, was er tun sollte und ob es so richtig war. Er wusste ganz genau, woher diese Unsicherheit kam und doch konnte er nichts dagegen tun. Sie war nun einmal da und er hatte ja auch irgendwie gelernt, damit zu leben, auch wenn es immer irgendwie schwer sein würde. „Wer schreibt dir denn?“, fragte Meto. „Meine Kollegin. Miki.“ Meto lächelte. „Magst du sie?“ „Wa-was?!“ „Du bist gerade rot geworden, Tsu.“ Tsuzuku senkte rasch den Kopf, sodass ihm die schwarzen Haare ins Gesicht fielen. „Nur, weil ich aufgeregt bin“, sagte er leise. Meto überging den kurzen, etwas unangenehmen Moment und fragte weiter: „Was schreibt sie denn?“ „Sie fragt nur, wie es mir geht und was ich mache.“ „Und das macht dich aufgeregt?“ „Ich bin das nun mal nicht gewöhnt, mit Kollegen außerhalb der Arbeit zu tun zu haben.“ „Aber ist doch schön, oder?“ „M-hm…“ Er beeilte sich, die Nachricht zu beantworten: „Alles gut. Meine Band hat jetzt auch endlich einen Namen.“ Dann stand er auf. „Komm, wir fahren jetzt zu dir nach Hause und warten da auf die anderen.“ Im Zug nach Adachi war es voll und heiß. Meto war froh, kein Kleid, sondern Shorts und T-Shirt zu tragen und dass er seine Haare heute mal nicht in Locken gedreht hatte. Trotzdem, obwohl er weniger auffällig als sonst zurechtgemacht war, kam er sich immer noch vor wie eine Art Alien, etwas, das nicht recht zum Rest der Welt dazugehörte. Wahrscheinlich, so dachte er, würde dieses Gefühl gegenüber den meisten Menschen nie verschwinden. Tsuzuku gegenüber fühlte er sich nicht so, aber bei dem war sowieso alles anders. So anders, dass Meto sich fragte, wie das wohl kam, dass sie sich so gut verstanden. Aus diesem Gefühl heraus streckte er seine recht kleine Hand aus und legte sie auf Tsuzukus, sodass dieser ihn fragend ansah. „Hm?“ „Ich … hab dich so gern, Tsu.“ Der Schwarzhaarige lächelte. „Ich dich auch.“ „Das wird bestimmt toll, wenn wir alle zusammen Musik machen ... Dich macht das ja jetzt schon total glücklich, oder?“ Tsuzuku nickte, seine Augen leuchteten. „Hast du eigentlich früher schon gesungen, also in der Schule oder so?“, fragte Meto. „Nein. Ehrlich gesagt hab ich den Schulchor und Musikunterricht gehasst. Aber wohl eher, weil da einfach zu viele Leute waren, die ich nicht mochte.“ „Wann hast du denn mit dem Singen angefangen?“ „Als ich von zu Hause ausgezogen bin.“ „… Weiß deine Mutter, dass du singst?“, wollte Meto vorsichtig wissen. Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Nein. Sie weiß so gut wie nichts über mich und das will ich auch so. Es geht sie nichts an.“ Meto dachte: „Vielleicht wäre es aber gut, wenn sie das wüsste …“, sagte aber nichts. Er wollte sich da nicht einmischen. „Aber ich hab ja keine Ahnung, wie sie ist und so …“, fügte er in Gedanken noch hinzu und sah seinen besten Freund an, der in diesem Moment recht unglücklich aussah. „Hey, nicht an sie denken, okay?“, sagte er und legte eine Hand auf Tsuzukus Schulter. „Weißt du, … manchmal, da wünsche ich mir immer noch, auch nach so vielen Jahren, … eine Mutter zu haben, die es auch verdient, dass ich ihr von so etwas erzähle, dass ich singe und Musik liebe und das alles …“, sagte der Schwarzhaarige leise. „Ich würde sie am liebsten eintauschen.“ Meto wusste, diese Seite seines besten Freundes würde er, der er sich mit seinen Eltern so gut verstand, nie wirklich verstehen können. Und somit würde sich ihm auch der tief sitzende Grund für Tsuzukus soziale Probleme nie ganz erschließen. Das Einzige, was ihm einfiel zu sagen, war: „Tsu … wenn du magst, kannst du meine Eltern mit haben. Sie mögen dich und du bist doch mein bester Freund.“ Tsuzuku lächelte, ein breites, strahlendes Lächeln, und während ihm langsam klar wurde, was Meto da sagte, breitete sich in ihm ein solches Glücksgefühl aus, dass er erst einmal gar nichts sagen konnte. Doch schließlich kam ein leises „Danke“ über seine Lippen. Die Bahn hielt an der Station Adachi und sie stiegen aus, machten sich auf den kurzen Weg zu Metos Zuhause. Minami Maeda empfing sie an der Tür. „Na, habt ihr wieder Probe heute?“, fragte sie und lächelte freundlich. Meto nickte enthusiastisch und zog Tsuzuku an Minami vorbei ins Haus. Er holte seinen Schreibblock aus seinem Zimmer, um etwas darauf zu schreiben und den Zettel seiner Mutter zu zeigen: „Mama, können wir nachher mal was ‚bereden‘, mit Tsu zusammen?“ „Was denn?“ „Schreib ich dir dann.“ „Okay. Wo sind denn die anderen beiden?“ „Die holen ihre Instrumente“, antwortete Tsuzuku. Es dauerte eine ganze Weile, bis MiA und Koichi erschienen, und Meto und Tsuzuku vertrieben sich die Zeit in Metos Zimmer mit diesem und jenem. Tsuzuku sah sich, nachdem er den Jüngeren um Erlaubnis gefragt hatte, einen Ordner mit dessen Zeichnungen an, und Meto blätterte durch die Mappe mit Tsuzukus lyrischen Aufzeichnungen. Manchmal, wenn er ein Schriftzeichen nicht lesen konnte oder eine Formulierung nicht verstand, fragte er nach, und mit jeder Antwort, die der Ältere gab, verstand Meto ihn noch ein wenig besser. Als dann zuerst Koichi und kurz darauf auch MiA eintraf, gingen sie zu viert runter in den Probenraum. „Ich hab mir was überlegt“, sagte MiA. „Und was?“, fragte Koichi. MiA nahm seine Gitarre zur Hand und begann, mit flinken Fingern auf ihr herum zu klimpern. Offenbar war das eine Art Tick von ihm, der gleichzeitig dazu diente, sich und das Instrument einzustimmen. „Tsu, bist du gut im Komponieren und machst du das gerne, oder eher nicht?“ „Nicht wirklich“, gestand Tsuzuku. „Ich schreibe zwar sehr gern Texte, aber mit den Melodien … dafür hab ich wohl zu oft den Musikunterricht geschwänzt.“ MiA lächelte leise. „Ich hab mir nämlich gedacht, dass ich das gern machen würde. Du schreibst den Text und ich mache dann ein Lied daraus. Wie wäre das?“ Tsuzuku musste gar nicht lange darüber nachdenken. Erst recht nicht heute, wo alles so gut lief. Er vertraute MiA schon genug, um sich so eine enge Zusammenarbeit vorstellen zu können, und so nickte er und antwortete: „Klingt gut.“ „Dann machen wir das erst mal so. Ändern können wir’s ja immer noch, wenn wir wollen.“ „Proben wir heute wieder den Song von letztens?“, fragte Koichi. „Ich hab die Kassette mit, aber wir sollten vorher mal die Noten aufschreiben.“ „Ich hab mir das schon mal rausnotiert, so gut es ging. Aber mir fehlt noch ein bisschen was“, sagte MiA. „Aber wir können ja erst mal bis dahin proben.“ Gesagt, getan. Anscheinend hatte MiA ein sehr gutes, äußerst musikalisches Gehör und eine gute Intuition, was Melodien anging, denn das, was er auf die Blätter, die er den anderen austeilte, aufgeschrieben hatte, klang, als sie begannen, es zu spielen, noch besser als das, was sie aufgenommen hatten. Tsuzuku dachte daran, wie Akio MiA als musikalisches Genie bezeichnet hatte und stimmte diesem Punkt voll und ganz zu. Der blonde Gitarrist spielte nicht nur wahnsinnig gut, er konnte auch erstklassig komponieren, und Tsuzuku war sich, während er seinem Spiel zuhörte, sicher, dass seine herzbluthaltigen Texte bei MiA in guten Händen waren. Als schließlich sein Gesangs-Part zum Einsatz kommen sollte, musste er erst einmal tief durchatmen und ein paar Mal blinzeln, ehe er diesen Text singen konnte, diesen Teil seines Lebens, die Worte seiner Angst und Einsamkeit. Und dann passierte es: An der Stelle, wo er sang, dass er sich vor Einsamkeit schon ganz leblos fühlte, und doch nicht dagegen an konnte, weil seine Angst vor den Menschen einfach zu groß war, brach seine Stimme, er sah nur noch verschwommen und spürte heiße Tränen in den Augen. Zuerst versuchte er noch, weiter zu singen, sich nichts anmerken zu lassen, doch es ging nicht. Er sah zu Meto, der seinen Blick sofort bemerkte und ihn besorgt anschaute, versuchte, sich klar zu machen, dass er ja jetzt nicht mehr so allein und eben noch so glücklich gewesen war und dass es heute, an dem Tag, an dem sein Traum von einer Band noch ein Stückchen mehr wahr geworden war, keinen Grund zum Weinen gab. Er wollte nicht weinen, doch er kam auch nicht dagegen an, legte das Mikro aus der Hand und ließ sich auf einen der Stühle sinken. „Tsuzuku?“ Meto hatte zu spielen aufgehört, war aufgestanden und stand jetzt neben ihm. „Was hast du?“, fragte Koichi. „Hey, was ist denn los?“, wollte auch MiA wissen. Tsuzuku konnte nicht antworten, seine Stimme war tränenerstickt. „Geht gleich wieder“, wollte er sagen, doch nichts als Schluchzen kam über seine Lippen. Meto beugte sich zu ihm herunter und legte seine Arme um ihn. „Ist doch alles gut“, sagte der Jüngste leise. „Alles gut, Tsu, musst doch nicht weinen.“ „Ich … will auch nicht …“, brachte Tsuzuku stockend heraus. „Aber … manchmal tut irgendwie … das alles so weh …“ MiA zog eine Packung Taschentücher aus seiner Handtasche, reichte ihm eines und sagte: „Am besten machen wir gleich einfach weiter. Gar nicht so auf den Schmerz eingehen, das macht es nur schlimmer.“ Tsuzuku nahm das Taschentuch, tupfte sich vorsichtig die Tränen weg, dabei versuchend, sein dunkles Augen-Makeup nicht völlig zu zerstören und die Kontaktlinsen an ihrem Platz zu halten. „Geht’s wieder?“, fragte Meto nach einer Weile und der Sänger nickte, atmete tief durch und nahm das Mikro wieder in die Hand. „Wir können ja auch erst mal was anderes proben. Und dann kannst du dich immer noch daran gewöhnen, vor Menschen über dein eigenes Leben zu singen“, sagte Koichi. „Weißt du denn ‘nen anderen Song?“, fragte MiA. „Na ja, es sollte doch vielleicht irgendwas sein, was wir alle gut kennen.“ Koichi legte seinen Bass beiseite und ging zu dem kleinen Regal hinüber, welches neben der Musikanlange stand und mit CDs gefüllt war. „Ich dachte an so einen Klassiker … vielleicht was ganz altes von Dir en grey? So was macht sich doch als Cover ganz gut für nen Auftritt im Yoyogi.“ „Meine Diru-CDs … hab ich oben … in meinem Zimmer“, sagte Meto. „Zeigst du sie mir?“ Meto nickte und führte Koichi rauf in sein Zimmer zu seiner Musiksammlung. Der Pinkhaarige kramte kurz in den CDs herum, dann trat ein hübsches Lächeln auf seine Lippen und er hielt eine alte, schon recht abgegriffene CD-Hülle in der Hand. „Du hast Cage?!“ „M-hm.“ „Wow, wo hast du die denn aufgetrieben? Ist doch inzwischen nirgends mehr zu kriegen.“ „Auf ‘nem Flohmarkt … im Yoyogi-Park“, antwortete Meto. „Ist ja klasse!“ Koichi strahlte. „Cage ist perfekt!“ Sie gingen wieder runter in den Keller und Koichi rief: „Schaut mal, was ich gefunden habe!“ „Was zum Covern?“, fragte MiA lächelnd. „Diru’s Cage!“, antwortete Koichi begeistert. Tsuzuku blickte auf und streckte die Hand nach der CD aus. Cage gefiel ihm, er hatte das Lied bestimmt schon über fünfzig Mal zu Hause geübt, weil es auch eins der Lieder war, die er schon sehr lange kannte, schon seit er mit dem Singen angefangen hatte. Das Lied war im Original zwar komplett screamfrei, doch er hatte beim Üben, um es interessanter und zu ihm selbst passender zu machen, immer mal wieder einige Passagen geschrien, statt sie clean zu singen. „Was sagst du dazu?“, fragte MiA. „Geht das?“ „M-hm.“ Tsuzuku lächelte kurz. MiA gab ihm die CD in die Hand und blickte dann einen Moment lang nachdenklich zu Boden. „Na ja, ein Problem haben wir da wieder: Uns fehlt ein zweiter Gitarrist. So aus dem Nichts kriegen wir die Aufnahme der zweiten Spur nicht hin.“ „Wir können’s ja erst mal so versuchen und dann komponierst du das Ganze ein bisschen um, geht das?“, fragte Koichi. „Kann ich versuchen.“ MiA nahm seine Gitarre wieder zur Hand, drehte ein wenig an den Knöpfen und begann dann wieder, auf dem Instrument herum zu klimpern. Die Geschwindigkeit seiner Finger und sein konzentrierter Gesichtsausdruck ließen Meto deutlich sehen, dass es sich bei dem jungen Gitarristen anscheinend wirklich um ein musikalisches Genie handelte, ausgestattet mit allen Fähigkeiten, die dafür gebraucht wurden. „Sonst machen wir das einfach so …“, sagte MiA, „… dass wir erst mal das von dem Lied spielen, was wir auch zu viert hinkriegen. Ich mach den Rest dann zu Hause und bring die Aufnahme nächstes Mal mit.“ Gesagt, getan. Wieder wurde improvisiert, ausprobiert, die CD unzählige Male angehalten und wieder laufen gelassen, und das Lied so variiert, dass es sich irgendwie in etwas neues verwandelte. Am Ende kam es Meto so vor, als hätten sie das alte Stück fast sogar verbessert, zumindest klang es jetzt ähnlicher denjenigen Liedern, die heutzutage geschrieben wurden. Tsuzukus gefühlvolle, besondere Stimme trug ihren Teil dazu bei, er klang ja vollkommen anders als Kyo, und MiA spielte ebenfalls ganz anders als Kaoru und Die. Koichi hatte aus Toshiyas Basssolo etwas vollkommen Neues gemacht und Meto hörte bei seinem eigenen Spiel die Unterschiede zu Shinya. Tsuzuku dachte ebenfalls darüber nach und stellte fest, dass sich bereits ein eigener Klang, sozusagen eine eigene Handschrift, bildete, etwas, das Mejibray, seine Band (der Gedanke machte ihn immer noch unheimlich glücklich) auszeichnete. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern, bis sie mit diesem Song, zwar nur ein Cover, aber immerhin, auftreten konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)