Vorgezogenes Finale von SFX (Wir leben Fußball...) ================================================================================ Kapitel 1: Vorgezogenes Finale ------------------------------ Der Mond schien hell in sein Zimmer herein. Das Mondlicht war bisweilen das Einzige, was ein wenig Helligkeit spendete, aber wenn es nach ihm ginge, würde er dieses Licht auch verschwinden lassen. Er liebte die Dunkelheit in dieser Stille, er konnte sich viel besser im Dunkeln konzentrieren. Ruhig saß er auf dem Bett in seinem Zimmer, das er sich mit einem seiner Mitspieler teilte. Er ging alles nochmal im Kopf durch, was sein Trainer in der Abschlussbesprechung gesagt hatte. Viele Worte hatte er nicht verloren, was für ihn üblich war. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass der Trainer diesmal ihm eine besondere Geste zeigte: Der Alte hatte ihn und einen seiner Teamkameraden zu einem persönlichen Gespräch gebeten. Dort hatte der Trainer mit den beiden einen Spezialplan besprochen. In dieser gesamten Zeit, die er für den Verein spielte, hatte er den Trainer noch nie so detailliert und ausführlich reden gesehen. Der Alte war noch nie ein Freund vieler Worte gewesen, und früher war ihm der Trainer unheimlich suspekt. Die Kommunikation mit den Spielern hatte er nie gesucht, Ausbilder und Spieler waren nur auf dem Papier miteinander verbunden. Mehr nicht. Irgendwie entstand so eine zwiegespaltene Welt in diesem Verein und er hatte am Anfang überlegt, zu wechseln. Doch je länger er für diesen Club spielte und mit dem Trainer zusammenarbeitete, desto mehr schätzte er dessen Arbeit und es lief auch sportlich viel besser. In der ersten Saison hatten sie den drohenden Abstieg abgewendet, in der zweiten Saison waren sie in die 2. Jugend-Bundesliga aufgestiegen. Und in der aktuellen dritten Saison mischten sie auch diese Liga auf. Mittlerweile war Tai der Kapitän der Mannschaft geworden. Er hatte also keinen Grund mehr gehabt, zu wechseln. Außerdem war ja sie da gewesen… Die Tür glitt auf und das Licht ging an. Sein Mitspieler Riku kam herein. „Hey Tai, du bist ja immer noch wach!“ Der Angesprochene wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Ich kann nicht schlafen, ich muss immer wieder an morgen denken!“, entgegnete ihm der Braunhaarige. Riku war ein Jahr jünger, aber genauso groß wie Tai und im offensiven Mittelfeld zuhause; zudem spielte er mit Tai am Längsten im Verein. Er war einer der kreativen Köpfe in der Mannschaft: Egal, was für ein Bollwerk an Abwehr vor ihnen stand, er fand immer eine Lösung dagegen. Dazu kannte er Tais Laufwege aus dem Effeff. Riku war froh, nicht gegen Tai spielen zu müssen, da dieser ein extrem bulliger und trotzdem pfeilschneller Stürmertyp war. Die meisten seiner direkten Gegenspieler sahen kein Land gegen ihn. „Das wird schon! Ich bin sicher, dass wir gegen die gewinnen werden… erst recht mit dir! Du wirst denen schon beim reinen Anblick einen gehörigen Schrecken einjagen!“ Tai war sich da nicht sicher: „Aber wir spielen morgen gegen unseren ärgsten Verfolger. Die Osaka Gunners sind nur zwei Punkte hinter uns und haben in der gesamten Saison nur zwölf Gegentreffer kassiert… in 32 Spielen! Stell dir das mal vor! Sie haben eine Bombenabwehr - ich weiß noch: In der Hinrunde haben wir gegen sie verloren, weil sie uns nicht haben entfalten lassen und unser Spiel zerstört haben.“ Riku schaute seinen Teamkameraden an. Er erinnerte sich daran, wie Tai vor einem halben Jahr beim erwähnten Hinspiel verletzt ausgewechselt werden musste, weil er den Ellbogen seines Gegenspielers in einem Luftzweikampf abbekommen hatte. Normalerweise hielt Tai so etwas locker aus, doch der Schlag muss so extrem gewesen sein, dass er im Spiel darauf auch gefehlt hatte. Die Abwehr schien wirklich Beton zu sein, es würde nicht leicht werden gegen sie. Riku versuchte dem Braunhaarigen Mut zuzusprechen: „Du denkst zu viel nach, sie sind nicht unbesiegbar! Alleine die Tabellensituation zeigt das doch schon, die haben 2 Punkte weniger als wir! Also mach dir keine Sorgen, mein Lieber!“ Er zog sich seinen Schlafanzug über und hüpfte auf sein Bett. „Ach… und übrigens, Tai!“ Tai schaute fragend zu seinem Kumpel. „Ich hab gehört, du hättest für morgen einen speziellen Plan?!? Willst du mich nicht darin einweihen?“ Der 16-Jährige stutzte: „Von wem hast du das gehört?“ Riku kratzte sich am Kopf und gähnte leicht, bevor er antwortete: „Naja, ich hab vorhin mit Sora geredet… und da hat sie mir das erzählt.“ Tais Gesicht wandelte sich daraufhin in ein Lächeln um. Bei dem Namen wurde ihm ganz warm ums Herz… Sora - ein wunderschöner Name, mit dem der Braunhaarige vieles verband. Er dachte da natürlich sofort an die Abenteuer in der Digiwelt, die sie gemeinsam erlebten. Doch das war beileibe nicht alles: Tai und Sora gingen auf die gleiche Schule, halfen sich immer gegenseitig aus und hatten nahezu identische Interessen. Der Sport spielte dabei eine besondere Rolle, denn beiden bedeutete der Fußball enorm viel und sie spielten jahrelang im selben Fußballverein. Vor 2 Jahren stieg sie jedoch aus persönlichen Gründen aus und versuchte sich eine Zeit lang am Tennis, womit sie nie glücklich wurde. Anfangs hatte Tai gedacht, dass es an dem neuen heutigen Trainer lag; er hatte die damals noch 13-Jährige in seiner ersten Saison nach fünf Spielen, in denen sie nicht sonderlich glänzen konnte, auf die Bank gesetzt und sie nur noch sporadisch in vielen Spielen einwechseln lassen. Inzwischen wusste Tai aber, dass Sora vor allem wegen ihrer Mutter Toshiko die Sportart gewechselt hatte. Sie war eine lange Zeit gegen das Hobby ihrer Tochter gewesen und hatte auch keinen Hehl daraus gemacht. Oft war es dieses Thema gewesen, wodurch es zwischen Mutter und Tochter häufig zu Auseinandersetzungen kamen. Das hatte Sora wohl spürbar belastet, was sich auch negativ auf ihre sportlichen Leistungen auswirkte. Doch vor knapp einem halben Jahr hatte sich die Haltung von Toshiko radikal geändert. Sie bemerkte, wie Sora sehr darunter litt, vom Fußball getrennt zu sein. Toshiko hatte eingesehen, dass es falsch war, ihre Tochter nicht das machen zu lassen was sie wollte. Also hatte sie in einem klärenden Gespräch Sora dazu ermuntert, wieder zum Fußball zurückzukehren, was sie auch überglücklich tat. In der letzten Transferphase konnte dann Sora wieder zur Mannschaft zurückstoßen, von der sie freudig empfangen wurde. Tai war besonders froh über ihre Rückkehr, denn mit niemandem - allenfalls mit Riku noch, aber mit niemandem sonst harmonierte der Braunhaarige im Spiel so gut wie mit der 17-Jährigen. Sora konnte jede Position im Offensivbereich bekleiden, doch zu Tais Zeiten spielte sie meistens die zweite Sturmposition. Sie war zwar bei Weitem nicht so zweikampfstark wie Tai, dafür hatte sie eine andere Paradedisziplin: Sie war eine unglaubliche Kopfballspezialistin, konnte Flanken wie kein anderer so effektiv verwerten und war dazu noch unheimlich sprungstark, was gegen tiefstehende Mannschaften sehr wertvoll sein konnte. Aber noch wertvoller waren ihre Spritzigkeit und ihr tolles Verständnis für das Spiel. Und nicht zuletzt wusste auch die Orangehaarige instinktiv, wie Tai sich in den verschiedenen Situationen jeweils verhalten würde. Wenn Sora diese zwei Jahre nicht ausgesetzt hätte, wäre sie diejenige gewesen, mit der Tai am Längsten im Verein gespielt hätte… „Hey Tai, ich hab dich was gefragt!“ Der Angesprochene schreckte auf und schüttelte sich: „Was - wie bitte? Oh… tut mir Leid, Riku. Ich bin wohl doch etwas müde…“ Sein Freund lächelte schelmisch: „Du scheinst ja zu träumen. Da hat dir wohl jemand gehörig den Kopf verdreht…“ „Ach halt die Klappe!“, entgegnete ihm der Braunhaarige und vermied dabei den Blickkontakt. „Schon gut, reg dich wieder ab, Kumpel! Aber willst du mir jetzt den Plan für morgen verraten oder nicht? Du hast doch noch ‘ne Rechnung mit jemandem offen, oder?“ Tai musste nicht lange nachdenken um zu wissen, wen Riku meinte: „Oh ja - und wie!“ ------------------------------- Als der Mannschaftsbus der Tokio Rangers am nächsten Tag vor dem Eingang zum Stadion anhielt, spürten alle ein Knistern in der Luft. Das Wetter war perfekt und das Stadion erstmals in der Saison ausverkauft - kein Wunder, handelte es sich doch um ein vorgezogenes Finale um die Meisterschaft in der 2. Liga und vor allem um den Aufstieg in die 1. Liga. Tai stieg aus dem Bus aus und fühlte, wie sein Adrenalinpegel in die Höhe schoss, als er die Lautstärke der Fans im Stadion hörte. Alles war angerichtet, sie hatten ein Heimspiel und die Fans hinter sich! Er schwor sich, heute als Sieger vom Feld zu gehen! „Hey Tai, was stehst du hier so rum?“ Der Angesprochene drehte sich um und entdeckte Sora hinter sich, während die anderen Teammates durch den Stadioneingang huschten. Tai sah sie ernst an und zeigte dabei auf eine leicht erkennbare Narbe im Gesicht, was Sora sofort verstand. „Du wirst es ihm heute heimzahlen können!“ Er nickte und huschte wortlos durch den Eingang. Sora wusste, dass das Tais Art war, sich auf das bevorstehende Spiel zu fokussieren. Und doch war er heute noch angespannter drauf als sonst, das spürte sie. Aber das verstand die 17-Jährige, schließlich war es heute ein enorm wichtiges Spiel. Sie blieb nicht länger stehen und verschwand ebenso in die Katakomben. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Wartens war es dann soweit: Die zwei Mannschaften marschierten auf das Spielfeld. Das Stadion erwachte allmählich zum Leben, Jubelschreie und vereinzelte Pfiffe ertönten. Tai machte sich bereit und schritt zur Begrüßung der Kapitäne. Da sah er ihn! Sein direkter Gegenspieler und der, dem er es mit aller Macht heimzahlen wollte - für diese verdammte Platzwunde vom letzten Spiel, die er von ihm abbekommen hatte und daraufhin ausgewechselt werden musste! Er hieß Nobu, war groß und verdammt muskulös gewachsen. Auch wenn Tai ihn nicht leiden konnte, musste er zugeben, dass er einer der besten Abwehrspieler war, denen der Braunhaarige bisher begegnet war. Die Begrüßung fiel wortlos und kalt aus. Beide Spieler sahen sich beim Handshake mit einem Blick an, der alles zu Stein gefrieren konnte. Nachdem Tai die Platzwahl für sich entscheiden konnte, machten sich die beiden Mannschaften bereit für den Start der Partie. Während der Schiedsrichter noch seine Stoppuhr bediente, sah Tai nochmal zu Riku und Sora rüber, die seinen Blick mit aller Entschlossenheit erwiderten. Er konnte sich auf sie verlassen. Ein Pfiff ertönte und der Gegner stieß an. Das Spiel hatte begonnen… Tai und die anderen gingen die Partie sehr offensiv an. Sie standen hoch und griffen mit einem 4-2-3-1 System an. So hatten sie schon seit Saisonbeginn gespielt und auch in den allermeisten Fällen damit Erfolg gehabt. Shou, der Torwart der Rangers, und die Viererkette mit Aki, Hiroki, Katashi und Kenta ließen in der laufenden Spielzeit erst 15 Gegentreffer zu. Die zwei Sechser, Mai und Ryo, ergänzten sich hervorragend: Mai bekleidete den offensiveren Part und hatte ein gutes Auge für die Spieleröffnung. Ryo schloss Lücken im Abwehrverbund und räumte auf - wenn es sein musste, auch mal mit Risiko. Das offensive Mittelfeld mit Sora auf dem rechten, Katsu auf dem linken Flügel und Riku auf der Zehn sollte für mächtigen Wirbel sorgen. Und Tai im Sturm war der Vollstrecker vom Dienst, er hatte in der Saison bereits 20-mal getroffen, dabei waren 8 Treffer per direktem Freistoß. Doch heute schien in der 1. Halbzeit noch nicht viel zu laufen. Tais Mannschaft hatte zwar viel Ballbesitz und ließ auch kaum einen Ball verloren gehen, allerdings hielt die Abwehr der Osaka Gunners gut stand und ließ sich kaum herauslocken. Ein paar Flankenversuche von Katsu verpufften erfolglos, weil Osakas Innenverteidigung in der Luft nicht zu bezwingen war. Besonders Nobu köpfte humorlos alles raus, was in den Strafraum geflogen kam. Kam der Gegner mal in Ballbesitz, mussten die Rangers sich zudem vor den pfeilschnellen Konter in Acht nehmen. Das war die Art der Gunners zu spielen und zu gewinnen. Sie mussten irgendwie versuchen, ein Tor zu erzielen… dann müsste der Gegner zwangsweise ihre Abwehr öffnen und offensiver werden. Aber es blieb bis zur Halbzeit beim 0:0. Zumindest das Ergebnis sprach für die Rangers, da der Vorsprung von 2 Punkten weiter Bestand hatte. Doch damit wollte sich Tai nicht zufrieden geben! Immerhin hatten sie das Hinspiel verloren; die Verhältnisse mussten schon allein der Ehre wegen wieder zurechtgerückt werden! Der Schiedsrichter pfiff die 2. Halbzeit an und Tais Mannschaft befand sich in Ballbesitz. Sie versuchten wieder, ihr Spiel aufzuziehen und den Gegner in ihre eigene Hälfte zu drängen. Doch plötzlich fiel Tai auf, wie die Gunners sich plötzlich anders bewegten. Sie agierten viel offener und aggressiver gegen den Ball… es sah so aus, als wollten sie unbedingt den Ball selber haben. Schon nach wenigen Momenten ging der Ball verloren und der Gegner konterte die Rangers aus. Die gegnerischen Flügelspieler schwirrten unglaublich schnell auf ihre Positionen und zogen die eigene Abwehr auseinander. Tai lief hinterher und sah, wie seine Abwehr scheinbar in eine Falle lief. Er rief, so laut er konnte: „HIROKI! HINTER DIR!“ Hiroki drehte sich um, aber es war zu spät: Der Stürmer der Gunners überlief ihn und der Ball kam von außen in dessen Lauf geflogen. Er nahm ihn volley - und donnerte den Ball Richtung Tor. Shou sah, wie der Ball über ihn flog - unmittelbar darauf hörte er es hinter sich laut scheppern. Er schaute nach hinten und suchte nach dem runden Spielgerät, aber er fand ihn nicht im Tor. Stattdessen kam der Ball hinter dem Rasen auf der Tribüne runtergeflogen. Er war gegen die Querlatte gekracht. Ein Raunen ging durch das Stadion. Tai schnaufte einmal durch; das durfte nicht nochmal passieren! So viel Glück würden sie das nächste Mal nicht haben! „Wir müssen uns mehr konzentrieren! Anscheinend haben sie ihre Taktik geändert!“, rief der Wuschelkopf zu seinen Abwehrleuten. Sie reagierten mit einem Nicken und gingen wieder auf ihre Position. Shou schlug den Ball weit nach vorne, Sora rannte dem Ball entgegen - dicht gefolgt und hart bedrängt von ihrem Gegenspieler. Sie konnte dennoch das anschließende Kopfballduell gewinnen und den Ball zu Tai köpfen. So waren sie zumindest in Ballbesitz. Tai lief in Richtung gegnerischen Strafraum, doch vor ihm tauchten plötzlich 4 gegnerische Spieler wie Hünen auf, die den Weg versperrten. Er dachte nach, was er als Nächstes tun sollte… da fiel ihm der Spezialplan des Trainers ein. Der Braunhaarige probierte es und ging ins Dribbling. Riku bot sich auf der rechten Seite an; Tai spielte Doppelpass mit ihm und überlief 2 Gegenspieler, die ihn nicht fassen konnte. Vor ihm warteten noch 2 weitere Gunners auf ihn, doch nun konnte er aus zweiter Reihe auf das Tor schießen. Er überlegte nicht lange und schloss ab. Der Ball flog auf das Tor zu - aber zu schwach und zu zentral, direkt auf den Torwart. Dieser hatte noch nicht mal Mühe, den Ball festzuhalten. „Verdammt!“, murmelte er. „Das nächste Mal ziele ich besser!“ Tai schaute sauer auf den Torwart und wollte sich wieder umdrehen, doch plötzlich musste er kurz innehalten. Der Ball! Wo war er hin? Der Torwart hatte ihn nicht mehr! „Tai, komm zurück! Wir brauchen dich hier!“, hörte er Riku hinter sich rufen. Die Gunners schwirrten wieder aus und spielten einen Konter runter. Die Rangers versuchten, die gegnerischen Offensivspieler zu stellen, aber sie waren nicht schnell genug. Wieder war ein Gunner auf dem linken Flügel entwischt und flankte den Ball scharf in die Mitte. Der gegnerische Stürmer kam vor Katashi an den Ball… Das Stadion wurde mit einem Mal verdächtig stiller. Der Schiedsrichter hatte gerade gepfiffen, und die Gunners jubelten. Der Ball zappelte im Netz der Rangers, der Stürmer der Gunners hatte den Ball platziert ins Tor geköpft, Shou hatte keine Chance den Ball zu kriegen. Tai verfluchte seine eigene Trägheit, nun lagen sie hinten - und das war gegen diese Mannschaft der Worst Case. Plötzlich klopfte ihm jemand auf die Schulter und er drehte sich um. Riku war zu ihm gelaufen und schüttelte den Kopf: „Jetzt ist nicht die Zeit, sich Vorwürfe zu machen, alter Junge! Wir dürfen jetzt nicht aufgeben! Es gibt immer einen Weg!“ Tai ballte die Hand zu einer Faust zusammen, entspannte sich jedoch wieder. Riku hatte Recht, es gibt immer einen Weg. Er musste nur daran glauben. Es kam, wie es kommen musste: Nachdem die Gunners in Führung gingen, zogen sie sich mit Mann und Maus in ihre eigene Hälfte zurück und rührten Beton an. Das taten sie immer, wenn sie vorne lagen - und bisher gab es auch kein Durchkommen für den Gegner. Zudem blieben sie mit ihrem pfeilschnellen Konterspiel brandgefährlich. Aus den Fanreihen hörte man lautstark die Fans der Gunners feiern, die heimeigenen Fans kamen nur langsam wieder aus ihrer Lethargie heraus. Tai musste irgendwas tun, um seine eigene Mannschaft ebenfalls aus der Unsicherheit zu reißen. Er ließ sich zurückfallen und bekam kurzerhand den Ball von Mai zugepasst. Nun stand er an der Mittellinie und sah sich einer Wand von gegnerischen Spielern gegenüber stehen. Er atmete einmal tief durch und lief los; die Spieler der Gunners kamen ihm entgegen. Tai überlief die ersten beiden Spieler relativ problemlos, der dritte jedoch hatte sein Tempo aufgenommen und bearbeitete ihn heftig mit Schubsen und Drücken. Der Braunhaarige sah Sora rechts von ihm, passte ihr den Ball zu und lief weiter. Sora, die durch ihren Ballbesitz sämtliche Gegner auf sich zog, schaute kurz nach rechts; da war ein freier Raum, und Tai rannte direkt dahin! Sie chippte den Ball direkt über alle Gegner hinweg zu ihm rüber. Tai befand sich jetzt auf Rechtsaußen und zog sofort nach innen. Dort warteten allerdings zwei weitere Verteidiger auf den Braunhaarigen. Einer von ihnen war Nobu - und Tais Erinnerung an ihn war schmerzhaft genug, dass er ein eins gegen eins noch nicht riskieren wollte… jedenfalls noch nicht so früh im Spiel. Von links kam Katsu eingerückt. Tai überlegte, ob er nochmal aus zweiter Reihe auf’s Tor schießen sollte, beließ es jedoch bei dem Gedanken und passte zur Überraschung der beiden Verteidiger zu Katsu rüber. Dieser fackelte nicht lange und drosch den Ball mit seinem starken Linksfuß auf das Tor. Der Torwart der Gunners flog und klärte per Faustabwehr zur Ecke. Das war die Situation, die Tai haben wollte. Die Heimfans waren durch diese gelungene Aktion wieder zum Leben erwacht und feuerten ihre Mannschaft bedingungslos an. Riku rannte zur Eckfahne, legte sich den Ball zurecht und schaute in Richtung des Strafraumes. Er sah dort Tai winken und wusste, was zu tun war. Riku lief an und schoss den Ball so, dass er auf den Elfmeterpunkt zuflog. Dort wartete Tai und machte sich bereit für den Sprung. Doch Nobu ahnte, was Tai vorhatte und bedrängte ihn hart. „Sehr gut! Er hat angebissen!“, dachte sich Tai und sprang mit halber Kraft nach oben. Nobu sprang mit hoch und sah, wie der Ball immer näher kam. Aber er bemerkte plötzlich, dass er zu hoch geflogen kam! Tai konnte ihn mit diesem Sprung nie und nimmer erreichen! Es sei denn, er hatte auch nicht die Absicht, ihn zu erwischen… Bevor Nobu überhaupt nachdenken konnte, sah er, wie Sora von der Strafraumgrenze angerannt kam und mit voller Kraft nach oben sprang. Sie war völlig ungedeckt gewesen und setzte nun zum Kopfball an… „AAAAAAHHH!“ Mit einem Male schrie die Tribüne hinter dem Tor auf und jubelte ausgelassen. Nur Sekundenbruchteile später erwachten die restlichen Tribünen ebenfalls zum Leben und verwandelten das Stadion in ein Tollhaus. Sora hatte den Kopfball im Tor versenkt, war danach abgedreht in die Kurve und ballte die Faust in die Höhe. Von hinten kamen ihre Mitspieler auf sie zugelaufen und herzten sie. Tai lief als Letztes zu ihr und umarmte sie innig. „Das hat ja super geklappt!“, schrie er schon fast aus nächster Nähe zu ihr, den ohrenbetäubenden Lärm der Tribüne berücksichtigend. „Ja!“, erwiderte Sora erleichtert. „Und das war noch nicht alles, wir haben noch einen Auftrag, Tai! Ich will dieses Spiel heute unbedingt gewinnen!“ Tai nickte entschlossen: „Ich genauso wie du! Also lass uns weitermachen!“ Er rannte mit ihr zum Mittelkreis zurück. Nun hatten sie wieder zumindest den Ausgleich erzielt, damit lagen sie wieder 2 Punkte vorne. Aber allen war bewusst, dass sie mit einem Sieg die vorzeitige Meisterschaft sicherstellen können. Dazu trennten nur sie noch ein Tor und eine halbe Stunde! Als die beiden zurück am Mittelkreis ankamen, stieß der Gegner wieder an. Auf den Zuschauerrängen wurde indes gefeiert und der Stadionsprecher hatte den Torerfolg durch die Lautsprecher verkündet. Bei der Nennung des Torschützen schallte Soras Nachname dreimal von den Rängen zurück auf das Spielfeld, was das Adrenalin der Betroffenen in sich hochtrieb. Es gelang den Rangers infolge gut, das Spiel zu gestalten. Die Gunners mussten aufgrund des Gegentores wieder ihre Strategie ändern und sich hinten etwas öffnen. Schließlich waren es sie, die die Meisterschaft beim derzeitigen Stand nicht in eigenen Händen hatten. Aber die Rangers waren nun auf ihre Angriffe gut eingestellt, hatten durch das Tor wieder Sicherheit in ihrem Spiel erlangt und ließen Ball und Gegner laufen. Ging der Ball doch einmal verloren, fanden sie sich in eine gut gestaffelte Defensivordnung wieder und unterbanden das gefürchtete Konterspiel der Gäste, indem sie die Außenspieler nun doppelten oder sogar dreifach angingen, wenn es sein musste. So waren die Gunners ihrer stärksten Waffe beraubt und agierten planlos; mal wurde zurückgepasst und der Angriff neu aufgebaut; mal segelten lange Bälle in den Strafraum, die aber allesamt abgefangen wurden oder sogar ins Toraus fielen. Nobu beschwerte sich hinten lautstark, als gerade wieder ein langer Ball im Nichts landete und schimpfte mit seinen Mitspielern. Tai sah, wie Shou sich den Ball vom Balljungen abholte und ihn an der Fünfmeterlinie zum Abstoß zurechtlegte. Da erinnerte er sich plötzlich an etwas, was ihm im Training aufgefallen war: Shou konnte den Ball unheimlich weit schlagen. Man musste nur die gegnerische Abwehr verwirren, um daraus eine Torchance zu kreieren. Er rief Sora zu sich, die sogleich angespurtet kam und ihr Ohr für ihn offen hatte. „Geh vor die Abwehr und beschäftige sie ein wenig! Sie dürfen nicht auf mich aufmerksam werden! Verstanden?“ Sora nickte, verschwieg aber, dass sie es eigentlich nicht verstanden hatte. Sie sah Tai nach, der sich danach zurückfallen ließ - was hatte er bloß vor? Shou ging mehrere Schritte zurück und wollte anlaufen, als er plötzlich Tai auf Höhe der Mittellinie erblickte. Der Braunhaarige machte eine Bewegung, die den Torwart der Rangers unmissverständlich verstehen ließ, was er meinte und marschierte wieder auf seine Position. Shou nahm tief Luft und lief an. Er packte seine ganze Energie in seinen rechten Fuß und haute den Ball weit nach vorne; dieser flog einen weiten Bogen nach rechts, wo Sora stand und einen der Innenverteidiger und den Linksverteidiger der Gunners auf sich zog. Sie versuchten mit probaten Mitteln, sie am Kopfballversuch zu stören und zu hindern. Doch die beiden Defensivspieler bemerkten plötzlich, dass der Ball hoch in der Luft eine Linkskurve nahm und mittig zu landen schien - direkt vor dem Strafraum. Und sie bemerkten den Kapitän der Rangers, der plötzlich Tempo aufnahm und auf den Ball zulief. Nobu hechtete ihm hinterher. „Verdammt, haltet ihn!“, rief er zu seinen Mitspielern, die jedoch viel zu weit von Tai entfernt waren. „Den kriege ich, und wenn es das Letzte ist, was ich tue…“ Plötzlich spürte Tai instinktiv, wie sich ihm jemand näherte. Er vermutete, dass es Nobu war und konzentrierte sich weiter auf den Ball, der vor ihm auf den Boden landete und noch ein paar Male hoppelte. „Zurück mit dir, du Wicht von einem Stürmer!“ Nobu hatte Tai eingeholt, bedrängte ihn hart und versuchte selber an den Ball zu kommen. Noch waren sie nicht im Strafraum und er konnte sich erlauben, ihn so anzugehen oder sogar zu foulen. Doch Tai ließ sich nicht von ihm ablenken und versuchte, sich von ihm loszureißen. Er erhöhte nochmals sein Tempo und entging der Greifattacke seines Gegenspielers, der dadurch die Balance verlor und auf den Boden fiel. Dieser versuchte nun ein Offensivfoul von Tai zu schinden, aber der Schiedsrichter ließ sich nicht beirren. Tai hatte nun freie Bahn, er lief alleine auf den Torwart der Gunners zu. Dieser kam aus seinem Tor gestürzt, um den Ball noch vor Tai zu erreichen. „Den kriegst du nicht!“ Doch er hatte nicht Tais nochmals höheres Tempo einkalkuliert. Der Braunhaarige erreichte den Ball als Erstes und legte ihn mit einem Vollspannschuss aus vollem Lauf heraus an dem Torwart vorbei. Kurz darauf erfolgte ein unfassbarer Jubelschrei von den Rängen. In seiner vorherigen Aktion stieß Tai mit dem Arm des Torwarts zusammen und verlor das Gleichgewicht. Er flog auf den Boden und schlug einen Purzelbaum; doch im nächsten Moment stand er wieder auf - mit dem Wissen, dass er getroffen hatte und die Menge auf der vor ihm liegenden Tribüne tobte. Er rannte zur Tribüne und reckte die Arme hoch jubelnd in die Luft. Kurz darauf spürte Tai einen unerwarteten leichten Schubser von hinten; nachdem er sich umgedreht hatte, sah er Riku. „Was fällt dir ein, ohne meine Beteiligung ein Tor zu schießen, du alter Streber!“, neckte der 15-Jährige den Braunhaarigen und umarmte ihn danach. Auch die restlichen Mitspieler - und sogar Shou, der Torwart kamen auf ihn zu. Letzteren drückte Tai besonders, denn ein Scorer-Punkt ging auch an ihn. Als er schließlich vom Schiedsrichter aufgefordert wurde, wieder zurück zum Mittelkreis zu gehen, setzte er sich in Bewegung und klatschte zuletzt noch mit Sora ab, die ihn leicht schief ansah. „Du überraschst mich immer wieder!“, meinte sie nur, bevor sie ihm auf die Schulter klopfte und zusammen mit ihm zum Mittelkreis zurückging. „75. Spielminute! Zwei zu Eins für unsere Rangers! Torschütze der Spieler mit der Nummer 9: TAICHI…“ „YAGAMI!“, bekam der Stadionsprecher das 30.000-fache Echo zurück von den Rängen. Die Zuschauer jubelten frenetisch; die momentane Situation bedeutete, dass die Rangers Zweitliga-Meister waren und aufsteigen würden. Das wussten aber auch die Gunners und nahmen mit dem Anstoß fortan wieder eine offensivere und aggressivere Gangart an. Die Rangers wurden bei Ballbesitz sofort angegriffen und sahen sich dem aggressiven Pressing der Gunners oft genötigt, zurück auf die Abwehr oder den Torwart zu spielen. Aber selbst diese wurden nun vom Gegner unmittelbar attackiert und so hatten sie keine Wahl, als den Ball unkontrolliert weit in die gegnerische Hälfte zu schlagen. Tai, Sora, Riku fanden sich in der Schlussphase eigentlich nur noch in der eigenen Spielhälfte wieder und leisteten mit den anderen defensive Drecksarbeit. Es waren nur noch 10 Minuten zu spielen; der Trainer hatte mittlerweile schon reagiert und Katsu und Mai ausgewechselt - gegen Shinji und Takeshi, zwei defensiv-orientierte Spieler. Vorher hatte er bereits Kenta ausgetauscht gegen den zwar nicht so zweikampfstarken, dafür aber flinkeren Gotoku, um die eigene rechte Seite gegen die schnellen Flügelspieler der Gunners in den Griff zu bekommen. Somit hatten die Rangers jetzt stolze 7 Defensivspieler auf dem Platz. Bisher hatten sich die Maßnahmen auch gut ausgezahlt; jedoch konnten die Rangers nicht verhindern, dass die Gunners wenigstens einmal gefährlich vor das Tor kamen. Nach einer Kurzpassstafette tauchte urplötzlich einer der beiden Gunners-Stürmer frei vor dem Torwart der Rangers auf und schoss den Ball aus 10 Metern auf das Tor. Shou tauchte ab und lenkte den Ball mit den Fingerspitzen am rechten Pfosten vorbei. Abermals ging ein Raunen durch das Stadion, kurz danach wurde inständig applaudiert und gejubelt; die Heimfans gaben alles, um ihr Team zu unterstützen. Der anschließende Eckball wurde schnell ausgeführt und das runde Stück Leder kam in den Strafraum geflogen. Ryo schraubte sich hoch und köpfte das Ding humorlos aus der Gefahrenzone heraus. Ein nachrückender Gunner wollte den Zweiten Ball zurückflanken, jedoch ging Riku dazwischen und grätschte ihm das Spielgerät weg. Der Schiedsrichter hatte die Szene nicht als Foul bewertet und seine Pfeife blieb stumm. Jetzt hatten die Rangers freie Bahn! Sie hatten viel grüne Wiese vor sich und spielten einen Konter; Sora lief über links und Tai spurtete über die rechte Außenbahn, Riku selbst startete mit dem Ball in der Mitte durch. Es war eine 3-gegen-2-Situation: Die anderen Gunners-Spieler kamen nicht schnell genug auf ihre Positionen zurück und so sahen sich die beiden Innenverteidiger in Unterzahl dem Angriff der Rangers ausgesetzt. 30 Meter vor dem Tor passte Riku den Ball Sora in den Lauf, doch damit hatte Nobu gerechnet. Er kam Sora mit großen Schritten entgegengelaufen und wollte versuchen, vor ihr an den Ball zu kommen oder ihn zumindest ins Seitenaus zu grätschen. Doch bei diesem Versuch verschätzte er sich völlig, denn Sora war viel schneller als er am Ball und legte ihn vorbei. Stattdessen traf Nobu bei seinem Grätschversuch die Orangehaarige mit voller Wucht am Fußgelenk. Sora stürzte daraufhin schmerzerfüllt zu Boden und hielt sich an der getroffenen Stelle. Die Menge im Stadion schrie auf und ein gellendes Pfeifkonzert ertönte, als Sora gefoult wurde. Nobu schien dies nicht zu interessieren, stand wieder auf und trottete davon, ohne sich nach der 16-Jährigen zu erkundigen. Plötzlich tauchte Tai vor ihm auf und ging ihn unsanft an: „Was sollte diese Scheiße!? Du hast sie wohl doch nicht mehr alle!“ Nobu war zwar größer und muskulöser als er, dennoch war Tai das für den Moment egal; er hatte gerade mit ansehen müssen, wie seine beste Freundin brutal gefoult wurde und nun am Boden lag. „Halt dein freches Maul, Yagami! Sonst bist du das nächste Mal dran!“, erwiderte der Gunner gereizt zurück und wollte davongehen, wurde aber wieder von dem Braunhaarigen zurückgehalten. „Du entschuldigst dich gefälligst, hab ich gesagt!“ „Lass mich los!“ Die beiden Kapitäne gerieten aneinander und packten sich gegenseitig am Kragen. Riku und ein Gunner versuchten gemeinsam, die Situation zu entschärfen. Nach einer Weile ging auch der Schiedsrichter dazwischen und bestrafte beide Protagonisten anschließend mit der Gelben Karte. Bei Nobu nahm sich der Unparteiische nochmals Zeit, ihn ernsthaft zu ermahnen, da es sich bei ihm quasi um Dunkelgelb handelte und er nah vor einem Platzverweis stand. Derweil waren Riku und Tai zu Sora gestoßen, die immer noch mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen lag. Auch die Sanitäter kamen mittlerweile bei ihr an und kühlten die wunde Stelle mit Eisbeuteln ab. „Wie geht’s dir, Sora? Kannst du noch weitermachen?“, fragte einer der Medizinern sie. „Ich weiß nicht…“, knirschte sie hervor und versuchte, sich wieder aufzurichten. Sie fasste sich am Fußgelenk, wo Nobu sie zuvor voll getroffen hatte. Tai hörte unruhig zu; der Trainer hatte schon dreimal getauscht und konnte nicht mehr wechseln. Sie müssten die Partie in Unterzahl beenden, sollte Sora nicht weiterspielen können. Das wäre nicht gut… „Tai! Komm mal her!“, forderte Sora ihn auf, worauf der 16-Jährige überrascht reagierte. Sie flüsterte ihm ins Ohr: „Du wirst ihn doch machen… du wirst ihn doch jetzt reinhauen, oder?“ Zuerst sah er sie fragend an, aber er brauchte nicht lange, um sie zu verstehen. Es gab jetzt Freistoß für die Rangers - 18 Meter vor dem Tor der Gunners. Zwar galt Riku als die absolute Standardwaffe der Rangers, denn er hatte schon zehnmal direkt per Freistoß in das Tor getroffen. Doch Tai stand ihm mit acht direkten Freistoßtreffern in nichts nach. Er nickte ihr zu: „Ich versprech’s dir!“ „Gut!“, sagte Sora mit einem leichten Lächeln, bevor sie den Sanitäter um Hilfe bat und vom Platz humpelte. Sie konnte nicht mehr weiterspielen. Während Sora unter dem gewaltigen Applaus der Fans auf die Bank geführt wurde, legte sich Tai den Ball zurecht. Riku kam auf ihn zu, worauf die beiden Freunde sich kurz austauschten und danach in Position stellten. Der gegnerische Torwart hatte bereits eine 5-Mann-Mauer aufgestellt, doch er wusste selber, dass Riku und Tai exzellente Freistoßschützen waren und diese Mauer im Prinzip nur Schönheitskosmetik darstellte. Er spekulierte, dass der Ball wohl wieder über die Mauer angeschnitten auf die kurze Ecke fliegen würde und stellte sich näher dorthin. Der Schiedsrichter gab den Ball mit einem Pfiff frei; Tai stellte sich hin und schaute in Richtung des Tores und der Mauer, in der sich auch Nobu hineingestellt hatte. Zum ersten Mal überhaupt meinte der 16-Jährige, in seinem Gesicht so etwas wie Angst lesen zu können. Zu Recht, wie er dachte. „Das war’s dann, Nobu!“ Mit diesen Worten nahm der Braunhaarige Anlauf und donnerte den Ball in Richtung Tor. Dieser flog über den rechten Rand der Mauer hinweg, schoss aber durch den unheimlichen Druck weiter geradeaus in Richtung langes Eck. Der Torwart bemerkte dies und hechtete auf die andere Seite seines Tores zurück. Er sprang und streckte seine Finger nach dem Spielgerät, das auf ihn zugerast kam. Der Ball streifte seine Finger nur kurz und schlug im Winkel ein. Jemand außerhalb des Stadions hätte geglaubt, dass gerade ein Erdbeben die Gegend erschütterte oder eine Bombe explodiert war. Im Stadion und in einigen Wohnungen der Vorstadt gab es kein Halten mehr; Tais Eltern und seine Schwester Kari, sein bester Freund Matt, T.K. und deren Vater schrien sich auf der Haupttribüne die Freude aus dem Leib; Davis und Ken taten dies ebenso auf der gegenüberliegenden Tribüne; Izzy rannte jubelnd durch die Wohnung; Joe, Yolei und Cody klatschten sich freudig auf dem Sofa vor dem Fernseher ab. Selbst in den U.S.A. ging dieses Tor nicht spurlos vorbei: Wo zuvor in einer New Yorker Wohnung noch eine aufgebrachte Mimi wegen dem rüden Foul an ihrer besten Freundin tobte, sprang und hüpfte die blonde Pinkhaarige nun auf und ab. Unfassbare Szenen spielten sich auf dem Rasen und dem Spielfeldrand ab; der Trainer, so stoisch er sich normalerweise verhielt, reagierte mit einem extremen Jubelschrei und der dazugehörigen Pose; alle Spieler inklusive Torhüter und Ersatzspieler liefen auf das Feld und auf ihren Kapitän zu; Tai wiederum hatte sich bereits seines Trikots entledigt und steuerte mit blankem Oberkörper und beiden Händen zu Fäusten zusammengeballt auf die Bank zu, wo sein Trainer ihn mit offenen Armen empfing und umarmte. Doch das war im Moment für den Braunhaarigen nur zweitrangig, er suchte fieberhaft nach einer Person, die er unbedingt herzen musste - sofort! Und schließlich entdeckte er sie… „Riku hatte Recht! Was für ein Streber du doch bist!“, wurde er von ihr geneckt. „Ich hab doch bloß ein gegebenes Versprechen gehalten!“, erwiderte der 16-Jährige lässig. Sora hielt sich auf den Beinen so gut es ging und verkniff sich den Schmerz, der gerade durch ihr Fußgelenk raste. Doch gleich darauf nahm Tai ihr die Last ab und sie hielt sich an seiner Umarmung fest. Unter dieser Umarmung vergrub sie einige Tränen - und schützte sich darin auch gleichzeitig vor den anderen Mitspielern, die auf Tai aufliefen oder versuchten, ihn vor Freude zu sich zu ziehen, zu schubsen oder zu schütteln. Die Uhr zeigte nun die 90. Minute an, und die Nachspielzeit lief bereits. Es stand nun 3:1 und das Spiel war nun endgültig entschieden; das wussten auch die Gunners, die sich ihrem Schicksal fügten und keinerlei Anstalten machten, sich weiter gegen die anstehende Niederlage zu wehren. Die Fans der Rangers sangen lauthals und stimmten vereinzelt zu Yagami-Sprechchören an, während der Gästefanblock sich bereits auflöste. Nach zwei weiteren Minuten pfiff der Schiedsrichter schließlich die Partie ab, und ein gewaltiger Jubel entbrannte von den Tribünen. Die Rangers feierten das gewonnene Spiel, den damit verbundenen Zweitligatitel und den Aufstieg in die 1. Liga ausgelassen; der Trainer der Rangers wurde von den eigenen Spielern in der Menge hoch in die Lüfte gehoben und wieder aufgefangen; Bierduschen folgten; und einige Spieler drehten Ehrenrunden im Stadion und kletterten sogar auf die Zäune, um mit den Fans gemeinsam zu feiern… Nur zwei Personen waren unter den Feiernden nicht zu sehen… Zwei Personen, die das Spiel im Alleingang quasi entschieden haben… ------------------------------- „Kommst du denn nicht wenigstens zur Siegesfeier später?“ „Ich versuch’s, aber ich muss jetzt ins Krankenhaus!“ Sora schaute auf ihren Fuß und lächelte matt: „Mit dem komme ich in dieser Form nicht weit…“ Tai verstand, wollte aber nicht nachgeben: „Soll ich dich abholen kommen?“ „Ich kann doch auch alleine dahin finden!“, meinte sie und sah ihn tadelnd an. „Wer weiß! Aber vielleicht wird es nicht Nobu sein, der dich das nächste Mal umnietet, sondern ein Auto - oder ein 10-Tonner! Du kannst ja jetzt noch nicht mal weglaufen…“ Sora schaute gespielt enttäuscht zu ihm; sie wusste, dass Tai das nur spaßeshalber überspitzt formuliert hatte. „Na gut, wenn du so wenig Vertrauen in mir hast - dann komm mich in einer Stunde im Krankenhaus abholen! Und jetzt geh endlich feiern, sie erwarten dich alle draußen auf dem Rasen!“ Tai schaute zurück zum Tunnel, der auf das Spielfeld führte. Aus diesem Tunnel dröhnte es ziemlich, der Geräuschpegel im Stadion war enorm. Er machte kehrt und war dabei, zurück zu seinen feiernden Mitspielern zu gehen… „Ohne dich macht die Feier - macht alles nur halb so viel Spaß…“ Anschließend war er verschwunden. Diese Worte von ihm nahm Sora mit Emotion auf; sie wurde leicht rot im Gesicht, was er natürlich nicht mehr sah. „Ohne dich…“ Mit diesen Gedanken ging sie mit den beiden Sanitätern fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)