Yoyogi von Harulein (Tsuzuku & Meto) ================================================================================ Kapitel 20: "Cage" ------------------ „Na, dann fahren Koichi und ich mal unsere Instrumente holen“, sagte MiA. „Wir treffen uns bei dir, Meto-chan?“ „M-hm“, machte der Angesprochene und lächelte. Dann sah er Tsuzuku an, der ein glückliches Strahlen in den künstlich hellen Augen hatte und dem anzusehen war, dass er innerlich schwebte. Sie bezahlten jeder für sich, und Koichi und MiA gingen zuerst los, um jeder für sich nach Hause zu fahren und Bass und Gitarre zu holen. Kurz nachdem die beiden gegangen waren, gab Tsuzukus Handy einen summenden Ton von sich. Er zog es aus der Tasche, blickte auf das Display und als er sah, wer ihm da gerade eine Nachricht geschrieben hatte, spürte er einen kleinen, seltsamen Ruck im Herzen. „Hey, Genki-san, wie geht’s dir, was machst du gerade? ^^ Miki“ Sofort geriet er in eine gewisse Aufregung. Theoretisch war es ganz einfach: Er hatte eine Nachricht bekommen und wusste die darin enthaltene Frage auch zu beantworten („Mit geht’s prima, meine Band hat jetzt einen Namen!“), doch irgendwie war es trotzdem nicht ganz leicht, zurück zu schreiben. Da war immer noch diese Unsicherheit, dieses unbestimmte Nicht-wissen, was er tun sollte und ob es so richtig war. Er wusste ganz genau, woher diese Unsicherheit kam und doch konnte er nichts dagegen tun. Sie war nun einmal da und er hatte ja auch irgendwie gelernt, damit zu leben, auch wenn es immer irgendwie schwer sein würde. „Wer schreibt dir denn?“, fragte Meto. „Meine Kollegin. Miki.“ Meto lächelte. „Magst du sie?“ „Wa-was?!“ „Du bist gerade rot geworden, Tsu.“ Tsuzuku senkte rasch den Kopf, sodass ihm die schwarzen Haare ins Gesicht fielen. „Nur, weil ich aufgeregt bin“, sagte er leise. Meto überging den kurzen, etwas unangenehmen Moment und fragte weiter: „Was schreibt sie denn?“ „Sie fragt nur, wie es mir geht und was ich mache.“ „Und das macht dich aufgeregt?“ „Ich bin das nun mal nicht gewöhnt, mit Kollegen außerhalb der Arbeit zu tun zu haben.“ „Aber ist doch schön, oder?“ „M-hm…“ Er beeilte sich, die Nachricht zu beantworten: „Alles gut. Meine Band hat jetzt auch endlich einen Namen.“ Dann stand er auf. „Komm, wir fahren jetzt zu dir nach Hause und warten da auf die anderen.“ Im Zug nach Adachi war es voll und heiß. Meto war froh, kein Kleid, sondern Shorts und T-Shirt zu tragen und dass er seine Haare heute mal nicht in Locken gedreht hatte. Trotzdem, obwohl er weniger auffällig als sonst zurechtgemacht war, kam er sich immer noch vor wie eine Art Alien, etwas, das nicht recht zum Rest der Welt dazugehörte. Wahrscheinlich, so dachte er, würde dieses Gefühl gegenüber den meisten Menschen nie verschwinden. Tsuzuku gegenüber fühlte er sich nicht so, aber bei dem war sowieso alles anders. So anders, dass Meto sich fragte, wie das wohl kam, dass sie sich so gut verstanden. Aus diesem Gefühl heraus streckte er seine recht kleine Hand aus und legte sie auf Tsuzukus, sodass dieser ihn fragend ansah. „Hm?“ „Ich … hab dich so gern, Tsu.“ Der Schwarzhaarige lächelte. „Ich dich auch.“ „Das wird bestimmt toll, wenn wir alle zusammen Musik machen ... Dich macht das ja jetzt schon total glücklich, oder?“ Tsuzuku nickte, seine Augen leuchteten. „Hast du eigentlich früher schon gesungen, also in der Schule oder so?“, fragte Meto. „Nein. Ehrlich gesagt hab ich den Schulchor und Musikunterricht gehasst. Aber wohl eher, weil da einfach zu viele Leute waren, die ich nicht mochte.“ „Wann hast du denn mit dem Singen angefangen?“ „Als ich von zu Hause ausgezogen bin.“ „… Weiß deine Mutter, dass du singst?“, wollte Meto vorsichtig wissen. Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Nein. Sie weiß so gut wie nichts über mich und das will ich auch so. Es geht sie nichts an.“ Meto dachte: „Vielleicht wäre es aber gut, wenn sie das wüsste …“, sagte aber nichts. Er wollte sich da nicht einmischen. „Aber ich hab ja keine Ahnung, wie sie ist und so …“, fügte er in Gedanken noch hinzu und sah seinen besten Freund an, der in diesem Moment recht unglücklich aussah. „Hey, nicht an sie denken, okay?“, sagte er und legte eine Hand auf Tsuzukus Schulter. „Weißt du, … manchmal, da wünsche ich mir immer noch, auch nach so vielen Jahren, … eine Mutter zu haben, die es auch verdient, dass ich ihr von so etwas erzähle, dass ich singe und Musik liebe und das alles …“, sagte der Schwarzhaarige leise. „Ich würde sie am liebsten eintauschen.“ Meto wusste, diese Seite seines besten Freundes würde er, der er sich mit seinen Eltern so gut verstand, nie wirklich verstehen können. Und somit würde sich ihm auch der tief sitzende Grund für Tsuzukus soziale Probleme nie ganz erschließen. Das Einzige, was ihm einfiel zu sagen, war: „Tsu … wenn du magst, kannst du meine Eltern mit haben. Sie mögen dich und du bist doch mein bester Freund.“ Tsuzuku lächelte, ein breites, strahlendes Lächeln, und während ihm langsam klar wurde, was Meto da sagte, breitete sich in ihm ein solches Glücksgefühl aus, dass er erst einmal gar nichts sagen konnte. Doch schließlich kam ein leises „Danke“ über seine Lippen. Die Bahn hielt an der Station Adachi und sie stiegen aus, machten sich auf den kurzen Weg zu Metos Zuhause. Minami Maeda empfing sie an der Tür. „Na, habt ihr wieder Probe heute?“, fragte sie und lächelte freundlich. Meto nickte enthusiastisch und zog Tsuzuku an Minami vorbei ins Haus. Er holte seinen Schreibblock aus seinem Zimmer, um etwas darauf zu schreiben und den Zettel seiner Mutter zu zeigen: „Mama, können wir nachher mal was ‚bereden‘, mit Tsu zusammen?“ „Was denn?“ „Schreib ich dir dann.“ „Okay. Wo sind denn die anderen beiden?“ „Die holen ihre Instrumente“, antwortete Tsuzuku. Es dauerte eine ganze Weile, bis MiA und Koichi erschienen, und Meto und Tsuzuku vertrieben sich die Zeit in Metos Zimmer mit diesem und jenem. Tsuzuku sah sich, nachdem er den Jüngeren um Erlaubnis gefragt hatte, einen Ordner mit dessen Zeichnungen an, und Meto blätterte durch die Mappe mit Tsuzukus lyrischen Aufzeichnungen. Manchmal, wenn er ein Schriftzeichen nicht lesen konnte oder eine Formulierung nicht verstand, fragte er nach, und mit jeder Antwort, die der Ältere gab, verstand Meto ihn noch ein wenig besser. Als dann zuerst Koichi und kurz darauf auch MiA eintraf, gingen sie zu viert runter in den Probenraum. „Ich hab mir was überlegt“, sagte MiA. „Und was?“, fragte Koichi. MiA nahm seine Gitarre zur Hand und begann, mit flinken Fingern auf ihr herum zu klimpern. Offenbar war das eine Art Tick von ihm, der gleichzeitig dazu diente, sich und das Instrument einzustimmen. „Tsu, bist du gut im Komponieren und machst du das gerne, oder eher nicht?“ „Nicht wirklich“, gestand Tsuzuku. „Ich schreibe zwar sehr gern Texte, aber mit den Melodien … dafür hab ich wohl zu oft den Musikunterricht geschwänzt.“ MiA lächelte leise. „Ich hab mir nämlich gedacht, dass ich das gern machen würde. Du schreibst den Text und ich mache dann ein Lied daraus. Wie wäre das?“ Tsuzuku musste gar nicht lange darüber nachdenken. Erst recht nicht heute, wo alles so gut lief. Er vertraute MiA schon genug, um sich so eine enge Zusammenarbeit vorstellen zu können, und so nickte er und antwortete: „Klingt gut.“ „Dann machen wir das erst mal so. Ändern können wir’s ja immer noch, wenn wir wollen.“ „Proben wir heute wieder den Song von letztens?“, fragte Koichi. „Ich hab die Kassette mit, aber wir sollten vorher mal die Noten aufschreiben.“ „Ich hab mir das schon mal rausnotiert, so gut es ging. Aber mir fehlt noch ein bisschen was“, sagte MiA. „Aber wir können ja erst mal bis dahin proben.“ Gesagt, getan. Anscheinend hatte MiA ein sehr gutes, äußerst musikalisches Gehör und eine gute Intuition, was Melodien anging, denn das, was er auf die Blätter, die er den anderen austeilte, aufgeschrieben hatte, klang, als sie begannen, es zu spielen, noch besser als das, was sie aufgenommen hatten. Tsuzuku dachte daran, wie Akio MiA als musikalisches Genie bezeichnet hatte und stimmte diesem Punkt voll und ganz zu. Der blonde Gitarrist spielte nicht nur wahnsinnig gut, er konnte auch erstklassig komponieren, und Tsuzuku war sich, während er seinem Spiel zuhörte, sicher, dass seine herzbluthaltigen Texte bei MiA in guten Händen waren. Als schließlich sein Gesangs-Part zum Einsatz kommen sollte, musste er erst einmal tief durchatmen und ein paar Mal blinzeln, ehe er diesen Text singen konnte, diesen Teil seines Lebens, die Worte seiner Angst und Einsamkeit. Und dann passierte es: An der Stelle, wo er sang, dass er sich vor Einsamkeit schon ganz leblos fühlte, und doch nicht dagegen an konnte, weil seine Angst vor den Menschen einfach zu groß war, brach seine Stimme, er sah nur noch verschwommen und spürte heiße Tränen in den Augen. Zuerst versuchte er noch, weiter zu singen, sich nichts anmerken zu lassen, doch es ging nicht. Er sah zu Meto, der seinen Blick sofort bemerkte und ihn besorgt anschaute, versuchte, sich klar zu machen, dass er ja jetzt nicht mehr so allein und eben noch so glücklich gewesen war und dass es heute, an dem Tag, an dem sein Traum von einer Band noch ein Stückchen mehr wahr geworden war, keinen Grund zum Weinen gab. Er wollte nicht weinen, doch er kam auch nicht dagegen an, legte das Mikro aus der Hand und ließ sich auf einen der Stühle sinken. „Tsuzuku?“ Meto hatte zu spielen aufgehört, war aufgestanden und stand jetzt neben ihm. „Was hast du?“, fragte Koichi. „Hey, was ist denn los?“, wollte auch MiA wissen. Tsuzuku konnte nicht antworten, seine Stimme war tränenerstickt. „Geht gleich wieder“, wollte er sagen, doch nichts als Schluchzen kam über seine Lippen. Meto beugte sich zu ihm herunter und legte seine Arme um ihn. „Ist doch alles gut“, sagte der Jüngste leise. „Alles gut, Tsu, musst doch nicht weinen.“ „Ich … will auch nicht …“, brachte Tsuzuku stockend heraus. „Aber … manchmal tut irgendwie … das alles so weh …“ MiA zog eine Packung Taschentücher aus seiner Handtasche, reichte ihm eines und sagte: „Am besten machen wir gleich einfach weiter. Gar nicht so auf den Schmerz eingehen, das macht es nur schlimmer.“ Tsuzuku nahm das Taschentuch, tupfte sich vorsichtig die Tränen weg, dabei versuchend, sein dunkles Augen-Makeup nicht völlig zu zerstören und die Kontaktlinsen an ihrem Platz zu halten. „Geht’s wieder?“, fragte Meto nach einer Weile und der Sänger nickte, atmete tief durch und nahm das Mikro wieder in die Hand. „Wir können ja auch erst mal was anderes proben. Und dann kannst du dich immer noch daran gewöhnen, vor Menschen über dein eigenes Leben zu singen“, sagte Koichi. „Weißt du denn ‘nen anderen Song?“, fragte MiA. „Na ja, es sollte doch vielleicht irgendwas sein, was wir alle gut kennen.“ Koichi legte seinen Bass beiseite und ging zu dem kleinen Regal hinüber, welches neben der Musikanlange stand und mit CDs gefüllt war. „Ich dachte an so einen Klassiker … vielleicht was ganz altes von Dir en grey? So was macht sich doch als Cover ganz gut für nen Auftritt im Yoyogi.“ „Meine Diru-CDs … hab ich oben … in meinem Zimmer“, sagte Meto. „Zeigst du sie mir?“ Meto nickte und führte Koichi rauf in sein Zimmer zu seiner Musiksammlung. Der Pinkhaarige kramte kurz in den CDs herum, dann trat ein hübsches Lächeln auf seine Lippen und er hielt eine alte, schon recht abgegriffene CD-Hülle in der Hand. „Du hast Cage?!“ „M-hm.“ „Wow, wo hast du die denn aufgetrieben? Ist doch inzwischen nirgends mehr zu kriegen.“ „Auf ‘nem Flohmarkt … im Yoyogi-Park“, antwortete Meto. „Ist ja klasse!“ Koichi strahlte. „Cage ist perfekt!“ Sie gingen wieder runter in den Keller und Koichi rief: „Schaut mal, was ich gefunden habe!“ „Was zum Covern?“, fragte MiA lächelnd. „Diru’s Cage!“, antwortete Koichi begeistert. Tsuzuku blickte auf und streckte die Hand nach der CD aus. Cage gefiel ihm, er hatte das Lied bestimmt schon über fünfzig Mal zu Hause geübt, weil es auch eins der Lieder war, die er schon sehr lange kannte, schon seit er mit dem Singen angefangen hatte. Das Lied war im Original zwar komplett screamfrei, doch er hatte beim Üben, um es interessanter und zu ihm selbst passender zu machen, immer mal wieder einige Passagen geschrien, statt sie clean zu singen. „Was sagst du dazu?“, fragte MiA. „Geht das?“ „M-hm.“ Tsuzuku lächelte kurz. MiA gab ihm die CD in die Hand und blickte dann einen Moment lang nachdenklich zu Boden. „Na ja, ein Problem haben wir da wieder: Uns fehlt ein zweiter Gitarrist. So aus dem Nichts kriegen wir die Aufnahme der zweiten Spur nicht hin.“ „Wir können’s ja erst mal so versuchen und dann komponierst du das Ganze ein bisschen um, geht das?“, fragte Koichi. „Kann ich versuchen.“ MiA nahm seine Gitarre wieder zur Hand, drehte ein wenig an den Knöpfen und begann dann wieder, auf dem Instrument herum zu klimpern. Die Geschwindigkeit seiner Finger und sein konzentrierter Gesichtsausdruck ließen Meto deutlich sehen, dass es sich bei dem jungen Gitarristen anscheinend wirklich um ein musikalisches Genie handelte, ausgestattet mit allen Fähigkeiten, die dafür gebraucht wurden. „Sonst machen wir das einfach so …“, sagte MiA, „… dass wir erst mal das von dem Lied spielen, was wir auch zu viert hinkriegen. Ich mach den Rest dann zu Hause und bring die Aufnahme nächstes Mal mit.“ Gesagt, getan. Wieder wurde improvisiert, ausprobiert, die CD unzählige Male angehalten und wieder laufen gelassen, und das Lied so variiert, dass es sich irgendwie in etwas neues verwandelte. Am Ende kam es Meto so vor, als hätten sie das alte Stück fast sogar verbessert, zumindest klang es jetzt ähnlicher denjenigen Liedern, die heutzutage geschrieben wurden. Tsuzukus gefühlvolle, besondere Stimme trug ihren Teil dazu bei, er klang ja vollkommen anders als Kyo, und MiA spielte ebenfalls ganz anders als Kaoru und Die. Koichi hatte aus Toshiyas Basssolo etwas vollkommen Neues gemacht und Meto hörte bei seinem eigenen Spiel die Unterschiede zu Shinya. Tsuzuku dachte ebenfalls darüber nach und stellte fest, dass sich bereits ein eigener Klang, sozusagen eine eigene Handschrift, bildete, etwas, das Mejibray, seine Band (der Gedanke machte ihn immer noch unheimlich glücklich) auszeichnete. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern, bis sie mit diesem Song, zwar nur ein Cover, aber immerhin, auftreten konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)