A manga short story von ShiZaki ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Tick, tick, tick... das ständige Im-Kreis-Drehen der Uhr und das hin und her schwingende Pendel waren das einzige, was man um diese Uhrzeit noch wahrnehmen konnte. Die Straßen waren bereits menschenleer, nur hin und wieder torkelte ein offenbar betrunkener Mann vorbei. Der Mond über der Stadt ließ die metallenen Oberflächen an den Gebäuden silbern schimmern und die Stadt von oben gesehen ungewöhnlich hell wirken. Selbst die Leuchtreklamen waren um diese Uhrzeit schon abgeschaltet und nur dürftig platzierte Straßenlaternen ließen einen Weg erahnen. Ich saß derweil in meinem Arbeitszimmer an dem kleinen hölzernen Schreibtisch und beugte mich über den kleinen Stapel Papier, der sich vor mir gegen meinen Willen angesammelt hatte. Mit der Feder in der rechten und der Verantwortung in der linken Hand zeichnete ich an meiner Kurzgeschichte. Eigentlich wollte ich sie 'Lost in Darkness' nennen, aber da ich bisher nicht eine auch nur ansatzweise düstere Szene hineinbringen konnte, sollte ich den Titel wohl nochmal überdenken. Zeitweise beschlich mich das Gefühl, beobachtet zu werden, speziell wenn ich gerade dabei war, dem Antagonisten meiner Geschichte seinen mystisch finsteren Blick zu zeichnen. Bisher ist eigentlich nicht viel passiert. Der Protagonist ist der letzte Überlebende eines magischen Massakers, der Antagonist derjenige, der für das Massaker verantwortlich ist. Der Protagonist reist zum einsamen Turm, nebenbei eine meiner gelungeneren Einfälle, um den Antagonisten zu besiegen. Er gewinnt und alle sind glücklich. Nichts besonderes, wenn man so darüber nachdenkt, aber seit ich die Idee hatte, konnte ich mich mit dem Protagonisten identifizieren. Das machte es für mich zu etwas besonderem, weswegen ich auch Tag und Nacht daran arbeitete. Wie gesagt, bisher ist nicht viel passiert, aber trotzdem war ich mittlerweile am Ende angelangt. Lediglich der letzte Kampf zwischen dem Protagonisten und dem Antagonisten stand noch aus... doch mit Blick auf die Uhr musste ich mir bewusst machen, dass ich diese finale Situation wohl auf morgen verschieben müsste. Ich legte erschöpft die Feder nieder, machte meinen Arbeitsplatz wieder etwas ordentlicher und säuberte alles, was zu säubern war. Ich stand auf und warf einen letzten Blick auf das Gesicht des Antagonisten auf dem letzten Panel und stutzte. Es wirkte so, als würde er weit intensiver schauen und bösartiger grinsen, als ich der Meinung war, ihn gezeichnet zu haben. Ich zuckte nur mit den Schultern und schaltete das Licht aus. Das Licht, welches vom Mond ausging, wirkte nun viel heller als vorher und ich kam nicht umhin, ein paar Sekunden einfach nur aus dem Fenster zu schauen. Ich gähnte noch ein letztes Mal, dann kroch ich in die behagliche Wärme meines Bettes und schlief ein. Mein Wecker schellte und ehe ich ihn ausschalten konnte, fiel er durch die Vibrationen auf den Boden. So zwang er mich dazu, mich umzudrehen und aus dem Bett zu fallen, um ihn abstellen zu können. Verschlafen öffnete ich die Augen und für einen Moment nahm ich einen Schatten wahr, welcher an meinem Schreibtisch stand. Ich rieb mir die Augen wach und schaute ein zweites Mal hin, doch am Schreibtisch war niemand. Alles war so, wie ich es gestern Nacht zurückgelassen habe. Ich schleppte meine müden Knochen ins Badezimmer, wo ich mir erst einmal eine Kelle kaltes Wasser ins Gesicht warf. Ich trocknete mich ab und streckte mich, wobei mein Rücken ungesund laut knackte. In der Küche schnappte ich mir den Pizzakarton vom Vorabend und schleppte sie mit zu meinem Schreibtisch, um nach einem (un)gesunden Frühstück endlich die finale Szene zu zeichnen. Ich öffnete den Karton und zog ein Stück Pizza heraus, wobei ich mit einem Auge auf die Seite vom Vortag schaute. Gerade als ich den ersten Bissen schlucken wollte, sah ich es: Die finale Szene war bereits vollkommen fertig gezeichnet, genau in meinem Stil, aber ich war mir sicher, dass ich in der Nacht vor dem Kampf aufgehört habe... ich legte die Pizza weg und schaute genauer hin. Der Antagonist stand alleine auf dem Turm, auf dem Boden vor ihm lag der Kopf des Protagonisten. Ich schluckte, als mir bewusst wurde, was ich gerade gesehen hab. Der Protagonist war tot, das Gute hatte verloren und das Happy End wurde zu einem grausamen Ende. Ich legte das Papier zur Seite, schob mir ein ganzes Stück der kalten Pizza in den Mund und schnappte mir dann Tusche und Feder. Ich konnte den Protagonisten doch nicht einfach sterben lassen! Ich war in der Pflicht, dieser Geschichte das Ende mit Schrecken zu nehmen und das geplante Ende einzubauen. Zu diesem Zeitpunkt ging ich davon aus, dass ich womöglich schlafgewandelt bin und es irgendwie geschafft habe, die letzten Seiten so perfekt wie im wachen Zustand zu vollenden. Ich legte die auf mysteriösem Wege fertig gewordenen Seiten erst einmal in die Schublade meines Schreibtisches und zog eine Schublade weiter unten ein paar neue, leere Seiten heraus. Die Feder noch in der Hand haltend nahm ich meinen Druckbleistift und skizzierte schnell die Panel und arbeitete diese sofort mit der Feder aus. So verging Stunde um Stunde, doch das letzte Bild wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Der Antagonist stand triumphierend über der kopflosen Leiche des Protagonisten, einfach so. Der Kopf lag ein Stück weiter und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, als wollte er mich fragen, warum ich zugelassen habe, das so etwas passiert. Plötzlich rutschte meine Hand weg, wodurch ich mit der Feder eine unschöne Linie über das Papier zog. Ich hatte mich zu stark ablenken lassen, aber ich versuchte mich nun mehr zu konzentrieren und merkte erst, als ich meinen Fehler korrigieren wollte, dass die falsche Linie quer über den Hals des Protagonisten verlief. Ich stockte und starrte die Linie für einen Augenblick einfach nur an, dann korrigierte ich sie weg und zeichnete weiter. Ich war wütend. Wütend auf mich, weil ich dauernd Fehler machte, aber auch wütend darauf, dass ich mir nicht erklären konnte, was geschehen war. Endlich war es so weit und ich zeichnete den letzten Strich im letzten Panel. Hier und da hätte man sicher noch ein paar Feinheiten machen können, aber ich hatte genug und legte die Feder zur Seite. Ich lehnte mich zurück und schaute auf die Uhr. Es war bereits später Abend und der Mond war bereits hoch am Himmel. Das Zeichnen der ganzen Seiten ging schneller als erwartet, aber hat mich auch viel Kraft gekostet. Ich entschied mich dazu, mir einen starken Kaffee zu machen, da ich bereits müde wurde, aber noch nicht schlafen wollte. Zu viel ging mir gerade durch den Kopf, als dass ich mich jetzt einfach ins Bett legen, meine Augen schließen und schlafen könnte, als sei nichts passiert. Also bevorzugte ich es, in der Küche zu stehen und meinen Kaffee zu genießen. Plötzlich hörte ich Geräusche. Es klang wie das Kratzen einer Feder auf dem Papier. Ich erschrak und stellte sofort den Becher auf den Tisch, nur um im nächsten Moment in mein Zimmer zu sprinten und der Sache auf den Grund zu gehen, doch es war niemand da und auch meine Feder und meine anderen Zeichenutensilien lagen auf dem Schreibtisch, wie ich sie zurückgelassen hatte. Zögerlich ging ich zu meinem Arbeitsplatz und blickte auf das Manuskript nieder. Ganz oben lag die letzte Szene, die ich gezeichnet hatte, das Happy End, der Antagonist lag auf dem Boden, besiegt, aber hinter das Wort 'Ende' unter dem Panel war in dunklem Rot ein Fragezeichen gesetzt worden. Ich blätterte um und sah dem Antagonisten direkt in die Augen. Sein Blick brannte sich mir ins Gedächtnis, als würde er mir direkt in die Seele schauen. Daneben eine Sprechblase 'Es ist nicht zu Ende!'. Ich ließ den Stapel Papier fallen. Es war, als hätte der Antagonist aus der Geschichte direkt zu mir gesprochen. „Es reicht mir! Ich werde dem jetzt ein für alle Male ein Ende bereiten!“, rief ich und blickte auf die Seite, die vor mir auf dem Boden lag. Offenbar war es die Seite direkt danach, denn der Antagonist grinste finster und hielt nahezu einladend seine Hand zu mir. 'Komm!', befahl er mir in seiner Sprechblase. Ich ließ es mir nicht nochmal sagen und schnappte mir die weiße Tusche und kippte sie über die Seite drüber. Die noch frische rote Tinte verwischte und mischte sich mit der Weißen. Ein bisschen wirkte es wie die Oberfläche von rötlich schimmerndem Wasser, als auf einmal aus diesem Wasser eine Hand nach meinem Fuß griff und mich in das Blatt zog. Zeit und Raum drehten sich um mich und sämtliches Gefühl wich aus meinem Körper, als ich in die Tiefen des rötlich schimmernden Wassers gezogen wurde. Langsam ging mir die Luft aus, ich musste mich anstrengen, um nicht das Bewusstsein zu verlieren, als ganz plötzlich eine Stimme zu mir sprach. „Endlich lernen wir uns kennen!“, sagte sie und da merkte ich, dass ich festen Boden unter den Füßen hatte und Luft zum Atmen da war. Ich öffnete langsam die Augen und erschrak, als ich feststellte, wo ich mich befand. Ich stand auf der Spitze des einsamen Turmes, zusammen mit meinem Protagonisten und auch dem Antagonisten, dessen Stimme es war, die zu mir gesprochen hatte. Ich schaute ihn an und er grinste finster zurück. „Was machst du hier?“, rief der Protagonist und schaute mich entgeistert an. „Du musst sofort zurück und die Geschichte beenden!“ „Das kann er nicht, nicht wahr?“, spottete der Antagonist und lachte. „Was?“, rief der Protagonist und ließ sein Schwert verzweifelt sinken. „Das heißt... das heißt, wir können nicht gewinnen?“ „So ist es“, erwidert der Antagonist und blickte triumphierend drein. „Verstehst du es immer noch nicht?“, fragte er mich und kam einen Schritt auf mich zu. „Du hast mich nicht erschaffen, ich bin ein Teil von dir, oh großer Mangaka!“, lachte er und legte eine Hand auf meine Schulter. „Und nun beende ich, womit du begonnen hast...“ „Warum bist du gekommen?“, wollte der Protagonist wissen. Ich war nicht im Stande zu antworten. Alles, was geschehen ist, war meine Schuld? Wie konnte das denn möglich sein? „Er ist hier, um das Ende mitzuerleben, was sonst“, erklärte der Antagonist und ging zu seinem Stab zurück, welcher noch an einer der Zinnen des Turmes angelehnt stand. „Nein...“, murmelte ich leise. Der Antagonist drehte sich zu mir um und starrte mich fassungslos an. „Was?“ „Ich... ich bin nicht hier, um das Ende mitzuerleben... sondern um es zu machen!“, schrie ich und und griff die Feder in meiner Hand fester. „Du hast keinerlei Macht über mich, Schatten, denn du existierst nur in meinem Kopf... und dort bin ich dein Meister, dein Schöpfer, dein Gott!“ Der Protagonist verschwand plötzlich in kleinen Funken und flog in mich hinein. Endlich hatte ich es begriffen. Ich selbst war der Protagonist meiner Geschichte und nur ich allein war in der Lage, das Böse zu besiegen. „Nein, das ist doch nicht möglich!“, schrie der Antagonist und stolperte nach hinten. „Wo-woher nimmst du diese Macht?“ Ich stürmte auf ihn zu, als würden meine Beine sich von selbst bewegen. Meine Feder verwandelte sich in ein wunderschönes Schwert, als ich zum Schlag ausholte und nach dem Antagonisten schlug. Dieser blockte aber den Schlag mit seinem Stab und sprang vom Boden auf. „Ich werde dich dafür töten!“ „Und ich werde nicht verlieren, selbst wenn du mich tötest!“ Ein Zweikampf entbrannte zwischen uns und obwohl ich keinerlei Erfahrung im Kämpfen habe, war es, als würde ich von einer höheren Macht geführt. Die Macht eines Gottes, ich konnte alles tun, was ich wollte, denn es war meine Geschichte, meine Welt. Ich hob die Hand und eine Schockwelle schob den Antagonisten an den Rand des Turmes. „Wie kannst du?“ „Deine Macht ist gebrochen, Schatten!“ Ich schlug mit meinem Schwert seinen Stab entzwei und hielt ihm dann meine Klinge an den Hals. „Du hast verloren!“, sagte ich und hob meine freie Hand zum Himmel. „Neeeeeeeeeeeeeein!“, schrie der Antagonist verzweifelt, als aus dem rötlichen Wasser, welches den Himmel bildete, die weiße Tusche auf ihn fiel und ihn aus dieser Welt für alle Ewigkeit verbannte. Funken kamen aus meinem Körper und vor mir erschien wieder der Protagonist. Er hielt mir seine Hand hin. „Ich muss mich bei dir bedanken. Ohne deine Hilfe wäre das niemals möglich gewesen!“, sagte er. Ich ergriff seine Hand und schüttelte diese. „Aber nun wird es Zeit... wach auf... wach auf... ...“ Ich öffnete die Augen. Ich lag auf dem Boden, um mich herum das Manuskript, was ich zuvor fallen gelassen hatte. Doch die Seiten waren völlig leer, unbenutzt. Ich stand auf und schaute auf meinen Schreibtisch. Ein fertiges Manuskript lag dort, darauf eine Karte mit der Aufschrift 'Für den Schöpfer einer besseren Welt'. Ich nahm das Manuskript und lächelte, dann schob ich es in eine Mappe und ging zur Türe. Ich hielt inne und drehte mich zu meinem Bett um, auf dem ein wunderschönes Schwert lag. Ich musste schmunzeln. Dann öffnete ich die Türe und verließ meine Wohnung, um die Geschichte bei einem Verlag einzureichen. In einem hatte der Antagonist recht, dachte ich mir dann. Er war ein Teil von mir, so wie der Protagonist auch, aber eines wusste ich: Egal wie oft das Böse auch erscheinen würde, reicht eine Feder aus, um es zu besiegen. ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)